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Wir kennen nur zwei Romane des achtzehnten Jahrhunderts: »Gil Blas« und »Manon Lescaut«. Beide sind zu Meisterwerken gestempelt worden, obwohl «Manon Lescaut« dem anderen Werke überlegen ist, und zwar, weil es uns aufklärt über Sitten, Gebräuche, Moral und Liebe dieser anmutigen und ausschweifenden Zeit. Es ist der naturalistische Roman der Zeit. »Gil Blas« dagegen ist trotz großen Wertes gar nicht dokumentarisch. Man spürt überall die Konventionen des Schriftstellers; die Fabel spielt übrigens über den Bergen – von der damaligen Menschheit bekommt man nicht viel zu sehen. Selbst die wunderbaren Geschichten Voltaires lassen uns darüber im Dunkeln.
Die wenig literarischen Unarten von Crebillon fils und anderen können uns ebenfalls nicht beunruhigen, und hauptsächlich dank der Überlieferung der Memoiren und der Geschichte konnten wir uns ein Bild von dieser auserlesenen und verdorbenen, dieser raffinierten, ausschweifenden, bis in die Fingerspitzen künstlerischen Gesellschaft machen, von dieser vor allem anmutigen und geistreichen Gesellschaft, für die das Vergnügen das einzige Gesetz und die Liebe die einzige Religion war.
Nun aber bekommen wir von einem kleinen, wenig bekannten Roman der damaligen Zeit unschätzbar köstliche Berichte. Er heißt Themidor und hat den Untertitel: Meine Geschichte und die meiner Geliebten.
O, er ist recht unartig, unmoralisch, gepfeffert – für unsere Sittenprediger, die voller Gedanken und Schamhaftigkeitsrezepte selbst gegen den Rundtanz wüten! – aber hübsch, überaus hübsch. Ein wahrhafter Spiegel der geistigen, eleganten, wohlgeborenen und wohlerzogenen Ausschweifung vom Ausgang dieses galanten Jahrhunderts!
Ein Meisterwerk! Und deren gibt es wenige. Alles ist verführerisch in dieser wundervollen entblößten Anmut; ein wundersam reicher Geist durchströmt es. Es stammt aus jenem guten französischen Geist, der so hell strahlt, aus diesem Geist, der natürlich, tanzend, schwirrend, frech, angenehm, skeptisch und tapfer ist; und er sprüht hervor, erlesen und einfach in einer erquickend koketten und geschmeidigen Geste feiner Bosheit. Das ist gute Prosa unseres alten Landes, überaus durchsichtige Prosa, die man trinkt wie unsern Wein, die funkelt wie er, und in den Kopf steigt und fröhlich macht. Es ist Glück, das zu lesen, ein höchst schmackhaftes Glück, eine geradezu sinnliche Lust für den Verstand.
Der Verfasser, der seinen Namen verheimlichte, war ein Generalpächter, Godard d'Aucourt. Wahrhaftig, man hätte gern mit ihm an der Tafel gesessen.
Und der Stoff? Fast ein Nichts: Die Geschichte eines jungen Elegants, dem sein Vater die Geliebte, Rosette, einsperren läßt, und dem es gelingt, sie zu befreien. Und er hatte recht, der glückliche Schelm!
Dieses Buch vermittelt auf eine seltsame Weise die Eindrücke jener schon so entlegenen Zeit, ihrer Menschen und Gewohnheiten: eine vollkommene Wiederauferstehung.
Guy de Maupassant