Daniel Defoe
Denkwürdigkeiten eines englischen Edelmannes
Daniel Defoe

   weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Denkwürdigkeiten eines englischen Edelmannes aus dem großen Kriege

Von

Daniel Defoe

 

1919
München bei Georg Müller


Es kann nach meiner Vermutung beim Leser nichts verschlagen, wenn ich ihm meinen Namen verberge, und es mag genug sein, wenn ich ihm sage, daß ich aus der Grafschaft Shrewsbury gebürtig bin. In welchem Gestirn meine Geburt gestanden, habe ich niemals nachgeforscht, bin auch kein Astrologe, eine Untersuchung darüber anzustellen, indes glaube ich, daß der Verlauf meines Lebens mich hinlänglich berechtigt, einen außerordentlichen Einfluß des Himmels bei meinem Erscheinen auf dieser Welt anzunehmen.

Die Zuverlässigkeit oder Unzuverlässigkeit der Träume mag sein, wie sie wolle, meine Mutter wenigstens gab sehr viel darauf und hatte, wie ich mit eigenen Augen auf dem ersten Blatte ihres Gebetbuches gesehen habe, sehr genau jeden besonderen Traum aufgezeichnet, den sie während ihrer Schwangerschaft mit mir als ihrem zweiten Sohne gehabt hatte.

Einmal, wie sie vermerkt, hatte sie geträumt, sie wäre von einem Regiment Reiterei entführt und unter freiem Himmel von einem Sohne entbunden worden; auf seinem Rücken wären zugleich zwei Flügel gewachsen, mit denen er nach einer halben Stunde davongeflogen wäre. Und gerade am Abend vor ihrer Niederkunft mit mir träumte ihr, daß sie einen Sohn zur Welt gebracht, und daß die ganze Zeit über während der Geburt ein Mann unter ihrem Fenster gestanden hätte, der die Feldpauken geschlagen und sie dadurch sehr beunruhigt hätte.

Mein Vater, ein Mann von einem sehr ansehnlichen Vermögen und aus einer Familie, die mit vielen Häusern des ersten Adels nahe verwandt war, lebte ungefähr sechs Meilen von Shrewsbury, wo er angesessen war. Meine Mutter hatte sich, ich weiß nicht zu welchem Geschäfte, in jener Stadt befunden und mich unvermutet dort im Hause einer Freundin frisch und gesund zur Welt gebracht.

Obschon ich der zweite Sohn meines Vaters war, genoß ich trotzdem einen größeren Anteil seiner Liebe und Achtung, als im allgemeinen die jüngeren Söhne der adeligen Familien in England zu genießen pflegen. Und da mein Vater überdies an mir besondere gute Anlagen wahrzunehmen vermeinte, so verwandte er eine ungewöhnliche Sorgfalt auf meine Erziehung.

Er suchte die fähigsten Männer aus, um mich in allen Kenntnissen und Wissenschaften unterrichten zu lassen, die man für nötig hielt, um einen jungen Edelmann für die Welt brauchbar zu machen. Als ich 17 Jahre alt war, brachte er mich in der Überzeugung, daß eine akademische Erziehung einem vom Stande besondere Vorzüge gäbe, und daß ich die nötigen Fähigkeiten dafür besäße, in das Wadham College nach Oxford, wo ich drei Jahre verblieb.

Obschon ich Geschmack an Büchern hatte, wollte mir doch das eintönige Leben ganz und gar nicht gefallen. Es war mir nicht zur Pflicht gemacht worden, Jurist, Mediziner oder Theologe zu werden, ich schrieb also meinem Vater, daß ich glaubte, für einen Edelmann lange genug in diesem College gewesen zu sein, und daß ich wünschte, ihn mit seiner Erlaubnis zu besuchen.

Ich nahm in Oxford zwar an jeder Art von Unterricht teil, meine Lieblingsgegenstände aber blieben Geschichte und Geographie, weil diese Wissenschaften meinem Geiste die beste Nahrung gaben, denn durch die eine erfuhr ich, welche großen Taten in der Welt vollführt, durch die andere, wo sie getan worden sind.

Mein Vater war mit meinem Wunsche nach Hause zu kommen sogleich einverstanden, denn außerdem daß er einen dreijährigen Aufenthalt auf der hohen Schule für lange genug hielt, liebte er mich mit einer so außerordentlichen Zärtlichkeit, daß er bereits ernstlich für mich auf eine Versorgung in seiner Nachbarschaft bedacht war.

Ich reiste nach Hause, mein Vater empfing mich mit der größten Zärtlichkeit, fand viel Vergnügen an allen meinen Antworten und schien sich gern mit mir zu unterhalten. Meine Mutter, welche nie etwas anderes wünschte als mein Vater und welche ihn ebenso herzlich liebte, als sie von ihm geliebt wurde, empfing mich ebenfalls sehr freudig. Ich fand die Zimmer schon für mich eingerichtet und Pferde und Bediente auf mich warten.

Mein Vater ging niemals ohne meine Begleitung auf die Jagd, die er in hohem Maße liebte, und ich wurde seinem Herzen beinahe noch teurer, als er fand, daß auch mir dieser Zeitvertreib viel Freude machte.

Auf diese Art hatte ich mit allen nur möglichen Vergnügungen, die ich genießen konnte, beinahe ein ganzes Jahr zugebracht, als ich eines Morgens mit meinem Vater auf die Hirschjagd ritt. Die Jagdbeute war an diesem Tage gering, da wir nur wenige Meilen vom Schlosse entfernt waren. Und da wir noch Zeit genug hatten, ritten wir ziemlich langsam nach Haus, währenddessen er die Gelegenheit ergriff, mit mir eine Unterhaltung zu beginnen, auf welchem Wege er mich zu versorgen gedächte.

Er erzählte mir mit einer unverkennbaren Zärtlichkeit, daß er mich von allen seinen Kindern am meisten liebe, und daß er deswegen gesonnen sei, etwas Besonderes für mich zu tun. Nachdem mein ältester Bruder bereits verheiratet und versorgt sei, so hätte er die nämliche Absicht mit mir und schlüge mir derhalb eine sehr vornehme Verbindung mit einer jungen Lady vor, die außer einem sehr großen Vermögen noch die seltensten persönlichen Vorzüge besäße. Er erbot sich außerdem, mir ein jährliches Einkommen von 2000 Pfund auszusetzen, und dies könne er tun, wie er mir sagte, ohne den Familienbesitz dadurch nur im geringsten zu vermindern.

Es war soviel Zärtlichkeit in diesem Vorschlage, daß ich dadurch im höchsten Grade gerührt wurde. Und ich antwortete, daß ich mich gänzlich nach seinen Anordnungen richten würde.

Mein Vater, der eine sehr feine Urteilskraft besaß, sah mich sehr aufmerksam an und wollte an mir, obwohl ich ohne die geringste Zurückhaltung geantwortet hatte, eine gewisse Unruhe bei seinem Vorschlage bemerkt haben. Er schloß daraus, daß meine Antwort und Bereitwilligkeit mehr eine Folge meiner Bescheidenheit und meines Gehorsams als meiner Neigung und meiner eigenen Wahl war.

Lieber Sohn, sagte er in einem etwas lebhaften Tone zu mir, ich habe dir zwar nur meine Gedanken kund tun wollen, allein ich kann es nicht verbergen, daß ich wünschte, sie möchten mit den deinigen übereinstimmen. Doch sollte deine Wahl eine andere sein, so sieh mich nur als deinen Ratgeber, nicht als deinen Befehlshaber an und entdecke mir freiwillig deine Gesinnung.

Ich glaube nicht Einsicht genug zu besitzen, Vater, erwiderte ich mit aller nur möglichen Ehrfurcht, eine so vorteilhafte Wahl für mich treffen zu können als du; trotzdem unsere Meinungen sehr verschieden sein mögen, so bin ich dennoch vollkommen davon überzeugt, daß es das rechte sein wird mich auf dein Urteil zu verlassen.

Aus allem, mein lieber Sohn, schließe ich, sagte mein Vater, daß du einen andern Plan hattest, trotzdem du jetzt in den meinigen einzuwilligen scheinst. Und deshalb möchte ich von dir erfahren, was du wohl von mir verlangt haben würdest, wenn ich dir meinen Vorschlag nicht gemacht hätte, und wenn du wünschest, daß ich in andern Dingen ebenso gern auf deine Bereitwilligkeit rechnen soll, so vertraue mir jetzt hierin.

Vater, sagte ich, unmöglich würde jemals meine Wahl auf das gefallen sein, was du mir gütigst vorgeschlagen hast, doch wären meine Wünsche den deinigen gerade entgegengesetzt, so wäre mir doch dein Befehl Grund genug, sie dir zu entdecken, doch erkläre ich im voraus, daß ich mich gänzlich deinem Willen unterwerfe. Ich kann nicht leugnen, daß ich noch nicht an eine Verheiratung noch an irgendeine andere feste Verbindung gedacht habe, ebensowenig, als ich an deiner gütigen Sorgfalt für mich zweifeln könnte, doch glaube ich immer, ein Edelmann müsse zuvor etwas von der Welt gesehen haben, ehe er sich für immer an irgendeinem Orte festsetze, und wenn ich dich jemals um irgend etwas bitten wollte, so wäre es nur um die Erlaubnis, eine Zeitlang reisen zu dürfen. Ich hätte dabei die Absicht verfolgt mich so zu bilden, daß ich als ein Sohn zurückkehren würde, der einem so guten Vater nicht ganz unähnlich wäre.

Aber als was willst du reisen, mein Sohn, als Privatmann, als Gelehrter oder als Soldat?

Könnte es als Soldat sein, so hoffe ich, daß ich dir keine Schande machen würde, doch bin ich keineswegs so fest entschlossen, als daß ich mich nicht deinem Ausspruch gänzlich unterwerfen würde.

Vorläufig sehe ich außer Landes keinen Krieg, erwiderte mein Vater, der es wert wäre, daß man ihn mitmachte. Und im Vertrauen gesagt, lieber Sohn, ich befürchte, du wirst nicht nötig haben, Abenteuer dieser Art allzuweit zu suchen, denn die Umstände sehen danach aus, als wenn wir bald in der Nähe alle Hände voll zu tun bekommen würden.

Mein Vater meinte damit ohne Zweifel wahrscheinlich die bevorstehenden Mißhelligkeiten zwischen England und Spanien wegen der zurückgegangenen Vermählung des Königs von England mit der Infantin von Spanien, und wegen des andauernden Streites über das Königreich Böhmen und über die Pfalz, denn ich glaube nicht, daß er damals schon an den Bürgerkrieg dachte.

Kurz, mein Vater, der mein heftiges Verlangen in fremde Länder zu reisen sah, gab mir endlich seine Einwilligung dazu, jedoch mit der Bedingung, spätestens in zwei Jahren, oder wenn er es noch früher verlangen würde, zurückzukehren.

Ich hatte in Oxford die Bekanntschaft eines jungen Mannes gemacht, der zwar aus gutem Hause und ebenso ein nachgeborener Sohn war, aber nur ein geringes Vermögen und weniger glänzende Aussichten zu erwarten hatte. Er hatte zuerst den Gedanken zu reisen in mir erweckt, denn er selbst kannte keinen anderen Wunsch, jedoch es war ihm nicht jährlich soviel ausgesetzt, daß er damit hätte standesgemäß reisen können.

Ich war sehr nahe mit ihm befreundet, unsere Ansichten waren ziemlich übereinstimmend, und wir wechselten fast täglich miteinander Briefe. Er besaß einen großzügigen offenen Charakter, war ohne Arglist und ohne Verstellung, von schönem ansehnlichem Wuchse, hatte einen nervigen gesunden Körper, ein einnehmendes Wesen: kurz er war ein Edelmann im besten Sinne.

Er hieß Fielding, aber wir gaben ihm den Beinamen Hauptmann, obwohl dies für ein Oxforder College ein etwas seltsamer Titel war, doch die Natur hatte ihre Schuld daran, denn sie hatte ihm ganz das Aussehen eines Soldaten gegeben.

Ich gab ihm Nachricht von meinem Entschluß zu reisen sowie von der Einwilligung meines Vaters und fragte ihn, ob er mich begleiten wolle. Er antwortete mir, daß er es mit dem größten Vergnügen tun möchte.

Ich ließ ihn abholen, und als mein Vater ihn sah, war er mit meiner Wahl ausnehmend zufrieden. Wir machten einen Reisewagen bereit und fuhren nach London. Am 20. April schifften wir uns in Dover ein, landeten nach wenigen Stunden in Calais und nahmen die Post nach Paris.

Ich will hier den Leser nicht mit einem Reisetagebuch, oder mit der Beschreibung von Orten ermüden, die ihm jeder Geograph besser liefern kann als ich. Überdies sollen diese Aufzeichnungen nur Erzählungen von dem enthalten, was uns entweder selbst begegnet ist, oder was sich doch wenigstens vor unseren Augen zugetragen hat. Ich werde mich also nur mit solchen Dingen befassen.

Wir hatten auf unserer Reise nach Paris in der Tat einige sehr merkwürdige Zwischenfälle. Das Pferd meines Begleiters machte einen Fehltritt und wurde dadurch so lahm, daß es keinen Schritt von der Stelle gehen konnte, sondern steif und fest auf seinem Platze stehen blieb. Unser Postillion behauptete, daß es kein anderes Mittel gäbe als in die Stadt zu reiten, die fünf Meilen entfernt sei, und ein neues Pferd zu holen. Er setzte also auf und ließ uns auf der Landstraße zurück, so daß wir alle beide zusammen nur ein Pferd hatten. Wir folgten ihm so gut wir konnten nach, da wir aber fremd in der Gegend waren, verloren wir bald den Weg und kamen von der Landstraße ab. Ob unser Postillion bald wiederkommen würde oder nicht, konnten wir nicht wissen, und wir würden ihn wahrscheinlich auch nie wiedergetroffen haben, ohne einen alten Priester, den wir durch einen glücklichen Zufall unweit eines kleinen Dorfes trafen, wo der Pfarrer war. Zum Glück konnten wir soviel Lateinisch, daß wir uns mit ihm verständigen konnten, doch auch er sprach es nicht viel besser als wir. Er führte uns mit sich ins Dorf nach seiner Wohnung, gab uns Wein und Brot und bewirtete uns mit bewundernswerter Güte. Er schickte hierauf ins Dorf, mietete ein Pferd für meinen Begleiter und bestellte einen Bauern, der uns wieder auf die rechte Straße bringen sollte.

Bei unserer Abreise machte er uns auf Französisch ein Anerbieten, das wir gerade zur Not verstehen konnten: nämlich daß wir ihm eine Frage verstatten möchten. Auf unsere Versicherung, daß er uns fragen möge, was er wolle, fragte er uns, ob wir wohl noch Geld genug zu unserer Reise bei uns hätten, und ob er uns – dabei zog er zwei Goldstücke heraus – dies als Geschenk oder als Darlehen anbieten dürfte.

Ich erwähne absichtlich die außergewöhnliche Güte dieses Priesters, denn obwohl die Höflichkeit der Franzosen gegen Fremde weltbekannt ist, so ist es doch gewiß etwas ganz Außergewöhnliches, daß man auch sogar mit ihrem Gelde rechnen kann.

Wir antworteten ihm, daß wir keinen Mangel an Geld hätten, daß wir aber durch seine Güte aufs äußerste gerührt seien. Ich für meine Person versprach ihm besonders, wenn ich am Leben bliebe, ihn wieder zu besuchen, um ihm meine Dankbarkeit zu beweisen.

Der Zufall mit unserem Pferde war, wie wir nachher erfuhren, wirklich ein Glück für uns gewesen. Wir hatten unsere beiden Bedienten in Calais zurückgelassen, damit sie unser Gepäck nachbringen sollten, weil zwischen dem Kapitän des Paketbootes und dem Beamten des Zollhauses ein Zwist entstanden war, der nicht gleich beigelegt werden konnte. Unsere Bedienten folgten uns, so schnell sie konnten, wurden aber zur selben Zeit, als wir uns verirrt hatten, von Straßenräubern angefallen, die ihnen unsere Reisesäcke abnahmen und alles, was ihnen gefiel, herausholten. Da aber darin kein Geld, sondern nur Wäsche und andere Gebrauchsgegenstände für die Reise waren, so war der Verlust nicht sehr groß.

Unser Begleiter brachte uns nach Amiens, wo wir wieder unsern Postillion und unsere Bedienten trafen, die sich auf der Landstraße gefunden und hierher zurückgekommen waren.

Wir sahen dies als eine gute Vorbedeutung einer sehr glücklichen Reise an, da wir einer Gefahr entgangen waren, die unzweifelhaft für uns größer gewesen wäre, als sie für unsere Bedienten war. Denn die Herren von der Landstraße in Frankreich besitzen nicht immer die Höflichkeit, den Reisenden zu bitten, stehen zu bleiben und ihnen sein Geld zu geben, sondern sie geben oftmals zuvor auf den Reisenden Feuer und nehmen ihm alsdann erst sein Geld ab.

Wir hielten uns einen Tag in Amiens auf, um den geringen Schaden wieder auszubessern, den wir durch die Straßenräuber erlitten hatten. Wir gingen durch die Stadt und in die Hauptkirche, fanden aber nichts Bemerkenswertes darin. Als wir aber quer über eine breite Straße neben der Kathedrale gingen, trafen wir auf einen Volksauflauf bei einem Marktschreier, der eine große Rede hielt, allenthalben Zettel, Tropfen und Pulver austeilte und ein gutes Geschäft zu machen schien. Mit einem Male entstand auf der anderen Seite der Straße ein gewaltiges Geschrei: Diebe! Diebe! Und der größte Teil der Zuhörer des Marktschreiers lief davon, um zu sehen, was eigentlich los wäre. Wir waren selbst mit unter dieser Menge, und die Sache schien ihre völlige Richtigkeit zu haben.

Drei britische Herren, zwei Engländer und ein Schotte, die ebenso wie wir auf Reisen waren, hatten gleichfalls dem prahlenden Doktor zugehört, als einer von ihnen einen Dieb ertappte, der ihm seine Taschen ausleerte und schon einen Teil der Barschaft erbeutet hatte, als er einige Stücke davon gerade neben sich auf die Erde fallen ließ. Das war die ganze Geschichte, aber ich muß meinen Lesern noch erzählen, wie sie endete.

Der Dieb hatte seine Helfershelfer so nahe bei sich aufgestellt, daß sie, sobald der Engländer ihn gepackt hatte, sich herzudrängten und taten, als wenn sie sich des Fremden annehmen wollten. Sie faßten den Burschen bei der Gurgel und machten einen unerhörten Lärm. Der Engländer, der nicht im geringsten daran zweifelte, daß sich der Kerl in guter Verwahrung befände, überließ ihn jenen. Während nun alles durcheinander rannte und die Spitzbuben selbst aufs neue Diebe! Diebe! schrien, verstanden sie es mit einer ihnen eigenen Geschicklichkeit, den Dieb entwischen zu lassen, und ergriffen einen anderen, der auch zu ihrer Bande gehörte.

Diesen brachten sie nach einer kleinen Weile vor den Engländer und fragten ihn, was der Kerl denn getan hätte. Auf die Versicherung des Engländers, daß es nicht der rechte wäre, stellten sie sich weit verlegener als vorher, zerstreuten sich durch alle Straßen, schrien aufs neue Diebe! Diebe! und taten, wie wenn sie den Spitzbuben suchten. Und so lief der eine hierhin, der andere dorthin, bis sie alle fort waren. Der Lärm hörte auf, die Herren sahen einander an, das Volk versammelte sich wieder in Haufen um den Doktor, der seine Predigt von vorne anfing.

Dies war der erste französische Spitzbubenstreich, den mitanzusehen ich Gelegenheit hatte, man hat mir aber erzählt, daß es deren noch weit feinere in großer Anzahl gäbe. Wir machten bald mit unsern Landsleuten Bekanntschaft, und da sie ebenfalls wie wir nach Paris wollten, so baten wir sie, unsere Gesellschaft zu vermehren, so daß wir nunmehr eine von fünf Herren mit vier Bedienten bildeten.

Es lag nicht in unserer Absicht, uns lange in Paris aufzuhalten, und in der Tat war auch, die Stadt selbst ausgenommen, eben nichts Bemerkenswertes darin zu sehen. Kardinal Richelieu, der nicht nur einer von den ersten Dienern der Kirche, sondern auch erster Minister im Staate war, hatte obendrein noch das oberste Kommando über die königlichen Armeen erhalten mit dem Titel: Generalleutnant an des Königs Stelle, ein Titel, von dem man zuvor niemals etwas in Frankreich gehört oder gewußt hatte.

Unter diesem Charakter behauptete er alle königliche Gewalt im Heere ausüben zu können, über ihn dürfte man aber nicht an den König appellieren, auch keine Befehle unmittelbar vom Könige erwarten. Er war schon den Winter zuvor von Paris fortgegangen und hatte schon mit dem Herzoge von Savoyen einen Krieg angefangen, in welchem er den Herzog von Mantua wieder einsetzte, dem Herzog von Savoyen Pignerol abnahm und es in einen solchen Verteidigungszustand versetzte, daß es ihm durch keine Gewalt wieder entrissen werden konnte. Überdies brachte der Kardinal den Herzog mehr durch List und Klugheit als durch Gewalt dahin, daß er diesmal auch ohne Pignerol Frieden machte.

Diese Festung war Frankreich stets ein Dorn im Auge gewesen und hatte fast immer den Frieden mit Savoyen unsicher und lahm gemacht. Nun aber wurde sie vom Kardinal Richelieu der Krone Frankreichs eingefügt und ist seitdem eine der stärksten Festungen der Welt.

Der Kardinal war im Felde, und der König, um näher bei ihm zu sein, war kurz zuvor mit der Königin und dem ganzen Hofstaat nach Lyon gegangen. Deshalb war nichts für uns in Paris zu tun, und die Hauptstadt kam mir vor wie ein Haus in der Stadt, wenn die Familie aufs Land gegangen ist. Überhaupt schien mir die Stadt ein ziemlich melancholisches Ansehen zu haben, wenn ich sie mit den Herrlichkeiten vergleiche, die ich von ihr gehört hatte.

Als wir eines Morgens vor dem Tore des Louvre auf- und abgingen in der Absicht, die Schweizer exerzieren und aufziehen zu sehen, was sie gewöhnlich alle Tage taten, ehe sie auf die Wache zogen, kam ein Page und sagte auf englisch zu mir: Sir, der Hauptmann hat unverzüglich Ihre Hilfe nötig.

Ich kannte außer meinem Gefährten Fielding keinen Menschen in Paris, der Hauptmann war, und glaubte also, dieser sei in Gefahr, nahm mir aber nicht soviel Zeit, nach der Ursache zu fragen, warum er nach mir geschickt hätte, sondern folgte so eilig als möglich dem Pagen nach. Durch mancherlei Gassen und Straßen, die mir alle unbekannt waren, führte er mich endlich durch ein Ballhaus in einen großen Saal, in dem drei Herren, allem Vermuten nach Edelleute, zwei gegen einen, sehr lebhaft im Handgemenge waren. Der Raum war etwas dunkel, so daß ich niemanden erkennen konnte. Mein Kopf war nun einmal mit der vermeinten Gefahr für Fielding angefüllt, und ich stürzte also, mit dem Degen in der Hand, ins Zimmer hinein. Ich war noch mit keinem besonders ins Handgemenge geraten und noch gegen keinen ausgefallen, als ich einen ziemlich tiefen Stich in meinen Schenkel bekam, woran aber wohl vielmehr mein hastiges Hineinstürzen als eine Absicht des Täters schuld sein mochte. Der Schmerz aber brachte mich so auf, daß ich, ohne zu untersuchen, wer mich verwundet hatte, auf einen losstürzte und ihm den Degen durch den Leib rannte.

Das Sonderbare bei dieser Begebenheit und die unerwartete Tötung des einen durch die Zwischenkunft eines Fremden – niemand wußte wie oder woher – hatte die beiden anderen wieder besänftigt, so daß sie wirklich innehielten und mich anstaunten. Nun entdeckte ich, daß Fielding gar nicht dabei war, und daß mich irgendein unbegreifliches Mißverständnis hierher gebracht hatte.

Ich konnte nur wenig französisch sprechen und hatte Ursache zu vermuten, daß sie ebensowenig Englisch verstanden. Ich ging an die Tür, um nach dem Pagen zu sehen, der mich hierher gebracht hatte, fand aber niemanden dort und sah nur, daß der Ausgang frei war. Ich verlor kein Wort und machte mich so eilig wie möglich davon, ohne daß die beiden Herren nur die geringste Miene gemacht hätten mich daran zu hindern.

Ich war aber in einer gewaltigen Bestürzung, als ich an die Durchgänge kam, durch welche mich der Page geführt hatte, und nun durchaus keinen Ausgang entdecken konnte; endlich ward ich eine offene Tür gewahr, die durch ein Haus auf die Straße führte. Ich ging hindurch und zur anderen Tür auf die Straße hinaus, wußte aber ebensowenig, was ich nun anfangen sollte, um zu erfahren, wo ich wäre und wie ich in meine Wohnung kommen sollte. Die Wunde am Schenkel blutete immer noch sehr heftig, so daß ich das Blut fühlen konnte.

Währenddessen kam eine leere Sänfte vorbei, ich rief sie an, stieg hinein und bat die Träger, so gut ich mich verständlich machen konnte, mich nach dem Louvre zu bringen. Der Name der Straße, in der ich wohnte, war mir zwar unbekannt, doch glaubte ich den Weg zu finden, wenn ich nur an der Bastille wäre.

Die Träger der Sänfte wurden endlich durch eine Kompagnie Garde aufgehalten, die dazwischenkam. Sie setzten mich nieder, um die Soldaten vorbeimarschieren zu lassen. Ich sah mich ein wenig aus der Sänfte um und ward zu meiner größten Freude gewahr, daß ich mich gerade vor meiner Wohnung befand, und sah Fielding in der Tür stehen und, wie er mir nachher sagte, nach mir Ausschau halten. Ich winkte ihm und sagte ihm heimlich, daß ich schwer verwundet wäre, bat ihn aber, jetzt keine Frage weiter an mich zu tun, sondern die Sänfte zu bezahlen und nur so bald wie möglich nachzukommen.

Ich vollendete meinen Weg, so gut ich konnte, hatte aber soviel Blut verloren, daß ich kaum Kräfte genug übrig hatte die Treppe hinaufzusteigen und zu warten, bis Fielding zurückkäme.

Er war in einer ebenso großen Bestürzung wie ich, mich in einer so traurigen Lage zu sehen, und rief sogleich den Wirt herbei, der wieder ebensobald einen Nachbar herbeirief, so daß in einer Viertelstunde mein Zimmer ganz voll von Menschen war.

Doch dieser Umstand hätte leicht für mich von schlimmeren Folgen sein können als der vorherige, denn zur selben Zeit forschte man sehr heftig nach dem Menschen, der im Ballhause einen erstochen.

Mein Hauswirt war über sein Versehen sehr unglücklich, bat mich um Verzeihung und erbot sich mit der größten Ehrlichkeit von der Welt, mich zu einem seiner Freunde zu bringen, wo ich vollkommen in Sicherheit sein würde. Bei diesen. hielt ich mich nun so lange auf, bis ich wieder hergestellt war, nahm dann einen Wagen nach Lyon und fuhr durch Savoyen nach Italien.

Die französischen Angelegenheiten schienen jetzt kein sonderliches Ansehen zu haben. Nirgend war Leben, außer da, wo der Kardinal war, der jede Sache mit einer außerordentlichen Klugheit und meist mit ebensoviel Glück betrieb. Durch seine Staatsklugheit wußte er die Sachen stets so einzuleiten, daß der Ruhm, wenn sie glücklich abliefen, stets auf seiner Seite war, liefen sie aber unglücklich ab, so wurde die Schuld allemal auf die Rechnung des Königs gesetzt. Dieses Verfahren in allen Unternehmungen durchzuführen war um so schwieriger und kitzliger, als gewöhnlich in ähnlichen Dingen das Gegenteil zu sein pflegt, indem die Könige den Ruhm von jeder glücklich abgelaufenen Unternehmung sich selber zueignen, wenn aber irgendeine einen unglücklichen Ausgang nimmt, ihre Minister und Günstlinge dem Klagen und Murren des Volkes preisgeben. Der Kardinal aber, ein listiger und verschlagener Staatsmann, wußte sich auch in diesem Punkte immer zu behaupten.

Man sprach ohne die geringste Ehrfurcht vom Könige und ging so weit, daß man ihn sogar allenthalben schmähte. Der Magistrat der Stadt durfte keinen Versuch machen sich drein zu mischen aus Furcht, das ganze Volk noch mehr zu reizen.

An einem Sonntage um die Mitternachtszeit wurden wir durch ein fürchterliches Lärmen auf der Straße aus dem Schlafe geweckt. Ich sprang aus dem Bette, lief ans Fenster und sah, daß die ganze Straße so voll von Pöbel war, als nur darin Platz hatte. Einige hatten sich mit Musketen und Hellebarden bewaffnet und marschierten in sehr guter Ordnung, andere streiften aber in ungeordneten Haufen umher und schrien unaufhörlich: Der König soll Brot schaffen!

Einer, der einen großen Haufen solcher Aufrührer anführte, hatte auf eine Pike ein Brot und verschiedene Brötchen gesteckt, welche die Kleinheit des Brotes anzeigen sollten, die durch die Teuerung verursacht worden war.

Am frühen Morgen hatte sich der unruhige Pöbel beträchtlich vermehrt, er streifte allenthalben in der Stadt umher, schloß die Kramläden zu und nötigte einen jeden, der ihm begegnete, gemeinschaftliche Sache mit ihm zu machen. Von da gingen sie aufs Schloß, fingen den Lärm und das Geschrei von neuem an und setzten die königliche Familie dadurch in eine außerordentliche Bestürzung. Sie erbrachen die Haustüren der königlichen Bedienten, welche die neuen Steuern erheben sollten, plünderten ihre Häuser kahl aus und würden sie selbst wahrscheinlich auf die schlimmste Weise gemißhandelt haben, wenn sie sich nicht beizeiten durch die Flucht gerettet hätten.

Die Königin-Mutter, die äußerst unwillig war, daß sie solche traurige Folgen einer Regierung erleben mußte, an der sie keinen Anteil mehr hatte, schien aber aus eben dieser Ursache, wie ich denke, in dieser Sache um so weniger in Verlegenheit zu sein. Doch sei dem wie ihm wolle: sie kam selbst in den Vorhof des Schlosses herab, zeigte sich dem lärmenden Pöbel in eigener Person, teilte Geld unter die Leute aus und sprach sehr herablassend mit ihnen. In einer ihr ganz besonders eigenen Art wußte sie das Volk wieder zu besänftigen, schickte es mit dem Versprechen, ihren Klagen abzuhelfen, wieder nach Hause und dämpfte durch ihr kluges Betragen diesen Aufruhr in zwei Tagen, wozu die Besatzung des Schlosses selbst nicht Lust gehabt hatte, oder wenn sie welche gehabt hätte, aller Wahrscheinlichkeit nach das Übel noch ärger gemacht haben würde.

Der Aufstand in Lyon war noch nicht gänzlich gedämpft, als wir den Platz verließen, denn da wir die ganze Stadt in Aufregung fanden, so sahen wir wohl ein, daß nichts darin für uns zu tun sei, da wir vor allem nicht wußten, was dieser Bürgeraufstand für Folgen haben könnte.

Wir reisten daher wieder ab, waren aber noch nicht ganze drei Meilen von der Stadt entfernt, als wir schon wieder als Kriegsgefangene von einem Schwarm solcher Aufrührer angehalten wurden, die draußen auf Vorposten gestanden hatten. Man beschuldigte uns, wir seien Boten, die an den Kardinal abgesandt worden wären, um Truppen zu holen, welche die Einwohner von Lyon wieder zum Gehorsam bringen sollten. Unter diesem Vorgeben führten sie uns im Triumph zurück, um uns vor die Königin-Mutter zu bringen, die sich durch den letzten Vorfall einen sehr großen Einfluß auf das Volk erworben hatte.

Auf die Frage, wer wir wären, gaben wir uns für Schotten aus, denn die Engländer waren zu jener Zeit nicht eben sehr beliebt bei den Franzosen, weil der Friede erst vor einigen Monaten geschlossen worden war, ein Friede, dem man überhaupt keine lange Dauer zusprach, da er dem Volke in England ganz besonders mißfiel. Desto besser aber standen sich die Schotten mit den Franzosen. Niemandem wurde wohl mehr Höflichkeit in Frankreich erwiesen als den Schotten, und um sich einer guten Aufnahme unter den Franzosen zu versichern, hatte man weiter nichts zu tun als sich für einen Schotten auszugeben.

Als wir vor die Königin-Mutter kamen, schien sie uns anfänglich unfreundlich begegnen zu wollen und beorderte ihre Garde uns in sichere Verwahrung zu bringen. Da sie eine Dame von einem außerordentlich feinen Verstande war, so hatte sie das bloß des Volkes wegen getan, denn wir wurden unmittelbar darauf wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Königin-Mutter entschuldigte sich noch in eigener Person bei uns wegen der harten Behandlung, die wir erlitten hätten, und bat uns, unsere Ungelegenheiten diesen unruhigen Zeiten zuzuschreiben, und schickte uns am nächsten Morgen drei Dragoner von der Garde, die uns durch das Gebiet von Lyon begleiten sollten.

Wir reisten von hier nach Grenoble und kamen an demselben Tage an, als der König und der Kardinal mit dem ganzen Hofe dort eintraf, um über eine Armee von 6000 Mann Schweizer Fußvolk Heerschau zu halten. Der Kardinal hatte durch einen Kunstgriff und durch Schmeichelei die Kantone zu bewegen gewußt, daß sie dem Könige diese Truppen stellten, um ihren Nachbar, den Herzog von Savoyen. helfen zu stürzen. Die Truppen selbst waren vorzüglich gekleidet, tapfer, von kräftigem Körperbau – mit einem Wort Leute, die man brauchen konnte.

Hier war es, wo ich das erstemal den Kardinal zu sehen bekam. Sein Äußeres hatte das völlige Ansehen von geistlicher Würde und Ernsthaftigkeit, aber aus seinen Augen blickte das ganze Feuer eines Generals und die Lebhaftigkeit eines großen Geistes hervor. Er zeigte sich ein wenig steif, seine Geschäfte aber wußte er mit soviel Deutlichkeit, Festigkeit und Klugheit zu behandeln, daß man sich nicht wundern darf, wenn er in allen seinen Unternehmungen so glücklich war.

Auch den König bekam ich hier zu sehen. Er war von unbedeutender Figur, sah ein wenig hohläugig aus, schien stets niedergeschlagen und ließ allenthalben in seinem Äußern die Schwäche hervorblicken, die er in seinen Handlungen zeigte. War er irgend einmal lebhaft und aufgeräumt, so geschah dies nur, wenn der Kardinal bei ihm war, denn er hing so sehr in jeder Sache, die er unternahm, vom Kardinal ab, daß er sich in der äußersten Verlegenheit befand, wenn jener abwesend war, wie er denn überhaupt ganz blöde, argwöhnisch und unentschlossen war.

Nach der Truppenschau reiste der Kardinal auf einige Tage nach Lyon, um der Königin-Mutter seine Aufwartung zu dachen. Ich bemerkte, daß während der Abwesenheit des Kardinals kein Hof gehalten wurde, der König sich nur wenig sehen ließ, nur selten Audienz gab und das königliche Schloß wie ausgestorben schien. Sobald aber der Kardinal wieder zurückkam, wurden sogleich große Staatssitzungen gehalten, rollten die Kutschen der Gesandten täglich aufs Schloß und verbreitete sich über den ganzen Hof eine große Geschäftigkeit.

Hier wurden die Maßnahmen verabredet, die man ergreifen wollte, um den Herzog von Savoyen zu stürzen, und in dieser Absicht stellten sich der König und der Kardinal in eigener Person an die Spitze der Armee, mit welcher sie nachher unmittelbar darauf ganz Savoyen eroberten und Chamberry, die Festung Montmelian ausgenommen, wegnahmen.

Das Heer, mit welchem sie dieses ausrichteten, war nicht über 22000 Mann stark, die schon genannten Schweizer mit eingeschlossen, nebst noch einigen andern aber sehr unbeträchtlichen Truppen, besonders französischem Fußvolk, das aber im Vergleich mit der Infanterie, die ich nachher im deutschen und schwedischen Heere getroffen habe, nicht wert war als Soldaten gezählt zu werden. Auf der andern Seite waren zwar die Savoyarden und Italiener weit bessere Truppen, der Kardinal aber wußte durch seine Klugheit das zu ersetzen, was ihm an Güte seiner Soldaten abging.

Ich verschaffte mir einen Paß nach Genua und reiste unverzüglich ab, wurde aber leider bald bei Villafranca von einem hitzigen Fieber befallen, das über fünf Tage anhielt und sich nachher in ein Geschwür, zuletzt in die Pest verwandelte. Mein Freund Fielding verließ mich Tag und Nacht keinen Augenblick. Vier Tage hindurch kannte ich keinen Menschen und war bewußtlos, doch gefiel es dem Himmel, daß sich die Krankheit in meinem Halse zusammenzog, der zu schwellen anfing und endlich aufbrach. Während der Geschwulst war ich beinahe vor heftigen Schmerzen rasend. Nicht nur der Hals war angeschwollen, sondern auch Kopf, Augen, Zunge und Mund fingen auf eine entsetzliche Art an zu schwellen, sodaß mich in diesem Zustande, wie mir mein Bedienter nachher erzählte, die Ärzte schon ganz und gar aufgegeben hatten, da kein Mittel mehr anschlagen wollte. Endlich ging das Geschwür auf, die außerordentliche Menge Flüssigkeit, die nun herauskam, verschaffte mir augenblicklich eine merkliche Erleichterung. In einer Zeit von einer halben Stunde erhielt ich den Gebrauch meiner Sinne wieder und in zwei Stunden fiel ich in einen leichten Schlummer, der mich nach und nach wiederum von neuem belebte.

Nach mir ward auch Fielding krank, erholte sich aber bald wieder. Unsere Bedienten bekamen ebenfalls die Pest, der von dem Hauptmann starb nach zwei Tagen, der meinige kam davon.

Ich verbrachte den übrigen Teil des Winters in Mailand, um sowohl meine Gesundheit völlig wiederherzustellen wie auch um Wechsel aus England zu erwarten.

Hier hörte ich zum ersten Male den Namen Gustav Adolfs, des Königs von Schweden, nennen, der eben jetzt seinen Krieg mit dem Kaiser anfing. Frankreich hatte, da der König in Lyon war, ein Bündnis mit den Schweden geschlossen und sich anheischig gemacht, eine Million und 200 000 Kronen sogleich, und 600 000 Kronen jährlich an Schweden zu zahlen, um das Unternehmen Gustav Adolfs zu befördern.

Dieser landete auch in Pommern, nahm die Städte Stettin und Stralsund und machte von hier aus die erstaunlichsten Fortschritte. Doch ich werde Gelegenheit haben, im Verlauf dieser Aufzeichnungen noch ausführlicher darüber zu sprechen.

Es lag eigentlich nicht in meiner Absicht, den König von Schweden oder seine Armee zu sehen, und hatte den Gedanken, mich unter streitende Parteien zu mengen, vorderhand ganz aufgegeben. Ich beschloß, im Frühling meine Reise nach Venedig und durch das übrige Italien weiter fortzusetzen.

Da uns aber jedes neue Zeitungsblatt aus Deutschland immer von einem neuen Siege oder einer neuen Eroberung dieses glorreichen Königs berichtete, so kann ich nicht leugnen, daß bei mir heimlich Wünsche entstanden ihn zu sehen, die aber jetzt noch so neu und so unbestimmt waren, daß es noch eine ziemliche Zeit dauerte, ehe sie sich zu einem festen Entschlusse verdichteten.

Ungefähr Mitte Januar verließ ich Mailand und ging nach Genua, von da zur See nach Livorno, dann nach Neapel, Rom und Venedig, fand aber nichts in Italien, was mir hätte irgendwie Vergnügen machen können.

Was die modernen Sehenswürdigkeiten betraf, so hörte ich fast von nichts als verbotenen Liebeshändeln, heimlichen Mordtaten, daß man im Finstern an einer Straßenecke den Leuten Dolchstiche gab, daß man Meuchelmörder dingte und dergleichen mehr, und sah die Vergnügungen hier meistens mit jeder Art von Ausschweifungen enden. Das waren für mich die modernen Herrlichkeiten von Italien, für die alten hatte ich keinen Geschmack.

Es kam mir in der Tat sehr lustig vor, als ich in Rom war, sagen zu hören: hier stand das Kapitol, dort der Koloß des Nero, hier war das Amphitheater des Titus, dort die Wasserleitung, hier das Forum, dort die Katakomben, hier der Tempel der Venus, dort der Tempel des Jupiter, hier das Pantheon, dort – doch weil mir nie in den Sinn gekommen, eine Reisebeschreibung herauszugeben, so vertraue ich bloß das, was ich für nützlich halte, dem Gedächtnis an und überlasse das übrige andern.

Was mir am sonderbarsten auffiel waren die Einwohner selbst, die durch eine Ausartung, die kaum ihresgleichen hat, von jenem glorreichen, edelmütigen und tapferen Volke, welches sich durch seine Waffen fast die ganze bekannte Welt unterwarf, zu einem äußerst niederträchtigen, barbarischen und verräterischen, argwöhnischen und rachsüchtigen, wollüstigen und feigen, unerträglich stolzen und bis zur Blindheit bigotten Volke, und von der Herrschaft über die Welt zur widerlichsten Andächtelei und zur gröbsten Abgötterei herabgesunken waren.

Und wirklich glaube ich, daß das Abstoßende des Volks mir das Land selbst unangenehm machte, denn es ist so wenig in einem Lande, das ihm zur Empfehlung dient, wenn ihm seine Bewohner Schande machen, daß selbst alle Schönheiten der Schöpfung nicht imstande sind den Mangel der Annehmlichkeiten aufzuwiegen, welche wir in einer angenehmen Gesellschaft genießen. Dies verleidete mir Italien im höchsten Grade, und ich übersah das Land über dem Volke, in dessen Lebensart im ganzen genommen alle möglichen Arten von schändlichen Lastern im Schwange waren.

Ich gestehe, für meine Person war ich eben nicht allzu religiös und hätte, da ich sehr jung in die Welt hinausgekommen war, leicht Gefahr laufen können auf Abwege zu geraten, zu denen mich teils mein Temperament, teils das Beispiel anderer auf eine verführerische Weise eingeladen hätte. Allein da sich mir das Laster in seiner ganzen Fülle mit allen seinen Ziellosigkeiten und mit allen seinen schrecklichen Folgen darstellte, so dämpfte dieser Anblick auf einmal alle Regungen, die vielleicht in mir hätten entstehen können. Unterdessen fällt mir bei dieser Bemerkung eine Geschichte ein, die mir in diesem Lande begegnete.

In einer gewissen Stadt traf ich eines Abends eine Dame. Gerade als sie an mir vorbeiging, glitt sie unversehens aus, ich griff eilig zu und verhinderte, daß sie hinfiel. Ich bot ihr meinen Arm, um sie nach Hause zu begleiten, und sie nahm mit vieler Artigkeit an. Als wir an ihre Wohnung kamen, bat sie mich mit ebensoviel Artigkeit mit hinein zu kommen.

Bis dahin hatte ich noch sehr wenig von der Dame gesehen, als ihr aber ihr Mädchen den Mantel abgenommen hatte, sah ich ein Gesicht, eine Figur und einen Wuchs, wie mir noch nie bisher zu Gesicht gekommen war. Man denke sich hierzu noch die Pracht in ihrer Wohnung, ein Zimmer mit kostbarem Silbergeschirr geschmückt und alles andere, was ich sah, von derselben Kostbarkeit, und man wird es nicht unwahrscheinlich finden, daß ich sie im Anfange für eine Dame von erstem Range hielt.

Ihr Mädchen verschwand und wir setzten uns, sie merkte, daß ich ein Engländer war, und richtete verschiedene Fragen wegen meiner Reise an mich. Ich beantwortete sie, und nun fing sie eine sehr interessante Erzählung an, die ihre eigene Person betraf. Aus der Freiheit aber, die sie sich nahm, merkte ich bald, daß sie das war, was wir in London ein Frauenzimmer von der Straße nennen.

Obgleich sie ein sehr schönes Frauenzimmer und ihre Unterhaltung außerordentlich angenehm war, so fand ich doch nicht die geringste Neigung in mir, irgendeine Liebschaft mit ihr anzufangen. Ich überlegte, wo ich wäre, und daß hierzulande die Leute nicht gut Spaß verstünden. Sie bemerkte die Verwirrung, in welcher ich war, änderte mit einer bewundernswürdigen Geschicklichkeit die Unterhaltung und sagte, sie sähe mich wegen der Güte, die ich ihr erwiesen hätte, für einen bloßen Besuch an, klingelte ihrem Mädchen und befahl, Kuchen und Wein zu bringen.

Aber nun befand ich mich in einer weit größeren Verlegenheit als zuvor, denn ich war der Meinung, sie werde mir nichts Geringeres zu essen und zu trinken vorsetzen als Gift und nahm mich daher sehr in acht etwas davon zu kosten. Doch sie benahm mir meine Furcht, da sie von jedem, was sie mir anbot, selbst aß und trank. Ob sie meine Besorgnis und deren Ursache gewahr wurde, weiß ich nicht, doch konnte ich mich lange des Verdachtes nicht erwehren, aber ihr verbindliches Betragen und das Einnehmende in ihrem Wesen und in ihrer Unterhaltung hatten soviel Gewalt über mich, daß ich zuletzt ohne die geringste Furcht aß und trank.

Nachdem ich schon etwas über eine Stunde bei ihr zugebracht, stand ich auf, um mich von ihr zu verabschieden, und bot ihr fünf Gulden an, die sie aber ausschlug. Sie meinte, sie könne das nicht mit Ehren annehmen, da ich keine einzige Gunstbezeugung von ihr genossen hätte. Ich legte das Geld auf den Tisch, sie schlug es nochmals aus, bis sie endlich mit einem Lächeln sagte, wenn ich ihr mein Ehrenwort geben wollte sie mehrmals zu besuchen, so wollte sie mir meine Bitte gewähren und es annehmen. Ich versprach es und nahm sogleich meinen Abschied.

Den dritten Abend darauf hatte ich die Neugierde in eine Kirche zu gehen und die Andachtsübungen der Italiener mit anzusehen. Hier bemerkte ich dieselbe Dame, als sie gerade mit großer Andacht ihr Gebet verrichtete. Ich redete sie an, als sie aus der Kirche ging, sie bezeigte sich sehr offenherzig und freimütig, und ich begleitete sie glücklich wieder in ihre Wohnung.

Von dieser Zeit an sah ich sie sehr oft, ohne allen Zwang von meiner wie von ihrer Seite, denn sie behandelte mich mehr wie einen Freund als wie einen Liebhaber, und war so ganz anders gesinnt wie die übrigen ihrer Zunft, so daß ich sie nie wieder überreden konnte, noch ein anderes Geschenk von mir anzunehmen außer dem, wovon ich bereits gesprochen habe.

Sie erzählte mir, sie wäre von Geburt eine Spanierin, wäre in ihrem sechsten Jahre von ihrem Vater, einem Kaufmanne, nach Italien gebracht worden, wäre nun bereits fünfzehn Jahre hier, hätte während dieser Zeit ihre Eltern verloren, und dieser Verlust wäre die erste Ursache ihrer Verführung gewesen; die Italiener wären ein verabscheuenswürdiges Volk, viele unter ihnen aus beiden Geschlechtern schändeten sogar die Natur, sie selbst hätte sich nie zu solchen Unnatürlichkeiten verstehen können, aber Ungeheuer von dieser Art wären fast in jeder Straße und fast in jedem Stande anzutreffen.

Ich habe diese kleine Geschichte nur erzählt, um eine Probe von den italienischen Sitten zu geben, nicht aber mich selbst in ein Geständnis einzulassen. Hätte ich mir etwas zuschulden kommen lassen, dessen ich mich schämen müßte, so wäre es doch ein geringeres Verbrechen, wenn ich es verschwiege, als wenn ich es öffentlich bekannt machte.

Wenigstens kann das, was ich erzählt habe, dem Leser dieser Blätter einen Begriff von den Gründen geben, aus welchen mir dieser angenehmste Teil der Erde, wie man ihn zu nennen pflegt, ganz und gar nicht gefiel, und warum ich diesen Ort weit schneller verließ, als es gewöhnlich die Reisenden zu tun pflegen, die hierher kommen, um ihre Neugierde zu befriedigen.

Auch die bis zum Erstaunen stupide Bigotterie dieses Volkes war mir ebenso verhaßt, und der schmutzige Geiz derjenigen Klasse von Menschen, die daran schuld sind, war nicht zu verkennen; überhaupt war mir die unumschränkte Herrschaft der Priester über Leib und Seele des Volkes ein Hauptbeweis für die Stumpfheit aller Geisteskräfte, welche man an keinem andern Orte in einem höheren Grade als in Italien, besonders aber in Rom, antrifft.

In Venedig war es ganz anders. Hier hatte die bürgerliche Gewalt ein sichtliches Übergewicht über die kirchliche, und in keinem andern Teile Italiens war die Kirche mehr dem Staate unterworfen als hier.

Aus diesen angeführten Gründen finde ich kein Vergnügen, meine Aufzeichnungen von Italien mit Bemerkungen über Städte und andere Dinge anzufüllen, da alle die Altertümer und schätzbaren Überbleibsel der römischen Nation schon weit besser und vollständiger von Männern verzeichnet und beschrieben worden sind, die das mehr zu ihrem Beruf machten. Ich für meine Person reiste nur, um zu sehen, nicht um zu schreiben, und ich zeichnete mir damals ebensowenig Materialien zu diesen Bogen auf, als ich daran dachte, diese Blätter drucken zu lassen.

Ich verließ Italien im April, machte eine Reise nach Bayern, so sehr es mir auch aus dem Wege lag, und kam über München, Passau und Linz zuletzt nach Wien.

Hier kam ich am 10. April 1631 an, in der Absicht von hier aus auf der Donau nach Ungarn zu gehen und vermittels eines Passes, den ich vom englischen Gesandten in Konstantinopel erhalten hatte, alle die großen Städte an der Donau zu sehen, die damals in den Händen der Türken waren und von welchen ich in der Geschichte von den Kriegen der Deutschen mit den Türken soviel gelesen hatte. Doch folgende Veranlassung brachte mich von meinem Vorhaben ab.

Seit zwölf Jahren tobte im Deutschen Reiche zwischen dem Kaiser, dem Herzoge von Bayern, dem Könige von Spanien, den katholischen Fürsten und Kurfürsten auf der einen Seite, und den protestantischen Fürsten auf der andern Seite ein sehr blutiger Krieg. Man war auf beiden Seiten durch den Krieg entkräftet, und da die katholischen Fürsten selbst mit scheelen Augen die Macht des Hauses Österreich immer mehr und mehr wachsen sahen, so glaubte man, alle Teile wären willig Frieden zu schließen. Ja, was noch mehr ist, die Sache war schon so weit, daß sogar einige von den katholischen Fürsten und Kurfürsten anfingen von Bündnissen mit dem König Gustav Adolf von Schweden zu sprechen.

Ich muß hier bemerken, daß die beiden Herzöge von Mecklenburg durch die Tyrannei des Kaisers Ferdinand beinahe ganz aus ihren Ländern vertrieben worden waren und Gefahr liefen, auch noch das Übrige zu verlieren. In dieser Lage wandten sie sich also sehr angelegentlich an den König von Schweden, daß er ihnen zu Hilfe kommen möchte. Gustav Adolf war nicht nur mit dem mecklenburgischen Hause verwandt, sondern er hatte auch längst auf eine bequeme Gelegenheit gewartet, mit dem Kaiser anzubinden, gegen den er auf eine unversöhnliche Art eingenommen war, und eilte ohne Verzug dem Mecklenburger zu Hilfe.

Die Ursache seiner Unzufriedenheit mit dem Kaiser betraf die kaiserlichen Truppen im polnischen Kriege. Der Kaiser hatte 8000 Mann zu Fuß und 2000 Mann zu Pferde befohlen, sich mit der polnischen Armee gegen den Schwedenkönig zu vereinigen, und hatte dadurch Gustavs Waffen in diesem Kriege manchen Schaden zugefügt.

In der Absicht also, mit dem Kaiser einen Krieg anzufangen, und besonders auf inständiges Anliegen der obengenannten Herzöge von Mecklenburg war der König von Schweden im vorigen Jahre mit ungefähr 12 000 Mann in Stralsund gelandet. Er zog noch einige Truppen an sich, die er in Preußen gelassen hatte, daß also alles zusammengenommen seine Armee noch nicht 30 000 Mann ausmachte. Mit dieser Armee fing er mit dem Kaiser einen Krieg an, einen Krieg, der mit den glorreichsten Schlachten, Belagerungen und Heldentaten angefüllt ist, einen Krieg, den man wegen seiner großen Folgen und rühmlichen Beendigung unter die denkwürdigsten Kriege zählen kann, die jemals in der Welt geführt worden sind.

Gustav Adolf hatte bereits Stettin, Stralsund, Rostock, Wismar und alle festen Plätze an der Ostsee weggenommen und fing an sich weiter in Deutschland hineinzuziehen. Er hatte, wie ich schon gesagt habe, ein Bündnis mit Frankreich geschlossen, und war jetzt noch einen Vergleich mit dem Kurfürsten von Brandenburg eingegangen. Mit einem Wort, er fing an dem Deutschen Reiche furchtbar zu werden.

In dieser Lage schrieb der Kaiser einen allgemeinen Reichstag nach Regensburg aus, wo alle Parteien über den Frieden unterhandeln und sich verbindlich machen sollten ihre Kräfte zu vereinigen, um die Schweden aus dem Deutschen Reiche wieder zu vertreiben.

Hier brachte es der Kaiser durch seine ausgesucht listigen Wendungen zu einem Schluß, der ganz und gar zu seinem Vorteil, den Protestanten aber zum größten Nachteil gereichte, und vermöge dessen insbesondere der Krieg gegen den König von Schweden auf eine solche Art geführt werden sollte, daß die ganze Last und das Ungemach desselben auf die Protestanten fiel, und daß diese zu Werkzeugen gebraucht werden sollten, um ihre besten Freunde zu unterdrücken.

Andere Angelegenheiten wurden auf dieselbe Art zum Nachteil der Protestanten beendet, zum Beispiel die Maßregeln, welche ausgemacht wurden, um die Güter der Kirche wiederzuerlangen, und die Erziehung der protestantischen Geistlichkeit zu behindern. Alles übrige wurde auf einen andern Reichstag verschoben, der im August 1631 zu Frankfurt a. M. gehalten werden sollte.

Ich will nicht behaupten, daß die andern protestantischen Fürsten Deutschlands dem Könige von Schweden niemals eine Eröffnung gemacht hätten, ihnen zu Hilfe zu kommen, doch ist es klar, daß sie sich nie mit ihm in ein förmliches Bündnis eingelassen hatten. Das geht auch aus den Schwierigkeiten hervor, die nachher die Unterhandlungen sowohl mit dem Kurfürsten von Brandenburg als mit dem Kurfürsten von Sachsen verzögerten, wodurch unglücklicherweise die Zerstörung von Magdeburg verursacht wurde.

Allein das eine war offensichtlich: der König von Schweden war zu einem Kriege gegen den Kaiser entschlossen. Der König konnte oder mußte vielmehr voraussehen, daß, wenn er sich nur an der Spitze einer ansehnlichen Armee an den Grenzen des Deutschen Reiches zeigen würde, sich alle protestantischen Fürsten in der Notwendigkeit befinden würden, sich entweder aus Furcht oder um ihres Vorteils willen zu ihm zu schlagen. Und die Folge hat bewiesen, daß der Schluß nicht unrichtig war. Denn die Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen waren beide genötigt sich mit ihm zu vereinigen.

Anfänglich waren zwar sie willig, gemeinschaftliche Sache mit ihm zu machen, wenigstens fanden sie keinen Beweggrund, auf die Seite des Kaisers zu treten, dessen Macht sie ohnehin zu fürchten hatten. Sie wünschten den Schweden Glück und würden vor Freude außer sich gewesen sein, wenn die Sache auf Kosten eines andern hätte beigelegt werden können, denn als wahre Deutsche wollten sie sich lieber helfen lassen als sich selbst helfen, daher fingen sie wirklich an Bedenken zu äußern und auf Bedingungen zu bestehen.

Zuletzt aber wurden sie dazu gezwungen. Der Kurfürst von Brandenburg wurde vom König von Schweden selbst dazu genötigt, es mit ihm zu halten. Gustav Adolf war so weit hergekommen und war kein Mann, der mit sich spielen ließ, und würde gewiß Brandenburg sehr übel mitgespielt haben, hätte der Kurfürst nicht getan, wie der König wollte. Die Sachsen aber wurden nachher mit Gewalt den Schweden in die Arme getrieben, denn der Graf Tilly, der General der kaiserlichen Truppen, verheerte ihr Land und machte, daß sie sich ohne Bedingungen mit den Schweden vereinigten, um ihrem Untergange zu entgehen.

So standen die Sachen beim Schlusse des Reichstages von Regensburg. Der König von Schweden sah ein, daß sich die Protestanten ebensowohl wie die Katholiken auf den. Reichstage gegen ihn verbunden hatten, und beschloß, wie ich nachher Se. Majestät mehrmals habe sagen hören, sie zu zwingen vom Kaiser wieder abzuspringen oder, wenn sie es nicht täten, zu erwarten, von ihm ebenso wie die übrigen als seine Feinde behandelt zu werden.

Doch nicht lange nachher überzeugten ihn die Protestanten, daß sie zwar dem äußerlichen Anschein nach auf dem Reichstage zu Regensburg zu einem Bündnis gegen ihn durch List gebracht worden wären, aber nichts weniger als dies im Sinn hätten.

Sie ließen ihm durch ihren Gesandten bekanntgeben, daß ihnen nur sein mächtiger Beistand fehle, um ihr Vorhaben auszuführen, und daß sie ihn bald überzeugen würden, daß sie den Plan des Kaisers sehr wohl verstünden und für ihre Freiheit alles tun würden, was in ihren Kräften stünde. Und dies sehe ich als die erste Einladung an, die an den König von Schweden erging, sich der Sache der Protestanten anzunehmen, welche ihn nachher zu sagen berechtigte, er fechte für die Freiheit und für die Religion des deutschen Volkes.

Ich habe verschiedene Male Gelegenheit gehabt alle diese Dinge aus dem Munde dieser Fürsten selbst zu hören, und erzähle sie deswegen mit um so größerer Offenheit, doch ich würde sie hier keinesfalls erwähnen, wenn nicht die Rolle, die ich bei diesen blutigen Szenen spielte, es mir notwendig machte, den Leser einigermaßen in die Geschichte einzuführen und ihm zu zeigen, wie und durch welche Veranlassung dieser schreckliche Krieg entstanden war.


   weiter >>