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38. Kapitel

Ein Kondolenzbesuch – Smike begegnet unverhofft einem alten Bekannten, der ihn in sein Haus einlädt und von Einwendungen durchaus nichts wissen will.

Nichts ahnend von den Demonstrationen ihres verliebten Nachbars oder deren Einfluß auf das empfängliche Herz ihrer Mutter, hatte Kate Nickleby allmählich angefangen, sich einem Gefühl von Ruhe und Glück hinzugeben, das ihr lange fremd gewesen. Sie lebte jetzt mit ihrem geliebten Bruder, von dem sie so plötzlich und unter so traurigen Verhältnissen getrennt worden war, unter dem gleichen Dach, und da sie sich nunmehr sicher fühlte von allen Verfolgungen, die sie verletzen konnten, war ihr, als sei ein neues Leben für sie angebrochen. Ihre frühere Heiterkeit schien wieder hergestellt, ihr Schritt hatte die ehemalige Leichtigkeit und Elastizität wieder angenommen, die Rosen der Gesundheit kehrten auf ihre Wangen zurück, und sie sah schöner aus als je.

Zu dieser Ansicht war auch Miss La Creevy nach längerem Nachdenken und scharfen Beobachtungen gekommen, als sich das kleine Häuschen – »vom Schornstein bis herunter zum Schuhkratzer«, wie sie sich ausdrückte – prächtig repräsentierte und sie jetzt Zeit gewann, auch ein wenig an die Insassen zu denken.

»Ich erkläre, daß es nicht der Fall war, als ich das erste Mal hierher kam«, sagte Miss La Creevy, »denn von morgens bis abends habe ich an nichts als Hämmer, Nägel, Schrauben und Bohrer denken können.«

»Ich glaube, Sie denken überhaupt niemals an sich selbst«, entgegnete Kate lächelnd.

»Ich wäre auch eine richtige Gans«, erklärte die kleine Malerin, »wenn ich's täte, solange ich noch an andere Dinge denken kann. Übrigens, da fällt mir etwas ein. Wissen Sie, daß ich an einem Ihrer Hausgenossen eine große Veränderung – eine ganz außerordentliche Veränderung bemerke?«

»An wem?« fragte Kate besorgt, »doch nicht an –?«

»Nein, nicht an Ihrem Bruder, liebes Kind«, fiel Miss La Creevy schnell ein, »er ist immer derselbe liebevolle, gutherzige, verständige Mensch, der er war, als ich ihn kennen lernte. Nein, ich meine Smike, wie er genannt zu werden verlangt. Er hat's nicht gern, wenn man ein ›Mr.‹ vor seinen Namen setzt. – Ja, der arme Smike hat sich in dieser kurzen Zeit sehr verändert.

»Wieso?« fragte Kate, »Sie meinen doch nicht hinsichtlich Gesundheit?«

»Hm – hm – nein, nicht gerade hinsichtlich Gesundheit«, sagte Miss La Creevy zögernd, »obgleich er recht elend und schwächlich ist und etwas im Gesicht hat, was mir das Herz brechen würde, wenn ich's in dem Ihrigen sehen müßte – nein, ich meine nicht hinsichtlich Gesundheit.«

»Bitte, so erklären Sie sich doch deutlicher.«

»Ach, wenn ich's nur so leicht herausbrächte«, seufzte die kleine Miniaturmalerin. »Ich habe ihn lange und scharf beobachtet, und jedesmal kamen mir dabei die Tränen in die Augen. Das ist allerdings bei mir nichts Besonderes, da ich ziemlich weichherzig bin. Aber hier hatte ich wirklich gute Ursache dazu. Ich habe das Gefühl, daß er, seit er hier ist, mehr zum Bewußtsein seiner Verstandesschwäche gekommen ist. Er empfindet es jetzt mehr und schmerzlicher und sieht ein, daß er oft die einfachsten Dinge nicht begreifen kann. Ich habe, wenn Sie nicht zugegen waren, liebes Kind, sehr oft auf ihn achtgegeben, wie er zuweilen mit einem Schmerzensausdruck im Gesicht, den ich kaum ertragen konnte, brütend dasaß und dann aufstand und das Zimmer mit so betrübter und niedergeschlagener Miene verließ, daß ich Ihnen gar nicht sagen kann, wie es mir zu Herzen ging. Noch vor drei Wochen war er ein leichtherziges rühriges Geschöpf, das nichts mehr freute als die Arbeit und heiter sich und glücklich fühlte von morgens bis abends. Jetzt aber ist er ein ganz anderer Mensch, zwar noch immer so dienstbeflissen, harmlos, anhänglich und liebevoll wie früher, aber sonst in jeder Beziehung verändert.«

»Das wird sich gewiß mit der Zeit wieder geben«, meinte Kate, »ach Gott, der arme Mensch!«

»Ich will es hoffen«, versetzte Miss La Creevy mit einem Ernst, den man sonst selten an ihr bemerkte, »ich will es um seinetwillen hoffen. Aber«, fuhr sie mit ihrem gewöhnlichen heiteren Plauderton fort, »ich bin jetzt mit meinen düsteren Schilderungen zu Ende. – Jedenfalls will ich Smike noch heute abend ein bißchen aufzuheitern suchen, und wenn er mich wieder den ganzen Weg nach Hause begleitet, so will ich plaudern und plaudern und plaudern und nicht aufhören, bis ich ihm wenigstens ein Lächeln abgezwungen habe. Je bälder er heute also ausgeht, desto besser für ihn, und je bälder ich gehe, desto besser auch für mich, sonst fängt mir mein Dienstmädchen eine Liebschaft mit irgendeinem Kerl an, der mir dann zu guter Letzt noch das Haus ausplündert; obgleich ich nicht wüßte, was er außer Tischen und Stühlen mitnehmen könnte, wenn er sich nicht an meinen Porträts vergreifen wollte – und die dürfte er wohl kaum anbringen, da ich's, ehrlich gestanden, selbst nicht einmal imstande bin.«

Dann versteckte die kleine Miss La Creevy ihr Gesicht unter einem sehr kleinen Hut und sich selbst unter einem sehr großen Schal und erklärte, jetzt könne der Omnibus kommen, sobald es ihm beliebe; sie sei ihrerseits vollkommen bereit.

 

Mit gebrochenem Schenkel, schweren Quetschwunden am ganzen Körper und einem durch halb geheilte Wunden entstellten Gesicht, bleich und abgezehrt von Schmerz und Wundfieber, lag inzwischen Sir Mulberry Hawk auf seinem Lager, das er noch für manche kommende Woche zu hüten verurteilt war. Mr. Pyke und Mr. Rupfer saßen bei einer Weinflasche im Nebenzimmer und unterbrachen von Zeit zu Zeit das Gemurmel ihrer etwas eintönigen Unterhaltung mit einem halb unterdrückten Lachen, während der junge Lord – der einzige noch nicht hoffnungslos Unverbesserliche in der ganzen Gesellschaft – mit einer Zigarre im Munde gutherzig bei seinem Mentor saß und ihm beim Lichte einer Lampe aus der Zeitung vorlas.

»Hol der Teufel diese verwünschten Schufte«, fluchte der Patient und wandte ungeduldig den Kopf nach der Türe des Nebenzimmers. »Werden sie denn nicht endlich den Mund halten?«

Die Herren Pyke und Rupfer hörten den Ausruf und verstummten sofort, blinzelten einander jedoch zu und füllten sich, um sich für die Störung schadlos zu halten, ihre Gläser bis zum Rand.

»Verdammt«, murmelte der Patient zwischen den Zähnen und wälzte sich ungeduldig in seinem Bett hin und her, »als ob die Matratze noch nicht hart genug, das Zimmer noch nicht fad genug und der Schmerz noch nicht arg genug wäre! Auch noch plagen müssen sie einen mit ihrem Geplapper. Wieviel Uhr ist's?«

»Halb neun«, antwortete der junge Lord.

»Rücken Sie gefälligst den Tisch etwas näher«, brummte Sir Mulberry, »und geben Sie die Karten her. Spielen wir wieder mal eine Partie Piquet.«

Es war recht bezeichnend, mit welchem Eifer der Kranke, der nur mühsam den Kopf neigen und auch sonst seine Lage nur mit großen Schmerzen verändern konnte, im Verlaufe der Partie jede Bewegung seines Freundes scharf bewachte und mit unerhörter Schlauheit und Kaltblütigkeit spielte. Mit seinem Überblick und seinem Geschick wäre er wohl auch einem zwanzigmal stärkeren Gegner, als der junge Lord es war, überlegen gewesen. Selbst wenn dieser gute Karten bekam, was selten eintrat. Er gewann jedes Spiel, und als der junge Lord die Karten endlich ärgerlich wegwarf und sich weigerte, länger zu spielen, streckte er seine abgemagerte Hand aus und strich den Gewinn mit einem prahlerischen Fluch und demselben heiseren Lachen ein, das zu seinen Gewohnheiten gehörte, wenn es auch diesmal lange nicht so laut schien wie sonst und wie er es beispielsweise vor ein paar Monaten in Ralph Nicklebys Speisesaal hatte hören lassen.

In diesem Augenblick trat der Bediente ein und meldete, daß Mr. Ralph Nickleby unten sei und zu wissen wünsche, wie sich der Herr Baron diesen Abend befände.

»Besser, sagen Sie ihm«, rief Sir Mulberry ungeduldig.

»Mr. Nickleby wünscht zu wissen, Sir –«

»Ich sage doch schon, es geht mir besser«, wiederholte Sir Mulberry und schlug mit der Faust auf den Tisch.

Der Bediente zögerte ein paar Sekunden und brachte dann heraus: »Mr. Nickleby hat um Erlaubnis gebeten, dem Herrn Baron seine Aufwartung machen zu dürfen, wenn er nicht ungelegen käme.«

»Aber er kommt ungelegen. Ich habe keine Lust, ihn zu empfangen; ich nehme überhaupt keine Besuche an«, schrie Sir Mulberry noch heftiger als zuvor, »habe ich dir das nicht schon hundertmal gesagt, du Dummkopf?«

»Ich bitte um Entschuldigung, Sir«, fing der Bediente wieder an, »aber Mr. Nickleby schien es so dringlich zu haben, Sir –«

In Wirklichkeit hatte Ralph Nickleby den Bedienten natürlich bestochen, und dieser wollte das Trinkgeld in einer Weise verdienen, die ihm für die Zukunft ähnliche derartige Nebeneinkünfte verhieß, weshalb er mit der Türklinke in der Hand noch länger zu warten wagte.

»Sagte er, daß er mich in Geschäftssachen zu sprechen wünsche?« fragte Sir Mulberry, nachdem er ungeduldig ein wenig nachgedacht hatte.

»Nein, Sir. Er sagte nur, er wünsche Sie zu besuchen, Sir. Das waren seine Worte, Sir.«

»So lasse ihn heraufkommen. – Halt«, befahl Sir Mulberry, den Bedienten zurückrufend, da ihm plötzlich einfiel, wie entstellt sein Gesicht aussah, »nimm die Lampe weg und stelle sie auf den Nachttisch hinter mir, schiebe auch den Tisch beiseite und setze einen Stuhl hierher. – So. – Noch weiter weg. – So. Jetzt ist's gut.«

Der Bediente gehorchte und verließ dann das Zimmer. Lord Frederic stand auf, murmelte so etwas wie, »daß er bald wieder hier sein werde«, begab sich in das anstoßende Zimmer und schloß die Flügeltüren hinter sich.

Gleich darauf ließ sich ein leiser Schritt auf der Treppe vernehmen, und Ralph Nickleby schlich, den Hut in der Hand, sich immerwährend tief verneigend und dabei die Augen stets auf das Gesicht des würdigen Geschäftsfreundes geheftet, lautlos ins Zimmer.

»Nun, Nickleby«, begann Sir Mulberry und winkte ihm mit geheuchelter Nonchalance, sich auf den Stuhl neben sein Bett zu setzen, »es ist mir, wie Sie sehen, ein böser Unfall zugestoßen.«

»Ich sehe«, antwortete Ralph, den Blick nicht von dem Gesicht des Baronets wendend. »In der Tat sehr schlimm. Ich würde Sie kaum mehr erkannt haben, Sir Mulberry. Wahrhaftig sehr, sehr schlimm.« In des Wucherers Benehmen lag eine tiefe Unterwürfigkeit und Ehrerbietung, und der gedämpfte Ton seiner Stimme verriet die größte Rücksicht für den Patienten, aber der Ausdruck seiner Miene bildete dazu den grellsten Gegensatz. Wie er so in seiner gewöhnlichen gebückten Haltung dastand und die vor ihm liegende Gestalt betrachtete, hätte jeder aufmerksame Beobachter deutlich bemerken müssen, daß er ein sarkastisches Lächeln nur mühsam unterdrückte.

»Setzen Sie sich«, lud ihn Sir Mulberry ein, sich mit Anstrengung zu ihm wendend, »bin ich denn ein Wundertier, daß Sie so dastehen und mich angaffen?«

Als Ralph Nickleby jetzt das Gesicht des Baronets deutlich sah, prallte er ein paar Schritte zurück, tat, als ob er sein Erstaunen kaum unterdrücken könne, und setzte sich dann in gutgespielter Verwirrung nieder.

»Ich habe jeden Tag unten angefragt, Sir Mulberry«, begann er, »anfangs sogar zweimal am Tage. Heute abend aber konnte ich nicht umhin, mit Rücksicht auf unsere alte Bekanntschaft und auf unsere frühere Geschäftsverbindung, die für uns beide doch so angenehm ist, um die Erlaubnis, Sie besuchen zu dürfen, zu bitten. – Haben Sie – haben Sie viel Schmerzen ausgestanden?« fragte er und beugte sich vor, während dasselbe höhnische Lächeln über seine Züge glitt, als der andere die Augen schloß.

»Mehr, als mir lieb ist, und weniger, als mir wahrscheinlich gewisse geleimte Gimpel unserer Bekanntschaft gönnen würden, die ihren Ruin vermutlich uns zur Last legen«, knurrte Sir Mulberry und bewegte den Arm nervös auf der Decke hin und her.

Ralph zuckte die Achseln, als bedaure er den gereizten Ton, der aus diesen Worten klang, wie denn auch überhaupt in seinem ganzen Benehmen eine so unangenehme kalte Bitterkeit lag, daß es der Patient kaum auszuhalten vermochte.

»Und in was für ›Geschäften‹ kommen Sie jetzt zu mir?« fragte Sir Mullberry

»In keinen. – Ich habe zwar ein paar Wechsel von Mylord in Händen, die demnächst fällig werden, aber ich will die Sache auf sich beruhen lassen, bis Sie wiederhergestellt sind. Ich – ich – komme«, fuhr Ralph Nickleby langsamer und eindringlicher fort, »ich komme lediglich, um Ihnen mein Bedauern auszudrücken, daß es gerade ein Verwandter von mir – wenn er auch von mir verstoßen ist – war, der Ihnen die Züchtigung angedeihen ließ –«

»Züchtigung!« fuhr Sir Mulberry auf.

»Ich meine damit, daß er Sie übel zugerichtet hat«, verbesserte Ralph, die Unterbrechung absichtlich falsch deutend, »und es lag mir daher um so mehr am Herzen, ihnen zu sagen, daß ich diesen Vagabunden aus meinem Hause verstoßen habe – ihn überhaupt nicht mehr als Verwandten anerkenne und es Ihnen und jedermann freistelle, mit ihm nach Belieben zu verfahren. Meinetwegen können Sie ihm den Kragen umdrehen – mich soll die Sache nichts angehen.«

»Die Geschichte ist also, wie ich höre, ruchbar geworden«, knurrte Sir Mulberry, ballte die Fäuste und knirschte mit den Zähnen.

»Alle Welt spricht davon. In jedem Klub, in jedem Spielzimmer hört man von nichts anderm. Es kam mir sogar zu Ohren, man habe ein Couplet darauf gedichtet«, erzählte Ralph spöttisch und faßte den Baronet fest ins Auge. »Ich weiß es zwar nicht aus eigener Erfahrung, da ich solche Orte niemals besuche, aber ich ließ mir sagen, die Geschichte sei sogar gedruckt – natürlich nur für Privatzirkel. Aber das reicht selbstverständlich hin, um eine solche Geschichte in der ganzen Stadt bekannt zu machen.«

»Das ist eine Lüge«, rief Sir Mulberry. »Ich sage Ihnen, es ist eine freche Lüge! Nur der Gaul ist durchgegangen, weiter war's nichts.«

»Man sagt, er habe ihn zum Durchgehen gebracht«, sagte Ralph in derselben kalten und gelassenen Weise. »Andere behaupten wieder, er hätte sogar Sie zum Durchgehen veranlaßt, aber das ist zweifellos eine Lüge. Ich habe es auch selbstverständlich – und dutzende Male – als solche hingestellt. Ich bin gewiß ein friedliebender Mensch, aber ich kann es nicht mit anhören, wenn Ihnen Leute etwas Derartiges nachsagen – nein, gewiß und wahrhaftig nicht.«

Sir Mulberry hatte sich inzwischen so weit gesammelt, um einige zusammenhängende Worte sprechen zu können. Er faßte Ralph beim Rockaufschlag und zog ihn näher zu sich, und mit so ernstem und ruhigem Gesicht, als handle es sich um etwas ganz Selbstverständliches.

»Wenn ich mich erst von diesem verfluchten Lager erheben kann«, brummte er und schlug sich mit der Hand wütend auf sein gebrochenes Bein, »so will ich mich rächen, wie es noch kein Sterblicher getan hat. Bei Gott, das will ich. Diesmal war ihm der Zufall noch günstig, und er hat mich für eine Woche oder zwei übel zugerichtet, aber ich werde ihm ein Brandmal aufdrücken, das er bis zum Grabe mit sich herumschleppen soll. Ich werde ihm die Nase einschlagen und die Ohren abreißen – ihn durchpeitschen und ihn verstümmeln für sein ganzes Leben. Ja noch mehr, dieses Musterbild von Keuschheit und Ausbund von Ziererei, diese überprüde Dirne soll mir –«

Vielleicht schoß Ralph bei diesen Worten das Blut ins Gesicht, vielleicht erinnerte sich Sir Mulberry plötzlich, er könne den Wucherer an einer zu empfindlichen Stelle getroffen haben, kurz, er hielt plötzlich inne, schüttelte nur wütend die Faust und schloß seine unausgesprochene Drohung mit einem schrecklichen Fluch.

»Ich gebe zu, daß es einem allerdings die Galle aufregen kann«, sagte Ralph nach kurzem Schweigen, während dessen er den Patienten scharf ins Auge gefaßt hatte, »wenn man bedenkt, daß Sie, der Mann von Welt, der Roué par excellence, der Löwe von zwanzig Saisons durch einen halbwüchsigen Knaben so zugerichtet wurden.«

Sir Mulberry blickte wütend auf, aber Ralphs Augen waren bereits zur Erde gesenkt und in seinen Mienen nichts anderes zu lesen als der Ausdruck des Nachdenkens.

»Ein Milchbart« – fuhr Ralph fort – »gegenüber einem Mann, dessen bloßes Gewicht ihn schon erdrücken sollte – ganz abgesehen von seiner Geschicklichkeit im – ich irre doch nicht?« setzte er hinzu und bückte plötzlich auf. »Sie hatten doch einmal die Meisterschaft im Boxen – nicht wahr?«

Der Kranke machte eine ungeduldige Gebärde, die Ralph als Bejahung auffaßte.

»Ich dachte mir's doch«, sagte er. »Ich glaube zwar, es war, ehe ich Sie kennenlernte, aber ich wußte doch ziemlich gewiß, daß ich mich nicht irre. Er ist allerdings recht geschickt und behend, glaube ich, aber das sind Ihnen gegenüber wohl nur unbedeutende Vorteile. Ja, ja, das Glück – das Glück ist eben immer auf der Seite solcher nichtswürdiger Galgenvögel.«

»Na, Glück wird er wohl brauchen können, wenn ich wieder gesund auf den Beinen stehe«, knirschte Sir Mulberry Hawk, »und wenn er sich ins Innerste der Erde verkröche.«

»Ach Gott«, versicherte Ralph hastig, »das Verkriechen fällt ihm gar nicht ein. Er wohnt jetzt hier in London, Sir, und steht gewiß jeden Tag zu Ihrer Verfügung. – Hier in London spaziert er am hellichten Mittag herum und sieht sich um, ob er Sie nicht irgendwo finden kann. – Ich schwöre«, setzte er mit finsterer Miene hinzu, in der sich jetzt zum ersten Mal sein ganzer Ingrimm kundgab, »wenn wir in einem Lande lebten, wo man dergleichen ohne Gefahr riskieren könnte, so würde ich ein hübsches Stück Geld dransetzen, wenn ich ihn beiseite schaffen und den Hunden zum Fraß in die Gosse werfen könnte.«

Als er, und zwar zum nicht geringen Erstaunen seines alten Geschäftsfreundes, sich in diesen zärtlichen Verwandtschaftsgefühlen ergangen und gerade seinen Hut wieder zur Hand nahm, um sich zu entfernen, trat Lord Frederic Zierling herein.

»Äh, was zum Kuckuck haben Sie denn da mit Nickleby zu unterhandeln, Hawk?« fragte der junge Aristokrat. »In meinem ganzen Leben habe ich – äh – keinen so scheußlichen Lärm gehört. – Krah, krah, krah, – wau, wau, wau – äh – was soll denn das alles heißen?«

»Sir Mulberry ist übler Laune gewesen«, erklärte Ralph mit einem spöttischen Blick auf den Kranken.

»Doch nicht etwa wegen einer Geldaffäre, hoffe ich? – Vielleicht etwas im Geschäft schiefgegangen? – Was, Nickleby?«

»O nein, Mylord«, entgegnete Ralph. »In diesem Punkt verstehen wir uns immer. Sir Mulberry hat sich nur an die Geschichte seines Un –«

Er hatte nicht nötig, weiter fortzufahren, denn Sir Mulberry fiel ihm ins Wort und stieß eine Flut von Drohungen und Verwünschungen gegen Nikolas aus.

Der Wucherer, der, wie immer, auch hier scharf beobachtete, bemerkte jetzt zu seiner nicht geringen Überraschung, daß Lord Zierling, der sich anfangs ganz nonchalant und dandyhaft den Bart gedreht, plötzlich ein sehr ernstes Gesicht machte – noch mehr erstaunte er aber, daß er, als Sir Mulberrys Wutausbruch vorüber war, unwillig und energisch verlangte, das Thema in seiner Anwesenheit nie wieder berührt zu hören.

»Vergessen Sie nicht, Hawk«, bemerkte er mit ungewöhnlicher Entschlossenheit, »daß ich niemals einer feigen Rache an diesem jungen Mann Vorschub leisten werde und dergleichen auch niemals zugebe, wenn ich es verhindern kann.«

»Feig, Lord Frederic?« unterbrach ihn Sir Mulberry.

»Ja«, bekräftigte der junge Aristokrat ruhig und sah seinem Freund fest in die Augen. »Wenn Sie ihm gesagt hätten, wer Sie sind, ihm Ihre Karte gegeben und sich nachher geweigert haben würden, sich ihm zu stellen, da er Ihnen an Rang nicht ebenbürtig sei, wäre das schon peinlich genug gewesen, so aber liegt das Unrecht ganz und gar auf Ihrer Seite; und auch ich habe nicht recht gehandelt, denn ich hätte mich ins Mittel legen sollen. Und noch jetzt tut es mir leid, daß ich es nicht getan habe. Was Ihnen dann später passierte und wie die Sache ausging, war lediglich Zufall, und Sie sind mehr daran schuld als er. Sie werden sich daher, solang ich es verhindern kann, nicht an ihm rächen – das schwöre ich Ihnen.«

Damit drehte sich der junge Lord auf dem Absatz um, ging zur Türe, kehrte aber nochmals zurück und fügte mit noch größerer Erregtheit als vorhin hinzu:

»Ich glaube jetzt, bei meiner Ehre – ich glaube jetzt fest, daß seine Schwester ebenso tugendhaft und bescheiden wie schön ist, und was ihren Bruder anbelangt, so bin ich der Ansicht, daß er sich ganz so benommen hat, wie sich ein Bruder eben benehmen mußte, und zwar auf eine ebenso ehrenhafte wie männliche Weise. Ich möchte von ganzem Herzen und ganzer Seele wünschen, daß man uns beiden ein nur halbwegs so anständiges Vorgehen nachsagen könnte.«

Nach diesen Worten verließ Lord Frederic das Zimmer und ließ Ralph Nickleby und Sir Mulberry in peinlichem Staunen zurück.

»Ihre Erziehungsmethode scheint da ziemlich fehlgeschlagen zu sein«, flüsterte Ralph. »Das ist ja ein Gelbschnabel frisch aus der Pension eines Landpredigers, wie er leibt und lebt.«

»Ach was, Gelbschnäbel haben hin und wieder solche Anfälle«, brummte Sir Mulberry Hawk ärgerlich, biß sich in die Lippen und blickte nach der Türe. »Überlassen Sie ihn nur mir!«

Ralph Nickleby wechselte noch einen verständnisinnigen Händedruck mit dem Baronet und trat dann seinen Heimweg an.

 

Ungefähr zur gleichen Zeit hatte der Omnibus Miss La Creevy sowie Smike an der Türe ihres Hauses abgesetzt. In ihrer Gutmütigkeit wollte die kleine Porträtmalerin durchaus nicht zugeben, daß ihr Begleiter heimkehren, ohne sich nicht zuvor bei ihr mit einem Schluck Wein und einem Bissen Zwieback gestärkt zu haben, und da Smike weder etwas gegen die Herzstärkung noch gegen den Zwieback einzuwenden hatte, kam es, daß er sich länger aufhielt, als er ursprünglich beabsichtigt hatte. Es war daher bereits seit einer halben Stunde dunkel geworden, als er sich zum Nachhausegehen anschickte.

Er hatte nur geradeaus zu gehen, und da er fast jeden Tag Nikolas auf demselben Weg in die City begleitete und allein zurückkehrte, so war es nicht sehr wahrscheinlich, daß er sich verirren könnte. Miss La Creevy trug ihm noch viele freundliche Grüße an Mrs. und Miss Nickleby auf, und nachdem sie einander die Hände gedrückt, brach Smike auf.

Vor Ludgate Hill angelangt, bog er ein paar Schritte ab, um sich Newgate ein wenig anzusehen, und setzte dann seine Wanderung durch die City raschen Schrittes fort, als er, plötzlich um eine Ecke biegend, so heftig an jemand anprallte, daß er sich an einem Laternenpfahl anhalten mußte, um nicht umzufallen. Im selben Augenblick umklammerte ein kleiner Junge eines seiner Beine und der gellende Ruf: »Ich hab' ihn, Vater, hurra«, tönte ihm in die Ohren.

Er kannte die Stimme nur zu gut. Voll Verzweiflung sah er auf den Jungen herunter, der die Worte ausgestoßen, blickte sich um, und ein kalter Schauder überlief ihn von Kopf bis Fuß. Mr. Squeers hatte ihn am Rockkragen mit dem Griff seines Regenschirms gehakt und hielt ihn am andern Ende mit aller Kraft fest. Das Triumphgeschrei war von Master Wackford ausgegangen, der ihn jetzt trotz allen Sträubens mit der Zähigkeit eines Bulldoggs festhielt.

Sofort erkannte der unglückliche Smike seine verzweifelte Lage; fast gelähmt, vermochte er auch nicht einen Laut hervorzubringen.

»Prachtvoll«, jubelte Mr. Squeers und hangelte sich an dem Schirm immer näher heran, bis er sein Opfer endlich mit beiden Händen am Kragen fassen konnte. »Prachtvoll, wunderbar. Wackford, mein Junge, hole eine Droschke.«

»Eine Droschke, Vater?« wiederholte der kleine Wackford.

»Jawohl, eine Droschke«, krächzte Squeers, sich am Anblick Smikes weidend. »Egal, was es kostet, wir wollen ihn in einer Droschke nach Hause bringen.«

»Was hat er denn angestellt?« fragte ein Arbeiter mit einem Trog voll Mörtel, an den Squeers einen Augenblick vorher angeprallt war.

»Alles mögliche«, antwortete der Pädagog, seinen ehemaligen Sklaven außer sich vor Freude betrachtend. »Alles mögliche. Er ist fortgelaufen – hat einen Mordanfall an seinem Lehrer verübt. – Es gibt keine Ruchlosigkeit, die er nicht begangen hätte. Gott im Himmel! Wie prachtvoll, wie wundervoll!«

Der Arbeiter blickte Squeers und Smike zweifelnd an, aber den armen Burschen hatte auch die letzte Spur von Besinnung verlassen. Die Droschke kam, Master Wackford stieg ein, Squeers schob den verzweifelten Smike nach, sprang dann selbst hinein und warf den Schlag ins Schloß. Langsam fuhr der Kutscher davon, und der Maurer, ein Kollege von ihm, eine alte Äpfelfrau und ein kleiner aus der Abendschule heimkehrender Junge, die die einzigen Zeugen des Auftritts gewesen, blieben mit offenem Munde stehen und wußten nicht, wie sie sich alles das deuten sollten. Squeers setzte sich jetzt seinem unglücklichen Opfer gegenüber, stemmte die Hände auf die Knie, sah Smike ein paar Minuten unverwandt an, schien dann endlich wie aus einem seligen Traume zu erwachen, brach in ein lautes Gelächter aus und traktierte den Ärmsten mit einem Hagel von Ohrfeigen.

»Es ist kein Traum, es ist wirkliches Fleisch und Blut, ich spüre es an der Hand«, jubelte er, gab Smike noch ein paar Ohrfeigen und lachte bei jeder hell hinaus.

»Deine Mutter wird vor Vergnügen aus der Haut fahren, mein Junge«, sagte er entzückt zu seinem Sohn.

»Nein, daß wir gerade gegen ihn anrennen und ich ihn mit meinem Regenschirm habe entern können – prachtvoll – wunderbar – hahaha!«

»Und ich hab' ihn am Bein festgehalten, Vater«, frohlockte der kleine Wackford.

»Freilich, und famos hast du deine Sache gemacht, mein Junge«, lobte Squeers und klopfte seinem Sprößling auf die Wange, »und zur Belohnung sollst du die beste Jacke und Weste kriegen, die der erste neue Schüler mitbringt. Fahre nur immer so fort und tue, was du deinen Vater tun siehst, und dann wirst du, wenn du stirbst, in den Himmel hineinplumpsen, ohne daß man dich nach einem Paß fragt.« – Abermals klopfte er seinem Sohn auf die Wange und auch Smike – aber in etwas anderer Art – und fragte sein Opfer dann spöttisch, was es wohl glaube, was jetzt geschehen werde.

»Ich muß nach Hause«, jammerte Smike verstört.

»Das sollst du auch!« höhnte Squeers. »Und zwar sehr bald. Nur ein paar Tage, dann sind wir daheim im stillen Dörfchen Dotheboys in Yorkshire, mein junger Freund, und wenn es dir das nächstemal gelingt fortzulaufen, gebe ich dir die Erlaubnis wegzubleiben. Wo sind übrigens die Kleider, mit denen du durchgegangen bist, du undankbarer Schuft?«

Smike blickte auf seinen sauberen Anzug, den ihm Nikolas gekauft, nieder und rang die Hände.

»Weißt du, daß ich dich in Old Bailey aufknöpfen lassen könnte, weil du mit Sachen davonliefst, die mein Eigentum sind?« brüllte Squeers. »Weißt du, daß der Galgen drauf steht, und daß man Kerle in Spiritus setzt, wenn sie etwas entwenden, was mehr wert ist als fünf Pfund? Wie? – Weißt du das? Was meinst du wohl, daß deine Kleider wert waren, die du damals trugst? Weißt du, daß der eine Stulpstiefel, den du anhattest, achtundzwanzig Schilling per Paar gekostet hat? Und der zweite Schuh sieben Schillinge sechs Pence? Aber du kommst bei mir schon vor die rechte Schmiede, was Erbarmen anbelangt, und kannst Gott danken, daß ich es bin, der die Züchtigung selbst vornehmen wird.«

Dabei stieß er den armen Smike mit seinem Schirmgriff vor die Brust und bearbeitete ihm sodann Kopf und Schultern weidlich damit. »Nie habe ich einen Jungen in einer Droschke so verhauen«, keuchte er, als er schließlich innehielt. »Es ist ein wenig unbequem, aber das Neue gibt der Sache andererseits wieder einen besondern Reiz.«

Der unglückliche Smike hatte die Stöße und Schläge, so gut er konnte, pariert und drückte sich jetzt, den Kopf mit den Händen geschützt, in die Ecke. Er war vollkommen betäubt und dachte ebensowenig an eine Möglichkeit, dem allmächtigen Squeers zu entrinnen, wie ihm der Gedanke daran in den langen traurigen Jahren seines Lebens in Yorkshire bis zur Ankunft Nikolas' gekommen war.

Die Fahrt schien nicht enden zu wollen. Zuletzt steckte der Schulmeister jede halbe Minute den Kopf aus dem Droschkenfenster, um dem Kutscher allerlei Weisungen hinauszurufen, und nachdem sie noch ein paar schmutzige Straßen zurückgelegt, befahl er zu halten. Der Wagen blieb unweit vor Mr. Snawleys Türe stehen, bei dem Squeers vorläufig sein Quartier aufgeschlagen hatte, da er sich zur Zeit länger als gewöhnlich in London aufhielt und der »Mohrenkopf«, nachdem er einmal Master Wackfords Appetit kennengelernt, sich aufs entschiedenste weigerte, den jungen Herrn weiterhin als Kind zu betrachten.

»So! Da wären wir«, sagte Squeers und zerrte Smike in das kleine Wohnzimmer hinein, in dem Mr. und Mrs. Snawley bei einer Schüssel mit Hummersalat saßen. »Das ist der Landstreicher – der Ausreißer – der Rebell – das undankbare Ungeheuer.«

»Was, der fortgelaufene Zögling?« rief Mr. Snawley, stemmte Messer und Gabel mit den Spitzen nach oben auf den Tisch und riß die Augen weit auf.

»Jawohl, derselbe«, frohlockte Squeers, hielt Smike die Faust unter die Nase, zog sie wieder zurück und wiederholte dieses Verfahren einigemal mit wenig wohlwollender Miene. »Wäre hier keine Dame zugegen, ich wollte ihm schon eins versetzen – und wie. Aber schadet nicht, schuldig geblieben wird ja doch nichts.«

Und dann berichtete er, wie, wann und wo er den Ausreißer wieder aufgegriffen hatte.

»Da ist sichtlich die Vorsehung mit im Spiel, Sir«, sagte Mr. Snawley und senkte den Blick mit demütiger Miene, die Gabel mit einem Bissen Hummer zur Zimmerdecke erhoben.

»Ja, ja, die Vorsehung ist gegen ihn«, stimmte Mr. Squeers, sich an der Nase kratzend, bei. »Läßt sich natürlich nicht anders erwarten. Jedermann hätte das voraussehen müssen.«

»Ein böses Herz und üble Tat gedeihen niemals, Sir!« rief Mr. Snawley.

»Nein, wahrhaftig nicht«, bekräftigte Mr. Squeers, zog ein Paket Banknoten aus seinem Taschentuch und zählte sie durch, ob er auch keine verloren habe.

»Ich bin der Wohltäter, ein zweiter Vater und der Lehrer dieses Burschen gewesen, Mrs. Snawley«, erläuterte er, als er sich darüber Gewißheit verschafft, »ich war sein lateinischer, kommerzieller, mathematischer, philosophischer und trigonometrischer Freund. Mein Sohn hier, mein einziger Sohn Wackford, war sein Bruder und Mrs. Squeers war seine Mutter, Großmutter, Tante ich möchte fast sagen Onkel und alles in allem. An keinem der Sprößlinge, Ihre beiden lieben prächtigen Jungen ausgenommen, hing sie je mit so viel Liebe wie an diesem Burschen. Und was ist der Dank? Was wird aus der Milch der frommen Denkungsart? Sie gerinnt und wird zu Quark, wenn ich ihn nur ansehe.«

»Das glaube ich gerne, Sir«, seufzte Mrs. Snawley, »das glaube ich gerne.«

»Wo ist er denn die ganze Zeit über gewesen?« forschte Mr. Snawley, »vielleicht bei dem –?«

»Nun, Bürschchen?« wendete sich Squeers an Smike. »Warst du bei dem Höllenhalunken – dem Nickleby?« Aber weder Drohungen noch Püffe konnten auch nur eine Silbe auf diese Frage aus Smike herauslocken, der innerlich fest entschlossen war, lieber in dem elenden Gefängnis, das seiner harrte, zugrunde zu gehen, als über seinen ersten und einzigen Freund ein Wort zu verraten. Er dachte daran, wie strenge ihm Nikolas auf dem Wege von Yorkshire nach London eingeschärft hatte, nichts über sein früheres Leben verlauten zu lassen, und eine wirre Vorstellung, sein Wohltäter könne sich dadurch, daß er ihn mitgenommen, eines schrecklichen Verbrechens schuldig gemacht haben, das ihm im Falle der Entdeckung eine schwere Strafe zuziehen müsse, half mit, ihn in seinem gegenwärtigen Zustand von stummer Betäubung und Entsetzen zu erhalten.

Da Mr. Squeers die Vergeblichkeit seiner Bemühungen einsah, führte er Smike in ein kleines, eine Treppe hochgelegenes Hinterstübchen, schloß die Türe von außen ab – für den Fall, daß dem Gefangenen vielleicht der Gedanke auftauchen sollte, abermals einen Fluchtversuch zu machen, und überließ ihn dort seinen Betrachtungen.

Smikes Gedanken, wenn von solchen überhaupt die Rede sein konnte, zu schildern, wäre wohl unmöglich. Um einen menschlichen Geist in solche Stumpfheit herabzuzwingen, mußten eben Härte und Grausamkeit von Kindesbeinen an jedes Wachstum gehemmt haben. Die Saiten des Herzens, die so schnell bei der Berührung einer liebevollen Hand erklingen, mußten tief im Innersten verrostet und zerrissen sein, und düster war der kurze Tag und trüb die lange Nacht gewesen, die dieser Seelenfinsternis vorangegangen.

Gewiß gab es Stimmen, die Smike auch jetzt noch aus seiner Stumpfheit geweckt haben würden, aber die ersehnten Töne konnten nicht zu ihm dringen. So kroch er denn in sein Bett, dasselbe hoffnungslose zertretene Geschöpf, das Nikolas einst in Dotheboys Hall gefunden.


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