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Dreizehntes Kapitel.

Es war Abend. Einzeln oder auch in stillen, kleinen Zügen begaben sich Männer aus allen Teilen der Stadt nach jener breiten Hauptstraße, dem Berge. Hier lag das stattliche Kloster Heiligenthal, welches bald nach Einführung der Reformation aufgehoben und schon teilweise abgebrochen war. Der alte Klosterhof mit seinen hohen Bäumen und die prächtige Kirche, um die sich niemand kümmerte, standen jedoch unberührt.

Durch ein Pförtchen in der Konventstraße betraten die Männer, welche sich heimlich in der mit ihrer Längsseite am Berge gelegenen verlassenen Kirche versammeln wollten, den stillen Klosterhof. Es war keine Gefahr mehr mit dieser Zusammenkunft verbunden, aber die alte Gewohnheit des Geheimnisvollen übte ihren eigentümlichen Reiz.

Niklas Kröger, der ein fester, bärtiger Mann geworden, ging mit den beiden neu einzuführenden Jünglingen dem gemeinsamen Ziele entgegen.

Hans fühlte sich eigenartig bewegt und von großen Erwartungen erfüllt. Das stille Anwachsen der Menge Engverbundener, die alle von einem Geiste beseelt waren, die alle das ungerechte Übergewicht einzelner bevorzugter Familien nicht dulden, sondern bekämpfen und besiegen wollten, erregte seine Bewunderung.

Er hatte sich von jeher mit nichts so gern beschäftigt, als mit den öffentlichen Zuständen. Was er durch Bücher oder kundige Leute über Ratsgeschäfte, Verwaltung der Stadt, Beziehungen nach außen, den Stand von Krieg und Frieden und die Bestrebungen der Landesfürsten hatte in Erfahrung bringen können, war ihm als seine beste Geistesnahrung willkommen gewesen und in sein eigenstes Denken übergegangen. So hatte er sich eine Menge dienlicher Kenntnisse angesammelt und brannte immer noch darauf, neues zu hören und sich an dem Werden neuer Dinge und Zeiten zu beteiligen.

Dämmeriger Abendschatten, durch sanften Sternenschimmer und des Halbmondes Glanz verklärt, lag über dem alten Klosterhofe. Zartes Grün und Blütenbüschel zitterten im Windhauch an den Zweigen der Bäume und den wildwuchernden Sträuchern. Die Thür der vorgebauten Kapelle am Seitenschiff der Klosterkirche stand offen, spärlicher Lichtschimmer drang durch bunt gemalte Fenster und mischte sich mit dem silbernen Mondschein. Einer nach dem andern begaben sich die Männer mit den weltlich unruhigen Gedanken in das Heiligtum. Das weite Rund der Kapelle war bald gefüllt. Aufgehängte Laternen beleuchteten mit zweifelhaftem Schimmer viele bekannte Gesichter.

Kröger trat in die Mitte und meldete die beiden Ankömmlinge, die ringsum ihre neue Brüderschaft mit Handschlag begrüßten. Dann sprach der Führer über alle wichtigen Vorgänge, die sich im Laufe des Monats in der Stadt begeben hatten. Andere traten vor und vervollständigten den Bericht. Die getreue Brüderschaft hatte sich allmählich der Stimmführung für die Bürger bemächtigt. Alle diejenigen waren dieser Verbindung beigetreten, welche sich ernstlich mit den Angelegenheiten der Stadt beschäftigten. Männer aus allen Zünften gehörten dazu und trugen die Meinung der Franz-Brüder in ihren Morgensprachen vor. So hatten sie sich dem Willen des Rats schon öfter widersetzt, hatten in Sachen der Defensions-Kasse ihr Wort geredet, die dazu aufgelegte Abgabe verweigert und der unbeschränkten Verwaltung, welche die Sülfmeister sich angemaßt, Schwierigkeiten bereitet. Heute aber dachte man daran, wenn es sein müßte, sogar den Rat zu unterstützen.

Das Wogen und Drängen der Kriegsvölker über die Elbe und durch die Heide, in deren Mitte Lüneburg dalag wie eine Insel, nur von ihren Wällen und Mauern geschützt, jedem preisgegeben, der Zeit und Kraft daran setzen wollte, eine Belagerung zu versuchen, erregte die Sorge dieses Teiles der Väter und besten Männer der Stadt ebenso sehr, wie die Überlegung jener, welche im Rathause solche brennende Frage erwogen. Die vor fünf Jahren stattgehabte grausame Zerstörung Magdeburgs und viele andere ähnliche Fälle in diesem fürchterlichen Kriege dienten allen anderen Städten zur Warnung und zum Schrecken.

Den Kurfürsten von Brandenburg zahlten die Lüneburger schon seit vielen Jahren ihr Schutzgeld. Der Rat sah sich, wie man wußte, in Notfällen bei Hamburg und Lübeck, beim Kaiser, bei jeder andern Macht eher nach Hilfe um, als bei dem eignen Landesherrn. Wer konnte das billigen?

Mit äußerster Spannung hatte Hans Stern jedes Wort, das geredet wurde, in sich aufgenommen. Als die Besprechung auf diesen Punkt gekommen war, trat er neben Kröger und bat, man möge ihn hören.

»Liebe Franz-Brüder,« begann er mit helltönender Stimme, »so einer etwas Großes und Schönes zum ersten Male sieht und erlebt, wird er am tiefsten davon ergriffen. Also ergeht es mir heute. Mir ist, als sei ich lange der eure gewesen, als wären alle eure Gedanken die meinen, und dann wieder blitzet es mir durch Herz und Sinn, als müsse ich euch Neues hinzu thun, als sei es meiner geringen Jugend beschieden, euch zu helfen. Der Rat unserer Stadt liebäugelt mit den Fremden, dieweil er fürchtet, sein Regiment teilen und unserm Landesherrn sich unterwerfen zu müssen, falls er diesen allernatürlichsten Beschützer unserer guten Stadt anrufen sollte. Getreue Brüderschaft, was zaudert und zagt ihr? So die, welche sich für unser Wohl bestellt haben, das allein Rechte nicht thun, warum wollen wir nicht eintreten und es ihnen vorweg thun? Auch wir haben unser Lüneburg lieb und wollen sein bestes, aber wir wollen nicht das beste der Sülfmeistergilde über alles andere, wie jene. Der Rat hat im vorigen Jahre den Schweden unter Banner 10 000 Thaler und Proviant zugebilligt, er hat den Kursachsen 3000 Thaler geben müssen, nahen aber unseres Herzogs Truppen, so ist nichts zu finden. Sie wissen, Herzog Georg wird seine Stadt nicht beschießen und erstürmen. Litten sie es aber, daß er sich hinter unsere Mauern legte und ihnen hülfe, wäre ihre Herrlichkeit zu Ende. Jedoch uns und der Stadt schadet unseres Landesfürsten Regiment gar nichts. Ein großer Herr mag erträglicher sein, als viele kleine und so sage ich, lasset die Bürgerschaft treu zum Herzoge stehen, er allein kann uns aus dieser Zeiten Not erretten.«

Des jungen Bruders Ansprache rief großen Beifall hervor. Alsbald kam der Beschluß zur Annahme, daß, falls man beim Rat nicht mit dieser selben Meinung durchdringe, man den Herzog Georg ihrerseits beschicken und ihm der Bürgerschaft guten Willen kund geben wolle.

Hans und Heinrich, die beiden Freunde, schritten selbander durch die schöne Mainacht dahin. Sie waren so bewegt und erfüllt von dem, was sie gehört hatten, daß sie des Redens und Erwägens kein Ende finden konnten.

»Du hast besser gesprochen, als alle andern, mein Hans!« rief Heinrich in schöner Freude. »Du allein hast das Rechte getroffen. Wie ist es dir nur möglich gewesen, alle Dinge so genau zu erkennen und deine Meinung in solch guter, zuversichtlicher Weise vorzubringen.«

»Ich weiß es selbst nicht, Hein, es kam mir wie eine Erleuchtung aus dem Innersten heraus, daß es so wäre und so sein müßte.«

Am nächsten Tage bat Heinrich seinen Vater, ihn zu Frau Barbara gehen zu lassen, die den Bescheid gesandt hatte, daß sie um ein Uhr den Bevollmächtigten des Käufers zu geheimer Besprechung erwarte.

»Ich glaubte,« erwiderte der kluge Alte, »Hans würde sichs nicht zweimal sagen lassen und dich bitten, ihm den Gang abzutreten. Allein wie ihr wollt; du wirst deine Sache ebenso gut machen.«

Nachdem Heinrich, sich mühsam zur Achtsamkeit zwingend, die Lage des Geschäftlichen noch einmal vernommen, trat er klopfenden Herzens seinen Weg nach der Münzstraße an. Er war kaum jemals in einem jener stolzen Patrizierhäuser gewesen, von deren Einrichtung man sich Wunderdinge erzählte. Es hätte ihn an sich wohl gereizt, die streng gehütete Schwelle des Senators zu überschreiten, heute aber herrschten andere Gedanken und Empfindungen in seinem Gemüte vor. Durfte er hoffen, seine kleine, holde Schutzbefohlene wieder zu sehen? Sollte sie ihn erkennen und sich ihm freundlich bezeigen? Ach, er hatte gewiß wenig Aussicht, mit ihr zusammenzutreffen, die Mutter würde alle Hausgenossen entfernt halten, damit keiner von dem Handel etwas merke. Gegen ihn, hatte der Vater gemeint, würde sie sehr wohlgesinnt thun, um einige fragliche Punkte des Geschäfts zu ihren Gunsten zu wenden. Unter diesen Gedanken betrat der junge Abgesandte den großen Thürstein, auf welchem vor wenigen Abenden die liebe Kleine gestanden und ihm gedankt hatte.

Er ließ den blanken Messingdrachen, welcher an der hohen geschnitzten Hausthür als Klopfer diente, niederfallen und alsbald öffnete man. Eine alte Beschließerin in breiter Flatterhaube kam ihm eilig vom andern Ende der großen, bunt bemalten, mit geschnitzten Schreinen und Sitzbänken ausgestatteten Diele entgegen: »Ihr seid herbeschieden und einer von den Sternen?« fragte sie hastig mit scheuem Seitenblick, »wollet mit mir kommen.«

Heinrich war ihrem Blicke gefolgt, derselbe hatte sich nach einer zur Seite befindlichen Thür gewandt, aus der Männerstimmen in lebhaftem Gespräch herübertönten, und in die eben ein Stubenknecht Kuchen und Wein trug.

Die Alte wackelte ihm voran eine Treppe mit schön geschnitztem Geländer hinauf. Sie ließ ihn in ein prächtiges Gemach treten, welches so mannigfach und bunt ausgeputzt war, daß er vor Staunen über alle die Schätze nichts einzelnes sah.

»Unsere Frau hat unerwarteten Besuch bekommen,« entschuldigte die Beschließerin, »wollet hier verweilen und Euch die Zeit nicht lang werden lassen.«

Sie ging, und er blieb in banger Erwartung allein. Anfänglich wagte er kaum sich zu regen, jeden Augenblick konnte sich die Thüre aufthun und die gestrenge Frau des Senators eintreten. Dann wurde ihm das stille Warten entsetzlich, er schüttelte den Bann, der ihn umfangen hielt, kräftig ab und ging von einer Malerei, einer schönen Schnitzarbeit, einer prächtigen Stickerei zur andern. Er sah, ohne doch recht zu sehen, und seine innere Unruhe stieg mit jedem Augenblicke.

Endlich Geräusch an der Thür, sie that sich auf und nicht die Erwartete, nein – das liebe Kind, welches alle seine Gedanken erfüllte, trat ein, hinter ihr ging ein Folgejunge, der auch hierher Kuchen und Wein brachte. Der Bube verschwand und Heinrich befand sich mit dem Mädchen allein.

»Ihr seid es!« rief sie, als sie in dem dämmerig verhängten Gemach dem starr Dastehenden näher trat, »Ihr, der mir so treu durch jene Fährlichkeit geholfen?«

»Ihr erkennt mich also wieder? O wie sehr mich das erfreut!« Die Kleine gefiel ihm heute bei vollem Tageslichte noch viel besser; ihre runden roten Wangen, die sanften braunen Augen, die zierliche Behendigkeit erschienen ihm reizender, als er je etwas gesehen.

Sie hob freundlich wieder an: »So seid Ihr einer von den Sterns? Brigittke sagt, sie glaube, Mutter wolle unser Hochzeitscarmen bei Euch drucken lassen, das der gelehrte Syndikus Melbeck so schön zu reimen weiß.«

»Möglich,« erwiderte er zerstreut.

»Ich soll Euch unterhalten, auf daß Euch die Zeit nicht lang werde.«

»Wenn Ihr da seid, wird sie das gewiß nicht,« sprach er warm.

Sie lächelte ihn erfreut an. »Wollet Mutter entschuldigen. Sie ist sonst um diese Zeit immer frei, da Vater lange zu Mittag schläft. Heute aber kamen zu ungewohnter Stunde der wohllöbliche Bürgermeister Herr Stats Töbing und sein Sohn. Sie wollten über die Hochzeit verhandeln, und Mutter sagte, es sei besser, ich bleibe nicht zugegen. Aber nehmet etwas Würzkuchen und Malvasier an.«

Sie ging zu dem Tische, auf welchen der Bursche seine Platten gestellt hatte. Heinrich folgte ihr und sah dem Spiel ihrer feinen Händchen zu. Neben dem runden, halb verzehrten Kuchen lag ein großes Messer mit schwerem Silbergriff, die kleine Hand vermochte es kaum zu regieren. Sie schnitt einige Scheiben ab, legte ihm etwas vor und schenkte von dem Wein ein hohes, venetianisches Kelchglas voll. Dies nahm sie, nippte daran, lächelte ihm zu und reichte es ihm dar. Essen konnte er nicht, aber den fremdartig süßen Wein, von dem sie getrunken, goß er in langen Zügen hinunter.

»Ich danke Euch,« sprach er mit einem Nachdruck, als hätte sie ihm großes gethan.

»Es hat Euch geschmeckt,« nickte sie erfreut, »nehmt noch eins.« Er folgte ihrer Aufforderung, da sie wieder zuerst aus dem Glase getrunken. Den bescheiden Gewöhnten durchflutete der starke Wein mit eigenartigem Feuer, er fühlte, daß er nicht mehr davon trinken dürfe und trat zum Fenster zurück. Hier stand im bauchigen Steingutgefäß mit vier Löwenfüßen eine hohe grüne Pflanze, die ihre Zweige weit ausbreitete. Das Mädchen begleitete ihn. Sie hielten sich nahe bei einander unter dem grünen Gehänge. Mut und Herzlichkeit erfüllten ihn jetzt. Er wagte es, sie näher und inniger anzublicken, als bisher.

»War Euer Empfang am neulichen Abende nicht gar zu übel?« fragte er besorgt. »Hat Junker Christoph Euch kein Leid angethan?«

Sie errötete, in die braunen Augen drängte sichs feucht. »Es war ein schlimmer Abend. Und was hätte aus mir werden sollen ohne Euch!« Sie sah ihn voll und warm an, es rieselte ihm wie noch ein heißer Trunk durch alle Adern, und dann reichte sie ihm die Hand. Er ergriff diese kleine zarte mit seinen beiden arbeitsstarken Händen und hielt sie umfangen. Sie dachte nicht daran, ihm ihre Hand zu entziehen. Dicht nebeneinander standen sie, und so flüsterte sie ihm Abgerissenes zu, vom Zorn der Mutter und dem ungebührlichen Wesen des Verlobten.

Ein Geräusch scheuchte sie aus ihrem ernsten Gespräch auf, sie blickten sich um. Die Stubenthür war offen, hinter ihnen stand Christoph Töbing mit zornrotem Gesichte.

»Unverschämter – wieder bei ihr – auseinander die Hände!« Und er schlug mit geballter Faust so plump dazwischen, daß die Kleine vor Schmerz laut aufschrie. Dann packte er Heinrich an der Brust und schüttelte ihn. Dieser empört, erhitzten Blutes, stark und hart gewöhnt, wehrte sich ohne Rücksicht auf Ort und Umstünde. Sie rangen heftig miteinander, Heinrich schweigend, den Gegner bändigend, Christoph schimpfend und angreifend.

Endlich gelang es Heinrich, den Schwächeren gegen einen hohen Lehnstuhl zu drängen, der am Tische stand und ihn dahinein zu drücken, dann ließ er die Arme seines Feindes los und wollte zur Seite greifen, um seine Kagel zu nehmen und fortzueilen. Er hatte aber Christophs blinde Wut nicht bedacht. Die halbe Niederlage durch den Mißachteten und vor den Augen der Braut, hatte den Junker aller Mäßigung beraubt. Er sah das spitzige Messer am Kuchen, sprang empor, ergriff es und stürzte sich auf den Widersacher.

»Hund – nimm das!« – Die scharfe Klinge blitzte vor Heinrichs Augen, auf seine Brust gezückt. Abwehrend packte er des Angreifers Handgelenk.

Das Mädchen schrie laut um Hülfe!

Ein gefährliches Ringen folgte, bald über dem Einen, bald über dem Andern blinkte die von Christoph umklammerte Waffe.

Da glitt der Junker auf dem verschobenen Teppich aus. Heinrich behielt das Messer in der Hand und in seiner unwillkürlichen, durch den an ihm Hängenden vorwärts gerissenen, Bewegung stieß er die Klinge in Christophs Oberarm.

Das Blut rann hervor und erschrocken ließ Heinrich das Messer fallen.

Auf dem Flurgange war es lebendig geworden, das ganze Haus lief zusammen. Da stand händeringend die robuste Frau Barbara, neben ihr der Bürgermeister Töbing, krummer und spindelbeiniger denn je, dahinter der wohlgenährte Senator Schorse von Dassel, alle neugierig, hastig, entsetzt, umgeben vom staunenden Hausgesinde.

Christoph erhob sich, unterstützt von Heinrich, dessen hilfreiche Hand er jedoch wütend fortstieß. »Der Büttel komme über Euch, Ihr Lump, Ihr Mörder,« schrie er.

»Lauft zum Bader! – Der Junker ist niedergestochen. – Das hat der fremde Gesell gethan!« – Also tönte es durcheinander.

»Er ist unschuldig, Mutter – er ist unschuldig!« rief die Tochter mit erhobenen Händen.

»Geh, Beate,« sagte Frau Barbara streng, »nachher sollst du mir von allem Rechenschaft geben. Hastig raunte sie Heinrich zu: »Ein andermal, Stern, macht, daß Ihr fort kommt.« Und laut fügte sie hinzu: »Um das Festcarmen schicke ich.«

Heinrich eilte ungehindert von dannen.

Der Bürgermeister, unzusammenhängende Verwünschungen murmelnd, hielt seinen Sohn in den Armen und der Senator stöhnte vor sich hin, es sei nicht zum Aushalten, solcher Unfug statt der Mittagsruhe. In ihrer entschlossenen Art schnitt Frau Barbara den Ärmel des Junkers auf, ließ Leinen und Wasser bringen und besorgte den ersten Verband der kleinen leichten Wunde. Christoph schalt dabei auf den unverschämten Kerl aus dem Plebs, dem man gestattet, in die prächtige Kemnate zu gehen und mit seiner Braut zu liebäugeln. Er aber wolle seine Rache nach dem Gesetz schon finden.

Heinrich lief in einer Erregung, einem Wirrwarr von Empfindungen nach Hause, wie er sie nie gekannt. Die holde Beate gehörte diesem rohen Menschen, den er haßte. Gefährlich war die Wunde nicht, davon hielt er sich überzeugt, aber Verdruß, Schererei, Strafe würde der zornige Junker durch den Bürgermeister ihm gewiß zu teil werden lassen. Wie sollte er vor dem ruhigen, ernsten Auge seines Vaters bestehen? Aussprechen mußte er sich. Er wollte sich Hans anvertrauen; vielleicht wußte dieser Rat, was zu thun, wie vorzubeugen sei.

An der Schreibstube schlüpfte Heinrich unbemerkt vorüber, dann durch die Hofthür hinaus, um Hans aus der Druckerei zu rufen.

Seine Schwester, Frau Ursel, lehnte, neugierig ausschauend in ihrer Thür, die auf den Hof führte.

»Du hast's ja eilig!« sagte sie zu Heinrich, der, sie kaum beachtend, vorüber laufen wollte.

»Ich muß Hans sprechen.«

»Vor kurzem in Geschäften ausgegangen. Du siehst ja ganz wild aus, Hein. Lieber Himmel, was ist geschehen? Komm doch zu mir herein und ruhe dich aus, armer Junge.« Sie streckte ihm die Hand hin und zog ihn zu sich her.

Er brauchte in diesem Augenblick ein tröstliches Wort und ihre leichte, herzige Art that ihm wohl. Er folgte ihr und saß nun der Schwester in ihrem hübschen Zimmer gegenüber.

Warum sollte er sich nicht bei ihr aussprechen?

Es handelte sich ja recht eigentlich um ihre Sache. Sie war älter als er; traute er ihr auch sonst nicht viel Überlegung zu, wo waren in diesem besonderen Augenblicke seine früheren Vorsätze und Meinungen? Und über Beate von Dassel konnte er auch am besten mit einer Frau reden. Das Herz zersprang ihm, wenn er es nicht einem teilnehmenden Wesen erschloß.

So fing er denn an zu berichten, erst andeutungsweise, dann bei Ursels eifrigen Nachfragen genauer, alles, alles, was zwischen ihrem und jenem Hause schwebte, alles, was ihm mit der Braut Christoph Töbings und mit diesem selbst begegnet war.

Die kleine Frau hatte achtsam und dann sogar gespannt zugehört. Sie hielt jetzt das runde Kinn in die weiße Hand gestützt und überlegte, endlich begann sie: »Ich kenne Junker Christoph, und könnte dir helfen,«

»Du, wie ist das möglich? Wo bist du je mit etwelchen aus den Geschlechtern zusammen getroffen?«

»Nun – nicht du allein – auch ich habe meine kleinen Geheimnisse und Erlebnisse;« sie lächelte schlau und ein frohes Aufleuchten der blauen Augen, ein leichtes Erröten, bewiesen, daß es sich um angenehme Erinnerungen handle.

»Was hast du gethan, von dem ich nichts wüßte?« fragte er gespannt und besorgt.

»Na, Hein, sei ruhig, nichts Schlimmes, aber – etwas – was nicht jeder zu wissen braucht. Ich bin doch Herrin meines Thuns und will meine Jugend genießen;« sie lachte fröhlich auf in ihrer sorglosen Weise. »Vertrauen gegen Vertrauen; ich will mir den Spaß machen, und dir alles erzählen,«

Er sah sie ängstlich an, denn er wußte genau, welch enge Schranken die strenge Sitte der Vaterstadt den Weibern und Töchtern der Bürgerschaft zog,

»Letzte Fastnacht,« begann sie heitern Tons, »als die Straßenaufzüge und Mummereien der Kriegszeiten halber verboten wurden, die Sülfmeistergilde aber nach wie vor zu Tanz und Mummenschanz auf dem Rathause zusammen kam, verzehrte mich der Wunsch, nur einmal dort mit zu tanzen. Eine Zeitlang zerbrach ich mir den Kopf, wie ich das anzustellen habe. Endlich dämmerte mir ein Plan. Ich war ein bischen nett mit Fähnrich Holt und erlaubte ihm gütig, um was er längst angehalten, mich einmal hier im Stüblein zu besuchen.«

»Und die Eltern?« warf der Bruder erschrocken ein.

»Sie waren an eben dem Tage beim Zunftschmause der Kagelbrüder, du auch, ich hatte böser Zähne halber abgelehnt« – sie lachte, daß man alle Perlen ihres Mundes blitzen sah. »Er kam heimlich, wollte natürlich zärtlich sein, ich aber wies ihn ab und sagte, ich denke an ganz anderes. Als er dann sich kläglich anstellte und mich zum Eheweibe begehrte, hielt ich ihm vor, wie schade es wäre, wenn er seine hochgeschätzte, vielumworbene Schwerthand also verschleudere. Ich wisse ein halbes Dutzend reicher Jungfern, die sich ihre Haare vor Verzweiflung ausraufen würden, so alle Aussicht, seine Hausfrau zu werden, ihnen verloren sei. Er solle doch mit seinem vielwerten Angebot nicht unvorsichtig umgehen! Er sagte: meint Ihr? strich sich den Bart und war so zahm, wie mein Stieglitz, der aus der Hand frißt.«

»Ursel, Ursel, was machst du für Dinge!« rief der Bruder mit halbem Lachen. »Aber weiter – weiter.«

»Ich kam nun bald auf das, was ich vorhatte. Er sollte mir helfen, den Geschlechtertanz mitzumachen, der am Faßelabend zum Schluß der lustigen Zeit, unter Larven und mit Aufzügen im Rathause stattfand. Ich wußte, die Brauer gaben an dem Tage einen Abendtanz in ihrem Gildehause, wir sollten mit Korbelins gehen, aber meine Zähne konnten ja wieder bös werden.«

»Und wie arg hast du dich damals angestellt!« sagte er höchlich erstaunt.

»Ich machte es wohl ziemlich natürlich? Sie wissen alle, daß ich sonst keinen Tanz versäume und bedauerten mich sehr. Des Fähnrichs Söldner hatten, wie er mir ohnlängst erzählt, die Wache im Rathause, jeder der hinein wollte, mußte ihnen seinen Zettel geben oder vor Peter Holt die Larve abthun, nur also kann sich die fürnehme Gilde vor Eindringlingen schützen. Überließ der Fähnrich sein Amt einem vertrauten Hellebardier und steckte sich in andere Kleider, so hinderte ihn niemand samt seiner Frau oder Tanzjungfer in den Saal zu gehen. Und also wurde es gemacht, Bruder Hein!«

»So bist du wirklich mit ihm dagewesen.«

»Wirklich und leibhaftig und es war ein rechtes Vergnügen. Ich hatte meine Zöpfe fallen lassen, als wäre ich ein Mädchen und trug einen prächtigen Ausputz, die Larve deckte mein Gesicht ganz, wie bei allen übrigen Gästen. Bis Mitternacht durfte keiner sein Antlitz zeigen, dann sollten, – unter Glockengeläut und großer Musik, die Masken herunter; wir aber beredeten, daß wir uns zuvor davon schleichen wollten. Wenn ich eine hohe Erwartung von dem gehabt hatte, was zu sehen sein werde, so fand ich alles doch noch viel herrlicher. Du glaubst nicht, welche Pracht an Atlas und Sammet, an schönen Pelzen und herrlichem Geschmeide es gab, und in welchen sinnvollen Masken alles einherzog. Da war die Göttin Luna, in deren Gefolge Phöbus, Merkurius, Amphion, nach ihrer Art gekleidet und, was ihnen gebühret, in Händen haltend. Es war da in einer Ecke der Berg Helikon mit Virgilius und Homerus, ein Priester Orpheus und ein Pferd Pegasus, beide mit Trompeten. Ein mit Einhörnern bespannter Wagen mit Pax, Pietas und Prudentia, Amicitia und Amnestia, über welche Gloria eine Krone hielt –«

»Und woher wußtest du dies alles?« fragte Heinrich erstaunt.

»Die schönen Vermummten trugen Schilder oder Bänder an sich, auf denen ihr Name stand, samt allem, was sie wollten oder bedeuteten, und wo ich es nicht recht lesen konnte oder es nicht verstand, sagte mirs einer –«

»Einer? Der Fähnrich Holt?«

»Nein, den hatte ich bald, da wir beide mit anderen tanzten, verloren. Jener, der sich vom Anfang an zu mir gehalten, half aus. Er war als ein Narr in viel Buntem gekleidet, – mit Glocken auf dem Kopfe und allenthalben behängt, er schoß Purzelbäume und man hörte immer, wo er war. Hatte ich ihn einmal verloren, gleich war er wieder da und tanzte und sprang besser, als ich es je gesehen. Er sagte mir, ich habe die schönsten gelben Zöpfe in ganz Lüneburg, er kenne alle Jungfern der Sülfmeistergilde, aber solches Haar habe keine, er brenne darauf, mein Angesicht zu sehen, es sei gewiß schön. Ob ich eine Ritterbürtige sei von einer nahen Burg? Ich lachte, machte Spaß und wich seinen Fragen aus, er aber wurde immer eifriger. Sodann vertraute er mir, daß er Christoph Töbing, der Älteste des reichen Bürgermeisters sei, und daß sein Vater schon lange Umschau halte, ihn zu vermählen, und wenn ich ihm sonder Larve so gut gefalle wie jetzt, wisse er, welche Braut er für sich begehre. Dazwischen schwatzten wir noch viel anderes lustiges und närrisches Zeug und tanzten, so viel wir konnten, miteinander.«

»Und dir gefiel Christoph Töbing?« fragte Heinrich finster.

»Warum sollte er nicht? Ich sah sein Gesicht gar nicht, und das Ganze war nichts weiter als ein Unsinn, aber lustig wars doch. Nun merkte ich aber bald an allerlei Reden und Vorbereitungen, daß die Mitternachtsstunde heran komme. Ich sah mich nach dem Fähnrich um, der als ein Knabe auf einem Steckenpferde gegangen war. In dem Gewühl, dem Trepp' auf und ab, wo der Lichtschein kaum hin fiel, und wo es allenthalben von Masken wimmelte, war Peter Holt nicht zu finden. Ich hatte keinen Zettel, mittelst welchem die Stadtknechte mich hinausgelassen hätten, und Christoph Töbing, der klingelnde Narr, war immer hinter mir. Das gab nun eine rechte Angst –«

»An den Pranger wärst du gekommen, wenn sie dich erwischt hätten!« rief Heinrich voll Schrecken.

»Ich ward sehr bange, und als Christoph das merkte, und alles auf den Glockenschlag lauerte, etliche schon mit der Hand an der Larve standen, hatte er gar mein rotes Gürtelband angefaßt und sich um die Hand geschlungen. Weil ich immer nach außen zog und drängte, standen wir, als das große Geläut, die Pauken und Trompeten und das hundertstimmige Geschrei losgingen, im Halblicht oben an der inneren Ausgangstreppe. Christoph riß mir plötzlich die Maske herunter, schrie: Du bist reizend – wußt' ich es doch! umfaßte und küßte mich. Ich wand mich mit aller Kraft los, hakte den Gürtel ab, an dem er mich hielt, und sprang davon. Ein Hellebardier trat mir entgegen. Ich bin Eures Fähnrichs Braut, raunt' ich ihm zu und flog davon, Christoph hinter mir her, ich hörte noch lange seine Schellen klingeln, aber es war dunkel auf dem Markte, und ich entkam ihm.«

»Ursel – Ursel, welch ein Wagnis!« seufzte der Bruder aus erleichterter Brust. »Und hast du Christoph Töbing nicht wieder gesehen?«

»Ja manchmal; ich merke, er geht mir nach. Sonntag in Sankt Johannis starrte er mich immerfort an, und trat mir in den Weg, als ich heraus kam. Ich aber sah still und ehrbar zur Seite und gewahrte, daß er seiner Sache nicht gewiß sei, wobei er auch bleiben mag, wenn ich für dich nicht ein Absonderliches thun muß.«

»Nimmermehr sollst du meinethalben mit ihm sprechen, eher will ich jegliche Strafe auf mich nehmen!«

Sie lächelte schlau, nickte ihm zu und sagte: »Armer Hein, ob sie dir schlimm mitspielen werden? Am besten wärs für dich, man klatschte Christoph die Muschelei der Senatorin mit der Brautgabe vor, dann ließe sein Vater die Beate sicherlich fahren, und du –«

»Schwester!« rief Heinrich ganz entsetzt und hielt ihr den Mund zu. »Schwester, woran denkst du?«

»Na,« sagte sie lachend und seine Hand abschüttelnd, »verliebt bist du doch in sie, ich kenne das. Aber sag' doch, sollten sie dich wirklich verklagen?«

»Wir müssen es abwarten. Und wie erging es dir weiter mit Peter Holt?«

»Als ich meinen ungetreuen Fähnrich wieder sah, schalt ich sehr und bin seitdem in übler Laune gegen ihn.«


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