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Vorsichtiger mußte Cethegus bei Ausführung einer zweiten, für seine Ziele nicht minder unerläßlichen Vorbereitung sein. Um selbständig in Rom, in seinem Rom, wie er es, als Stadtpräfekt, zu nennen liebte, den Goten und nötigenfalls den Griechen trotzen zu können, bedurfte er nicht bloß der Wälle, sondern auch der Verteidiger auf denselben. Er dachte zunächst an Söldner, an eine Leibwache, wie sie in jenen Zeiten hohe Beamte, Staatsmänner und Feldherren häufig gehalten hatten, wie sie jetzt Belisar und dessen Gegner Narses in Byzanz hielten. Nun gelang es ihm zwar, durch früher auf seinen Reisen in Asien angeknüpfte Verbindungen und bei seinen reichen Schätzen tapfere Scharen der wilden isaurischen Bergvölker, die in jenen Zeiten die Rolle der Schweizer des sechzehnten Jahrhunderts spielten, in seinen Sold zu ziehen. Indessen hatte dies Verfahren doch zwei sehr eng gezogene Schranken.
Einmal konnte er auf diesem Wege, ohne seine für andre Zwecke unentbehrlichen Mittel zu erschöpfen, doch immer nur verhältnismäßig kleine Massen aufbringen, den Kern eines Heeres, nicht ein Heer. Und ferner war es unmöglich, diese Söldner, ohne den Verdacht der Goten zu wecken, in größerer Anzahl nach Italien, nach Rom zu bringen. Einzeln, paarweise, in kleinen Gruppen schmuggelte er sie mit vieler List und vieler Gefahr als seine Sklaven, Freigelassenen, Klienten, Gastfreunde in seine durch die ganze Halbinsel zerstreuten Villen oder beschäftigte sie als Matrosen und Schiffsleute im Hafen von Ostia oder als Arbeiter in Rom.
Schließlich mußten doch die Römer Rom erretten und beschützen, und all seine ferneren Pläne drängten ihn, seine Landsleute wieder an die Waffen zu gewöhnen.
Nun hatte aber Theoderich wohlweislich die Italier von dem Heer ausgeschlossen – nur Ausnahmen bei einzelnen als besonders zuverlässig Erachteten wurden gemacht – und in den unruhigen letzten Zeiten seines Regiments während des Prozesses gegen Boëthius ein Gebot allgemeiner Entwaffnung der Römer erlassen.
Letzteres war freilich nie streng durchgeführt worden: aber Cethegus konnte doch nicht hoffen, die Regentin werde ihm erlauben, gegen den entschiedenen Willen ihres großen Vaters und gegen das offenbare Interesse der Goten eine irgendwie bedeutende Streitmacht aus Italiern zu bilden.
Er begnügte sich, ihr vorzustellen, daß sie durch ein ganz unschädliches Zugeständnis sich das Verdienst erwirken könne, jene gehässige Maßregel Theoderichs in edlem Vertrauen aufgehoben zu haben, und schlug ihr vor, ihm zu gestatten, nur zweitausend Mann aus der römischen Bürgerschaft als Schutzwache Roms auszurüsten, einüben und immer unter den Waffen gegenwärtig halten zu dürfen: die Römer würden ihr schon für diesen Schein, daß die ewige Stadt nicht von Barbaren allein gehütet werde, unendlich dankbar sein. Amalaswintha, begeistert für Rom und nach der Liebe der Römer als ihrem schönsten Ziele trachtend, gab ihre Einwilligung, und Cethegus fing an, seine «Landwehr», wie wir sagen würden, zu bilden. Er rief in einer wie Trompetenschall klingenden Proklamation «die Söhne der Scipionen zu den alten Waffen zurück», er bestellte die jungen Adligen der Katakomben zu «römischen Rittern» und «Kriegstribunen», er verhieß jedem Römer, der sich freiwillig meldete, aus seiner Tasche Verdoppelung des von der Fürstin bestimmten Soldes, er hob aus den Tausenden, die sich darauf herbeidrängten, die Tauglichsten aus; er rüstete die Ärmeren aus, schenkte denen, die sich besonders auszeichneten im Dienst, gallische Helme und spanische Schwerter aus seinen eigenen Sammlungen und – was das wichtigste – er entließ regelmäßig sobald als möglich die hinlänglich Eingeübten mit Belassung ihrer Waffen und hob neue Mannschaften aus, so daß, obwohl in jedem Augenblick nur die von Amalaswintha gestattete Zahl im Dienst stand, doch in kurzer Frist viele Tausende bewaffnete und waffengeübte Römer zu Verfügung ihres vergötterten Führers standen.
Während so Cethegus an seiner künftigen Residenz baute und seine künftigen Prätorianer heranbildete, vertröstete er den Eifer seiner Mitverschworenen, die unablässig zum Losschlagen drängten, auf den Zeitpunkt der Vollendung jener Vorbereitungen, den er natürlich allein bestimmen konnte. Zugleich unterhielt er eifrigen Verkehr mit Byzanz. Dort mußte er sich einer Hilfe versichern, die einerseits in jedem Augenblick, da er sie rief, auf dem Kampfplatz erscheinen könnte, die aber anderseits auch nicht, ehe er sie rief, auf eigne Faust oder mit einer Stärke erschiene, die nicht leicht wieder zu entfernen wäre.
Er wünschte von Byzanz einen guten Feldherrn, der aber kein großer Staatsmann sein durfte, mit einem Heere, stark genug, die Italier zu unterstützen, nicht stark genug, ohne sie siegen oder gegen ihren Willen im Lande bleiben zu können. Wir werden in der Folge sehen, wie in dieser Hinsicht vieles nach Wunsch, aber auch ebenso vieles sehr gegen den Wunsch des Präfekten sich gestaltete. Daneben war gegenüber den Goten, die zur Zeit noch unangefochten im Besitz der Beute standen, um die Cethegus bereits im Geiste mit dem Kaiser haderte, sein Streben dahin gerichtet, sie in argloser Sicherheit zu wiegen, in Parteiungen zu spalten und eine schwache Regierung an ihrer Spitze zu erhalten.
Das erste war nicht schwer. Denn die starken Germanen verachteten in barbarischem Hochmut alle offenen und geheimen Feinde. Wir haben gesehen, wie schwer selbst der sonst scharfblickende, helle Kopf eines Jünglings wie Totila von der Nähe einer Gefahr zu überzeugen war: und die trotzige Sicherheit eines Hildebad drückte recht eigentlich die allgemeine Stimmung der Goten aus. Auch an Parteiungen fehlte es nicht in diesem Volk.
Da wären die stolzen Adelsgeschlechter, die Balten mit ihren weitverzweigten Sippen, an ihrer Spitze die drei Herzoge Thulun, Ibba und Pitza: die reichbegüterten Wölsungen unter den Brüdern Herzog Guntharis von Tuscien und Graf Arahad von Asta und andere mehr, die alle den Amalern an Glanz der Ahnen wenig nachgaben und eifersüchtig ihre Stellung dicht neben dem Throne bewachten.
Da waren viele, welche die Vormundschaft eines Weibes, die Herrschaft eines Knaben nur mit Unwillen trugen, die gern, nach dem alten Recht des Volkes, das Königshaus umgangen und einen der erprobten Helden der Nation auf den Schild erhoben hätten. Anderseits zählten auch die Amaler blind ergebene Anhänger, die solche Gesinnung als Treubruch verabscheuten. Endlich teilte sich das ganze Volk in eine rauhere Partei, die, längst unzufrieden mit der Milde, die Theoderich und seine Tochter den Welschen bewiesen, gern nunmehr nachgeholt hätten, was, wie sie meinten, bei der Eroberung des Landes versäumt worden, und die Italier für ihren heimlichen Haß mit offener Gewalt zu strafen begehrten. Viel kleiner natürlich war die Zahl der sanfter und edler Gesinnten, die, wie Theoderich selbst, empfänglich für die höhere Bildung der Unterworfenen, sich und ihr Volk zu dieser emporzuheben strebten. Das Haupt dieser Partei war die Königin.
Diese Frau nun suchte Cethegus im Besitz der Macht zu erhalten: denn sie, diese weibliche, schwache, geteilte Herrschaft, verhieß, die Kraft des Volkes zu lähmen, die Parteiung und Unzufriedenheit dauernd zu machen. Ihre Richtung schloß jedes Erstarken des gotischen Nationalgefühls aus. Er bebte vor dem Gedanken, einen gewaltigen Mann die Kraft dieses Volkes gewaltig zusammenfassen zu sehen.
Und manchmal machten ihn schon die Züge von Hoheit, die sich in diesem Weibe zeigten, mehr noch die feurigen Funken verhaltener Glut, die zu Zeiten aus Athalarichs tiefer Seele aufsprühten, ernstlich besorgt. Sollten Mutter und Sohn solche Spuren öfter verraten, dann freilich mußte er beide ebenso eifrig stürzen wie er bisher ihre Regierung gehalten hatte. Einstweilen aber freute er sich noch der unbedingten Herrschaft, die er über die Seele Amalaswinthens gewonnen. Dies war ihm bald gelungen. Nicht nur, weil er mit großer Feinheit ihre Neigung zu gelehrten Gesprächen ausbeutete, in welchen er von dem, wie es schien, ihm überall überlegenen Wissen der Fürstin so häufig überwunden wurde, daß Cassiodor, der oft Zeuge ihrer Disputationen war, nicht umhin konnte, zu bedauern, wie dies einst glänzende Ingenium durch Mangel an gelehrter Übung etwas eingerostet sei.
Der vollendete Menschenerforscher hatte das stolze Weib noch viel tiefer getroffen. Ihrem großen Vater war kein Sohn, war nur diese Tochter beschieden: der Wunsch nach einem männlichen Erben seiner schweren Krone war oft aus des Königs, oft aus des Volkes Munde schon in ihren Kinderjahren an ihr Ohr gedrungen. Es empörte das hochbegabte Mädchen, daß man es lediglich um ihres Geschlechtes willen zurücksetzte hinter einem möglichen Bruder, der, wie selbstverständlich, der Herrschaft würdiger und fähiger sein würde. So weinte sie als Kind oft bittere Tränen, daß sie kein Knabe war.
Als sie herangewachsen, hörte sie natürlich nur noch von ihrem Vater jenen kränkenden Wunsch: jeder andre Mund am Hofe pries die wunderbaren Anlagen, den männlichen Geist, den männlichen Mut der glänzenden Fürstin. Und das waren nicht Schmeicheleien: Amalaswintha war in der Tat in jeder Hinsicht ein außergewöhnliches Geschöpf: die Kraft ihres Denkens und ihres Wollens, aber auch ihre Herrschsucht und kalte Schroffheit überschritten weit die Schranken, in welchen sich holde Weiblichkeit bewegt. Das Bewußtsein, daß mit ihrer Hand zugleich die höchste Stellung im Reich, vielleicht die Krone selbst, würde vergeben werden, machte sie eben auch nicht bescheidener: und ihre tiefste, mächtigste Empfindung war jetzt nicht mehr Wunsch, Mann zu sein, sondern die Überzeugung, daß sie, das Weib, allen Aufgaben des Lebens und des Regierens so gut wie der begabteste Mann, besser als die meisten Männer, gewachsen, daß sie berufen sei, das allgemeine Vorurteil von der geistigen Unebenbürtigkeit ihres Geschlechts glänzend zu widerlegen.
Die Ehe des kalten Weibes mit Eutharich, einem Amaler aus andrer Linie, einem Mann von hohen Anlagen des Geistes und reichem Gemüt, war kurz: Eutharich erlag nach wenigen Jahren einem tiefen Leiden – und wenig glücklich. Nur mit Widerstreben hatte sie sich ihrem Gatten gebeugt. Als Witwe atmete sie stolz auf. Sie brannte vor Ehrgeiz, dereinst als Vormünderin ihres Knaben, als Regentin jene ihre Lieblingsidee zu bewähren: sie wollte so regieren, daß die stolzesten Männer ihre Überlegenheit sollten einräumen müssen. Wir haben gesehen, wie die Erwartung der Herrschaft diese kalte Seele sogar den Tod ihres großen Vaters ziemlich ruhig hatte ertragen lassen.
Sie übernahm das Regiment mit höchstem Eifer, mit unermüdlicher Tätigkeit. Sie wollte alles selbst, alles allein tun. Sie schob ungeduldig den greisen Cassiodor zur Seite, der ihrem Geist nicht rasch und kräftig genug Schritt hielt. Keines Mannes Rat und Hilfe wollte sie dulden.
Eifersüchtig wachte sie über ihre Alleinherrlichkeit. Und nur einem ihrer Beamten lieh sie gern und häufig das Ohr: demjenigen, der ihr oft und laut die männliche Selbständigkeit ihres Geistes pries und noch öfter dieselbe still zu bewundern, der den Gedanken, sie beherrschen zu wollen, gar nie wagen zu können schien: sie traute nur Cethegus. Denn dieser zeigte ja nur den einen Ehrgeiz, alle Gedanken und Pläne der Königin mit eifriger Sorge durchzuführen. Nie trat er, wie Cassiodor oder gar die Häupter der gotischen Partei, ihren Lieblingsbestrebungen entgegen; er unterstützte sie darin: er half ihr, sich mit Römern und Griechen umgeben, den jungen König möglichst von der Teilnahme am Regiment auszuschließen, die alten gotischen Freunde ihres Vaters, die, im Bewußtsein ihrer Verdienste und nach alter Gewohnheit, sich manches freie und derbe Wort des Tadels erlaubten, als rohe Barbaren allmählich vom Hof zu entfernen, die Gelder, die für Kriegsschiffe, Rosse, Ausrüstung der gotischen Heere bestimmt waren, für Wissenschaften und Künste oder auch für die Verschönerung, Erhaltung und Sicherung Roms zu verwenden: kurz, er war ihr behilflich in allem, was sie ihrem Volk entfremden, ihre Regierung verhaßt und ihr Reich wehrlos machen konnte. Und hatte er selbst einen Plan, immer wußte er seine Verhandlungen mit der Fürstin so zu wenden, daß sich diese für die Urheberin ansehen mußte und ihn zu dem Vollzug seiner geheimsten Wünsche als ihrer Aufträge befehligte.