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Nach der Wahl des Ausdrucks unterschieden die Alten einen höheren, einen mittleren und einen niederen Stil. Uns bietet diese Einteilung wenig. Wir haben uns davor zu hüten, auf die Wahl schöner Worte zu großes Gewicht zu legen. Unsere Zeit der Technik und der Forschung kennt nicht mehr den Kultus schöner Formen, mit dem die Beredsamkeit im Altertum verknüpft war. Wie weit er ging, zeigt das Beispiel der Hetäre Phryne, die zur Zeit des Demosthenes wegen Gotteslästerung angeklagt war. Der Verteidiger enthüllte vor den Richtern ihren fein gebauten Körper. Sie war schön; folglich hatte sie recht!
Wir sind von einer solchen Überschätzung des Äußeren in der Rhetorik so weit entfernt, daß, wenn man von einer Rede urteilt, sie sei »schön« gewesen, dieses Lob als sehr begrenzt empfunden wird. Oft verbirgt sich dahinter der Tadel: sie sei sachlich nicht befriedigend gewesen. Wir suchen in erster Reihe auch in der Rede Zweckmäßigkeit und finden schön, was klar ohne Aufwand überflüssiger Mittel seine Aufgabe erfüllt. Das Hinausdonnern leerer Behauptungen ohne Stützen und Gründe führt leicht zu dem sprichwörtlich gewordenen »Brustton der Überzeugung«, der in der Regel das Gegenteil des Erhofften erzielt.
Einfache Dinge soll man einfach sagen. Nur große Gesichtspunkte – auch in der besten Rede nur ganz bestimmte Höhepunkte – vertragen erhabenen Ausdruck.
Die Hauptsache ist die Harmonie zwischen Ausdruck und Persönlichkeit. Das volkstümliche Sprichwort fordert in seiner derben Art: »Jeder soll reden, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.« Der Berliner Volkston verhöhnt die »frisierte Schnauze«. Alles Unnatürliche und Gekünstelte im Ausdruck stößt ab, weil es als Unwahrhaftigkeit empfunden wird.
In seiner Abhandlung über »Schriftstellerei und Stil«, sagt Schopenhauer:
»Der Stil ist die Physiognomie des Geistes. Sie ist untrüglicher als die des Leibes. Fremden Stil nachahmen heißt eine Maske tragen. Wäre diese auch noch so schön, so wird sie durch das Leblose bald insipid und unerträglich, so daß selbst das häßlichste lebendige Gesicht besser ist.«
Und Goethe mahnt: »Im ganzen ist der Stil eines Schriftstellers (und Redners) ein treuer Abdruck seines Innern: will jemand einen klaren Stil schreiben, so sei es ihm zuvor klar in seiner Seele; und will jemand einen großartigen Stil schreiben, so habe er einen großartigen Charakter.«
Die Sorge für die Wahrung seiner Eigenart darf natürlich niemand davon abhalten, möglichst viele gute Redner zu hören und sich das Geheimnis ihres Erfolges klar zu machen suchen, wobei man dann allerdings wiederum die alte Erfahrung nicht vergessen soll, daß einem an andern gewöhnlich das besonders gut gefällt, was man selbst entbehrt. Die eigene Begabung hält man in der Regel für selbstverständlich und schätzt sie gering, die anders gestaltete Eigenart des andern besonders hoch.
In mir haben von den vielen Vorträgen, die ich hörte, den größten Eindruck hervorgerufen einige Reden von Rudolph Sohm, dem berühmten Mitschöpfer des Bürgerlichen Gesetzbuchs. In ihnen baute er kurze, wuchtige Sätze wie scharf behauene Felsstücke neben- und aufeinander. Aber auch ihre Wirkung beruhte zuletzt doch auf dem Gefühl: Dieser Stil gehört zu diesem Manne. Dieselbe Art zu sprechen würde bei einem Manne anderer Art wahrscheinlich abstoßend wirken.
Von einer ganz anderen aber ebenso eindringlichen Beredsamkeit war die Art Adolph Wagners, dessen Redegewalt ja Tausende empfunden haben. An ihr kann man namentlich auch lernen, wie irreführend die landläufige Redensart ist, die von einem guten Redner sagt, er »spricht wie gedruckt«. Der Eindruck des gesprochenen Worts, von einer ganzen Persönlichkeit getragen, war gerade bei Adolph Wagner so groß, daß dieselben Worte auf kaltem Papier auch nicht annähernd die gleiche Wirkung auslösen konnten.
Bei der Wahl des Ausdrucks heißt die höchste Kunst: Individualisieren!
Auch hier ist die Pädagogik die beste Führerin. wie eine Lektion, die vor 14jährigen Schülern vorzüglich ist, vor 6jährigen unverständliches Geschwätz wäre; wie eine Lektion, die für Schulanfänger ganz ausgezeichnet ist, auf der obersten Schulstufe läppisch erscheinen müßte: so ist auch der Ausdruck eines Vortrags gut oder schlecht, je nach dem Zuhörerkreis, an den er sich wendet.
Vorträge vor einem Zuhörerkreis aus allen Schichten der Bevölkerung sollten keinerlei Sach- und Fachkenntnis voraussetzen. Die Unterrichteten weiden fast stets in der Minderheit sein. Sie kennen die Bedeutung der Sache. Sie wissen, wie wichtig ihre Vertretung ist und werden deshalb gern Bekanntes einmal in volkstümlicher Form wieder hören. Auch in der einfachsten Form muß stets ein gewisses Höhenmaß behauptet werden. Selbst der ungeschulte Mann in der Volksversammlung wünscht nicht, daß der Redner, zu dem er aufsieht, zu dessen Vortrag er gekommen ist, weil er eine Förderung von ihm erwartet, formlos und nachlässig zu ihm spreche. Er empfindet das mit Recht, wenn auch oft unwillkürlich, als Geringschätzung und Mißachtung.
Allerdings ist auch, namentlich in gewissen Kreisen der Halbbildung, die Meinung vertreten, ein klarer Vortrag in einfacher Form, den man völlig verstehen könne, entbehre »der richtigen Tiefe«. Bei manchen Leuten entsteht die Bewunderung erst vor der Unklarheit, und es gibt auch Redner und Schriftsteller genug in Deutschland, die diese geistige Unreife auszunützen bemüht sind. Ihnen gegenüber betont Schopenhauer, der selbst zu den klassischen Vertretern deutschen Schrifttums gehört, in schneidender Weise:
»Dunkelheit und Undeutlichkeit des Ausdrucks ist allemal und überall ein sehr schlimmes Zeichen. Denn in 99 Fällen unter 100 rührt sie her von der Undeutlichkeit des Gedankens, welche selbst wiederum fast immer aus einem ursprünglichen Mißverhältnis, Inkonsistenz und also Unrichtigkeit desselben entspringt, wenn in einem Kopfe ein richtiger Gedanke aufsteigt, strebt er schon nach der Deutlichkeit und wird sie bald erreichen: das deutlich Gedachte aber findet leicht seinen angemessenen Ausdruck, was ein Mensch zu denken vermag, läßt sich auch allemal in klaren, faßlichen und unzweideutigen Worten ausdrücken! Die, welche schwierige, dunkle, verflochtene und zweideutige Reden zusammensetzen, wissen ganz gewiß nicht recht, was sie sagen wollen, sondern haben nur ein dumpfes, nach einem Gedanken erst ringendes Bewußtsein davon, oft aber auch wollen sie sich selber und anderen verbergen, daß sie eigentlich nichts zu sagen haben.«
Und an anderer Stelle:
»Und doch ist nichts leichter, als so zu schreiben (und zu reden), daß kein Mensch es versteht; wie hingegen nichts schwerer, als bedeutende Gedanken so auszudrücken, daß jeder sie verstehen muß.« –
Und Hebbel mahnt: »Große Gedanken können nicht einfach genug ausgesprochen werden, kleine verlangen Putz! Den Vögeln gab die Natur bunte Federn; beim Löwen läßt sie's bei einfachen Haaren bewenden.«
Einfach sprechen heißt zunächst sich aller Übertreibungen enthalten. »Ein Vernünftiger mäßigt seine Rede«, mahnt die alte Weisheitssammlung der Sprüche Salomonis; und von Bismarck stammt das Wort, daß jeder Superlativ zum Widerspruch reize. Die Befolgung dieser Mahnung ist in der Rede schwerer als beim Schreiben; denn der Erfolg der Rede hängt am Augenblick. Gefühle und Willen, die nicht in dieser Stunde geweckt werden, bleiben überhaupt ungeweckt. Es ist deshalb wohl verständlich, ja auch geboten, beim gesprochenen Wort mit etwas stärkeren Mitteln zu arbeiten als beim geschriebenen, dessen Wirkung über den Tag hinausreichen kann. Aber gerade ein guter Redner wird mit starken Gefühlsäußerungen zurückhaltend sein. Je sparsamer er damit umgeht, um so sicherer ist er des Erfolges, wenn einmal an entscheidender Stelle seine Worte sich steigern.
Einfach sprechen heißt auch, auf geistreichelnde, gekünstelte Wortspielereien verzichten, schon Lessing sagt: »Was ist pöbelhafter als Wortspiele« – ein Urteil, das in dieser Allgemeinheit allerdings auch kein Recht hat, wie Lessing selbst durch das prägen manches schönen Wortspiels (»Kein Mensch muß müssen!«) am besten beweist. In seiner Kapuzinerpredigt bringt Schiller eine Fülle der eindrucksvollsten Wortspiele – aber eben in der »Kapuzinerpredigt«, die als solche von vornherein einen vollen Unterton derben Humors verträgt. Sollen Wortspiele auch auf nachdenkliche Hörer wirken, so müssen sie wie jedes feine Gewürz, sparsame Verwendung finden.
Dem Wortspiel verwandt ist der Witz; recht gebraucht, kann er lange Ausführungen ersetzen. Börne sagt »ohne Witz kann man nicht auf die Menschheit wirken«. Schiller dagegen warnt: »Krieg führt der Witz auf ewig mit dem Schönen.«
Der Redner, bei dem der Witz überwiegt, ist ja oft willkommen; aber seine Worte werden selbst bei denen, die über ihn lachen, bei ernsten Entscheidungen unwillkürlich einen Grad tiefer eingeschätzt. Der tüchtige Mensch will ernst genommen sein!
Einfach sprechen heißt, jedes entbehrliche Fremdwort meiden. Manche wenden es an, um in den Augen von Toren als gebildet zu scheinen, und sie erreichen nach einem schönen Wortspiel von Quintilian doch nur, daß sie den Gebildeten töricht erscheinen. Neben einer gewissen Sucht zu glänzen, läßt namentlich die Unklarheit der Anschauungen und Begriffe häufig zu Fremdwörtern greifen. Ich selbst habe in der Überzeugung, daß ich einfach und volkstümlich spreche und schreibe, dieser Frage lange nicht genügende Beachtung geschenkt, bis ich beim Lesen von Goethes »Dichtung und Wahrheit« empfand, wie sehr in diesem Meisterstück deutscher Sprache die Fremdwörter als Fremdkörper empfunden werden. Und als ich eine neue Auflage meiner »Geschichte der Nationalökonomie« einmal daraufhin ansah, habe ich auf ihren 840 Seiten doch über 1000 Fremdwörter durch deutsche ersetzen können, und jedesmal zwang mich das deutsche Wort zu einer schärferen Begriffsbestimmung. Für die Redner gilt, was der Präsident der preußischen Justizprüfungskommission Uhle von den jungen Justizbeamten in seinem Geschäftsbericht für 1913 erklärte: »Die Gewohnheit, Fremdwörter unnötig anzuwenden, ist noch weit verbreitet. Diese Vorliebe zeigt sich besonders bei schwachen Referendaren, denen solche Ausdrücke bisweilen über mangelnde Schärfe und Klarheit des Gedankens hinweghelfen sollen.«
Einfach wird der Vortrag auch durch sparsamen Gebrauch der Eigenschaftswörter. Das Eigenschaftswort ist der Feind des Hauptworts. An einer häufig zitierten Stelle in seinem Laokoon (XVIII) setzt Lessing das so auseinander: »Wir sagen zwar: Die runden, ehernen, achtspeichigen – aber »Räder« schleppt hinten nach. Wer empfindet nicht, daß die verschiedenen Prädikate, ehe wir das Subjekt erfahren, nur ein schwankendes, verwirrendes Bild machen können?«
Dazu muß ein einfacher, durchsichtiger Aufbau der einzelnen Sätze kommen. In der Rede soll man noch viel mehr Punkte setzen als in der Schriftsprache. Nebensätze sind nach Möglichkeit zu vermeiden, namentlich die gefürchteten Einschachtelungen, die »Treppensätze«, wie etwa: »Denken Sie, wie schön der Krieger, der die Botschaft, die den Sieg, den die Athener bei Marathon, obwohl sie in der Minderheit waren, erfochten hatten, verkündete, nach Athen brachte, starb.«
Noch gefährlicher, weil ich selbst damit zu kämpfen habe, scheint mir die »Daß-Treppe«, z. B.: »Ich fürchte, daß es sich nicht verhindern läßt, daß die Nachricht durchsickere, daß die Stadt das Gelände ankaufen will, daß sie dort eine Schule baue.«
Bei der ersten Ausarbeitung eines Vortrages mag man auch über Gewohnheitssünden hinwegsehen, um die Gedanken im Zusammenhang festzuhalten und zu ordnen. Beim späteren Prüfen und Feilen aber soll man gerade gegen seine Lieblingsfehler besonders schonungslos vorgehen.
Die wichtigste Forderung auf diesem Gebiete ist die Anschaulichkeit der Sprache. Anschauung ist das Fundament aller Erkenntnis. Eine rein abstrakte Darstellung aufzunehmen erfordert eine Schulung, die auch bei Menschen von allgemeiner Bildung nicht immer vorausgesetzt werden darf. Jeder betrachtet in einem Buche gern die Bilder, die ihm die Personen und Zustände, von denen er liest, gleichsam in Gestalt und Farbe vor Augen führen. Eine Klippe bei dem Versuch, anschaulich zu reden sind Wiederholungen, Verdoppelungen, die man als Entgleisungen wohl einmal durchgehen läßt, die aber nur selten auftreten dürfen, wenn nicht bei dem urteilsfähigen Hörer eine spöttisch- heitere Stimmung entstehen soll, die der ernsten Rede gefährlich werden muß. Wenn jemand beteuert, daß es sich in seinem Vortrage »ausschließlich, nur, allein« um die wirtschaftliche Seite der Sache handele, so könnte er sich von diesen drei Angaben zwei ersparen. Auf derselben Linie stehen Verdoppelungen, wie: die »sofortige Barzahlung«, das »neu renovierte« Gebäude, die »bereits gemachten« Erfahrungen und ähnliche.
Das Gegenteil des Erstrebten erreicht an falscher Stelle »erbaulicher« Stil. Ein Pfarrer in einem Badeort lehnt eine Einladung zu einer Segelfahrt ab: »Nein, einem Segelboot vertraue ich mich nicht an, man ist da zu sehr in Gottes Hand.« In Breslau will ein Superintendent auch das theologische Examen erbaulich gestalten. Er fragt nach der Theorie des früheren Breslauer Dogmatikers Schmid. Als der Kandidat versagt, will er ihm sagen, daß sie von dem leider verstorbenen Schmid stamme; aber er spricht erbaulich: »Das wissen Sie nicht? Das hat ja der leider nun selige Schmid behauptet.« –
Um die Worte möglichst wesenhaft werden zu lassen, bedient man sich der »Bilder« und »Figuren«, von denen die gewöhnlichen Schulbücher lange Reihen aufzählen und mit gelehrten Namen versehen, als da sind: Metapher, Metonymie, Hypallage, Synekdoche, Euphemismus, Hyperbel, Tapeinosis, Litotes, Katachrese, Klimax, Asyndeton, Polysyndeton, Aposiopese, Prosopopöie, Stichomythie, Oxymoron, Paradoxon usw. Ihre mehr oder weniger scharfsinnigen »Definitionen« (in diesem Zusammenhang wäre ein deutsches Wort nicht am Platze) haben für die Praxis wenig Wert: Wohl aber können durch sie leicht die Natürlichkeit und die Freudigkeit des jungen Redners beeinträchtigt werden.
Es gibt Worte und Bilder, die ein Redner vermeidet, weil sie abgebraucht sind – Klichees. Ein junger Dichter, Franz Werfel, beginnt ein Gedicht, »Mitleid mit manchen Worten«:
»Ihr armen Worte, abgeschabt und glatt,
die Sprache und die Mode hat euch satt.
Von zuviel Ausgesprochensein verzehrt
seid ihr schon schal und doch wie sehr bedauernswert.
So abgegriffen seid ihr und poliert,
daß jeder Konsonant an Wucht verliert.
Und was euch einst beschwingtes Leben gab,
Begriff, Gefühl, sie gleiten von euch ab.«
Solche abgebrauchte Worte und Bilder bilden sich in jeder Sprache. Schon Tacitus mahnt: »Halte fern, was wie alte abgetragene Ware wirkt, jeden Ausdruck, der gleichsam mit Rost überzogen ist«, und mitleidig setzt er hinzu »ich will nicht spotten über das »Rad der Fortuna«. Unsere Redner würden mitleidigen Spott wecken, wenn sie zu oft »die Schlange am Busen nähren«, oder »Eulen nach Athen tragen«, oder immer wieder den »Phönix aus der Asche erstehen ließen«.
Handelt es sich lediglich um einen Scherz, mag die Kühnheit des Bildes selbst die Grenzen des Möglichen überschreiten. Wenn bierselige Sehnsucht jammert:
»Ich wollt' ich war' ein Louisd'or,
Dann kauft' ich mir gleich Bier davor« –
dann stört der Gedanke nicht im geringsten, daß ein Louisd'or vom Bier keinerlei Genuß haben könnte, zumal, wenn er in den Geldkasten des Schankwirts wandern muß.
Auf der Grenze stehen auch manche freundliche, aber zoologisch nicht ganz einwandfreie Anreden des Unteroffiziers an den Rekruten, z.B.: »Sie sind ein wahres Kamel, es fehlen ihnen dazu nur die Hörner«, und die Verteidigung der hessischen Bauern auf die Vorwürfe schlechten Besuchs des Gottesdienstes: »In die Kirche gehen wir nicht; aber auf die Religion sind wir wie der Deibel.«
Sobald es sich aber um ernste Ausführungen handelt, muß das gewählte Bild zutreffend sein.
Wenn z. B. Börne einmal erklärt: »der Argwohn gleicht dem Rost, der das reinste Gold der Tugend verzehrt«, so ist das natürlich falsch, da Gold eben nie rostet. Aber auch an sich erlaubte Bilder wird guter Geschmack in ungeeignetem Zusammenhang vermeiden, z. B.:
»Der eifrige Bürgervorsteher legte den Kollegen den Schmutz in der Ostertorstraße warm ans Herz!«
»Der gelbe Neid zieht sich wie ein roter Faden durch seine Handlungen.«
»Der kranke Magen ist seine Achilles ferse«.
»Leider nahm er sein krankes Bein auf die leichte Achsel.«
»In den Städten des Orients findet sich ein Schmutz, der sich gewaschen hat.«
Wer sich klar macht, worin in jedem der folgenden Beispiele das Fehlerhafte liegt, wird leicht die Klippen erkennen, die hier besonders zu meiden sind:
»Dieses Gespenst ist so abgedroschen, daß nur noch ein politisches Wickelkind darauf herumreiten kann.«
»In den Freiheitskriegen wurde er zweimal verwundet, einmal an der Katzbach, das andere Mal an der Schulter.«
»Dieser Antrag ist wie eine Seifenblase, die, wenn man ihr auf den Zahn fühlt, wie Schnee in der Sonne schmilzt.«
»Laßt uns mit beiden Füßen fest auf das Panier treten, das uns leuchtend der Redner voran trägt.«
»Dieser Vorschlag ist ein Kuckucksei, das der zweischwänzige (tschechische) Löwe ins deutsche Nest gelegt hat.«
»Wir stehen mit einem Fuße im Zuchthause, mit dem andern nagen wir am Hungertuch.«
»Die Universitäten gleichen rohen Eiern; kaum berührt man sie, sofort stellen sie sich auf die Hinterbeine und wehren sich.«
Auch geübten Rednern begegnen solche Entgleisungen. Aus dem österreichischen Reichsrat stammen:
»Ein Leichenzug hat zumeist etwas Trauriges an sich, besonders wenn der Verstorbene ein Mensch war.«
»Ich erinnere mich noch sehr genau daran, daß zur Zeit der Geburt meines Vaters die Verhältnisse in dieser Hinsicht ganz anders waren.«
»Ich bin von jeher gewohnt, mir den Schnabel zu wetzen und dann darüber nachzudenken.«
»Mist und Jauche sind für den rationellen Landmann das, was Nektar und Ambrosia für die alten Griechen waren.«
Aus dem deutschen Reichstage:
Der Abgeordnete Westermayer: »Dieser Paragraph ist wie eine Oase hineingeschneit in eine Wüste.«
Der Abgeordnete Sieg: »Während der letzten 35 Jahre habe ich dreimal die Maul- und Klauenseuche gehabt.«
Der Abgeordnete Albert Träger: »Der deutsche Reichstag hat das Aussehen einer nicht einmal stark besuchten Generalversammlung von Einsiedlern.«
Der Abgeordnete Graf Bethusy soll einmal aufgefordert haben, entschlossen »den Strom der Zeit bei der Stirnlocke zu fassen.«
Bebel griff einmal eine Fabrik an, »weil sie sich auf das hohe Roß setze«.
Der Abgeordnete Bamberger: »Es gibt in allen Erörterungen einen Moment, wo man wirklich anfängt, vor lauter Belehrung dümmer zu werden.«
Als sich ein Redner über Beschränkung der Redezeit beklagte, tröstete ihn der Präsident v. Levetzow: »Jeder Redner ist beschränkt.«
Bismarck wehrte im Vereinigten Landtag 1847 einen Angriff auf seine vielumkämpfte Judenrede ab: »Der verehrte Redner ist zum dritten Male auf dem etwas müde gerittenen Pferde auf mich eingesprengt, welches vorn Mittelalter und hinten Muttermilch heißt.«
1848 erklärte der österreichische Justizminister in einer Rede an die Wiener Studenten: » Der Wagen der Revolution rollt einher und fletscht die Zähne.«
In demselben Jahre rief der Berliner Demokratenführer Ottensoser das Volk auf: »Machen wir es wie die alten Griechen, die ihre Schiffe verbrannten, um frei hinaus ins offene Meer zu steuern!«
Deutschlands großer Postmeister Stephan entschuldigte einst Mißstände im Telephonwesen: »Das Telephonwesen ist ein Kind, das noch in den Geburtswehen liegt.«
Der Preußische Finanzminister von Scholz erklärte: »Das ist der circulus vitiosus, der seit langem wie ein Unstern über den Reformplänen der Regierung schwebt, von allen Seiten aber nur als spanische Wand vorgeschoben wird, hinter der man sich verbirgt, um nicht Farbe zu bekennen.«
Selbst in gedruckten Reden erster Sprachmeister kann man ähnliche Fehler finden. So Herder (»Von den Ursachen des gesunkenen Geschmacks«): »Mit der Redekunst ging es ebenso: als die Freiheit der Griechen sank, war auch ihr Feuer dahin; in Demosthenes war es, wie in der letzten Not, eine auflodernde Flamme gewesen. Die Redekunst kroch in Schulen oder enge Gerichtsschranken. Sie krümmte sich im Staube und verstummte.«
Lassalle erklärte (»Die Wissenschaft und die Arbeiter«): »Der stolzragende Baum wissenschaftlicher Erkenntnis ist von einer Zeit der andern überliefert worden« – was dem Leben eines Baumes nicht gerade zuträglich sein würde.
Besonders komisch wirken falsche Bilder, wenn sie auf den Stelzen des hohen Stils einherschreiten Wie ich eben bei der Durchsicht der ersten Ausgabe sehe, habe ich in diesem Satze selbst ein unrichtiges Bild gewählt; es mag aber stehen bleiben als ein Beweis, wieviel leichter das Warnen als das Bewahren gerade auf diesem Gebiete ist.. In der Zeit der französischen Revolution erklärten die Bürgerinnen von Avalon feierlich, »daß sie bisher nur Kinder geboren hätten, – von nun an sollten es nur noch Männer sein". Die Bürgerinnen von Clermont-Ferrand übermittelten der gesetzgebenden Versammlung ihren Beschluß: »Von jetzt an werden wir unsere Kinder mit unverderblicher Milch nähren, die wir mit der Essenz der Freiheit klären werden.«
Mit allem Fleiß soll man sich vor derartigen Entgleisungen hüten, wenn sie auch kein lebhafter Redner völlig wird vermeiden können. Aber die Furcht vor solchen Entgleisungen darf uns auch nie vergessen lassen, wie sehr der Gebrauch guter Bilder unsere Gedanken anschaulich gestaltet und unsern Worten Kraft verleiht.
Ebenso wichtig wie gute Bilder sind treffende Vergleiche. Wie durch einfachste Mittel tiefste Fragen veranschaulicht und geklärt werden können, zeigen die Gleichnisse des Neuen Testaments. Nehmen wir ein Beispiel aus der alten und aus der neuen Geschichte: Demosthenes rief nach der Ermordung König Philipps Hellas auf, das makedonische Joch abzuschütteln. Philipps Sohn, Alexander der Große, erstickte die freiheitliche Bewegung aber im Keim durch die furchtbare Zerstörung Thebens. Als die Athener darauf um Frieden baten, forderte er, daß ihm Demosthenes ausgeliefert würde. In der entscheidenden Versammlung schienen viele geneigt, auf diese Bedingung einzugehen. Da rettete Demosthenes die Ehre seiner Vaterstadt und sich selbst durch den Vergleich eines solchen Friedensvorschlages mit einem Antrage von Wölfen an Schafe: Sie versprächen Frieden, wenn diese alle Wächter und Schäferhunde auslieferten. Darauf weigerte sich Athen, auf die Bedingung Alexanders einzugehen, und dieser, der sich nicht mit einer langen Belagerung aufhalten konnte, verzichtete auf die Auslieferung des gefürchteten Redners. –
Ich will die Politik bekämpfen, die sich begnügt mit einem Herumdoktern an Symptomen, wie Alkoholismus, Verbreitung der Tuberkulose, Geschlechtskrankheiten, Verrohung der Jugend, und sich feige vorbeidrückt an einer der tiefsten Ursachen: Mißbrauch mit dem Boden und der daraus entspringenden Wohnungsnot. Ich kann das an folgendem Beispiel veranschaulichen. Der vor kurzem verstorbene Professor an der Universität Basel, v. Bunge, hat einmal eine Geschichte erzählt, die mir so im Gedächtnis geblieben ist: »Ich besuchte einen alten Freund, den Leiter einer großen Anstalt für Geisteskranke. Ich fragte ihn, ob es nicht sehr schwer sei, die Grenze zu finden, die den Sonderling von dem Geisteskranken trenne, zumal es völlig normale Menschen doch kaum gebe. Da sagte der erfahrene Mann: Theoretisch ist es sehr schwer; aber ich habe im Laufe der Zeit ein Mittel gefunden, das mir gute Dienste leistet. Die Kranken, bei denen ich zweifelhaft bin, lasse ich in ein Badezimmer führen. Die Wasserhähne sind geöffnet; das Wasser droht über die Badewanne zu strömen. Ich bitte die Kranken, das zu verhindern, und weise auf allerlei Schöpfgeräte hin. Dann lasse ich sie allein, beobachte sie aber durch ein Schiebefenster. Manche Kranke beginnen sich zu streiten, ob sie besser mit einer Kanne oder mit einem Eimer schöpfen und beginnen um dieses Streites willen überhaupt nicht mit der Arbeit. Andere nehmen das erste beste Gerät und treiben ihre hoffnungslose Arbeit mit stiller Befriedigung; noch andere aber halten bald inne, wenn sie sehen, daß trotz ihrer Arbeit das Wasser steigt, sehen sich prüfend die Einrichtung an und schließen zunächst den Wasserhahn. Die ersteren sind noch sehr krank, und nur die letzten sind gesund.« – Als ich diese Erinnerung Bunges gelesen hatte, schloß ich das Buch und sah vor mir unsere Regierungsmänner und Parteiführer, wie sie Tuberkuloseheime bauen, Erziehungshäuser, Krankenhäuser und doch nicht die Quelle: Bodenmißbrauch und Wohnungselend verstopfen, und ich fragte mich, was würde wohl der erfahrene Leiter der Krankenanstalt zu solcher Arbeit sagen?
Die Beispiele aus dem wirklichen Leben werden um so wirkungsvoller sein, je mehr charakteristische Einzelheiten sie enthalten. »Detaillieren heißt interessieren«. Einzelheiten geben Farbe, Umriß, ziehen mannigfache Verbindungslinien zu bereits vorhandenen Vorstellungen in der Seele des Zuhörers.
Ein bekanntes Schulbeispiel aus Bodenreformvorträgen von dem Bauern in Britz kann z. B. so erzählt werden: Das Grundstück eines Bauern in Britz von 8 Morgen Größe erfuhr durch die Eröffnung eines Bahnhofs in seiner Nähe eine Wertsteigerung von 1 250 000 Goldmark. Das ist ein Fall, der uns zeigt, wie durch Verkehrsverbesserungen unverdienter Wertzuwachs erzeugt wird.
Wie ganz anders wirkt dieses Beispiel mit seinen Einzelheiten, etwa so erzählt:
In Britz bei Berlin lebte ein Landwirt, der 8 Morgen Acker besaß. Er wollte sie verkaufen und forderte 50 000 Goldmark dafür. Kein Mensch gab ihm diesen Preis; denn Brandenburger Sandboden ist als Grundlage landwirtschaftlicher Arbeit kaum den zehnten Teil so viel wert. Da wird ein Bahnhof in der Nähe gebaut. Eine billige Verbindung mit Berlin ist geschaffen. Jetzt kommt die Terrainspekulation – natürlich, wo auf Kosten der Gesamtheit Verbesserungen irgendwelcher Art erzielt werden, da finden sich kluge Leute, die diese Kulturarbeit der Gesamtheit für sich nutzbar machen wollen. Eine Terraingesellschaft erklärt sich bereit, dem Landwirt die 8 Morgen abzukaufen. Ja, sagt dieser, ich will wohl verkaufen; aber nun kostet dieses Stück »natürlich« nicht mehr 50 000 Goldmark, sondern weil jetzt ein Bahnhof in der Nähe steht, fordere ich 1 300 000 Goldmark. Dem Mann schien das »natürlich«; denn diese Wertsteigerung hatte er ja in Schöneberg und Rixdorf und den anderen Nachbarorten oft genug erfahren, und auch der Terraingesellschaft erschien das »natürlich«, und sie bewilligte anstandslos den geforderten Preis. Man sagt oft, um Bodengewinne zu erzielen, sei die Aufbietung einer hohen Intelligenz nötig. Wäre es so, so würde das für die Berechtigung dieser Gewinne noch gar nichts bedeuten; denn zur Herstellung falscher Tausendmarkscheine gehört zweifellos auch eine Intelligenz und eine Fertigkeit, die nur wenige besitzen. Daß in unserem Fall aber von besonderen geistigen Fähigkeiten nicht geredet werden kann, zeigen die näheren Umstände der Kaufhandlung, die das »Grundeigentum«, das Organ der Berliner Hausbesitzer, erzählt. Der Britzer Bauer verlangte, daß ihm eine Million bares Geld auf den Tisch gelegt werde. Und als man ihm die verlangte Summe in Tausendmarkscheinen aufzählte, entquoll seinen Lippen das bezeichnende wort: »Kourant wäre mir lieber gewesen.« Der Mann hatte wohl erwartet, daß man ihm eine Million in harten Talern aufzählen könnte. Er wußte also gar nicht, welch ungeheuren Reichtum ihm unser heutiges Bodenrecht ohne jede Gegenleistung in den Schoß warf. Aber die Hausbesitzer, die später auf diesem teuren Boden bauen und die hohen Hypothekenzinsen aufbringen müssen, und die Mieter in engen Wohnungen ohne Luft und Licht, in teuren Werkstätten und Geschäftsräumen, die aus dem Ertrag ihrer Arbeit die Summen dauernd abgeben müssen, die diesen »schönen« Gewinn verzinsen, sie fühlen es, ob es ihnen zum Bewußtsein kommt oder nicht, was es heißt, wenn dieses Vaterland unter ihren Füßen ein Gegenstand der Ausbeutung werden kann!
Was bedeutet aber der arbeitslose Gewinn von 1 250 000 Goldmark? Mehr als 60 v. H. deutscher Familienväter haben ein Jahreseinkommen von unter 1000 Goldmark. Wenn also eine deutsche Familie, die zu dieser Mehrheit unseres Volkes gehört, unter Karl dem Großen angefangen hätte zu arbeiten, so hätte sie bis zum heutigen Tage noch nicht so viel durch Arbeit in unserem Volke erwerben können, wie hier ein Mann zufällig durch Bodeneigentum erwerben konnte, weil auf Kosten der Gesamtheit eine neue Verkehrsverbesserung geschaffen wurde!
Oder nehmen wir an, daß der Geistliche oder der Lehrer oder der Postvorsteher oder ein Handwerker oder ein Landwirt in Britz im Jahre 2500 Goldmark Einkommen hätte, so müßte ein solcher Mann seine notwendige und verantwortungsvolle Tätigkeit fünfhundert Jahre lang ausüben, um von unserem Volke als Lohn ehrlicher Arbeit so viel zu erhalten, wie hier ohne jede Arbeit einem zufälligen Bodeneigentümer zugewachsen war. Und nun denken Sie, wieviel Steuern, direkte und indirekte, eine deutsche Familie in fünfhundert Jahren zu zahlen hätte, und dann fragen Sie sich, ob es gerecht ist, daß man heute die Arbeit in jeder Form belastet und dabei derartigen unverdienten Wertzuwachs nicht für die Gesamtheit nutzbar macht? Nehmen wir die weitgehende Forderung, daß 80 v. H. dieses unverdienten Gewinns für Gemeinde und Staat eingezogen würden, dann hätte allerdings der unglückliche Besitzer »nur« 250 000 Goldmark ohne jede Gegenleistung an der deutschen Volkswirtschaft gewonnen. Aber die 1 000 000 Mark, die Staat und Gemeinde sich teilen könnten, brauchten dann nicht erhoben zu werden in Abgaben irgendwelcher anderer Art oder in Zuschlägen auf Einkommen- und Gewerbesteuern!
Ein solches Beispiel mit bestimmten Einzelheiten wirkt lange nach. Das erzählt der Einzelne im Familien- und Kollegenkreise wieder. An ihm wird in der Hauptsache die ganze Theorie der Bodenreform vom Wesen der Grundrente und von der Notwendigkeit ihrer Nutzbarmachung für die Kulturaufgaben der Gesamtheit geradezu bildlich dargestellt.
Bei der Auswahl der Beispiele, die man dem wirklichen Leben entnimmt, muß man Ort und Stunde wohl in Betracht ziehen. Bodenwertsteigerungen in der Höhe von Millionen machen in Mittel- und Kleinstädten wenig Eindruck und wecken unter Umständen nur das Mißverständnis, daß die Bodenreform lediglich für Großstädte Bedeutung habe. »Solche Verhältnisse kommen bei uns ja nicht vor!« Man nimmt hier besser Beispiele aus kleineren Orten, auch wenn die Wertsteigerungen nicht so schroff und schnell vor sich gegangen sind.
Für viele Kreise werden auch glückliche Beispiele aus der Literatur von besonderer Wirkung sein. Ich will z. B. zeigen, daß der Kampf um die Bodenreform etwas Großes sei, etwas, was Menschenherzen zu befriedigen und zu erheben vermag. Das kann ich erreichen, indem ich nachweise, daß alle Erhöhungen des Gehalts, des Lohnes, der geschäftlichen Einnahmen zuletzt doch wieder durch die Erhöhung der Bodenpreise und ihrer Töchter: der Mietpreise für Wohnungen und Arbeitsräume, aufgesogen werden. Sehr oft aber wird wirkungsvoller als alle theoretischen Überlegungen ein einfacher Hinweis sein, daß Schiller die organische Verbindung der Menschheit mit dem Boden entscheidend sein läßt für ihren Aufstieg zur Kultur: »Daß der Mensch zum Menschen werde, stift er einen ew'gen Bund gläubig mit der frommen Erde, seinem mütterlichen Grund.«
In Norddeutschland wird ein Hinweis auf Reuters erschütterndes Schicksal des arbeitsfreudigen und arbeitsfähigen Menschen, dem Herrenlaune » kein Hüsung« gewährt, wirken, wie in Süddeutschland und Österreich auf Roseggers »Jakob der Letzte«. Am stärksten aber wird das größte Dichtwerk deutscher Sprache wirken, Goethes Faust. In diese Gestalt hat unser erster Dichter alle deutsche Sehnsucht hineingelegt. Faust findet nicht dauerndes Genügen in Wissenschaft und Frauenliebe, nicht in Kaisergunst und Reichtum, nicht im Versenken in klassische Schönheit – sondern allein in der Arbeit für die Zukunft. Neuland will er gewinnen. Und der Gedanke, darauf Räume zu eröffnen, »vielen Millionen, nicht sicher zwar, doch tätig-frei zu wohnen«, das weckt in seinem Herzen endlich das Gefühl des vollen Genügens:
»Solch ein Gewimmel möcht ich sehn,
Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn.
Zum Augenblicke dürft' ich sagen:
Verweile doch, du bist so schön.«
So zeugen die ersten Vertreter deutschen Geisteslebens, wie sehr deutsche Bodenreformer das Recht und die Pflicht haben, um die Herzen und Köpfe der Besten in unserm Volke zu werben; denn sie erstreben für den Boden, der Grundlage alles nationalen Seins, ein Recht, das jeden Mißbrauch mit ihm ausschließt und seinen Gebrauch als Werk- und Wohnstätte fördert, damit unser Vaterland jeder redlichen Arbeit in Stadt und Land ehrliches Brot und eine gesicherte Heimstätte biete – ein Recht, das auch unsere Reichsverfassung als Kern der »Grundrechte des deutschen Volkes« (§ 155) aufgestellt hat und von dessen Erfüllung wesentlich unser sozialer Friede und nationaler Aufstieg bestimmt werden wird.