Denis Diderot
Die Nonne
Denis Diderot

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Indessen wurde das Leiden dieser Frau von Tag zu Tag schlimmer. Sie wurde schwermütig und ernst; die Fröhlichkeit, die seit meinem Eintritt in dieses Haus nicht aufgehört, verschwand plötzlich, alles sank wieder in die strenge Ordnung zurück, der Gottesdienst wurde mit angemessener Würde abgehalten; die Fremden wurden von dem Sprechzimmer fast ganz ausgeschlossen, es wurde den Nonnen verboten, miteinander zu verkehren; die Religionsübungen wurden mit der gewissenhaftesten Pünktlichkeit ausgeführt, es fanden keine Versammlungen bei der Oberin mehr statt, die leichtesten Vergehen wurden streng bestraft: man wandte sich manchmal wohl noch an mich, um Verzeihung zu erlangen, doch ich weigerte mich standhaft, darum zu bitten.

Diese Oberin, deren Leiden ich nicht mildern konnte, die ich aber dennoch beklagte, ging nach und nach von der Schwermut zur Frömmigkeit und von der Frömmigkeit zum Wahnsinn über. Man kann sich schwer das unruhige Leben vorstellen, das wir führten; der Tag verging damit, daß man seine Zelle verließ und sie wieder betrat, sein Gebetbuch ergriff, es wieder hinlegte, hinauf- und hinunterging, den Schleier abnahm und ihn wieder anlegte. Die Nacht war fast ebenso unruhig wie der Tag.

Die Oberin ging nachts nicht mehr aus ihrer Zelle, sondern verbrachte ganze Wochen, ohne sich beim Gottesdienst oder im Chor oder im Refektorium oder bei der Erholung zu zeigen, sie blieb in ihrem Zimmer eingeschlossen, irrte in den Korridoren herum oder ging in die Kirche hinunter, sie klopfte an die Thüren der Nonnen und sagte zu ihnen mit klagender Stimme:

»Schwester, beten Sie für mich, Schwester, beten Sie für mich.«

Es verbreitete sich das Gerücht, sie wolle eine Generalbeichte ablegen.

Eines Tages, als ich als erste in die Kirche kam, sah ich ein Papier an den Vorhang des Gitters geheftet; ich trat näher und las:

»Teure Schwestern, ihr werdet aufgefordert, für eine Nonne zu beten, die ihre Pflichten vergessen hat und zu Gott zurückkehren will . . .«

Ich fühlte mich versucht, ihn abzureißen, unterließ es jedoch . . . Einige Tage später befand sich an derselben Stelle ein anderer Zettel, auf dem die Worte standen:

»Teure Schwestern, ihr werdet aufgefordert, das Mitleid Gottes für eine Nonne anzuflehen, die ihre Verirrungen erkannt hat; dieselben sind groß . . .«

An einem anderen Tage hing wieder eine andere Aufforderung, welche besagte:

»Teure Schwestern, ihr werdet gebeten, Gott anzuflehen, die Verzweiflung von einer Nonne fern zu halten, die alles Vertrauen auf das himmlische Mitleid verloren hat.«

Die arme Oberin zeigte sich jetzt nur noch mit herabgelassenem Schleier; kümmerte sich gar nicht mehr um die Angelegenheiten des Hauses, sprach zu niemandem, und hatte häufige Besprechungen mit dem neuen Beichtvater. Derselbe war ein junger Benediktiner. Ich weiß nicht, ob er ihr alle die Bußen auferlegt hatte, denen sie sich unterzog; denn sie fastete dreimal in der Woche, kasteite sich und hörte den Gottesdienst in den unteren Chorstühlen an. Wir mußten an ihrer Thür vorüber, wenn wir zur Kirche gingen; dort fanden wir sie, mit dem Gesicht zur Erde, am Boden liegend, und sie erhob sich erst dann, wenn niemand mehr da war. In der Nacht ging sie im Hemd barfuß hinunter. Wenn Schwester Therese und ich sie zufällig trafen, drehte sie sich um und drückte das Gesicht an die Wand. Eines Tages, als ich meine Zelle verließ, fand ich sie an der Erde liegend, mit ausgestreckten Armen, das Gesicht auf den Boden gepreßt, und sie sagte zu mir:

»Kommen Sie näher, treten Sie mich mit Füßen; ich verdiene keine andere Behandlung.«

Während diese Krankheit ganze Monate dauerte, hatte die übrige Klostergemeinde Zeit zu leiden und Widerwillen gegen mich zu fassen. Ich fühlte nach und nach den Ekel gegen meinen Beruf wieder aufs neue erwachen, und schüttete mein Herz dem neuen Beichtiger aus. Er heißt Dom Morel, ist ein Mann von leidenschaftlichem Charakter und etwa vierzig Jahre alt. Er schien mich mit Aufmerksamkeit und Interesse anzuhören, wünschte die Ereignisse meines Lebens kennen zu lernen und ließ sich die kleinsten Einzelheiten über meine Familie, meine Neigungen, meinen Charakter, die Häuser, in denen ich gewesen war, das, in dem ich mich befand, sowie die Vorgänge zwischen der Oberin und mir erzählen. Ich verschwieg ihm nichts. Er schien dem Betragen der Oberin mir gegenüber nicht dieselbe Bedeutung beizulegen, wie der Pater Lemoine; was ihn am meisten berührte, waren meine geheimen Ansichten über das Klosterleben. Je mehr ich ihm mein Herz ausschüttete, desto größer ward auch sein Vertrauen: wenn ich ihm beichtete, so beichtete er auch mir; und was er von seinen Leiden erzählte, stimmte vollständig mit den meinen überein: auch er war wider seinen Willen in den geistlichen Stand getreten, ertrug seinen Beruf mit demselben Widerwillen und war kaum weniger zu beklagen als ich.

»Doch, teure Schwester,« fügte er hinzu, »was sollen wir dagegen thun; es giebt nur ein Mittel: uns unsere Lage so wenig unangenehm, als möglich zu machen.«

Dann gab er mir die nämlichen Ratschläge, die er selbst befolgt, sie waren sehr weise.

Einige Tage später kam er wieder. Ich sah ihn im Sprechzimmer und betrachtete ihn näher. Er vertraute mir vollends sein Leben an, ich erzählte ihm das meinige, eine Fülle von Umständen, die zwischen ihm und mir ebenso viele Berührungspunkte bildeten; er hatte fast dieselben religiösen und häuslichen Verfolgungen zu erleiden gehabt; seine Geschichte ist auch die meinige.

Als wir uns genügend über uns selbst unterhalten hatten, sprachen wir auch von anderen, besonders von der Oberin. Infolge seiner Eigenschaft als Beichtvater war er sehr zurückhaltend, doch ersah ich aus seinen Reden, daß die augenblickliche Gemütsverfassung dieser Frau nicht von langer Dauer sein würde; sie kämpfte gegen sich selbst an, doch vergeblich; von zwei Dingen würde eins eintreten, entweder würde sie bald wieder in ihre ersten Neigungen zurückfallen, oder den Verstand verlieren.

Ich war im höchsten Grade neugierig, mehr zu erfahren; er hätte mich wohl über manche Fragen aufklären können, die ich mir gestellt, und auf die ich nie eine Antwort gefunden, doch ich wagte nicht, ihn zu fragen, und erkundigte mich nur bei ihm, ob er den Pater Lemoine kenne.

»Ja,« versetzte er, »er ist ein Mann von großem Verdienst.«

»Er ist ganz plötzlich fortgeblieben,«

»Das ist wahr.«

»Können Sie mir nicht sagen, woher das gekommen ist?«

»Es thäte mir leid, wenn es bekannt würde.«

»Sie können sich auf meine Verschwiegenheit verlassen.«

»Ich glaube, man hat gegen ihn an den Erzbischof geschrieben.«

»Und was hat man von ihm behaupten können?«

»Daß er zu weit vom Hause entfernt wohne, daß man ihn nicht haben könne, wenn man wolle, daß er eine zu strenge Moral besäße, Zwietracht im Hause säe und den Geist der Nonnen ihrer Oberin abwendig mache.«

»Und woher wissen Sie das?«

»Von ihm selbst.«

»Sie kommen also mit ihm zusammen?«

»Ja. Er hat mir auch von Ihnen manchmal erzählt.«

»Was hat er Ihnen von mir gesagt?«

»Daß Sie recht zu beklagen wären, daß er nicht begreifen könne, wie Sie allen Leiden, die Sie erduldet haben, widerstehen konnten, daß er, trotzdem er nur Gelegenheit gehabt, ein- oder zweimal mit Ihnen zu sprechen, nicht glaube, daß Sie sich je mit dem religiösen Leben befreunden würden, er war der Meinung . . .«

Hier hielt er plötzlich inne, und ich fragte:

»Welcher Meinung?«

»Das ist Sache eines zu besonderen Vertrauens,« versetzte Morel, »als daß ich mich frei darüber aussprechen könnte.«

Ich bestand nicht weiter darauf, sondern fügte nur hinzu:

»Allerdings hat mir der Pater Lemoine die Abneigung gegen meine Oberin eingeflößt.«

»Darin hat er recht gethan.«

»Weshalb?«

»Meine Schwester,« erwiderte er mir, indem er eine ernste Miene annahm, »richten Sie sich nach meinen Ratschlägen, solange Sie leben.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Um so besser!«

»Aber was können denn die Vertraulichkeit und Liebkosungen einer Frau für eine andere Frau Gefährliches an sich haben?«

Keine Antwort von seiten des Paters Morel.

»Bin ich nicht dieselbe, die ich war, als ich hier eintrat?«

Wieder keine Antwort von seiten Morels.

»Sollte ich nicht nach wie vor dieselbe geblieben sein? Wo ist denn das Übel, sich zu lieben, es sich zu sagen und zu beweisen; das ist doch so süß!«

»Das ist allerdings wahr,« sagte Morel, die Augen auf mich richtend, die er, solange ich sprach, stets zu Boden schlug.

»Und das ist doch in den religiösen Häusern durchaus nicht so gewöhnlich! Meine arme Oberin! In welchen Zustand ist sie verfallen!«

»Es ist sehr bedenklich, und ich fürchte, er wird noch schlimmer. Sie war nicht für ihren Stand geschaffen; und nun tritt das ein, was früher oder später immer kommen muß, wenn man sich dem allgemeinen Triebe der Natur widersetzt, dieser Zwang treibt sie zu ausschweifenden Neigungen, die um so heftiger sind, je weniger sie berechtigt sind; es ist eine Art Wahnsinn.«

»Sie ist wahnsinnig?«

»Ja, sie ist es und wird es noch mehr werden.«

»Und Sie glauben, daß dieses Schicksal alle diejenigen erwartet, die in einen Stand eingetreten sind, zu dem sie sich nicht berufen fühlen?«

»Nein, nicht alle; manche sterben vorher: bei anderen fügt sich der Charakter schließlich; manche hegen Hoffnungen, die sie einige Zeit aufrecht erhalten.«

»Doch welche Hoffnungen giebt es für eine Nonne?«

»Nun, daß sie zunächst ihre Gelübde auflösen lassen kann.«

»Und wenn sie diese Hoffnung nicht mehr hegt?«

»Die, daß sie eines Tages offene Thüren finden wird, daß die Menschen nicht mehr junge Geschöpfe in Gräber einschließen werden, daß die Klöster abgeschafft werden, daß Feuer im Hause ausbrechen wird, daß die Mauern des Gefängnisses fallen werden, daß ihnen jemand zu Hilfe kommen wird.«

»Das ist wahr, das ist wahr,« rief ich, »Sie lesen im tiefsten Grunde meines Herzens; ich weiß es, ich habe mir die Illusionen gemacht und mache sie mir noch.«

»Und wenn man sie endlich aufgiebt, indem man darüber nachdenkt, so sieht man erst die ganze Größe seines Elendes ein, man verabscheut sich selbst und die andern, man weint, man stöhnt, man schreit und fühlt, daß die Verzweiflung naht. Dann werfen sich die einen ihrer Oberin zu Füßen und suchen dort Trost; andere werfen sich auf die Knie in ihren Zellen oder am Fuße der Altäre nieder und flehen den Himmel um Beistand an; wieder andere zerreißen ihre Kleider und raufen sich die Haare aus; wieder andere suchen einen tiefen Brunnen oder hohe Fenster, einen Strick, und finden ihn auch manchmal; andere verfallen, nachdem sie sich lange gequält, in eine Art Stumpfsinn und bleiben blödsinnig; andere, welche schwache Organe haben, verzehren sich vor Sehnsucht; endlich giebt es auch solche, deren Organismus gestört wird und die tobsüchtig werden. Die glücklichsten sind diejenigen, in denen dieselben tröstlichen Illusionen immer aufs neue erstehen und sie bis zum Grabe einlullen; ihr ganzes Leben vergeht im Wechsel zwischen Irrtum und Zweifel.«

»Und die Unglücklichsten,« fügte ich, einen tiefen Seufzer ausstoßend, hinzu, »sind diejenigen, welche nacheinander alle diese Zustände empfinden. Ach, mein Vater, wie leid thut es mir, auf Sie gehört zu haben.«

»Weshalb?«

»Ich kannte mich nicht, jetzt kenne ich mich. Meine Illusionen werden weniger lange Zeit andauern, denn in Augenblicken. . . .«

Ich wollte fortfahren, als eine andere Nonne eintrat, dann eine zweite, eine dritte, eine vierte, eine fünfte, eine sechste, ich weiß selbst nicht mehr, wieviele. Die Unterhaltung wurde allgemein, und ich hatte mich inzwischen in einen Winkel zurückgezogen, wo ich mich einer tiefen Träumerei überließ. Plötzlich hörte man jemand mit leisen Schritten nahen, zeitweise stehen bleiben und Seufzer ausstoßen; wir horchten, und einige sagten mit leiser Stimme: »Sie ist es, unsere Oberin!« Sie war es in der That. Sie trat ein, ihr Schleier fiel bis zum Gürtel herab; ihre Arme waren über der Brust gekreuzt, und sie ließ den Kopf hängen. Ich war die erste, die sie bemerkte; in diesem Augenblick erhob sie unter dem Schleier eine ihrer Hände und bedeckte sich damit die Augen; dann wandte sie sich ein wenig zur Seite und gab uns ein Zeichen, daß wir uns alle entfernen sollten; wir gingen schweigend hinaus, und sie blieb mit Morel allein.

Als wir uns alle zurückgezogen hatten, stieg ich auf den Fußspitzen wieder hinauf und stellte mich leise an die Thür des Sprechzimmers, um zu horchen, was dort gesprochen würde. Das erste Wort, das ich nach einer ziemlich langen Pause hörte, ließ mich erzittern, es lautete:

»Mein Vater, ich bin verdammt!«

Ich beruhigte mich und horchte weiter; der Schleier, der mir bis dahin die Gefahr verhüllt, zerriß, als man mich rief; ich wollte fort und ging auch, doch ich hatte schon zuviel gehört.


(Hier werden die Denkwürdigkeiten der Schwester Susanne unterbrochen; was jetzt folgt, sind nur Andeutungen dessen, was sie anscheinend in dem Reste ihrer Erzählungen auszuführen beabsichtigte. Die Oberin scheint wahnsinnig geworden zu sein, und auf ihren unglückseligen Zustand beziehen sich auch die Bruchstücke, die ich noch mitteilen will.)

Nach dieser Beichte hatten wir einige Tage Ruhe. Die Freude kehrte wieder in die Gemeinde ein, und man machte mir darüber Komplimente, die ich mit Entrüstung zurückwies. Die Oberin floh mich nicht mehr, und betrachtete mich auch; meine Gegenwart schien sie nicht mehr zu beunruhigen. Ich bemühte mich, den Widerwillen zu verbergen, den sie mir einflößte, seit ich sie infolge einer glücklichen oder unglücklichen Neugier kennen gelernt hatte.

Bald wurde sie schweigsam, sagte nur noch ja oder nein, machte ihre Spaziergange allein, wies die Nahrung zurück, ihr Blut entzündete sich, das Fieber ergriff sie, und dem Fieber folgten Wahnsinnsphantasien. Allein in ihrem Bette liegend, sieht sie mich, spricht von mir, fordert mich auf, näher zu kommen und richtet die zärtlichsten Worte an mich. Wenn sie mich in der Nähe ihres Zimmers hört, ruft sie aus:

»Sie ist's; sie geht dort; es ist ihr Schritt; ich erkenne ihn; man rufe sie . . . Nein, nein, laßt sie nur gehen.«

In einer Nacht stieg sie allein in die Kirche hinunter, während einige unserer Schwestern ihr folgten; sie warf sich auf den Stufen des Altars nieder, fing an zu stöhnen, zu seufzen, ganz laut zu beten; dann verließ sie die Kirche, kehrte aber wieder um und sagte:

»Man hole sie, sie ist eine so reine Seele, ein so unschuldiges Geschöpf! Wenn sie ihre Bitten mit den meinigen vereinigte . . .«

Dann richtete sie sich zu der ganzen Gemeinde und rief, sich an die leeren Stühle wendend:

»Entfernt Euch, entfernt Euch alle; sie allein soll bei mir bleiben. Ihr seid nicht würdig, mir zu nahen. Man entferne sich, man entferne sich!«

Dann ersuchte sie mich, den Himmel um Verzeihung und Beistand zu bitten. Sie sah Gott, der Himmel schien ihr mit Blitzen durchfurcht, sie glaubte, er öffne sich und grolle über ihrem Haupte, Engel stiegen zornerfüllt zu ihr hernieder, die Blicke der Gottheit ließen sie erbeben. Sie lief nach allen Seiten, versteckte sich in den dunkelsten Winkeln der Kirche, bat um Mitleid, drückte das Gesicht zur Erde und schlief in dieser Stellung. Die frische Kühle des Ortes hatte sich bei ihr bemerkbar gemacht, und man trug sie wie tot in ihre Zelle.

Von dieser schrecklichen Nachtscene hatte sie am nächsten Tage keine Ahnung, sondern sagte:

»Wo sind unsere Schwestern? Ich bin in diesem Hause allein geblieben; sie haben mich alle verlassen; auch Schwester Therese; sie haben recht daran gethan. Da Schwester Susanne nicht mehr da ist, so kann ich ausgehen, ich werde ihr nicht mehr begegnen . . . ach, wenn ich sie doch träfe; doch, nicht wahr, sie ist nicht mehr da? Glücklich das Haus, das sie besitzt! Sie wird ihrer neuen Oberin alles sagen; was wird sie von mir denken? . .  Ist Schwester Therese tot? Ich habe die ganze Nacht die Totenglocke läuten hören . . . Das arme Mädchen; sie ist auf ewig verloren, und ich auch, ich auch! Eines Tages werde ich ihr gegenüber treten; was soll ich ihr sagen? Wehe mir, wehe mir!«

Eines Morgens fand man sie mit nackten Füßen, im Hemde mit wirren Haaren, heulend, schäumend, in der Zelle hin- und herlaufend; sie hielt sich die Hände vor die Ohren, schloß die Augen und drückte den Körper dicht an die Wand.

»Entfernt Euch von diesem Abgrund; hört ihr das Geschrei? das ist die Hölle; aus diesem tiefen Schlünde lodern Feuerströme empor, die ich sehe; mitten aus den Flammen höre ich wirre Stimmen, die mich rufen . . . mein Gott, habe Mitleid mit mir . .  geht schnell, läutet, versammelt die Gemeinde, sagt, daß man für mich beten soll, ich werde ebenfalls beten . . «

Eine unserer Nonnen sagte zu ihr:

»Madame, Sie haben irgend einen Kummer, vertrauen Sie ihn mir, das wird Ihnen vielleicht Erleichterung verschaffen.«

»Schwester Agathe, hören Sie, kommen Sie näher . .  näher, noch näher, man darf uns nicht hören. Ich will alles enthüllen, alles; aber bewahren Sie Schweigen. – Sie haben sie gesehen?« . . .

. . . Wen, Madame?«

»Nicht wahr, niemand besitzt dieselbe Anmut? Wie sie dahin schreitet, welcher Anstand, welcher Adel, welche Bescheidenheit! Gehen Sie zu ihr, sagen Sie ihr, doch nein, sagen Sie ihr nichts, bleiben Sie!«

»Madame, wie wäre es, wenn Sie Ihren Beichtvater um Rat fragten?«

»Ja, gewiß, . . . ich weiß, was er mir sagen wird, ich habe es zu oft gehört, . .  wovon sollte ich mit ihm sprechen? Rufen Sie den Beichtvater nicht; lieber wäre es mir, wenn man mir die Leidensgeschichte unseres Herrn Jesu vorlesen würde, lesen Sie . . . ich bin verloren, nehmt dieses Christusbild fort, ich bin verloren, gebt es mir wieder her . . .«

Man brachte es ihr wieder hin, sie drückte es in ihre Arme, küßte es überall und fügte dann hinzu:

»Das sind ihre Augen, das ist ihr Mund; wann werde ich sie wiedersehen? – Schwester Agathe, sagen Sie ihr, daß ich sie liebe, schildern Sie ihr meinen Zustand, sagen Sie ihr, daß ich sterben werde!«

Sie wurde zur Ader gelassen, man ließ sie baden, doch ihre Leiden schienen durch diese Mittel nur noch stärker zu werden. Sie bohrte den Kopf wieder in ihr Bett, bedeckte den Kopf wieder mit ihrem Kissen und schrie:

»Der Versucher ist da, – er ist's; welche seltsame Gestalt er angenommen hat! Nehmt Weihwasser, gießt Weihwasser über mich aus . . . . hört auf, hört auf, er ist nicht mehr da.«

Bald darauf schloß man sie ein, doch ihr Gefängnis war nicht so gut behütet, daß es ihr nicht eines Tages gelungen wäre, daraus zu entfliehen. Sie hatte ihre Kleider zerrissen und durchlief vollständig nackt die Gänge, nur zwei zerrissene Stückenden hingen von ihren Armen herunter. »Ich bin Eure Oberin,« schrie sie »Ihr habt alle das Gelübde abgelegt; man soll mir gehorchen; Ihr habt mich eingekerkert. Unglückselige; das ist die Belohnung für meine Güte . .  Feuer, Mord, Diebe, zu Hilfe, zu Hilfe, Schwester Therese, zu Hilfe, Schwester Susanne!«

Inzwischen hatte man sie gefaßt und geleitete sie wieder in ihr Gefängnis, während sie sagte:

»Ihr habt recht, ihr habt recht, ich bin wahnsinnig geworden, ich fühle es.«

Nachdem sie mehrere Monate in diesem beklagenswerten Zustande gelebt, starb sie. Welch ein Tod! Ich habe das schreckliche Bild der Verzweiflung und des Verbrechens in ihrer letzten Stunde gesehen; sie glaubte sich von höllischen Geistern umgeben, die auf ihre Seele warteten, um sich derselben zu bemächtigen, und dazu schrie sie mit erstickter Stimme:

»Sie sind da, sie sind da!« Mit diesen Worten hielt sie ihnen von rechts und links ein Christusbild hin und brüllte dazu: »Mein Gott, mein Gott!«

Die Schwester Therese folgte ihr bald, und wir bekamen eine neue Oberin, eine alte mürrische und abergläubische Person.


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