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Achtes Kapitel.

Ein Eindruck von Dunkel und Schnee, ein Wirbel von lyrischen Bildern, – das war die Erinnerung, die Shakespeare von der Ueberfahrt von Hadersborg nach Kopenhagen bewahrte. Das Gespräch Rollos strich an seinem zerstreuten Ohr vorüber, ohne seinen Geist zu erreichen. Der Schlitten durchzog unhörbar, rasch und leicht, einen weißen Staub vor sich herjagend, fleckenlose Ebenen, kleine Gruppen abgestorbener Bäume, und die Hufe der Pferde donnerten auf den hölzernen Brücken. In Dörfern, die aus wenigen Schornsteinen bestanden, hielten sie Rast. Häuser aus Tannenholz, die der Sturm schüttelte, heiße Getränke, ehrliche, friedliche Gesichter, einfache Existenzen, die sich um den warmen Ofen gruppierten – das war der gleichförmige Eindruck dieser Haltestellen.

Der Dichter, dicht in Pelz gehüllt, von einem schneidenden Wind gepeitscht, ließ die Ereignisse der letzten Monate, die edlen Gesichter seiner Freunde an sich vorüberziehen. Mit phantastischer Deutlichkeit hörte er die Stimme Scorels, Fischarts und Readway's. Es that ihm leid, daß er, von einer sentimentalen Scheu zurückgehalten, die vielen guten und zärtlichen Dinge nicht ausgesprochen hatte, die er über sie dachte. Aber diese kühnen und großherzigen Menschentypen wuchsen in seinem Geiste, wurden zu antiken, mit Kraft und Verstand geschmückten Helden, und er lieh ihnen erhabene Thaten. Er erfand seltsame Umstände, bei denen ihre Eigenschaften glänzend hervortraten, und ließ sie prophetische Worte sprechen. Hinter diesen männlichen Silhouetten erschienen die zarten Schatten Evas und Ainos. Die Holländerin und die Dänin wurden eins durch gemeinsame Züge, dieselbe zarte Gestalt und die hellen Augen.

So viele Gedanken stürmten auf William ein, daß er seufzen mußte, weil er sie seinem Gefährten nicht mitteilen konnte. Unter den schweren Wolken zogen Schwärme von Raben einher, und es klang, wie das Klappern schwarzer Schwerter. Sie ließen sich am Rande der Straße nieder. »Sie wollen Gericht halten,« murmelte Rollo und ließ den Schlitten langsamer gehen. Die düstern Vögel stellten sich im Kreise auf, zankten und schmähten, und einer von ihnen, der mit gesträubten Federn im Mittelpunkte stand, schien der Gegenstand des Streites zu sein. Worin bestand sein Verbrechen und welch unerbittliches Urteil bedrohte ihn, wie er so unter den blassen Schneeflocken, vor seinem krächzenden Richter stand?

Beim Untergang jenes Lichtes, das den Namen Tageslicht kaum verdient, überschritten die Reisenden den kleinen Belt. Der Schlitten glitt zwischen den fichtenbedeckten Hügeln hin. Der Schein des Schnees kämpfte gegen die Dämmerung, große blaue und violette Flächen wechselten mit rötlichen Streifen. »Für eine solche Trostlosigkeit paßt kein einziger, moralischer Zustand,« dachte Shakespeare bei sich. »An diesen Orten müßte es Feen und Riesen geben; das ist das Land, das die Sage verlassen hat.«

Aber die düstere Gewalt des Nordens erwartete ihn erst im großen Belt. Die Nacht war herabgesunken, als sie sich auf dieses erstarrte Meer wagten. Der fahle Eisspiegel setzte sich wie ein ausgedehnter Abgrund bis zum äußersten Horizont fort, den ein kalter Dunst bezeichnete. Plötzlich ein Schrecken. Ein dumpfes Krachen zerriß mit einem Male das dunkle Kristall, und blitzartig lief der schwarze, horizontale Riß, unaufhörlich an Geräusch und Breite zunehmend, gegen Westen. Die Pferde stürzten beinahe. Der Abgrund des Himmels und des Bodens füllte sich mit einem grünen, undurchsichtigen Brodem, dem scharfen Atem des Winters. »Das ist die Weide des Todes,« rief der Dichter. »Das Gespenst des vom finsteren Frost gefangenen Wassers weicht stöhnend zurück und verkündet uns das Ende der Welt. Wer kann diesen Tragiker überbieten? Der böse Traum verwirklicht sich. Ihr ungeheuren Kinder meiner Phantasie, eilt aus der Tiefe meines Selbst herbei, denn die Umgebung ist euer würdig!« –

Das Ritter-Theater, das diesen Namen wegen der hohen Statue auf seinem Giebel führte, befand sich nicht weit vom Hafen in einer engen Straße Kopenhagens. Es war ein ovales Gebäude, dessen Hintergrund die Bühne bildete, während der übrige Raum für die Zuschauer reserviert war. William und sein Führer kamen unerwartet während der Probe einer Posse »Der betrogene Betrüger« an. Die Freude der Schauspieler war außerordentlich. Unter Schreien und Sprüngen stürzten sie Rollo entgegen, umarmten ihn und wollten ihn im Triumphe herumtragen. »Grüß Gott, meine Kinder! Grüß Gott!« rief der brave Mann, sich mühsam losmachend. »Ich bringe euch ausgezeichnete Nachricht von Hamburg. Der Weg war ein bißchen frisch, aber herrlich, dank unserem, eurem Kameraden, Herrn William Shakespeare hier, einem berühmten, englischen Schauspieler, der mit seinem Talente Eure Erfolge vergrößern wird.« Der Lärm wurde lauter. Alles begrüßte den Neugekommenen. Er machte sofort die Bekanntschaft der Duenna, einer starken Dame mit großem Munde, tiefem Lachen und Wangen, die über ein mehrfaches Kinn herabfielen, der zwei in Gelb und Grün gekleideten Diener, des Hanswurstes in seinem flitterbesetzten Kostüme, des anmaßlichen und feierlichen Heldenvaters, des Hauptmanns, eines ungeheuren Kerls mit einem furchtbaren, aufgedrehten Schnurrbart, des albernen Gatten, eines eleganten und schüchternen, jungen Mannes, Sohnes des Senators und königlichen Ratsherrn Rosenkrantz, der sich zum Aergernis der ganzen Stadt aus Bewunderung der großen Kokette Eveline in die Truppe hatte aufnehmen lassen. Die letztere fiel Shakespeare gleich um den Hals. »Du gefällst mir, du bist schön,« rief sie. »Wir werden uns sicherlich gut vertragen, mag Rosenkrantz auch vor Eifersucht platzen.« – Sie war von mittlerer Größe, schlank und geschmeidig. Ihre kastanienbraunen Haare, die einen goldenen Schimmer hatten, lagen wellig um das kleine Gesicht mit der feinen Nase, den etwas zu roten Lippen und den Augen, die sich darin wie zwei große, schwarze Blumen öffneten. Sie trug ein hellgraues mit Silber besetztes Sammetkleid. Die zierlichen Bewegungen ihrer langen, mit Ringen bedeckten Hände begleiteten ihre tiefe, wohlklingende Stimme. Dem Dichter fielen ihre etwas eingefallenen, geschminkten Wangen und die wunderbare Form ihrer Hüften auf. Als er ihr Komplimente machte, antwortete sie: »Ich bin ein Zigeunerkind, weiß nicht, wo, von welchen Eltern, unter welchen Sternen ich geboren ward; ich liebe den Wein, starke Muskeln, das Theater und die Lüge, und wenn ein Wunsch mich ergreift, vermag ich ihm nicht zu widerstehen. Wenn du willst, kannst du noch heute zu mir kommen.«

Das geschah auch, nachdem Eveline den unglücklichen Rosenkrantz verabschiedet hatte. Sie bewohnte in einiger Entfernung vom Theater, im reichen Viertel Kopenhagens, ein mit prächtigen Stoffen ausgeschlagenes Zimmer. »Ich brauche lebhafte Farben; die Liebe fordert Prunk. Aber ich verderbe alles. Du wirst sehen, wie unordentlich ich bin. Wenn ich in Zorn gerate, zerbreche ich die Spiegel, zerreiße die Brokatstoffe, zerpflücke die Spitzen. Sieh diese an; sie kommt aus deinem Lande und stellt Wälder und Tiere dar. Sieh nur, wie meine Haut durch sie hindurchglänzt.«

Inmitten des erleuchteten und warmen Zimmers stehend, zeigte sie vor dem Spiegel kokett ihre vollendeten Schultern, ihre anbetungswürdigen Arme. Shakespeare bewunderte sie schweigend. »Du bist also ein Dichter? Du wirst meinen Hals, meine rosige Haut und mein Lächeln besingen und sein wie die anderen – eifersüchtig bis zum Wahnsinn, so langweilig als nur möglich und derart, daß ich deiner bald überdrüssig sein werde.«

Sie näherte sich ihm, kniete nieder, legte die Ellbogen auf seine Knie und sah ihn ganz aus der Nähe mit ihren großen, verträumten Augen an. –

»Und doch wäre es ganz einfach, mich so hinzunehmen, wie ich bin. Glaube nicht, daß ich ein leichtfertiges Ding bin, weil ich dir sofort ein Zeichen machte. Ich mache mir nichts aus Geld, und Rosenkrantz tötet mich mit seinen Seufzern, seinen Karossen, dem Zorn seines Vaters, dem er meinetwegen trotzt. Ach! Ach!« – Mit entzückender Ungeniertheit reckte sie sich, gähnte und zeigte ein ideales, kleines Gebiß mit winzigen, durchsichtigen Zähnen. »Wie schal ist das Leben! Ich habe tausend Gefahren ausgestanden, habe geistreiche und alberne Geliebte gehabt, habe die Flüche des Soldaten, die Langweiligkeit des Bürgers, die Großsprecherei des Ritters ertragen. Sie haben mir den Mondschein, die milde Dämmerung, das Murmeln der Quelle und das Rauschen der Bäume verdorben, denn deinesgleichen vergiftet die Natur. Manche haben sich für mich um Leben und Ehre gebracht, aber ihr Blut kam mir dumm vor und ihre Schmach verächtlich. Nur des Abends, vor der Menge, wenn ich meine Seele wie mein Gewand wechsle, wenn ich aus einer Königin eine Hirtin werde und meine erkünstelten Gefühle wahrer sind als meine wirklich erlebten Leidenschaften, fühle ich ein stolzes Leben in mir.«

Ein seltsames Gelüst ergriff ihn, eine reine Erinnerung zu verwüsten, und so erzählte er ihr die Geschichte Ainos. Sie hörte mit einem geheimnisvollen Lächeln in einer unzüchtigen Pose zu und streichelte von Zeit zu Zeit mit ihren duftenden Fingern sein Gesicht. Der Tod Readway's rührte sie; sie kannte Helmi von Fulkenstein vom Sehen. »Du wirst dir selbst ein Urteil bilden können, sie ist eine langweilige Blondine.« Dann erzählte sie ihm ihrerseits von ihren Reisen, denn die Truppe zog von einer Stadt in die andere, ohne ihr Repertoire zu ändern. »Die Stücke sind langweilig, meist das Werk Rollos, und Rollo, das merkst du wohl, fehlt es an Genie. Hundert Worte für eines, Tiraden, wie ein endloser Faden Wolle, banale Umstände, nie ein wirklicher Fund.« Sie besaß Feuer, den Sinn für das Malerische und die Nachahmung. So äffte sie hintereinander der Duenna, dem Hauptmanne, dem Heldenvater, den Dienern nach, nahm wilde Mienen an, hob die Stimme und zog ihre seidenen Augenbrauen zusammen. »O, mein Dichter, wenn du mich unsterblich machen willst, vergiß diesen Zug nicht: Ich gleite nach Belieben in verschiedene Körper und mein Beruf ist mir Natur geworden. Gleich dem Chamäleon wechsele ich meiner Laune zufolge die Farbe. Wenn ich heroisch sein will, steigt der Mut in mir empor, und ich würde fröhlich dem Tode trotzen. Die Feigheit macht mich schreckhaft bis zum Schreien. Der Haß bewegt mich, bis ich zittere, und wenn ich sage, ich liebe dich, schwellen brennende Thränen mein Herz. Ich schließe die Lider, rufe die Eifersucht herbei, und sofort entschlüpfst du mir, eilst zu deiner kleinen Dänin mit der milchweißen Haut, und ich brülle vor Wut, wünsche ihren und deinen Tod, sehe, wie ihr euch küßt.«

William ahnte, daß zwischen ihm und diesem hübschen Mädchen eine seltsame Verwandtschaft bestand, sie drückte Dinge, die er wirr empfand, in klaren Worten aus.

Am nächsten Vormittag begab er sich zu der edlen Dame Helmi von Fulkenstein. Ueber eine Marmortreppe gelangte er in das erste Stockwerk eines prächtigen Palastes und durchschritt zwei in strengem Stil gehaltene Säle. Die Töne einer Laute schlugen an sein Ohr. Helmi saß in einer Art von Boudoir, das von glänzenden Stickereien belebt ward, und fuhr beim Eintritte des Dichters zusammen. William bog das Knie, reichte ihr den Brief Readway's, und während sie ihn entsiegelte, beobachtete er das im Profil beleuchtete, regelmäßige Gesicht der etwas starken Blondine, den runden, reinen Hals, die gerührte Aufmerksamkeit der Züge, das Instrument aus poliertem Holz, das die Hände der Patrizierin hielten, das reiche Mieder aus hellgelbem Atlas, das weiße Kleid, die mit Steinen besetzten Schuhe. Nun schlug sie die thränenvollen Augen zu ihm auf, die gleich denen des Ritters goldgesprenkelt waren. Ohne Zweifel ging von ihnen der Zauber aus. »Herr, Ihr habt diese rührende Mission unter tausendfachen Gefahren erfüllt. Das mag Euer Lohn sein« – und sie begann mit lauter Stimme, von tiefen Seufzern unterbrochen, Readway's Brief vorzulesen:

»Lebt wohl, geliebte Helmi, die höher steht, als alle Pracht der Erde. Bewahrt im geheimsten Winkel Eures Herzens das Andenken Philipp Readway's. Wenn Ihr allein auf Eurer Terrasse an einem hellen, schönen Abend die Sterne betrachtet, werde ich der Lufthauch sein, der in Eurem feinen Haare spielt und Euer gesegnetes Antlitz liebkost.« Die junge Frau schwieg einige Augenblicke. Eine tiefe Zornfalte furchte ihre schöne Stirne. »Dieser Olof, stolz auf seinen schändlichen Sieg, hat die Kühnheit gehabt, zurückzukehren. Ah, wie habe ich ihn davon gejagt!« Sie hielt Shakespeare lang bei sich zurück, ließ sich von ihm die Reise durch Deutschland, die Gespräche Readway's über die Liebe und den Tod erzählen, und jede Einzelheit, die sie betraf, steigerte ihre Schwermut, umschattete feucht ihre Augen. Als die Erzählung zu Ende war, zog sie einen ihrer Ringe vom Finger. »Er hat mir mehrere gegeben,« sprach sie; »behaltet diesen zum Andenken; er gleicht einem Blutstropfen.«

*

Eveline billigte die Haltung der Dame. »Aber warum hat sie Olof verschmäht?« rief sie. »Dieser Mord gab ihm ja einen Reiz. Ich habe mir eingebildet, daß die empfindsame Helmi verlangen würde, daß du sie trösten solltest; der Schmerz steht ja der Begierde so nahe.«

Sie hatte Rosenkrantz fortgeschickt. »Er stöhnte, wie eine Katze, die man erwürgt, und weinte zwei Stunden, ohne aufzuhören. Ich befürchtete eine Ueberschwemmung. In diesem Augenblicke liebe ich dich, und der Anblick eines anderen ist mir widerwärtig. Für zwei Perlenhalsbänder vermöchte ich es nicht. Der arme Teufel! Wie häßlich war er in seiner Not! Er faltete die Hände, rief: »Meine Eveline, meine Eveline,« schleppte sich auf den Knien vor mir herum, schwur sich zu ertränken, sich aufzuhängen oder Gift zu schlucken.«

Nichtsdestoweniger fuhr der Unglückliche fort, die Rolle des Gatten in dem Stück »Der betrogene Betrüger« weiter zu proben, und William übernahm die Rolle des Liebhabers, so daß die Fiktion das verkleinerte Bild der Wirklichkeit wurde. Der Dichter erinnerte sich an die Ratschläge des Ermanius bezüglich der Bruchstücke, die das Gesamte wiedergeben, der Dramen, die Dramen einschließen. Die Vorstellung sollte am 15. März, am Jahrestage der Krönung, stattfinden. Mittlerweile wurde jeden Abend eine Schnurre aufgeführt. Eveline erschien darin nicht. Die Schauspieler hatten sich mit Shakespeare befreundet. Sie lachten, wenn er in der Frühlingsnacht seiner Geliebten den Hof machte, während der auf der Terrasse eingeschlossene Eifersüchtige seine Verzweiflung und seine Wut den Sternen anvertraute. Rosenkrantz ertrug die Spöttereien, magerte aber sichtlich ab. »Ich hasse Euch nicht,« sagte er zu seinem Nebenbuhler, »es ist nicht Eure Schuld, und Evelinens Temperament reißt sie hin. Möglicherweise wird sie eines Tages zu mir zurückkommen. Aber ich leide furchtbar, und es giebt Minuten, wo ich befürchte, wahnsinnig zu werden.«

Obwohl William von der Schauspielkunst nichts verstand, erweckte er die Illusion des Könnens, machte rasch Fortschritte, und Rollo beglückwünschte ihn. »Ihr seid nur ein wenig zu natürlich,« sagte er. »Man muß der Wahrheit Gewalt anthun, damit sie den Zuschauern wahrscheinlich vorkommt. Die Sprache ist lauter, die Gebärde lebhafter, und der Gang wird eine Kunst. Die geringsten Schattierungen müssen sichtbar werden. Bedenkt doch, daß Ihr Euch schminkt, um die Qualen der Seele auszudrücken.«

»Hör nicht auf den alten Narren,« murmelte Eveline. »Wenn man eine so klare Stimme besitzt, wie du, soll man sich von den Gefühlen treiben lassen, die von den Brettern zu unserem Herzen aufsteigen. Der Gott belebt und der Beifall stärkt uns. Wer nie den Kopf verliert und inmitten der Leidenschaften ein kaltes Urteil bewahren, seine Schritte und seine Haltung regeln, seinen Partner überwachen oder jemanden auf den Bänken grüßen kann, der hat nie das Vergnügen gekannt. Denkst du daran, meine Tunika zu schonen, wenn du dich in meinen Armen windest?«

Der Dichter merkte ohne Ueberraschung, daß seine Kameraden ihre Rollen auch im Leben bewahrten. Der Heldenvater sprach über alles mit komischer Feierlichkeit und schenkte seine Ratschläge wie Geldstücke. Er besaß auffallend kurze Beine, die seine Bewegungen hinderten. Der Ernst wich nie von seinem Gesichte, und er ergötzte sich lange an den Sätzen, die aus seinem dünnlippigen Munde fielen. – Der Hauptmann prügelte immer friedliche Bürger, verscheuchte die Wache mit Säbelhieben und ließ die Bretter unter seinen schweren Absätzen erdröhnen. – Der Hanswurst endlich affektierte eine gewundene, blumige Sprache, eine Offenheit mit geheimen Anspielungen, eine wunderliche, übermütige oder schwermütige Laune, Träumereien, die sich mit Flüchen, Zoten und Püffen mischten. So wohnten sie in einer Welt für sich, und ihr Charakter war aus einer Uebereinanderschichtung imaginärer Personen gebildet.

Die Wohnung, die der Dichter in einer Herberge neben dem Hause Evelinens gemietet hatte, ging auf einen häßlichen, stinkenden Hof; aber er hielt sich dort nicht auf und verbrachte seine Zeit bei der Geliebten. Die Stadt erschien ihm im Gegensatze zu Amsterdam und Hamburg uninteressant. Sie besaß nicht einmal den Reiz Londons, an das sie an gewissen Stellen erinnerte. Längs der Straßen, der einsamen Quais und auf den großen Plätzen wehte ein eisiger, von Hagel und Schnee begleiteter Wind. Dann war es in dem warmen, geschlossenen Zimmer sehr behaglich. Eveline liebte Gewänder und Verwandlungen. Sie hüllte ihren geschmeidigen Körper in Seide, Atlas, Samt, weiche Wollstoffe, wechselte die Farbe, die Falten, schminkte sich mit magischer Geschicklichkeit oder löste ihr reiches, goldenes Haar, das bis zu ihren Knöcheln herabrieselte. Bald stellte sie ein hüstelndes, weißhaariges Weiblein, eine wahrsagende Hexe dar, bald eine stolze Dame, die verächtlich die Huldigungen eines Ritters zurückstößt, bald eine junge, naive Bäuerin, die durch den Anblick eines Festes verlegen und durch die Neckereien der Gevatterinnen verschüchtert wird. Sie ahmte Fürsten, Bürger, Priester, den deutschen, dänischen, italienischen Accent nach, hielt einen wahren Laden von Grimassen, und Zorn, Freude, Trauer, Haß, Liebe, Verzücken, Schmerz folgten aufeinander auf dem Spiegel ihrer beweglichen Züge. Dann verwickelte sie das Spiel noch, indem sie den Uebergang von einem Gefühl ins andere, von Fröhlichkeit zur Verdrossenheit, von Vertrauen zur Ergebung darstellte. Allerlei Stoffe und Lappen lagen auf dem Boden umher; sie plünderte alle Schränke, und dann, wenn sie dieser Posse überdrüssig war, entledigte sie sich rasch der Spitzen, Juwelen und Flitter und erschien Shakespeare in dem Glanz ihrer ambraartigen, duftenden Haut, als »Tochter des Bacchus und der Proserpina.«

Sie forderte von ihm, daß er ihre Füße und Hände, auf die sie so stolz war, ihre vollen Arme, ihre ganze Schönheit feiere. Sie erörterte die Beiwörter und Vergleiche und klagte, daß er ihre Schönheit herabsetze, allzu derbe Formeln gebrauche. »Das könnte auf eine andere ebenso gut angewendet werden, wie auf mich,« sagte sie. »Ich verlange spezielle Lobpreisungen, so daß man, wenn man sie aufzählt, ein treffend ähnliches Bild erhält.« Er erklärte ihr, daß die Feinheiten des Geistes sich auf dem Wege des Ausdruckes entfärben und daß zwischen einer Strophe und dem Zustande der Begeisterung, in dem sie geschaffen wird, stets ein seltsames Mißverhältnis bestehe. Aber sie wollte nichts davon hören. »Wenn du mich wirklich begehren würdest, würden deine Worte Feuer sprühen. Die Begierde fährt zischend, wie ein glühendes Eisen durch unser Wesen und ruft unvergleichliche Laute hervor.«

»Ich habe die Männer eifrig studiert,« sagte sie ein andermal. »Die Frau ist nicht so schwer zu behandeln, aber man kann sie weniger leicht erfassen. Bei euch kann man die Gefühle mit trostloser Leichtigkeit hervorrufen.« »Heute bin ich im Hafen einem braunen Matrosen begegnet, der mir gefiel,« sage ich. Sofort wird der Liebste unruhig und beginnt zu fragen. Ich bleibe dabei, und er tobt. Ich leugne, und das Vertrauen kehrt in sein lächerliches Gesicht zurück, das der angstvolle Ausdruck nach und nach verläßt. Aber welche Wonne, die Wahrheit mit dem Scheine der Lüge zu gestehen, zu rufen: »Ich habe dich betrogen! Der und der hat mich besessen.« Eine alberne Freude verzieht die Wangen des Gecken, faltet seine fetten Lider: »Kleine Närrin, für so dumm hältst du mich?« –

Zu diesem Thema kehrte sie oft zurück. »In dir ist etwas, was ich bisher nicht kannte. Es scheint, daß du empfindest, aber dein Bewußtsein bleibt intakt. Selbst mein Zorn interessiert dich.«

Er ergriff ihre feuchte Hand mit dem fein gemeißelten Gelenk.

»Diese kostbaren Steine spiegeln das Weltall wieder, aber das Weltall wirkt nicht auf sie,« sagte er. »Das unglaubliche Uebermaß meiner Eindrücke läßt mein Herz bald gleichgültig, und alles malt sich in meinem tiefsten Innern mit den Formen und Farben des Kunstwerkes. Ich würde selbst meinem Sterben neugierig zusehen, und das bißchen Einbildungskraft, das noch in meinem armen Gehirne übrig wäre, würde Dramen über mich selbst aufbauen. Wie weit meine Sinne auch gehen, immer läuft jemand vor ihnen einher und beurteilt sie. Ein ewiger Dämon treibt mich dazu, die Umstände zu travestieren.«

»Du bist ein Ungeheuer!«

»Es giebt keine Ungeheuer. Uebrigens weiß ich zu genießen und zu leiden. Hier hält das Wort inne. Wir leben in einer gläsernen Mauer.«

Sie verschränkte die nackten Arme über der Brust und schwieg ein paar Augenblicke still. »Du übst einen furchtbaren Reiz auf mich aus,« sagte sie dann. »Gleich wie ich dich zum ersten Male sah, begriff ich, daß dein Fieber zu dem meinen passe. Berühre mich, ich brenne von Kopf bis zu Füßen. Wir sind beide Ungesättigte, und nichts kann uns befriedigen. Dich verraten? Du würdest mich lächelnd empfangen, denn ich würde deiner Phantasie Stoff geben. Dich nicht verraten? Dann hebe ich deinen Stolz und erliege deinem Zauber. Ach, die Wahl ist schwer!« Hier erstickte sie ihn fast mit ihren Küssen.

»Du solltest unserer Truppe folgen. Das wäre das rechte Abenteurerleben. Wir würden unter Gefahren in der duftenden Frühlingslandschaft schlafen, und die Morgendämmerung würde uns mit ihrem kalten, lila Nebel wecken. Willst du? Willst du? Willst du?«

Der Jahrestag der Krönung kam heran. Es war ein Tag voll Pomp und Lärm. Eveline und Shakespeare mischten sich unter die Menge. Ueberall erhoben sich Triumphbogen. Graue Wolken liefen gleich majestätischen Schiffen über den Himmel, und die Farben der Kleider schienen für die trübe Luft zu grell, zu lebhaft zu sein. Als sie sich dem Mittelpunkte der Stadt näherten, wurde die Menge noch dichter. Auf dem großen Platze vor dem Palaste sollten zum Zeichen der Freude Hexen verbrannt werden. William weigerte sich, näher zu treten. Der freudige Ausdruck auf den Gesichtern kam ihm abscheulich vor, und die albernen Reden betäubten ihn. Eveline verließ ihn, denn sie wollte zusehen. Er blieb in einiger Entfernung stehen. Die Masse des nach Martern gierigen Volkes, dieser grausame Strom mit tierischen Begierden strich an ihm vorüber. »Es sind ihrer zwölf, – eine hat Teufel ausgespieen, – man wird sie mit Ruten peitschen – du mußt mich auf deine Schultern heben.« – Ein ungeheurer Lärm erhob sich, und hinter einem Horizonte von Köpfen und Kopfbedeckungen stieg der Rauch, den der Wind verjagte, in langen, weißen Spiralen auf. »In Rotterdam, in Kopenhagen, überall höre ich den Jubel der Tortur. – Die Hummer des Ermanius!« – Die Glocken läuteten mit aller Macht, die Hymnen übertönten das Geschrei der Opfer. »Warum bist du nicht da, Johannes Fischart, mit deinem rächenden Wort! Wie würden diese im Namen eines Gottes begangenen Schändlichkeiten deinen Haß noch reizen! In diesen Wirbeln eines menschlichen Rauches nehme ich die Empörung, die Lästerungen des knisternden Fleisches und die des erliegenden Geistes wahr.«

Eveline kehrte zurück. Die schwarze Flamme ihrer Augen paßte zu denen des Scheiterhaufens. »Welch ein Schauspiel hast du versäumt,« rief sie. »Die alten und die jungen Weiber, mager wie Häringe, im Hemde und mit dem Stricke um den Hals – sie sahen aus, wie trocknende Wäsche. – Ein dicker Kerl hat das Feuer angelegt, und ich schwöre, die Kanaille lachte dabei. – Ihre nackten Beine belustigten ihn zweifellos. Aber wenn die Verdammten in die Hölle kommen, warum röstet man sie da zweimal?«

Am Abend fand die Vorstellung des »Betrogenen Betrügers« statt. Als William auf der Bühne erschien, wurde er durch die Anwesenheit der spöttischen Herren, der lärmenden Bürger und der Damen mit den neugierigen Blicken durchaus nicht erschreckt. Einige Schritte von ihm entfernt saßen auf Schemeln mehrere Freunde Rosenkrantz', die im Parterre keinen Platz finden konnten. Sie lachten und machten mißfällige Bemerkungen, aber ihre dänischen Mehlgesichter erregten ihn nicht. Er hörte nicht einmal auf den aufmunternden Zuspruch seiner Kameraden noch auf die Albernheiten des mit Zinnober angeschmierten Hanswursts. Angesichts dieses Auditoriums, dieser Wiese von Augen, Mündern und Händen, inmitten dieser schlechten, plumpgefärbten Dekorationen, dieser schweren, rauchigen Luft trugen ihn seine Gedanken nach den alten Gestaden, zu den heroischen Abenden Roms und Athens zurück. »Was liegt an den Körpern und dem Aussehen! Dieses Gesindel wird mich unsterblich machen, wenn edle Verse und großartige Leidenschaften es erschüttern. Es handelt sich darum, die Seele wiederzufinden, diesen Blinden die Augen zu öffnen, diesen schlaffen Naturen einen Schauer einzujagen. Ich bearbeite einen widerspenstigen Stoff.« Als in dem Dialoge die Reihe an ihn kam und er die Anmut Evelinens sah, ergriff Begeisterung sein Herz. Sie trug ein Kleid aus dunkelrotem Samt; das Mieder, das ihre Büste umspannte, entblößte den oberen Teil ihrer Brust und wurde von einer Goldstickerei begrenzt; ihre bauschigen, aus mehreren Stücken gebildeten Aermel wurden von durchsichtiger Gaze und einer Flut von Nesteln zusammengehalten, und von der Taille aus lief ein langes, goldenes Band längs des schweren, faltigen Rockes herab. Auf ihren glänzenden Locken funkelte eine kleine Krone. Da fiel er auf die Knie und rief statt der langweiligen, vorgeschriebenen Worte: »Schönheit, die die Welt regiert, warum hast du dich solcherart in eine einzige zurückgezogen? Fürchtest du nicht zu verschwinden, wenn diese herrliche Gestalt, die die Küsse Amors bildeten, je welkt? Ihr Stoffe, die ihr diesen zarten Körper schmückt, bewahrt auf ewig seine Form und seinen Duft!« In diesem Augenblicke bemerkte er, den Kopf nach dem Saale wendend, Helmi von Fulkenstein, die aufmerksam zuhörte, und da Eveline, ohne in Verlegenheit zu geraten, mit einigen feinen Neckereien antwortete, fügte er hinzu: »Die spöttische Stimme, die das zarte Geständnis unterbricht, klingt mir auch süß. Der Dichter stirbt für seine Angebetete. Sieh, dort liegt er auf dem Schnee; seine unnütze Hand betastete den Stahl. Aber ein leises Lachen ertönt über ihm. Die Liebste singt, während er stirbt. – Wozu willst du dein stolzes Leben, dein einziges, ruhmbereites Leben einem Vogel schenken?«

Ein schmeichelhaftes Gemurmel folgte dieser Periode. Helmi von Fulkenstein erbleichte. Die beiden Liebenden fuhren trotz der Bitten Rollos fort, ihre Rolle zu entstellen. Das Fieber faßte sie immer stärker, und in ihre aufrichtigen Küsse mischten sich heiße Worte, leidenschaftliche Bewegungen. Sie fühlten, daß die Zuhörer gepackt waren und ihnen nach dem Traume zuflogen. Rosenkrantz, anfangs überrascht, gesellte sich ihnen zu, beschwor seinen Nebenbuhler, klagte die Ungetreuen an, und sein Schluchzen klang unwiderstehlich, so daß viele Zuschauer weinten.

Die Schöpferkraft überflutete Shakespeare in Strömen, in Wirbeln, wie ein stürmisches Meer. Alles – eine Erinnerung, ein Reflex, ein Duft, eine Gebärde Evelinens, das Funkeln der Nesteln oder des goldenen Bandes, der schmerzhaft verzogene Mund Rosenkrantz' wurde für ihn zu Metaphern. Die Gefühle, die er erweckte, strömten ihm wieder zu, rauschten, von den Zuhörern vervielfacht, über seine Seele, und er gab sie verstärkt und verschönert zurück. – Da verwandelte sich das Stück und ward aus einer Posse eine Tragödie. Der unglückliche, verratene Gatte drohte, sich zu töten. Des Lebens und der Schmach überdrüssig, rief er mit stürmischen Worten den Tod herbei, und sein Totengesang unterbrach das Liebeslied. Dicht neben den Küssen glänzte der Dolch. William erriet aus dem Tone, der Haltung und den verstörten Augen Rosenkrantz', daß ein wirkliches Drama diese Luftspiegelungen abschließen würde. Da ergriff er plötzlich seine Geliebte und warf sie dem jungen Manne in die Arme. »Behalte sie, ich will sie nicht mehr! Ich schwöre es dir bei meiner Ehre, ich verjage sie heute von meinem Lager!« Aber der verblüfften Eveline flüsterte er ins Ohr: »Heute, doch das Morgen bleibt uns. Ich rette ihn vor dem Wahnsinn.« Das Stück endigte unter einem Beifall, der in den Annalen des Rittertheaters einzig dastand.

Einige Zeit darauf fuhren Eveline und Shakespeare im Schlitten nach Helsingör. Der Himmel war kalt und klar. Die Sonne zeigte ihr eisiges Antlitz, und der Schnee stob Funken. Die Liebenden ergötzten sich, aneinander geschmiegt, an der schnellen Fahrt, während der Kutscher hinter ihnen seine schaumbedeckten Pferde antrieb. Sie erinnerten sich an den denkwürdigen Abend, an den Zorn Rollos, der über die Entstellung seines Werkes wütend war. Was Rosenkrantz betraf, so hatte ihn sein Vater, der einen Skandal fürchtete, nach kaum beendeter Vorstellung ergreifen und ins Gefängnis werfen lassen, bis er das förmliche Versprechen ablegen würde, seine Komödiantin zu vergessen.

»Du aber hättest deine Eveline geopfert, Undankbarer!« lachte sie, während ihr rosiges Gesicht aus den silberschimmernden Pelzen hervorschaute. Und er fühlte den sanften Druck ihrer Hand.

»Das wäre schade gewesen, denn ich wußte noch zu wenig von dir,« antwortete er.

»Und jetzt?«

»Jetzt giebt es nicht einen deiner Gedanken, den ich nicht in deinen Augen und deinen Schauern verfolge.«

»Bist du schon einmal einer solchen Phantasie begegnet?«

»Noch nie, nicht einmal in meinen Gedanken! Eveline, du bist meine Schwester.«

»Himmlisches Feuer, verzehre uns!«

»Du bist meine Schwester, Eveline. Ich will damit sagen, daß unser beider inneres Wesen in einem Spiegel ein fast gleiches Bild geben würde. Die Freude, die du meinen Sinnen bietest, harmoniert mit der, die mein Geist sich raubt.«

»Du wirst mir also entschlüpfen?«

»Wie die Natur nach raffinierten Liebkosungen, entzückenden Qualen, einem Rausch von Düften und jungen Blättern dem Frühling entschlüpft. Aber dann werden wir uns nicht mehr verlassen. Du wirst eine Falte meiner Seele sein, und ewig werde ich meine künftigen Heldinnen aus dir schöpfen.«

»Bis eine andere Gestalt die meinige verwischt.«

»Bis alle Gestalten sich in meiner Erinnerung verwischen, bis die gebieterische Stimme des Todes sie in das Urmeer der Formen zurückruft.«

Bei der Biegung der Straße erhob sich vor ihnen das Schloß Helsingör, umgeben von Fischerbooten, deren Maste bis zu seinem Giebel reichten. Mit seinen gemeißelten Türmen, von denen einige in Spitzen ausliefen, mit seiner eindrucksvollen, düsteren Masse, seinen breiten Terrassen beherrschte es das Meer der eisigen Wogen mit den schneeigen Kämmen. Die letzten Strahlen der kurzen Märzsonne erleuchteten die Fenster, die Skulpturen der Façade und strömten in langen, roten Reflexen über die unbeweglichen, weißen Fluten. Eveline und Shakespeare stiegen aus dem Schlitten und näherten sich diesem hochragenden Zeugen der Jahreszeiten und ihrer Wandlungen. Das düstere, majestätische Gebäude schien in der Luft erstarrt zu sein, wie dieser Sund mit den glanzlosen Wassern, und um die Türme flatterten klagende Möven. William schritt allein längs der Mauern hin und glitt zwischen ihnen und den vom Reif gefangenen Schiffen bis zum Fuße der Terrasse herab. Von dort schweifte sein Blick über das Spiel des Frostes und der Wogen, der Berge und Thäler, über die ganze flüssige Anmut, die die Kälte überrascht und versteinert hatte. Gegen den Horizont zu wurde die hügelige, chaotische Ebene mit dem bleichen Relief von rosigem Schein erhellt. Der Eisgang war noch nicht da, aber ein fernes Krachen und da und dort sichtbar werdende, gewundene Spalten, in denen zerbröckelnde Blöcke trieben, kündigten ihn an. Der Dichter fühlte, wie hinter ihm das Schloß mit seinen goldstrahlenden Fenstern und seinen tragischen Formen auf ihn schaute. Und da erschien ihm mit einem Male, ohne daß er es gerufen hätte, kraft der Gewalt der Eindrücke sein Schicksal, gleich dem Frühling sich ankündend durch einen allgemeinen Schauer. Er erzitterte bis in sein tiefstes Innere. Die Flut seiner Persönlichkeit, bisher die Gefangene des Weltalls, zerbrach die gebrechlichen Hindernisse, zerstreute die schwimmenden Eisblöcke. Der unendliche Ozean war frei. »William Shakespeare, du Neugeborner auf Erden, ich grüße dich, wie es dir ziemt! Die Welt neigt sich zu meiner Seele, so daß sie sich ganz darin spiegelt. Steigt jetzt empor, ihr Helden der Freundschaft und Liebe, ihr Tyrannen und Henker, ihr schönen Königinnen, ihr Hirtengötter und leuchtenden Feen! In rhythmischem Klange des Worts, bald rührend, bald furchtbar, entschwebt meinen Träumen! Wie die Luft, das Blatt, das Fleisch, durchzieht auch mich das Leben und läßt in mir seine zahllosen Eindrücke zurück. Wenn alle Wesen verschwänden und mich an diesen einsamen, eisigen Gestaden verließen, könnte ich sie alle wieder schaffen – nicht mit der Hand, aber durch den Traum. Ihr Flammen und Leidenschaften, ihr Wolken und Gesichter, ich gebiete über alle eure Formen. Alles Irdische schwingt sich in wirbelndem Tanz, von dem die Menschen ausgeschlossen sind. Ich aber bin in den Kreis getreten – ich trenne nicht mehr die Gedanken von den Gestalten, das Schicksal vom Zufall, die hohe Weisheit vom Instinkt, und muß ich je mich beugen, so beug' ich mich vor meiner Mutter Sonne, die nur schön ist, weil sie glüht!«

 

Ende


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