Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Wir unterlassen es, den Eindruck dieses Schreibens auf den Präfekten auszumalen, und begleiten lieber die beiden Dioskuren auf einem ihrer Abendspaziergänge an den reizenden Ufergeländen von Neapolis.
Sie wandelten nach der früh beendigten Coena durch die Stadt und zur Porta nolana hinaus, die in schon halb verwitterten Reliefs die Siege eines römischen Imperators über germanische Stämme verherrlichte.
Totila blieb stehen und bewunderte die schöne Arbeit.
«Wer ist wohl Kaiser», fragte er den Freund, «dort auf dem Siegeswagen, mit dem geflügelten Blitz in der Hand wie ein Jupiter Tonans?» – «Es ist Marc Aurel», sagte Julius und wollte weitergehen. – «O bleib doch! Und wer sind die vier Gefesselten mit den langwallenden Haaren, die den Wagen ziehen?»
«Es sind Germanenkönige.» – «Doch welches Stammes», fragte Totila weiter – «sieh da, eine Inschrift: ‹Gothi extincti!›, Die Goten vernichtet!»
Laut lachend schlug der junge Gote mit flacher Hand auf die Marmorsäule und schritt rasch durch das Tor. «Eine Lüge in Marmor?» rief er rückwärts blickend. «Das hat der Imperator nicht gedacht, daß einst ein gotischer Seegraf in Neapolis seine Prahlereien Lügen straft.» – «Ja, die Völker sind wie die wechselnden Blätter am Baume», sagte Julius nachdenklich; «wer wird nach euch in diesen Landen herrschen?» Totila blieb stehen. « Nach uns?» fragte er erstaunt. – «Nun, du wirst doch nicht glauben, daß deine Goten ewig dauern werden unter den Völkern?»
«Das weiß ich doch nicht», sagte Totila langsam fortschreitend. «Mein Freund, Babylonier und Perser, Griechen und Makedonen und, wie es scheinen will, auch wir Römer hatten ihre zugemessene Zeit: sie blühten, reiften und vergingen. Soll's anders sein mit den Goten?»
«Ich weiß das nicht», sagte Totila unruhig, «ich habe den Gedanken nie gedacht. Es ist mir noch nie eingefallen, daß eine Zeit kommen könnte, da mein Volk» – er hielt inne, als sei es Sünde, den Gedanken auszudenken. «Wie kann man sich dergleichen vorstellen! Ich denke daran so wenig wie – wie an den Tod!»
«Das sieht dir gleich, mein Totila!»
«Und dir sieht es gleich, dich und andre mit solchen Träumereien zu quälen.»
«Träumereien! Du vergißt, daß es für mich, für mein Volk schon Wirklichkeit geworden. Du vergißt, daß ich ein Römer bin. Und ich kann mich nicht darüber täuschen, wie die meisten tun: es ist vorbei mit uns. Das Zepter ist von uns auf euch übergegangen; glaubst du, es lief so ohne Schmerz, ohne Nachsinnen für mich ab, in dir, meinem Herzensfreund, den Barbaren, den Feind meines Volkes zu vergessen?»
«Das ist nicht so, beim Glanz der Sonne!» fiel Totila eifrig ein. «Find' ich auch in deiner milden Seele den herben Wahn? Blick' doch nur um dich! Wann, sage mir, wann hat Italien herrlicher geblüht als unter unsrem Schilde? Kaum in den Tagen des Augustus. Ihr lehrt uns Weisheit und Kunst, wir leihen euch Friede und Schutz. Kein schöneres Wechselverhältnis läßt sich denken! Die Harmonie zwischen Römern und Germanen kann eine ganz neue Zeit erschaffen, schöner als je eine bestanden.»
«Die Harmonie! Aber sie ist nicht da. Ihr seid uns ein fremdes Volk, geschieden durch Sprache und Glauben, durch Stammes- und Sinnesart und durch halbtausendjährigen Haß.
Wir brachen früher eure Freiheit, ihr jetzt die unsre; zwischen uns gähnt eine ewige Kluft.» – «Du verwirfst den Lieblingsgedanken meiner Seele.»
«Es ist ein Traum!» – «Nein, er ist Wahrheit, ich fühl' es und vielleicht kommt noch die Zeit, dir's zu beweisen. Das Werk meines Lebens bau' ich drauf.» – «So wär's auf einen edlen Wahn gebaut. Keine Brücke zwischen Römern und Barbaren!» – «Dann», sagte Totila heftig, «begreif ich nicht, wie du leben kannst, wie du mich –»
«Vollende nicht», sagte Julius ernst. «Es war nicht leicht: es war die schwerste der Entsagungen! Erst nach hartem Widerstreit der Selbstsucht ist sie mir gelungen: aber endlich hab' ich aufgehört, in meinem Volk allein zu leben. Der heil'ge Glaube, der jetzt schon – und er allein vermag's – Römer und Germanen verbindet, der meinen widerstrebenden Verstand durch lauter Schmerzen – Schmerzen, die Freuden sind, – allmählich immer mächtiger umschlingt, er hat mir auch in diesem Zwiespalt Friede gebracht. In diesem einen darf ich mich jetzt schon rühmen, ein Christ zu sein: ich lebe der Menschheit, nicht meinem Volk allein, ein Mensch, kein bloßer Römer mehr. Darum kann ich dich, den Barbaren, lieben wie einen Bruder: sind wir doch Bürger eines Reichs: der Menschheit.
Darum kann ich es ertragen, zu leben, nachdem ich mein Volk gestorben sehe. Ich lebe der Menschheit: sie ist mein Volk!»
«Nein», rief Totila lebhaft, «das könnt' ich nimmermehr. In meinem Volk allein kann ich und will ich leben: meines Volkes Art ist die Luft, in der allein meine Seele atmen kann. Warum soll'n wir nicht dauern können, ewig: oder doch solang diese Erde dauert? Was Perser und Griechen! Wir sind von besserem Stoff. Weil sie dahinsiechten und versanken, müssen darum auch wir siechen und versinken? Noch blüh'n wir in voller Jugendkraft! Nein, wenn ein Tag kommt, da die Goten sinken – mög' ihn mein Auge nicht mehr sehn. O all ihr Götter, laßt uns nicht dahinkranken jahrhundertelang wie diese Griechen, die nicht leben können und nicht sterben! Nein, muß es sein, so sendet ein furchtbar Kampfgewitter und laßt uns rasch und herrlich fallen, alle, alle und mich voran!»
Der Jüngling hatte sich in die wärmste Begeisterung gesprochen. Er sprang empor von der Marmorbank auf der Straße, darauf sie sich niedergelassen, den Lanzenschaft hoch gen Himmel erhebend.
«Mein Freund», sagte Julius, ihn liebevoll anblickend, «wie schön steht dir dieser Eifer! Aber bedenke, ein solcher Kampf würde mit uns, mit meinem Volk entbrennen, und sollte ich –?»
«Zu deinem Volke sollst du stehn mit Leib und Seele, das ist klar, wenn es jemals zu solchem Kampfe kommt. Du glaubst, das würde unsrer Freundschaft Eintrag tun? Mitnichten! Zwei Helden können sich knochentiefe Wunden haun und dabei doch die besten Freunde sein. Ha, mich würd' es freuen, dich in einer Schlachtreihe mir entgegenschreiten zu sehn mit Schild und Speer!»
Julius lächelte. «Meine Freundschaft ist nicht so grimmiger Art, du wilder Gote. – Diese Fragen und Zweifel haben mich lange und bitter gequält, und all meine Philosophen zusammen haben mir nicht den Frieden gebracht. Erst seit ich's in Schmerzen erfahren, daß ich dem Gott im Himmel allein zu dienen habe und auf Erden der Menschheit und nicht einem Volk –»
«Gemach, Freund», rief Totila, «wo ist denn die Menschheit, von der du schwärmst? Ich sehe sie nicht. Ich sehe nur Goten, Römer, Byzantiner! Eine Menschheit über den wirklichen Völkern, irgendwo in den Lüften, kenn' ich nicht. Ich diene der Menschheit, indem ich meinem Volke lebe. Ich kann gar nicht anders! Ich kann nicht die Haut abstreifen, darin ich geboren bin. Gotisch denk' ich, in gotischen Worten, nicht in einer allgemeinen Sprache der Menschheit; die gibt es nicht. Und wie ich nur gotisch denke, kann ich auch nur gotisch fühlen. Ich kann das Fremde anerkennen, o ja. Ich bewundere eure Kunst, euer Wissen, zum Teil euren Staat, in welchem alles so streng geordnet ist.
Wir können vieles von euch lernen – aber tauschen könnt' ich und möcht ich mit keinem Volk von Engeln. Ha, meine Goten! Im Grund des Herzens sind mir ihre Fehler lieber als eure Tugenden.»
«Wie ganz anders empfinde ich, und bin doch ein Römer!»
«Du bist kein Römer! Vergib, mein Freund, es gibt schon lange keine Römer mehr. Sonst wär' ich nicht der Seegraf von Neapolis! So wie du kann nur empfinden, wer eigentlich kein Volk mehr hat. So wie ich muß jeder fühlen, der eines lebendigen Volkes ist!»
Julius schwieg eine Weile. «Und wenn dem so ist – wohl mir! Heil, wenn ich die Erde verloren, den Himmel zu gewinnen. Was sind die Völker, was ist der Staat, was ist die Erde? Nicht hier unten ist die Heimat meiner unsterblichen Seele! Sie sehnt sich nach jenem Reiche, wo alles anders ist als hier.»
«Halt ein, mein Julius», sprach Totila, stehenbleibend, die Lanze auf den Boden stoßend. «Hier laß mich stehn und leben, hier nach Kräften das Schöne genießen, das Gute schaffen nach Kräften. In deinen Himmel kann und will ich dir nicht folgen. Ich ehre deine Träume, ich ehre deine heil'ge Sehnsucht – aber ich teile sie nicht. Du weißt», fügte er lächelnd hinzu, «ich bin ein Heide, unverbesserlich wie meine Valeria – unsere Valeria. Zur rechten Stunde denk' ich ihrer. Deine erdenflücht'gen Träume ließen uns am Ende des Liebsten auf Erden vergessen. Sieh, wir sind zur Stadt zurückgekommen, die Sonne sinkt so rasch hier im Süden, und ich soll noch vor Nacht die bestellten Sämereien in den Garten des Valerius bringen. Ein schlechter Gärtner», lächelte er, «der seiner Blume vergäße. Leb' wohl – ich biege rechts hinab.»
«Grüße mir Valeria. Ich gehe nach Hause, zu lesen.»
«Was liesest du jetzt? Noch Platon?»
«Nein, Augustinus, Lebe wohl!»