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Auf dem Quai des Augustins, einer engen, friedlichen, von Antiquarläden eingefaßten Straße, befand sich in einem alten Hause des vorigen Jahrhunderts die Redaktion der »Rassen der Zukunft.« Diese unabhängige, humane Zeitschrift war hier in dieser Umgebung von alten, staubigen Büchern so recht an ihrem Platz. Auch das Haus mit den altersgeschwärzten Balkonen und der breiten, öden Freitreppe entsprach dem Charakter und Geist des Blattes, weniger dagegen das Auftreten und Äußere der Verleger.
Seitdem die »Rassen der Zukunft« gegründet worden waren, hatte der entsetzte Thürhüter die schmutzigsten, kläglichsten, schrecklichsten Produkte der niederen Litteratur hereinlassen müssen. »Sogar Neger und Chinesen kommen zu uns,« erzählte der unglückliche Cerberus seinen Kollegen, und ich glaube, er spielte damit auf Monroval, einen der Mitarbeiter an, der stets in Begleitung einiger »heißer Länder« erschien.
Die Aktionäre fehlten allerdings noch immer, wenigstens hatten sich bis jetzt nur zwei gefunden: d'Argenton und – unser Freund Jack. Lacht nicht darüber, Jack hatte wirklich zehntausend Franken gezeichnet, das Geschenk des »guten Freundes«. Charlotte hatte allerdings gezögert, das Eigentum des Kindes so zu benutzen, aber schließlich d'Argentons Gründen nachgegeben:
»So nimm doch Verstand an ... Es ist eine ausgezeichnete Anlage, sieh doch, wie hoch die Aktien der Revue des deux Mondes stehen. Das ist viel sicherer, als Eisenbahnpapiere.«
In dem halben Jahre hatte nun d'Argenton über dreißigtausend Franken für seine Zeitschrift ausgegeben und, da jegliche Einnahme bis jetzt noch fehlte, so war die Ausgabe allerdings bedeutend. Aber er fühlte doch wenigstens, daß er lebte. Wie hatte er es nur fertig gebracht, sechs Jahre lang die Einsamkeit des Erlenhäuschens zu ertragen? Deshalb hatte er auch nichts schaffen können. Sechs Jahre hatte er auf »Fausts Tochter« verwendet und seit er sich in Paris in einem geistvollen Kreise befand, hatte er, ich weiß nicht wie viel, Novellen und Aufsätze begonnen.
Auch Charlotte teilte die fieberhafte Thätigkeit ihres »Künstlers«. Sie leitete den Haushalt, was bei der ungeheuren Zahl der täglichen Tischgäste keine Kleinigkeit war und half daneben dem Dichter bei seiner Arbeit.
Dieser hatte sich jetzt das Diktieren angewöhnt, und da Charlotte eine hübsche Handschrift besaß, so diente sie ihm als Sekretär.
An dem Abend, an welchem wir dem d'Argenton'schen Haushalt einen Besuch abstatten wollen, sitzen beide in einem kleinen, gemütlichen, nach grünem Thee und spanischen Cigaretten duftenden Salon. Charlotte legt sich eben einen elfenbeinernen Federhalter, Tintenfaß, Goldsand und feine weiße Bogen mit breitgeknifften Rändern zurecht; sobald es sich um ihren Dichter handelt, macht sie alles so zierlich wie möglich.
Heute Abend fühlte sich d'Argenton gut aufgelegt und will die günstige Stimmung benutzen, um eine sentimentale Novelle zu schreiben. Er zupft an seinem Schnurrbart, den bereits einige Silberfäden durchziehen, und wartet auf eine Eingebung. Leider ist Charlotte, was öfter vorkommt, heute garnicht gut aufgelegt. Sie sieht blaß und zerstreut aus, taucht aber trotz ihrer augenscheinlichen Abspannung gehorsam die Feder ein.
»Nun, Lotte, bist Du so weit? Hast Du ›erstes Kapitel‹?«
»Erstes Kapitel«, sagt Charlotte traurig.
Der Dichter sieht sie gereizt an, unterläßt es aber, nach ihrem Kummer zu fragen und beginnt:
»In einem einsamen Thal der Pyrenäen, jener der Sage nach so fruchtbaren Pyrenäen ... jener der Sage nach so fruchtbaren Pyrenäen ... hast Du ›so so fruchtbaren Pyrenäen‹?« Sie versucht zu wiederholen: so ... so ... fruchtbaren –«, stockt aber plötzlich und bricht in Thränen aus.
»Nun, nun, was hast Du denn?« fragte d'Argenton bestürzt. »Ist es die Nachricht vom Cydnus? Übrigens wollte Hirsch heut bei der Gesellschaft anfragen; er muß gleich kommen, dann hast Du immer noch Zeit, Dich zu sorgen.«
Seine Stimme klingt trocken und verächtlich, und sobald sie sich beruhigt hat, fährt er fort:
»Wo waren wir? Ich habe den Faden ganz verloren, lies mir einmal vor, was ich diktiert habe.«
Charlotte trocknet ihre Thränen und beginnt von Neuem: »In einem einsamen Thal der Pyrenäen, jener der Sage nach so fruchtbaren Pyrenäen ...«
»Nun?«
Vergebens durchblättert sie das ganze Heft, »das ist alles,« sagt sie endlich.
d'Argenton ist sehr überrascht, es schien ihm viel mehr zu sein; so geht es ihm beim Diktieren immer. Was hilft es, daß er sich verzweifelt durch die Haare fährt, es bleibt bei den beiden Zeilen »In einem einsamen Thal der Pyrenäen, jener der Sage nach u. s. w.«
Er ist wütend.
»Du bist schuld daran,« sagt er zu Charlotte. »Wie soll man arbeiten können, wenn jemand daneben sitzt und beständig weint?«
Er stampft mit dem Fuße auf und schlägt heftig auf den Tisch, während die in Thränen schwimmende Charlotte ihr zur Erde gefallenes Schreibgerät zusammensucht.
Die Ankunft des Doktor Hirsch macht diesem unerquicklichen, aber leider sehr oft wiederkehrenden Auftritt ein Ende. Der Doktor kommt in Labassindres Begleitung und beide treten mit wichtigen, geheimnisvollen Mienen ein. Besonders der Sänger hat eine Art, die Lippen zusammenzupressen, welche deutlich sagt: »Ich weiß etwas sehr Wichtiges, aber keine Macht der Erde kann mich zwingen, es mitzuteilen.«
d'Argenton, der noch vor Wut und Aufregung zittert, weiß noch immer nicht, was die bedeutungsvollen Händedrücke seiner Freunde zu sagen haben, bis ihn eine Frage Charlotten's darüber aufklärt.
»Nun, Herr Hirsch,« wendet sie sich an den Wunderdoktor.
»Noch immer keine Nachricht, gnädige Frau.«
Dabei giebt er aber d'Argenton über seine Brillengläser hinweg zu verstehen, daß dies eine Lüge ist, daß er eine entsetzliche Neuigkeit weiß.
»Und was sagen die Herren der Gesellschaft?« fragt die geängstigte Mutter.
»Mein Gott, gnädige Frau, Buh ... Buh.«
Während Labassindre sich in einem Schwall von Redensarten ergeht, formt Hirsch nach der Dècostère'schen Methode den Mund zu den wenigen Worten:
»Cydnus mit Mann und Maus verloren ... Zusammenstoß auf offener See ... entsetzlich.«
d'Argenton's dichter Schnurrbart zittert ein wenig, das ist alles; aber er fühlt das Bedürfnis, diese Aufregung in freier Luft ausklingen zu lassen.
»Ich habe tüchtig gearbeitet,« sagte er zu seinen Freunden, »ich möchte Luft schöpfen, laßt uns einen Gang machen.«
»Ja, Du hast Recht,« meinte Charlotte, »ein Spaziergang wird Dir gut thun.«
Für gewöhnlich hält sie ihren Künstler soviel als möglich im Hause zurück, weil sie glaubt, die vornehmen Damen des Faubourg St. Germain wissen um seine Rückkehr und warten nur auf eine Gelegenheit, um »sein Herzblut zu trinken«, aber heute läßt sie ihn gern gehen, um mit ihren Gedanken allein zu sein. Nun kann sie schweigen und nachsinnen, ohne daß die Stimme des Tyrannen dazwischen fragt: »Woran denkst Du?« Und woran denkt sie? Seit sie in der Zeitung die verhängsvollen Zeilen gelesen hat »Keine Nachrichten vom Cydnus«, verfolgt sie das Bild ihres Sohnes. Sie thut die ganze Nacht kein Auge zu, sondern horcht auf das Heulen des Windes, das sie so ängstigt.
Auch heute Abend hört es sich schauerlich an. Der Wind streicht über den Balkon, rüttelt an den Fensterkreuzen, pfeift durch die Ritzen, als begehre er Einlaß, als habe er der Mutter etwas zu verkünden. Und ihre Einbildungskraft ist so lebendig, daß sie aus dem Heulen und Toben einen schwachen, kaum vernehmbaren Klagelaut herauszuhören glaubt:
»Mama!«
Ohne Zweifel eine Täuschung, eine Vorspiegelung ihres überreizten Hirns.
»Mama!«
Eben klang es deutlicher ... Aber es kann nicht sein, die Ohren klingen ihr nur. O Gott, sollte sie wahnsinnig werden? Um dieser Sinnestäuschung zu entgehen, steht Charlotte auf und schreitet durch das Zimmer ... irgend jemand muß gerufen haben, es klang von der Treppe her. Sie läuft zur Thür. Draußen sind die Gasflammen erloschen, die Lampe, die sie in der Hand hält, läßt den Schatten des Geländers auf die Stufen fallen ... Niemand ist da ... Und doch glaubt sie sicher, einen Ruf gehört zu haben. Sie beugt sich noch einmal vor und hält die Lampe hoch; da zittert ein halb lachender, halb schluchzender Laut durch das Treppenhaus und ein langer dunkler Schatten schleppt sich mühsam die Treppen hinauf.
»Wer ist da?« ruft sie zitternd, von einer wahnsinnigen Hoffnung beseelt.
»Ich bins, Mama, ... ich sehe Dich, ...« antwortet eine matte, heisere Stimme.
Sie eilte die Stufen hinab ... Ja, das ist ihr Jack, dieser große, verwundete Arbeiter, der sich auf zwei Krücken stützt und den das Wiedersehen mit seiner Mutter so angegriffen hat, daß er in einer Ohnmachtsanwandlung mitten auf der Treppe stehen bleiben mußte. Das hat sie aus ihrem Kinde gemacht!
Kein Wort, kein Schrei entfährt ihr. Sie stehen einander gegenüber und weinen.
Als d'Argenton spät Abends zurückkehrte, war er entschlossen, Charlotte die furchtbare Nachricht mitzuteilen und der ganzen Sache endlich ein Ende zu machen. Wie groß war daher sein Erstaunen, als er zu so ungewöhnlicher Stunde den Salon noch erleuchtet, Charlotte wach und die Überreste einer in der Eile hergerichteten Mahlzeit fand. Sie ging ihm hastig entgegen. –
»Bst. Tritt leise auf, er ist da ... er schläft ... Oh wie glücklich bin ich ...«
»Wie, was?«
»Jack. Er hat Schiffbruch gelitten, ist verwundet und nur durch ein Wunder gerettet worden; er kommt aus Rio-Janeiro, wo er zwei Monate im Krankenhause gelegen hat.«
d'Argentons Mund umspielte ein mattes Lächeln, welches ebensogut ein Ausdruck von Genugthuung sein konnte. Man muß allerdings zugestehen, daß er sich sehr väterlich benahm und sich bereit erklärte, Jack im Hause zu behalten, bis er vollständig wieder hergestellt sein würde. Nun, zehntausend Franken waren dieser Mühe wohl wert.
Als die ersten Tage des Wiedersehens vorüber waren, nahmen d'Argenton und Charlotte ihre gewohnte Thätigkeit wieder auf und der arme Heizer in der baumwollenen Blouse und den elenden, eingefallenen Zügen, dessen infolge einer Kesselexplosion verbrühte Beine nur langsam heilten, der Enkel des Lord Peambock, der Jack Idas von Barancy, schleppte sich zum Ärger d'Argenton's und zur Beschämung seiner Mutter mühsam von Stuhl zu Stuhl.
Sobald ein Fremder das Haus betrat, oder sie fühlte, daß ein neugieriger Blick auf dem Arbeiter ruhte, dessen Sprache und Haltung seltsam gegen seine vornehme Umgebung abstach, beeilte sie sich zu bemerken:
»Hier ist mein Sohn ... er ist sehr krank gewesen,« wie die Mütter schwachsinniger Kinder, welche sich fürchten, einem allzu deutlich ausgesprochenen Mitleid zu begegnen.
Jack hatte alle seine Bekannten aus dem Gymnasium, jene dunklen Ehrenmänner von Parva domus wiedergefunden; sie versammelten sich zweimal wöchentlich zu einem großen Mittagessen. d'Argenton, der ohne zahlreiche Gesellschaft nicht leben konnte, beschönigte diese Schwäche mit einem erstaunlichen Satzgefüge, dessen Bedeutung er allein kannte.
»Wir müssen eine Gruppe bilden, zusammenhalten, uns die Hände reichen.«
Nun, wahrhaftig, man hielt zusammen, und der Mittelpunkt der Gruppe war Evariste Moronval, der Sekretär der »Rassen der Zukunft«.
Das Gymnasium in der Avenue Montaigne bestand schon seit langem nicht mehr, aber sein ehemaliger Direktor hatte die Erziehung »kleiner heißer Länder« noch nicht ganz aufgegeben und erschien in der Redaktion stets in Begleitung der letzten beiden Überbleibsel dieses sonderbaren Instituts. Der eine war ein japanischer Prinz zwischen fünfzehn und fünfzig Jahren, der ohne sein langes Mikadogewand mit seinem winzigen Hütchen und Stöckchen wie eine kleine Thonfigur aussah, die von einem Eckbrett zufällig auf das Pariser Pflaster gefallen ist. Der andere, ein stämmiger Bursche, von dem man nur die Schlitzaugen und die Stirn sah, während alles andere unter einem ebenholzschwarzen Bart verschwand, rief in Jack alte Erinnerungen wach. Dieser erkannte seinen Freund Saïd an gewissen Zigarrenstummeln, welche der Egypter ihm beim ersten Wiedersehen anbot. Außer ihm bedienten sich alle die bei der Zeitschrift Angestellten, wie auch die Tischgäste Jack gegenüber einer herablassenden Redeweise, nur für die sanfte, ausgezeichnete Frau Moronval-Decostère war er »Herr Jack« geblieben.
Übrigens war es diesem armen Schlucker ganz gleich, er hielt sich am liebsten abseits und brütete vor sich hin, ohne auf das litterarische Geschwätz zu hören. Die zwei Monate im Hospital, die drei Jahre der Trunkenheit im Heizraum und ihr furchtbares Ende hatten ihn müde gemacht; er empfand das Bedürfnis, zu schweigen, zu rasten und in stiller, ruhiger Umgebung das stürmische Meer und die tobenden Maschinen zu vergessen.
»Er ist stumpfsinnig,« meinte d'Argenton oft.
In Gesellschaft seiner Mutter, an den wenigen Nachmittagen, wenn der Dichter fort war, wurde er ein wenig lebhafter. Dann setzte er sich zu ihr und erfreute sich an ihrem zwitschernden Geplauder.
AIs sie so eines Tages zusammensaßen, erwachte er plötzlich aus seinem Brüten und fragte Charlotte ganz langsam:
»Als Kind habe ich wohl einmal ein weite Reise gemacht, nicht wahr?«
Sie sah ihn ein wenig bestürzt an. Zum erstenmal in seinem Leben fragte er nach der Vergangenheit.
»Weshalb?« erwiderte sie.
»Weil ich vor drei Jahren, als ich zum erstenmal den Fuß auf einen Dampfer setzte, eine seltsame Empfindung hatte. Mir war, als hätte ich das alles schon einmal gesehen, man träumt manchmal wunderbar.«
Sie sah sich ängstlich um, um sich zu vergewissern, daß sie allein seien:
»Du hast nicht geträumt, mein Jack, Du warst drei Jahre alt, als wir nach dem plötzlichen Tode Deines Vaters aus Algier nach der Touraine zurückkehrten.«
»Mein Vater ist also in Algier gestorben?«
»Ja,« versetzte sie, den Kopf senkend.
»Wie hieß denn mein Vater eigentlich?«
Sie zögerte, denn auf diese Frage war sie nicht vorbereitet. Und doch, so peinlich auch das Gespräch war, konnte sie einem erwachsenen Burschen von zwanzig Jahren den Namen seines Vaters nicht verschweigen.
»Er trug einen der ältesten Namen Frankreichs, mein Kind, einen Namen, der Dir und mir auch zukäme, wenn ein unvorhergesehener Unglücksfall ihn nicht gehindert hätte, sein Unrecht wieder gut zu machen. Wir waren noch sehr jung, als wir uns kennen lernten.«
Und die Närrin schwatzte weiter von ihrem arabischen Pferde Soliman, ritt auf ihm mit verhängten Zügeln durch das sagenhafte Land, welches ihre glänzende Phantasie mit allen möglichen Lords Peambock und Rajahs von Singapore bevölkerte.
Jack versuchte nicht, sie zu unterbrechen, er wußte, daß es vergebliche Mühe sei; aber als sie einmal inne hielt, um Atem zu schöpfen, benutzte er die kurze Pause, um auf seine Frage zurückzukommen.
»Wie hieß mein Vater?« wiederholte er.
Noch ganz atemlos von der langen Erzählung erwiderte sie hastig:
»Er hieß Marquis de l'Epan, Rittmeister im dritten Husaren-Regiment.«
Wir müssen annehmen, daß Jack über den Adel und seine Vorrechte nicht dieselben Ansichten wie seine Mutter hegte, denn er nahm die Enthüllung seiner hohen Herkunft sehr ruhig hin. Außerdem hatte ihn der Umstand, daß sein Vater Marquis war, nicht davor bewahrt, Heizer zu werden; auch war dieser tot und die unbekannte Empfindung, welche Jack einen Augenblick durchbebte, ging, nachdem seine Neugier einmal befriedigt war, wieder in der allgemeinen Betäubung unter.
»Nun Charlotte, wir müssen eine Beschäftigung für den Burschen suchen, er kann nicht ewig müßig gehen, seine Beine sind geheilt, er hustet zwar noch ein wenig, aber Hirsch behauptet, daß er stets husten wird; wenn die Arbeit auf dem Schiff zu schwer für ihn ist, mag er zur Eisenbahn übergehen. Labassindre sagt, es gäbe dort sehr guten Verdienst.«
»O, wenn Du wüßtest, wie abgezehrt er ist und wie er beim Treppensteigen keucht! Mag er sich erst noch ein wenig kräftigen, Du sollst ihn unterdessen bei der Zeitschrift beschäftigen.«
»Gut,« versetzte der Dichter, »ich werde mit Moronval sprechen.«
Moronval willigte ein, aber der Versuch fiel unglücklich aus. Einige Tage lang verrichtete Jack die Arbeit eines Laufburschen mit gewohnter Gleichgültigkeit, ertrug Moronvals boshafte Anspielungen und Zornausbrüche d'Argentons, dessen Laune sich bei dem stetigen Ausbleiben der Abonnenten mehr und mehr verschlechterte. Sie waren aber auch wirklich dickköpfig. In dem prächtigen, mit grüner Leinwand bezogenen, kupferbeschlagenen Eintragebuch, in dem ihre Namen verzeichnet werden sollten, stand nur ein einziger, vereinsamter: Graf ... auf Schloß ... in Mittray bei Tours und den hatte man Charlotte zu verdanken.
Aber dieser Mangel an Einnahmen konnte es nicht verhindern, daß die Kosten wuchsen.
Nach acht Tagen wurde der Laufbursche für unfähig erklärt. –
»Er nützt uns nicht im Geringsten, sondern ist jedermann im Wege.«
»Aber mein Lieber, ich versichere Dir, er thut, was er kann.«
»Ach, was willst Du, ich sage, er stört mich: sieh doch nur hin, wie ungeschickt er sich bei Tische benimmt, und dann riecht er beständig nach der Schenke, er ist eben Arbeiter!«
Sie senkte den Kopf und weinte. Auch sie hatte bemerkt, daß er trank, aber wer trug die Schuld? Hatten sie ihn nicht selbst in den Abgrund gestoßen?
»Halt, Charlotte, ich habe eine Idee. Wenn er noch zu schwach zum Arbeiten ist, mag er nach Etiolles gehen; da hat er Landluft und kann uns vielleicht helfen, Parva domus zu vermieten, wir geben ihm alles Nötige mit.«
Sie fiel ihm dankbar um den Hals:
»Gewiß, das ist das Allerbeste.«
Sofort wurde beschlossen, daß sie ihren Sohn am nächsten Morgen im Erlenhäuschen unterbringen sollte.
An einem ruhigen, goldigen Herbstmorgen trafen sie dort ein. –
Jack erkannte all' die Wege und Stege wieder, durchlebte im Geiste die wenigen glücklichen Jahre seiner Kindheit.
Charlotte verließ ihren Sohn am nächsten Morgen, und das kleine Häuschen mit den offenen Fenstern, inmitten des halbverwilderten Gartens in der Blüte des Spätsommers, das kleine Häuschen, welches Jack durchwanderte, um hier und da verstreute Jugenderinnerungen zu sammeln, entsprach heute zum ersten Male der Inschrift: