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Ein junger Mann, Sohn eines reichen Pächters, war verliebt in die Tochter eines benachbarten Edelmannes, er betete sie an, und sie sah ihren Verehrer mit Lust. Der Vater hätte nicht gelitten, daß seine Tochter einen Bürgerlichen liebte, und man zog ihn auch nicht ins Vertrauen. Das Fräulein glaubte alle Herzen von Stande, wenn sie nur gut dachten oder liebten; sie hegte den innigsten Wunsch, sich mit ihrem Freund zu vereinigen, dessen sie ohne Zweifel sicher war. Er hatte keinen Adelstitel, und sein Besitz waren nur ein paar sehr fruchtbare Grundstücke, und, vielleicht, ein Kapital von 50000 Pfund; aber an der Tür ihres Vaters stand geschrieben: Du sollst dich zur Ehe nur gelüsten lassen nach einem Edelmann. Das Temperament hatte sie fortgerissen, und sie hatte seit zwei Jahren Mittel gefunden, den dritten Stand mit dem Adel zusammenzubringen. Ohne auf die Einzelheiten dieses Abenteuers einzugehen: es erwuchs daraus der Republik ein Untertan. Die Angelegenheit war bei unserer Ankunft erst kurz bekannt geworden. Der Vater, der den Zeitvertreib seiner Tochter nicht verbergen konnte, verbreitete lieber das Gerücht, ein Versailler Ordensritter, der auf Besuch bei ihm durchkam, habe die Sache angerichtet, als sie mit dem zu verheiraten, der sich ohne seinen Befehl in seine Familie geschmuggelt. Solchergestalt war Romulus der Sohn des Gottes Mars; und ebenso haben noch viele andere, die aus bester Familie entsprossen, zu Vätern nur einen Hieronymus Blutot gehabt; das war der Name des jungen Mannes.
Seit ihrer Niederkunft konnte Fräulein von Bercailles den nicht mehr leiden, dem sie die Mutterschaft verdankte; ich erfuhr, sie benehme sich jetzt als sehr sittsames Mädchen und würde sich nur ändern, wenn sie was Besseres fände.
Der arme Bursche, der nicht so intelligent war, geriet in Verzweiflung; er sprach darum mit einem ihm befreundeten Pächter. Der machte ihn mit einem Schäfer bekannt, der nach der Bezeugung des ganzen pikardischen Volkes ein Hexenmeister war und ein Zauberbuch hatte, wie ein Pfarrer. Es ist eine bestimmte und unfehlbare Beobachtung: je weniger Völker zaubern können, um so mehr Hexenmeister gibt es unter ihnen. Blutot suchte ihn auf. Der Schalk gab ihm, nachdem er sich hatte bitten, anflehen, beschwören und bezahlen lassen, in einer Phiole eine Flüssigkeit und befahl ihm, es derjenigen ins Getränk zu schütten, deren Herz er wieder gewinnen wollte. Unser Pächter ergriff das Gefäß und erwartete mit Ungeduld den Augenblick, um sich dessen zu bedienen; endlich bot er sich.
Ein Kirchweihfest war gekommen, und der Pfarrer lud dazu unser ganzes Haus ein, und uns zu Ehren bat er noch einige Edelleute dazu und verschiedene Pfarrer, und Herr Blutot war ebenfalls bei der Gesellschaft, sowie seine frühere Geliebte. Das Mahl war reichlich gerüstet, und wir saßen etwa 25 Personen am Tische. Der Pastor konnte sich vor Freude gar nicht fassen. Da außer Fräulein von Bercailles keine hübsche Frau noch hübsches Mädchen dabei war, die andern waren alle passés, setzte ich sie zwischen mich und den Pfarrer, fest entschlossen, davon zu profitieren, da ich ja auch wohl wußte, daß das leichtfertige Mädchen kein Neuling mehr war.
Ihr Liebhaber hätte ums Leben gern an meinem Platz sein mögen, wenn jedoch der Degen der Robe den Vortritt läßt, ist es einem Bauern gar nicht erlaubt, gegen sie eifersüchtig zu sein. Blutot, der seinen Liebestrank mitgebracht hatte, suchte ihn in die Kanne zu gießen, aus der man meiner liebenswürdigen Nachbarin einschenken mußte. Er traf die Wahl übel, und wie der Mensch häufig wegen nichts den Kopf verliert, er überstürzte sich so sehr, daß er seine ganze Flasche in einen großen Krug mit sechs bis acht Pinten leerte, der zum Dessert gereicht werden sollte. Das Mahl wurde ziemlich lärmend; die hohe Geistlichkeit trank viel und aß desgleichen, deklamierte gegen die Häretiker und sang das Lob des Bieres. Ich ließ es mir angelegen sein, meiner Nachbarin vorzuerzählen, und ich hatte keine Mühe, sie meine Gründe fühlen zu lassen. Sie hatte Erfahrung; ein Mädchen in dieser Lage, mit etwas Temperament, überholt einen auf dem Weg zum Vergnügen. Wir waren auf dem Punkt, daß wir uns ohne die Gesellschaft, die allmählich alle Fesseln abzuwerfen begannen in irgendeiner Gartenallee zusammengefunden hätten. Der Plan ward aber bloß aufgeschoben. Bei dem Nachtisch verdoppelte sich der Jubel. Es gibt nichts Ergötzlicheres zu sehen, einmal im Leben, als eine solche Versammlung. Es taucht einem daraus das goldene Zeitalter auf, die schöne Zeit, in der die Menschen ohne Verfeinerung und ohne Geschmack sich an Sinnenlust berauschten, ohne sie zu fühlen. Man servierte der ganzen Gesellschaft ein sehr großes Glas Likör aus dem fraglichen Krug, es war eine Art Branntweinsaft zur Flüssigmachung des Bieres. Weder mein Vater noch meine Nachbarin noch ich tranken davon, wir hatten stets von dem Burgunder getrunken, den unsere Diener mitgebracht hatten. Wir hatten sehr wohl daran getan. Der Herr Prediger bereute es, die Dosis so reichlich gemacht zu haben. Wir brachen auf und gingen geradeswegs in die Kirche. Meine gute Freundin saß neben mir; es war nicht genau die Situation, in der ich sie wünschte, aber für den Ort mochte sie noch genügen.
Der Prediger begann aufs beste; sein Text war glücklich, und da er das Lob einer Jungfrau sang, mußte seine Predigt eine Ermahnung zur Keuschheit werden; er kam jedoch gar nicht zu Ende.
Es muß bemerkt werden, daß die in dem erwähnten Gefäß gewesene Flüssigkeit Zeit gehabt hatte, zu gären und den vermeintlichen Branntwein vollkommen zu durchdringen. Es war eine Mischung von außergewöhnlicher Kraft, die zwei Wirkungen hatte, die eine, das Blut in Wallung zu bringen und eine heftige Liebe zu entzünden, die andere, dem stärksten Abführmittel gleichzukommen; das Ganze schneller oder langsamer, wie der Körper eben gebaut war.
Schon kam der Redner Christi in Hitze, er schlug sich in die Seiten und schläferte uns ein, als der Branntwein in ihm zu wirken anfing. Er widerstand ihm einige Zeit. Die weitere Wirkung der gleichen Flüssigkeit gärte und belebte sich allmählich bei den meisten Pfarrern und Teilnehmern des Mahles. Nichts hat mir solches Vergnügen bereitet, wie die heiligen Männer der Kirche sich auf ihren Stühlen winden zu sehen, und ihre Augen auf eine Weise zu rollen, die der schönen Tugend der Enthaltsamkeit, mit welcher der Redner bereits den Panegyrikus würzte, völlig hohn sprach. Die Landleute lachten im Innern über den Anblick, und ihre natürliche Bosheit empfand gerade keinen Respekt gegen ihre Führer; in der Folge wurde er noch viel geringer.
Der Chrysostomus des Dorfes hatte eine heftige Bewegung gemacht, er stieß einen jener pathetischen Schreie aus, die die Tempel bis ans Gewölbe hinauf erschüttern, da verließ ihn das Glück, die Bösartigkeit des grausamen Branntweins bei sich zu behalten, und er ließ ihn mit Ungestüm hinausplatzen. Dieses Malheur machte ihn verwirrt; er verliert die Stimme, man läuft hinzu, man eilt ihm zu Hilfe, ein kalter Schweiß bricht ihm aus, man glaubt ihn tot; aber augenblicklich bemerken die Leute, die helfen wollen, ihn wieder zu beleben, daß er sehr lebendig ist, und sei es, vom Geist der Freude ergriffen, oder aus einem anderen Grund, sie befehlen, daß aufs schleunigste dem Himmel Weihrauch geopfert werde, und daß man die Kirche räuchere.
Alle Welt lachte über den Vorgang, und jene, die am heitersten darüber schienen, gaben ihrerseits den andern Gelegenheit zum Gelächter. Unterdessen begann nun die Messe, und mein Vater konnte sich nicht enthalten, mich zu fragen, ob ich mich der Geschichte des Constantinos Copronymos Constantin, mit dem Beinamen Copronymos, weil er, als man ihn taufte, das Wasser beschmutzte, in das er, dem Brauch gemäß, getaucht wurde. erinnere.
Kaum hatte man den ersten Psalm zum Drittel gesungen, als die beiden vom innern Gefühl ihres Bedürfnisses bedrängten Kantoren schleunigst ihre Chorröcke wegwerfen und auch schon auf dem Kirchhofe draußen sind. Diese ihre Flucht setzt in Verwunderung, man sieht sich an; zwei Pfarrer nehmen die leeren Plätze ein; sie haben sich noch keine zehnmal im Chor herumgedreht, als die ansteckenden Gewänder, dem Nessushemd gleich, sie entflammen; sie werfen sie ab, fliehen aus der Kirche und werden von zehn ihrer Amtsbrüder gefolgt, die sich in derselben Qual winden; die ganze übrige Versammlung konnte sich nicht enthalten zu lachen und laut auszubrechen. Bloß der Geistliche des Kirchspiels blieb unbeweglich; vergeblich übte der Branntwein seine ganze Wirkung auf ihn aus; umsonst war er mit den kostbaren Resten dieser Flüssigkeit überschwemmt, er blieb fest auf seinem Platz; er ahmte jene alten Senatoren nach, die mitten in der Plünderung Roms durch die Gallier ruhig auf ihren kurulischen Stühlen blieben und hier den Tod empfingen.
Die alten Völker erkannten die Götter an dem guten Geruch, der unter ihren Füßen aufstieg; ich bürge dafür, daß nicht einer unserer Tischgenossen Altäre bei den Heiden hatte.
Die Wirkung des Branntweins oder vielmehr des Liebestrankes hatte ihre Macht nicht darauf beschränkt, die verschiedenartigen Stoffe, mit denen er sich vermengt hatte, flüssig zu machen, sie hatte auch die Begierden der einzelnen, in die sie eingedrungen war, entzündet. Wir sahen verschiedene, die in ihren verliebten Entzückungen unterschiedslos alle Frauen oder Mädchen umarmten, die ihnen vor die Augen kamen; zweifellos wollten sie mehr und ließen es merken; aber der Wettbewerb war zu groß; die Scham hielt sie in Bann. Die Natur ist ein Dummkopf, daß sie sich immer versteckt, um ihr angenehmstes Werk zu verrichten, gerade wenn man am wenigsten Mäßigung hat, will man sie am meisten haben. Wir wurden Zeugen, wie ein über zweiundsechzig Jahre alter Kaplan, der zweifellos von dem Likör eine doppelte Dosis genommen hatte, oder der eine gewisse Gewohnheit hatte, sich anschickte, eine ziemlich häßliche und bejahrte Schäferin zu verfolgen, quer über eine Wiese und in einem höchst unanständigen Aufzug. Man rief ihm nach, die Nymphe floh, der neue Apollo war schon nahe daran, seine Daphnis zu entführen, als sie sich in einen schlammigen Sumpf stürzte, in den bei der Verfolgung auch der geistliche Gott hineinfiel, und aus dem man dann ihn und die Nymphe tüchtig mit Schlamm bedeckt herauszog. Welches komische Schauspiel, lieber Marquis! Man hätte einen Callot hergewünscht! Er hätte daraus eins seiner hübschesten Phantasiestücke gemacht. Es war jedoch die Liebe, die diese ganze Unordnung verursachte. Brachte sie auf der einen Seite auch die kirchliche Messe in Verwirrung, so störte sie auf der andern keineswegs meine kleinen besonderen Kniffe. So verliert niemals einer, was ein anderer nicht gewinnt.
Ich hatte mich mit Absicht entfernt, um mich nicht zu verlieren. Fräulein von Bercailles gesellte sich zu mir. Es war in der Allee eines ganz dicht bewachsenen Wäldchens. Hier, könnte ich Ihnen sagen, schlang sich der verliebte Efeu um die Ulme; hier umkleidete eine junge Rebe Wände von Linden und Sykomoren: hier hörte man das Gemurmel eines silbernen Bächleins und das Gezwitscher der Vöglein, die ihre zärtlichen Schmerzen ausseufzten. Ich könnte dieses Bild überladen und Ihnen alle jene abgenützten Beschreibungen wiederholen, die unter den Dichtern von einer Hand zur andern gehen; da ich jedoch zu meiner Expedition keine Zeit verloren hatte, soll ich sie Ihnen stehlen, indem ich die ganzen Nebenumstände herauskrame? Wir kommen an; das Gras stand hoch, wir legen uns hinein; die Schöne war voll Wärme, ich voll Glut; Venus gibt das Zeichen, die Scham entfleucht, die Liebe bedeckt uns mit ihren Flügeln. Die Zeit drängte, wir ließen sie nicht warten. Die Wolke bildet sich, der Himmel wird dunkel, der Donner grollt, er fällt und alles ist vollendet.
Wir erreichten wieder das Haus des Pfarrers, und unterwegs wiederholte mir meine schöne Nymphe, sie sei entzückt darüber, daß ich Edelmann sei. Meiner Treu, Marquis, ohne Eitelkeit, mit ihr hatte ich es dem kräftigsten Bauer gleichgetan. Man wollte gar nicht wissen, woher wir kamen, ein jeder war mit dem Packen für die Abreise beschäftigt. Ich sah das Zimmer offen und trete hinein; Fräulein von Bercailles folgt mir; das Bett war sehr wohl gerichtet, sehr weich, und schien zu etwas einzuladen. Zweifellos hatte es eine besondere Kraft, oder es hatte vielleicht Branntwein gekostet; aber bei seinem Anblick wurde ich wie einer der Pfarrer; meine Nachbarin bemerkte es. Die Fenster werden geschlossen, die Vorhänge heruntergezogen, die Tür verriegelt, und ich beginne vorzunehmen, wozu in solchem Fall solche Vorsichtsmaßregeln einen veranlassen. Ort und Lage machen viel aus; ich kostete tausend Freuden, ich verlangte immer nur mehr, man bot sie mir mannigfaltig. Ich berauschte mich daran und tauchte unter in diese süße Wollust, die ich aufleuchten sah in den Augen ihrer Schöpferin. Welche Bereicherung an Befriedigung ist es doch, eine verbotene Frucht zu kosten, und das an einem Ort, wo eine gar verbotene Sache eine besondere Würze bekommt! Wie überschüttete ich das junge Fräulein mit Lob! Wieviel Genuß gab sie mir! Wir stiegen wieder hinunter, nachdem wir das Abenteuer der Geistlichkeit weidlich belacht und uns gelobt hatten, es sollte nicht das letzte Mal sein, daß wir uns von interessanten Dingen unterhielten. Die Geschichte dieser Pfarrei machte viel Aufsehen im Bezirk; man ergötzte sich gebührend daran, und seitdem fragt man die bei solchen Festen anwesenden Geistlichen, ob sie keinen Branntwein tränken.
Von den acht bis zehn Tagen, die ich noch auf dem Lande blieb, verging keiner, ohne daß ich mit meinem Vater über diese Farce spaßte, und ohne daß ich Fräulein von Bercailles besuchte. Der gute Edelmann kam prompt zu uns, um dem Burgunder seine Aufwartung zu machen, und brachte seine Erbin dazu mit, der ich noch etwas anderes machte. Endlich fuhren wir ab, nachdem ich immer wieder meiner jungen Geliebten die Unlust bezeugt, mit der ich sie verließ, und nachdem ich ihr verschiedene Geschenke gemacht, ließ ich sie vielleicht zurück mit der Urzelle eines kleinen Rats, der seinerzeit von dem Herrn Edelmann als das galante Präsent irgendeines Prinzen von Geblüt oder eines Monarchen betrachtet werden mag.
Nun bin ich wieder in Paris. Laßt uns auf Rosette zurückkommen und auf ihr Studium der Bücher, die ich ihr geschickt hatte, und der Rolle, die sie spielen sollte. Alsbald nach meiner Ankunft ließ ich Laverdure holen, um von dem, was er in meiner Abwesenheit gemacht hatte, unterrichtet zu werden.
Rosette, der nichts so sehr am Herzen lag, als wegzukommen von dem Ort, an dem man sie gefangen hielt, und die sich einbildete, das Studium der Bücher, die ich ihr geschickt hatte, müßte unendlich dazu beitragen, hatte sich demselben ganz hingegeben. Der Nutzen, den sie davon hatte, war von einer ganz besonderen Art. Eines Tages, als sie in ihre Betrachtung ganz versunken war, kam eine Nonne herein. Diese Mädchen sind noch tausendmal neugieriger als die Damen der großen Welt, je weniger sie von etwas wissen sollen, um so ungeduldiger sind sie, etwas davon zu erfahren. Ist's zum verwundern, daß es den Nonnen schwierig wird, glücklich zu leben? Sie wollte wissen, was das Buch sei, das den Gegenstand so tiefer Betrachtungen bilde, die Rosette so sorgfältig anstelle. Rosette machte Ausflüchte, die Schwester wünschte es nur noch heftiger. Sie verlangte es voll Eifer, es wurde ihr mit Scherzen verweigert. Ihre Neugierde geriet darüber in Zorn, und wurde so weit gebracht, daß sie in ihrer Versessenheit tat, was sie konnte, um das Buch an sich zu reißen. Es wurde ihr darauf sehr bestimmt verweigert, und sie hatte sogar die Verzweiflung zu kosten, sich verachtet zu sehen. Ach, die heilige Rache wird schon ihre Pflicht tun! Die Schwester Monika, wie sie hieß, alarmierte das Kloster, sie erzählte allen, denen sie begegnete, sie habe etwas gesehen, was sie zittern lasse. (Sie hatte sicherlich gar nichts gesehen.) Das in der roten Kammer eingesperrte Mädchen sei von ihr dabei überrascht worden, wie sie ein schreckliches, abscheuliches Buch las, mit einem schwarzen Einband, auf dem gelbe Flammen züngelten; dieses Buch sei eine Magie, die das Ende der Welt enthalte, die den Teufel kommen mache, es sei der Albertus Magnus, und vielleicht sogar ein Ritual oder Zauberbuch. Die Oberin zittert bei dieser Erzählung; das ganze Kloster ist entsetzt, man läutet die Glocke, man versammelt die Gemeinde, man redet, man diskutiert, man stellt Erwägungen an, man stimmt ab, man entscheidet. Über was? Über ein reines Nichts, weil schon gar nichts vorlag. Man läßt einen Großvikar benachrichtigen, trägt ihm den Fall vor, er lächelt darüber, geht zu Rosette hinauf, verlangt ihre Bücher, sie bringt sie; und man findet in ihrer Hand ein jansenistisches Werk. Man fragt sie, ob sie zur Partei der Appellanten gehört; sie antwortet, ja, fest und sie werde immer dazu gehören. Das arme Mädchen glaubte, wer sie so verhöre, gehöre zur Partei, und es sei Zeit, die Rolle zu spielen. Der Großvikar, ein geistvoller Mann, sagte ihr, er sei entzückt von ihren Gefühlen, und die Partei der Appellanten würde trefflich unterstützt von gleich ihr in der Welt hochachtbaren Personen, und mit ironischem Ton fragte er sie, ob sich unter ihren Gefährtinnen eine große Anzahl mit der guten Sache verbunden hätten. Rosette sah seine Verachtung und gab eine Antwort, die dem Geistlichen nicht mißfiel. Er befahl, man solle acht auf sie haben und ihr nur gute Bücher geben. Die jansenistischen Bände nahm er zu sich und trug sie mit fort.
Unterdessen hatten die Nonnen noch nicht erfahren, was es mit diesem Zauberbuch, dem Gegenstand ihres Aufruhrs, auf sich habe. Sie taten was sie konnten, um es aus Rosette herauszubringen. Diese weigerte sich durchaus, sie zu befriedigen, um sie in Verzweiflung zu setzen. Sie gerieten in eine außerordentliche Wut und hätten ihr von diesem Tag ab jede Erleichterung verweigert, wenn der Großvikar ihnen beim Weggehen nicht empfohlen hätte, ihre Pensionärin nicht zu beunruhigen. Zunächst weigerte man Laverdure den Zutritt ins Kloster mehrere Tage lang; erst, als er von der Ursache Kenntnis bekam, verlangte er die Schwester Monika zu sprechen und sagte ihr, er sei es, der die Bücher gebracht, die Rosette lese, die Bücher seien die Reisen von Paul Lukas; es sei Eigensinn von ihr, daß sie sie nicht habe zeigen wollen; daß es keine schlimmen Werke seien, beweise ja, daß der Herr Großvikar nichts sehr Tadelnswertes darin gefunden. Als so die Neugierde der Schwester durch die Geschicklichkeit Laverdures befriedigt war, erlaubte man ihm, mit Rosette zu sprechen, die schon anfing, unruhig zu werden; soweit war es aber noch nicht.
Seit mehreren Tagen hatte sich Laverdure von seinem Herrn entfernt, der es gemerkt hatte. Der Präsident hatte den Grund wissen wollen, was für eine Intrige sein Diener spänne, er hatte ihm von der Wahrheit nichts entlocken können. Endlich fiel es ihm ein, jemanden nachfolgen zu lassen, und nach sehr vieler Mühe konnte ihm mitgeteilt werden, daß er sich als Frau verkleidete, und daß er sich von Zeit zu Zeit in die Gemeinschaft von Sainte Pelagie begebe. Herr von Mondorville nimmt eine freundliche Miene gegen Laverdure an und beschließt, ihm eine nette Furcht einzujagen. In diesem Sinne sagt er ihm eines Morgens, nachdem er ihm ein paar Aufträge gegeben, er könne den ganzen Tag nach Belieben verbringen, er solle sich nur am Abend bei der Marquise von Saint Laurent einfinden und ihn erwarten. Der Diener nützte die ihm gewährte Freiheit und machte sich zur gewohnten Stunde auf, Rosette zu besuchen. Der Präsident, der einen vertrauten Spion hatte, wurde benachrichtigt, sein Schalk sei wieder, mit seiner Frauenkleidung angetan, auf dem Wege nach Saint Pelagie. Er schrieb alsbald der Oberin, ein als Frau verkleideter Mann habe sich in ihre Gemeinschaft geschlichen, und der Wolf könne im Stall des Herrn eine große Verheerung anrichten; schon mehrere Wochen lang beginge der Mann dies große Verbrechen. Die Priorin empfängt diese Mitteilung und zittert schon beim Lesen. Sie läßt den Kommissar benachrichtigen; dieser begibt sich, begleitet von Gardisten, eiligst ins Kloster, und man ergreift sechs Personen, die sich gerade im Sprechzimmer befanden. Unglücklicherweise befand sich darunter eine, die nach ihrem wenig weiblichen Aussehen den Verdacht erregte, sie habe ihr Geschlecht verbergen wollen. Man nimmt sie, man ergreift sie trotz ihres Widerstandes und ihrer Beteuerungen, sie sei eine ehrbare Dame und habe nichts getan, was sie den Händen eines Kommissars ausliefern könne. Man schleppt sie an einen abgelegenen Ort; man mußte die Schreie hören, die diese neue Lukretia ausstieß, als ein Sergeant sich der Pflicht unterzog, die Wahrheit der gegen sie gerichteten Anklage zu prüfen. In einem solchen Falle verteidigt sich niemand besser, wie der, dem es unmöglich wäre, nichts zu nehmen. Endlich versicherte der Untersuchende der ganzen Versammlung mit Geschrei, Madame Bourut, wie sie hieß, sei gar kein Mann, das habe ihre Physiognomie nur vorgetäuscht. Dieses Mal nahm der Kommissar keine umfassende Nachprüfung vor und dispensierte sich freiwillig davon, auf den Schauplatz hinunterzusteigen. Man durchsuchte das Haus; man fand nichts Verdächtiges, und das ganze Gericht zog sich wieder zurück, nachdem es der Oberin nahegelegt hatte, daß es bei dergleichen Vorkommnissen nicht nötig sei, sich allzusehr aufzuregen, und auf eine bloße Zuschrift hin solle man nicht soviel ehrbare Leute in Aufruhr setzen, und das wegen einer Geschichte, bei der man gar nicht auf seine Kosten käme. Die Gesellschaft verschwand; und der Präsident, dem man von dem in Saint Pelagie vorgefallenen Lärm berichtet hatte, erwartete, daß man sich bei ihm nach Laverdure erkundigte, als dieser mit seiner ruhigen und entschlossenen Miene eintrat und von der Erledigung seiner Aufträge Bericht gab. Herr von Mondorville sagte ihm von nichts und war nicht wenig neugierig zu erfahren, wie er sich aus diesem schlimmen Handel gezogen habe. Zweifellos haben Sie dieselbe Neugierde, lieber Marquis? Er hatte keine Mühe, sich aus dieser Klemme zu ziehen, weil er gar nicht darin gesteckt hatte. Hier die Geschichte. Ein kleines zufälliges Unglück rettet uns sehr häufig von großem Mißgeschick.
Laverdure, in seiner gewohnten Verkleidung, war auf dem Weg, Rosette seinen Besuch abzustatten. Sie wollen bemerken, lieber Marquis, daß der Schelm etwas verliebt in sie war, und daß er glaubte, durch die sorgfältige Erledigung meiner Angelegenheiten befördere er ein wenig die seinigen.
Zwei sehr mächtige Motive leiteten ihn, Eigennutz und Liebe. Es ist gar nicht zu verwundern, daß er der Ausführung meiner Befehle so leidenschaftlich oblag. Auf dem Wege begegneten ihm zwei junge Leute, die ihn anhielten; der Kopf war ihnen noch etwas heiß vom Champagner, dessen prickelnde Süße sie reichlich genossen hatten; nachdem sie ihn etwas betrachtet, bildeten sie sich ein, in ihm eine der entzückendsten Göttinnen gefunden zu haben, und sie wollten daher von der Gottheit in einen Tempel geleitet sein, wo sie ihr Opfer darbringen konnten, entsprechend ihren Verdiensten. Sie sehen, Marquis, die Binde, die Bacchus dem Sterblichen über die Augen legt, ist noch dichter als die der Liebe; die eine verhindert, daß man sehen kann; die andere aber läßt falsch sehen; und nichts ist verderblicher als ein falsches Erkennen. Laverdure setzte sich vergeblich zur Wehr, er bekam die schmeichelhaftesten Komplimente, sah sich mit den zärtlichsten Namen überschüttet. Er gestand mir, er habe, obgleich von einem Geschlecht, das gewöhnlich keine Abgeschmacktheiten hört und nur welche austeilt, die Versuchung empfunden, der man eine hübsche Frau aussetze, indem man ihr galante Schmeicheleien vorträgt. Da er sich nicht von ihnen befreien konnte und fürchtete, wenn er die achtbare Frau zu sehr markiere, würde man diese Ehre allzu nahe untersuchen, die wie jede andere, häufig bei naher Besichtigung verliert, lud er die Herren ein, sich bei ihm auszuruhen. Die unternehmenden jungen Leute hatten ihn auf eine Weise um diese Gunst gebeten, daß es das Beste war, sie ihnen zu gewähren. Sie bestiegen einen Fiaker, und der Kutscher hatte Befehl, sie an einen bestimmten Ort zu bringen. Wir wollen für einen Augenblick nicht daran denken, daß Laverdure Bedienter ist, und uns einbilden, die Sache passiere einem unserer Freunde. Sie wird uns um so mehr interessieren.
Eine nette Figur, die da unser Mann machte! Ich stelle mir lebhaft vor, wie diese jungen Leute ihn liebkosen, ihn umarmen, ihm galante Reden halten, während er die Küsse des einen abwehrt und die lüsternen Hände des andern wegschiebt, obgleich er sie höchst keusch hätte machen können, wenn er ihnen eine Minute lang alle Freiheit gelassen, unkeusch zu sein. Es war sehr amüsant, daß sich die einen im Besitz hübscher Sachen dünkten und sich ihrer bemächtigen wollten, und daß der andere diese hübschen Sachen höchst ernsthaft verteidigte, die er als ihr Besitzer gar nicht so heftig verteidigt hätte. Man tut um des Betruges willen, was man in der Wirklichkeit zu tun gar nicht den Mut haben würde.
Endlich kam die Gesellschaft am bezeichneten Ort an. Es war die Wohnung, in der Laverdure gewöhnlich seine Verkleidung anlegte. Wie in Paris üblich, wohnte da eine seiner Kusinen, die die Ankömmlinge trefflich aufnahm und ihnen in einem Augenblick die heftige Leidenschaft austrieb, die sie für den schönen Adonis ihrer Begegnung gefaßt hatten.
Man schlug Erfrischungen vor; die Herren hatten ein Bedürfnis danach, und sie trugen hinlänglich die Kosten. Da indessen die Versuchungen, die sie im Wagen begleitet hatten, gewachsen waren, wollten sie unter dem Schutz dieses Mahles über seinen Anlaß scherzen und danach den Gegenstand eingehend behandeln. Laverdure hatte sich fest vorgenommen, das Abenteuer weiterzutreiben, aber nur bis zu dem Punkt, daß seine Verwandte ja nicht gezwungen werden könnte, gegen die Schicklichkeit zu verstoßen. Da er indessen sah, daß sie bald in die Lage kommen würde, sich offen zu verteidigen, und da er wußte, daß es für eine Frau niemals vorteilhaft ausgeht, wenn der Angriff von langer Dauer ist, zog er sich in die benachbarte Kammer zurück, legte hier die Frauenkleider ab und erschien vor der Gesellschaft als Mann wieder und jagte so mit seiner plötzlichen Gegenwart den Gästen Schrecken ein. Mit einer Art Jagdmesser bewaffnet, das nie dazu gedient hatte, tritt er an die Herren heran und befiehlt ihnen mit heftigen Worten, sich davonzumachen, wofern sie sich nicht auf das Pflaster hingestreckt sehen wollten. Unser Mann ist tapfer, lieber Marquis, und wenn ich ihm Glauben schenken darf, machte er die zwei jungen Leute erzittern, die eiligst aus einem Haus entrannen, wo man ihnen eine so üble Belohnung zuteil werden ließ für die Kosten, die sie aufgewendet hatten, um darin wohl empfangen zu werden. Laverdure, der vielleicht lügt und den Tapfern erst nachträglich spielt, hat mir beteuert, er habe sie bis auf die Straße verfolgt; vielleicht geschah es mit Worten, dann wird die Tat ziemlich wahrscheinlich. Mit einem Wort, er entzog sich aus den Ränken dieser jungen Leute; seine Klugheit und der Zufall retteten ihn für diesen Tag vor dem Unheil, das sein Herr ihm ausgesonnen hatte.
Aufgebracht darüber, daß es ihm nicht geglückt war, ließ ihm der Präsident weiterhin nachspüren. Schon am andern Tag suchte Laverdure Rosette auf, der er sein Abenteuer erzählte und vor ihr zweifellos seine Kühnheit und seinen Mut vergrößerte. Nach dem Sieg hat der feigste Soldat das Recht, sich zu brüsten. Er blieb an diesem Abend weniger lange als gewöhnlich; zu seinem Glück entwischte er einer Durchsuchung, die die Hausleute auf eine – ihnen vom Präsidenten geschickte – zweite anonyme Anzeige anstellten. Während mehrerer Tage konnte er nicht entdeckt werden; hätte er geahnt, daß man ihm einen Streich spielen wollte, es wäre niemals gelungen. Die Rache wacht, und die Einfalt schläft im Glauben an ihre Unschuld. Endlich folgte der Präsident, außer sich über das Mißlingen, selbst seinem Diener, und nachdem er ihn das Kloster hatte betreten sehen, ließ er den Kommissar, die Oberin und eine Abteilung der Wache in Kenntnis setzen und holen und enthüllte, daß der Besuch Rosette gelten sollte. Man zweifelte nun an nichts mehr. Laverdure, der hatte entschlüpfen wollen, hörte einen Lärm und merkte, daß man ihn näher in Augenschein nehmen wollte, er argwöhnte, die einige Tage zuvor vorgenommene Untersuchung, von der er hatte reden hören, könnte ihn betreffen, er fürchtete es. Ohne jedoch den Kopf zu verlieren, dachte er sich, daß ihm der Streich von seinem Herrn gespielt werde; er kombinierte verschiedene Umstände und wurde davon überzeugt. Er dachte, sich zu retten und dann sich zu rächen. Im Augenblick hatte er die Frauenkleider abgeworfen und stand in einer kleinen weißen Jacke da. Zufällig hatte er eine gestickte Mütze in der Tasche, er setzte sie sich auf und begab sich mitten unter die Gardisten und Nonnen, wie ein aus Neugierde mit Hereingekommener oder wie ein Gärtner des Hauses. Er machte sich sogar an einen Sergeanten heran und sagte ihm im Vertrauen, der Eindringling sei ein Mann von Stand und gestand ihm unter Diskretion, daß es der Präsident von Mondorville sei, der in eine Nonne verliebt sei. Der Sergeant sagte es dem Kommissar, der auf diese Nachricht hin die Geschichte glatt abbrach, die Tore öffnen ließ und davonging, indem er den Nonnen empfahl, das Geheimnis dieser Sache zu wahren. Juristen lieben es durchaus nicht, miteinander Diskussionen zu haben. Ohne diese List wäre Laverdure im Kloster geblieben und hätte entdeckt werden können. Das angebliche Geheimnis verbreitete sich, und man war von der Wahrheit der Dinge um so mehr überzeugt, als man den Wagen des Präsidenten in einer benachbarten Straße wartend gesehen hatte, gerade während dieser Untersuchung. Laverdure ließ sich nichts merken vor seinem Herrn, der nicht wagte, ihm von diesem Abenteuer zu erzählen.
Die Nonnen, deren Neugierde von Rosette so grausam gequält worden war, nutzten die Gelegenheit, und da sie einen Grund hatten, sie zu strafen, griffen sie ihn begierig auf. Man hatte die fraglichen Kleider im Sprechzimmer gefunden; und man hatte die Verkleidung wiedererkannt, unter der seit langem jemand kam, Rosette den Hof zu machen. Das arme Mädchen wurde bei Wasser und Brot in eine dunkle Kammer eingesperrt und blieb darinnen, bis sie endlich mit Hilfe des Herrn Le Doux wieder herauskam, um zweifellos ihrer Tage nicht wieder dahin zurückzukehren.
Der Präsident konnte kaum an sich halten, als er in der Gesellschaft erfahren hatte, man versichere, er habe sich verkleidet, um ein Mädchen aus Sainte Pelagie zu entführen, und die Nonnen sagten es öffentlich. Er wütete zunächst und lachte nachher darüber. Dann wollte er alles von seinem Diener wissen; der erzählte es ihm getreulich. Der Schelm fand seinen Stolz geschmeichelt, daß er die über seinen Herrn gewonnenen Vorteile schildern konnte; er erhielt Verzeihung, der Präsident jedoch hatte viel Mühe, sich nicht mit mir zu entzweien, weil ich ihm mein Geheimnis nicht anvertraut hatte und ihn auf Abwege gebracht, die sich zu seinen Ungunsten gewendet hatten. Ach, lieber Marquis, wie war er gekränkt, daß er nichts hatte erreichen können! Er wurde sehr ernsthaft, wenn man ihm von seiner sogenannten Klosterexpedition redete, und ich ergötzte mich auf seine Kosten. So werden die, die andern einen Streich spielen wollen, oft selbst zum besten gehalten. Man wage ja nicht, jemandem Gutes zu tun, es ist sehr zu befürchten, daß man ihm Fallen damit stellt.
Der schreckliche Zustand, in dem ich Rosette wußte, setzte mich in Verzweiflung. Ich nahm meine Zuflucht zu Herrn Le Doux. Ich nahm ihn beiseite, und nachdem ich ihm verschiedene Abteilungen meiner mit Konfitüren gefüllten Fächer überlassen hatte, legte ich ihm meine Kümmernisse dar. Der pathetische Ton, den ich anwendete, rührte ihn. Die Frommen haben eine zärtliche Seele, und wenn man einmal den Weg zu ihrem Herzen gefunden hat, veranlaßt man sie zur Ausführung der schwierigsten Dinge. Ich erklärte ihm zunächst, als Freund meines Vaters und unserer Familie müsse er ihn von diesen Angelegenheiten in Kenntnis setzen, um dadurch einen Skandal zu verhindern, den ich entschlossen wagen wollte. Da ich sah, daß meine Worte seinem Geist keinen genügend lebhaften Eindruck machten, erzählte ich ihm, wie Rosette gegenwärtig unter den schauerlichsten Umständen lebe. Ich verhehlte ihm gar nicht, daß ich daran schuld sei; doch nützte ich den Umstand, daß bei ihr die Bücher beschlagnahmt worden, und das Geständnis, das sie über ihre Zugehörigkeit zur Partei der Appellanten abgelegt hatte. Ich gab Herrn Le Doux zu verstehen, daß man mit Entzücken die Begegnung mit Laverdure entdeckt hätte, um sie für das erste Abenteuer zu bestrafen, und das Mädchen litte daher um der guten Sache willen. Um meinen Betbruder endgültig zu bestimmen, bat ich ihn, sich nach der Wahrheit meiner Behauptungen zu erkundigen, und gab ihm alle dazu notwendigen Aufschlüsse. Er versicherte mir, sein Schutz werde die Frucht der Wahrheit sein, die ich ihm dargelegt hätte. Er versprach, mir unfehlbar binnen drei Tagen Antwort zu geben. Ich umarmte ihn; ich bereitete ihm Freude, und dankend sagte er, er würde sehr glücklich sein, eine so schöne Seele dem Herrn gewinnen zu können, und er werde nicht daran verzweifeln.
Wenn es sich um Hilfe für ihre Brüder handelt, sind alle Parteimenschen sehr eifrig. Herr Le Doux verließ mich, um Erkundigungen über die Wahrheit meiner Mitteilungen einzuziehen, obwohl er nicht an einem Tag von allem unterrichtet werden konnte, gab er seinen Entschluß doch nicht auf. Während diese Nachforschungen zugunsten Rosettens eingeleitet und eifrig betrieben wurden, amüsierte ich mich bei einer Dame, die in der Gesellschaft durch ihre heftige Leidenschaft hinreichend bekannt war, und die mit ihren neunundzwanzig Jahren bereits die höchste Frömmigkeit an den Tag gelegt hatte.
Eine Frau von fünfzig Jahren, die den Ehrgeiz hat, sich bemerkbar zu machen, mag meinetwegen Farbe und Schminkpflästerchen lassen, sich der Leitung eines berühmten Mannes unterstellen und sich endlich den Anschein geben, als wolle sie auf die Welt verzichten. Einer Witwe jedoch, die noch nicht im dreißigsten Jahr steht, die Geist, Vermögen, Anmut, Schönheit besitzt, die das allgemeine Entzücken sein kann, verzeihe ich nicht, wenn sie sich in eine Gesellschaft von Bigotten oder Seelsorgern vergräbt. Was geschieht da? Eine solche Frau sagt der Gesellschaft, daß sie sie verläßt, damit die Gesellschaft sie veranlaßt, zu bleiben. Nun gut, diese Gesellschaft nimmt sie beim Wort, und sie sieht sich gezwungen, im Trotz zu spielen, was sie im Grund des Herzens nur verzweifelt nach außen hin kundgibt. Lieber Marquis, eine derartige Tugend ist außerdem sehr geneigt, sich zu verleugnen; ein Windhauch bringt sie in Verwirrung; und daran gewöhnt, nur Haltung zu wahren, angesichts der bewundernden Umgebung, schwankt sie, sobald sie mit sich allein ist. Ich, ich bürge dafür, daß sie gefallen ist, wenn sie jemals dem Vergnügen gegenübersteht.