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Viertes Kapitel.

Als Shakespeare die schwere Thür der »Roten Laterne« aufgestoßen hatte, befand er sich in einem Vorzimmer, in dem es nach Wein und gutem Essen roch. Ueber schönen, mit Silber und Zinn eingelegten, mit Fayencen beladenen, schwarzen Möbeln, befanden sich mehrere Gemälde, die ländliche Feste darstellten. Eine zitternde Stimme sang ein klagendes Lied, während ein Fuß im Takt auf die tönende Diele schlug. Der junge Mann überschritt eine zweite Schwelle und blieb erstaunt stehen.

Auf einer Bank lag, mit herabhängenden Armen und nackten, ungeheuren Waden ein Greis in vollständiger Vertiertheit. Das offene Hemd ließ die schwitzende, haarige Brust frei. Er hielt ein volles Glas, das in seinen zitternden Fingern tanzte, und lallte mit schwerer Stimme einen Refrain. Jeden Augenblick floß die Flüssigkeit auf den Boden und bespritzte die Aermel und die braune Hose des Trinkers. Das Gesicht des gewissenhaften Wirtes erinnerte in der Derbheit der Züge an das seines Verwandten Moorels, aber hier war kein Fett, sondern überall nur schlaffe Runzeln zu sehen; die Haut war gelb; ein paar Büschel ergrauender Haare wuchsen auf dem länglichen, gebuckelten Schädel. Die Lippen waren schlaff, saftig, die Nase stumpf, die Augen voll sentimentaler Schelmerei. An der schmutzigen Weste des Greises lehnte ein ziemlich hübsches, das Laster widerstrahlendes und vom Rausch verzerrtes Frauengesicht; das zerzauste, schwarze Haar strömte über Schultern, Hals und Gesicht, hing in den halboffenen, roten Mund und längs der geschwollenen Wangen und Lider herab. Hinter dem Paare in einem dunkeln Korridor waren die unbestimmten, kupfrigen Gesichter einiger höhnisch lächelnder Diener zu sehen. Auf dem Boden lagen ein Spiel Karten, ein Pantoffel und mehrere zerbrochene Flaschen. Ein größerer Teil des riesigen Saales ward von einem großen Tisch eingenommen, der mit Gläsern, Porzellan, glänzenden Schüsseln und funkelnden Krügen bedeckt war; Gemälde und Zeichnungen an den Wänden schmückten die Stätte der Zügellosigkeit mit ihrer unwirklichen Anmut, ihren feurigen Farben.

Beim Eintritt Williams veränderte Vater Doelen seine Stellung nicht, aber er hörte zu singen auf und hielt dem Ankömmling eine teerige Hand hin.

»Tre – tretet näher, lieber Herr!«

Shakespeare schwankte zwischen Ekel und Bewunderung; denn bei allem begeisterte ihn das Uebermaß, und dieses Schauspiel greisenhafter Unzucht erfüllte ihn mit reizvoller Unruhe.

Der Greis las aufmerksam den Brief Moorels', dann rief er in stöhnendem Ton: »Klumpen, Klumpen! Bei meinem heroischen Dreck, komm her!«

Ein großes, rothaariges, blatternarbiges Mädchen erschien. Sie lächelte linkisch und wischte sich die Hände an der schmutzigen Schürze.

»Klum – Klumpen, führe diesen Herrn in das Bro – Brokatzimmer! Er soll zufrieden sein; geh! – Herr, – freue mich Euch zu empf – Euch zu beherbergen. Heute wird beim Schmaus große Gesellschaft sein – Künstler – berühmte Künstler; ich lade Euch dazu ein – verzeiht, daß ich nicht mit Euch gehe –«

Shakespeare wußte nicht, ob dem Wirt die schreckliche Nachricht von Rotterdam bekannt wäre, und er schwankte, ob er sie ihm mitteilen sollte. Aber Doelen kam ihm zuvor. »Armer Moorels – ja, ja – man hat mir erzählt – das Unglück läuft schnell – und die klei – kleine Eva – aber still – Ihr werdet es mir später erzählen – ich will ihren Namen, ihren gö – göttlichen Namen nicht in meine Schweinerei hineinziehen« – und indem er mit dem Fuße aufstampfte und die unbewegliche Dirne schüttelte, nahm er wieder seinen Gesang auf und seine alberne Maske vor.

Trotz des brennend heißen Tages war das Zimmer Shakespeares frisch, denn es war sehr hoch und groß. Das Bett und die Mauern waren mit gelbem Brokat von überwältigendem, heiterm Glanze überzogen. In jeder Ecke der Decke hing ein länglicher Spiegel, der von dem Zimmer ein verkleinertes, köstliches Bild gab. Ein mächtiges Möbel von poliertem Eichenholz zog die Aufmerksamkeit des Poeten auf sich. Im großen und ganzen massiv und stämmig, aber an den Seiten von schlanken, durchbrochenen Säulchen überragt, war es mit Blättern aus blaßgelbem Citronenholz eingelegt, die Wälder und Teiche darstellten. Die Schubladen waren lauter Geheimfächer. Wenn man an einem derselben unten zog, öffnete sich ein anderes oben. William liebte die Pracht. Reiche Stoffe, prächtige Wohnungen, Holz, Elfenbein und kostbare Metalle, die von der menschlichen Hand fein bearbeitet waren, verschafften ihm einen körperlichen Genuß. Er brachte den Inhalt seines Quersackes in diesem Schrank unter und legte seinen neuen Anzug an, um bei der Abendgesellschaft eine gute Figur zu spielen. An Spiegeln fehlte es ihm nicht. Dann blieb er bis zur Dämmerung beim Fenster stehen. –

Eine Glocke ertönte, die zur Mahlzeit rief. Nachdem die atemlose, geschwätzige »Klumpen« ihn gerufen hatte, begab er sich in den unteren Saal. Er hatte sein Aussehen geändert, war gereinigt, von seinen Schlacken befreit und wurde von acht riesigen Leuchtern erhellt, die auf der Tafel standen. Um dieselbe herum saßen ein Dutzend Gäste außer dem Vater Doelen, dessen Trunkenheit verschwunden war. Mit ernster Stimme rief er: »Ich stelle Euch unseren neuen Gast vor, Herrn William Shakespeare, einen englischen Reisenden und Dichter, den mir mein armer Vetter Moorels, dessen dramatisches Ende Ihr kennt, vermachte. – Junger Mann, nehmt Platz zwischen einem Pamphletisten, dem berühmten Johannes Fischart, und einem großen Maler, unserem Hendrick Goltzius! – Als er kam, hatte ich meine Dirne bei mir und war voll, wie ein Faß – man darf so was nicht übel nehmen. Das ist nun einmal die Gewohnheit meines alten, schmutzigen Leibes. Aber jetzt ist die Stunde vorbei – pfui über die Weiber, es lebe der Geist!« Er erhob seinen länglichen Becher aus dickem Krystall. Alle thaten es ihm lachend nach, und durchsichtige, rosige und goldige Edelsteine, in denen das Licht sich fröhlich spiegelte, funkelten auf. Die breiten, haarigen und nervigen Hände, die die Gläser schwangen, gehörten zu prächtig gekleideten Körpern in damastenen Wämsern von mattrötlichem Glanze mit weißen, gelben oder ockerfarbenen Krausen, mit bauschigen Aermeln, die mit Seidenbändern und Troddeln befestigt waren. Diese Körper selbst nahmen malerische, mannigfaltige Stellungen ein; die einen bogen sich behaglich zurück, die anderen wandten ihren Nachbarn drei Viertel des Gesichtes zu, manche stützten während des Schmausens den Ellenbogen auf, bogen, reckten sich oder wandten sich rasch um, um etwas zu demonstrieren, um jemanden anzureden. Die Hände beschäftigten sich bald mit den Braten, die in großen Vierteln auf breiten Schüsseln lagen, und mit den immer vollen Flaschen, bald nahmen sie mit schmeichelnden, zornigen oder spöttischen Bewegungen am Feuer des Gespräches teil. Aber Shakespeare bemerkte vor allem die energischen, stolzen, vom Gelage, der Diskussion und Hitze geröteten Gesichter. Man konnte auf ihnen alle menschlichen Leidenschaften lesen. Die Kühnen reckten den Hals und wölbten die Brust, die Erstaunten glotzten mit den Augen, die Spötter kniffen Mund und Lider ein, die Schüchternen kauerten sich zusammen, die Zerstreuten rieben sich den Daumen und zeigten ein wechselndes Profil. Eine Gruppe hatte eine versöhnliche, eine andere eine streitbare Haltung. Dieses ganze Chaos von Muskeln wie von Ideen, fand in des Dichters Geist Ausdruck in den zusammengedrängten Worten: »Bäuche und Köpfe; der Teufel lacht, und das Rad dreht sich.«

Der Nachbar Shakespeares zur Rechten, Fischart, der deutsche Pamphletist, war ein Mann von mittlerer Größe; er war ganz dunkel gekleidet, nur eine weiße Krause umgab seinen Hals. Er hatte fast glattrasiertes Haar, einen braunen Voll- und Schnurrbart, eine vorspringende Nase. In seinem vorzeitig gerunzelten, dreieckigen Gesichte fielen besonders die Augen auf. Sie waren schwarz, lebhaft, sanft, von überraschender Beweglichkeit, wie zwei kleine, dressierte Falken. Sein Nachbar zur Linken, Hendrick Goltzius, ein großer, langer, langweiliger Bursche, war eifrig darauf bedacht, seine Krausen oder sonst einen Teil seiner Kleidung nicht zu beschmutzen.

»Ich liebe die Engländer, Herr, und spreche ihre Sprache,« wandte sich Fischart mit bestimmtem, schneidendem Ton an William. »Ihr kennt mich nicht, aber ich kenne Euer Volk. Es ist wie ein wahrer Bottich voll von Bildern, Frauenlächeln, rohen Gebärden und seemännischen Fertigkeiten.« – Der Dichter verbeugte sich ebenso vor der Liebenswürdigkeit der Worte, wie vor ihrer Form und Färbung. Dann antwortete er: »Bilder erschöpfen sich, Lächeln täuscht, Gebärden vergehen, und das Meer reißt in die Tiefe. Aber das Ganze schafft Leben, und darum liebe ich England.« Nach einer Weile fügte er hinzu: »Freundschaft muß wie die Liebe plötzlich sein. An unserem dunkeln Himmel gleicht sie dem Vorüberfliegen eines Meteors. Wollt Ihr mein Freund sein?« Fischart drückte, ohne Erstaunen zu bezeugen, mit liebevoller Kraft die Schulter dieses vertrauensvollen Nachbars und sprach: »O süße Berührung der geistigen Kräfte!«

»Ihr Herren Maler!« brüllte eine dicke Stimme. »Da ist ein Ragout, das Ihr auf Eurer ungeduldigen Leinwand festhalten solltet. Ist er nicht schön, unser Vater Doelen, wenn er seine Schweinerei läßt, und uns aus seinem epischen Keller und seiner Schlächterei regaliert, die Homer gefeiert haben würde? Betrachtet doch dieses zarte Geschirr, diese schwellenden Fleischstücke auf der Fayence und dahinter unsere gähnenden Rachen. Klein-Lastmann, es wäre besser, wenn du dich an eine solche Aufgabe machtest, statt dich der Bibel und der Antike, diesen ehrwürdigen aber toten Dingen, zu weihen. Ich würde dir Ruhm weissagen.« Das ist Scorel, der Neffe des berühmten Malers Jan Scorel!« flüsterte Fischart seinem Nachbar zu. »Er hat tolle Künstleraugen geerbt. Ihr werdet sehen.«

Der Redner war ein kräftiger, blühender, starkschwitzender Mann; sein graues Wams schien fast unter der Anstrengung seiner muskulösen Brust zu platzen. Was an den glatten Flächen seines Gesichtes, wo sich allen Sinnen breite Oeffnungen boten, am meisten auffiel, war der Gegensatz eines reichen blonden Bartes zu dunkeln Haaren und Augenbrauen. – »Alle seid Ihr gleich, alle seid Ihr die Opfer des edeln Süjets!« brüllte er, da der Angeredete die Achseln zuckte. »Gerechter Himmel, wann wirst du uns verschonen mit Prophezeiungen, Erscheinungen, Isaaksopfern, die nur zur Selbstopferung des Künstlers führen. Das Blut des Lammes liegt ja in diesen Tellern, und wir brauchen keine Engelein, um es zu sammeln. Lastmann, Goltzius, Cornelisz und Ihr Anderen, möchtet Ihr doch lieber Eurem Geiste Flügel geben, statt sie auf dem Rücken nackter himmlischer Figuren anzubringen, die frostzitternd um eine kalte Krippe stehen. Die vielen Säbelhiebe, die die holländischen Schädel erhielten, haben sie also nicht geöffnet! Eine neue, wunderbare begabte Generation taucht auf, die mit zweiundzwanzig Jahren geschickter ist, als ihre Vorgänger mit vierzig. Sie denkt nur daran, den Irrtum fortzusetzen, sich von den eingebildeten Fischen des Sees von Tiberias zu nähren, das darzustellen, was sie nicht kennt, und zu vernachlässigen, was sie täglich vor Augen hat!«

»Dein Oheim hat dasselbe gethan,« warf jemand ein.

»Ja, glaubt Ihr denn, daß ich in den Werken meines verehrten Satansonkels die Springbrunnen, die Marmorfiguren, die italienischen Gewässer, die Königin von Saba bewundere? Hierin ist er nur ein geschickter Kopist. Nein! Was mich bei ihnen bezaubert, sind seine palmentragenden Pilger von Jerusalem. Dort findet man alle Typen kirchlicher Beschränktheit und Roheit – gefurchte Stirnen, blinzelnde, schlaue Augen, glattrasierte, lasterhafte Kinne, stumpfe Schädel, starren Sinn, Grausamkeit, Aberglaube, Ueppigkeit.«

»Ihr müßt mir diese Herrlichkeiten zeigen,« bat Fischart mit einer komisch ungeduldigen Gebärde.

»Gewiß, mein Freund! Von einem guten Graveur gestochen, wären sie die beste Illustration für Eure tollen Satiren. – Denkt übrigens nicht, daß diese Stücke mich gänzlich befriedigen. Die Posen sind starr und steif. – Profile, nichts als Profile – keine Geschmeidigkeit, keine Feinheit, immer wieder kalte Linien, Geometrie. Es giebt Besseres. Ich stelle mir die Aufgaben unserer Malerei majestätischer, erhabener vor. Laßt Eure Blicke um diesen Tisch schweifen. Der Ausdruck der Gesichter und die nur scheinbar regellosen Bewegungen, – das sei die Zeichnung. Diese Schattierungen von mattem Glanz, dieses gebräunte Leder, die ganze Tonleiter des Goldes, aber von der Patina der Zeit harmonisch gedämpft, – das sei die Farbe. Fürchtet Euch niemals vor den roten Tönen. Sie sind der Dunst des Lichtes. Da drin, in diesem heißen Brodem bewegt sich das Leben, tanzt der Schatten um das Relief, und zerstreut sich die Lebhaftigkeit, indem sie in jedem Körnchen der Paste ein Atom Kunst über ein Atom Wirklichkeit legt. Symbole, Allegorien, Mysticismus, – das sind Lappalien, die Abwege mittelmäßiger Geister – ja, die Malerei hat ihr Symbol – den Tag, ihre Allegorie – die Sonne, ihren Mysticismus – das Helldunkel – und dabei bleibt sie – Gold, Gold, Gold!«

»Das ist der Schrei des Geizigen, den ein Verschwender ausstößt,« erklärte ein dicker Mensch mit angeklebten Haaren, dessen Puppengesicht dicke Pausbacken hatte, und dessen Körper einer Reihenfolge von Würsten verschiedener Größe glich.

»Betrachtet diesen Kopf,« fuhr Scorel inmitten allgemeiner Heiterkeit fort, indem er auf den Unterbrecher deutete. »Unser lieber Beverningk ist ein schönerer Vorwurf, als irgend eine Venus oder Diana im Bade. Er ist Gargantua, der sich über seinen Fraß beugt. Er eilt meiner Demonstration voran. Er ist fett, von Licht gespickt. Gebt ihm seine Haltung, die dicken Hände, die mit den Handflächen nach oben auf den Hüften eines Marktweibes ruhen, das feine Lächeln der schmalen Lippen, inmitten des ungeheuren Gesichtes. Aber welche Weisheit der Natur liegt in den Kurven und Falten des Fleisches! Wie deutlich steht die ganze Kraft eines Geschlechtes von hausbackenen und ehrbaren Feinschmeckern auf diesen Pausbacken geschrieben! Ach, Beverningk, wenn ich selbst den Pinsel führte, statt dieser großen mißleiteten Malerei den Weg zu weisen, könntest du unsterblich werden, ohne dich zu rühren!«

Das Modell war gutmütig, denn es nahm an der allgemeinen Heiterkeit teil, und Scorel, von seiner eigenen Beredsamkeit erhitzt, stürzte einen Becher Rheinwein hinunter.

Der Vater Doelen freute sich seiner Gastlichkeit. Voll Ehrerbietung für seine lieben Künstler hütete er sich wohl, sie zu unterbrechen, und überflog ihren Kreis mit einem gerührten Lächeln, indem er darauf achtete, daß es ihnen nie an Getränk fehlte; manchmal drehte er sich um, um den Dienstleuten einen kurzen Befehl zu erteilen, und sein früherer Stumpfsinn hatte einer gespannten und teilnehmenden Miene Platz gemacht.

Fischart ergriff das Wort. Er begleitete seine Rede mit methodischen, gleichmäßigen Handbewegungen; nach und nach verzerrten sich seine Züge und drückten eine Wut aus, die Shakespeare einem inneren Vulkan verglich. Die Lavaströme flossen, rauschten und hatten noch nicht Zeit gehabt, zu erkalten, als schon erneute Ströme sich über sie legten. »Scorel hat recht, Ihr Herren, und seine begeisterte Zunge gräbt in der Wahrheit wie ein Maulwurf. Nur in der Wirklichkeit werdet Ihr jene Schätze und jene harmonische Schönheit entdecken, mit denen das Pfaffenpack das Paradies ausstattet. Nur in der Wirklichkeit regt sich das Grauen, welches dasselbe Lumpenpack für das finstere Erbteil der Hölle ausgiebt. Ich spreche für meine Kunst, die meine Citadelle ist; meint Ihr denn, daß Luther, Ulrich von Hutten, Hans Sachs, Erasmus und Euer ergebener Diener, sowie die unbesiegbare Adelgunda, durch ihren Geifer und ihre Schmähschriften, deren Strom unsere Seele erfreut, so viel erreicht hätten, wenn sie sich auf die Theologie, die logisierende Logikerin der Logogryphen, beschränkt hätten? Durchaus nicht. – Wir haben händevoll Mist, heroischen Dreck aufgelesen, wie unser Doelen sich so treffend ausdrückt, und piff paff! piff paff! unserem Gegner ins Gesicht geschleudert. Diese Kotwerfer erschienen aus der Ferne wie Wütende; in der Nähe betrachtet, waren sie weise und umsichtig. Ich habe die Spanier und Jesuiten bei der Gurgel gepackt, habe diese fahlen Gesichter braun und blau geschlagen, diese ewig pater und ave kauenden Kinnbacken zerrissen – alles mit Hilfe von volkstümlichen Bildern, von rohen, aber geißelnden Ausdrücken. Die gesunde Schmährede wird, wie die schöne Farbe aus den niedrigsten Stoffen erzeugt. Das Rot, das Scorel Euch rühmte, diese Atmosphäre der leuchtenden Malerei, ist in der Litteratur der Haß und die Rache. Unsere Feinde, die verfluchten Luder, täuschen sich nicht, wenn sie uns als feuerspeiend darstellen, aber es sind irdische, durchaus nicht mystische Flammen. Die schlaffen Geschosse der Scholastiker machen mir den Eindruck kalter Larven. – Ihr Herren Maler, ahmt uns nach – oder ahmt lieber niemandem nach! Wie kommt es, daß keiner von Euch noch an die Satire gedacht hat? In meinen leidenschaftlichen Stunden bedauerte ich es oft, nicht vier Hände zu besitzen, von denen zwei die abstoßenden Umrisse der Katholiken zeichneten, die meine Feder zerriß. Eure Kunst muß der Freiheit dienen, um auf dem Gipfel des Menschentums hoch und klar zu leuchten. Helft uns! Wollt Ihr ein Süjet? Das Blutbad des Herzogs Alba. –«

Scorel, der bisher zustimmend seinen blonden Bart bewegt hatte, brach jetzt los: »Nein, nein, Fischart, kein Süjet! Wir brauchen kein Süjet und vor allem keine Satire. Dafür genügt Ihr – – Diese Absichten würden unsere Kunst zu Grunde richten. Bezüglich der Kupferstecher will ich es noch zugeben. Mögen sie sich Euren Titelkupfern weihen. Hört nicht auf ihn, Ihr jungen Leute! Das ist ein schrecklicher Mann, ein Eiferer. Er will die Grenzen abschaffen. Das Streben, ein Drama zu bieten, schadet der dramatischen Wirkung, die ganz in dem Kampf des Malers mit der Farbe liegt. Bei dem linken Gesäße des heiligen Calvin, es handelt sich hier nicht um die Propaganda der Reformation, sondern darum, das Licht festzuhalten. Eure Arena, meine Kinder, ist die Tragödie der Sonne, und ich glaube, sie ist majestätisch und –«

Das Wort Drama hatte in dem Geiste Shakespeares eine Reihe von Widersprüchen geweckt, die er diesen von ihren Ansichten durchdrungenen Männern vorzulegen wünschte. Er warf sich daher mit freudigem Ungestüm ins Getümmel.

»Ihr Herren, ich habe über die Frage nachgedacht, die Euch beschäftigt. –«

»Bravo! – Sehr gut – optime – fahret fort, Ankömmling – 's ist ein Engländer – Er gefällt mir – Ist er ein Dichter?«

»Ich habe darüber nachgedacht und glaube, daß die Musik, die Malerei, die Bildhauerei und Architektur, von den kleinen Gedichten und Romanen abgesehen, nur losgelöste Teile der dramatischen Kunst sind, die sie alle enthält, wie ein Gedanke die Worte, wie ein Wort die Gefühle enthält – Ist nicht die dramatische Kunst die Reproduktion des ganzen rauschenden Lebens, nur mit dem Unterschiede, daß sie die Zwischenglieder wegläßt und die Schönheit von nichtigem Beiwerk frei macht?«

Alle Blicke hatten sich auf ihn gerichtet, aber statt ihn zu beengen, rissen sie ihn fort.

Scorel schüttelte den Kopf. »Das ist eine falsche Theorie, die die Malerei zur Dekoration macht und sie dazu verdammt, ewig Nebensächliches darzustellen. Der Vorhang geht auf. Ein Mann sitzt in einem Lehnstuhl und denkt nach. Ist das ein Drama? Nicht wahr, nein? Trotzdem vermöchte der gute Maler aus diesem Gesicht, an das die Gedanken anschlagen, wie die Wogen an die Felsen, eine erschreckende Tragödie zu machen. Diese Kunst ersetzt also das Theater.«

»Ihr vergeßt den Schauspieler,« warf Shakespeare ein.

Ein Aufruhr entstand. »Der Schauspieler zählt nicht! Der platteste aller Berufe – Sie können nicht einmal ordentlich gehen – betrunkene Lakaien. –«

Aber William fuhr beharrlich fort: »Ihr Herren, wie könnt Ihr in diesem Grade die Wahrheit verkennen? Der Schauspieler ist der erste der Menschen. Er bewegt sich geschmeidig durch die ganze Welt, denn er kann zugleich den König und den Bettler, den Verliebten und den Verzweifelten, den Geängstigten, den Eifersüchtigen, den Bösen und den Blöden spielen. Für ihn ist das Dauerhafte nichts als eine Einbildung, sind die Charaktere und die Temperamente nur Mäntel, die Skelette umgeben. Er hüllt sich stolz in sie, strahlt durch seine Blicke Heroismus oder Furcht aus und ist ebenso geschickt zum Ernst, wie zur Freude.«

»Er ist der Gipfel der Lüge,« lachte Fischart höhnisch.

»Er ist der Gipfel jener Metapher, die Leben heißt, die wir mit Trug erfüllen, mit schönen Aufschriften versehen, die wir aufputzen, schminken, nach Gefallen verrenken, bis sie zu der Ungereimtheit führt, die Tod heißt.«

»Kehren wir zu unserer Aesthetik zurück,« bat Scorel. »Ich werde Euch Gemälde zeigen – ob sie nun gemalt sind oder erst gemalt werden müssen – die alle möglichen Dramen aufwiegen und die Eure lieben Schauspieler durch keine Vermummung ersetzen könnten. Ich werde Euch lehren, wie man die Dinge sich regen sieht, die eine grobe Täuschung unbeweglich erscheinen ließ. Der Schauer, den das Genie seinem Pinsel mitteilt, muß sich auf der Leinwand wiederfinden. Mein Lieber, das Blau ist eine Leidenschaft, das Rot eine zweite, das Gelb eine dritte. Wir entziffern die Natur in anderer Weise, als die Dramaturgen, denen Mordthaten oder wenigstens ein Zwiespalt des Herzens und der Gedanken unentbehrlich sind. Bei uns liegt die Gewaltthat in der Paste. Als Ihr Euch eben erregtet, stieg Eure Seele in Eure Wangen, in Eure Stirne, bis unter Eure Haare. Erlaubt mir hinzuzufügen, daß Eure Seele merkwürdig kompliziert ist. Durch Euer Feuer hindurch ahnt man die Gleichgültigkeit des starken Geistes. Ihr versteht es, Euch zu begeistern, trotz eines fünf- oder sechsfachen Panzers der Selbstsucht, wie ich ihn bei einem Burschen Eures Alters noch selten bewundert habe. Hat Euch meine Farbenkleckserpsychologie richtig erkannt?«

»Beiläufig! Man errät immer richtig, wenn man tiefe Dinge ausspricht.«

Nach der Mahlzeit, die sich durch starkes Trinken in die Länge zog, schloß Shakespeare mit seinen neuen Freunden nähere Bekanntschaft. Die einen setzten sich rittlings auf Stühle, die anderen drückten sich in bequeme Rohrstühle, lehnten sich an die Mauern oder gingen mit großen Schritten auf und ab. Dann kamen Ritter, Geusen, Bürgergarden, denen lautes Fluchen und Degengerassel vorausging; denn sie prunkten mit ihrer Kraft und Geschicklichkeit. Der Gasthof des Vaters Doelen war das gewöhnliche Stelldichein der geistig hochstehenden und lärmenden Jugend Amsterdams; die Frauen waren daraus verbannt. Hier funkelten die Worte wie Schwerter, und gestiefelt und gespornt erging man sich auf dem Boden der Abstraktion. Fischart, durch den Rheinwein in sanfte Stimmung versetzt, gab seinem »lieben Engländer« wohlgefällige Erklärungen über sich selbst: »Ich gleiche dem alten Luther, der nur Kraft hatte, wenn er wütete. Bei mir sind Gerechtigkeit und Mitleid immer nur in Begleitung der Wut. Sie ist meine Muse, das Flügelroß meines Purpurwagens. Diese Heftigkeit ist mir angeboren; ich bin inmitten der grimmigsten religiösen Streitigkeiten aufgewachsen. Ich bin achtunddreißig Jahre alt, habe aber schon so viel geschäumt, daß das Alter anfängt, mir zu winken. Denkt, ob der Stoff nicht groß, reich und stürmisch ist. Da ist erstens der Papst, die schändliche, von Laster und Krankheit zerfressene Gestalt, inmitten seiner römischen Fäulnis und die Legion der roten Teufel, die man Kardinäle nennt. Geifer auf sie! – Da sind die verfaulten Kinder des loyalen Loyola, dieses fleischlosen, schlottrigen Ignatius, der den Mord mit einer Gebärde entschuldigt und alle Sacrilegien in dem Kreuzeszeichen einschließt. Geifer auf sie! Da sind die Spanier, dieses Gebräu aus Dreck und Katholicismus, die groß als Ketzerverbrenner und groß als Lügner, die dürren Verbrecher mit den Häringsgesichtern. Geifer auf sie! Außerdem muß ich einige Tonnen dieses kostbaren, giftigen und rächenden Speichels für meine im Verborgenen und im Schmutz zappelnden, persönlichen Feinde und für jede denkbare und wahrscheinliche Fäulnis dieses entarteten Jahrhundertes aufbewahren. Kamerad, ich weiß nicht, wo ich mein Zelt aufschlagen soll. Die Dogmatiker haben mich aus allen Dogmen verjagt. Zuerst ein eifriger Schüler Luthers, bin ich vor den Lutheranern geflohen; dann haben mich die Calvinisten in Verzweiflung gebracht, und die Reformierten stellten mir Fallen. Jetzt will ich durch Friesland ziehen und die Wiedertäufer befragen. Vielleicht werden diese Extremen mich befriedigen, sonst – sonst –« Der Pamphletist dachte einige Sekunden mit einer sardonischen Grimasse nach – »sonst entspringe ich allem Glauben und versetze jenem unsichtbaren Spaßmacher, der Gott genannt wird, irgend einen denkwürdigen Fußstoß in den Hintern.«

»Deine Gotteslästerung klingt artig,« unterbrach ihn ein großgewachsener Raufbold mit einem trotzigen Kopf, der sich inmitten der Plaudernden schaukelte.

»Gewiß, Bicker, ich werde zuletzt der Freiheit und Unabhängigkeit Altäre errichten. Das sind verfolgte Göttinnen, die nur einige auserwählte Geister besuchen. Kennt Ihr Deutschland, mein lieber Engländer? – Nein. – Nun, ich werde es Euch zeigen. In einem Monat verlasse ich Amsterdam und gehe nach Hamburg; wenn Ihr wollt, reisen wir zusammen ab, und da die Neugierde Eure Herrin ist, könnt Ihr sie zu reicher Ernte führen. Ihr liebt doch die tragische Poesie! Ich werde Euch Ebenen zeigen, die mit Verzweiflung besäet sind, einen Himmel, der sich schämt, die Greuel dieser Erde wieder zu spiegeln, Hungersnot, Pest, Brand und Gemetzel, Leute, die durch Weinrausch stumpf geworden, andere, die in langatmigen, theologischen Maccaronis verkommen sind. Das alles keimt und gährt. Was wird daraus hervorgehen? Die Zukunft wirft ihre Würfel in die Luft. Das Volk ist dort aber nicht so erregt wie hier, wo man leicht merkt, daß eine mächtige, künstlerische Bewegung sich vorbereitet. Theoretiker, wie Scorel sind die Vorläufer, die Waffenherolde, die das Tournier der Talente verkünden. Hat sich eine nach gewisser Richtung empfängliche Schicht gebildet, sickert ein entsprechendes Genie hervor. Ein Funke genügt, um die Glut zu entzünden.«

William war redelustig und wünschte, die wirbelnden Bilder zu entwickeln, die jede Reflexion in seinem Geiste erregte; aber er vermochte den leidenschaftlichen Redestrom nicht zu unterbrechen.

»Welch eine Häresie, Lastmann,« ertönte die rauhe Stimme Scorels. »Ein guter Maler verleiht einem Bettler Unsterblichkeit, und ein schlechter macht einen Kaiser lächerlich. Die Porträts der Großen bieten nur den einzigen Vorteil, daß sie von Gold und Edelsteinen funkeln und Pracht erfordern. Die Farbe dient der Ueppigkeit. Aber für einen Meister ist ein Sonnenstrahl auf Lumpen oder in einem Kämmerchen so viel wert, wie Titel und Adelswappen. Arm ist einzig das Dunkle und Trübe. Manche gewinnen aus den strahlendsten, wärmsten Tönen nur eine braune, kotige Masse; andere verstehen, aus Kot Karfunkel und Topase zu machen. Das kommt auf den Blick und die Auswahl an.«

»Und der Kupferstich?«

»Der Kupferstich! Kind, dessen Einfalt nur seiner Anmaßung gleichkommt, er ist das aus der Vereinigung des Metalls und des Aetzmittels hervorgehende Wunder. Ein fettes, ein sammtartiges Schwarz ist ein Paradies für Finger und Augen. Der einfache Gegensatz zwischen Schwarz und Weiß wird den Geist vielleicht tiefer treffen, als die Farbe und giebt der Phantasie eine kräftige Nahrung. Aber er erfordert eine besondere Philosophie, eine tiefe Kenntnis der Weltgesetze. Ich glaube, sein Ursprung ist genau dort, wo die sinnlichen Eindrücke des Blickes hinüberführen in die abstrakten Regionen und in die gewundenen Gänge der Vernunft eine strahlende Klarheit tragen, die von tiefem Dunkel begrenzt wird. Wartet einmal!«

Er stürzte zur Wand, hakte dort einen reich eingerahmten Stich ab und zeigte ihn seinen Zuhörern. »Das hier ist ein Albrecht Dürer. Beobachtet die Fibern dieses Baumes. Sie scheinen den Lauf des Flusses fortzusetzen, der sich da unten unter einer Brücke verläuft, und die Falten des Kleides der Maria beschreiben ähnliche Krümmungen. Wer diese Analogie nicht bemerkt, vermag dieses Meisterwerk nicht zu verstehen. In allen Teilen dieses stillen, kleinen Dramas ist dieselbe Bewegung zu merken. Das ist eines der zahlreichen Geheimnisse der Natur, die der Meister erfaßte, die seine Eigenart bilden. Seht her, Fischart, seht her, lieber Herr!«

»Die gleiche Bewegung«, dachte Shakespeare. »Das ist eine Lehre für jeden Schaffenden. Sind die Menschen versammelt und die Leidenschaften entfesselt, so folgt das zügellose Gespann einer und derselben Richtung. Die Kräfte bilden einen einzigen Wurfspieß, den die Hand des Schicksals schleudert.« Er betrachtete aufmerksam den Kupferstich und sagte dann zu Scorel: »Was mich wundert, ist die gleiche Wichtigkeit, die Albrecht Dürer allen Teilen seiner Komposition beilegt. Das kleine Dorf ist wie gemeißelt, und dieses ferne Pferd sieht gerade so aus, als wäre es in der Nähe und verkleinert.

»Eine richtige Bemerkung«, erklärte der Riese. »Aber Albrecht Dürer ist voll Einsicht, er lehrt seine Kunst denken und läßt sich von seiner Hand nicht irre führen. Seid Ihr nie durch Einzelheiten einer Landschaft, den Bau eines Kiesels, das Gewebe einer Leinwand betroffen gewesen? Das ist das Geheimnis des auf das Kleinste Eingehenden; dieses Geheimnis ergründet der Meister mit einem Zug des Grabstichels, aus dem die heilige Quelle entspringt. Seine Stiche sind das Zeichen eines tiefen Forschergeistes. In jedem Gegenstande sucht er dessen Beziehungen zu dem Universum, und für ihn gilt ein Felsen wie ein Gesicht, ein Gesicht wie eine Stadt. Niemand hat mir jenen Atomenregen, von dem Lucrez spricht, so gut erklärt, wie er; ich nenne ihn den feinsten Schüler Epikurs!«

Fischart rieb sich die Hände. »Es freut einen, wenn man einen Landsmann loben hört. Scorel urteilt richtig. Ich habe alte Leute angetroffen, die diesen herrlichen Albrecht Dürer kannten. Er war zugleich ein Schwärmer und ein Wahnwitziger. Er befragte aufs liebevollste den Sinn der Linien des Stoffes, ja, er behauptete sogar, daß diese Krümmungen und Wirbel ein unerläßliches Alphabet für jeden bilden, der zur richtigen Darstellung der Formen gelangen will; ein Fisch, ein Insekt, eine Wolke, ein Vogel sind seiner Ansicht nach ephemere Verbindungen dieser wirbelnden Kraft. Er verglich die Gewässer und die Haare, die feinen Linien der Handflächen und die um einen Hügel sich ziehenden Furchen, die Rundungen des weiblichen Körpers und die der Blumen. Er zeichnete bis in seine Träume hinein, die natürlich seine Theorien verfeinerten.«

»Ich habe mir zwei eigenhändige Briefe von ihm verschafft, die oben in einer Truhe liegen«, fiel Vater Doelen stolz ein. »Die Buchstaben sind wie Gesichter gebildet.«

»Es giebt noch ein anderes Verfahren«, fügte Scorel hinzu. »Es besteht darin, den Zufall nachzuahmen. In meiner Jugend verkehrte ich mit einem Mann, Namens Van der Borscht – still doch, Dirck, Lastmann und Goltzius, das geht Euch an – dieser Van der Borscht blieb unbekannt, wie es den Besten widerfahren kann, wenn sie ihrer Zeit voran sind, seine Werke sind selten und zerstreut. Niemals habe ich ein solches Feuer gesehen. Sein Kopf gärte von früh bis Abend, und seine Finger gehorchten seinem Kopf. Nun aber besaß er eine einzig dastehende, unglaubliche Arbeitsmethode; jedermann kann daraus eine Lehre ziehen. Er tropfte auf ein Blatt Papier Wein, Tinte, Pflaumensaft, manchmal Blut, wenn er sich eine Ader aufstach. Dann betrachtete er lange die Umrisse dieser Flecken, und da es kein Chaos giebt, aus dem das Auge nicht etwas Menschliches machen könnte, so entdeckte er bald Ritter, Festungen und Springbrunnen, kämpfende Löwen, Hydren, phantastische Wälder, ein ganzes Phantasiegebäude voll von Schatten und Licht. Nun begann er mit Hilfe eines Holzstückes, Schreibrohres oder des ersten besten Werkzeuges zu verbessern, retouchierte, malte und malte, und nach wenigen Minuten sah man deutlich eine Landschaft erstehen. Wie oft habe ich ihn nicht in Betrachtung von Wolken, Rauch, dem Spiegel eines Teiches, all den wechselvollen Wundern der Natur überrascht! Leider führte ihn diese Arbeitsweise zum Ungeheuerlichen. Sein Gebiet ist das Grauenhafte. Aber er erreichte darin eine außerordentliche Kraft, und jede Linie von ihm trägt sein Zeichen.«

»Widerfährt es uns Wortkünstlern nicht, daß wir diese Worte in wildem Durcheinander auf unseren Seiten sammeln, gleich auf der Flucht oder im Sturm befindlichen Soldaten?« bemerkte Fischart. »Durch einen Mechanismus, den ich anwende, ohne ihn mir zu erklären, schafft man in der Phantasie ein Helldunkel, in dem die Silben sich durch ihren Gleichklang anziehen, die Zeitworte aufeinander klettern, die Hauptworte die Beiworte befruchten, und diese wieder eine seltsame Form annehmen, gleich großen glänzenden Schildwachen an wichtigen Stellen des Satzes Stellung nehmend. Wenn Leute aus dem Volke einander schmähen, benutzen sie malerische Ausdrücke, die der Satiriker mühsam nachahmt. So groß ist die Kraft des Spontanen! Diese Eigenschaft und jene Eures Freundes Van der Borscht sind Töchter der Kühnheit, mein Scorel.«

Shakespeare hörte diesen Reden mit überreizter Neugierde zu. Er schwieg, aber seine von Rheinwein und der fieberhaften Wirkung der Umstände erhitzten Gedanken waren von einer ungewöhnlichen Fülle und Geschmeidigkeit, so daß er bedauerte, sie nicht sogleich auf dem in Rotterdam gekauften Manuskript oder am Rande seines lieben Plutarch festhalten zu können. Das Feuer Scorels und Fischarts eröffnete ihm unendliche Gesichtskreise, denen seine Phantasie in dreifachem Galopp zujagte. Er selbst war Van der Borscht, dieser Sohn des Zufalls, den sein Vater beim Schaffen seiner geheimnisvollen Blätter begeisterte. Er war der von der gereizten Muse angefeuerte Pamphletist selbst, der sein Schreibrohr dahinjagen ließ. Er entwarf ein Drama, in dem die Personen um eine überraschende Handlung losten, die später ihr Leitstern und ihr Totengräber wurde. Sie schufen sich ihr Verhängnis selbst, Stück für Stück, statt es ganz fertig aus den Händen der Götter zu empfangen. Scorel und Fischart lieferten ihm die Maske »zweier stürmischer, unwiderstehlicher Seelen«; der letztere besaß trotz seiner Schmähungen eine Sanftmut in Blick und Haltung, die seiner unerschrockenen Natur Freunde verschaffte. »Wie werden sie sterben«, fragte sich der Dichter. »Ihrem Wunsche gemäß oder im Gegensatz dazu? Mit ausgetrockneten und leeren Herzen, oder noch voll von der Begeisterung, mit der sie so verschwenderisch umgingen? Werden ihre Lehren sie überleben? Werden sie in diese prächtigen, nervigen jungen Männer übergehen, die ihnen zuhören? Werden sie Blick und Hände so begeistern, daß ein Meisterwerk aus ihnen erstehen wird? Oder werden sie unnachahmlich bleiben, wie Schauspieler, die nur durch die Erzählungen berühmt sind? Ist es ein Glück für sie, daß sie William Shakespeare begegneten? – So führen die meisten meiner Monologe zum Hochmut hin, und diese Gefühle der Bewunderung bewirken in mir einen vollständigen Umguß so vieler Schauspiele, die sich sonst zerstreut hätten, die auf dem ungetreuen Rosse des Vergessens geflohen wären.«

Shakespeare verbrachte mit seinen neuen Freunden köstliche Stunden. Scorel erhöhte die Freude des Lebens. Nichts entging seinen Blicken, diesen kühnen Piraten der Natur, und um sie zu verherrlichen, erfand er im Augenblick Ausdrücke, die gleich der geschickten Hand eines Handwerkers die Wirklichkeit umfaßten. »Ich bin der ewige Jäger«, erklärte er gutmütig, indem er seinen blonden Bart strich. »Oft bringe ich ein neues Wild nach Hause, denn die Welt der Formen ist unendlich. Was die Farben betrifft, so sind sie für ein geübtes Auge die flüchtigste, vergänglichste aller Illusionen. Was der Maler auf der Leinwand festhält, ist nur ein Durchschnitt, der immer lügt. Derselbe Gegenstand wechselt zur selben Tagesstunde, in derselben Beleuchtung, in derselben Jahreszeit öfter sein Kleid, als die reichste Bürgerin von Amsterdam. Ach, wenn diese jungen Leute nur auf mich hören wollten!«

In der That schienen die Maler, die sich bei Doelen versammelten, Scorels erregte Ratschläge als Paradoxa anzusehen. »Ich kann sie nicht überzeugen«, schrie er, »wie schön es wäre, wenn sie auf die biblischen und mythologischen Gegenstände, auf die Nachahmung der Italiener verzichten wollten, in denen sie sich erschöpfen, wenn sie sich frei an die einfache, kräftige Darstellung dessen machten, was sie täglich vor Augen haben! Sie verkennen die wunderbaren Hilfsquellen dieses Klimas, wo sich das Licht, durch einen diskreten Nebel zerstreut, harmonisch ausbreitet – dieses Volkes mit den langsamen Gebärden, den charakteristischen Gesichtern voll Arbeitsamkeit und Trotz, den halb bäuerlichen, halb ritterlichen Trachten, die Bequemlichkeit mit Pracht vereinigen. Sie sind blind gegen den traulichen Luxus unserer Wohnungen, die seltsamen Möbel, die Stickereien und Spiegel, die Juwelen, die Kleider, Pelze, Spitzen, gegen alles, was den Glanz der Haut und die Geschmeidigkeit des Ganges hebt. Sie wenden sich von den Weiden, den fetten Tieren, den Gegensätzen zwischen einem stürmischen Seehimmel und einem unbewegten, überall bebauten, überall fruchtbaren Boden ab, wo das Wasser so voll Leben ist, wie nirgends in der Welt. Der Frühling erscheint ihnen als Allegorie, und sie bevölkern ihn mit heidnischen Göttern unter einer hellen azurnen Kuppel, unter metallenen Lorbeerbäumen, während sie zwei Schritte vor der Stadt der göttlichen Erscheinung des Grün, voll der wunderbarsten Schattierungen, teilhaft werden könnten, die vom Rasen bis zum krausen Laub, von der Helle bis zur Nacht gehen; denn im Dunkeln findet sich sehr viel Grün. Im Winter, wenn ein Schnee, der ebenso mannigfaltig ist, wie die Wolken, die edlen Formen Hollands umzieht, haben sie das unvergleichliche Weiß, den seidigen, atlasglänzenden Stoff, den die geschicktesten Engel weben und mit dem Glanz ihrer Reinheit begaben. Dann gefrieren die Kanäle, und man sieht in der Dämmerung die Phantome der Schlittschuhläufer dahin gleiten, gleich ihnen laufen die Lichter der erhellten Fensterscheiben durch die ganze Länge der stillen Stadt, und diese gelben, roten, lila Lichter entzünden das Eis, ohne es zu schmelzen. Auf dieser fleckenlosen Oberfläche treten die Ziegelhäuser voll hervor. Der kleinste dunkle Balken giebt einen pikanten Geschmack. Man sieht das Wunder, daß sogar die matten Reliefs funkeln: Das ist der Rausch der Farbe. Nun denn, die Herren ziehen es vor, sich die Augen zu verstopfen und Jungfrauen oder Christusse am Grabe zu malen. So jung sie auch sein mögen, wird ihr Leben nicht lang genug sein, um diese Wunder auszulegen. Im vorigen Jahre kehrte ich mit Goltzius aus Friesland heim; er ist sechsundzwanzig Jahre alt und besitzt erstaunliche Kenntnisse und Begeisterung. Wir fuhren im Schlitten über den Zuydersee. Die fahle Scheibe der Sonne ergoß einen wahren Feuerstrom über die prächtige Fläche; die Hütten, die Palissaden, die kleinen Brücken in der heranbrechenden, fahlen Nacht traten wie Korallen, schwarze Diamanten und Topase hervor, und im Hintergrunde des gelblichen Himmels waren einige Bäume wie mit dem Stichel eingegraben; sie glichen braunen Spitzen. Als wir uns der Stadt näherten, durchfunkelten den feinen Nebel, der vom Schnee ausgeht, zahlreiche Fackeln. Wir sahen einen ganzen Wald von Sternen vor uns glänzen. Mein Gefährte aber unterhielt mich von einem dreiteiligen Altarbilde des heiligen Sebastian, dessen Plan er gerade durch seinen Kopf wälzte. Keine Sekunde lang wendete sich seine Aufmerksamkeit der seltsamen Umgebung zu, die durch die Schnelligkeit unserer zwei guten Pferde einen neuen Reiz erhielt. Das ist die Ironie der Ueberlieferung.« –

Fischart seinerseits setzte Shakespeare durch die Masse seiner Kenntnisse in Erstaunen, wie durch die Art und Weise, wie er sie umtrieb. Die zahllosen Bücher, die er gelesen hatte, bildeten einen integrierenden Bestandteil seiner Persönlichkeit. Er studierte die Alten wie die Modernen, achtete auf die Gesetze, sowie die Entwicklung der Stadt, aber Politik und Religion spielten die größte Rolle in seinem Leben. In diesem Punkte jedoch machte William nicht mit, denn die ungeheuren Irrtümer, infolge deren die Menschen sich beherrschen oder Religionen auflegen lassen, widerten ihn durch ihre Maschinenmäßigkeit, die periodische Wiederkehr ihrer Phasen, Erfolge, Mißerfolge und Revolutionen an. Fischart hatte in der Gesellschaft der großen Reformatoren gelebt, war in alle Feinheiten des Dogmas und der Kritik eingeweiht und nannte sich selbst »ein theologisches Schachbrett«, »eine Wolke, in der alles Ungewitter des Antipapismus grollt.« Andererseits zog ihn sein vollständiger Schönheitssinn zum Humanismus, und die Kultur Griechenlands und Italiens kämpfte einen sonderbaren Kampf gegen sein nordisches Temperament. »Ich bin ein Sonnenstrahl auf dem Eise«, erklärte er scherzend. »Ich zwinge mich, die Bibel zu lesen«, fügte er hinzu. »Zu gewissen Stunden schläfert mich das Buch ein. Um wieder Geschmack daran zu finden, muß ich an Verfolgung, Krieg und Jesuiten denken. – Das ist eine höchst ermüdende Uebung. Der weise Ignatius von Loyola hat diese Meditation der Wut unter Anwendung der Sinne nicht vorausgesehen.« Als Shakespeare ihm vom Ritter John erzählte, rief er triumphierend: »Ihr seid da auf ein Muster der Sekte gestoßen und ihm glücklich entwischt. Diese Kerle starren von Mord und kalten Sentenzen.« Als er erfuhr, daß der Ritter ihm die »geistigen Exercitien« geschenkt habe, wollte er das Buch sehen. Sobald er es in der Hand hatte, wurde er rot vor Zorn und zerriß es in mehrere Stücke. »Verzeiht, mein Freund, ich bin dazu da, um Gifte zu zerstören, und würde gerne über meine Thür setzen: Zertreter von Viperköpfen. Diese ekelhafte kleine Broschüre hat schon mehr Böses gethan, als Pest oder Hungersnot.«

Außerdem liebte Shakespeare an diesem Pamphletisten seine feurige Leidenschaft für Gerechtigkeit, seinen unstillbaren Durst nach Freiheit. »Wenn Ihr an Eurem Tisch sitzt«, rief er, »wenn Ihr darauf wartet, daß Euer Gehirn seinen Dampf ausströmt, auf dem Feuer der Einbildungskraft kocht, so wiederholt Euch, daß der Schriftsteller immer das Unrecht gut machen, die Schwachen verteidigen und die Unschuldigen beschützen muß. »Erhebt ein Gebrüll, wenn man einen Weisen schindet«, sagte der alte Luther. »Erhebt ein Gebrüll, wenn man einen Armen schindet.« Es giebt keinen Fürsten, der so mächtig wäre, daß ich ihm nicht den Hintern blutig schlagen würde, wenn er seine Untergebenen mißhandelt. Mag man meine Bücher verbrennen – ich werde sie sprechen, – mag man mir die Zunge ausreißen – ich werde sie mit Gesten ausdrücken; mag man mir die Glieder abschneiden, – mit meinen Stummeln werde ich sie auf dem Kiese zeichnen. – Ihr kennt nicht Rabelais, mein Freund? Das ist ein wunderbarer Mann, den die olympischen Götter geknetet haben; seit seiner Jugend kaute er das Kraut der Leidenschaft, dessen Geschmack jede Missethat unerträglich macht. Ich habe seinen Gargantua übersetzt. Ich werde ihn Euch leihen. Ihr werdet darin französischen Schwung finden, der besser zu lachen versteht, als wir, und zwar in einer tollen Weise. Die Doktoren der Sorbonne, die Richter, Priester und Könige werden dort mit schönen, eisernen Ruten gestreichelt, und die Stille wiederhallt von ihrem Geschrei. Dieses Buch ist ein Ocean. Ich bin darin untergetaucht, habe darin auf dem Rücken geschwommen, bin beinahe untergesunken. Als ich herauskam, fühlte ich mich gebrochen, aber in Kämpferstimmung, und meine Muskeln waren mit Energie geölt. Wenn Ihr dieses Elixir geschlürft haben werdet, wird Euch alles Uebrige langweilig erscheinen. Wenn Fischart bei diesem Gegenstande war, strahlte sein Blick auf, und seine nervigen Finger am Ende seiner kleinen mageren Hand bebten. Er vermied es, von seinen Werken zu sprechen, und ertrug Lob nur ungeduldig. Trotzdem erriet man hinter dieser Bescheidenheit einen ungeheuren Stolz, ein grimmiges Machtbewußtsein. »Fabelhaft, fabelhaft«, murmelte er, wenn ihm irgend eine Greuelthat erzählt wurde, und man fühlte, daß er die Thatsache in seinem Gedächtnis eingrub, daß dem Opfer ein Rächer entstehen würde. Aus ganz Deutschland schrieb man ihm, um sich bei ihm über tausend Plackereien zu beklagen, und diese Korrespondenz entblößte ihm die Wunden eines trauervollen Landes. Bei gewissen Leiden wurden die Augen Fischarts feucht; dann warf er das Papier wütend von sich. »Ich kann doch nicht alles thun, ich kann doch nicht alles thun! Ach, mein Volk entartet. Vor 20 Jahren erhoben sich die Satiriker zu Hunderten. Alles war gut für freche Inschriften: die Mauern, die Bäume, die Thürschwellen. Geistreiche Allegorien zwickten das Fleisch des Bedrückers, fanden die geheimen, unnennbaren Stellen der Schamlosigkeit und Eitelkeit heraus. Wir waren die Henker der Henker. Heutzutage ist der Deutsche ein schreiender Esel. Er nimmt die Schläge philosophisch hin, beut eine Seite nach der anderen, dann den Nacken, zuletzt den Hintern dar. Der Schoß seines Gehirns trägt keine Kinder mehr.«

Die Sagen und Volksmärchen, in denen Erzgänge der Wahrheit glänzen, kannte er gründlich. Er erzählte sie in einem lebendigen, knappen Stil, der dem von Scorel so gerühmten Lichte glich, das nur Erhabenheiten beleuchtet und Beiwerk im Dunkeln läßt. Er erklärte Shakespeare, wie diese Kinder des Volkes von Nord bis Süd, von Ost bis West Veränderungen aufweisen, die für die Temperamente der verschiedenen Provinzen bezeichnend sind. »Sie sind gute Beförderungsmittel für die Satire« sagte er. »Das Volk hat sich an sie gewöhnt, liebt sie und glaubt ihnen. Wenn sie murrend und grimmbeladen erscheinen, nimmt es sie hin, wie sie sind, und bemerkt die Verwandlung erst später, an einem geheimen Erzittern seiner Seele. Damit wußte Luther so gut zu wirken. Wir bedienen uns alter Parabeln. Die größte Feindin des Pamphletenschreibers ist die Gewohnheit. Die Schmähung gerät durch den Gebrauch selbst in Mißkredit, und der bunte Geifer, mit dem wir den Papst bedeckten, hat wieder dem Weiß seines weißen Gewandes Platz gemacht. Man muß die Formeln fortwährend verändern, den packenden Gegensatz, den festklebenden Schimpf suchen, der an der Haut des Gegners haftet und sie zerstört.« Er behauptete, daß Zorn und Mitleid die beiden Kinder des Christentums sind, »denn die Religion ist eine Flut, die, wenn sie sich nach langem Verweilen von den Menschen zurückzieht, ihnen ihre Charakterzüge und die ihr eigene starke Leidenschaft hinterläßt.«

Seine Phantasie war unerschöpflich. Er erfaßte die geringste Episode, parodierte sie und zierte sie aus mit wunderlichem Beiwerk. Mit einer erstaunlichen Sprachfertigkeit begabt, vermochte er eine Stunde lang eine ganz neue, bislang ungesprochene Sprache zu reden, der er, um seine Gefährten zu unterhalten, die komischesten Beugungen verlieh. Wenn er sich auch für die Philosophie, Geologie, Geschichte, Astronomie, Alchemie interessierte, wenn er auch alles über die Tiere, Kiesel und Pflanzen wußte, wenn die Musik ihn »erzittern« ließ, wenn die Leidenschaften für ihn ein »stöhnender Wald« waren, wo er sich »auf jedem Baume aufhängte,« so gehörte doch seine innigste Neigung der Linguistik. In allen Feinheiten der französischen, deutschen, englischen, hebräischen, lateinischen und griechischen Sprache erfahren, stets auf der Suche nach Idiotismen, Lokalsprichwörtern und etymologischen Besonderheiten, forschte er mit einer Art Wut nach dem Ursprung der Worte, und die abgeschmacktesten Hypothesen schreckten ihn nicht. Jeden Augenblick fabrizierte er saftige Zusammensetzungen, häufte sächsische und gallische Wurzeln übereinander und entsetzte die Vorübergehenden durch Ausdrücke und Flüche, die er allen Völkern entlehnt hatte. Das nannte er seine »Reise um die Welt.«

Der unzertrennliche Begleiter Scorels, Shakespeares und Fischarts war der dicke Van Beverningk. Dieser gutmütige, joviale und verschwenderische junge Herr zog sich in die Festung seines Fettes zurück und nahm die Spöttereien und Neckereien seiner drei Gefährten entgegen, ohne mit der Wimper zu zucken. Er bewunderte sie, hörte sie ehrerbietig an und warf nur von Zeit zu Zeit einen schüchternen Einwand ein, den sie lärmend aufnahmen. Dann erschöpfte sich Van Beverningk mit puppenhaften Gebärden in verwirrten Entschuldigungen.

»Ihr habt nur eine Eigenschaft: Die Gefräßigkeit,« pflegte dann Scorel zu sagen. »Nur ihretwegen dulden wir Euch in unserem erhabenen Kreise.«

Gefräßig war Beverningk in der That, und auf den Rat Fischarts hatte er die Devise angenommen: »Bis zum Platzen.« Wenn er aß, nahm sein geschwollenes Gesicht einen seligen Ausdruck an. Er verblüffte seine Tischgenossen durch die riesigen Bissen, die er mit einem Male verschlingen konnte. Seine Kämpfe mit den Brühen erreichten epische Größe, denn bald griff er sie mit einem großen Löffel, bald mit einem Knochen oder Fleischviertel, bald mit Hilfe eines schaufelförmig geschnittenen Brotstückes an. Wenn er sich aber mit Essen vollgestopft hatte, und die Schlacht der Verdauung begann, sprangen Shakespeare, Scorel und Fischart jäh vom Tische auf:

»Ihr seid unanständig, schmutziger, spanischer Bauch!«

»Ruhe, Verpester der Luft!«

»Man wird Euch acht Tage lang den Rheinwein entziehen!«

Sie nahmen ihre Mahlzeiten bei Doelen ein. Der Wirt zur »Roten Laterne,« in ganz Holland wegen seiner Großmut gegen Künstlern berühmt, bewirtete seine Gäste fürstlich und ließ sich bitten, ehe er Geld von ihnen nahm. »Ich bin reicher als Ihr,« antwortete er stolz. In der That hatte er ein großes Vermögen erworben, und er gab es aus, ohne zu zählen. Sein Leben zerfiel in zwei Teile. Den Tag widmete er seinen zahlreichen Lastern. Der Saal im Erdgeschosse ward der Schauplatz wüster Orgien, und Lachen, Singen, unanständige Fluche tönten daraus hervor. Der »Klumpen« erzählte Shakespeare mit empörter Miene ausführlich abstoßende Geschichten. Aber des Abends wurde Doelen ganz vernünftig. Er führte aufmerksam den Vorsitz bei der Tafel, wußte malerische Feinheiten und Roheiten zu schätzen und erzählte, wenn man ihn darum bat, wunderbare Erinnerungen aus seinem Leben. Er hatte mit allen berühmten Persönlichkeiten der Niederlande verkehrt und die meisten Fremden von Bedeutung, die Amsterdam berührt hatten, bewirtet.

Während der bösen Tage der spanischen Tyrannei war sein Wirtshaus ein Herd der Verschwörung gewesen. Für die Geusen hatte er weder Geld noch Mühe gespart, so daß er bei ihnen sehr beliebt war, und sie ihm treu ihre Kundschaft bewahrten. Man flüsterte einander zu, daß er Wilhelm von Oranien heimlich gedient und eine höchst gefährliche Mission für den Schweigsamen ausgeführt habe. Es war das einzige Mal, da er sich von der »Roten Laterne« entfernt hatte, und wenn er auf jenes Ereignis anspielte, nahm er immer eine zurückhaltende Miene an. Für Shakespeare hatte er rasch Zuneigung gefaßt, denn dieser besaß einen ungezwungenen Geist und fragte ihn beständig über die Liebe aus. Doelen ließ sich in diesem Gegenstande gern zum Schiedsrichter nehmen. Er hatte berühmte Abenteuer erlebt, ehe er sich dem wüsten Leben ergab, und verschiedene, vornehme Damen hatten dem damals kräftigen und stattlichen Bürgersmann ihre Gunst geschenkt. Abends, wenn die gewöhnlichen Gäste fortgegangen waren, öffnete er häufig William, Scorel und Fischart sein altes Herz, und diese waren überrascht, darin so viel Zartgefühl, Erfahrung und Weisheit zu finden.

Am Vor- und Nachmittag durchstreiften die vier Freunde die Stadt. Von Scorel und Beverningk geführt, lernten der Poet und der Pamphletist nach und nach die wimmelnden Straßen, die von reichen Läden, von Herren und Bürgern erfüllten, ausgedehnten Stadtviertel, den Hafen mit seinem Meergeruch und dem bunten Völkergemisch, die engen, fauligen und lärmenden Höhlen kennen. Beim Anblick der Kanäle, dieses frischen, klaren Labyrinthes, das die Seele Amsterdams bildet, sprang Shakespeare vor Freude in die Höhe. »Diese stolze Stadt, die dank dem Genius ihrer Einwohner der Natur entrissen wurde, wird durch den Reflex so vieler Spiegel doppelt,« dachte er. »Wenn ihre Häuser plötzlich verschwänden, würde das treue Wasser ihre Bilder bewahren.« Die Begeisterung Scorels wurde bei jedem Schritte wieder rege. »Giebt es etwas Gesunderes für das Auge, als diesen rechtwinkeligen, mit grünen Bäumen bewachsenen Quai?« rief er. »Er führt zu einem anderen Kanal und dahinter errät man einen dritten, vierten und fünften. Man ahnt ein ganzes, regelmäßiges, feuchtes Gerüst. Sagt mir, ob nicht die Zeit auf jeder dieser warmen und gedämpften Farben eingeschrieben ist! Sie schmelzen auf der Pupille, wie eine Frucht im Munde. Man könnte glauben, daß diese Häuser sich in Bewegung setzen, längs ihres Reflexes dahingleiten und Schiffe nach sich ziehen werden. – Fischart, wo seid Ihr?«

In der That schien Fischart für plastische Empfindungen wenig empfänglich zu sein. Er interessierte sich vor allem für die zahlreichen Schilder aus Schmiedeeisen, die sich auf den Fassaden der Häuser befanden. Er verglich sie mit der ungeschickten Handschrift der Teufelskinder. Mit der Ungeduld, die ein Zug seines Charakters war, wollte er die Bedeutung der Sinnbilder sofort wissen, und dachte sich immer neue aus. Vor der Wohnung eines Hochmütigen müßten zwei erhobene Arme hängen, sagte er; einer müßte ein Herz, der andere ein Auge halten, denn der Eigentümer des Hauses analysierte sich selbst. »Für einen Geizigen gehören gekrümmte Finger mit bohrerförmigen Nägeln. Für einen Jesuiten – o, das ist ganz einfach! für den gehört eine von zwei Gesäßen überragte Gabel; vier Gesäße für zwei Jesuiten. Das ist der Strauß, den ich ihnen hinhalte. Und für den Papst – haha, was nehmen wir für den Papst? Eine hübsche kleine Bratmaschine. Den Ort, den ein Priester verpestet, würde folgende Devise illustrieren: »Zum Geschlechtslosen.« Den Ort, den ein Soldat verpestet, die folgende: »Zum Mörder.« Für die Richter fordere ich zwei astrologische Zeichen: den Skorpion und die Wage. Was die Königin betrifft, so paßt am besten Tiermist für sie – ein ungeheurer Kuhfladen, in dessen Mitte sich ein zierliches goldenes Scepter erhebt. Die Minister des Königs werden sich mit der Unterlage ohne das Scepter begnügen.« –

Shakespeare zog das Innere der Häuser in hohem Maße an. Durch die Fenster des Erdgeschosses und durch halb offene Thüren stahl er sich Bilder und machte sich mit den intimen Scenen des Volks- und bürgerlichen Lebens vertraut. Hier spielten sich, wie Scorel sagte, geräuschlos kleine Dramen ab. Im Mittelpunkte eines schmalen, blauen Zimmers, vor einem goldeingefaßten Tischchen stand eine Frau und las einen Brief. Ihr gesenktes aufmerksames Gesicht besaß weiche und doch kräftige Züge, wie man sie bei den Holländerinnen findet, und die blonden Haare waren von dem weißen Nacken hoch hinauf gewunden. Sie trug ein wallendes, ganz einfaches Gewand aus blauem Wollstoff, das weit genug war, um eine vorgeschrittene Schwangerschaft so ziemlich zu verhüllen. Mit ihrer feinen, vollen und zarten Hand hielt sie die Lehne eines blauen Stuhles. Ihr Horizont, – zweifellos auch der ihrer Träume wie des fernen Reisenden, – war eine Landkarte, die die ganze Wand ihr gegenüber einnahm. Die Uebereinstimmung der Farben, die Kurven dieses mütterlichen Körpers, der feine Mund, die gesenkten Lider erweckten keusche Empfindungen. Dem Dichter stiegen die Thränen in die Augen. Er winkte seinen Gefährten und stumm, den Atem zurückhaltend, sahen sie zu, wie das Herz der Familie klopfte. Sie entfernten sich, ehe der Zauber gebrochen ward. –

»Versucht doch mit Euren Gedichten, mit Euren Dramen solche Eindrücke zu geben,« murmelte Scorel. »Keine Folge von Worten, keine mühsame Zusammenstoppelung von Gedanken kann etwas Ganzes, etwas unmittelbar Schönes schaffen. Der erste beste Troßbube weiß einen Dolchstich mit einer leidenschaftlichen Gebärde zu begleiten und einen herzzerreißenden Ton zu finden. – Fischart kann mich nicht verstehen, aber Ihr, Shakespeare, solltet den tiefen Abgrund unter dem oberflächlichen Wallen des Ozeans ergründen, in dem sich das Leben der Erde und des Meeres vorbereitet, in dem seltsame Tiere schwimmen.«

An einer Fensternische saß ganz allein eine alte Frau; ihr Gesicht hatte einen herzzerreißenden Ausdruck, und ihre mageren, knochigen Hände hingen an ihrem grauen Stoffkleide herab. Ein Sonnenstrahl liebkoste den Spinnrocken und den Tisch, auf dem ein Teller, ein Stück Brot und eine Schnitte geräucherter Salm lagen. Das war die trübe Sackgasse einer verlassenen, untergehenden Existenz.

Eine Reihe von offenen Thüren zeigte hintereinander große helle Zimmer, mit weißen und roten Fliesen, die ein blondes, in einem allzuschweren Kleide steckendes kleines Mädchen fegte. Dann kam ein noch helleres Zimmer, wo auf einem Stuhl eine Katze schlief, und zuletzt ein Hof, ein niedriges rötliches Dach, die dunkle Oeffnung eines Kellers. Das Licht tanzte fröhlich durch die ideale Reinlichkeit dieser Behausung, fiel aus den hohen, mit kleinen Scheiben versehenen Fenstern herab, umspielte die Balken der Decke und eine massive Treppe, streichelte den weißen Nacken des Kindes und rieselte über das Mosaik.

Dort wieder sah man in einem Wirtshaussaale Soldaten sitzen, die zwei kräftige Mägde umfaßten. Mit der anderen Hand hoben sie ihre Becher. Man hörte derbe Flüche und lautes Gelächter. Hier streckte eine Gevatterin den Arm nach einem Käfig aus, in dem ein Vogel sang während im Hintergrunde zwei bejahrte, ernste Männer sich in ein Würfelspiel vertieften. Wo anders sah man in einer reichen Behausung zwischen zierlichen Nippsachen eine traurige, junge Frau nähen, während sie nachlässig mit dem Fuße ein schlafendes Kind wiegte. So bot ein einziger Spaziergang den vier Herumstreichern einen Einblick in alle inneren Regungen des menschlichen Lebens, und von der Beredsamkeit Scorels gehoben, machten sie auf Shakespeare tiefen Eindruck. Sie lieferten ihm ein endloses Repertoire von Figuren und Bewegungen, und fast jedes Fenster bereicherte seinen Vorrat tragischer Anschauungen. Er nahm diese verstohlen erlauschten Gefühle bis in ihre feinsten Schattierungen in sich auf, und gerade ihre Flüchtigkeit reizte seine Einbildungskraft. Er legte sich die Frage vor, ob es für den Dichter schöner sei, seine Personen dem unerbittlichen Schicksal auszuliefern, unfrei wie die alten Götter, oder in ihnen verhüllte Kämpfe der Temperamente anzunehmen. Dieses Problem beschäftigte ihn drei Tage und bedeutete für ihn eine geistige Krise. Aber er sagte seinen Gefährten nichts davon, denn er wollte diesen innern Streit in der Einsamkeit ausfechten. Er kam zu dem Schlusse, daß die einzelnen Wesen wie Bargeld sind, das dem Austausch zwischen zwei großen Schicksalsmächten dient, von denen eine zur Liebe, die andere zur Gleichgiltigkeit und Selbstsucht führt. Daraus erhellte ihm die symbolische Bedeutung seiner Fensterscenen, denn hier sah man liebevolle Gebärden und Hingabe des eignen Lebens an die Welt, während dort jene Kälte vorherrschte, welche die Außenwelt nicht zum Herzen, sondern nur zum Gehirn in Beziehung setzt. Es schien ihm also, daß jede Komödie da ihren Platz finden muß, wo diese beiden Grundströmungen einander kreuzen, und sowohl nach innen wie nach außen schauen, auch mehrere Teile hintereinander haben muß, gleich den Mosaiksälen, die das kleine Mädchen fegte.

In der Nacht träumte er von diesen Dingen. Er hörte die dogmatische Stimme Fischarts, das Schnaufen Van Beverningks, die leidenschaftlichen Ausrufungen Scorels. An allen Fenstern der Stadt standen Gestalten, hier das geschmückte Laster, dort die lächelnde Tugend; die Pracht der Dämmerung umhüllte sie und vor ihnen erhoben sich die Silhouetten der Maste. Ueberall pflogen die Bewohner Verkehr miteinander; die Schüchternheit stieg zum Hochmut empor, die Liebe trat bei der Gefräßigkeit ein und begrüßte sie mit abgemessener Feierlichkeit.

Als dann die drei Tage verflossen waren, konnte er strahlend zu Scorel sagen: »Ich sehe das Leben wie ein Gemälde an, und das Vorgehen Eures Freundes Van der Borscht, der sich den Zufall nutzbar machte, ist das richtige. – Aber zeigt mir noch mehr Fenster!« –

Am Spätnachmittag, wenn die Freunde nicht von lärmenden Versammlungen in der »Roten Laterne« zurückgehalten wurden, irrten sie auf gut Glück durch die Stadt. Nachdem alle anderen Farben erloschen waren, herrschten nur noch Orangegelb und Purpur in der Luft und im Wasser. Fischart nannte diese Stunde das »Fallen der Meteore.« Sie hatten auch ihre besonderen Lieblinge: ein ovales, sehr hochgelegenes Fenster, dessen Wiederschein durch ein optisches Wunder zehn Schritte entfernt funkelte. Sie haßten den Mond, der diese Wunder banal machte und der Stadt etwas allzu Hübsches, Hergerichtetes, Künstliches verleiht.

»Ein Bedürfnis drängt das andere,« sagte Fischart, »und die Stadt ist gesäet, und wir bewundern die Ernte der Steine.«

Sie hatten nämlich zuletzt unter sich eine elliptische Redeweise angenommen, die Van Beverningk in Verlegenheit brachte.

»Nicht alle Flammen durchschneiden das Dunkel,« fügte Scorel hinzu, und Shakespeare improvisierte sofort ein Gedicht über die Lichter, die unter den Sternen glänzen und in den verschiedenen Ländern der Welt die Arbeit und den Schutz enthüllen. Ein andermal entwarf er das Bild eines Händlers mit zweierlei Ruhmeskronen, einer roten für Gewaltthaten, Krieg und Raub, einer gelben für Träumer, Dichter und Denker. Er ahmte den seine doppelte Ware anpreisenden Verkäufer nach, wie die Unterhaltungen der Käufer und ihr Feilschen rings um den kleinen Wagen mit den farbigen Laternen. Die Freunde unterhielten sich auch mit einem Spiele, das sie »die Kette« nannten. Es bestand darin, daß man von einem Gegenstand zu einer Empfindung überging, von einer natürlichen Metapher zu einer moralischen und umgekehrt. Sie nahmen zum Ausgangspunkt eine brennende Laterne oder die unbestimmte Masse eines Hauses, die dunkle Silhouette eines Bootes und gelangten unter freudigem Gelächter zu den höchsten, noch unberührten Höhen des Denkens.

An einem heißen Nachmittage drangen Scorel, Fischart und Shakespeare in das jüdische Stadtviertel ein, um dort Jagd auf Radierungen zu machen. Es war eine lange, abschüssige, mit unsauberen Abfällen bedeckte Straße ohne Bürgersteig, in der sich ein schreiender, mit Ungeziefer bedeckter Kinderschwarm umhertrieb. Man sah kleine, magere Papageienprofile und rachitische Beine; an den Fenstern hingen gelbe und rote Lumpen, Wäschestücke aus graulicher Leinwand; der Schmutz sickerte aus den Mauern hervor. In den Thürrahmen standen Gruppen von schmutzigen Megären mit braunen Gesichtern, gebogenen Nasen und Augen, die schwarzen Weinbeeren glichen. Alle waren mit grellen, schmutzigen Schmuckstücken behangen. Die Mageren glichen Pharaonen, die Dicken karthagischen Sufeten. Viele trugen ein Kind mit bereits deutlich semitischen Zügen auf dem Arm, und leidenschaftliche, von krampfhaften Gebärden begleitete Schmähungen flogen überall durch die verpestete Luft.

Bald gelangten sie in einen noch engeren Teil des Ghetto. Hölzerne Baracken, die den Dienst von Kramladen versahen, waren an die Häuser angebaut; im Dunkel dieser Höhlen wimmelten fieberhaft aufgeregte Gestalten, die die drei Gefährten anriefen und ihnen Kupfergeschirr, alte Kleider, Waffen und Schuhe zum Kauf anboten. Ein Jude trat aus seiner Höhle hervor und stürzte mit einer Flut ehrerbietiger Worte auf sie zu, indem er sich bis auf die Erde verbeugte. Fischart stieß ihn roh zurück. Plötzlich blieb Scorel stehen: »Da sind wir. Sei gegrüßt, Vater Rabbas! Können wir eintreten, Kanaille, altes Scheusal?«

Fischart, Shakespeare und ihr Führer traten in das staubige, mit Büchern, Radierungen und Spinngeweben angefüllte Stübchen. »Betrachtet den Ort und den Verkäufer,« sagte Scorel. »Rasch einen Sitz her, und dann laß uns deine Schubladen sehen, stinkende Sabbathkröte!«

Rabbas war ein abscheulicher Typus seiner Rasse. Sein langes, ergrauendes, oben geöltes und zusammengeklebtes, unten gelocktes Haar umgab ein knochiges, flaches Gesicht mit phantastisch vorspringender Nase, blinzelnden Augen und einem von schwarzen Runzeln umgebenen Mund, der blaue Zähne zeigte und von einem milchigen Schaume umgeben war. Er war in löcherige Lumpen gekleidet und strömte eine herbe Mischung aller möglichen israelitischen Gerüche aus. Obwohl man ihm zurief: »Hinunter mit den Pfoten«, so fuhr er doch fortwährend mit seinen trockenen, zitternden Händen über seine Besucher hin und begleitete diese Gebärde mit einem seltsamen Kichern. Dann packte er mit fieberhafter Hast seine Schätze aus; es waren drastische Kupferstiche, die die hauptsächlichsten Episoden der jüngsten Kriege, der Belagerungen von Leyden und Harlem, darstellten. Ehe Scorel sie seinen Freunden reichte, untersuchte er sie sorgfältig, wendete sie hin und her und hielt sie in das bißchen Licht, das die neugierigen Nachbarn noch verdunkelten, indem sie ihre scheußlichen Gesichter gegen das vorspringende Dach des Ladens drückten.

»Befreit uns von Eurer Gegenwart, Ihr niedrigen Tiere, Ihr schändlichen Juden!« brüllte Fischart. »Satanssöhne, Affensöhne, Klumpfüße!«

Diese Schmähungen berührten die Juden gar nicht, aber Shakespeare bemerkte, daß die Runzeln Rabbas' zitterten.

»Aber Fischart, Ihr regt Euch zu sehr auf!« sagte Scorel. »Ihr hindert mich, die Ware zu prüfen! Ah, ah, das interessiert mich! Das ist wohl der Titelkupfer eines protestantischen Pamphletes! Aber nein, das ist ja ganz einfach ein Lukas Cranach! Und vollkommen unversehrt! Dieser gute Mann mit der Tiara auf dem Kopfe und den Entenfüßen ist der Papst, und er befriedigt ein Bedürfnis über Mönchen, die die Hände falten, während sie das himmlische Manna empfangen!«

Fischart geriet ebenfalls in Begeisterung: »Bravo! Das ist herrlich! Heraus mit allem Aehnlichen, was du noch hast, alter Hiob, Kuhfladen!«

Nun entstand ein Streit über den Preis. Rabbas wehrte sich mit wildem Starrsinn und behielt eine Ecke des Stiches zwischen seinen schwarzen Nägeln. Sein Blick bekam einen wilden Ausdruck.

»Drache, wenn du mich so anschaust, reiße ich dir deinen abscheulichen Rachen auf. – Drei Gulden!« –

»Vier Gulden, Ihr Herren! Vier Gulden! Das Stück ist selten.«

»Du bist ein seltenes Stück Schneckenbauch! Komm' mir nicht näher, du stinkst. Hinunter mit den Pfoten! – Drei Gulden!«

»Unmöglich, meine guten Herren! Ich bin ein armer Mann, ein sehr unglücklicher Greis.«

Scorel hielt sich die Seiten. »Ekelhafter Lügner! – Er ist arm! Er bewuchert alle jungen Leute von Amsterdam. Von dem einzigen Van Beverningk hat er ein kleines Vermögen zusammengespart. Heraus mit den anderen Stichen! Nein, die nicht! Andere, ältere, viel ältere –«

Rabbas belustigte Shakespeare. Der Jude sprang in seltsamer Aufregung in seinem Käfig herum, stöberte in den staubigen Schachteln unter vergilbten Papieren und Büchern mit seltsamen Einbänden. Ein großes Paket Zeichnungen von Albrecht Dürer kam zum Vorschein. Scorel wollte seine Bewegung verbergen, aber seine Finger zitterten, als er sie berührte. –

»Er sieht Euch, nehmt Euch in acht,« flüsterte ihm Fischart ins Ohr.

Rabbas verlangte sofort fünfzig Gulden. –

»Fünfundzwanzig auf die Hand, und ich nehme sie mit,« rief Scorel. Nun entstand ein Aufruhr, es kam fast zum Kampf, und es regnete Schimpfworte. Die anderen Juden, von dem Lärm angelockt, kamen herbei und schnüffelten unruhig mit ihren langen Schnauzen. Endlich einigte man sich um dreißig Gulden, und Scorel zahlte sie sofort auf den Tisch. Jetzt wagte er seine Freude zu zeigen. »Fischart, das da ist einzig. Ich habe ihn seit fünf Jahren gesucht und hatte schon darauf verzichtet; das ist ein Sujet, das er wiederholt hat. Die Schleie, die herrliche Schleie! Seht Ihr, Shakespeare, das ist die nackte Wahrheit. Wenn Ihr Stücke schreiben, wenn Ihr Schauspieler sein werdet, nehmt Euch diese höchste Offenbarung zum Muster. Das ist zusammengedrängt, wie eine Miniatur und breit wie eine Freske. Die Kiemen, die runden Augen, die häutige Oeffnung des Mundes – sie kam aus dem Wasser, sie erstickte. Gewiß, wenn man seinen Beruf derartig beherrscht, kann man sich Philosophie erlauben. Rabbas, du bist sehr schmutzig, aber für dieses Blatt umarme ich dich. – Das Vieh hat nämlich Geschmack. Ich weiß nicht, wo zum Teufel er alle diese Meisterwerke aufstöbert.«

»Mein Gott,« sagte Fischart achselzuckend, »die jungen Leute verkaufen sie ihm für blanke Thaler. Er setzt die Familienerinnerungen ab.«

Scorel kaufte noch mehr Stiche, und der Pamphletist begann um Bücher zu handeln. Die meisten derselben waren in deutscher Sprache geschrieben und handelten von Theologie und Mathematik, und keines lockte Shakespeare. Nach Verlauf einer Stunde befanden sich die drei Freunde in einem wahren geistigen Rausch. Rabbas erinnerte sie nur durch Ausrufe, Beteuerungen und Herumspringen an seine Gegenwart. Als sein Vorrat erschöpft zu sein schien, gab er zu verstehen, daß er oben im Hause noch ein besser ausgestattetes Magazin habe. Scorel und Fischart zögerten nicht. »Führe uns sofort hinauf, Kanaille! Du würdest hundert Stockstreiche verdienen, daß du uns so lange in deinem Wanzennest aufgehalten hast. Marsch, wir folgen dir.« Sie verließen das finstere Loch, während der Jude, die Ehrlichkeit seiner Stammesgenossen anzweifelnd, seinen Laden herabließ. Er drehte vier- oder fünfmal knirschend den Schlüssel um und ging dann seinen Kunden auf einer wurmstichigen Treppe voran. Auf dem Treppenabsatz des ersten Stockes zeigte er mit seinem abscheulichen Lächeln auf die dicken Wände. »Hier bewahre ich meine Juwelen auf.«

»Du handelst also mit allem? Sind deine Juwelen schön?«

»O schöner, als die der Könige!« Er streckte seine fleischlosen Arme in die Luft.

Eine zweite Thür knarrte. Das war die Privatwohnung Rabbas'; in einem großen Gemache, dessen schmale Fenster mit den zerbrochenen Scheiben auf einen verpesteten Hof gingen, füllte ein schrecklicher Haufen von Nippsachen, Möbeln, Stoffen und Kurzwaren so ziemlich den Raum vom Fußboden bis zur Decke, auf der unzählige Insekten umherkrochen. »Sei gegrüßt, Paradies des Ungeziefers und der Gauner,« sprach Shakespeare beim Eintritt, verstummte aber sofort, denn inmitten des freien Raumes, vor einem hinkenden Tische, der mit einer ungeheuren grob kolorierten Landkarte bedeckt war, saß eine junge Frau von strahlender Schönheit. Ihre Augen glänzten wie Messer, ihre Züge erinnerten an die der orientalischen Basreliefs, und zwischen der gewölbten Stirn und der geraden Nase war gar kein Zwischenraum. Ihr überreiches, von einem kleinen, roten Turban bedecktes schwarzes Haar umgab das herrliche Gesicht mit einem lila schimmernden Glorienschein. In den Ohren trug sie gewundene Ringe, an jedem Finger mehrere Reife und um den dicken, schmutzigen Nacken ein Halsband von Karfunkeln. Reiche, geflickte Kleider umhüllten weich ihren geschmeidigen Körper, aber ihre runden Arme schienen durch durchsichtige Gaze. Ihr gegenüber saß ein großer, beinahe kahlköpfiger, bärtiger, magerer und wie altes gegerbtes Leder aussehender alter Mann mit einem aufgedrehten Schnurrbart, der zu schwarz war, um nicht gefärbt zu sein; er besaß einen stolzen Ausdruck und zeigte in seinen glänzenden Lumpen ritterlichen Anstand.

»Das ist mein Weib Sarah und mein Diener Mazal,« sagte Rabbas nachlässig.

Mazal erhob sich und grüßte feierlich. Die schöne Jüdin blieb unbeweglich sitzen. Shakespeare, von seinem Instinkt geführt, ließ Scorel und Fischart mit dem Juden in ein zweites Zimmer gehen, wo sie neue Radierungen betrachten wollten. Er hingegen blieb bei dem Paare zurück, das seine Neugierde reizte, und nahm ohne Aufforderung einen Stuhl, auf dem er sich niederließ, als sei er entschlossen, nicht fortzugehen. Die Jüdin gab Zeichen der Ungeduld. William betrachtete forschend ihr Gegenüber, dann sagte er einfach mit leiser Stimme: »Ich sehe, Ihr seid ein Spanier. Doch fürchtet Euch nicht vor mir.«

Die Ueberraschung Mazals währte nur kurze Zeit. »Der Herr ist nicht der erste Zauberer, dem ich begegne,« sagte er, indem er sich stellte, als wende er sich ausschließlich an Sarah. »Der Herr hat zweifellos einen Talisman, aber er sieht edel aus, und ist gewiß nicht imstande, mich zu verraten. Da er mein herrliches Vaterland erraten hat, weiß er gewiß auch, daß ich Mazaltob heiße, aus der alten, berühmten, kriegerischen Maurenfamilie gleichen Namens stamme, und nicht ein Diener, sondern ein Gehilfe Rabbas', des Juden, bin. – Da ich nach Amsterdam verschlagen und von meinen Gefährten getrennt wurde, muß ich nun mein Brot auf etwas unwürdige Weise verdienen.« Eine Gebärde voll erhabener Verachtung begleitete diese Worte. »Der Herr wird auch wissen,« fuhr er fort, daß Dame Sarah Rabbas, die göttliche Senora hier, meine teure Geliebte ist, und daß jeder, der den Blick zu ihr erhebt, ein toter Mann ist.« Er zog den schweren Kopf der Jüdin über den Tisch hinweg zu sich heran und küßte sie heiß auf die purpurroten Lippen. Dann erhob er sich, ohne diese Stellung zu verlassen, mit außerordentlicher Geschicklichkeit und streichelte die Jüdin, die ihn schmachtend gewähren ließ. Dabei sprach er ganz leise einige Worte in spanischer Sprache, die sie erzittern ließen: » Corazon – mis ojos – vida de mi alma. –«

Shakespeare war über diese Kühnheit erstaunt, denn Rabbas konnte jeden Augenblick wieder eintreten. Mazaltob erhob sich und setzte sich wieder auf seinen Platz. »Der Herr ist erstaunt; er sieht, daß wir nichts fürchten, und glaubt vielleicht, daß der Gatte im Einverständnis ist. Nichts dergleichen! Der Alte ist eifersüchtig und mißtrauisch. Wenn er die Wahrheit erführe, würde er Mazaltob im Schlafe töten. – Beruhige dich, mi vida, ich habe einen guten Dolch, und mein Auge ist immer offen – und jetzt, Puñetta, an die Arbeit. – Ich zeige ihr nämlich die Wunder des Weltalls, und wir machen im Geiste große Reisen.«

Auf der vor dem Spanier liegenden Landkarte befanden sich wunderliche Figuren, die mit schwarzer Tinte längs grüner oder blauer Länder gezeichnet waren. Sie stellten Könige und Soldaten, in Pelze gehüllte Lappen, phantastische Tiere dar. Inmitten des mit Kreuzen und Kompassen bedeckten Ozeans sah man Köpfe von Piraten mit roten Mützen, die bliesen, um die Richtung der Winde anzuzeigen. Als Shakespeare herantrat, um die Karte näher zu betrachten, sprach Mazaltob mit einer großartigen, tragischen Gebärde: »Das ist der Plan Juan de la Losa's, des Piloten Christoph Columbus', dessen Seele jetzt bei Gott ist.« Ein großes Kreuzeszeichen vollendete den Satz, dann setzte der Aufschneider die durch den Besuch unterbrochene Erzählung in einem belehrenden Tone fort, der sich allmählich erwärmte: »Ich war dort, mi vida, dort, wo das Citronengelb ist. Am äußersten Ende des neuen Festlandes liegt ein ganz bewaldetes Land. Die Bäume sind aus Silber und tragen goldene Früchte, die groß, riesengroß sind, wie Weintonnen. Wir haben uns vierzehnmal geschlagen, und ich allein tötete fünfzig Indianer. Sie waren zwei Meter hoch, stießen ein schreckliches Geschrei aus und waren ganz mit Hefe und Ocker eingeschmiert, so daß sie so aussahen«. – Hier verzog Mazaltob sein bewegliches Gesicht zu einer abscheulichen Grimasse, so daß seine dünnen Oberlippen, sein Schnurrbart und die Hälfte seiner Conquistadorennase in seinem spitzen Kinne verschwanden. – »Ihr König bat um die Gunst eines Zweikampfes mit mir,« fuhr er fort. »Er hieß Zulmazilla, besaß eine Lanze, die zwanzig Ellen lang war, einen eisernen Bogen und Pfeile, die in Drachenblut getaucht waren. Ich behielt nichts zurück, als mein Schwert, das mir einer meiner heldenhaften Freunde, der Sohn eben jenes Juan de la Losa, geschenkt hatte. »Mazaltob,« schrie mir der Riese zu, »du wirst sterben, und ich werde dich in kleine Stücke schneiden und dein Fleisch mit meinen Frauen essen.« – »Bete zu deinem Teufel,« antwortete ich, »denn die Hölle bereitet ihre glühenden Oefen für dich vor.« –

»Das Heer sah uns zu und klatschte mir Beifall. Es schien mir, daß jemand in der Sonne lache. Mit einem Schwerthieb, Carajo, schlug ich ihm einen Arm ab, und Zulmazilla heulte vor Schmerz. Er versetzte mir schreckliche Stöße, die ich parierte, indem ich zur Jungfrau flehte. Mit einem zweiten Hiebe öffnete ich ihm den Bauch, und seine Eingeweide flossen zu Boden, wie Pferdedärme, so daß er darin herumstampfte. Er stank wie ein Toter, und sprang nach allen Seiten herum, indem er das Maul weit aufriß.« – Mazaltob ahmte das durch eine neue, schreckliche Grimasse nach. – »Ich stieß ihm das Schwert zwischen die Zähne und spaltete ihm den Kopf. Am Abend war ein großes Fest, und ich wurde zum Hauptmann ernannt. Beim Wirbeln der Trommeln traten wir in die Stadt, die mit Palästen aus Karfunkeln und Topasen besäet war. Es thut mir leid, mis ojos, daß ich dir nicht ein paar Wagenladungen davon aufbewahrt habe, aber alles ging in den Besitz meiner anderen Geliebten über; denn die Frauen Zulmazillas wurden die meinen, und sie waren verliebt und schön wie die Engel.«

Mazaltob schöpfte einen Augenblick Atem. Die Jüdin hatte ihm mit leidenschaftlicher Bewunderung zugehört, und nun war sie es, die sich auf seine Knie setzte und ihren Mund an den seinen drückte. Sie umarmte ihn mit aller Kraft; ihre Schmucksachen klirrten. Diese Scene entzückte Shakespeare. Das Leben des Spaniers unter den Juden gleich dem einer Assel bei den Ameisen – seine bramarbasierende Haltung, seine klägliche Vornehmheit, seine fabelhaften Erzählungen die er als rechtes Sonnenkind nach Herzenslust erfand, alles trug dazu bei, die Empfindsamkeit des Dichters anzustacheln. Dieses Talent, fortwährend zu lügen, war ja die lyrische Begabung selbst, die ihre Wurzeln in der Liebe hat und mit ihrem stolzen Haupte hoch über die Wirklichkeit ragt. Wer ein heftiges Gefühl empfindet, entstellt die Natur. Der Ehrgeizige beginnt damit, daß er sich selbst belügt und erschöpft sich dann in dem Bemühen, diese seine Lüge mit Handlungen auszufüllen. Aber das ist das Faß der Danaiden. Die Wahrheit ist im Vergleiche zu jenem ungeheuren Behälter des Möglichen, den die Lüge darstellt, nur etwas Armseliges, Zufälliges. Wahr ist, daß man Fuß-, Magen-, Kopfschmerzen hat, daß es schwer ist, das tägliche Brot zu erwerben, daß an dem und dem Tage unsere Geliebte schlecht aus dem Munde roch, daß an dem und dem Tage ein Freund uns verriet, daß eine Hoffnung sich nicht verwirklichte, daß das Fleisch schlecht gekocht war – Vor der Magie der Lüge aber weichen Schwäche, Mittelmäßigkeit, Enttäuschung sogleich zurück: man wird kräftig wie ein Türke, tapfer wie ein Gott und ist immer von liebenden Königinnen und treuen Freunden umgeben. Aber wenn der Mann unter der Wahrheit leidet, so wird die Frau durch sie ganz niedergedrückt. Von der Wirklichkeit erstickt, schleppt sie sich müde unter den Sorgen der Wirtschaft hin und bemüht sich, nur an der Oberfläche zu schwimmen. Darum strahlt in ihren Blicken ein so phantastisches Königreich, darum eilt sie wie trunken dem Lügner entgegen und schmiegt ihr ungesättigtes Herz in die kräftigen Arme übernatürlicher Helden.«

Während diese raschen Betrachtungen durch Williams Kopf zogen, hatten sich seine Blicke von den Liebenden abgewandt und auf den bunten Kram ringsum gerichtet. Er erblickte ein Gemälde, das ihm von Ferne mit der Umgebung übereinzustimmen schien. Der Dichter schälte es aus den Stoffstücken, aus dem Plunder heraus, von dem es verhüllt war, und Bewunderung ergriff ihn: Ein herrliches Weib wehrte sich in den muskulösen Armen eines krausen Mauren. Die beiden Gesichter berührten einander; diese bemalte Leinwand zeigte ihm den wilden Austausch von Liebe und Haß, deren Anziehen und Abstoßen Genuß und Tod herbeiführen.

Mazaltob und Sarah hielten sich noch immer umschlungen; er hätschelte sie, wie ein kleines Mädchen. Der Spanier bemerkte das Entzücken Shakespeares und sagte: »Das ist mein Bild, mein Eigentum, das Andenken eines meiner guten Freunde.« Als er die Neugierde des Bilderliebhabers durch sein Zögern genug gereizt zu haben glaubte, hob er eine dramatische Geschichte an, die er in immer kürzeren Zwischenräumen durch die Mimik seiner Grimassen oder einen feurigen Kuß auf den Nacken und das Haar seiner Geliebten unterstrich: »Einst lebte in Andalusien ein edler Herr, Vilonbralès. Er war noch schöner als ich, aus einer fast ebenso guten Familie, und wir hatten unser Herz miteinander getauscht. Den ganzen Tag ritten wir umher, aßen saure Früchte und ruhten uns in dem duftigen Schatten der Magnolien aus. Die Frauen und Pferde beteten uns an, und die Männer haßten uns wegen unserer Tapferkeit. So kam es, daß zuletzt Incarnacion, eine Sevillanerin, von Leidenschaft für Vilonbralès ergriffen ward und es durchsetzte, daß er sie heiratete. Bei Christus, was war das für ein herrliches Weib! Augen, wie die deinen, mis ojos, Hände und Füße wie eine Infanta, ein lächelndes Gesicht und Arme von himmlischer Frische. Aber nach einiger Zeit begann sich der Charakter Vilonbralès' zu ändern. Er, der so heiter war, sprach mit keinem Menschen mehr, und wunderbarer Weise brachte er, obwohl er toll von Liebe war, seine Zeit fern von Incarnacion damit zu, ihre Züge mit dem Pinsel wiederzugeben. Als ich ihn nach dem Grunde seines Benehmens fragte, antwortete er mir, daß nur in solchen Augenblicken seine Eifersucht beruhigt werde. Sie blieb übrigens sanft und vernünftig, aber er malte sie im Kampfe mit Bauern, Herren oder Hellebardieren und erhitzte so seine höchst entzündliche Phantasie auf das äußerste. Wenn du diese Skizzen gesehen hättest! Sie entflammten die Seele und trockneten den Mund aus wie der Südwind. Nun besaß Vilonbralès einen Diener, Namens Gusman, einen scheußlichen, braunen Marokkaner, der so stark war, daß er einen Stier bei den Hörnern bändigen konnte. Eines Tages befahl er ihm und seiner Frau, sich zu entkleiden und gebot Incarnacion, sich dem Mauren hinzugeben. Sie weigerte sich zuerst, aber da er sie mit dem Tode bedrohte, gab sie nach, und er verfolgte, in einem Lehnstuhl sitzend, mit schrecklichen Blicken und Schaum vor dem Munde, alle Phasen ihrer Liebe. Dann erstach Vilonbralès Gusman, erwürgte seine Frau und machte sich an das Bild, das der Herr so bewunderte. Es war sein letztes, denn er erhenkte sich.« –

Ein leichtes Geräusch ließ Sarah aufspringen; sie machte sich aus der Umarmung Mazaltobs los. Einige Sekunden später traten Scorel, Fischart und der Jude streitend wieder ins Zimmer, der erstere hielt ein dickes Paket Radierungen unter dem Arm. Beim Anblick des Gemäldes machte er eine erstaunte Bewegung. »Was ist denn das? Wo habt Ihr das her? Warum hältst du das Gemälde zurück, alter Narr, alter Guldenfresser?«

»Das Gemälde gehört mir, Herr; es ist ein Rest meines großen Vermögens« sprach Mazaltob und verschränkte mit stolzer Gebärde die Arme über der Brust.

»Ja, aber was ihm gehört, gehört mir, und ich will es Euch gerne verkaufen,« erklärte der Jude.

»Ich verbiete es dir,« schrie Sarah wütend, indem sie auf ihren Gatten losging. – Er lächelte boshaft. »Für hundert Gulden könnt Ihr es mitnehmen!« sagte er dann.

Scorel zuckte die Achseln. »Dann lasse ich es dir. – Welche Wärme in der Zeichnung und im Colorit! Rührt es von einem Italiener, von einem Spanier her? Darüber wage ich mich nicht auszusprechen. Es ist voller Ungeschicklichkeiten, und doch findet man darin Eigenschaften – Nun, machen wir, daß wir fortkommen. Ich fürchte, daß ich schwach werde.«

Mittlerweile stand Sarah kampfbereit da, und Mazaltob warf dem Juden haßerfüllte Blicke zu, indem er zwischen den Zähnen murmelte: » Cochino marano – Cabeza de nano – merluza de Toledo – Schmähungen, die Fischart sehr belustigten.

Während die drei Gefährten das schändliche Haus Rabbas' verließen, bereute Scorel bereits seine Unentschlossenheit, und als William ihm die Geschichte des Gemäldes erzählt hatte, geriet er in komische Verzweiflung. »Jeder Leidenschaftliche ist imstande, einmal in seinem Leben ein schönes Gemälde zu schaffen. Ich werde wieder kommen.« Er führte seine Freunde in sein Haus und klagte während des ganzen Weges über seine Ungeschicklichkeit, ohne auf die Eigentümlichkeiten des Ghettos zu achten, das in der Dämmerung durch das Blitzen der schwarzen Augen und der leuchtenden Lumpen, die jetzt nicht mehr durch ein grelles Licht verdunkelt wurden, noch malerischer aussah.

Shakespeare ward im Geiste in das Herz jenes Spaniens versetzt, das er nur dem Namen nach kannte, dessen seltsame Pracht aber seine Träume entflammte. »Die Leidenschaft verleiht den Körper unter der brennenden Sonne neue Formen,« dachte er. »Ich sehe diesen Vilonbralès vor mir, wie ihn Mazaltob nicht sehen konnte. Sowie einst durch seine dahinjagenden Rosse wird er von der Eifersucht zu eingebildeten Abgründen getragen; schmerzliche Träume ermüden ihn, und in seinem Wahnwitz will er jeden Wunsch befriedigen, selbst den blutigsten.«

Der Dichter war so tief in Gedanken versunken, daß er einem Nachtwandler glich und die Wohnung Scorels nur mehr wie durch einen Nebel sah. Er erinnerte sich später bloß, daß alles darin den Eindruck einer tadellosen Pracht geboten hatte. Er meinte, in einen goldenen Schrein einzutreten, soviel reiche, prächtig eingerahmte Gemälde hingen an den Wänden. Auch ein zartes Blau und erblichenes Rosa blieben ihm im Gedächtnisse, ebenso eine phantastische Sammlung von Radierungen, Möbeln, Stoffen und Glasfenstern. Inmitten dieser Wunderdinge waltete eine alte Dame mit sanften Augen, die Mutter Scorels, mit lächelnder Anmut des Amtes der Hausfrau.

Sie war in Schwarz gekleidet, trug aber um den Hals eine schöne, weiße Tollkrause und auf dem Kopfe eine Haube von ebenfalls weißen, sehr feinen Spitzen. Scorel küßte sie, lachte, sprang, zeigte feine Stickereien, seine Stiche, seine Bilder, und zwischen ihm und Fischart entbrannte bald ein Streit über Lukas von Leyden. Aber Shakespeare sah immerfort die hohe Gestalt Vilonbralès' vor sich und den Blick, mit dem er allen Phasen des Liebeskampfes zwischen seiner Frau und Gusman folgte. Die Goldfarben im Hause Scorels wurden zu spanischen Sonnenstrahlen. Die Gemälde verzerrten sich, als wären sie in der Raserei eines Eifersüchtigen geschaffen worden. Selbst die Mutter Scorels glich einer jener Duennen, die sündhafte Briefchen überbringen und die schönen, jungen Leute auf der Straße ansprechen.

Als Shakespeare mit Fischart über die Eifersucht sprach, antwortete der Pamphletist: »Mein Lieber, es giebt keine unbezwinglichen Gefühle; ich glaube, daß man sich durch eine moralische Anstrengung von allem heilen kann. Darum ist die Satire etwas sehr Gutes. Ich bin allen menschlichen Leidenschaften wie Gegnern im Hinterhalte entgegengetreten und habe sie bekämpft und besiegt. Ich war furchtbar eifersüchtig, aber ich rettete mich durch den Stolz. Dieser trocknete das Herz derart aus, daß jede andere Regung beinahe lächerlich wird. Ich war verheiratet. Schon damals geiferte ich gegen die Katholiken. Meine Frau gehörte einer berühmten Familie Deutschlands an und bildete sich sehr viel darauf ein. Auf den Rat ihres schuftischen Stiefvaters, eines Diebes und Blutschänders, der in unsere Ehe nur eingewilligt hatte, um meine Tugend, mein Feuer und das Vermögen seiner Stieftochter auszunützen, versuchte sie es, mich am Schreiben zu hindern. Ich war sehr verliebt und eifersüchtig wie Vulcan. Aber sowie sie begann, mein Talent zu schmähen, sobald ich mich von ihrer Dummheit überzeugt hatte, trennte mich meine Verachtung für immer von ihr. Zorn und Stolz entbanden mich von der Schmähschrift, die Ihr kennt, und ich segne jenen flüchtigen Bund, der meine Seele gepanzert hat. Als Lyriker hatte ich Höllenqualen gelitten. Nun, da meine Kraft im Dienste des Hasses und der Gerechtigkeit stand, befreite ich mich von allen Fesseln. Ja, es ist wahr, durch Selbstprüfung erreichen wir das Unerreichbare. Bei jedem Individuum hat das Gewebe der Leidenschaft seine eigene Form und Farbe und bestimmt, wie bei der Korbflechterei den Gebrauch, zu dem es das Schicksal verwenden wird. Dieser Vilonbralès war ein Gefäß der Verzweiflung, der Wut, aber wenn er ein besserer Maler gewesen wäre, wäre er dem blutigen Tode entronnen.«

Eine Zeit darauf konnte William bemerken, wie sehr die Vorgänge eine unseren Vorurteilen entsprechende Färbung annehmen. Nach einem starken Gelage in der »Roten Laterne« ergingen sich die Gäste des Vaters Doelen in den dunkeln Straßen Amsterdams. Die einen sprangen umher und schlugen an die Thüren, die anderen beichteten unter Thränen und Beteuerungen ewiger Freundschaft, wieder andere setzten mit schweren Zungen ihre Kunstgespräche fort. Scorel behauptete, die Farben durch das Dunkel der Nacht zu wittern, und geriet in gerührte Stimmung über das Grün, das alle Wonnen der Natur bedeckt. Fischart behauptete, daß er bereit sei, seinen Feinden zu vergeben, wenn sie ihm mit einer Kerze in der Hand und einem Strick um den Hals ehrenhafte Abbitte leisten würden. Shakespeare, Arm in Arm mit einem schon undeutlich gewordenen Kameraden, verfaßte eine Hymne auf die Trunkenheit. »Ah, welche Menschheit wäre es, mein Lieber,« rief er, »wenn jeder betrunken zur Welt käme, und bis zum Tode betrunken bliebe! Fühlst du nicht in dieser Minute, wie armselig und niedrig wir in der Nüchternheit jenes edle Gewebe verwenden, das die Götter aus den verschiedenartigsten Stoffen gewebt haben? Rührt sich nicht in dir eine Hölle fröhlicher Teufel, von denen jeder dir ein vernachlässigtes Vergnügen, einen unausgekosteten oder verdorbenen Genuß, eine erhabene Dummheit bezeichnet? Ich werde dir ein Geheimnis anvertrauen, aber du mußt es für dich behalten, denn es würde beim Laufe durch die Welt schmutzig werden. Seit einer Woche denke ich nur an die Eifersucht. Mein Charakter ist so beschaffen. Im Wirbel der Dinge verfolge ich immer eine einzige Idee. – Nun denn, wenn ich nicht betrunken bin, ist diese Idee schal und matt. Sobald aber ein Glas guten Weines sie berührt, strahlt sie auf, in meinem Gehirn eröffnen sich Ausblicke, und ich sehe deutlich, daß die Eifersucht der hoffärtige Uebergang der Liebe zu jenem Zerstörungsbedürfnisse ist, das am Grunde aller Sinnlichkeit liegt. Verstehst du das, mein Herrlicher? Die Gefühle müssen sterben; ihr Beharren würde den Wahnsinn herbeiführen, und die Weisen nennen die Trunkenheit einen Wahnsinn, weil sie die Lebenskräfte entfesselt. Aber giebt es etwas Reizenderes, als sich selbst zu zeichnen?«

Die kleine Schar langte bei einer langen, mit dem Hafen parallel laufenden Straße an. Der Lärm der engen Gassen steigerte sich; Matrosen und Weiber kamen hervor und prügelten sich. Fischart schlug mit der flachen Klinge auf einen kräftigen Kerl los, der heulend floh. Die Töne der Querpfeife durchschnitten die übelriechende Luft. Ein Trupp Bauern, die in die Stadt gekommen waren, um irgend einen Jahrestag zu feiern, ging mit Musik an der Spitze in edler Haltung vorüber; die alten Frauen schritten mit ernster Miene am Arme der Greise einher. Sie gaben auf die ihnen zugerufenen Scherze keine Antwort und behielten ihre Freude für sich. Während sie beleuchtete Stellen durchschritten, unterschied der Dichter ihre prächtigen Trachten, Stickereien und goldenen Hauben und empfand lebhafte Ehrfurcht für diese einfachen Gesichter, diese unschuldigen Herzen, in denen das Laster keinen Halt gewinnen konnte. – Dann bemerkte er, daß er seine Gefährten verloren hatte. Einige Frauen umgaben ihn, und er folgte einer von ihnen. Sie war alt und traurig und führte ihn lange Zeit über düstere Quais, kleine Brücken, die unter den Schritten knirschten, und schändliche Gäßchen, bis zu einer Art von altem Gemäuer. Ein warmer Regen begann niederzugehen. Sie traten ins Haus. Shakespeare, von Müdigkeit erschöpft, streckte sich auf das verpestete Lager. »Du thust nichts?« fragte die Frau.

»Nein.«

»Du bist nicht wie die unersättlichen teerigen Seekapitäne.«

Als er sie, von diesen Worten geweckt, über ihren Beruf, ihre Abenteuer und ihre Eifersucht ausfragte, antwortete sie, daß sie dieses letztere Gefühl niemals empfunden hätte. Sie kannte nichts, als Hunger, Durst und Kälte.

Das Zimmer war finster, und der Dichter hörte die dünne, gebrochene Stimme nur durch die wirren Dämpfe der Trunkenheit. Mitleid und Ekel stritten in ihm. Er sprach von Liebe; das Mädchen schauerte zusammen und begann zu weinen. – Und bis zum Morgen, bis zum krankhaften Schein der Dämmerung erzählte er ihr seltsame Geschichten, von Königen, die Bettlerinnen heiraten, und, um sie von ihrem Schmutze zu reinigen, drei Monate unter den Blumen leben lassen – unter Riesenblumen, die in der Dämmerung sprechen, die einmal des Jahres sich von ihren Stengeln lösen und zum Grabe Christi wallfahren. – Sie hörte ihm gierig zu, und ihr armes, fahles Gesicht färbte sich mit etwas Leben. »In diesen Seelen, wo alles tot scheint, bleibt also doch noch ein Funke zurück,« dachte Shakespeare. »Ja, dazu soll der Dichter dienen; er soll in die verlorenen Herzen hinabsteigen, die beseligende Fackel schütteln und Geister erstehen lassen. Die Hautbekleideten und Vernunftbegabten wollen nicht glauben, daß sie gleicher Art sind, und das erweckt doch ihren Stolz. Mögen sich die Häßlichen für schön halten, die Schönen für häßlich, aber alle sollen mit ausgebreiteten Armen der Zukunft entgegengehen, ihren Kuß zu empfangen.«

Van Beverningk hatte seine Freunde eingeladen, den Abend bei ihm zu verbringen. Er bewohnte ein hohes, graues Haus am Schnittpunkt zweier Kanäle. Nachdem Shakespeare, Scorel und Fischart eine riesige Marmortreppe und mehrere waffengeschmückte Vorhallen durchschritten hatten, traten sie in einen Saal von blendender Pracht. Stickereien aus weißem Gagat und Gold, die Fabeln darstellten, strahlten das Licht von ihren breiten, schimmernden Flächen zurück, und dieses Licht selbst fiel aus farbigen Glaskronleuchtern und zwölfarmigen Silberkandelabern herab. Mattfarbige Teppiche lagen unter den Möbeln, die mit Elfenbein, Gold oder Zinn eingelegt waren. Die Menge der Spiegel und Goldschmiedarbeiten war zahllos, ebenso wie die der Gemälde, Landschaften, Jagdstücke oder Bilder von Ahnen, die sämtlich ehrenvolle Aemter bekleidet hatten. Inmitten dieser Pracht saßen mehrere vornehme Personen, alte Herren und Damen mit noch stolzen Mienen und ernsten Gesichtern. Aber die Blicke Shakespeares schweiften sofort zu der Frau Beverningks, deren traurige Geschichte er kannte. Sie bildete den ergreifendsten Gegensatz zu ihrem fröhlichen Gemahl, denn sie war fortwährend krank. Sie saß halb liegend auf einem breiten Lehnstuhle, stützte den Kopf auf einen Arm, und dieser Arm, bis zum Ellenbogen entblößt, lag auf einem gestickten Kissen, während die andere, feine, blasse Hand ausgestreckt herabhing. Sie hatte ein schönes, schmerzliches Gesicht, große, feurige, schwarze Augen, die zu flehen schienen, zarte, matte Züge, und ihre Stimme klang, wenn sie sprach, wie gebrechlicher Krystall. Die geringste Bewegung verursachte ihr grausame Leiden. Sie trug ein Perlenhalsband um ihren abgemagerten Hals, ein blaues, mit weißem Pelze verbrämtes Atlasmieder mit Diamantenknöpfen und ein Kleid aus malvenfarbigem Atlas mit schweren Falten, unter denen man die Gebrechlichkeit ihres Körpers ahnte. Sie empfing ihre Gäste mit einem Lächeln, das Shakespeare rührte, denn es bedeutete: »Ihr seht, ich bin noch schön und sehr gut; aber Ihr müßt Euch beeilen, mich zu beklagen, denn ich werde nicht mehr lange Mitleid einflößen.« Ihre Blicke strahlten zärtlich auf, wenn sie sich auf Van Beverningk, dieses dicke Kind, richteten, der sich einer geradezu unverschämten Gesundheit erfreute. Manchmal trat ein schwarzgekleideter, feierlicher Mann auf sie zu und sprach leise einige Worte zu ihr. Sie schüttelte schwermütig den Kopf. Das war ihr Arzt, der sie nie verließ und die Wechselfälle ihres langsamen Todeskampfes überwachte. Scorel machte ihr Komplimente über ihre Kleidung. »Die Falten Eures Rockes, edle Frau, sind an und für sich ein Kunstwerk,« sagte er. »Diese starren Brüche, der gewundene Lauf des Atlas, die Einbuchtungen, die Erhabenheiten und der silberne Widerschein der Kerzen würden Albrecht Dürer verführt haben. Schöne Stoffe haben ihr eigenes Leben, sowohl in der Ruhe, wie in diesem Augenblicke, als auch im Zustand der Bewegung.«

»Ihr gefallt mir, weil Ihr lärmend seid,« murmelte sie. »Ich fürchtete, daß dieser Abend durch die vielen alten Leute düster wird.«

In der That sprachen die anderen Anwesenden nur wenig oder unhörbar. Etwas wie ein leichter Hauch des Todes schwebte über allen diesen Greisen. Fischart hatte bereits ein Gespräch mit einem ehrlichen Philosophen angeknüpft, den sein satirisches Feuer in Erstaunen versetzte. Van Beverningk gab sich alle Mühe, um die herrschende Befangenheit zu zerstreuen, aber seine derben Scherze erstarrten im Eise des Schweigens. Shakespeare war von der Kranken bezaubert. Sie kam ihm wie ein herrliches Juwel aus Fleisch und Blut vor, veredelt durch das Bewußtsein des nahen Endes und verklärt von tiefem Gefühl und einigen letzten Illusionen. Er empfand ein Gefühl der Verliebtheit. Die Wohlbeleibtheit Van Beverningks empörte ihn. Als eine blonde Dame sich ans Klavier setzte, trübten die zarten, melodischen Töne die schönen leidenden Augen und ließen die Seele an die Oberfläche steigen, während ein leises Rot die Wangen belebte. »O Vielgeliebte, mit den langen Wimpern mit den überzarten Fingern, und der elfenbeinernen Haut, wenn ich dich an meinem Herzen hielte, würdest du vielleicht nicht aus der Welt gleiten!« dachte der Dichter. »Ich würde mich bemühen, mit meinen Küssen deinen Mund wieder erblühen zu lassen, den der bittere Vorgeschmack des Todes verzieht. Wie gefährlich und lockend ist diese Musik! Sie zieht dich zu finsteren Träumen fort, hinweg von den Vergoldungen und weichen Stoffen, und du entschwebst auf ihr wie auf einer Totenbarke, unter Spitzen, gestickten Teppichen und den Runzeln friedlicher Greise.«

Neben ihm ertönte ein schwaches Wispern.

»Ihr seid Dichter, Herr; wollt Ihr uns nicht ein paar Verse hören lassen? Ich liebe Verse sosehr! Mit wenigen Worten drücken sie Unfaßbares aus.«

»Ach, edle Frau, es giebt Feinheiten, die keine Strophe wiederzugeben vermöchte, zum Beispiel den Gedanken, daß eine Liebe zwei Menschenlose hätte verklären können, wenn sie sich nicht zu spät begegnet wären.«

»Sicherlich bleiben die süßesten Geheimnisse im Zustande des Geheimnisses, und ein jeder trägt sein geheimes Lied in sich, das nur ihm allein singt.«

»Das Eure wird sich »Genesung« nennen.«

»Die Ueberlebenden werden ihm diesen Namen geben; denn man lügt gern auf Gräbern.«

»Eure Schönheit übersteigt den Spiegel der Sprache.«

»Sie wird sich in einem Leichentuche spiegeln.«

Ein Schalksnarr sprang mit verzerrtem Gesichte, weit aufgerissenem Munde, schief sitzender Mütze und flatternden Haaren zur Thür herein. Er drückte seine Guitarre an sein gelbseidenes Wams und entlockte ihr phantastische Töne, die er mit Fußstampfen und rauhem Schreien begleitete. Scorel und Fischart fragten ihn aus, und er gab ihnen freche Antworten. Die Diener brachten große Schüsseln voll Fleisch und Weinflaschen herein, und Van Beverningk rieb sich die Hände, weil die Fröhlichkeit endlich in sein Haus einzog.

*

Trotz der Bitten Scorels und Doelens waren Fischart und Shakespeare entschlossen, Amsterdam am fünfundzwanzigsten September zu verlassen. Von dort aus wollten sie Friesland und dann Deutschland bis Hamburg durchwandern, wo sie sich zu trennen gedachten; denn William wollte sich in die nordischen Königreiche begeben, deren kalte Wunder er hatte rühmen hören.

Am Abend dieses Tages fand in dem Atelier des jungen Cornelis Cornelisz ein Abschiedsgelage statt. Unter den riesigen Skizzen von Gemetzeln und Schlachten (der Wirt trug, wie seine Freunde behaupteten, ein ungeheures Vergrößerungsglas im Auge) stießen die Gläser aneinander und den Reisenden wurden zahlreiche Glückwünsche zuteil. Ein großer, etwas trunkener Büchsenschütze erbot sich, sie bis zur Grenze von Westphalen zu begleiten, um über ihr Leben zu wachen. Jeder gab Rathschläge, die Fischart lächelnd hinnahm. Shakespeare zitterte vor Freude bei dem Gedanken an die Landschaften und die neuen Menschentypen und Dinge. Auf der Ueberfahrt von Dover nach Rotterdam hatte er die Beweglichkeit kennen gelernt, und der Rhythmus des Meeres sich seiner Phantasie eingegraben. In Rotterdam selbst lernte er den Haß und zwei oder drei Formen der Liebe und des Mitleids kennen, von denen er bisher keine Ahnung gehabt hatte. Die Reise nach Delft, Leyden und Harlem hatte ihm die Gestaltungskraft der Rache, die Macht der Erinnerungen und Ruinen gelehrt. Amsterdam war für ihn die Offenbarung einer erhabenen Kunst, in der der Mensch die Natur umfassen konnte. Voll Freude war er sich bewußt, daß seine Empfindungskraft viel feiner geworden war. Einst spielte er gern mit Abstraktionen. Nun trat durch die fortwährende Erschütterung der Nerven das materielle Leben wieder in seine Rechte. Von einem einfachen Gefühle ausgehend die zusammengesetztesten geistigen Zustände durchschreiten, um zuletzt davon bewegt zu werden, das ist das Geheimnis der Poesie. In diesem Augenblicke beobachtete er die malerische Mischung, die der Tisch Cornelisz' bot. Bürgergarden, lärmende Soldaten, Künstler der verschiedensten Lebensalter stritten über ihre Theorien und die Hilfsquellen ihres Berufes.

Das Gespräch drehte sich um die verschiedenen Berufsarten. Die Kriegsleute dachten von Jugend auf nur an die Waffenthaten ihrer Väter, und das Wirbeln der Trommeln brachte sie zum Weinen. Einer von ihnen – er hatte eine olivenfarbene Haut, einen dunkeln Hut und ein gelbes Lederwams – holte aus einem Winkel des Ateliers eine blaue Fahne und schwenkte sie über den Gästen, indem er rief: »Sie hat mir die Liebe zum Vaterland eingeflößt! Was giebt es Schöneres als eine Fahne, die in allen Winden, auf der Höhe der Wälle, in der Faust eines Kriegers weht, die die Mutigen versammelt, von Hand zu Hand geht und die Toten überlebt?« Seine Begeisterung war ansteckend. Die Augen strahlten auf, und jeder glaubte, daß es zum Sturm gehe. In der Gesellschaft befanden sich die Maler Hendrik, Goltzius, Dirck, Lastmann, Steenwick und Rauwärts, die Baumeister de Vries und de Key. Sie erzählten abwechselnd von der Quelle ihrer künstlerischen Entwicklung, ihre ersten Eindrücke. Das Erstaunen ihrer Umgebung hatte viel zu ihrer Ausbildung beigetragen. »Mein Vater,« sagte Lieven de Key, »war ein armer Steinschneider. Sowie ich anfing, Kiesel zu Häusern zusammenzustellen, zu mauern, und die Ecken zu glätten, so geriet er in eine Verwunderung, der ich mein bescheidenes Talent verdanke. Er seufzte auf, rief meine Mutter herbei, und beide verfolgten meine Arbeit mit Blicken, die mich begeisterten. Ich denke an diese rührenden Blicke, wenn ich den Plan eines Stadthauses oder einer Kathedrale zeichne. Sie ermutigen, leiten und führen mich zur Wahrheit zurück: Denn ich entwerfe immer zuerst unmögliche Paläste und Monumente und kehre erst durch eine Reihenfolge von Beschränkungen zur Wirklichkeit zurück. Diese ausschweifende Phantasie schreibt sich jedoch auch aus meiner Kindheit her, von einer Sammlung phantastischer Radierungen, an deren Titel ich mich nicht mehr erinnere. Jeden Abend, ehe ich einschlief, blätterte ich darin.«

Auf de Vries hatte eine Besichtigung des Utrechter Turmes, dessen große Glocke nur beim Tode eines Königs geläutet wird, den tiefsten Eindruck gemacht. »Ich wollte einen ähnlichen Turm bauen und auf seiner Spitze wohnen. Es schien mir, daß ich dann allen anderen durch meine luftige Stellung und durch meine Rolle als Verkündiger großer Trauer überlegen wäre.«

»Was mich betrifft,« erklärte Cornelisz, »so könnte ich die Stunde, den Augenblick nennen, da ich fühlte, wie die Liebe zur Kunst gleich einem großen Vogel ihre Schwingen in mir ausbreitete. Das war während der Belagerung von Harlem. Angst und Schrecken hielten die Stadt gefangen. Meine Eltern, die verreisen mußten, hatten mich dem Maler Pieter Aartsen anvertraut. Dieser arbeitete damals an einem Gemälde, »die Taufe der Jungfrau«. Eines Tages, während er seine Farben vorbereitete, und alle Fenster offen standen, hörte man draußen den Lärm von Schießen. Da ergriff mich jener unwiderstehliche Wunsch, den uns der Anblick einer herrlichen Frau in der Zeit unserer erwachenden Sinnlichkeit einflößt. Ich fiel vor dem erstaunten Pieter Aartsen auf die Knie: »Meister, lehre mich diese wunderbaren Umrisse, lehre mich die Kunst, die Farben zu verändern, und mit Hilfe eines Pinsels Wesen zu schaffen.« Mein Ton war so dramatisch, daß der gute Mann lächelte. Und Ihr wißt, die Umstände stimmten nicht zur Heiterkeit. Er war ein Träumer und ein Weiser. Er drückte mir das edle Werkzeug in die Hand, das ich nicht mehr verlassen habe.«

»Wen die Götter in dieser Weise berührt haben, der muß den Ruhm seines Volkes erhöhen,« sagte Fischart. »Aber viele Helden wurden sich ihrer Bestimmung nur allmählich bewußt, und oft sind große Männer nur unter schweren Wehen geboren worden.«

»Plutarch hat diesen Unterschied zwischen Frühreifen und Spätlingen gemacht,« sagte Shakespeare, und ließ sich in eine verwegene Theorie ein. Uebrigens dachte er dabei nur an sich selbst. Das Problem des Ursprungs interessierte ihn sehr, und der Umstand, daß es ihm an plötzlichen Offenbarungen, an jenen Blitzen fehlte, die die unbewußte Kraft erhellen, beunruhigte ihn und ließ ihn an sich selbst zweifeln. Er hatte bei sich nie etwas anderes bemerkt, als ein treffliches Gedächtnis, eine immer schärfer werdende Feinheit der Empfindung, die Fähigkeit, tief in das Wesen der verschiedensten Personen einzudringen. Würde das genügen, um mit Virgil, Ovid, Plato und den berühmtesten Dichtern zu wetteifern?

Als die Gesellschaft sich trennte, begleiteten Fischart und William Scorel, den das bei dem Juden entdeckte Gemälde doch zu sehr lockte, und der daher willens war, die hundert Gulden zu opfern. Sie legten den Weg in trauriger Stimmung zurück. Scorel war über die Abreise seiner zwei Freunde betrübt, und ihnen that ebenfalls der Gedanke wehe, nicht mehr diesen schönen blonden Bart zu sehen und diese beredte Stimme nicht mehr zu hören. Der Pamphletist tröstete sich mit Aphorismen. »Man muß alles vom Standpunkte des Vergänglichen betrachten. Die duftigste aller irdischen Blumen, die Freundschaft, wird uns noch teurer, sobald wir wissen, daß sie nur kurze Zeit blüht. – In der Erinnerung, mein Lieber, durch die Erinnerung und für die Erinnerung! – Ihr werdet sehen, was für ein seltsames, schwarzes, lärmendes Männchen ich am Horizonte Eures Gedächtnisses abgeben werde.« Aber diese ironischen Worte kamen ihm nicht vom Herzen.

»Warum scherzt Ihr, Fischart, und verbittert Euer Herz,« sagte Shakespeare zu ihm. »Ich liebe Scorel, und Ihr liebt ihn ebenfalls. Er hat in uns Visionen geweckt, die sich jetzt verwischen werden. Er war für uns ein Bildner schöner Träume.«

Zum zweitenmale durchschritten sie das Ghetto und stiegen die schmutzige Treppe Rabbas' hinauf. Der Lärm eines Streites drang bis zu ihnen heraus. Sie trafen den Juden und seine Frau im heftigsten Zorn an; sein Gesicht wurde von einem häßlichen Grinsen verzerrt, während er ihr mit dem zitternden Finger drohte; sie bebte in ihren reichen Lumpen, warf stolz den Kopf zurück, und ihr Mund floß über von Schmähworten. Mazaltob betrachtete die Scene unbeweglich, mit verschränkten Armen und einem verachtungsvollen Ausdruck.

»Sie hat mich bestohlen, Ihr Herren, böswillig, verräterisch bestohlen, und der andere ist ihr Mitschuldiger!« schrie Rabbas, vor Empörung erstickend. »Meinen schönsten Diamanten von unvergleichlichem Wasser, das Hauptstück meines Ladens haben sie mir armem Manne gestohlen und behaupten nun, daß ich ihn verloren habe. Verloren! Einen solchen Diamanten! Wo ich meine Juwelen bewache, wie der Blinde seinen Hund, die Henne ihre Küchlein, der Fürst seinen Schatz!«

»Er ist toll,« schrie Sarah, »rein roll. Er hat so viele Verstecke, daß er sich nicht mehr in ihnen auskennt. – Komm mir nicht näher, Schurke, oder ich kratze dir mit meinen Nägeln die Augen aus!«

» Mierda de nariz! Pedazo de pie podrido!« brummte Mazaltob.

»Ich werde euch beide dem Gerichte anzeigen, schändliche Diebe! Dich und ihn – ihn als Spanier, und ihr wißt, was man mit den Spaniern macht. Man hängt sie auf oder haut ihnen den Kopf ab.«

» Cabeza rellenada de meados – –«

»Ich scher' mich viel um Euer Kauderwälsch. Jetzt fürchte ich mich nicht mehr vor Euch! Ein Diamant! Einen Unglücklichen so zu hintergehen! Die heilige Gastfreundschaft so zu verraten! Ein Diamant! Ihr Herren, ich habe ihn genährt, beherbergt, – ohne mich läge er jetzt auf dem Misthaufen, wohin er gehört. Ihr seid Zeugen, Ihr seid Zeugen, wie sie mich schmähen, wie sie mich verhöhnen!«

Er tanzte vor Wut in komischer Weise umher, wagte aber nicht, sich Mazaltob zu nähern.

Die drei Gefährten mischten sich nicht ein, und Scorel vergaß sogar den Zweck seines Besuches. Der Jude fuhr fort zu schimpfen und zu fluchen, als plötzlich Sarah eine prächtige Bewegung des Hasses machte. Sie stürzte zu Mazaltob und umarmte ihn, wie rasend, klammerte sich an ihn und schmiegte sich in seine kräftigen Arme. Ihr Mieder krachte, und ihr schwarzes Haar ergoß sich aus dem roten Turban in Strömen über ihre vollen Schultern. »Er ist mein Geliebter, mein König, und Ihr seid ein Hund! Allen werde ich es erzählen, daß ich in Wahrheit Eure Tochter bin – ja, ich habe ihn gestohlen, diesen Diamanten – ja! ich werde auch die anderen stehlen! – Juwelen, viele, viele, um meine Schande zu bezahlen – Umarme mich, du – küsse mich – ich liebe dich – ich liebe dich! – Geht jetzt zu Gericht – wir werden Euch heute abend töten und zusammen auf Eurem Aase tanzen.« – –

Bei dieser plötzlichen Enthüllung wurde Rabbas furchtbar bleich. Er trat ein paar Schritte vor, zog einen Dolch aus der Tasche, steckte ihn wieder ein, stieß ein dumpfes Lachen aus und verließ dann nach rückwärts schreitend mit geballter Faust das Zimmer.

»Das ist vielleicht unser Tod, aber du hattest recht, mi vida,« sagte Mazaltob und liebkoste, die Augen gen Himmel gerichtet, seine kühne Geliebte, deren Brust vor Entzücken und Wut rhythmisch auf und nieder ging – »Giebt es etwas Erniedrigenderes, Ihr Herren, als seine Tochter zu mißbrauchen? Seht, sie ist außer sich. – Beruhige dich, mis ojos! Wir werden die Steine verkaufen und trachten, zu Schiff in meine Heimat zu entfliehen, die voll Sonne, Helden und Reichtümer ist, wo du einen Palast bewohnen wirst, der deiner Schönheit würdig ist. Lebt wohl, Ihr Herren! Wir verlassen die Stadt.« – Er strich seinen Schnurrbart, grüßte ritterlich und wandte sich dann zu Scorel. »Ihr wünschtet, mein Bild zu besitzen; ich vermache es Euch. Möge es Euch an ein Liebespaar erinnern, das würdig war, edle Herzen zu rühren. Wünscht uns Glück! Nun fort! Und Christus geleite uns!« –


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