Charles Dickens
Dombey und Sohn – Band 2
Charles Dickens

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzigstes Kapitel .

Häusliche Verhältnisse

Es lag nicht in der Natur der Dinge, daß bei einem Mann von Mr. Dombeys Gemütsart durch den Widerspruch eines Geistes, wie er ihn selbst sich gegenübergestellt hatte, die gebieterische Strenge gemildert oder die kalte, harte Rüstung des Stolzes, in die er eingehüllt war, durch den steten Gegensatz von hochmütigem Trotz und Hohn nachgiebiger gemacht werden konnte. Es ist der Fluch einer solchen Natur und ein Hauptteil der schweren Wiedervergeltung, die sie in sich selbst trägt, daß sie aus dem Widerspruch und einer Zurückweisung ihrer gewalttätigen Ansprüche ebensogut Nahrung findet, als aus der Ehrerbietung und den gemachten Zugeständnissen, durch die ihre schlimmen Eigenschaften anschwellen und großgezogen werden. Das Böse darin findet selbst in den Gegensätzen die Mittel des Wachstums und der Fortpflanzung. Es zieht Kräftigung und Leben aus dem Süßen wie aus dem Bitteren: Mißachtung sowohl, wie Kriecherei bilden ein Vollwerk um die Brust, wo es seinen Thron aufgeschlagen hat, und mag es verehrt oder zurückgewiesen werden, stets ist es ein so despotischer Gebieter wie der Teufel im Märchen. Gegen seine erste Gattin hatte sich Mr. Dombey in seiner kalten, stolzen Anmaßung benommen als das hoch über ihr stehende Wesen, das er fast zu sein meinte. Er war für sie »Mr. Dombey« gewesen, als sie ihn zum ersten Male sah, und trat als »Mr. Dombey« an ihr Sterbebette. Während ihres ganzen ehelichen Lebens hatte er seine Größe behauptet, und sie hatte diese schüchtern anerkannt. Er saß hoch oben auf der Spitze seines Throns, sie bescheiden nur auf der untersten Treppe desselben, und es bereitete ihm einen Genuß, einsam als Sklave seiner einzigen Idee zu leben. Seiner Ansicht nach sollte der stolze Charakter seiner zweiten Gattin eine Zugabe sein zu dem seinigen – sollte sich mit demselben vermengen und seine Größe erhöhen. Er hatte geglaubt, höher auftreten zu können, als je, wenn Ediths Stolz dem seinigen dienstbar sei, dabei aber nie an die Möglichkeit gedacht, daß derselbe gegen ihn auftreten könne. Jetzt mußte er übrigens finden, daß die Eigenschaft, von der er sich so viel versprochen, bei jedem Tritt, bei jeder Wendung auf dem Pfade seines täglichen Lebens ihr kaltes, trotziges, Verachtung ausdrückendes Antlitz ihm entgegenhielt. Gleichwohl übte das keine demütigende, niederschlagende Wirkung auf seinen Hochmut aus, der im Gegenteil nur neue Sprossen trieb, sich mehr und mehr befestigte und finsterer, widerwärtiger und unbeugsamer wurde, als er je zuvor gewesen.

Wer eine solche Rüstung führt, trägt auch stets eine andere schwere Wiedervergeltung in seinem Innern. Der Harnisch ist fest gegen Versöhnlichkeit, Liebe und Vertrauen, gegen jede Teilnahme von außen und gegen jede sanftere Regung, während er dagegen bloßliegt den tiefen Dolchstößen der Eigenliebe, wie die unbeschützte Brust der blanken Waffe. Und solche Wunden eitern quälender, als jede andere, namentlich wenn sie die gepanzerte Hand des Stolzes selbst dem machtloseren Stolze, den sie entwaffnet und niedergeworfen, geschlagen hat.

Derartige Wunden waren die seinigen. Er fühlte sie aufs empfindlichste in der Einsamkeit seiner alten Gemächer, wohin er sich nun oft wieder zurückzuziehen begann, um stundenlang allein zu sein. Das Geschick, stolz und gewaltig, schien es über ihn verhängt zu haben, daß er stets gedemütigt und machtlos werden sollte, wo er gerne am kräftigsten gewesen wäre. Wer mochte wohl bestimmt sein, dieses Gericht an ihm zu erfüllen?

Wer? Wer war es, der seine Gattin gewinnen konnte, wie sie seinen Sohn genommen hatte! Wer war es, der ihm diesen neuen Sieg gezeigt hatte, als er in der dunkeln Ecke saß! Wer war es, der mit dem kleinsten Wort auszurichten vermochte, was allen seinen Mitteln nicht gelang! Wer war es, der ohne den Beistand seiner Liebe und seiner Beachtung zur Schönheit heranwuchs, während jene, denen dieser Beistand zugute gekommen war, starben! Wer konnte es anders sein, als dasselbe Kind, auf das er in seiner Verwaisung so oft unruhig und mit einer Art Furcht hingeblickt hatte, es möchte noch so weit kommen, daß er sie hassen müsse! Seine Ahnung war jetzt erfüllt, denn er haßte sie aus dem Grunde seines Herzens.

Ja, und er klammerte sich fest an diesen Haß, wenn auch einzelne Funken des Lichts, in dem sie an dem denkwürdigen Abend seiner Heimkehr erschienen war, gelegentlich um ihn her aufblitzten. Er wußte jetzt, daß sie schön war, stellte ihre gewinnende Anmut nicht in Abrede und konnte sich die Überraschung nicht verhehlen, in die ihn das schöne Morgenrot ihrer Jungfräulichkeit versetzt hatte. Aber auch das diente nur als Waffe gegen sie. Der unglückliche Mann fühlte wohl, wie alle Herzen sich ihm entfremdet hatten, und konnte sich einer unbestimmten Sehnsucht nach dem, was er sein ganzes Leben über zurückgewiesen, nicht entschlagen. Aber in seinem düstern, krankhaften Sinnen schuf er sich ein verzerrtes Bild von seinen Rechten, die er gekränkt wähnte, und waffnete sich in solcher Weise mit Scheingründen gegen Florence. Je würdiger sie seiner zu werden in Aussicht stellte, desto mehr Anlaß nahm er daraus, Rückblicke zu tun auf ihre frühere Pflichtmäßigkeit und Unterwerfung. Wann hatte sie ihm je Gehorsam und Unterwürfigkeit erwiesen? War sie ein Schmuck seines Lebens – oder nicht vielmehr Ediths? Hatte ihr Willkommen zuerst ihm gegolten – oder Edith? Waren sie von Florences Geburt an je wie Vater und Kind gegeneinander gewesen? Nein, es hatte stets eine Entfremdung stattgefunden. Überall und in jeder Weise war sie ihm in den Weg getreten, und auch jetzt stand sie gegen ihn im Bunde. Ihre Schönheit erweichte Charaktere, die sich ihm gegenüber stahlhart anließen, und beleidigte ihn durch ihren unnatürlichen Triumph.

Möglich, daß in all diesen Beschwerden das Erwachen eines freilich nur selbstsüchtigen und durch seine unvorteilhafte Stellung veranlaßten Bewußtseins lag, wozu sie sein Leben hätte machen können. Aber er brachte diesen fernen Donner durch den tobenden Wellenschlag seines Stolzes zum Schweigen. Nur auf die Stimme des letzteren wollte er hören, und in seinem Stolze warf er, ein Gemeng von Unbeständigkeit, Elend und Selbstpeinigung, seinen Haß auf sie.

Dem finstern, launenvollen, störrischen Dämon, von dem er besessen war, setzte seine Gattin einen Stolz von ganz anderer Art mit voller Macht entgegen. Sie hätten nie miteinander ein glückliches Leben führen können. Nichts indessen war geeigneter, es so ganz elend zu machen, als der eigensinnige, entschlossene Krieg solcher Elemente. Sein Hochmut sah sich darauf hingewiesen, seine vornehme Überlegenheit zu behaupten und ihr die Anerkennung derselben abzuringen, während sie ihrerseits selbst auf der todbringenden Folter bis zum letzten Augenblicke ihres Lebens den Blick ruhiger, unwandelbarer Verachtung auf ihn gerichtet haben würde. Solch ein Dank von Edith! Er wußte wenig, durch welche Stürme, welchen Kampf sie vorwärts getrieben wurde, bis sie die Ehre seiner Hand annahm – ja, er hatte nicht die mindeste Ahnung davon, wieviel sie ihm eingeräumt zu haben glaubte, wenn sie ihm gestattete, sie seine Gattin zu nennen.

Mr. Dombey war entschlossen, ihr sein Übergewicht zu zeigen. Er verlangte zwar, daß sie stolz sei; aber sie sollte es für ihn, nicht gegen ihn sein. Wann er in seinen finsteren Gedanken allein dasaß, hörte er sie oft ausgehen und zurückkommen. Sie betrat die Runde des Londoner Lebens, ohne auf seine Zustimmung oder seine Unzufriedenheit mehr zu achten, als wäre er ihr Stallknecht gewesen. Ihre kalte, rücksichtslose Gleichgültigkeit – er glaubte allein zu dieser Eigenschaft berechtigt zu sein – verletzte ihn tiefer, als dies durch jede andere Behandlung hätte geschehen können, und er beschloß, sie unter seinen großartigen stattlichen Willen zu beugen.

Er war längst mit solchen Gedanken umgegangen, bis er endlich eines Abends, als er sie spät nach Hause zurückkommen hörte, sie auf ihrem Zimmer aufsuchte. Sie saß in ihrer prächtigen Toilette allein da und hatte unmittelbar zuvor ihrer Mutter einen kurzen Besuch gemacht. Auf ihrem Gesicht lag bei seinem Eintritt ein wehmütiger, gedankenvoller Ausdruck; ein Blick nach dem Spiegel aber, aus dem ihm dieser entgegenkam, zeigte ihm plötzlich, wie in einem Bilderrahmen, wieder die furchige Stirne und die düstere Schönheit, die er so gut kannte.

»Mrs. Dombey«, begann er, »ich muß mir die Freiheit nehmen, einige Worte mit Euch zu sprechen.«

»Morgen«, lautete ihre Erwiderung.

»Keine Zeit ist dazu passender, als die augenblickliche, Madame«, versetzte er. »Ihr verkennt Eure Stellung. Ich bin daran gewöhnt, mir meine Zeit zu wählen, nicht aber sie mir vorschreiben zu lassen. Es scheint mir, Ihr begreift kaum, wer und was ich bin, Mrs. Dombey.«

»Ich denke, ich weiß dies vollkommen«, antwortete sie.

Mit diesen Worten blickte sie zu ihm auf, legte ihre weißen, von Gold und Edelsteinen funkelnden Arme über der schwellenden Brust zusammen und wandte ihre Augen wieder ab.

Wäre sie weniger schön und in ihrer ruhigen Haltung weniger stattlich gewesen, so würde es ihr schwerlich gelungen sein, ihn zu dem Bewußtsein seiner unvorteilhaften Stellung zu bringen, dessen er sich sogar in seinem Stolze nicht erwehren konnte. Doch sie besaß diese Gewalt, und er fühlte es tief – fühlte es noch mehr, als er im Zimmer umherschaute und sah, wie der kostbare Schmuck und die reichen Kleider achtlos umhergestreut waren, nicht in bloßer Laune oder Nachlässigkeit, sondern in entschlossener, stolzer Mißachtung der wertvollen Gegenstände. Häubchen mit Blumen, Hutfedern, Juwelen, Spitzen, Samt und Seide – wohin er auch blickte, überall lag der Reichtum umher, als wäre er eitler Tand, Sogar die Diamanten – ein Hochzeitsgeschenk – die sich ungeduldig auf ihrem Busen hoben und senkten, schienen begierig zu sein, die Kette, an der sie um ihren Hals geschlungen waren, zu zerbrechen und auf dem Boden hinzurollen, damit ihre Gebieterin sie mit Füßen treten könne.

Er fühlte seinen Nachteil und zeigte es in der linkischen Verlegenheit, mit der er der stolzen Frau gegenüberstand, deren unbeugsame Schönheit sich in dem Reichtum von Farben und in dem üppigen Gefunkel wie in ebenso vielen Teilen eines Spiegels brach. Natürlich mußte alles, was ihrer Verachtung ausdrückenden Ruhe dienstbar war, seinen Unmut noch mehr aufregen. Mit sich selbst zürnend, setzte er sich nieder und fuhr in keineswegs gebesserter Stimmung fort:

»Mrs. Dombey, es ist sehr nötig, daß es zwischen uns zu einem Verständnis komme. Euer Benehmen gefällt mir nicht, Madame.«

Sie sah bloß nach ihm hin, wandte aber sogleich ihren Blick wieder ab. Der Ausdruck, mit welchem sie dies tat, war sprechender, als die Rede einer ganzen Stunde.

»Ich wiederhole, Mrs. Dombey, es gefällt mir nicht. Ich habe schon einmal die Gelegenheit ersehen, Euch zu bitten, daß Ihr es verbessern möget. Jetzt bestehe ich darauf.«

»Ihr wähltet einen passenden Anlaß für Eure erste Vorstellung, Sir, und bringt Eure zweite in einer sehr geeigneten Weise und in sehr zweckmäßigen Worten vor. Ihr besteht darauf gegen mich!«

»Madame«, entgegnete Mr. Dombey, in der verletzendsten Weise all seinen Stolz aufbietend, »ich habe Euch zu meiner Gattin gemacht. Ihr führt meinen Namen und seid Teilhaberin meiner Stellung, meines Rufs. Ich will nicht sagen, daß die Welt im allgemeinen zu glauben geneigt sein dürfte, Ihr seiet durch diese Verbindung geehrt; aber so viel erkläre ich Euch, daß ich gewöhnt bin, meinen Angehörigen und Untergebenen gegenüber auf meinem Willen zu bestehen

»Welche von diesen Eigenschaften beliebt Ihr mir zuzuweisen?« fragte sie.

»Vielleicht denke ich, meine Gattin werde – oder müsse beide in sich vereinigen, Mrs. Dombey.«

Sie warf ihm einen festen Blick zu und preßte ihre bebenden Lippen zusammen. Er sah das Klopfen ihrer Brust – sah, wie ihr Gesicht erglühte und dann blaß wurde. Alles das konnte er bemerken, und er bemerkte es auch. Dagegen war ihm nicht bekannt, daß in dem tiefsten Innern ihres Herzens ein einziges Wort ihr zuflüsterte, sich ruhig zu verhalten. Dieses Wort war Florence.

Blinder Tor, der du einem Abgrunde zustürzest! Er wähnte sie eingeschüchtert – durch ihn!

»Ihr macht zu viel Aufwand, Madame«, sagte Mr. Dombey – »einen übermäßigen Aufwand. Ihr verbraucht große Summen – oder Summen, die in den Taschen der meisten Gentlemen große genannt werden könnten – um Euch in einer Gesellschaft umzutreiben, die mir nutzlos – ja, die mir geradezu widerwärtig ist. In allen diesen Punkten muß ich auf einer durchgreifenden Änderung bestehen. Ich weiß zwar, daß die Frauen in der Neuheit des Besitzes gern zu einem plötzlichen Extrem übergehen, selbst wenn ihnen das Glück nur den zehnten Teil der Mittel zugewiesen hat, der Euch zur Verfügung steht, aber diesem Extrem ist jetzt mehr als Genüge geschehen, und ich muß bitten, daß Mrs. Dombey sich die ganz anderen Erfahrungen der Mrs. Granger zur Lehre dienen lasse.«

Noch immer der unverwandte Blick, die bebenden Lippen, die klopfende Brust und das Gesicht, das bald glühend rot, bald wieder leichenblaß wurde; aber auch das tiefe Flüstern: »Florence, Florence«, das in dem Klopfen ihres Herzens zu ihr sprach.

Seine dünkelvolle Anmaßung bewirkte, wie er sah, diese Veränderung in ihr. Ebenso kochend über die ihm erwiesene Verachtung und das kürzliche Gefühl seiner unvorteilhaften Stellung, als durch ihre gegenwärtige vermeintliche Unterwürfigkeit aufgebläht, wurde das, was in seinem Innern gärte, zu übermächtig für seine Brust und sprengte alle Bande. Wer hätte auch seinem stolzen Willen und Befehle auf die Dauer widerstehen können! Er hatte beschlossen, sie zu beugen – und siehe da!

»Ihr werdet ferner die Güte haben, Madame«, fuhr Mr. Dombey im Ton herrscherischen Befehls fort, »Euch zu merken, daß ich Ehrerbietung und Gehorsam verlange – daß mir auf die entschiedenste Weise Ehrerbietung von der Welt erzeigt werde, Madame. Ich bin daran gewöhnt, – verlange es als mein Recht – und will es, mit einem Wort, haben. Ich sehe darin nur ein billiges Entgelt für die derzeitigen Vorteile, die Euch dafür zugefallen sind, und glaube, niemand wird sich darüber wundern, wenn ich es von Euch verlange oder Ihr es leistet – gegen mich – gegen mich!« fügte er mit Nachdruck bei.

Kein Wort von ihrer Lippe. Keine Veränderung in ihr. Der Blick unverwandt auf ihm haftend.

»Ich habe von Eurer Mutter gehört, Mrs. Dombey«, sagte Mr. Dombey mit schulmeisterischer Wichtigkeit, »was Ihr ohne Zweifel selbst wißt – daß ihr nämlich um ihrer Gesundheit willen Brighton empfohlen worden ist. Mr. Carker hat die Güte gehabt – –«

Ein plötzlicher Wechsel bei Edith. Ihr Gesicht und ihr Hals erglühten, als breche sich daran das rote Licht eines zornigen Sonnenuntergangs. Ohne hierauf zu achten, und den Wechsel nach seiner eigenen Art deutend, fuhr Mr. Dombey fort:

»Mr. Carker hat die Güte gehabt, hinzugehen und eine Wohnung zu bestellen. Wenn der Haushalt wieder nach London verlegt wird, werde ich zu dessen besserer Besorgung die Schritte tun, die ich für nötig halte. Einer davon wird, wenn es angeht, darin bestehen, daß ich in Brighton einer sehr achtbaren, in ihren Vermögensverhältnissen heruntergekommenen Person, einer Mrs. Pipchin, die früher in meiner Familie mit einem Dienste betraut war, die Stelle einer Haushälterin übertrage. Ein solches Hauswesen, über dem nur dem Namen nach eine Leitung steht, Mrs. Dombey, fordert einen fähigen Kopf.«

Sie hatte, ehe er bei diesen Worten anlangte, ihre Haltung verändert und saß jetzt da, den Blick noch immer ihm zugekehrt und eine Spange auf ihrem Arme hin und her drehend, nicht in leichter weiblicher Berührung, sondern sie über die glatte Haut hinzerrend, bis das Weiß einen breiten, roten Reif zeigte.

»Ich bemerkte«, sagte Mr. Dombey, »und das soll der Schlußstein zu dem sein, was ich Euch vorderhand mitzuteilen für nötig halte, Mrs. Dombey – ich bemerkte vor einem Augenblick, Madame, daß meine Erwähnung des Mr. Carker in einer eigentümlichen Weise aufgenommen wurde. Als ich Euch in der Gegenwart dieses meines vertrauten Beistandes über die Art, wie Ihr meine Gäste aufnahmt, meine Meinung eröffnete, hat es Euch beliebt, gegen seine Anwesenheit Einwendungen zu erheben. Ihr werdet Euch nunmehr eines Besseren besonnen haben, Madame, denn es ist wahrscheinlich, daß etwas Ähnliches noch oft vorkommen wird, wenn Ihr nicht zu dem Euch freistehenden Abhilfsmittel greift, mir keinen Anlaß zur Beschwerde zu geben. Mr. Carker«, fügte Mr. Dombey bei; denn nach der vorhin bemerkten Aufregung legte er ein großes Gewicht auf diese Art, sein stolzes Weib in die Enge zu hetzen, während er vielleicht auch gute Lust hatte, diesem Gentleman seine Macht in einem neuen triumphierenden Licht zu zeigen, »Mr. Carker besitzt mein Vertrauen, und es wird deshalb gut sein, Mrs. Dombey, wenn er insoweit auch das Eure teilt. Ich hoffe, Mrs. Dombey«, fuhr er nach einer kurzen Pause fort, während der ihm in seinem sich steigernden Hochmut der Kamm geschwollen war, »ich werde es nicht nötig finden, Mr. Carker mit Vorstellungen oder Verweisen an Euch zu beauftragen. Da es aber meiner Stellung und meinem Ruf Abtrag tun würde, mich oft in ärmliche Streitigkeiten mit einer Dame einzulassen, der ich die höchste mir zu Gebot stehende Auszeichnung erwiesen habe, so werde ich kein Bedenken tragen, seine Dienste in Anspruch zu nehmen für den Fall, daß es mir passend erscheint.«

»Und nun«, dachte er, in seiner moralischen Größe sich steifer und unnahbarer als je erhebend, »kennt sie mich und meinen Entschluß.«

Die Hand, die so ungestüm an der Armspange gezerrt hatte, legte sich jetzt schwer auf ihre Brust. Aber sie sah noch immer mit unverändertem Gesicht nach ihm hin und sagte mit gedämpfter Stimme:

»Halt! um Gotteswillen! Ich muß mit Euch sprechen.«

Warum hatte sie das nicht schon einige Minuten früher getan, und durch welchen innern Kampf war sie dazu unfähig geworden? In dem starren Zwang, den sie ihren Zügen auflegte, erschien ihr Gesicht so unbeweglich, wie das einer Statue – und sie schaute nach ihm hin, weder Nachgebung noch Unbeugsamkeit, weder Liebe noch Haß, weder Stolz noch Demut, nichts als einen spähenden Ausdruck in ihren Blick legend.

»Habe ich Euch je verlockt, meine Hand zu suchen? Habe ich irgendeinen Kunstgriff aufgeboten, um Euch zu gewinnen? War ich zur Zeit, als Ihr mich verfolgtet, einladender gegen Euch, als ich während unserer Ehe gewesen bin? Habe ich mich Euch je anders gezeigt, als wie ich bin?«

»Es ist völlig unnötig, Madame«, sagte Mr. Dombey, »auf solche Erörterungen einzugehen.«

»Glaubtet Ihr, ich liebe Euch? Wußtet Ihr das Gegenteil? Mensch, habt Ihr Euch je gekümmert um mein Herz oder die Absicht gehabt, dieses wertlose Ding zu gewinnen? Kam es überhaupt bei unserm Handel nur zur Sprache – auf Eurer Seite oder auf der meinen?«

»Diese Fragen führen ganz und gar von der Sache ab, Madame«, entgegnete Mr. Dombey.

Sie trat zwischen ihn und die Tür, um sein Fortgehen zu hindern, richtete ihre majestätische Gestalt in voller Höhe auf und blickte ihn noch immer fest an.

»Ihr beantwortet jede derselben. Ich sehe, Ihr beantwortet sie, noch ehe ich gesprochen habe. Wie sollte ich auch etwas anderes von Euch erwarten, der Ihr die unglückliche Wahrheit so gut kennt wie ich? Aber redet. Wenn ich Euch aus der Tiefe meiner Seele liebte, könnte ich mehr tun, als mein ganzes Sein und Wollen an Euch hingeben, wie Ihr eben verlangt habt? Wenn mein Herz in reiner Unerfahrenheit in Euch seinen Abgott sehen würde, könntet Ihr mehr fordern – könntet Ihr überhaupt mehr besitzen?«

»Vielleicht nicht, Madame«, versetzte er mit Kälte.

»Ihr wißt, wie ganz anders es bei mir steht. Ihr seht jetzt meinen Blick auf Euch haften und könnt in meinem Gesicht die Wärme der Leidenschaft lesen, die in mir für Euch atmet.« Kein Aufwerfen der stolzen Lippe, kein Blitzen des dunkeln Auges, nichts als derselbe spähende Blick begleitete diese Worte. »Ihr kennt im allgemeinen meine Geschichte. Ihr habt von meiner Mutter gesprochen. Glaubt Ihr, Ihr könnet mich zu Unterwerfung und Gehorsam herabwürdigen – mich beugen oder brechen?«

Mr. Dombey lächelte, wie er vielleicht auf die Frage gelächelt haben würde, ob er glaube, daß er zehntausend Pfund beschaffen könne.

»Wenn hierin etwas Ungewöhnliches liegt«, sagte sie, indem sie mit der Hand über die Stirn fuhr, ohne jedoch auch nur einen Augenblick ihren unbeweglichen und im übrigen ausdruckslosen Blick zu ändern, – »ich weiß, daß es hier ungewöhnliche Gefühle gibt«, – sie drückte die Hand auf ihre Brust und ließ sie dann wieder sinken, »so vergeßt nicht, daß in der Aussprache, die ich an Euch richten will, keine gewöhnliche Bedeutung liegt. Ja, ich habe wirklich im Sinn«, fügte sie wie in schneller Antwort auf etwas in seinem Gesicht bei, »eine Aussprache an Euch ergehen zu lassen.«

Mit einem leichten, herablassenden Senken seines Kinns, so daß die steife Halsbinde rauschte und krachte, setzte sich Mr. Dombey auf ein nahestehendes Sofa nieder, um ihren Worten Gehör zu schenken.

»Wenn Ihr glauben könnt, mein Wesen sei von der Art« – er meinte in ihren Augen Tränen glänzen zu sehen und wähnte selbstgefällig, er habe sie ihr entrungen, obschon keine auf ihre Wange niederfiel und sie ihn so fest wie je im Auge behielt – »daß meine nunmehrigen Worte, zu jedem Mann gesprochen, der mein Gatte geworden wäre, vor allem aber zu Euch gesprochen, mir selbst fast unglaublich erscheinen, so werdet Ihr vielleicht ein desto größeres Gewicht darauf legen. In das dunkle Ende, auf das wir lossteuern und dem wir wahrscheinlich nicht entrinnen, werden wir nicht bloß uns – denn dies wäre nicht viel –, sondern auch andere verstricken.«

Andere! Er wußte, was sie damit sagen wollte, und runzelte finster die Stirn.

»Ich spreche zu Euch um anderer willen. Auch Euret- und meinetwegen. Seit unserer Verheiratung seid Ihr anmaßend gegen mich gewesen, und ich habe Euch mit gleicher Münze bezahlt. Jeden Tag, jede Stunde zeigtet Ihr mir und unserer ganzen Umgebung, Ihr dächtet, daß ich durch den Bund mit Euch geehrt und ausgezeichnet sei. Ich bin nicht dieser Ansicht und habe es Euch auch gezeigt. Es scheint, Ihr begreifet nicht, oder es liege, soweit Eure Macht reicht, nicht in Eurer Absicht, daß jeder von uns einen gesonderten Weg gehen müsse, und erwartet statt dessen von mir eine Huldigung, zu der ich mich nie herablassen werde.«

Obschon ihr Gesicht wandellos dasselbe blieb, lag doch eine nachdrückliche Bekräftigung dieses »Nie« sogar in ihren Atemzügen.

»Ich fühle keine Liebe zu Euch: dies wißt Ihr. Wäre es der Fall, oder könnte ich es, so würdet Ihr Euch nicht darum kümmern. Ich weiß ebensogut, daß auch Ihr keine Liebe zu mir hegt. Doch wir sind aneinander gefesselt, und in den Knoten, der uns bindet, sind, wie gesagt, auch andere eingeschlossen. Wir beide müssen sterben; wir beide stehen bereits mit dem Tod in Verbindung, jedes von uns durch ein kleines Kind. Laßt uns gegenseitig nachsichtig sein!«

Mr. Dombey atmete tief auf, als wollte er sagen: »O, ist das alles?«

»Es gibt keinen Reichtum«, fuhr sie fort, und ihr Antlitz wurde blasser, während ihre auf ihm haftenden Augen einen erhöhten Glanz zeigten, »der mir diese Worte und den Sinn, der darin liegt, abkaufen könnte. Einmal weggeworfen als eitler Hauch, ist kein Reichtum und keine Macht mehr imstande, sie zurückzubringen. Es ist mir feierlich ernst damit: ich habe sie abgewogen und werde treulich an dem halten, was ich mir vornehme. Wenn Ihr mir Eurerseits Nachsicht versprechen wollt, so gebe ich Euch für mich dieselbe Zusage. Wir sind ein höchst unglückliches Paar, in dem aus verschiedenen Ursachen jedes Gefühl ausgerottet ist, das die Ehe rechtfertigt oder zu einem Segen macht. Gleichwohl könnte im Lauf der Zeit einige Freundschaft oder ein wenig gegenseitiges Anbequemen zu erzielen sein. Ich will versuchen, dies zu hoffen, wenn Ihr Euch gleichfalls Mühe geben wollt. Vielleicht mache ich von den Jahren meiner Reife einen besseren und glücklicheren Gebrauch, als das mit der Zeit meiner Jugend und meiner Blüte der Fall war.«

Sie hatte stets mit gedämpfter, einfacher Stimme gesprochen, die sich weder hob noch fiel. Nachdem sie zu Ende war, ließ sie die Hand sinken, auf die sie sich in ihrer leidenschaftslosen, bestimmten Gegenrede gestützt hatte, obschon ihr Auge sich nicht von ihm wandte.

»Madame«, versetzte Mr. Dombey mit seiner geschraubtesten Würde, »ich kann nicht auf einen so außerordentlichen Vorschlag eingehen.«

Sie sah ihn noch immer an ohne den mindesten Wechsel.

»Ich will in unserer Angelegenheit«, fuhr Mr. Dombey fort, indem er sich von seinem Sitz erhob, »über die Ihr meine Ansichten und Erwartungen vernommen habt, Mrs. Dombey, nicht zaudern oder mit Euch unterhandeln. Ihr habt mein Ultimatum vernommen, Madame, und ich muß Euch nur ersuchen, ihm Eure ernstlichste Aufmerksamkeit zuzuwenden.«

Wie ihr Gesicht den alten Ausdruck wieder annahm, nur vertieft in seiner Stärke! Wie ihre Augen sich senkten, als wollten sie den Anblick eines gemeinen, häßlichen Gegenstandes vermeiden! Welch ein Wetterleuchten auf der stolzen Stirn! Welche unwillige Verachtung, welcher entrüstete Abscheu, als der blasse, gleichförmige Ernst gleich einem Nebel verschwand! Er konnte alledem nicht ausweichen, obschon der Anblick unheimlich auf ihn wirkte.

»Geht, Sir!« sagte sie, mit gebieterischer Hand nach der Tür weisend. »Das erste und das letzte Vertrauen, das zwischen uns stattgefunden hat, ist zu Ende. Nichts kann uns fortan fremder gegeneinander machen, als wir es sind.«

»Madame«, versetzte Mr. Dombey, »verlaßt Euch darauf, daß ich, uneingeschüchtert durch allgemeine Deklamationen, den Weg gehen werde, zu dem ich berechtigt bin.«

Sie wandte ihm den Rücken zu und setzte sich, ohne ihm eine Antwort zu geben, vor ihrem Spiegel nieder.

»Ich hoffe, Ihr werdet Euch eines Besseren besinnen und mehr Eure Pflicht ins Auge fassen, Madame«, sagte Mr. Dombey.

Keine Silbe von ihren Lippen. Der Ausdruck, den ihr vom Spiegel zurückgeworfenes Gesicht ihm zeigte, gab so wenig Rücksicht auf ihn kund, als wäre er eine unbemerkte Spinne an der Wand oder ein Käfer auf dem Boden gewesen. Ja, als sie sich endlich von ihm abwandte, sah sie sogar aus, als hätte sie ihn wie das erwähnte ekelhafte Ungeziefer zertreten und für immer vergessen können.

Während er zur Tür hinausging, schaute er noch einmal auf das hell erleuchtete, reiche Zimmer, die überall umherliegenden schönen, funkelnden Gegenstände, die in ihrem kostbaren Gewand vor dem Spiegel sitzende Gestalt Ediths und das Gesicht zurück, das sich ihm im Spiegel zeigte. Dann begab er sich nach seinem alten Gedankenstübchen, von allen diesen Dingen im Geiste ein lebhaftes Bild mit fortnehmend und sich in unsteten Grübeleien ergehend, wie sie wohl aussehen dürften, wann er das nächste Mal ihrer ansichtig würde.

Im übrigen verhielt sich Mr. Dombey sehr schweigend und würdevoll, zuversichtlich darauf bauend, daß er sein Vorhaben durchsetzen könne. In dieser Stimmung beharrte er.

Er hatte nicht im Sinn, die Familie nach Brighton zu begleiten, sondern teilte am Morgen der Abreise, die ein paar Tage nach dem vorerwähnten Auftritt stattfinden sollte, Kleopatra beim Frühstück in Gnaden mit, daß man ihn bald erwarten dürfe. Es war hohe Zeit, Kleopatra nach einem Ort zu bringen, der als gesund empfohlen wurde, denn sie schien wahrhaft im letzten Viertel der Erdenlaufbahn zu stehen.

Ohne gerade einen entschiedenen zweiten Anfall erlitten zu haben, war es doch von ihrer ersten Genesung an mehr und mehr rückwärts mit ihr gegangen. Sie wurde sichtlich noch magerer und welker, ihre Geistesschwäche nahm zu, und ihr Gedächtnis verwirrte sich in der befremdlichsten Weise. Unter andern Anzeichen dieses letzteren Leidens verfiel sie in die Gewohnheit, die Namen ihrer beiden Schwiegersöhne, des lebenden und des toten, wirr durcheinander zu bringen, so daß sie in der Regel Mr. Dombey entweder »Grangeby« oder »Domber« nannte, bei Gelegenheit wohl auch beide Namen ohne Unterschied auf ihn anwendete.

Aber sie war jugendlich, noch sehr jugendlich, und so erschien sie auch vor ihrer Abreise in einem ausdrücklich bestellten Hut und in einem Reisekleid, das wie das eines alten Wickelkindes verbrämt und gestickt war, beim Frühstück. Es war nicht leicht, ihr das flugfertige Hütchen aufzusetzen oder es an der Hinterseite ihres armen, nickenden Kopfes festzuhalten, wenn es einmal angebracht war. Im gegenwärtigen Fall übte es nur die nicht sachgemäße Wirkung, daß es immer auf die eine Seite hing und stets von Flowers, der Zofe, die zu Verrichtung dieses Dienstes während des Frühstücks im Hintergrunde stand, an den Kopf zurückgedrückt werden mußte.

»Mein teuerster Grangeby«, sagte Mrs. Skewton, »Ihr müßt uns versp–« sie schnitt manche ihrer Worte kurz ab und ließ andere gar aus – »recht bald hinunterzukommen.«

»Ich habe Euch bereits gesagt, Madame«, versetzte Mr. Dombey laut und mühsam, »daß ich mich nach einem oder zwei Tagen einfinden werde.«

»Gott segne Euch, Dombey!«

Jetzt ergriff der Major, der gekommen war, um sich von den Damen zu verabschieden, und mit der uneigennützigen Ruhe eines unsterblichen Wesens durch seine schlagflüssigen Augen Mrs. Skewtons Gesicht musterte, das Wort:

»Alle Welt, Ma'am, Ihr ladet den alten Joe nicht ein, Euch zu besuchen?«

»Scheußlicher Wicht, von wem spricht er denn?« lispelte Kleopatra. Ein Klopfen auf dem Hut von seiten Flowers schien jedoch ihr Gedächtnis anzuspornen, und sie fügte bei: »O, Ihr meint Euch, Ihr garstiges Geschöpf!«

»Verteufelt seltsam, Sir«, flüsterte der Major Mr. Dombey zu. »Schlimmer Fall. Nie warm genug gekleidet.« Der Major war bis an das Kinn zugeknöpft. »Ei, wen sollte J. B. unter Joe anders meinen, als den alten Joe Bagstock – Joseph – Euern Sklaven – Joe, Ma'am? Hier! hier ist der Mann! hier sind Bagstocks Blasebälge, Ma'am!« rief der Major, sich einen dröhnenden Schlag auf die Brust versetzend.

»Meine liebe Edith – Grangeby – es ist ganz'erordentlich«, sagte Kleopatra verdrießlich, »daß Major –«

»Bagstock! J. B.« rief der Major, als er bemerkte, daß sie um seinen Namen verlegen war.

»Nun, es liegt nichts daran«, sagte Kleopatra, »Edith, meine Liebe, du weißt, daß ich mir die Namen nie merken konnte. Was wollte ich doch sagen? O! ganz 'erordentlich, daß so viele Leute mich da drunten zu besuchen wünschen. Ich gehe nicht auf lange. Ich komme wieder zurück. Sicherlich können sie warten, bis ich wieder hier bin!«

Kleopatra sah sich bei diesen Worten am ganzen Tisch um und schien sehr unruhig zu sein.

»Ich wünsche keine Besuche – brauche in der Tat keine Besuche«, sagte sie: »ein wenig Ruhe – und dergleichen – ist alles, was ich nötig habe. Keine garstige Bären dürfen mir kommen, bis ich diese Taubheit 'schüttelt habe.«

Und in greulicher Wiederaufnahme ihres koketten Wesens führte sie mit ihrem Fächer einen Stoß nach dem Major, traf aber statt dessen die in ganz anderer Richtung stehende Kaffeetasse des Mr. Dombey, die unter diesem Angriff überstürzte.

Dann beschied sie Withers vor und trug ihm auf, ja nicht zu vergessen, daß einige kleine Veränderungen in ihrem Zimmer vorgenommen werden sollten, die fertig sein müßten, ehe sie wieder zurückkomme. Er habe dies augenblicklich zu besorgen, da man nicht wissen könne, wie bald sie wieder hier sei; denn sie habe bei allerlei Personen so gar viele Besuche zu machen. Withers nahm diese Weisungen mit geziemender Ehrerbietung entgegen und verbürgte sich für ihre pünktliche Besorgung. Als er aber um einen oder zwei Schritte hinter ihr zurücktrat, schien es, als müsse er noch einen eigentümlichen Blick dem Major zuwerfen, der seinerseits gleichfalls mit einem eigentümlichen Ausdruck nach Mr. Dombey hinsah. Von diesem Beispiel angesteckt, betrachtete letzterer Kleopatra auch in eigentümlicher Weise, während dieser guten Dame das Hütchen über das eine Auge niederfiel und das von ihr gebrauchte Besteck auf dem Teller klapperte, als ob sie mit Kastagnetten spiele.

Nur Edith erhob ihr Auge nie zu irgendeinem Gesicht an dem Tisch und schien auch durch nichts ängstlich gemacht zu werden, was ihre Mutter sagte oder tat. Sie hörte ihrem unzusammenhängenden Gerede zu oder wandte wenigstens den Kopf gegen sie, wenn die Worte ihr galten, gab im Notfall eine leise einsilbige Erwiderung, unterbrach sie bisweilen, wenn die alte Dame allzusehr faselte, oder führte ihre Gedanken durch eine kurze Bemerkung nach dem Punkt zurück, von dem aus sie abgeschweift waren. So unsicher die Mutter übrigens auch in andern Dingen geworden war, blieb sie doch darin beständig, daß sie fast kein Auge von ihr verwandte. Sie schaute in das schöne Gesicht mit seiner strengen marmornen Ruhe bald in einer Art furchtsamer Bewunderung, bald in einem kichernden, törichten Versuch, es zu einem Lächeln zu bewegen, bald mit launenhaften Tränen und eifersüchtigem Kopfschütteln, als halte sie sich für vernachlässigt, stets aber mit einem bestimmten Bezug auf Edith, und der wechselte nicht, wie ihre andern Gedanken, sondern wirkte beharrlich fort. Von Edith konnte sie bisweilen in einer Weise, die sich wild genug ausnahm, nach Florence hin und dann wieder nach Edith zurückblicken. Mitunter versuchte sie auch, anderswohin zu schauen, als wolle sie dem Antlitz ihrer Tochter ausweichen. Aber ihr Auge schien nach diesem zurückgedrängt zu werden, obschon Ediths Blick den ihren nie unaufgefordert suchte.

Das Frühstück war zu Ende. Mrs. Skewton tat in gezierter Mädchenhaftigkeit, als wolle sie sich auf den Arm des Majors lehnen, mußte aber auf der andern Seite von Flowers, der Zofe, und von hinten durch Withers, den Pagen, kräftig unterstützt werden. So geleitet, gelangte sie nach dem Wagen, der sie, Florence und Edith nach Brighton bringen sollte.

»Und ist Joseph unbedingt verbannt?« sagte der Major, sein Purpurgesicht zum Kutschenschlag hineinsteckend. »Beim Henker, Ma'am, ist Kleopatra so hartnäckig, ihrem treuen Antonius Bagstock zu verbieten, daß er in ihre Nähe komme?«

»Fort mit Euch!« versetzte Kleopatra. »Ich kann Euch nicht ausstehen. Wenn Ihr Euch recht wacker aufführt, könnt Ihr mich besuchen, wann ich wieder zurückkomme.«

»Sagt Joseph, er dürfe in Hoffnung leben, Ma'am«, erwiderte der Major; »oder er wird in Verzweiflung sterben.«

Kleopatra schauderte und lehnte sich zurück.

»Edith, meine Liebe«, rief sie, »sage ihm –«

»Was?«

»So schreckliche Worte«, sagte Kleopatra. »Er braucht so schreckliche Worte!«

Edith bedeutete ihm mit einem Wink, er möchte zurücktreten, gab das Zeichen zur Abfahrt und überließ den anstößigen Major Mr. Dombey, zu dem dieser pfeifend zurückkehrte.

»Ich will Euch was sagen, Sir«, begann der Major, der, die Hände auf den Rücken gelegt, seine Beine weit spreizte, »eine schöne Freundin von uns hat ihr Quartier in einer wunderlichen Straße aufgeschlagen.«

»Was meint Ihr damit, Major?« fragte Mr. Dombey.

»Nichts anders, Dombey«, erwiderte der Major, »als daß Ihr bald eine Schwiegerwaise sein werdet.«

Mr. Dombey schien diese scherzhafte Bezeichnung seiner Person so wenig zu gefallen, daß der Major mit dem Pferdehusten schloß.

»Gott verdamm mich, Sir«, sagte der Major, »es hilft nichts, eine Tatsache zu bemänteln. Joe ist derb, Sir. Das liegt in seiner Natur. Wollt Ihr den alten Josh überhaupt haben, so müßt Ihr ihn nehmen, wie Ihr ihn findet; und Ihr werdet ein verteufelt rostiges altes Kratzeisen, eine scharfzahnige J. B.-Feile an ihm finden. Dombey«, fügte der Major bei, »die Mutter Eurer Gattin ist auf der Reise, Sir.«

»Ich fürchte«, versetzte Mr. Dombey mit philosophischer Ruhe, »daß Mrs. Skewton sehr leidend ist.«

»Leidend, Dombey?« entgegnete der Major. »Sie ist so gut wie hin.«

»Eine Luftveränderung übrigens«, fuhr Mr. Dombey fort, »und sorgfältige Pflege können noch viel tun.«

»Glaubt das nicht, Sir«, erwiderte der Major. »Hole mich der Kuckuck, sie hat sich nie warm genug gekleidet. Wenn man sich nicht ordentlich einhüllt«, fügte er hinzu, indem er einen weitern Knopf seiner hellgelben Weste zumachte, »so hat man nichts, auf was man sich verlassen könnte. Aber die Leute wollen sterben. Sie wollen es. Gott verdamm mich, sie wollen. Sie sind starrsinnig. Laßt Euch was sagen, Dombey. Vielleicht ist's nicht gerade zierlich und fein ausgedrückt; vielleicht sogar rauh und zäh, aber ein bißchen von dem echten altenglischen Bagstock-Urstoff, Sir, würde in der ganzen Welt der menschlichen Zucht trefflich zustatten kommen.«

Nachdem der Major, der jedenfalls echt blau war, was für andere Eigenschaften er auch haben mochte, um in die echt altenglische Klassifikation eingereiht werden zu können – diesen großartigen Witz gemacht hatte, trug er seine Hummernaugen und seine Gicht nach dem Klub, wo er den ganzen Tag über hustete.

Kleopatra, die das eine Mal ärgerlich, dann wieder selbstgefällig, bisweilen wach und dann wieder schläfrig, zu allen Zeiten aber sehr jugendlich war, langte noch am nämlichen Abend in Brighton an, fiel wie gewöhnlich in Stücke und wurde zu Bett gebracht. Eine düstere Phantasie hätte sich wohl ein gewaltiges Gerippe vorstellen können, das den Dienst der Jungfer versah, wie es ja auch im Geiste dort lauerte unter den rosenfarbigen Vorhängen, die man mitgenommen hatte, damit sie ihren Abglanz auf Mrs. Skewton ergössen.

In dem hohen Rate medizinischer Autoritäten war beschlossen worden, daß sie jeden Tag eine Spazierfahrt ins Freie machen sollte. Auch sei es sehr wichtig, daß sie täglich ein wenig gehe, wenn sie es könne. Edith war bereit, sie zu begleiten – stets dazu bereit mit derselben mechanischen Sorgfalt und unbeweglichen Schönheit – und sie fuhren allein aus; denn nun es mit ihrer Mutter schlechter wurde, fühlte sich Edith unruhig in Florences Nähe, weshalb sie derselben mit einem Kusse sagte, es wäre ihr lieber, wenn sie beide allein blieben.

Eines Tages befand sich Mrs. Skewton ganz besonders in jener unschlüssigen, gewalttätigen, eifersüchtigen Stimmung, die nach ihrer Genesung von dem ersten Anfall sich ausgebildet hatte. Als sie eine Weile schweigend in dem Wagen gesessen und Edith angesehen hatte, ergriff sie deren Hand und küßte sie leidenschaftlich. Die Hand wurde weder gegeben noch zurückgezogen, sondern verhielt sich leidend und sank, sobald sie frei gelassen war, gleichsam empfindungslos wieder nieder. Hierauf begann Mrs. Skewton zu wimmern und zu stöhnen; sie klagte, was sie für eine Mutter gewesen und wie sie jetzt so ganz und gar vergessen sei. Dies währte in launenhaften Zwischenräumen lange fort, als sie ausgestiegen waren und Mrs. Skewton, von Withers und einem Stocke unterstützt, neben Edith herging, während der Wagen langsam in einiger Entfernung nachfolgte.

Es war ein düsterer, kalter, windiger Tag, und sie befanden sich auf den Dünen, wo nur ein kahler Streifen Landes zwischen ihnen und dem Himmel lag. Die Mutter, die sich in der Eintönigkeit ihrer Klagen gefiel und diese von Zeit zu Zeit mit gedämpfter Stimme wiederholte, ging langsam neben der stolzen Gestalt ihrer Tochter her, bis sie über einen dunkeln Hügelrücken weggekommen waren, wo sie in einiger Entfernung ein paar Gestalten erblickten, in denen Edith eine so treffende karikierte Nachbildung ihrer selbst erkannte, daß sie stehen blieb.

In demselben Augenblick machten auch die zwei Personen halt. Die eine, die Edith wie ein verzerrter Schatten ihrer Mutter vorkam, sprach angelegentlich mit der andern und deutete nach ihnen herüber. Sie schienen geneigt zu sein, umzukehren. Aber die andere, in der Edith eine so große Ähnlichkeit mit sich selbst bemerkte, daß sie von einem ungewöhnlichen, mit Furcht untermengten Gefühl überwältigt wurde, kam heran, während ihre Begleiterin sich an sie anschloß.

Edith hatte das meist während des Gehens bemerkt, da sie nur für einen Augenblick stehengeblieben war. Eine nähere Betrachtung zeigte ihr, daß die beiden Personen nach Weise herumziehenden Landvolkes sehr ärmlich gekleidet waren. Die jüngere Frau trug Strickwaren und ähnliche Gegenstände zum Verkauf bei sich, die Alte aber mühte sich mit leeren Händen weiter.

Welcher Abstand auch in Kleidung, Würde und Schönheit vorhanden war, Edith konnte doch nicht anders, als noch immer die jüngere Frau mit sich selbst zu vergleichen. Möglich, daß sie auf ihrem Gesicht auch einige Züge sah, die, wie sie wußte, in ihrer eigenen Seele harrten, wenn sie sich auch nicht äußerlich kund gaben. Als aber die Fremde herankam, in Erwiderung von Ediths Blick ihre leuchtenden Augen auf sie heftete und, in Haltung und Statur ihr so ganz ähnlich, sogar mit ihren Gedanken in eine Wechselbeziehung zu treten schien, – da überflog das schönere Gegenbild der Unbekannten ein Frösteln, als ob der Tag sich in Nacht hülle und der Wind kälter werde.

Die Fremden waren nun ganz herangekommen. Die Alte streckte zudringlich ihre Hand aus und blieb stehen, um bei Mrs. Skewton zu betteln. Auch die jüngere machte halt. Sie und Edith sahen sich gegenseitig in die Augen.

Illustration

»Was habt Ihr zu verkaufen?« fragte Edith.

»Nur dies«, versetzte die Angeredete, indem sie ihre Waren feilbot, ohne danach hinzusehen. »Mich selbst habe ich längst verkauft.«

»Meine Lady, glaubt ihr nicht«, krächzte die Alte Mrs. Skewton zu: »glaubt nicht, was sie sagt. Es macht ihr Freude, so zu sprechen. Sie ist meine schöne, undankbare Tochter und überhäuft mich nur mit Vorwürfen, meine Lady, für alles, was ich an ihr getan habe. Schaut sie nur an, meine Lady, welche Blicke sie ihrer armen alten Mutter zuwirft.«

Als Mrs. Skewton mit zitternder Hand ihre Börse herauszog, um daraus hastig etwas Geld zu nehmen, dem die andere Alte mit Gier entgegensah, – in ihrer Hast und Gebrechlichkeit berührten sich beinahe die beiden Köpfe – nahm Edith wieder das Wort.

»Ich habe Euch schon früher gesehen«, sagte sie zu der Alten.

»Ja, meine Lady«, entgegnete die Alte mit einem Knix. »In Warwickshire drunten. An jenem Morgen unter den Bäumen. Als Ihr mir nichts geben wolltet. Aber der Gentleman – er gab mir etwas. O, vergelt ihm, vergelt es ihm Gott!« murmelte die Alte, indem sie ihre runzelige Hand hinhielt und fürchterlich nach ihrer Tochter hingrinste.

»Versuch' nicht, mich zurückzuhalten, Edith!« sagte Mrs. Skewton, verdrießlich einer Einwendung ihrer Tochter vorgreifend. »Du verstehst nichts davon, und ich lasse mir nicht abraten. Das ist bestimmt eine treffliche Frau und eine gute Mutter.«

»Ja, meine Lady, ja«, plapperte die Alte, ihre habgierige Hand ausstreckend. »Danke, meine Lady. Gott vergelte es Euch, meine Lady. Wieder sechs Pence, meine hübsche Lady. O, Ihr seid zuverlässig selbst eine gute Mutter.«

»Und ich versichere Euch, mein gutes altes Geschöpf, eine Mutter, die bisweilen gleichfalls undankbar genug behandelt wird«, versetzte Mrs. Skewton wimmernd. »Da! gebt mir Eure Hand. Ihr seid ein sehr gutes Geschöpf – voll, von wie nennt man's doch – und dergleichen. Ihr seid ganz Liebe et cetera – ist es nicht so?«

»O ja, meine Lady!«

»Ich wußte es, und so ist auch jener kavalierhafte Mensch, Grangeby. Ich muß Euch in der Tat noch einmal die Hand drücken. So, jetzt könnt Ihr gehen; und ich hoffe«, sie wandte sich dabei an die Tochter, »Ihr werdet fortan mehr Dankbarkeit, natürliches wie nennt man's doch und all dergleichen mehr – ach, ich kann mir die Namen nie merken – zeigen, denn es hat nie eine bessere Mutter gegeben, als das gute alte Geschöpf da gegen Euch gewesen ist. Komm, Edith!«

Während die Ruine der Kleopatra wimmernd weiter wankte und sich sentimental und vorsichtig wegen des aufgelegten Rots die Augen wischte, humpelte die Alte, die ihr Geld zählte, mit wackelndem Kinn nach der entgegengesetzten Richtung weiter. Kein Wort, keine Gebärde weiter war zwischen Edith und der jüngeren Frau ausgetauscht worden. Aber sie hatten keinen Augenblick die Augen von einander verwandt. So blieben sie sich gegenüber stehen, bis Edith, wie aus einem Traum erwachend, langsam weiter ging.

»Ihr seid eine schöne Frau«, murmelte ihr Schatten, der ihr nachblickte; »aber das gute Aussehen wird Euch nicht retten. Und Ihr seid eine stolze Frau; aber auch der Stolz wird Euch nicht retten. Wir werden einander wohl kennen, wenn wir uns wiedersehen!«

 


 << zurück weiter >>