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Sowie Baldur hoch genug am Himmel empor gefahren war, um Haralds und Frodhi's Land überschauen zu können, blickte er treu besorgt dahin. Befriedigt sprach er dann: »Eben hat Scharfauge Großauge abgelöst. Scharfauge wacht, Großauge schläft jetzt: gute Wächter sind beide.«
Die Götter hatten nämlich nicht vergessen, daß nunmehr, da der Vertrag gelöst war, die Riesen nichts mehr abhielt, die Menschen zu befehden.
Und war da sehr zu besorgen, daß sie vor Allen gegen Harald und Hilde würden wüthen.
Den Göttern aber war das Recht wieder erwachsen, die Menschen zu schützen: und so hatte Odhin gleich nach der Schlacht mit den Riesen Adler und Eule Auftrag gegeben, jenem, bei Tag, dieser bei Nacht abwechselnd Wache zu halten über Harald's Halle in Frodhisland, horstend in einer hohen Eiche, welche neben dem Hause stand.
Nahende Gefahr sollten sie melden mit schrillem Schrei, der bis zu Heimdall dringe an die Regenbogenbrücke und rasch die Götter zum Schutze herbeirufe.
Die Eiche tränkte ihre knorrigen Wurzeln in einem klaren Quell, um deß willen wohl weiland ein Ahn – wie der unsere auf Island – gerade hier die Eckpfeiler der Halle in die Erde gesenkt hatte.
Unter der Eiche aber, so früh es am Tag war, stand schon Harald und zimmerte mit eigner Hand, obwohl er ein König war, aus abgehaunen Aesten der Eiche an einer Wiege.
Neben ihm saß Hilde auf der um den Stamm laufenden Bank, sah ihm zu und summte, abwechselnd mit ihm, leisen Gesang: »Wölbe dich. Wiege, sprach Harald unter der Arbeit, werde, du weiche, aus heiligem Holze der uralten Eiche: Frodhi früher und Frodhi's Vätern gab dein gablig Geäst willig die Wiege. Und es klettre der kluge Knabe künftig geschickt in den schwankenden Aesten der Eiche.«
Hilde fiel ein: »Weicher wohl wiegt als die wölbende Wiege den Knaben das Knie der Mutter, so mein' ich.« – Harald fuhr fort: »Schaukelnde Schiffe, rennende Rosse werden einst wiegen rauher den Recken.« – Da schlossen die beiden Gatten zusammen sprechend: »Sei dann so sicher von günstigen Göttern vor Harm behütet der Held, wie da den Säugling sicherten in geweihter Wiege ängstlich die Aeltern.«
Da trieb Baldur das Roß durch das Goldgewölk, welches den Wagen umgab: der volle Strom des Sonnenlichts fiel grüßend auf das Par: »Gewährt wird der Wunsch, rief Harald freudig. Das Wort wird wahr, das die Sonne gesegnet!«
Viele starke Söhne, viele schöne Töchter sproßten von Harald und Hilde. Eine Sippe im Nordland, in Raumariki, führt noch heute den Ahnenbaum auf Harald Halfdanssohn zurück: die Reginhers: und deren Hauptstamm ist uns alt verschwägert, aber ausgewandert aus Nordland nach Mittag: zuerst zu den Sachsmännern und jetzt wohnen sie auf Borkum, der Frieseninsel. –
Baldur aber gedachte weiter fahrend der düstern Gedanken Odhins: wie das Schicksal über dem Willen der Götter stehe, die Götter selbst vielleicht vergehen. – Und diese Menschenseelen, die so freudig der Hilfe der Götter vertrauen!
Zumal aber mußte er immer wieder denken an den unlösbaren Zusammenhang, die Verknüpfung von Odhin's mit Loki's Leben.
Dies dunkle Geheimniß lag ihm schwer auf der Seele.
Und fand er bei allem Nachsinnen keinen andern Gedanken als den: häßlich der Haß, verderblich die Feindschaft, die entbrannt zwischen beiden – verderblich vielleicht auch für Odhin.
Denn Riesenreich war kaum zu vernichten, ohne der Riesen neu gekornen König mit zu treffen – und hing nicht Odhin's an Loki's Geschick, wie umgekehrt?
»Aber – so schloß er sein Sinnen, – seh' ich auch nicht durch das Dunkel dieses Schicksalspruches –: Eins seh' ich klar: grauenvoll ist Groll zwischen Vater und Sohn: häßlich in sich selbst, hehlte er auch nicht andern Harm.
Ich will seh'n, ob ich nicht sie versöhne.
Herrlich ist das Herz Allvaters – das suche der Sohn mit aufrichtiger Reue – dann wird es erweichen. –
Und es bringe der Bruder den Bruder dem Vater zurück!
Wo mag Loki wohl lauern? Ob die Erde ihn aufsog in den innersten Abgrund? –
Man rühmt, lächelte er, über alle Reiche blitze mein Blick: so laß mich lugen nach Loki! –
Ihr aber, schnellschwingige Schwalben, schwirrende Schwätzer, Baldurs behende Boten, die ihr freudig flattert vor meinem Gefährt – helft mir ihn holen.«
Und nicht lange hatte Baldur zu suchen, Loki zu finden.
Seit er Nanna gesprochen, dürstete dieser, Baldur zu treffen.
In eines sausenden Schweifsterns Gestalt war er von Breidhabliks Schwelle hinab geschossen auf die Erde.
Er kam an, als die verfolgten Riesen nordwärts über Meer geflohen auf dieses Eiland.
Am Fuße des Feuerbergs lagerten sie nun.
Das noch zum Theil gefrorene Meer hatten sie in Eisschollen zertreten und auf diesen ungefügen Fahrzeugen mit ihren langen Stangen stoßend den Meerarm durchsteuert: Bläster der Sturmriese, als der Letzte fahrend, blies ihnen günstigen Süd-Ostwind in den Rücken.
Hier trat Loki plötzlich unter sie und sprach:
»Verzaget nicht, ob ihr auch jetzt auf das äußerste Ende, diese arme Ecke der Welt gewichen vor Uebergewalt.
Ihr kort mich zum König: – mit Worten nicht will ich – mit Waffen euch danken.
Nichts Beßres zu bieten hat der Führer den Freunden als würdigre Waffen, stärkere, als die Stangen und Steine, die bisher ihr hobet, die Feinde zu fällen.
Schaut, was ich schimmernd schuf, was ich schenke: seit wechselnden Wintern wirk' ich Waffen und Wehr. Faßt sie, ihr Freunde – denn Euer ist Alles:
Rüste dich, Riesenreich.«
Und er bückte sich zur Erde und strich mit dem Finger über den Steinboden hin, der ganz bedeckt war von Trümmern, welche der Feuerberg seit Jahrhunderten ausgeworfen.
Dumpfes Grollen und Krachen scholl von Unten: die Erde spaltete sich plötzlich, wo der Feuergott den Strich mit dem Zeigefinger gezogen, und in der Höhle, die sich nun aufthat, sahen die Riesen mit freudigem Staunen Waffen, Waffen ohne Zahl, aus Erz und aus Eisen schimmernd geschmiedet: Helme und Harnische, Schuppen und Schilde, lange Lanzen, schwere Schwerter und hauende Hämmer.
Sie vergaßen ihre Wunden, ihre Müde und stürzten mit wildem Jubel auf die Waffen, welche von den leise aus der Erde züngelnden Flammen funkelnd beleuchtet wurden.
Stolz und befriedigt übersah Loki die nun neu Gewaffneten: »geht jetzt, ihr Guten, eurer Wunden zu warten, durch Schlaf euch zu stärken hier auf dem Eiland oder in der Heimat. Ich habe für mich noch eine Waffe zu vollenden: einen spitzen Speer, daß er würdig des Werfers werde – und des zu Wundenden.«
Wohlmeinend warnte Surtur, der eine arge Wunde von Odhin's Speer im Arme trug: »Kühn bist du, König, daß du allein hier ausharrst. Weh, wenn dich von Walhall die Sieger ersehen – Alles ist offen vor Baldurs Blick – und wenn alle die Asen auf dich Einen, Einsamen fallen, die vielen Feinde.«
Lachend die Locken schüttelte Loki: »Laß sie kommen, die Klaren. Als Wohnung mir weiß ich, als edelstes Obdach, zündende Zuflucht: keiner noch kam in dieses Felsens Feuer gefahren: es athmet drinnen nur Einer: Laß sehn, ob die Sieger mich suchen in flammendem Feuer.
Eilet, ihr Alle, schnell zu verschwinden. Schon ahn' ich im Osten duftiges Dämmern, ein leises Leuchten. Bald bringt Baldur den Tag.«
Rasch zerstreuten sich die Riesen in Klüfte und Höhlen; die Wasserriesen tauchten in die See, Andere schifften wieder auf Eisschollen festlandwärts.
Denn jetzt fuhr als der letzte, hinter ihnen, in ihre als Segel ausgespannten Mäntel blasend, Nordhanvedhr, der Nordsturmriese.
Loki aber eilte in wenigen Sprüngen über Sandgeschiebe und über den Grus des mürben Gletscherschnees von dem Fuße auf den Gipfel des Feuerbergs: hier, in dessen zweigipfliger Kuppe, wo unablässig Feuer aufstieg und wo die Einfahrt in die Tiefe mündete, hier hatte er seine Werkstätte eingerichtet: und brauchte er da das Feuer nie frisch zu schüren, nur vielmehr zu dämpfen, daß es nicht allzu wild empor prassele.
Geheimnißvoll hatte er hier viele Jahre geschafft: die Rauchwolke, welche meist über dem Gipfel des Berges schwebt, hatte ihn verhüllt.
Oben angelangt fuhr er lachend ein: so tief in den Schos der Erde, als sich über dieser der Berg erhebt: es freute ihn, durch züngelnde Flammen zu fahren, durch quirlenden Qualm: Kein Anderer außer ihm hatte je geathmet in dem glühenden Berg: aber ihm ward hier wohl. –
So sagt ein Spruch: »Fluth liebt der Fisch, Lohe Loki, Einsamkeit Odhin.«
Alsbald – eben war Baldurs Wagen voll sichtbar geworden, empor tauchend über den Rändern von Midhgardh – fuhr Loki wieder zu Tage, in der Linken einen eschenen Speerschaft, an dem er eine scharfe dreieckige Spitze von Feuerstein befestigt hatte: in der Rechten trug er Hammer, Meißel und Feile.
Er warf einen Blick auf den immer höher klimmenden Sonnenwagen.
Baldur allein stand darin: die Asen hatten nichts gemerkt von der nächtigen Waffnung der Riesen.
Rings war alles friedlich: nichts regte sich an Asgardhs Thoren.
»Ja, ja, lächelte Loki in seinen rothen Bart, ihr taget, ihr taghellen Tapfern: wir nächtigen im Nebel, wir rohen Riesen. Laß sehn, wer sichrer, besser berathen. –
Schon oft hat der geheime Beschluß der raschen Nacht des allzuvertrauenden Tages behäbige Weisheit überrascht.
Der Tag schafft: – die Nacht vernichtet: – was geht rascher von der Hand?
Erz oder Eisen begehrst du? sprach er zu dem schlanken Wurfspeerschaft in seiner Hand, ihn streichelnd. Sei nicht so vornehm!
Wer weiß, ob nicht Völundr, der Schmidt, alles Erz und Eisen vereidigt hat, nicht den Sohn zu versehren.
Stärker ist Stein als Erz und als Eisen!
Feuerstein fand ich furchtbar gefährlich: zackig zerreißt er wilder die Wunden als Eisen und Erz – mein alter Vetter und Freund.«
Und er setzte sich oben auf dem Berg auf den einen der beiden Felsgipfel und hämmerte, meisselte und feilte auf das Emsigste, die schon sehr scharfe Spitze des Steines noch schärfer, spitzer, bohrender zu arbeiten, gleich scharf schneidend auf beiden Seiten. –
Während er so feilte, kam die erste Schwalbe, von Baldur entsendet, geflogen, setzte sich auf eine Felsecke, Loki gegenüber und wollte anheben, ihre Botschaft zu zwitschern: aber sie hatte den Gifthauch des Feuerschlundes eingesogen –: todt fiel sie nieder.
Loki hob sie am Fittig auf und schleuderte sie in den lohenden Schlund hinab: »Schwebe, Schwalbe, geschwind in die Höhlungen Hels. Bestelle die Stätte! Flugs folgt dein Herr hinterher.«
Da kam die zweite Schwalbe geflogen in hohem Bogen: zutraulich setzte sie sich auf Loki's Schulter – da war sie sicher – und sang: »Ich schwirrende Schwalbe, Baldurs Botin, bringe vom Bruder dir Grüße der Güte. Mit Loki verlangt ihn Worte zu wechseln.«
Loki, rasch die Schulter empor schnellend, verscheuchte das Vögelein: er sprach, während es erschrocken, verschüchtert, sein Haupt umflatterte: »Verlangt ihn nach Loki, sage dem Sanften, so soll er ihn suchen.
Meine Wohnung heißt Weh: Einöde mein Obdach, Schmach meine Schwelle.
So richten gerechte, gütige Götter.
Geächtet von Odhin mag jeder mich morden –: aber ich auch, der Aechter, mag wölfisch mich wehren.
Verlangt ihn nach Loki, so soll er ihn suchen – es suchte sich mancher schon selber Versehrung.«
Und ohne aufzublicken hämmerte er weiter an der Spitze des Speers.
Aengstlich, hastig flog die Schwalbe zurück zu dem Sonnenwagen, meldete die Antwort und fügte bei: »Geh nicht zu dem Grausen! Uebel ist sein Auge. Vöglein verstehen, auf Augen zu achten.«
»Willst du mich warnen, winziger Wächter?« lächelte Baldur und stieß in sein goldenes Hifthorn.
Alsbald kam Skirnir im Falkenhemde durch die Lüfte geflogen und stieg in den Wagen, der gerade für zwei Lenker Raum hat.
Baldur übergab ihm die Zügel und schoß rasch wie ein Sonnenstrahl nach West-Nord-West – Skirnir blickte ihm nach und sah ihn landen auf Island.
Bald stand Baldur neben Loki.
Dieser, das Haupt niedergebeugt auf seine Arbeit, schien des Ankömmlings gar nicht zu achten: nur leise zuckte er den Speer empor – aber gleich wieder schliff er an dem Stein.
»Ich grüße dich, Bruder!« hob Baldur an. »Aus Walhall kann man dich weisen, nicht aus Baldurs Brust.«
(Das war ein Bruder! Obzwar nur ein Stiefbruder!)
»Denke nicht, daß ich dir danke.«
»Am Ende der Erde, im Winkel der Welt weilest du, Wildling. Und doch wäre Walhall deine würdige Wohnung.«
»Hier bin ich der Erste. Lieber Herrscher in Hel als hörig im Himmel.«
»Hörig! Du bist Odhin's Sohn wie ich.«
»Das eben ist's! Du bist Baldur, ›der Beste!‹ Der Erste nach Odhin, sein Edel Erbe. Was war Loki in Walhall!«
»Ein Gott unter Göttern.«
»Ein Knecht unter Knechten!« rief Loki und schlug heftig mit dem Hammer einen Steinsplitter ab. »Mit Baldur beräth der breitstirnige Gott: zu Baldur beugt er das hohe Haupt: mit ihm raunt er Runen! Fast wie ein Feind erfuhr Loki, zuletzt, was jenem launisch beliebte.«
»Vertrugst du sein Vertrauen? Verdientest du seinen Dank? Oft ihm entgegen arbeitetest du.«
Laut lachte da Loki: »Wie sollte ich wohl wissen, was sein weiser Wille? Nicht meiner Treue vertraute er ihn.«
»Im Kreise krümmen sich Wort uns um Wort. Sprich, willst du wieder wohnen in Walhall? Aus Liebe zu Loki frag' ich das freundlich.«
Da hielt der Geächtete inne in seiner Arbeit und warf den ersten Blick auf seinen Gast –: einen blitzenden Blick: »Laut lachen muß Loki!« – aber er lachte nicht – »Liebe zu Loki! Angst um Odhin, Sorge versehrt dich. Dir bangt nicht um den Bruder: – für den Vater fürchtest du.«
»Ich bange um beide.«
»Für den Vater fürchte! rief der Zornige drohend. Denn wisse und wahre das Wort: Loki erlegt nur Odhin's Arm. Und Odhin stirbt in der Stunde, da Loki erlag.«
Baldur erbleichte: »Odhin erliegen! stammelte er. Sterben – der Stärkste!«
»Gelt, Goldkopf, dir graut? Ja, auch die Götter vergehen! Und neidlose Nornen legten dem Loki, sich erbarmend des Bastards, der alles entbehret, dies Wort in die Wiege.«
Baldur erbebte – Grauen ergriff ihn.
Er wankte.
Gern hätte er das Wort als eitle Drohung verachtet –: aber unnennbare Angst, ahnungsvolle, zog ihm die Kehle zusammen.
Denn er gedachte des zweifelhaften Runenräthsels, das ihm der Vater vertraut: – dies schien der schreckliche Schlüssel.
Er schwieg lange.
Man hörte nur Loki's Feile raspeln an dem Feuerstein. Funken stoben viele, feurige, schlug er mit dem Hammer darauf.
Sonst war Alles öde, einsam, todtenstill auf der ragenden Bergkuppe.
Nur manchmal flog heißer Gischt oder ein glühender Stein aus dem Schlund und fiel zischend, verlöschend, auf die Eis- und Schneefelder ringsum.
Sonst Alles still.
Endlich begann Baldur: »Greulich den Guten ist Groll zwischen Vater und Sohn.
Die Sterne verhüllen ihr leuchtendes Antlitz vor solchem Frevel. –
Wieder nach Walhall Loki zu laden ist Baldur bemüht.
Wenig, du weißt es, weigert Odhin meiner brünstigen Bitte«.
»Ich weiß es!« antwortete Loki bitter.
»Du müßtest den Schwur schwören, Treue zu tragen den Asen und Odhin.«
Loki prüfte mit dem Auge, dann mit dem Finger der linken Hand die Spitze des Speers. Nicht gleich floß Blut aus dem Finger – erst als er stärker die Spitze eindrückte.
»Noch nicht!« sagte er, kopfschüttelnd, und griff wieder zur Feile.
Baldur aber fuhr dringender fort: »Was forderst du dafür Frieden, unverbrüchlichen, Odhin zu eiden?«
Da sprang Loki plötzlich auf: das Handwerkszeug fiel klirrend zur Erde, nur den Speer hielt er in der Hand: »Räume mir, rief er, das Reich!«
»Was will dies Wort?«
»Räume mir zuvörderst den Raum an der rechten Reihe, zu engst an Odhin, auf den blanken Bänken der gastenden Götter. Mir gebührt, nicht Baldur, auf der Bank die erste der Ehren –: ich bin der Aeltere.«
Nachdenklich sprach Baldur vor sich hin, wie mit sich selber berathend:
»Nicht leicht wird mich lassen Odhin vom altgewohnten Ort. Er neigt so gern nahe das hohe Haupt uns beiden Brüdern, bald zu Thor, dem getreuen – doch noch öfter zu mir.« – –
Loki's Hand zuckte am Speer: »Ruhmrede ist dir nicht rathsam!« drohte er leise. Und er riß sich ein Haar aus dem Bart und zog es, nur wenig angestrafft, an der Schneide des Speersteins –: glatt durchschnitten hielt er's in Händen.
»Nun,« sprach er, liebkosend mit der Hand über das tödtliche Dreieck streichend, »nun nenn' ich dich niedlich und nütz, du Nadel der Nornen.«
Baldur aber hatte weiter gesonnen: »Doch ich denke, fuhr er bedächtig fort, – viel um den Frieden opfert Odhin. – Und auf Thor, den Getreuen, noch lehnt seine Linke – – . Besser, o Bruder, fänd' ich es freilich, du trachtetest thätig nicht nach dem ersten Orte der Ehre, dem prangenden Platz der gastenden Götter, sondern es suchte mit Sehnen der Sohn den ersten Ort in dem heiligen Herzen des Vaters zu finden.«
Warm, tief, treu war der Klang dieser Worte.
Da warf Loki überrascht einen Blick des Staunens, dann des Mißtrauens auf Baldur: als er aber dessen Auge warm und weich leuchten sah, da zuckte es seltsam durch Loki's Züge.
Er zitterte leise: eine wunderbare Wandlung schien ihn anzukommen.
»Wär' es noch möglich, Alles zu wenden?« hauchte er leise vor sich hin. – Dann stellte er, mit rasch entschlossener Bewegung, den Speer weit von sich weg an die Felswand, trat einen Schritt näher auf Baldur zu und flüsterte mit leiser, an innerem Weh erstickender Stimme: »Wenig Witz wohnt in dir. Weißer, weißt du noch nicht, daß mein Haß gegen den Hohen nur –: verlorene Liebe. – Ehrt mich Odhin, giebt er mir Gunst, hält er im Herzen mich hoch – so wird Loki ihn lieben, lodernder als der blasse Baldur, treuer als Thor – und ihm der Mutter Zähren verzeihen. Aber der Erste bin ich überall, wo immer ich bin –: nie, gezwungen, der zweite: – auch nicht im Herzen des Vaters.«
Mißbilligend, staunend sprach Baldur: »Loki, Liebe ist frei. Was zwänge Odhin mit Zwang?«
Da trat Loki ganz dicht an ihn heran und, nachdem er sich scheu, auch dieser Einsamkeit mißtrauend, umgesehen, lispelte er leise in sein Ohr: »Zauber!«
Empört trat Baldur einen Schritt zurück: aber Loki in dem heißen Drang seines Herzens verstand dies nicht – er folgte ihm eifrig nach und flüsterte weiter: – »Sieh her« – und hastig, mit zitternder Hand, holte er aus seinem Brustlatz ein kleines Büchschen von rothem gehöhltem Stein –: »Gewürz und Wurzeln kochte ich künstlich: – nein – nein! Bange nicht um sein Leben! – seine Liebe begehr' ich heißer als die Flamme die Luft. Seinen Tod nur, weil er Liebe versagt. – Wohlan, erwahre das Wort, daß du Loki liebest. – Alle Abend beutst du den Becher gefüllt dein Vater –: Wohlan – träufle ihm heut' Abend diese Tropfen in den Trank, lisple dazu »Loki« – und Loki ist sein Liebling!«
Aber unwillig riß Baldur ihm das Gefäß aus der Hand und schleuderte es auf den Fels-Boden, daß es zersprang: statt Tropfen sprühten Funken heraus.
»Niemals, du Neiding! rief er entrüstet. Durch Zauber bezwingen das heiligste Herz! Liebe erlisten! Schändlich und scheußlich!« –
Loki war vor Zorn blaß geworden – das ist das gefährlichste Zeichen im Zorn.
»Hab' ich dich, Heuchler? schrie er. Dir bangt nicht um den Bruder – auch für den Vater nicht fürchtest du: – nur herrschen willst du in Herzen und Hallen!« –
Und er trat weit zurück an den Fels.
»Lästernder Lügner! erwiderte Baldur. Niedrigen Neid nur ahnst du in Andern, wie er selbst dich versehet. Thörig traute ich deinen Drohungen, falsche Furcht um den Vater befiel mich. Wie kann, was so klein, an so Ragendes reichen! Und ist's doch undenkbar, daß Götter vergehen! Ewig ist Odhin! Unsterblich sind wir Alle, wir Asen!«
»Glück zu dem Glauben! – – – Wende dich westlich –: dort winkt dir ein Weib. Ist's nicht Nanna, die naht?«
Und Baldur wandte sich westwärts, Loki den Rücken kehrend.
Wirklich sah er von dort auf einer Wolke Nanna in Eile heranfliegen, die Arme erhebend mit ängstlichster Gebärde.
Es war sein letzter Blick – bis auf einen. –
Denn ehe er sich wandte, warf ihm Loki den Speer so stark in den Nacken, daß die Spitze vorn an der Kehle heraus drang.
Lautlos fiel er auf das Antlitz nieder.
»Glaubst du's jetzt, daß auch Götter sterben? Da liegt der Erste.«
Und blitzschnell fuhr er in den Feuerberg hinab.
Hoch auf schlug flammend daraus die Lohe.
Aber Baldur war noch nicht todt: nur auf den Tod getroffen.
Nanna hatte den Speer fliegen, den Gatten fallen sehn.
Mit einem grellen Schrei warf sie sich nach vorwärts von der Wolke herab auf den Berg: – ihre Hände berührten noch Baldur's Haupt –: ihr fluchendes Haar flog ihm über den Nacken.
Aber sie war todt.
Und todt mit ihr war Baldurs Erbe.