Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Am achten Tage mußten wir einen unserer treuen Diener, einen von den Stieren, die unser Gepäck trugen, schlachten. Das Fleisch dieses Tieres war sehr gut, wir gingen aber so sparsam damit um, daß es für drei und einen halben Tag für uns alle ausreichte, und nach Ablauf dieser Zeit waren wir schon im Begriff einen zweiten zu töten, als wir einer Landschaft ansichtig wurden, die besser zu werden versprach, da sich nunmehr hohe Bäume und ein großer Fluß, der sich zwischen ihnen hinzog, blicken ließ.
Dies ermutigte uns, und wir beschleunigten unsern Marsch trotz unserer leeren Mägen und unserer Ermattung, um möglichst bald das Flußufer zu erreichen.
Als wir an dem Flusse anlangten, fanden wir, daß er gleichfalls nach Norden lief wie die früheren. Der Fluß entsprach unserer Hoffnung, ihn für einen Kahn benutzen zu können, nicht und wir mußten noch weitere fünf Tage an seinem Ufer hinwandern, bis er sich so weit verstärkte, daß es unsere Zimmerleute passend fanden, die Zelte aufzuschlagen und ans Werk zu gehen. Es wurde nun rüstig gearbeitet und man hatte bereits fünf Tage auf die Behauung eines Baumstammes verwendet, als einige unserer Leute, welche den Fluß abwärts untersucht hatten, mit der Nachricht zurückkamen, daß die Tiefe des Bettes eher ab- als zunähme, da sich das Wasser wahrscheinlich im Sande verliere oder in der Hitze verdunste. Da wir nun bald zu der Überzeugung gelangten, daß der Fluß nicht imstande wäre, auch nur den leichtesten Baumkahn weiter zu bringen, sahen wir uns genötigt, unser Vorhaben aufzugeben und unsere Wanderung zu Fuß fortzusetzen.
Wir zogen drei Tage gerade nach Westen, da die Gegend im Norden außerordentlich bergig und der Boden so ausgedorrt und zerrissen war, wie wir es noch nie gesehen hatten. Dagegen fanden wir in westlicher Richtung einen lieblichen Talgrund, der eine lange Strecke zwischen zwei hohen Gebirgsreihen hinlief. Die Berge hatten allerdings ein unheimliches Aussehen, denn sie waren ganz von Gras und Bäumen entblößt und erschienen wegen ihres dürren Sandbodens fast weiß, aber in dem Tale fanden sich Bäume, auch Gras zur Nahrung für die Tiere und einiges Wild.
Wir kamen hin und wieder an Hütten von Eingeborenen vorbei und sahen auch Leute in ihrer Nähe, aber sie flüchteten sich in die Berge, sobald sie unser ansichtig wurden. Am Ende dieses Tales trafen wir auf einen mehr bevölkerten Landstrich, und wir waren anfangs im Zweifel, ob wir unsern Zug durch denselben richten oder ob wir uns mehr nördlich an die Berge halten sollten. Da jedoch unser Hauptziel der Weg nach dem Niger war, so entschieden wir uns für das letztere, wodurch der Nordweststrich des Kompasses unsere Richtung wurde. Wir marschierten so sieben Tage ohne Unterbrechung weiter, als uns eine überraschende Erscheinung aufstieß, die noch weit verlassener und trostloser als wir war.
An dem jenseitigen Ufer dieses Baches bemerkten wir ein paar Negerhütten, in einer kleinen Niederung war Mais oder indianisches Korn angepflanzt, was uns sogleich auf den Gedanken brachte, daß dort weniger barbarische Bewohner hausen müßten als diejenigen, die wir auf unserer bisherigen Wanderung getroffen hatten.
Als unsere Karawane geschlossen vorrückte, riefen unsere Neger, welche den Vortrab bildeten, daß sie einen weißen Mann sähen. Wir waren anfangs nicht sonderlich darüber aufgeregt, denn wir dachten, der Lärm beruhe auf einer Täuschung, weshalb wir sie auch nur fragten, was sie damit sagen wollten. Nun trat aber einer derselben auf mich zu und deutete nach der andern Seite des Berges, wo ich zu meinem nicht geringen Erstaunen einen ganz nackten weißen Menschen sah, der in der Nähe der Tür seiner Hütte ganz emsig damit beschäftigt war, mit einem Werkzeug in der Hand den Boden zu bearbeiten. Da er gebückt dastand und uns den Rücken zukehrte, so konnte er uns nicht sehen.
Ich bedeutete den Negern keinen Lärm zu machen und wartete, bis mehr von den unsrigen herangekommen wären, um uns durch den Augenschein zu überzeugen, daß hier von keiner Täuschung die Rede sein könne, wovon sich alsbald alle um so mehr überzeugten, als jetzt der Mann, der uns gehört haben mochte, sich umwandte und, wohl ebenso überrascht wie wir, zu uns hersah – ob in Furcht oder in Hoffnung, konnten wir jetzt freilich noch nicht wissen.
Sobald er uns bemerkt hatte, sahen die übrigen Bewohner der Hütte gleichfalls her und drängten sich, die neugierigen Blicke nicht von uns abwendend, auf einen Haufen zusammen. Eine kleine Strecke, in deren Mitte der Bach floß, lag zwischen uns, und der weiße Mann wußte, wie er uns später erzählte, nicht, ob er und die um ihn waren bleiben oder davonlaufen sollten. Es fiel mir jedoch augenblicklich ein, daß es uns einem Weißen gegenüber viel leichter würde, eine Verständigung einzuleiten, als dies bei den Negern der Fall war, und so sandten wir denn zwei unserer Schwarzen mit einem weißen Lappen an einem Stabe als Friedenszeichen an den Bach, indem wir ihnen die Weisung gaben, die Flagge so hoch wie möglich zu tragen. Das Zeichen wurde alsbald verstanden, und der Weiße kam nun mit zwei Negern an die andere Seite des Baches. Ich ging daher, wie sich leicht denken läßt, mit aller Hast nach dem Bache und fand in dem Nackten einen Engländer, worauf wir uns herzlich umarmten, daß ihm die Tränen übers Gesicht rannen. Seine Überraschung mag sich jeder vorstellen, wenn er den kurzen Bericht liest, den er uns später über seine höchst elende Lage gab, und damit die unerwartete Hoffnung einer endlichen Erlösung verbindet, die unter Umständen eintrat, wie sie vielleicht nie einem andern Menschen begegnet waren, denn es war eine Million gegen einen Heller zu wetten, daß der Arme auf jede Rettung hätte verzichten müssen. Nur ein Abenteuer, wie schwerlich vorher eines gehört oder gelesen worden, konnte diesen glücklichen Fall für ihn herbeiführen, wenn nicht etwa der Himmel sich durch ein unerwartetes Wunder ins Mittel legte.
Es stellte sich heraus, daß er ein Mann von Stand und weit über die Bildung des gewöhnlichen Matrosen oder Arbeiters erhaben war, was schon im ersten Augenblicke unserer Begegnung, trotz der Nachteile seiner erbärmlichen Lage, aus seinem Benehmen hervorging.
Er mochte nicht über siebenunddreißig oder achtunddreißig Jahre zählen, obgleich sein Bart außerordentlich lang war und die Haare seines Kopfes ihm bis auf die Mitte des Rückens und der Brust herunterfielen. Seine Haut war sehr zart, obgleich mißfarbig und an einigen Stellen von einem harten bräunlichen Blasenschorfe bedeckt, der eine Wirkung der sengenden Sonne war. Er trug gar keine Kleider und mußte sich, wie er uns sagte, schon seit Jahren ohne sie behelfen.
Er war über unser Erscheinen so entzückt, daß er an diesem Tage sich in kein eigentliches Gespräch einzulassen vermochte, und wenn er ein wenig von uns abkommen konnte, so sahen wir ihn auf einem einsamen Spaziergange die ausschweifendsten Merkmale einer nicht zu bewältigenden Freude kundgeben. Selbst einige Tage nachher noch blieb sein Auge nie tränenleer, so oft von uns auch nur die mindeste Andeutung auf seine Lage oder von ihm auf seine Befreiung gemacht wurde.
Wir fanden sein Benehmen sehr gewinnend, und in allem, was er tat oder sagte, sprach sich die feine Bildung und die gute Erziehung des Mannes aus, weshalb auch unsere Leute ungemein für ihn eingenommen waren. Er hatte die Universität besucht, war ein guter Mathematiker, und obwohl er nicht portugiesisch verstand, sprach er doch lateinisch mit unserm Wundarzt, und Französisch und Italienisch mit einem oder dem andern aus unserer Gesellschaft.
Die Fülle seiner Gedanken ließ ihm keine Zeit uns zu fragen, woher wir kämen, wohin wir gingen, und wer wir wären, da er mit der Antwort hierauf schon im Reinen war; denn für ihn konnten wir natürlich nirgends anders herkommen als vom Himmel und mußten ausdrücklich mit dem Auftrage abgesandt worden sein, ihn aus seiner jammervollen Lage zu erretten.
Als unsere Leute auf der andern Seite des Baches die Zelte aufschlugen, fragte der Engländer, was für Vorräte wir hätten und in welcher Weise wir dieselben zu ergänzen gedächten. Auf unsere Mitteilung, daß sie nur sehr gering wären, sagte er, er wolle mit den Eingeborenen verhandeln und sie veranlassen, uns Proviant in zureichender Menge herbeizuschaffen, denn sie wären die gefälligsten und gutmütigsten Leute unter allen Bewohnern dieser Landstriche, was sich schon aus dem Umstande entnehmen ließe, daß er so lange ungefährdet unter ihnen gelebt hätte.
Wir verdankten diesem Manne wesentliche Vorteile, denn erstlich unterrichtete er uns genau über die Ortslage, in der wir uns befanden, und über die Richtung, welche wir einzuschlagen hätten, dann setzte er uns in den Stand, uns genügend mit Lebensmitteln zu versehen, und endlich übernahm er die Dienste eines Dolmetschers und Vermittlers zwischen uns und den Eingeborenen, die jetzt sehr zahlreich und weit kriegerischer und disziplinierter zu werden begannen, auch waren sie nicht so leicht durch unsere Schießwaffen einzuschüchtern und nicht so unwissend, um ihre Mundvorräte für den Tand, welchen unser Künstler verfertigte, wegzugeben, denn ihr Verkehr mit den Europäern an der Küste oder mit Negern, die mit diesen in Berührung gekommen, hatte sie über manches aufgeklärt und ihnen die allzu große Furcht benommen, so daß von ihnen auf dem Wege des Tausches nur für solche Dinge etwas zu bekommen war, die ihnen besonders gefielen.
Ich spreche hier von den Eingeborenen, mit welchen wir demnächst in Berührung kommen sollten, denn diejenigen, unter denen wir vor der Hand lebten, waren, da sie über dreihundert Meilen von der Küste entfernt wohnten, nicht sehr mit solchen Dingen bekannt, da ihr ganzer Verkehr mit den Europäern darin bestand, von dem Gebirge im Norden Elefantenzähne sechzig bis siebzig Meilen abwärts zu schaffen, wo sie dieselben an andere Neger gegen Muschelgeld, Korallenschnüre, Spiegel, Glöckchen und sonstige Spielgeräte, welche die Engländer, Holländer und andere Europäer bei ihrem Verkehr mit den Schwarzen als Tauschmittel benutzten, verkauften.
Wir wurden nachgerade mit unsern neuen Bekannten vertrauter, und obgleich wir in unserm Anzug selber nur eine klägliche Figur spielten, da wir weder Schuhe noch Strümpfe, geschweige denn Handschuhe oder Hüte, und auch nur sehr wenige Hemden besaßen, so kleideten wir ihn doch so gut, als es gehen mochte. Unser Wundarzt, der mit Rasiermesser und Schere versehen war, nahm ihm den Bart ab, schnitt ihm die Haare, und statt des Hutes verfertigten wir ihm aus einem Stück Leopardenhaut eine ganz artige Mütze. Was die Schuhe und Strümpfe anbelangte, so hatte er dieselben lange genug entbehren müssen, so daß er sich nicht einmal etwas aus unsern Halbstiefeln oder Fußhandschuhen, wie wir sie nannten, machte.
So neugierig er allmählich wurde, die Geschichte unserer Abenteuer zu vernehmen, deren Bericht er mit großem Vergnügen anhörte, so begierig waren wir zu erfahren, wie er an diesem fremden Orte in die Lage gekommen war, in der wir ihn angetroffen hatten. Seine Geschichte wäre lang und unterhaltend genug, um damit ebenso viele Blätter zu füllen als mit meiner eigenen, da in ihr viele höchst merkwürdige und außerordentliche Erlebnisse vorkommen, ich kann jedoch hier nicht allzu weit abschweifen und gebe deshalb das Wesentlichste derselben in einem kurzen Umrisse.
Er war Geschäftsleiter bei der englischen Guineakompagnie auf Sierra Leone oder einer andern englischen Niederlassung gewesen, die aber in die Hände der Franzosen fiel, ein Unfall, der ihn sowohl seiner eigenen Habe als der ihm von der Gesellschaft anvertrauten Summen beraubte. War es nun, daß die Gesellschaft ihn ungerecht behandelte und ihm den Ersatz seiner Verluste verweigerte, oder daß sie ihn nicht weiter beschäftigen wollte – kurz er verließ ihren Dienst und trieb ein ähnliches Geschäft auf eigene Rechnung. Als er sich einmal unvorsichtigerweise in eine Niederlassung der Gesellschaft wagte, fiel er entweder infolge von Verrat oder infolge eines gelegentlichen Überfalls in die Gewalt eines Negerhaufens. Da sie ihn nicht töteten, so fand er mit der Zeit Mittel, ihnen zu entkommen und sich zu einem andern Negerstamme zu flüchten, der ihn freundlich behandelte und unter sich wohnen ließ. Die Gegend sowohl als die Gesellschaft sagte ihm indes wenig zu, und so flüchtete er aufs neue, wobei er zu verschiedenen Malen seine Wirte wechselte, bald durch Gewalt, bald durch Furcht zu solchen Schritten veranlaßt, bis er endlich so weit ins Innere des Landes gekommen war, daß er an eine Rückkehr nicht mehr denken konnte. Er hatte sich an dem Orte, wo wir ihn fanden, niedergelassen, da ihn der Häuptling des dortigen Stammes freundlich aufnahm, wogegen er die Eingeborenen über den Wert der Landesprodukte belehrte und ihnen Anweisungen für den erfolgreichen Betrieb ihres Elfenbeinhandels gab.
Wie es ihm an Kleidern fehlte, so arm war er auch an Schutzwaffen, denn er hatte weder Flinte noch Säbel, kurz kein Werkzeug, nicht einmal einen Stock, womit er auch nur den Angriff eines wilden Tieres, deren es in dieser Gegend eine Menge gab, hätte abwehren können. Wir fragten ihn, wie es käme, daß er gar so wenig Rücksicht auf seine Sicherheit nähme, worauf er uns erwiderte, daß er bei seiner Sehnsucht nach dem Tode das Leben keiner Verteidigung wert erachtet habe, auch würde das Vertrauen der Neger, deren Gnade er anheim gegeben war, durch den Besitz einer Waffe, womit er sie hätte beschädigen können, geschmälert worden sein. Vor wilden Tieren hätte er sich indes nicht zu fürchten brauchen, da er sich äußerst selten und dann jedesmal in Gesellschaft des Häuptlings und seiner Begleiter von seiner Hütte entfernte, die stets mit Bogen, Pfeilen und Lanzen bewaffnet, jedem Tiere, den Löwen nicht ausgenommen, Trotz bieten könnten. Außerdem ließen sich die Raubtiere selten bei Tage blicken, und wenn die Neger bei ihren Wanderungen die Nacht über im Freien zubrächten, so schlügen sie immer eine Hütte zu ihrem Schutze auf, an deren Tür sie ein Feuer brennen ließen, welches hinreichende Sicherheit gewährte.
Wir fragten ihn, was wir zunächst tun sollten, um die Küste zu erreichen, worauf er uns erklärte, wir wären ungefähr hundertundzwanzig Tage von dem Teile derselben entfernt, wo sich die meisten europäischen Niederlassungen und Faktoreien befänden, und der den Namen Goldküste habe, es lägen aber so viele verschiedene Negerstämme auf dem Wege, daß wir entweder fast ohne Unterlaß kämpfen oder aus Mangel an Vorräten Hungers sterben müßten. Es gäbe indes noch zwei andere Wege, die er versucht haben würde, wenn ihm durch Gesellschaft die Flucht erleichtert worden wäre: der eine ginge geradenwegs nach Westen, er wäre zwar länger, führte aber durch weniger bewohnte Gegenden – jedenfalls wäre die Bevölkerung umgänglicher oder leichter zu bezwingen – der andere wäre, den großen Fluß aufzusuchen, auf dem man, wenn man ihn erreichte, auf Baumkähnen stromabwärts fahren könnte. Wir sagten ihm, wir hätten das letztere, schon ehe wir ihn getroffen, beabsichtigt, worauf er uns mitteilte, daß wir bis dahin eine große Wüste und eine nicht geringere Waldwildnis zu durchqueren hätten, was zum mindesten zwanzig starke Tagemärsche erfordern dürfte.
Wir fragten ihn sodann, ob es in der Gegend wohl Pferde, Esel oder auch nur Stiere gäbe, die sich bei der Reise verwenden ließen, und zeigten ihm dabei unser eigenes Lastvieh, aber da war nichts von der Art in dem Lande, wo wir waren, zu finden.
Er sagte uns, in dem erwähnten großen Walde wimmele es von Elefanten, und in der Wüste von Löwen, Tigern, Panthern, Leoparden und dergleichen, auch holten aus diesen beiden Bereichen die Neger ihre Elefantenzähne und dürften darauf rechnen, nie ohne eine schöne Ausbeute zurückzukommen.
Wir erkundigten uns noch weiter über den Weg nach der Goldküste und namentlich, ob sich keine Flüsse vorfänden, die uns die Reise erleichtern könnten, indem wir ihm zugleich sagten, daß uns die Kämpfe mit den Negern nicht besonders anfechten würden, und wir auch keine Angst vor dem Verhungern hätten, denn sobald nur die Eingeborenen etwas zu essen hätten, wären wir wohl überzeugt, auch einen Teil davon zu bekommen. Wenn er sich also getraute, uns den Weg zu zeigen, so trügen wir kein Bedenken, die Reise zu unternehmen, wie wir denn auch für ihn sorgen und mit ihm leben und sterben wollten.
Er versicherte uns seiner Willfährigkeit, denn wenn wir entschlossen wären das Wagestück zu bestehen, so dürften wir auch auf ihn bauen, daß er unser Schicksal teilen und sich Mühe geben würde uns einen Weg zu führen, auf dem wir einigen gutmütigen Negerstämmen begegneten, von denen wir uns nicht nur einer freundlichen Behandlung, sondern vielleicht auch ihres Beistandes gegen andere weniger umgängliche zu versehen hätten. Und so entschieden wir uns sämtlich für den Zug nach der Goldküste.
Am nächsten Morgen kam er wieder zu uns, und da wir alle gerade zur Beratung versammelt waren, so begann er eine sehr ernste Rede. Nachdem wir nach einer langen Wanderung endlich zu der Aussicht einer baldigen Beendigung aller unserer Mühseligkeiten gekommen wären, und ihm das freundliche Anerbieten gemacht hätten, ihn mitzunehmen, sagte er, so hätte er die ganze Nacht darüber nachgedacht, wie wir es angreifen müßten, um uns für die ausgestandenen Beschwerden und Gefahren einigermaßen zu entschädigen. So wild und verödet die Gegend, in der wir uns befänden, aussähe, so wäre sie doch eine der reichsten Teile der Erde, denn es gäbe hier keinen Bach, der nicht Gold führte, und keine Wüste, die nicht ohne Pflug eine reiche Ernte von Elfenbein böte. Man könne nicht wissen, welche Minen und welche unermeßlichen Goldvorräte die Gebirge, von welchen diese Flüsse kämen, oder die Ufer, welche dieselben umsäumten, enthielten, aber man dürfe aus der Tatsache ihres ungeheuren Reichtums einen Schluß ziehen, daß die Wasser hinreichende Mengen abwüschen, um so viele europäische Handelsschiffe an die Küste zu locken. Wir fragten ihn, wieweit sich dieser ergiebige Bereich erstrecke, da der Verkehr der Schiffe doch nur auf die Küstenstriche beschränkt sei, worauf er uns mitteilte, daß die Neger die Flüsse bis auf hundertundfünfzig und zweihundert Meilen landeinwärts durchsuchten und oft mehrere Monate ausblieben, aber stets mit reicher Ausbeute zurückkämen. Unser derzeitiger Aufenthaltsort sei jedoch noch immer unbesucht geblieben, obgleich sich Gold in Menge vorfinde. Er sagte uns ferner, daß er seit seiner Ankunft in dieser Gegend wohl hundert Pfund Gold hätte zusammenbringen können, wenn er darauf ausgegangen wäre, da er aber nichts damit anzufangen gewußt hätte, so habe er es gänzlich versäumt, weil er bereits jede Hoffnung auf Errettung aus seiner traurigen Lage aufgegeben. Von welchem Vorteil wäre es für mich gewesen, fügte er hinzu, oder wie würde es zu meinem Glücke beigetragen haben, wenn ich auf einer ganzen Tonne Goldsand hätte liegen und mich darauf wälzen können? Alle diese Schätze hätten mich nicht froher machen noch meinen traurigen Zustand verbessern können. Ja, ich hätte mir dafür nicht einmal Kleider für meinen Leib oder einen Trunk für die verschmachtende Zunge kaufen können. Hier hat Gold keinen Wert, und es gibt keinen unter allen Bewohnern dieser Hütten, der es nicht händevollweise für ein paar Glasperlen, eine Strahlmuschelschale oder für eine Handvoll Muschelgeld hergeben würde.
Nach diesen Worten stellte er einen tönernen Topf, der in der Sonne getrocknet war, vor uns hin und sagte: Hier ist etwas, und ich hätte mir, wenn ich gewollt, ganze Haufen davon verschaffen können. Das Gefäß mochte ungefähr zwei oder drei Pfund Goldsand von derselben Form und Farbe wie der früher gefundene, enthalten, und nachdem wir denselben eine Weile betrachtet hatten, fuhr er lächelnd fort, daß alles, was er besitze, ja sogar sein Leben, seinen Befreiern zu Gebote stünde, dieses Gold werde uns von einigem Nutzen sein, wenn wir in unsere Heimat gelangt sein würden, weshalb er wünsche, daß wir es unter uns teilten, in diesem Augenblicke bedaure er indes zum ersten Male, nicht mehr gesammelt zu haben.
Ich verdolmetschte meinen Kameraden seine Worte und dankte ihm in ihrem Namen, riet jedoch den ersteren in portugiesischer Sprache, die Annahme des Geschenks auf den morgigen Tag zu verschieben, und da ihnen dies genehm war, so sagte ich ihm, wir wollten hierüber das weitere morgen besprechen, worauf wir uns trennten.
Als er fort war, fand ich meine Begleiter höchlich erbaut von den Worten meines Landsmannes, von der Großmut desselben und dem hohen Werte seines Geschenks, das unter anderen Verhältnissen allerdings ein außerordentliches gewesen wäre. Um indes nicht weitläufig zu werden, teile ich dem Leser mit, daß wir in Betracht des Umstandes, daß er jetzt zu den unsrigen gehörte, und obgleich wir ihm zu einem Entkommen aus seiner grauenhaften Lage behilflich waren, er uns als Wegweiser durch den übrigen Teil des Festlandes als Dolmetscher, als Berater, wie wir die Eingeborenen zu behandeln hätten, und als Führer nach den Plätzen, wo die Reichtümer der Gegend aufgestapelt lagen, nützlich werden konnte – in Anbetracht dieser Umstände kamen wir überein, sein Gold in unsern gemeinschaftlichen Schatz zu legen und ihn an demselben gleichen Anteil nehmen zu lassen, wogegen er, da nun sein Schicksal eins mit dem unsrigen wäre, wie jeder der Gesellschaft die feierliche Verbindlichkeit eingehen sollte, kein Körnchen von dem noch aufzufindenden Golde vor den übrigen geheim zu halten.
In den ersten anderthalb Tagen brachten unsere Leute ungefähr sechsunddreißig Lot Gold zusammen, und da wir fanden, daß der Goldgehalt des Flußsandes sich vermehrte, je weiter wir kamen, so folgten wir der Wasserrichtung, bis wir an ein anderes kleines Flüßchen kamen, welches in das erstere einmündete, und in dem wir, als wir es stromaufwärts untersuchten, gleichfalls Gold fanden. An dem durch diese beiden Flüsse gebildeten Winkel schlugen wir nun, um Gold zu waschen und um unsere Proviantmagazine wieder zu füllen, unser Lager auf.
Wir blieben hier weitere dreizehn Tage, und in dieser Zeit begegneten uns manche lustige Abenteuer mit den Wilden, die ich hier aber übergehe; weil sie zu weit von dem Gange unserer Geschichte abführen und den Leser nicht durch den Reiz der Neuheit bestechen würden.
In der Zwischenzeit betrieben wir unter Beihilfe der Neger emsig unsere Goldwäscherei, und unser kunstreicher Schmied, der durch die Übung so gewandt geworden war, daß er das Metall in alle Formen zu zwängen wußte, hämmerte und feilte wacker darauf los. Er bildete Elefanten, Tiger, Zibetkatzen, Strauße, Adler, Kraniche, sonstige Vögel, Fische, kurz alles, was ihm einfiel, in dünnen Goldblechen, denn Silber und Eisen waren fast gänzlich verbraucht.
In einem der Orte dieser wilden Volksstämme wurden wir sehr freundlich von dem König aufgenommen, und da er eine große Freude an dem von unserm Schmied verfertigten Tand hatte, so verkaufte ihm derselbe einen aus dünnem Goldblech geschnittenen Elefanten zu einem ungeheuren Preise, indem die Negermajestät in ihrem Entzücken nicht eher ruhig war, bis er fast eine Handvoll Goldstaub, wie sie es nannten, dafür gegeben hatte. Diese mochte ungefähr 24 Lot wiegen, während der goldene Elefant kaum für einen Louisdor, eher weniger als mehr, Gold enthielt. Unser Künstler war so ehrlich all dies Gold in den gemeinschaftlichen Schatz zu legen, obgleich seine Kunst und seine Mühe ihn für solche Erwerbungen billigerweise bevorzugt hätte, aber wir hatten in der Tat auch nicht den mindesten Grund, bei solchen Anlässen knickerig zu sein, denn unser Führer sagte uns, wir wären stark genug, um uns zu verteidigen, und da wir hier bleiben könnten, solange es uns gut dünkte, so könnten wir mit der Zeit jeder wohl hundert Pfund Gold zusammenbringen, wenn wir nur wollten. Er fügte noch hinzu, daß er sich wohl ebensosehr nach der Heimat sehne als irgendeiner von uns, wenn wir aber unsern Marsch etwas nach Südost richteten und einen geeigneten Platz für unser Hauptquartier aussuchten, so würden wir Mundvorrat in Menge finden, so daß wir uns von dort aus in den Flüssen der Gegend verteilen konnten, ein Aufenthalt von zwei oder drei Jahren müßte uns einen unberechenbaren Gewinn abwerfen.
So verführerisch auch dieser Vorschlag war, so sagte er doch keinem von uns zu, denn es war uns mehr darum zu tun nach Hause zu kommen als reich zu werden, da uns die über ein Jahr dauernde Reise durch Wüsten und Horden von wilden Bestien aufs äußerste erschöpft hatte.
Die Zunge unseres neuen Bekannten barg jedoch eine Art von Zauber, dem sich nicht widerstehen ließ, denn seine Gründe waren schlagend und seine Beredsamkeit hinreißend. Er sagte uns, es wäre unklug, die Früchte unserer Mühen nicht einzuheimsen, nun die Ernte da wäre. Wir sollten nur bedenken, welchen Gefahren und Kosten die Europäer sich mit Schiffen und Mannschaft unterzögen, um ein bischen Gold zu holen, und es wäre unverantwortlich, wenn wir mitten im Reichtum der Erde mit leeren Händen davongehen wollten. Wir wären stark genug, um uns durch ganze Volksstämme durchzukämpfen, und könnten später nach jedem Teile der Küste kommen, der uns anstünde. Wir würden es uns aber nie vergeben, wenn wir nur mit fünfhundert Guinees Gold unsere Heimat erreichten, während wir ebensoleicht, wenn wir nur gewollt, fünftausend oder gar zehntausend oder soviel uns beliebte, hätten mitbringen können. Er sei zwar nicht begehrlicher als wir, da es aber einmal in unserer Macht stünde, Ersatz für all unser Ungemach zu bekommen und uns für unser ganzes Leben eine behagliche Existenz zu sichern, so würde er sich nicht treu und dankbar für die Wohltat, die wir ihm erzeigt, erweisen, wenn er uns nicht auf die Vorteile aufmerksam machte, die wir zur Hand hätten. Er hoffe es auch unserm Verstande einleuchtend zu machen, daß wir in einer Frist von zwei Jahren bei gehörigem Fleiße und unter Mitwirkung unserer Neger für jeden der unsrigen hundert Pfund Gold und im ganzen vielleicht zweihundert Tonnen Elfenbein gewinnen könnten, während wir – einmal an der Küste angelangt und getrennt – ebensowenig in die Lage kommen würden je wieder diesen Ort zu sehen, als der Gottlose den Himmel zu schauen bekäme, so sehr er sich auch danach sehnte.
Unser Wundarzt war der erste, der auf diese Beweisführung einging, und der Geschützmeister folgte seinem Beispiele. So großen Einfluß aber auch diese beiden sonst auf die übrigen ausübten, so hatte doch keiner Lust zu bleiben, nicht einmal ich, denn ich konnte mir keine Vorstellung von dem Werte einer so großen Summe machen und wußte nicht, was ich damit anfangen sollte, wenn ich sie einmal hätte. Ich meinte, ich besäße bereits jetzt genug, und meine einzige Sorge wäre, wie ich, wenn ich wieder nach Europa käme, Kleider kaufen und mit dem Rest so schnell als möglich fertig werden könnte, um sodann wieder auf See zu gehen und neue Abenteuer aufzusuchen. Dessenungeachtet gelang es meinem Landsmanne endlich, uns durch lockende Worte zu einem halbjährigen Aufenthalt in der Gegend zu bereden, indem er uns sodann gern gewähren lassen wollte, wenn wir auf unserm Entschlusse beharrten.
Wir haben dann unsere Zeit recht gut benützt, denn in den fünf Monaten unseres dortigen Aufenthaltes sammelten wir außer dem, was wir schon früher besaßen, so viel Goldsand, daß bei der Teilung auf jeden einzelnen fünf Pfund und acht Lot trafen, und für die Werkstatt unseres Künstlers noch sechs bis sieben Pfund übrig blieben. Wir gedachten nun die Reise nach der Küste anzutreten, um endlich unserm Wanderleben ein Ende zu machen, aber unser Führer lachte uns aus und meinte, wir würden das wohl bleiben lassen, denn mit dem nächsten Monat begänne die Regenzeit, und dann könne von einem Aufbruch nicht die Rede sein. Dies war in der Tat ein sehr begründeter Einwurf, und so entschlossen wir uns denn, uns hinreichend mit Proviant zu versehen, um nicht im Regen weit danach gehen zu müssen.
Nun brach die Regenzeit an, die uns über zwei Monate fast gänzlich auf unsere Hütten beschränkte. Die Wasser schwollen in einem Grade an, daß sich die kleinen Bäche und Flüsse kaum mehr von großen, schiffbaren Strömen unterscheiden ließen.
Sobald sich das Wetter wieder aufklärte, sagte uns der Engländer, er wolle uns nicht drängen länger zu bleiben, da wir uns ja doch nicht darum kümmerten, ob wir noch mehr Gold bekämen oder nicht, wir wären freilich die ersten Europäer, von denen er je gehört, daß sie gesagt hätten, sie besäßen genug von diesem Metall, und von denen sich in Wahrheit behaupten ließe, sie möchten sich nicht einmal die Mühe nehmen sich danach zu bücken, obgleich es vor ihren Füßen läge. Er habe uns indes einmal das Versprechen gegeben, nicht weiter in uns zu dringen, und wolle es auch halten, trotzdem aber müsse er bemerken, daß nach der Zeit der Überschwemmungen das meiste Gold gefunden würde und daß wir nach einem Monat Tausende von Wilden das Gebiet durchziehen sehen würden, um für die europäischen Schiffe, welche die Küsten besuchten, Gold aus dem Sande zu waschen. Sie wählten diese Zeit besonders deshalb, weil die Gewalt der Fluten stets eine große Menge Goldes aus den Bergen spüle, und wenn wir ihnen den Vorrang abliefen, so könnten wir wohl außerordentliche Dinge finden.
Dies klang so eindringlich und überzeugend, daß sich die Nachgiebigkeit auf allen Gesichtern aussprach. Wir sagten ihm daher, daß wir bleiben wollten, denn so gern wir auch alle gegangen wären, so ließe sich doch der augenscheinlichen Aussicht auf so großen Gewinn nicht auf die Dauer widerstehen. Er sei jedenfalls sehr im Irrtum, wenn er glaube, wir wünschten nicht unsere Goldvorräte zu vergrößern, und er möge dies daraus entnehmen, daß wir nunmehr fest entschlossen wären, die Vorteile, die sich uns böten, nicht von der Hand zu weisen, sondern sie aufs beste zu nutzen und so lange dazubleiben, als Gold zu finden wäre, sollten wir auch noch ein zweites Jahr auf dem afrikanischen Kontinent zubringen müssen.
Er war über diesen Entschluß über die Maßen erfreut, und mit dem Eintritt der günstigeren Witterung begannen wir nach seiner Anweisung die Bäche und Flüsse aufs neue nach Gold zu durchsuchen. Anfangs lohnte sich dieses Geschäft wenig, denn das Wasser war noch nicht ganz gefallen und in sein gewohntes Bett zurückgekehrt, aber nach einigen Tagen wurde unser Bemühen mit einem schönen Erfolge gekrönt, da wir das Gold in größeren Mengen und in gröberen Körnern als je zuvor fanden. Einer unserer Leute wusch ein Stückchen von der Größe einer kleinen Nuß aus dem Sande, welches unserer Schätzung nach wohl drei Lot schwer sein mochte.
Dieser Erfolg steigerte unsern Fleiß, und im Verlaufe eines Monats brachten wir an sechzig Pfund zusammen. Nach dieser Zeit bedeckte sich jedoch, wie uns der Engländer vorausgesagt hatte, die Gegend mit wilden Männern, Weibern und Kindern, welche den Flüssen und Bächen nachgingen und selbst in dem trockenen Lande nach Gold spähten, so daß unsere nunmehrige Ausbeute durchaus keinen Vergleich mehr mit der früheren aushielt.
Dagegen fand unser Künstler ein Mittel, andere Leute für uns arbeiten zu lassen, ohne daß wir einen Finger zu rühren brauchten, denn noch ehe diese Leute erschienen, hatte er eine beträchtliche Menge seiner Spielsachen zu ihrem Empfange vorbereitet. Der Engländer war der Dolmetscher und zeigte ihnen die Raritäten, was unserm Schmied zu einem sehr einträglichen Handel verhalf, denn er verkaufte seine Waren zu wirklich unerhörten Preisen. So erhielt er zum Beispiel für ein Stückchen Silber, kaum von dem Werte eines Groschens, zwei, zuweilen auch vier Lot Gold, und seine Eisenwaren wurden ihm ebenso teuer bezahlt, wogegen sie die goldenen Kunstprodukte viel niedriger einschätzten. Es war in der Tat unglaublich, welche Massen von Gold er durch diesen Handel gewann.
Mit einem Worte, jedem unserer Leute erblühte aus dem weiteren dreimonatlichen Aufenthalte in dieser Gegend ein neuer Zuwachs von ungefähr fünf Pfund Gold, und nun setzten wir uns nach der Goldküste in Bewegung, um zu sehen, wie wir wieder nach Europa kommen könnten.
Nach einer Stromfahrt von elf Tagen erreichten wir eine der holländischen Niederlassungen an der Goldküste, wo wir in guter Gesundheit und seelenvergnügt unsere Kähne verließen. Unser Elfenbein verkauften wir an die holländische Faktorei, die uns auch mit Kleidern und mit sonstigem Bedarf für uns und diejenigen der Neger versah, welche wir mitzunehmen gedachten. Ich bemerke beiläufig, daß uns nach Beendigung unserer Reise noch vier Pfund Schießpulver übrig blieb. Den Negerhäuptling setzten wir in Freiheit, kleideten ihn aus unserer gemeinschaftlichen Kasse, gaben ihm anderthalb Pfund Gold, das er recht geschickt zu bearbeiten gelernt hatte, und nun trennten wir uns in der freundlichsten Weise. Unser Engländer blieb noch eine Weile in der holländischen Faktorei, und später hörte ich, daß er dort aus Kummer gestorben sei, denn er hatte tausend Pfund Sterling über Holland nach England geschickt, um sich ein leidliches Auskommen unter seinen Verwandten in der Heimat zu sichern, aber das Schiff wurde von den Franzosen genommen, und so ging all sein sauer Erworbenes verloren.
Der Rest meiner Kameraden ging in einer kleinen Barke nach den zwei portugiesischen Faktoreien in der Nähe von Gambia zu Schiffe; ich begab mich mit zwei Negern, die ich bei mir behielt, an Bord eines englischen Seglers, auf dem ich im September in England anlangte. So endigten meine Flegeljahre.
* *
*
Obgleich England mein Vaterland war, so hatte ich doch dort weder Freunde noch Verwandte noch Bekannte. Ich wußte daher nicht, wem ich mein Eigentum anvertrauen oder wen ich zu dessen Erhaltung um Rat angehen sollte. Ich übergab daher einen großen Teil meines Goldes einem Wirte, brachte das übrige rasch mit leichtsinnigen Kameraden durch, und es währte nicht viel länger als zwei Jahre, so war die ganze große Summe, die ich unter so vielen Mühen und Gefahren mir erworben hatte, in alle vier Winde verflogen. Jetzt noch bringt mich der Gedanke an die Art, wie ich das Geld durchbrachte, fast zum Rasen, weshalb ich darüber hier weiter nicht reden will.
Als ich auf den Boden meiner Vorratskammer sehen konnte, war es Zeit, an weitere Abenteuer zu denken, denn meine Verführer, wie ich sie nennen muß, begannen mich wissen zu lassen, daß mit der Abnahme meines Geldes auch ihre Achtung zur Neige ginge, und daß ich nichts von ihnen zu erwarten hätte. Über das hinaus, was sie sich mit meinem Golde bezahlen ließen, taten sie auch nicht einen Schritt für mich.
Das war freilich eine bittere Erfahrung, die mich mit gerechtem Abscheu gegen ihren Undank erfüllte. Doch auch solche Gefühle legen sich, denn ich begegnete nirgends einer Seele, die mir wegen der Verschwendung einer so großen Summe, wie ich sie nach England gebracht hatte, auch nur das mindeste Bedauern oder auch nur eine Spur von Teilnahme entgegengebracht hätte.
Ich nahm nun – gewiß zur schlimmen Stunde – Dienste an Bord eines nach Cadix bestimmten Schiffes, das »Der Kreuzer« hieß. Widrige Winde, die uns an der spanischen Küste trafen, nötigten uns jedoch, in Corunna vor Anker zu gehen.
Auf dem Schiffe machte ich die Bekanntschaft einiger Hauptunheilstifter, von denen mich einer, der tollste von ihnen, mit einer so innigen Freundschaft beehrte, daß wir uns Brüder nannten und uns gegenseitig alle unsere Schicksale und Pläne mitteilten. Dieser Bursche, der Harris hieß, kam eines Morgens zu mir und fragte mich, ob ich nicht an Land gehen wollte. Wir holten die Erlaubnis des Kapitäns ein wegen des Bootes, worauf wir zusammen ans Ufer ruderten. Als wir allein waren, fragte er mich, ob ich wohl Lust zu einem Abenteuer hätte, das uns für all unser vergangenes Unglück entschädigen könnte. Ich hatte nichts zu verlieren, ließ nichts hinter mir, und so war es mir gleichgültig, wohin es immer gehen mochte.
Er fragte mich sodann, ob ich schwören wolle verschwiegen zu sein und ihn nicht zu verraten, selbst wenn ich nicht Lust hätte auf seinen Vorschlag einzugehen, und nun ließ ich mich unter den schrecklichsten Schwüren, wie sie nur der Teufel und wir beide ersinnen konnten, einweihen.
Er erzählte mir, es gäbe einen wackeren Burschen auf dem andern Schiffe – dabei zeigte er auf ein englisches Schiff, das im Hafen lag – welcher am nächsten Morgen mit einigen von der Mannschaft eine Meuterei beginnen und mit dem Schiffe davongehen wolle; wenn wir nun auf unserem Fahrzeug Leute genug für uns gewinnen könnten, so wollten wir ein gleiches tun. Der Vorschlag gefiel mir nicht übel, und so zog er noch weitere acht Mann ins Geheimnis, denen er erklärte, sie sollten sich, sobald sein Freund das große Werk begonnen und sich zum Herrn des Schiffes gemacht hätte, bereit halten, seinem Beispiele zu folgen. Ich ließ mich ohne Bedenken, trotz der Verruchtheit des Verbrechens und der Schwierigkeit seiner Ausführung, in die Verschwörung ein.
An dem bezeichneten Tage brach die Meuterei auf dem andern Schiffe aus, und der Rädelsführer, der Wilmot hieß, gab uns, nachdem er die andern Offiziere festgenommen hatte, das Zeichen. Es waren jedoch nur elf eingeweihte auf unserem Schiffe, denn einer größeren Anzahl durften wir nicht trauen, und so verließen wir denn in einem Boote das Schiff und vereinigten uns mit den Empörern.
Auf dem Meutererschiffe ging es lustig und in Freuden her, und da ich selbst kühn und verwegen genug zu jedem tollen Streiche war, ohne auch nur die mindeste Gewissensregung zu spüren oder mir über die Folgen Gedanken zu machen, so führte mich die Gesellschaft mit Kapitän Wilmots Bande bald in eine Verbindung mit den berüchtigsten Seeräubern jener Zeit, von denen einige die Reise ihres Lebens mit einer Fahrt nach dem lichten Galgen beschlossen haben. Da ich schon früher einen Hang zum Seeräuber in mir verspürt hatte, so fühlte ich mich jetzt ganz zu Hause.
Nachdem sich der Kapitän in den Besitz eines Schiffes gesetzt, hatte er, wie sich leicht denken läßt, nichts mehr im Hafen zu suchen und wartete daher nicht erst ab, bis vom Lande aus Schritte gegen ihn geschähen oder vielleicht Mißhelligkeiten unter der Bemannung des genommenen Fahrzeuges ausbrächen. Er lichtete daher noch mit derselben Flut die Anker, stach in die See und hielt auf die kanarischen Inseln zu. Unser Schiff hatte zweiundzwanzig Kanonen, konnte jedoch dreißig führen, wie es denn überhaupt, da es nur ein Kauffahrer war, weder mit Munition, noch mit Waffen so versehen war, wie es uns für den Fall eines Kampfes not tat. Wir legten daher vor Cadix an, das heißt wir warfen in der Bai Anker. Der Kapitän nebst unserm Geschützmeister, den wir den jungen Kapitän nannten, und einige andere von der Mannschaft, denen wir besser trauen konnten, darunter mein Freund Harris, dem die Ehre eines Kapitänsmaaten, und ich selbst, dem die Würde eines Leutnants übertragen worden war, sollten nun einige Ballen englischer Güter zum Verkaufe ans Land bringen. Aber Harris, der ein durchtriebener Bursche war, schlug einen besseren Weg vor, indem er sagte, er sei schon früher einmal in der Stadt gewesen und wolle für uns Pulver, Kugeln, Waffen und sonstigen Bedarf aufkaufen, den wir erst dann in englischen Waren zu bezahlen brauchten, wenn alles bereits an Bord wäre. So war es allerdings weit bequemer, und er begab sich nun mit dem Kapitän an Land, wo sie, so gut es sich machen ließ, abschlossen und nach zwei Stunden mit einem Faß Wein und fünf Fässern Branntwein zurückkamen.
Des andern Morgens legten zwei schwerbeladene Barken, mit fünf Spaniern an Bord, an unser Schiff an. Der Kapitän verkaufte an sie seine Waren und erhielt anstatt der Zahlung sechzehn Fässer grobes und zwölf Fässer feines Schießpulver, sechzig Musketen, zwölf Karabiner für die Offiziere, siebzehn Tonnen Kanonenkugeln, fünfzehn Fässer Musketenkugeln, einige Säbel und zwanzig Paar gute Pistolen. Dazu kamen noch dreizehn Fässer Wein – denn da wir jetzt Herren geworden waren, so verschmähten wir es Schiffsbier zu trinken – sechzehn Fässer Branntwein, zwölf Fässer Rosinen und zwanzig Kisten Zitronen – das alles wurde mit englischen Gütern bezahlt, außerdem erhielt der Kapitän noch sechshundert Dollar bares Geld. Die Spanier versprachen wieder zu kommen, aber uns war es nicht ums Bleiben zu tun.
Von hier aus segelten wir nach Westindien, und auf dieser Fahrt nahmen wir den Spaniern einigen Mundvorrat ab und machten einige Beute, die aber von keinem großen Werte war. Nachdem wir an der Küste von Kartagena eine spanische Schaluppe genommen hatten, machte mir Harris den Vorschlag, den Kapitän Wilmot darum anzugehen, daß er uns mit einem entsprechenden Munitions- und Waffenvorrat in das genommene Fahrzeug setze und uns gestatte zu sehen, was sich damit ausrichten ließe, denn es war für unser Gewerbe weit geeigneter und auch ein schnellerer Segler als das große Schiff. Wilmot willigte ein, indem er zugleich die Insel Tabago als den Ort der nächsten Zusammenkunft bezeichnete und die Bestimmung traf, daß alles, was eines der Schiffe erbeutete, unter die Mannschaft beider Schiffe verteilt werden sollte. Nach dieser Verfügung wurde auch, als sich unsere Schiffe nach ungefähr fünfzehn Monaten bei Tabago wieder trafen, genau gehandhabt.
Wir kreuzten an zwei Jahre in diesen Meeren, wobei wir es vornehmlich auf die Spanier abgesehen hatten, nicht, weil wir uns ein Bedenken daraus machten, englische, holländische oder französische Schiffe zu nehmen, denn dies geschah gleichfalls, wenn sie uns in den Weg kamen. Namentlich kaperte Kapitän Wilmot ein neuenglisches Schiff, das von Madeira nach Jamaika segeln wollte, und ein anderes mit Mundbedarf beladenes, das von Neuyork nach Barbados ausgelaufen war, von denen uns insbesondere das letztere sehr zu statten kam. Der Grund indes, warum wir uns weniger gern mit englischen Schiffen befaßten, lag darin, daß dieselben stärker gerüstet waren und daher stärkeren Widerstand zu leisten vermochten, auch boten sie weniger Beute als die spanischen, die gewöhnlich Geld an Bord führten – eine Beute, mit der wir am allerbesten umzugehen wußten. Der Kapitän war gegen die Bemannung genommener englischer Schiffe besonders grausam, damit man nicht allzubald in England von ihm Kunde erhielte, aber gerade deshalb hatten die königlichen Kreuzer besonders strengen Befehl auf ihn zu lauern. Doch lassen wir vor der Hand diesen Teil unserer Geschichte.
Unsere Beute nahm in diesen zwei Jahren beträchtlich zu: wir hatten 60000 Dollars auf dem einen und 10000 auf dem andern unserer Schiffe, und da wir nun reich waren, so entschlossen wir uns unsere Macht zu verstärken. Wir hatten nämlich eine in Virginien gebaute Brigantine – ein ausgezeichnetes Fahrzeug, das ein sehr guter Segler war und zwölf Kanonen führen konnte – und eine spanische Fregatte, die ebenfalls unvergleichlich segelte und die wir nachher durch geschickte Zimmerleute für 22 Knoten einrichten ließen, genommen. Nun bedurften wir aber weiterer Hände, wir steuerten deswegen nach der Campeachbay, wo wir unsere Schiffe nach Belieben bemannen zu können hofften, wie es denn auch wirklich geschah.
Hier verkauften wir die Schaluppe, auf der ich bisher gefahren war, und da Kapitän Wilmot sein eigenes Schiff beibehielt, so wurde mir das Kommando der spanischen Fregatte mit dem Titel eines Kapitäns übertragen, während mein Freund Harris, der verwegenste und unternehmendste Bursche, den die Welt aufzuweisen vermochte, die Stelle des ersten Offiziers bekleidete. Die Brigantine wurde mit weiterem Geschütz versehen, und so waren wir nun im Besitze von drei gut bewaffneten, starkbemannten und auf zwölf Monate mit Proviant versehenen Schiffen. Denn wir hatten einige Schaluppen von Neuengland und Neuyork, die mit einer Ladung Mehl, Erbsen und Pökelfleisch nach Jamaika und Barbados gehen wollten, genommen und uns mit weiterem Rindfleisch an der Küste von Kuba versehen.