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Fräulein Armgard Krafft, die zweite Liebhaberin unserer sehr menschlichen Komödie, ist uns seit ihrem Abgange aus Rolands Atelier einigermaßen aus dem Gesicht gekommen. Der geneigte Leser kennt sie zumeist aus den Auffassungen dritter Personen: als Weltkind durch Graf Wallenberg, als Bankprinzessin durch die leidenschaftliche Amazone, durch ihren eigenen Vater als verzogenes Töchterlein, so daß zu besorgen steht, sie erscheint allgemein in ungünstigem Lichte. Ihr geschieht damit ein schreiendes Unrecht. Armgard ist... Aber nein, sie mag zeigen, was sie ist. Handelnd und leidend trete sie auf. Wer weiß, ob sie nicht bis zum nahen Ausgang unserer Geschichte, welchen der bei allem Scharfsinn höfliche Leser nicht erraten darf – die Leserin hat wohl verstohlen auf die letzte Seite geblickt – ob sie, die zweite Liebhaberin, nicht bis zum Schlußkapitel der ersten Heldin über den Kopf wächst?
Für Armgard war, wie für ihren Vater, für Wallenberg, für Seraphine, für Roland, der Sonnabend ein Tag der Aufregung und Unruhe. Die strenge Hausordnung, welche im Hotel Krafft, und zwar in den beiden Hälften desselben, herrschte, wurde empfindlich gestört. Diese Ordnung bestand darin, daß Armgard schon um acht Uhr morgens, im Sommer um sieben, frisiert und angekleidet am Frühstückstisch im kleinen Speisezimmer erschien, um mit dem Vater und mit Mrs. Henderson, Hofdame der Bankprinzessin, den Tee zu nehmen. Papa Krafft, ebenfalls schon in Schwarz oder Weiß für den ganzen Tag fertig, trank Kaffee, ohne Zucker, einen einzigen Napf, in welchem handfeste Semmeln zu einem steifen Brei gebrockt wurden, ein erstes Mahl, das an die großknechtische Vorzeit im Leben des Millionärs mahnte. Um zwölf Uhr, vor der Börse, wurde das einfache, hastige Mittagessen verzehrt, von Armgard beharrlich nur als Dejeuner bezeichnet; die sechste Stunde brachte das Abendbrot, das sie Diner nannte. Und so alle Tage, mit Ausnahme großer Gelegenheiten und des bewußten Sonnabends. An diesem zog sich nach dem Frühstück Herr Krafft mit Armgard in den Wintergarten zurück, wo die Tochter den ersten Arbeiten ihres Tages, Füttern der Goldfische im Aquarium und der frei umherfliegenden Singvögel, nachzugehen pflegte. Der Vater erklärte zuerst der Tochter ihre geheime Liebe für Meister Roland. Sie fiel aus den Wolken. Hierauf fuhr er fort, seine eigenen Absichten auf eine zweite Ehe, mit der Sängerin, nicht ohne Räuspern und Zögern, mitzuteilen; eine Neuigkeit, die für die kluge Tochter keine war, sie jedoch nichts weniger als erfreulich berührte. Sie hatte das wachsende Wohlgefallen ihres Papas an der schönen Künstlerin längst bemerkt, ohne sich an den Gedanken gewöhnen zu können, eine Stiefmutter, und gerade diese, zu bekommen. Nachdem sie von ihrem Erstaunen sich erholt, ergriff sie zärtlich den Arm des Vaters, der mit unruhigen, schweren Schritten in dem grünen Paradies umherwandelte, die Lachtauben verscheuchend und hier und da aus Verlegenheit ein Blatt, eine Blume zerpflückend. »Sie wissen, lieber Vater,« flötete sie mit der feinen Silberstimme, »daß alles, was Sie beglücken kann, mich beglücken muß. Mit den innigsten Segenswünschen begrüße ich daher Ihren wichtigen Entschluß, den Sie mir gewiß nicht vertraut haben würden, wenn Sie ihn nicht zuvor bei sich reiflich erwogen hätten. Über das Glück und die Zukunft meiner eigenen kleinen Person aber erlauben Sie mir auch meine eigenen kleinen Gedanken zu haben und zu behalten.« – »Die mit den meinigen in Widerspruch stehen, wie immer«, brummte der väterliche Baß. – »Meine Selbständigkeit ist das Werk Ihrer Güte, cher papa.« – »Meiner Schwäche, Fräulein Turandot.« – »Sie sind einverstanden gewesen, so oft ich bisher eine Werbung zurückwies.« – »Weil ich dich weder zu deinem Glück, noch zu deinem Unglück zwingen will, Trotzkopf. Daß indessen diese zimperliche Korbflechterei nicht ewig dauern darf, siehst du ein. Wir kommen in der Leute Mäuler. Die Stadt fragt, auf welchen Fürsten die Bankprinzessin eigentlich warten mag. Muß ich noch einmal, wie gestern im Atelier, daran mahnen, daß dein Geburtstagskalender auf 22 weist?« – »Daraus folgt nicht, daß Sie meine Hand ausbieten, cher papa.« – »Ich will dich versorgt wissen, ehe es zu spät ist.« – »Versorgt! Als wenn ich es nicht im vollsten Maße wäre durch Ihre verschwenderische Güte! Armgard Krafft braucht in ihrer Heirat nicht eine Versorgung zu sehen.« – »Die reichste Erbin der Welt bleibt, unverheiratet, eine alte Jungfer; gleichviel, ob sie keinen Mann kriegt oder keinen nimmt.« – »Über das Unglück!« – »Du sprichst, wie du es verstehst. Du verstehst dich selbst nicht einmal, wenn du aus Stolz deine Neigung für Roland leugnest. Du liebst ihn, ohne es zu wissen.« – »Als meinen besten Freund, nicht um einen Pulsschlag anders.« – »Täuschung, mädchenhaftes Gezier.« – »Bester Vater!« –»Du machst mich nicht blind, andere Leute auch nicht. Graf Wallenberg glaubt wie ich an diese Neigung. Wie ich findet er deine Verbindung mit Roland durchaus passend.« – »Sagte er das?« – »Wie ein Diplomat dergleichen Dinge sagt: schweigend. Doch nein. Ich besinne mich sogar, daß er gestern, da ich ihm in Rolands Atelier begegnete und seinen weltkundigen Rat mir erbat, diese Wahl ausdrücklich billigte; sie könne, sagte er, auf keinen würdigeren fallen, als Roland. Erfreut über seine Billigung meines Lieblingsplanes habe ich ihm denn auch meine weiteren Absichten anvertraut. Er will meine Werbung, wenigstens eine vorläufige Anfrage, an Seraphine bringen. Ich erwarte seinen Besuch im Laufe des heutigen Nachmittags. Du wirst dich auf Roland gefaßt machen können.« – »Er findet mich gefaßt.« – »Armgard, spiele nicht Versteckens mit deinem Herzen, auch nicht mit deinem Vater. Er verdient es nicht um dich. Sei besonnen. Übereile nichts. Brich nicht abermals durch ein rasches Nein die Hoffnungen eines wackeren Mannes, der dich liebt, eines Vaters, den du liebst, ich weiß es.« – »Von Herzen, mein Vater.« – Nach einer Umarmung schied Herr Krafft mit der Ankündigung, er werde zum Mittagsessen nicht herüberkommen. »Schick' mir«, bat er, »kalte Küche in das Kontor und speise mit deiner Engländerin. Ich habe einen heißen Tag vor mir, die Unterzeichnungen auf der Börse und hier im Haus, dann die zwei Besuche. Heute abend hoffe ich alles in Ordnung, dich glücklich zu sehen. Bis dahin Adieu, liebe Tochter.«
Er ging, leichteren Herzens, als er gekommen, mit desto schwererem Armgard zurücklassend. Sie stürmte durch ihr Paradies, das ihr bald ein verlorenes werden sollte, warf sich aufgelöst in ein Sofa, brach in einen Tränenstrom aus... So denkt der geneigte Leser. Nichts von dem allen, gar nichts. Ist doch Armgard keine leidenschaftliche Künstlerin, sondern ein wohlerzogenes Weltkind. Sie setzte sich, scheinbar vollkommen ruhig, in die bekannte Fensternische, schlug die Füße übereinander und sah durch die farbigen Scheiben auf den Königsplatz, wo eben die Straße mit Wasser bespritzt wurde und die Ablösung vor der Hauptwache die neunte Morgenstunde anzeigte. Daß aber das Herz des Weltkindes höher schlug als gewöhnlich, verriet der weiße Morgenüberrock; das schwarze Auge funkelte, das Stumpfnäschen erhob sich trotzig, die feingeschnittenen Lippen schlossen sich fest zu, die feine, glanzlederne Fußspitze tanzte auf und ab in anderem als dem Walzertakt. Zwei Glockenstunden verharrte sie in dieser Stellung, von neun bis elf. Die bunten Vögel im Paradies wußten nicht, was Mutter Eva widerfahren war. Sonst brachte sie vom runden Frühstückstisch Zucker und Backwerk mit herüber zum Dessert der ersten Fütterung; heute fiel kein Brosamen für sie. Neugierig kamen sie von allen Seiten herangeflogen, drehten die zierlichen Köpfe nach der Herrin, schauten mit hellen Augen fragend zu ihr empor und nieder, riefen in allen Tönen sie an... Vergebens. Armgard war verzaubert. Aber sie weckte sich selbst. »Wieder er; immerfort er«, sagte sie leise vor sich hin, indem sie langsam aufstand; die einzigen hörbaren Worte ihres langen Monologs. Dann zog sie an der Glocke, bestellte die Jungfer zum Ankleiden, und in einer halben Stunde Jack mit den Ponys. Bei Mrs. Henderson ließ sie sich entschuldigen, wenn sie zu spät zum Dejeuner käme; Mrs. Henderson möchte nicht warten.
Die Kammerjungfer, Jack, die Ponys hatten, auch sie, einen schlimmen Tag. Trotz aller Erziehung und Selbstbeherrschung muß ein armes Weltkind an etwas doch den berechtigten Zorn auslassen dürfen, und da sind dienstbare Hände, welche ungeschickt schnüren, nachlässig anspannen, eine Tür überlaut ins Schloß oder eine Nadel auf den Boden fallen lassen, immerhin noch die natürlichsten Blitzableiter. Die Ponys rauchten wie eine Lokomotive, als sie Armgard zum dritten Male um das Neptunsbassin im Königspark trieb. Master Jack thronte auf hohem Bock neben ihr, um eine Stufe niedriger, den betreßten Hut tief in die finster gerunzelte Stirn gedrückt, die Arme krampfhaft ineinander geschlagen. Daß er von Miß Krafft ingrimmig angefahren worden war, wurmte ihn viel weniger, als daß sie die Ponys – them poor baists, wie er vor sich hin murmelte – schonungslos überfuhr. Er dankte dem Himmel, als sie vor der Seufzerallee, der einsamsten Stelle des Parks, anhielt, ihm die weißen Zügel zuwarf und von der Americaine herabglitt, um zu Fuß, mit niedergeschlagenem Schleier, auf und ab zu wandeln, während er neben ihr, im Fahrweg, die poor baists im Schritt verschnaufen ließ. Armgard brachte ihr Selbstgespräch zu Ende und zu einem kühnen Entschluß. Da sie wieder aufstieg, schien sie heiteren Mutes und hellen Angesichtes. Sie klopfte den mißhandelten Ponys schmeichelnd den Hals. Ob sie nicht auch für Master Jack ein begütigendes Wort hat? Die heißblütige Amazone pflegt, wenn der Ausbruch des Vesuv vorbei ist, Signor Beppo lachend die Hand zu reichen oder an Marianka ein abgelegtes Kleid als Schmerzensgeld zu schenken. Solche Herablassung fällt dem wohlerzogenen Weltkinde nicht ein; Master Jack, die Kammerjungfer Luise, die Haushälterin, die gesamte Dienerschaft existiert für sie nur im Zustand lebendiger Maschinen. Mit ihnen sprechen, eine Silbe mehr, als zum Befehlen oder Zanken nötig – warum nicht gar?
Sie kehrte um zur Stadt, diesmal in einem mäßigen Trab. In der Königsstraße wurde angehalten, vor dem Hause der Gebrüder Kilian, Hofjuweliere Seiner Majestät und verschiedener Prinzen des königlichen Hauses. Empfangen und bedient von dem ganzen Ladenpersonal, Gebrüder Kilian an der Spitze, suchte sie geraume Zeit, fand endlich, was sie brauchte, und schob das samtne Etui in die Tasche ihrer roten Jacke. Dann ging's heim. Um zwei Uhr hielt der Wagen Königsplatz Nummer eins; Jack und die Ponys wurden in Gnaden in den Stall geschickt. Oben im zweiten Stock wartete die getreue Henderson, trotz des Gegenbefehls, mit dem Frühstück. Die gute, alte, schwerhörige Aja sah und hätschelte in Prinzeß Armgard immer noch ihr Baby, das sie als mutterlose Waise vom Arm der Amme genommen und seit einundzwanzig Jahren nicht verlassen hatte. Ein Tag, an dem sie mit Armgard allein, ohne den Vater, essen durfte, war ihr immer ein Festtag. Sie bestellte die Lieblingsgerichte des verzogenen Töchterleins, heute ein suprême de volaille, für das sie Todesangst ausgestanden, des langen Harrens wegen. Auch eine Karaffe süßen Frauenweins war serviert, Muskatlunel, von dem Armgard gern nippte, Mrs. Henderson noch lieber trank. Wie oft die Alte, ungeduldig und besorgt, an das Fenster trippelte, ehe sie die rote Jacke von fern leuchten sah!
Endlich kam sie, die Ersehnte, den schwarzen Krauskopf vom Winde zerzaust, nicht nur die Wangen, sondern auch die Stumpfnase rosig angehaucht. »Wo ist der Wildfang solange gewesen?« fragte Mrs. Henderson. – »Im Park, Veilchen pflücken. Sieh' nur, Mama Henderson.« – Sie hielt ihr das Etui von Gebrüder Kilian offen hin. Darin lag in grünem Samt, wirklich wie ein Veilchen im Moos, ein Stiefmütterchen von farbigem Gold, in der Mitte ein großer Brillant. Mama Henderson bewunderte durch ihre Brille das reizende Kunstwerk. »Aber,« sagte sie, »Herr Krafft wird zanken.« – »Darüber sicher nicht, ich wette mit dir.« – »Du hast des Schmuckes mehr als genug.« – »Diese Brosche ist nicht für mich.« – »Für wen denn?« – »Fräulein Lomond soll damit überrascht werden.« – »Und warum?« – »Weißt du, zu ihrem Abschied«, sagte Armgard, die den wahren Zweck des Geschenks nicht verraten mochte. – »Ich will froh sein,« brummte Mrs. Henderson, »wenn die rothaarige Miß Feuerbrand einmal aus dem Wege ist.« – »Pfui, Mama Henderson; was hat sie dir getan?« – »Mir nichts. Ich hasse sie, weil sie nicht ladylike ist, nicht ein bißchen. Erinnerst du dich des Diners, wo sie zum Kaffee dem nordamerikanischen Gesandten eine abscheuliche dicke Zigarre abnahm und als einzige Dame mitten unter den Herren rauchte wie ein Schlot? Shocking!«
Nach dem Frühstück, dem Armgard nur geringe Ehre erwiesen, rückte sie für Mama Henderson den Armstuhl ans Kamin, ein Tischlein zum Armstuhl, auf das Tischlein die Karaffe mit Muskatlunel und sagte schmeichelnd: »Nun wird Mama Henderson ein artiges Kind sein und einen kleinen Nip machen, hernach einen kleinen Nap. Und heute abend, wenn sie mich zu Bett bringt, erzähle ich ihr ein wunderschönes Märchen, wie sie einst mir getan, von der Prinzessin Eselshaut, die keinen Mann nehmen wollte und deswegen von ihrem Vater ins Elend verstoßen wurde, aus dem sie eine gute Fee rettete.« – »Kind, Kind, bau du nicht auf die Fee und tu fein, was Papa König haben will.«
Armgard flog kopfschüttelnd davon, an ihren Schreibtisch. Dort wurde das Etui aus Gebrüder Kilians Laden in das feinste Seidenpapier geschlagen und auf das stärkste Briefpapier folgendes Billett in zarten, kleinen, ineinander verschlungenen, schwer leserlichen Zügen geschrieben: »Guten Morgen, Stiefmütterchen! So ruft Ihnen, liebe Seraphine, die Blume zu, die ich für Sie gepflückt habe. Mein guter, teurer Vater vertraute mir heute früh seine Absicht. Darf ich für ihn hoffen, bitten? Für mich kann ich nur versprechen, daß ich mich als gehorsame Tochter von Ihnen verziehen lassen werde, wie bisher von Papa. Ihre Armgard.« Mit dieser Sendung belastet, jagte alsbald ein Diener in die Rosenstraße Nr. 27, während die Briefstellerin, fertig mit des Tages Lasten und allen widerwärtigen Gedanken, in ihrem Schreibsessel sich bequem zurücklehnte. Um auch einen Nap zu machen, ein Mittagsschläfchen, wie Mutter Henderson? Nicht doch. Dergleichen gestattet sich ein wohlerzogenes Fräulein nur vor Schlacht-, das heißt Ballabenden, zur Erfrischung des Teints. Armgard setzte ihr Märchen von Prinzeß Eselshaut für sich fort. Ihr Skizzenbuch, das aus einem Schubfach des Schreibtisches hervorlugte, bot Illustrationen dazu. Auf zwei gegenüberstehenden Blättern desselben hatten sich in einer heiteren Stunde Graf Wallenberg und Roland durch ihre Karikaturen verewigt. Der Diplomat stellte den Künstler als Paladin dar, ihm die Palette zum Schilde gebend, einen gewaltigen Pinsel als Flamberg, den Malerstab als Lanze. Darunter kritzelte er mit seiner zierlichen Hand: »Orlando furioso. Gustel Wallenberg fecit.« Der Künstler zeichnete den Diplomaten in großer Uniform, mit Bändern und Sternen bedeckt, ein riesiges Portefeuille unter dem Arm... »Un ministrre, étranger aux affaires«, lautete die Unterschrift. Armgard studierte die beiden sehr ähnlichen, sehr komischen Porträts mit einer Aufmerksamkeit, als sähe sie dieselben zum ersten Male. Sie versank so tief in deren Betrachtung, daß sie bei einem heftigen Riß an der Glocke draußen beinahe erschrocken auffuhr. »Die Hand kenne ich«, sagte sie lächelnd. »Es braucht keine Anmeldung. So läutet nur die Amazone. Wehe ihr, wenn sie meine alte Henderson geweckt hat, trotz Schlaf und Taubheit. Not at all ladylike. O no.«
Eine Minute darauf trat wirklich Seraphine ein. Armgard ging ihr entgegen zu einer Umarmung, ähnlich der gestrigen im Atelier, nur daß die Sängerin heute in anderer Weise sich erregt fühlte. »Ich bringe Ihnen«, begann sie, »meinen Dank für das schöne Geschenk, das ich eben empfangen.« – »Sie kommen meinem Besuch liebenswürdig zuvor.« – »Aber als Stiefmütterchen nehme ich Ihre Blume nicht an, Armgard. Das ist ein häßliches Wort, ein noch häßlicheres Ding. Wir wollen es englisch übersetzen.« – »Heart-ease«, rief Armgard aus. – »Richtig. Erleichtern wir unsere Herzen. Das meine ist zum Zerspringen voll. Haben Sie eine halbe Stunde Zeit für mich?« – »So viel Sie wollen, je mehr, desto besser. Bleiben Sie, bis mein Vater kommt. Ich erwarte ihn und...« – »Und Roland. Ich weiß. Unser Diplomat hat gearbeitet. Tun wir desgleichen; eine geheime Konferenz.« – »Ein Kriegsrat?« – »Im Gegenteil, ein herzlicher Friedensschluß.« Seraphine drückte noch einmal Armgard an ihre Brust, mit einer Wärme, daß diese erstaunt in ihre glänzenden Augen sah, die heute nicht schalkhaft und schlimm wie Nixenaugen blickten, auch nicht leidenschaftlich wie auf der Bühne, sondern mit einem weichen, weiblichen Ausdruck, feucht und verklärt, als hätte die Amazone geweint. Sie flüsterte, noch in der Umarmung, in der Freundin Ohr: »Du sollst ihn haben, Mädchen. Ich gebe ihn dir, dir allein. Mach ihn glücklich.« – »Seraphine, ich verstehe Sie nicht.« – »Kein Sie, Armgard, in diesem Augenblick. Kein Eis auf mein heiß überfließendes Herz. Öffne auch das deinige einmal. Weg mit allem Zwang unter uns. Wie wir in dieser Stunde einander gegenüberstehen, geschieht es wenig Frauen in der Welt.« – »Liebe, süße Freundin...« – »Du hast recht. Ich will ruhig sein, muß ruhig sein. Komm, sitzen wir nieder.«
Sie gaben ein liebliches Bild: Rose und Veilchen an einem Stengel; Hand in Hand geschlungen die hohe, blonde, blaue Königin, hell strahlend in der Fülle ihrer Macht und Pracht, und die zarte, zierliche Prinzessin mit den dunklen Augen, dem schwarzen Lockenkopf; zwei weibliche Wesen, gleich an Reiz und doch wie verschieden sowohl in der Erscheinung wie an Gemüt! So saßen sie dicht nebeneinander in Armgards engem Sofa, eine kurze Weile in gegenseitiges Anschauen und Sinnen verloren. Die Sängerin brach das Schweigen, indem sie ausrief: »Nein, zur Tochter mag ich dich nicht, aber Schwestern müssen wir werden. Willst du, Armgard?« – »Kaum getrau ich mich, dich, du Herrliche, in eine kleine Mädchenfreundschaft mit mir herabzuziehen.« – »Laß das. Überlegen wir, wie wir deinem Vater ausweichen, ohne ihm wehe zu tun.« – »So hat er nichts zu hoffen?« – »Sage, du hast nichts zu fürchten. Siehst du, eine Unzahl Mädchen, die vornehmsten, die hübschesten der Stadt, griffen an meiner Stelle mit beiden Händen zu. Papa Krafft ist eine Partie, die auch ich zu schätzen weiß; mehr als das, ein Ehrenmann ist er, dem ich mich von ganzem Herzen zugetan und ergeben fühle. Aber heiraten kann ich ihn nicht. Wir Zigeunervolk vom Theater sind gar wunderlich geartet. Wir singen und spielen und tanzen ums Geld; das Lieben und Heiraten ums Geld überlassen wir den Herren und Damen aus der großen Welt. Wenn wir uns verehelichen sollen, ernstlich, anders als an einem Traualtar von Pappendeckel und vor einem Priester mit einem langmächtigen Wollbart, so kostet das einen ungeheuren Entschluß. Das Herz muß uns dazu treiben, unbezwinglich, oder ein gebieterisches Interesse.« – »Mein Vater wird schwer betrübt sein über die Vereitlung seiner Wünsche. Ich habe seine Neigung für Sie...« (Seraphine drohte mit dem Finger) »... für dich entstehen und wachsen sehen; sie ist ernster, als du vielleicht glaubst.« – »Du weißt am besten ihn zu nehmen. Sprich ihm meinen Dank aus, aber auch die Unmöglichkeit, daß ich die Seinige werde.« – »Ein harter Auftrag für die Tochter.« – »Wenn ich selbst ihn übernehme, darf ich mein Nein versilbern durch dein Jawort?« – »Mein Jawort?!« – »Verstelle dich nicht. Du weißt, daß Roland um dich wirbt, daß dein Vater diese Verbindung nicht bloß billigt, daß er sie wünscht. Wallenberg hat mich überzeugt, daß ihr beide, Roland und du, für einander geschaffen seid.« – »Auch daß er mich liebt?« – »Wie solle er nicht! Du bist liebenswürdig, schön, begabt in jeder Hinsicht. Roland zeichnet dich vor allen Frauen, dies Haus vor der ganzen übrigen Stadt aus. Er pflegt dein Talent, er beschäftigt sich mit dir, er liebt dich, muß dich lieben!« – Armgard lächelte, indem sie fortfuhr: »Und ich, nicht wahr, ich muß ihn wieder lieben?« – »Wenn du ihn kennst, den hohen, herrlichen Mann, wie ich ihn kennen ja! Er ist ein Kind an Gemüt, ein Held an sittlicher Kraft und Würde, ein Gott an Talent! Mädchen, welch ein Los erwartet dich an seiner Seite! Die innige Gemeinschaft mit einem solchen Geiste, das Leben und Weben in seinen Ideen, die völlige Hingabe an diese gewaltige Persönlichkeit, das Aufgehen in ihm und in seinen Schöpfungen.. – Armgard, du wirst das glücklichste Weib auf Erden, wenn du sein Weib wirst!«
Die Sängerin umschlang ihre Freundin leidenschaftlich und küßte sie wiederholt. Der vormalige Groll, die wilde Eifersucht gegen die Bankprinzessin war in dem Herzen der Amazone verschwunden, seit sie dem Wohl des im stillen geliebten Mannes das Opfer ihrer Neigung gebracht, ihn an Armgard abgetreten hatte. Die bestimmte Braut des Freundes erschien ihr wie ein Stück von ihm. Den ganzen Schatz von Liebe, den sie ihm nicht zeigen durfte, strömte sie aus über das Mädchen seiner Wahl. Auf Armgards Wangen brannten Küsse, deren zärtliche Glut verriet, daß sie in ihrem eigentlichen Ziele sich verirrten. Das schlaue Weltkind empfand gar wohl, was in Seraphinen vorging. Es gehörte nicht viel Scharfblick dazu, bis auf den Grund dieser offenen Seele zu dringen, die sich selbst nicht immer klar war, anderen aber um so leichter erkennbar. Armgard erwiderte ihre Liebkosungen und sprach, die Hand Seraphinens an ihre Lippen ziehend: »Ich verstehe dein Herz, du liebe Schwester. Glaube mir, ich verstehe es ganz. Du bist, in viel höherem Grade als ich, des Meisters, seiner Liebe und seines Besitzes würdig, bist ihm ebenbürtig an Geist, in der Kunst wahlverwandt.« – »Ich?« rief Seraphine aus. »Roland denkt nicht an mich, wenigstens nicht anders, als man an einen guten Kameraden, einen Jugendfreund aus der Schulzeit denkt. Und wie könnte ich mit meiner unseligen Heftigkeit, meinen Launen und Unarten ihn oder überhaupt einen Mann beglücken? Nein, Wallenberg hat recht, wenn er den Satz aufstellt. Künstler taugen nicht zur Ehe. Will ich einmal heiraten, so muß ich der Bühne entsagen und nicht in stiller Häuslichkeit oder in einem Herzensbündnis, sondern in einer Partie aus der großen Welt mein Glück suchen.« – »Über den untrüglichen Menschen und Herzenskenner! Hat er nicht auch dir keinen Zukünftigen sofort bestimmt, wie mir?« – Seraphine lachte und errötete doch zugleich, als sie antworteten »Kind, das ist eine Geschichte für sich, und zwar eine recht törichte.« – »Du machst mich neugierig.« – »Wahrlich, ohne Grund.« – »Ein halbes Vertrauen, ein Geheimnis unter Schwestern? Ich werde böse.« – »Weiß ich doch selbst kaum, wie es geschahen ist, daß ich zu Wallenberg, als er heute morgen bei mir war, von längst vergangenen und vergessenen Dingen sprach; von Dingen, über die seit Jahr und Tag mancher Tropfen Wassers dahingeflossen ist, die ich ruhig unter dem Wasser hätte liegen lassen sollen.« – »Er versteht die Zungen zu lösen, der Diplomat, aber nicht alle«, murmelte Armgard halb für sich. – »Mich verdroß es, daß der Herr Graf so gar hoch zu Roß saß, auf dem altadeligen Steckenpferd der Mesalliancen. Da platzte ich, in einer jener Wallungen, die mich zuweilen überkommen, mit etwas heraus was ich bisher verschwiegen, dir, deinem Vater, Roland, meinem ganzen Freundeskreise verschwiegen habe. Ich erzählte dem Grafen, daß ich von Geburt seines Standes sei, aus einem berühmten schottischen Geschlecht.« – »Seraphine, welche Überraschung!« rief Armgard aufspringend. »Und er, und der Graf?« setzte sie, hastig fragend, hinzu. – »Er machte mir aus dem Stegreif einen Heiratsantrag für sich, nachdem ich denjenigen des Herrn Krafft abgelehnt.« – »Und Sie nahmen natürlich an?« drängte Armgard, indem die Reihe des Errötens und Erbleichens nunmehr an sie kam. – »Nicht so hastig, wie meine vergeßliche Schwester voraussetzt. Weder nein, noch ja sagte ich. Ich bat mir Bedenkzeit aus. Da hast du die ganze Geschichte.« – »Deren Ende leicht vorauszugehen ist: Graf und Gräfin Wallenberg empfehlen sich als Neuvermählte«; so lächelte erzwungen, fast bitter, die kleine Prinzeß, trotz aller Erziehung und Selbstbeherrschung um ein Haar sich verratend. – Verwundert fragte Seraphine: »Was hast du? Du scheinst verletzt.« – Armgard, die sich rasch gesammelt hatte, entschlüpfte mit der Wendung: »Wenn ich es wäre, hätte ich unrecht? Meinem Vater gibst du einen Korb. Freilich, er ist kein Jüngling mehr, und du willst keine Vernunftheirat. Aber Wallenberg wirst du doch auch nicht gerade für einen Knaben halten, und eine Verbindung mit ihm kann am Ende für nichts mehr gelten, als für eine aus Konvenienz, aus Überlegung geschlossene. Es wäre denn, du liebtest ihn, er hätte dir's angetan, wie dein Vertrauen zu ihm, zu seinen Ratschlägen beinahe beweist... – Lache nicht, stolze Amazone! Gestehe, daß dein Theseus gefunden ist!« – »In Gustel Wallenberg wahrhaftig nicht.« – »Ei, ei, sind wir schon bei dem zärtlichen ›Gustel‹ angelangt? Wie schnell doch und wie wunderbar die Standesgleichheit wirkt!« – »Torheit, nichtige Torheit! Der Name, den ich mir gemacht, gilt mir tausendmal mehr, als der ererbte, welchen ich wegwarf.« – »Wenn das der Fall ist, so begreife ich nicht, warum du von deiner Höhe, der ersten Stelle im Theater, heruntersteigen willst, um unter der Menge in einem langweiligen Salon zu verschwinden. Es gibt nur eine Seraphine Lomond in der Welt, dagegen ein paar Dutzend Gräfinnen in jeder Residenz. Du kannst, du darfst für einen leeren Schall deiner herrlichen Kunst nicht entsagen.« – »Ach ja,« seufzte die Sängerin, »die Kunst an und für sich ist wohl eine hehre, herrliche; wenn nur das Handwerk nicht dabei wäre, unzertrennlich von ihr, notwendig für sie! Du weißt nicht, Armgard, wie dies Handwerk erniedrigt, ermüdet, auf die Dauer erdrückt. Von außen siehst du nur die glänzende Seite der Bühne, aber nicht die Schatten, welche die blendende Theatersonne wirft. Unter dem Schein einer heiteren, künstlerischen Freiheit und Selbstherrlichkeit verbirgt sich in unserem Beruf die traurigste Abhängigkeit; Abhängigkeit von der Direktion, von der Regie, von unfähigen oder böswilligen Kollegen, vom Publikum, von der Presse, von hundert verschiedenen, einander oft geradezu entgegenwirkenden Einflüssen. Der kurze Rausch eines einzigen Abends wird erkauft durch endlos nüchterne Morgenstunden, wo wir im grauen Zwielicht der Bühne, im Dunst des Probensaals ›arbeiten‹, wie die Galeerensklaven arbeiten, unter dem Stab eines eigensinnigen Kapellmeisters, der uns, mitten im Fluß der Begeisterung, hart und hölzern aufhält, an eine und dieselbe Kette geschmiedet mit unwürdigen Handwerkern, die hemmen, wo sie helfen sollten. Und die Tondichter erst mit ihren ewigen Anliegen, die Bullermänner der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Und das Publikum mit seinen Launen, seinen Ungerechtigkeiten und Vorurteilen, heute warm, morgen kalt, das Schlechte zum Himmel hebend, weil es Mode ist, und das Beste, das es nicht versteht, blind und blöde mit Füßen tretend. Und eine Kritik endlich, die wir um so genauer in ihrem wahren Wert zu schätzen wissen, als wir sie bar bezahlen.« – »Halt ein, du malst ins Schwarze.« – »Nur nach dem Leben, nach einem Leben, von dem du, mein Goldkind, drüben in deinem Wintergarten, hier in deinem Veilchenboudoir keine Ahnung hast; ein Leben, das, nach schwerer Vorbereitungszeit, nach fünf harten Lehrjahren, im besten Falle fünf Jahre aufwärts geht, fünf Jahre auf der Höhe sich aufhält, und dann mit jähem Absturz in die Nacht der Vergessenheit sich begräbt. Der Vorhang fällt, die Komödie ist aus... die Nachwelt flicht dem Mimen keine Kränze!« – »Aber die Mitwelt trägt ihn auf den Händen, und dein Leben, selbst wie du es schilderst in düsteren Farben, es ist doch ein Leben. Du hast Kämpfe zu bestehen, Gegner zu überwinden; du arbeitest, du duldest sogar, aber du lebst, während ich, wenn denn einmal verglichen werden soll, nur vegetiere wie eine träge Pflanze, ein Vogel, ein Gefangener in meinem gepriesenen Wintergarten. Keine Anregung, kein Streben, kein Wechsel; ein Tag gleich dem andern, mit dem einzigen Unterschied, den die Hausse oder die Baisse an der Börse bringt. Nach dem Kurszettel, der mir mit dem Morgentee serviert wird, kann ich die Stimmung meines Tages, die Temperatur dieses Hauses notieren; bewegt, gehoben, angenehm, flau, gedrückt, matt, stürmisch... Ich schwöre dir, Königin der Amazonen, die arme, kleine, verwunschene Bankprinzessin hat Stunden, wo sie mit Wonne alles Gold aus dem feuerfesten Geldschrank ihres Vaters für das Rauschgold deiner Theaterkrone dahingäbe, wo sie aus der Tiefe ihres gelangweilten Mädchenherzens zu dem ewig blauen Himmel hinaufschreien möchte. Eine Million für eine Wolke – einen Sturm!« –
Was ist das? Soll der frevelhafte Wunsch der rebellischen Prinzessin erhört werden, noch ehe er vollendet? Vom Königsplatz und aus dem Hofe dringt wilder Lärm in das Gemach. Draußen in den Gängen werden Türen und Läden hastig verschlossen, die Dienerschaft rennt unruhig treppauf, treppab, hinüber und herüber... Bestürzt sahen die zwei Freundinnen sich an. Während ihres eifrigen Gespräches hatten sie den Auflauf in der Krafftstraße, den nämlichen, den unser voriges Kapitel geschildert, überhört oder nicht beachtet; Armgard mochte denken, es sei der gewöhnliche Sturm und Drang des Zahltags an der Kasse. Sie eilte zum Glockenzug, Seraphine zum Fenster. »Der ganze Platz«, rief diese aus, »ist mit Menschen bedeckt. Die Hauptwache steht unter dem Gewehr. Berittene Schutzmänner sprengen durch die auseinanderstäubende Menge. Am Ende Feuerlärm?!« –