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Von dem Tag an, der mit Rullas Absage begonnen und mit dem Sturz auf den Markstein geendet hatte, war die Königin Fredigundis tief verändert; sie fühlte das selbst, wie ihre Umgebung. Aber, worin das Wesen dieser Wandlung lag, das wußte weder sie zu sagen, noch ein anderer.
Und äußerlich, in ihren Handlungen, war auch keine Änderung wahrzunehmen; vielmehr trat sie in ihrer rings bedrohten Lage mit der viel bewährten Kraft und Schlauheit auf. Aus ihrer Ohnmacht erwacht und nach Chelles zurückgekehrt, floh sie sofort mit ihrem Kinde nach Paris, wo sie in der Hauptkirche unter dem Schutze des Bischofs Ragnemod Asyl suchte. Die großen Schätze, die sie schon lange vorher für alle Fälle diesem ihrem Freund anvertraut hatte, ließ sie ebenfalls in die sichere Zufluchtsstätte schaffen. Der Leichnam König Chilperichs ward aus dem Wald abgeholt und feierlich in der Vincentiuskirche zu Paris bestattet.
Dann schrieb die Königin gar rührende Briefe an ihren Schwager Guntchramn zu Orléans, beteuerte, allen Plänen, mit welchen sich Egidius, Gundovald, – vielleicht sogar Chilperich! – wider ihn getragen, völlig fremd gewesen zu sein und rief flehentlich den Schutz des Königs für die Witwe und Waise seines Bruders an. Und der gutmütige Guntchramn ließ sich in der That bereden. Wenigstens des Knaben nahm er sich an, wozu freilich außer dem weichen Herzen noch anderes ihn drängte.
»Sehet,« sprach er zu seinen Bischöfen und Großen, »ich bin alt und grau; viele Söhne hatt' ich von meinen vielen Frauen und Freundinnen; nicht einer ist mir geblieben, wohl zur Strafe meiner Jugendsünden. So steht nach meinem Tode der Merowingen glorreiches Königshaus nur noch auf vier Augen: der Knabe Childibert und der Säugling Chlothachar sind allein noch übrig von dem einst so sprossenreichen Stamm des großen Chlodovech. Soll ich nicht meines einen Neffen hüten wie des andern? Wer weiß, welcher von beiden erhalten bleiben wird!« –
So versicherte er denn Fredigundis seines Schutzes; unbehelligt blieb sie in Paris.
Jahr und Tag waren hingegangen seit dem Tode König Chilperichs. Da saßen eines Abends in einem Gemach des Palatiums zu Metz drei Männer in ernstem Gespräch; neben Arnulf und Karl, die nun die hohen Ämter des Cancellarius und des Marschall bekleideten, auch beide als »Nutritores«, Erzieher des jungen Königs bestellt waren, saß ein Gast in bischöflichem Gewand von edeln, ernsten, schmerzgeweihten Zügen.
»Trinkt doch, ehrwürdiger Freund,« mahnte Karl, dem Gastfreund den Becher wieder füllend, »thut Bescheid: auf gut Gelingen Eurer Sendung.« »Die Heiligen,« sprach Arnulf, »mögen Euch beistehen.« »Amen,« sagte feierlich der dritte, die Hände zum Gebete faltend. – »Ja, Ihr werdet's brauchen können, Herr Bischof. So fürchterlich war sie noch nie,« – »Desto mehr drängt mein Auftrag.« »Ihr dürft – Ihr sollt uns diesen nicht vertrauen,« meinte Arnulf. »Aber da er gewiß das Gute will, geb' ich Euch wenig Hoffnung.« – »Gleichviel. Ein Gelübde.« – »Ich will froh sein, habt Ihr's erfüllt und lebendig die Schreckliche verlassen.« »O, Freund Arnulf,« schalt Karl, »hättest du mich gewähren lassen im Wald von Chelles! Wie vieles Unheil hätte ich verhütet!« »Erzählt, ihr Freunde,« bat der Fremde. »Deshalb allein weil ich, nach der hohen Frau Brunichildis, euch vor allen vertraue in diesem Reich – und weil ihr mehr als andere von ihr – der Königin Fredigundis – wisset, deshalb bin ich, vom Wege nach Paris abweichend, zuerst zu euch gereist; Frau Brunichildis wies mich hier an euch. Sie scheint nicht viel von den Thaten ihrer Feindin zu wissen.«
»O doch! Sie weiß alles. Aber sie meidet es, davon zu reden: sie nimmt jenen Namen, den gottverfluchten, nie in den Mund!« rief Karl.
Der Fremde seufzte.
»Fredigundis aber,« fuhr Arnulf fort, »man sagt, sie sei nicht mehr die Fredigundis von ehedem, seit dem Tage, da sie Chilperich erschlagen in dem Walde fand.« – »Sie soll oft gar seltsam reden und überall einen drohenden Engel oder Knaben sehen. Sie soll sich damals das Hirn verletzt haben.« – »Andere meinen, es sei das Herz. Sie finde seither oft nicht Atem, mitten in der Rede schwindle ihr und sie greife dann mit beiden Händen nach dem Herzen, daß das wildklopfende nicht springe.« – »Kein Wunder! Was hat das Weib gewagt und erreicht!« – »Es ist, als ob die Wut, zumal der Neid gegen unsere Herrin, ihr am Herzen nage wie ein böser Wurm, und sie aus wildem, heißem Schmerz zu wahnsinnigen Thaten treibe.« – »Wie damals, nach ihrer Söhne Tod . . . –« – »Nein, noch wutgrimmiger ist heute diese Natter. Die Witwentrauer wie die Mutterliebe wird bei ihr zur Mordgier.« – »Übt sie auch vermöge ihrer Schönheit, ihres Geistes, ihrer Schätze noch immer große Gewalt in Neustrien, – sie ist doch nicht Regentin, wie unsere Herrin.« – »Ja, eine Weile hatte sie König Guntchramn auf den einsamen Hof Thueil verwiesen, weil sie es in Paris gar zu arg trieb mit Ränken gegen die Regentschaft von Bischöfen und Großen, die der neustrische Reichstag eingesetzt hat. Das konnte sie nicht ertragen.« – »Eines Tages erschien bei uns in Metz ein Diakon; er sagte, er sei vor Fredigundens Zorn entflohen und bitte uns um Aufnahme. Frau Brunichildis nahm sich seiner an. Er gewann ihr Vertrauen.«
»Aber nicht das meinige,« rief Karl. »Nun kurz: ich fing den Dolchstoß auf, der sie am Altare der Kirche niederstrecken sollte.« – »Er gestand, – ohne Folter – Fredigundis habe ihn gesendet. Sie sei so traurig, habe sie gesagt, daß es, nun sie beide Witwen seien, der Gotin soviel besser gehe als ihr. Das könne sie nicht aushalten. Sie habe ihn genau unterwiesen, wie er's angreifen solle.« – »Weil's am Todestag Herrn Sigiberts war, befahl die edle Frau, ihn ungestraft zu entlassen.« – »Der Thor ging zu der Mörderin zurück und berichtete, daß es ihm mißglückt sei: sie ließ ihm die Hand und die Füße abhacken.«
Der Gast erschrak: »O Gott, vergieb ihr!«
»Nein, Gott!« eiferte Karl, »vergieb ihr nicht, wenn du noch gerecht heißen willst bei wackern Leuten. Kaum war der Plan gegen die Mutter gescheitert, da – unser junges Königlein, Herr Childibert, wächst munter heran – nun, Ihr habt ihn ja gesehen . . . –« – »Er macht den Nutritores Ehre.« – »Da schickte sie einen Mörder gegen den holden Knaben. – Ihr Chlothachar war erkrankt, ganz leicht: – an den Masern: aber sie konnte es nicht ertragen, sagte sie, daß ihr Kind leide, während das der »Gotin« fröhlich gedeihe.« – »Sie ließ zwei eiserne Messer schmieden, ritzte sie mit Zauberrunen und bestrich sie dick mit Gift.« – »Auf daß, wenn der Stoß die Lebensnerven nicht durchschnitt, doch das Gift in das Blut dringe und so töte.« – »Und wenn Eisen und Gift nicht töteten, sollte der Zauber töten.« – »Diese Messer übergab sie zwei Priestern . . .« – »Unmöglich!« zweifelte der Bischof.
»Ja, ja! Zumal Priester weiß sie zu berücken; sie sind gescheiter, gelehrter als andere; so lockt sie ihr Geist.« – »Und die verbotene Berauschung an ihrem Anblick reizt deren Sinne noch mehr als die der Laien.« – »So ist sie . . . noch immer so . . . schön?« – »Schöner als je.« »Jawohl! Nur ihr Blick hat etwas Starres, Unheimliches erhalten seit Chilperichs Tod,« meinte Arnulf. »Wie dem nun sei, gar manche ihrer Mordboten sind Priester.« – »Sie sprach zu diesen beiden: ›nehmet diese Skramasachse und eilet zu dem Knaben, der den König spielt.‹« – »›Hüllet euch in Bettlergewand, Krücken nehme der eine, blind stelle sich der andere. Und – denn er soll thöricht mild sein gegen Arme, Krüppel und Sieche – werft euch ihm zu Füßen, wann er zur Kirche geht, vor den Thoren der Basilika auf der obersten Stufe, wo ja die Bettler sitzen, und heischet Almosen.‹« – »›Und beugt er sich zu euch nieder, euch zu geben, so durchstoßet ihm beide die Seiten, hier, unter den Rippen.‹« – »›Auf daß die Gotin, die auf ihn ihren Hochmut stützt, durch seinen Fall mitfalle und noch viel elender als ich werde, des Erben darbend wie des Gatten.‹« – »›Wird aber so ängstlich Wache gehalten um den Knaben, daß ihr an ihn nicht gelangen könnt, – die Nutritores sollen scharf ihn hüten, – so trefft doch mindestens sie selber, die Gotin.‹« – »›Leicht mögt ihr bei der Verwirrung entkommen, wie ja der eine Mörder Herrn Sigiberts entkam.‹« – »›Seht – hier steht er: Bladast; ich hab' ihn reich gemacht und vornehm an meinem Hof.‹« – »›Aber,‹ sagte der eine Priester, ›der andere ward dabei erschlagen‹« – »›Nun ja!‹ erwiderte sie. ›Der Tod erwartet alle Menschen. Fallen doch auch Krieger in der Schlacht und trotzdem gehen tapfer die Franken in den Kampf, weil sie wissen, für ihre Gesippen sorget dann der König und erhebet sie zu seinen Edeln. So werd' ich die Gesippen dessen, der hierbei fällt, reich machen und vornehm an meinem Hofe.‹« – »›Aber,‹ wandte der andere ein, mit Zittern, ›die schwere Sünde? . . .‹« – »›Ist längst den Heiligen vorausbezahlt. – Also wappnet eure Herzen mit Mannhaftigkeit. Gehet! Und überkommt euch Zagen auf der Reise, so nehmt aus diesem Fläschlein, von diesem Trank‹ – sie gab ihnen sofort davon zu trinken. Da rieselte süße Glut, wie berauschend mit Wein und Liebe zugleich, durch ihre Glieder und sie versprachen alles, was sie von ihnen begehrte.« – »Gleichwohl gebot sie ihnen, das Fläschlein mitzunehmen: ›an dem Tage, da ihr das Werk angreift, kurz vor dem Gang zur Kirche, trinkt davon. Und es wird euch überkommen ein Gefühl der Mannheit und des trotzigen Mutes, zu thun nach meinem Willen.« »Und so unterwiesen kamen sie hierher nach Metz,« fuhr Arnulf fort. »Jedoch ich schöpfte Verdacht, wie ich den Blinden und den Lahmen so behende die Stufen hinaufeilen sah – die Unbekannten, Stufen einer fremden Kirche! – und ließ sie greifen. Und sie gestanden alles.« »Und ich,« schloß Karl, »nahm ihnen das Fläschlein ab und trank daraus: – mich trieb die Neugier. – Es schmeckte herrlich, wie der allerbeste Wein, den ich je gekostet, nur noch viel feuriger. Die Mörder aber ließ ich hängen.« »Diese Thaten gegen Brunichild und Childibert,« sprach der Gast, – »ich kann sie fassen. Aber auch gegen König Guntchramn! Seiner Weichherzigkeit dankt die Witwe alles – und dennoch?« – »Sie kann es nicht ertragen, sagt sie, daß er lebt und herrscht und ihr Chilperich im Grabe liegt.« – »Schon dreimal hat sie Mörder wider ihn ausgeschickt.« – »Eine Gesandtschaft von ihr suchte ihn auf zu Châlons an der Saône,« – »Am andern Morgen, als der fromme König zur Frühmesse ging, – es war um Weihnachten – lange vor Tagesanbruch, sah der Träger der Wachsfackel in dem Bethaus einen Mann mit Speer und Schwert versteckt hinter einer Säule lauern.« – »Der wehrte sich grimmig und wollte hinaus zur Thür. Aber ergriffen und mit den Riemen der Wehrgehänge gebunden, erwies er sich als Knecht eines der Gesandten.« – »Und er gestand, nur dazu sei die Gesandtschaft abgeschickt worden, auf daß er dabei an den König gelange.« »In der Kirche!« sprach der Fremde vor sich hin.
»Ja, Bischof, gerade in der Kirche. O es kommt noch besser,« fuhr Karl fort. »Als im September der König zu Châlons beim Fest des heiligen Marcellus, nach Beendung der Messe, zum Altare trat, das Abendmahl zu nehmen, eilte ein Unbekannter auf ihn zu, als woll' er ihm etwas melden.« – »Und wie er schon den Altar erreicht hat, fällt ihm ein langes Messer aus dem Gürtel und wie sie ihn sofort ergreifen, hat er ein andres im Ärmel.« – »Und alsbald gestand er, ausgesandt zu sein von ihr. ›Die Seinigen umgürten ihn allzudicht,‹ hatte sie ihn belehrt. ›Man kann nicht leicht an ihn kommen: nur etwa in der Kirche, am besten am Altar.‹« – »O, sie versuchte es noch einmal – in größerem Umfang.« – »Aber sie hat, scheint's, kein Glück mehr bei der Hölle.« – »Als zu Ostern unser junger König auf seiner Villa zu Marlenheim im Elsaß weilte und am Sonntag in den Betsaal ging, sahen seine Diener einen Fremden an dem Eingang sich aufstellen.« – »Sie fragten ihn, was er wolle.« – »›Ich gehöre ja zu dieser Villa,‹ sprach er.« – »Aber der Villicus kannte ihn nicht: sofort ward er ergriffen und bekannte, die Königin Fredigundis hab' ihn ausgesandt, den König zu erstechen.« – »›Wir sind,‹ gestand er, ›unser zwölf: sechs sind ausgeschickt, wider Guntchramn, sechs gegen Childibert; mich traf das Los zuerst.‹ Und er gab die Namen und die Verstecke der elf andern an und alle wurden gefangen und gestanden, – ohne Folter.« »Ich begreife nicht,« seufzte der Bischof, »daß König Guntchramn sie nicht längst in ein Kloster gewiesen hat.« »Ja, der!« höhnte Karl. »Der heilige König scheut das Asyl. Sobald solch ein Streich entdeckt wird, öffnet ihr Herr Ragnemod die Bischofskirche zu Paris. Da darf man ihr nichts thun. Mit Krieg drohte mir Herr Guntchramn, als ich nach jenen beiden Anschlägen sie mit Gewalt aus ihrem Asyle holen wollte.« »Ja, er übertreibt,« gab Arnulf zu. »Hat er doch sogar jene beiden Mörder nur mit Schlägen züchtigen lassen. Es ist Unrecht, meinte er, deren Blut zu vergießen, die in der Kirche ergriffen wurden.« »Weil sie in der Kirche morden wollten!« zürnte Karl und schlug auf den Tisch. »Ihr seid ein Bischof, Herr: aber könnt' Ihr solch' einen König loben?«
Der Fremde schwieg nachdenkend; dann sagte er: »Nicht am König, nicht am Hofe liegt allein die Schuld. Die Kirche – schmerzlich zu sagen! – ist fast am meisten verderbt in diesem Reich. Sie hätte längst jenem unseligen Weibe wehren müssen. Aber Geduld, ihr Freunde! Solche Bischöfe wie Ragnemod von Paris, Egidius von Reims, Bertchramn von Bordeaux und gar manche andre noch sollen nicht mehr lange die Kirche Galliens schänden. Ein läuterndes Gewitter ist im Anzug! – Wie ihr, wackre Männer von Austrasien, den Hof, so werden – andre die Kirche reinigen in diesen Landen.
Schon zieht von Stadt zu Stadt, der aus Irland, der Insel der Heiligen, herüber kam, der heilige Bußprediger Columban. Im härenen Gewand, den Stab in der Hand, pocht er an die vergoldeten Pforten der üppigen Bischöfe und Äbte. Und starken Zulauf findet seine Predigt von Buße und von Besserung. Schon hat er in wildester Wildnis des Wasgensteines ein Kloster gebaut, der Bären und der Luxe Waldgenoß. Und anderes, größeres ist im Werk: – von einem Größeren! – Und so geb' ich auch die Hoffnung nicht auf, der unseligen Witwe Gewissen zu erschüttern und sie zur Buße zu führen.«
»Beim Donnerha – Donnerhimmel! Herr Bischof,« rief Karl, »wenn Ihr das fertig bringt, seid Ihr ein größerer Wunderthäter als Sankt Martin von Tours.« – »Lästert nicht, Herr Mariskalk!« »Herr Bischof,« meinte Arnulf, leise das Haupt neigend, »ich fürchte sehr, Ihr wagt zu viel.« – »Welch' furchtbar Geschick hat sie dem alten wackern Herzog Drakolen bereitet! Es ist grauenhaft.« – »Dies Weib ist mordtoll; wie soll ich sagen? – Mordberauscht!« – »Jawohl, wie der Marder blutgierig im Taubenhause wütet, gar bald nicht mehr aus Freßlust, nur aus Mordlust, allen die Kehlen durchbeißt, die er erreichen kann, ja fortmordet und fortbeißt, wann schon der Taubenwart, von dem Lärm der armen Opfer aufgeweckt, zur Stelle ist, das Untier zu erschlagen – so Fredigundis! Sie mordet, um zu morden!« »Wenigstens,« milderte Arnulf, »man findet oft keinen Grund mehr für ihre Thaten. Ich glaube aber doch, sie kämpft furchtbar mit ihrem Gewissen.« »Das wäre der Anfang der Umkehr,« rief der Bischof.
»Weiß nicht!« fiel Karl ein. »Sie wählt dann wenigstens seltsame Wege. – War da jüngst ein Betrüger in Paris, ein entsprungener Knecht des Bischofs von Arles, wie sich dann bald erwies. Gab sich für einen Heiligen aus, handelte mit Reliquien, das heißt: so sagte er. Viel weniger kluge Leute erkannten bald in dem oft Betrunkenen den plumpen Betrüger. Und dieses Weib, sonst schlauer als wir alle, glaubt an ihn, erkauft sich mit vielem Golde seine Vergebung all' ihrer Sünden; ja, sie kauft ihm, ohne vorher zu prüfen, seinen ganzen Bettelsack voll Heiligtümern ab: sie – die Hochfärtige! – rutscht vor ihm auf den Knieen die ganze Basilika entlang!«
»Am andern Morgen war der Kerl entflohen, sie öffnete den Sack. Und was fand sie? Ein paar Maulwurfszähne, ein paar Knochen von Mäusen, ein paar Bärenkrallen und ein wenig Bärenfett!« – »Der Heilige aber lief vor den Thoren von Paris zufällig seinem alten Herrn in die Hände, ward erkannt, gebunden und wieder in die Weinbergarbeit geschickt.«
»Noch ärger ist, daß sie an den Pseudo-Messias glaubte!« – »Ja, ein armer Teufel, ein Betrüger, der sich selbst betrog, ein junger Bauer. – Vor Jahren geriet er im Walde bei Bourges beim Holzfällen in einen Schwarm von Hornissen. Die zerstachen ihn, daß er den Verstand verlor von Stund an. Bald darauf hielt er sich für den Herrn Christus, gesellte sich ein Weib, das er Maria nannte, und zog predigend durch die Dörfer. Viel Volkes lief ihm zu: denn er verkündete, er komme, den Reichen ihren Reichtum zu nehmen und ihn den Armen zu geben. Und wo er und sein Hause von Bettlern auf der Straße einen Wohlgekleideten trafen, zogen sie ihm die Kleider aus und gaben sie den Bettlern.« – »So kam er bis nach Paris. Er soll wirklich unterwegs ein paar wunderbare Heilungen verrichtet haben.«
»Schon möglich,« meinte der Gast. »Die Dämonen thun dergleichen, die Frommen zu berücken.« – »Und die Königin glaubte an ihn: sie nahm ihn für Christi Vorläufer, wenn nicht für Christus selbst; sie erkaufte auch von ihm wieder Vergebung all' ihrer Sünden um viel Geld; dann verlangte sie, er solle gewisse Tote auferwecken.« – »Das soll jetzt ihr brennendstes Begehr sein!« – »Der Narr vertröstete sie auf seine Wiederkunft: er müsse vorher auch die Ostlande aufsuchen. So kam er mit seinem Troß, der täglich wuchs, nach der Champagne von Reims. Da sie alle Reichen plünderten, ging ihnen Herr Lupus mit Gewaffneten entgegen, den Wahnsinnigen zu greifen. Das Gesindel widersetzte sich – schon war Blut geflossen. Da trat der Schwärmer in die Mitte der Kämpfenden, und sprach: ›Zielt alle auf mich mit euren Pfeilen, ihr Krieger. Ich werde sie zurückblasen mit dem Hauch meines Mundes: und ihr werdet erkennen, daß ich Gottes Sohn bin und mich anbeten.‹ Und er breitete die Arme aus, die Krieger schossen und von zwanzig Pfeilen durchbohrt fiel der Arme. So tief ist jene einst so Geistgewaltige gesunken, daß sie solchem Schwärmer glaubt.« »Ich seh' in ihre Seele,« seufzte der Bischof. »Es ist die Reue! Sie greift nach plumpen Trugbildern, wenn's nur Hilfen sind, – sich aus der dunklen Sündenangst zu ziehen!« – »Ich glaub', Ihr denkt zu gut von ihr, Herr Bischof. Nicht beichten nur wollte sie bei jenen Betrügern, vor allem ihre Feinde verderben durch Wunderkraft.« – »Aber woher wißt ihr das alles so genau, ihr hier in Metz, was sie in Paris treibt?« – »Von ihrem Gesinde. Vornehm und Gering, Freie und Unfreie, Knechte und Mägde, flüchten in Scharen aus Paris, aus ihrem Dienst, aus ihrer Nähe. Nicht ihre Strenge verscheucht sie oder ihre Grausamkeit. Streng, grausam war sie immer – dazwischendurch verschwenderisch. Aber –« – »Aber, um es kurz zu sagen: – die meisten halten sie für besessen.« Der Bischof erschrak heftig: er fuhr zusammen und erbleichte. »O Gott sei mir gnädig!« »Euch!« fragte Arnulf. »Was habt Ihr dabei zu verantworten?«
Tief auf seufzte der Fremde, er konnte oder wollte nicht sprechen. Arnulf bemerkte es und fuhr fort: »Ihre Mägde fürchten sich vor dem Dienst in ihrem Gemach: – sie kann nicht allein sein, weder nachts noch tags; und sie führe dann, heißt es, oft mit sich selbst so grausige Gespräche, daß dem Gesinde die Haare sich sträuben. Auch greife sie gar oft an die linke Schläfe, auf welche sie an jenem Abend gefallen war, und klage wohl, sie müsse ganz anders denken als sie wolle.« – »Ich warn' Euch, geht nicht in das Lager dieser tollen Wölfin.« »Wie?« rief der Gastfreund, sich erhebend. »Habt ihr mir nicht erzählt, wie eure Söhne, noch Kinder, mutvoll dem Ruf der Heiligen gefolgt sind in das schier unvermeidliche Verderben? Die Kinder, die Unschuldigen, gehorchen einem bloßen Traumgesicht und ich, der Mann, der Priester, der Bischof – der ach! nicht unschuldige – ich sollte minderen Mut erweisen, ich, den ein Gelübde treibt, an dem Grab der Apostelfürsten gelobt, und der Auftrag des obersten Hauptes der Christenheit, des größten Papstes, der je dem heiligen Petrus nachgefolgt? Nein, meine Freunde, habt Dank für eure Gastlichkeit, für eure Unterweisung. Wohl unterrichtet nah' ich der Unseligen. – Ich rette ihre Seele oder sterbe drum. Lebt wohl! Es läßt mich nicht mehr ruhen, nachdem ich all' das Gräßliche erfahren: – nun keine Nacht mehr ruhen. Ich steige zu Pferd – sofort – und raste nicht, bis ich sie gefunden und gerettet habe.«
Die Königin Fredigundis bewohnte in Paris ein königliches Haus, das unmittelbar an die Bischofskirche stieß, durch einen Gang mit derselben verbunden, so daß sie, sobald es wünschenswert schien, das Asyl gewinnen mochte. In einem Gemache dieses Palatiolums saß sie vor einem mit Büchern und Schriften bedeckten Tisch; neben ihr stand Winnoch, die Rohrfeder in der Hand.
»Laß es nun genug sein,« sprach sie ermüdet, das Haupt auf die Hand beugend. »Ich finde doch kaum einen neuen Heiligen mehr.« »Schwerlich,« meinte Winnoch. »Du hast dir ja aus allen Klöstern schicken oder abschreiben lassen, was sie nur an Mirakeln und an Heiligenleben in ihren Büchereien bergen. Was willst du eigentlich damit? Es ist immer eine solche Geschichte ziemlich wie die andre. – Aber du hörst nicht! Was starrest du dorthin ins Leere?« Sie fuhr auf. »Ich meinte, – ich sah dort, zu Häupten des Ruhebetts, eine weiße Gestalt hängen. – Ich muß oft sehen, was nicht da ist. – Geh' nur! Ich merke, du bist schon wieder schreibmüde. Oder durstig. Die andre war besser beim Schreibedienst und beim Vorlesen. – Wie hieß sie doch? Mein Gedächtnis ist so schwach geworden!« – »Du meinst Rulla?« Fredigundis nickte langsam, nachdenklich: »Ja, die von der Wutach her. Sie war besser.« »Sie hat dich aber verlassen, während ich treu bei dir ausharre. – Übrigens, irre ich nicht sehr, hab' ich sie gestern an mir vorüberhuschen sehen, nahe dem Kloster der heiligen Genoveva.«
Fredigundis hatte ein Buch aufgegriffen und starrte hinein. »Es muß doch möglich sein,« sagte sie vor sich hin. »Nicht nur Christus hat's gethan. Auch – nach ihm – ganz kleine Heilige.« – »Was meinst du, Königin?«
»Sie – Rulla – las mir einmal vor: vom Galgen herunter, einen Gehängten, hat ein Heiliger wieder erweckt. Damals achtete ich nicht recht darauf – ließ es ausstreichen, damals lebte er ja noch. Und nun« – sie tastete unter den Schriften umher – »nun ich diesen Heiligen brauche, – so dringend! – nun kann ich ihn nicht mehr finden. – Ich möcht' es doch lieber durch einen Heiligen thun, als durch – das andre. Das ist dann wieder Sünde, muß wieder abgelöst werden. Ah, das geht immer so fort –! Ein Netz, ein unabsehbares. Eine Masche mach' ich auf . . . – dann zieht sich die andre fest. O, ich bin müde, müde!« – Und sie sank vornüber mit der Stirn auf den Tisch, schlaff hingen ihr die Arme herab, auf beiden Seiten überflutet von dem wunderschönen Haar. –
Eine lange Stille entstand. Winnoch ward es unheimlich; kopfschüttelnd, leise ging er hinaus.
Gleich darauf trat ein Thürhüter ein und meldete: »Frau Königin, ein fremder Bischof bittet um Gehör.« Sie hob rasch das Haupt: »Ein Fremder? Das ist recht. Das ist was Neues. Das Alte ist so – alt. Laß ihn herein. – Aber erst durchsuche ihn, ob er nicht Waffen versteckt trägt.« Alsbald trat der Gemeldete ein; nach dem ersten Blick auf Fredigundis schlug er die langen dunklen Wimpern nieder; er blieb mit stummer Verneigung am Eingang des Gemaches stehen.
»Was?« schrie sie aufspringend. »Prätextatus? Ihr wagt es, vor mein Angesicht zu treten! Ihr, der die Gotin mit meinem Stiefsohne getraut? Euren Verbannungsort zu verlassen? Wähnt Ihr, weil König Chilperich im Grabe liegt, darf man seinem Bannbefehl trotzen? Ihr irrt! Ich führe seinen Königsstab.« Plötzlich aber fuhr sie zusammen. »O wie ihr Landerich ähnlich seht – so bleich fast wie er – als er auf dem blutigen Waldmoos lag. Was willst du, Landerich, von mir? – Ich hab' dich nicht erschlagen. – Er that's! – Laß mich! Jetzt ist es doch zu spät für die Zusammenkunft am Waldessaum.« »Königin, ich bin Prätextatus,« sprach er sanft, immer ohne die Augen aufzuschlagen. »Ich komme – ohne Groll – ich komme als Freund –« »Als Freund! – Ich kann Freunde brauchen,« sprach sie nachdenklich, »und Ihr – nun freilich,« und jetzt kam ein Lächeln der Erinnerung über ihre Züge – »Ihr seid mein allererster Freund, mein frühester, gewesen. Wißt Ihr's noch, an der Wutach? Ei, ei, Herr Bischof, wer hat dem Kind Fredigundis die ersten Küsse – wie heiß brannten sie doch! – auf die magern, die nackten Schultern geküßt! Und auf die Augen! Und Einen auf den Mund. Damals hört' ich's zum erstenmal im Leben: – wie süß klang mir's im Ohre! – ›o wie schön bist du, Fredigundis!‹«
Da stürzte der Bischof auf beide Kniee, schlug mit den Fäusten gegen die Brust und stöhnte: »O Gott! O Gott! Es ist wahr! Verzeih mir, großer Gott! Du weißt, wie ich gebüßt hab' jahrelang.«
Erstaunt sah sie ihn an: »Steht doch auf! Seid Ihr bei Sinnen? War das eine Sünde – damals?« Prätextatus erhob sich: »Es war aller Sünden, aller Greuel Anfang. Ich, ich Unseliger habe sie in dir geweckt, die schlummernden Dämonen, in dem halbreifen Kinde, die Unkeuschheit, die Eitelkeit, die Gier nach Genuß und Glanz und Macht! Ich – ich Sünder trage Schuld an allem.« Und er bedeckte das Antlitz mit den Händen.
Es behagte ihr, daß ein tüchtiger, starker Geist so leiden mußte um ihretwillen. Sie dachte bei sich: »Ei, all' das ist an mir wohl angeborne Merowingenart.« Aber sie sagte langsam, nachdrucksvoll: »Ja, ja – Ihr war't der erste. – Es mag wohl also alles Eure Schuld sein. – Aber was führt Euch jetzt zu mir – trotz der Verbannung?« »Die Reue,« sprach er fest, die Augen wieder senkend, »und die Pflicht der Sühne. – Jenes war nur der Anfang meiner schweren Sünden, die ich an dir begangen.« »An mir?« fragte sie verwundert. »Wir haben uns ja nie wieder gesehen. Das heißt: Nur noch einmal sah ich dich – nicht du sahst mich! – an dem Tag, als – als – als . . . –«
Jetzt schlug er die Wimpern auf und sah ihr tief in die Augen. »Als du Galsvintha erwürgtest.«
Grell schrie sie auf und taumelte zurück. »Was – du wußtest das? Das heißt: du wähntest das?«
»Dein Opfer riß dir im Todeskampf ein Büschel Haare aus! Ich trage sie noch auf dem Herzen. – Hier, kennst du dies dunkelrote Haar? Das ist die eine Hälfte . . . –« »Die andere,?« fragte sie, zitternd an allen Gliedern. »Hat Chilperich gehabt.« – »Er wußte es?« – »Und schwieg! Und freite die Mörderin. Das ist ein Greuel. Aber ich – ich wußte es auch und schwieg auch – o, wehe, wehe mir –« – »Warum?« »Warum?« ächzte er und trat leidenschaftlich auf sie zu. »Weil ich elender, verworfener Sünder vor den Menschen, vor Gott – weil ich nie aufgehört habe, dich zu lieben, du furchtbares Geschöpf.«
»Ah so!« lächelte sie, sich hoch aufrichtend, triumphierend. »Und deshalb auch kamst du jetzt zu der – Witwe?« Ein flammender Blick der grauen Augen sollte ihn vollends berauschen: – aber es gelang nicht: die langen, dunklen Wimpern hatten sich schon wieder gesenkt.
»Und deshalb kam ich jetzt zu dir. Nicht, wie du es denkst. Als auch auf meine einsame Insel der entsetzliche Ruf deiner Thaten drang, – als jedes Fischerboot von der Küste her neue Frevel meldete jener fürchterlichen Fredigundis, die längst das zitternde Volk als eine Teufelin sich ausmalt . . . –« Hell auf lachte sie: »O wär' ich eine! Und nicht ein ohnmächtig Weib.« – »Da traf jede deiner Thaten wie ein Keulenschlag mein Gewissen. Ich, ich bin der Mitschuldige dieser Greuel. Ich küßte die Hölle wach in dir und ich, der dich unschädlich machen konnte nach jenem ersten Mord: ich ließ dich in der Freiheit, in der Macht, ließ sie weiter fressen die rote Flamme, die ich austreten konnte beim ersten Aufzüngeln. O, ich war dem Wahnsinn nah.« »Ist das,« fragte sie sehr rasch, »wenn man denken muß, was man nicht will?« – »Einmal trieb mich der böse Feind so weit, daß ich mich von der Adlerklippe in die See warf. Fischer zogen mich ans Land – für tot.« »Können diese Fischer Tode auferwecken?« fragte sie sehr schnell. »Da, als ich erwachte, gelobte ich, nach Rom zu pilgern, an das Grab der Apostelfürsten, dem heiligen Vater selbst zu beichten meine schwere Schuld und jede Buße auf mich zu nehmen, welche mir auferlegt würde. Ich floh von der Insel unter vielen Gefahren. Verfolgt von deines Gatten Spähern durch sein ganzes Reich gelangte ich nach Italien. Und in Rom fand ich den größten Mann, der jemals Sankt Peters Schlüssel hat geführt.«
Sie furchte finster die Brauen: »Ich weiß von ihm. Er heißt Gregor und ist der Gotin Freund. Wir fingen Briefe auf von ihm an sie: – ich will nichts von ihm hören, will vergessen, daß er lebt.«
»Du wirst von ihm bald hören, was du dein Lebtag nicht vergißt. Papst Gregor – schon jetzt heißt er der Heilige, der Große, der Unvergleichliche – hörte meine Beichte und schalt mich schwer. Doch, er sah meine Reue – er sprach mich los der Sündenstrafe unter der Bedingung, – eidlich schwur ich es ihm! – dich aufzusuchen, dein Gewissen zu erschüttern.«
Fredigundis lachte kurz. – »Du mußt die Krone niederlegen.« – »So? Muß ich?« – »Mußt bereuen, büßen. In ein Kloster treten.« – »Du! Hüte dich vor diesem Rat! Dein Bruder gab ihn mir: – er hat den Tag nicht überlebt.« – »Ich lasse nicht von dir, bis ich dich zwang! Es gilt deine Seele, dein unsterblich Teil zu retten.« – »Darum sorge dich nicht, Jugendgespiel! Ich stehe sehr gut bei den Heiligen. Und die sind doch noch mehr als Papst Gregor. Geh' und sag' ihm das. Und sag' ihm: Fredigundis stirbt im Purpur, – der ihr zukommt aus viel besserem Recht. – Hi, hi! – als all' ihr Pfaffen wissen könnt. Geh!« – Sie drehte ihm den Rücken zu. »Ist das dein letztes Wort?« »Mein allerletztes,« sprach sie, sich den Büchern zuwendend. – »So wisse, daß ich dich vor allem Volk der Franken des Mordes an Galsvintha überführen werde – ich hab's gelobt – ich werd's erfüllen.«
Blitzschnell wandte sie sich. »Das thust du ja doch nicht. Und wenn auch! Und wenn das Gericht der Franken mich noch andrer Morde überführt hätte, – mich ficht's nicht an. Niemand wagt, mich anzutasten – beim Zorn der Heiligen –! Ich hab' Asyl bei Bischof Ragnemod.« – »So wisse denn, – muß man dich zwingen mit dem Äußersten? – Papst Gregor wird diese Kirche hier in Gallien furchtbar sichten. Er hat einen Legaten abgesandt, –« – »Der bist wohl du?« – »Ein Konzil aller Bischöfe abzuhalten; in Anklage stehen schon alle deine Freunde unter diesen: Ragnemod ist suspendiert und – hör' es! – dir ist, wegen maßlosen Mißbrauchs, der Schutz des Asyls entzogen in allen Freistätten dieser Reiche – ja, der ganzen Christenheit.« Da erbleichte Fredigundis. »Das ist unerhört . . . –«
»Wie deine Frevel. – Gieb dich in Güte, Königin! Zwinge mich nicht zur Gewalt. Beuge dich! Nicht vor mir, nicht vor dem Papste: vor Gott selbst, dem allmächtigen Herrn. Rette deine Seele vor der Hölle.« Widerstrebend schüttelte sie das rote Gelock. »Die Heiligen sind abgefunden!« – »Das alles schreckt dich nicht? So rette deinen Nacken vor dem Richtbeil!« Da schrie sie laut gellend auf und brach in die Kniee: »O weh! – Weh! Kein Asyl mehr? – Der Block! Das scharfe Beil? – Blut? – Wie so grausig aus Chilperich sprang? Geh, guter Prätextatus, geh! Verlaß mich jetzt! – Gönne mir Bedenkzeit: – nur kurze: – drei Tage!« »Drei Stunden!« sprach der Bischof feierlich. »Ich gehe in die Klosterkirche der heiligen Genoveva: daselbst ist eine Bußzelle für dich bereit gestellt: ich werde dort brünstig beten, daß Gott deinen Starrsinn breche. In drei Stunden stehe ich wieder vor diesem Hause. Bist du dann noch nicht bereit, mir zu folgen, so geht dies Anklagschreiben an König Guntchramn, an König Childibert und alles Volk der Franken: und heute noch verkünd' ich im Namen des großen Papstes in den Kirchen, auf den Straßen von Paris, daß dich kein Asyl mehr schützt. O, Fredigundis! Rette Leib und Seele.« Er war verschwunden. –
Wie eine Schlange schnellte sie empor. »O hätt' ich jetzt ein Schwert im Gürtel getragen wie du, mein Chilperich! Der zweite Bruder wäre schon so stumm wie der erste. Wart', Prätextatus!« – –
Eine kurze Weile darauf standen in demselben Gemach vor ihr Winnoch und Bladast; die beiden Männer sahen finster, unentschlossen vor sich nieder. Sie aber glitt von einem zum andern. »Bedenkt euch nicht zu lang! Es eilt,« drängte sie. »Nein,« sagte Winnoch. »Ich mag nicht. In der Kirche! Ich war doch Mönch! Ich bin geweihter Priester. Das ist unzerstörbar in der Seele. Ich kann's nicht.« Und er ging hinaus. »Ich bin nicht geweiht,« rief Bladast. »Aber doch! Sei's um Herrn Sigibert! Es war Krieg zwischen Euch. Und er nahm Chilperich sein Land weg. Aber dieser Bischof! Ich sah sein Antlitz. Er sieht so fromm!« – »Unerträglich!« rief sie und stampfte mit dem Fuße. »Gieb' ihm Gift: – morgens beim Frühstück,« riet er. – »Ich sagte ja, es muß geschehen sein vor drei Stunden.« »Ich will nicht,« wiederholte Bladast. »Er sieht so heilig aus!« »Heilig! Der?« zischte sie. »Blöde Thoren! Er brennt in sünd'ger Gier! Er wollte schweigen, für einen – Kuß von mir.«
»Das wäre?« fuhr Bladast auf. »Dann soll er . . . – Aber er – der Bischof –?« – »Du zweifelst? Wohl, – wenn er liegt, reiß' ihm das Brustgewand auf: – er trägt auf seiner Brust heute noch eine Locke dieses Haars, die er – als Kind mir stahl!« »Die soll er hergeben! Der heuchlerische Pfaff! Aber,« rief Bladast, sie mit gierigen Augen musternd vom Wirbel bis zur Sohle, – »ich fordere andern Lohn als Gold: des hab ich genug. – Den Kuß, den dein Todfeind begehrte, deinem treusten Freunde – fast deinem letzten! – darfst du ihn nicht weigern.« Fredigundis sah ihn kühl an: »Du bist sehr frech,« sagte sie langsam. – »Du bist kein Eheweib mehr; – du thust kein Unrecht an Herrn Chilperich.« »Es sei!« sagte sie kalt. »Ist es geschehen, – ganz geschehen, – so komm zu mir. Dann küss' mir die Wange. – Wagst du mehr, bist du des Todes.« – »Es gilt! Er soll nicht leben.«
»Wie tief bin ich doch herabgekommen,« seufzte sie, »seit Er starb!«
In der Kapelle des Genoveva-Klosters auf dem rechten Ufer der Seine lag in brünstigem Gebet auf die Stufen des Hauptaltars hingestreckt Prätextatus.
Er war allein in der geräumigen Kirche, die außer der schmalen, in die Sakristei führenden Pforte nur einen Ausgang hatte auf den großen Platz: die Freitreppe, die mit vielen Stufen von der Basilika zu diesem hinabreichte.
Gegen diesen Platz hin bewegte sich langsam über die Seinebrücke unter lautem Psallieren ein Zug von Geistlichen und Mönchen, dem sich ein großer Haufe Volkes, Männer und Weiber, angeschlossen hatte; es war ein Bittgang um Regen: denn die Ernte drohte zu mißraten. Viele Wochen hatte es nicht mehr geregnet, das Getreide verbrannte unter der sengenden Sonne auf den Feldern.
Vor der Basilika, auf der untersten Stufe, saß, in elende Lumpen gehüllt, eine bejammernswerte Gestalt; ein zerfetzter Mantel, der seltsamerweise hier und da durch einen mattglänzenden Faden verriet, daß er einst mit Gold durchwirkt gewesen, verhüllte den Leib des Greises nur wenig. Man sah, daß ihm der rechte Arm und der linke Fuß fehlte; er hielt in der Linken eine lange, stelzengleiche Krücke, an die mit einem Strick eine kleine irdene Urne gebunden war; diese Urne, mit schmaler Öffnung, pflegte er hinzustrecken, wann er Schritte in der Nähe hörte: – denn der Arme war blind; zwei große schwarze Höhlen klafften an der Stelle der Augen.
Jetzt aber brauchte er sich nicht auf das Ohr zu verlassen; ein junges Weib in schlichter, jedoch reinlicher Gewandung, das neben ihm saß, sprach zu ihm, ihn sanft erhebend, stützend und führend: »Kommt, Herr Herzog – rückt ein wenig zur Seite, daß Ihr nicht getreten werdet; der Bittgang kommt nun gleich die Stufen hinan.« »Danke dir, du Gute,« sprach der Alte mit zitternder Stimme; »danke dir. Warum, sage mir doch, warum nimmst du dich meiner an, so rührend? Hast du mich gekannt in frühern – bessern Tagen?«
»Nein, Herr Herzog!« – »Warum also?« – »Aus Erbarmen mit Eurem unermeßlichen Elend. Herzog von Aquitanien! Der mächtigste, reichste, geehrteste Mann nach den drei Königen, und jetzt . . .« – »Der elendeste! Geblendet, ein hilfloser Krüppel. Das ist noch nicht das Ärgste! Mein Weib, meine beiden Eidame, meine sechs Söhne, ja und meine zwei Töchter sogar, grausam hingemordet von – von ihr. Aber das ist noch nicht das Fürchterlichste, sondern . . . – wie heißt du, o barmherziges Weib?« – »Rulla.« – »Sondern das, o liebe Rulla, ist das Ärgste, daß ich all' das erlitten habe ohne Schuld!«
»O Herr Herzog!« – »Nenne doch mich armen kriechenden Wurm nicht Herzog.« – »O Herr Drakolen, wäre Euch denn lieber, Ihr hättet es verdient?« – »Ja.« – »Aber! Dann käme die Gewissenspein dazu. Seht, ich habe nicht teilgenommen an – an Verbrechen, die – eine Herrin von mir verübte: ich habe sie nur – allmählich – entdeckt; bin aber leider doch noch lang im Dienst dieser Herrin geblieben, weil – ich ihr Dank schuldete und, ach, auch wohl, weil es meinem Knaben gut erging bei ihr. Und doch hat mich, nur deshalb, solche Gewissensangst ergriffen, daß ich jetzt zur Sühne, freiwillig, als Magd der frommen Schwestern dieses Klosters, schwere gute Werke auf mich nehme. – Nun denkt, wenn Ihr Euch schuldig fühltet! Wenn Ihr Euer großes Elend auch noch verdient hättet! Was dann?«
»Dann hätt' ich Reueschmerzen. Aber ich hätte doch noch einen Gott.« – »Was redet Ihr da! Ihr seid wohl irrsinnig?« – »O nein. Ich denke klar. Es ist kein Gott.« »Entsetzliches Wort!« rief Rulla, sich bekreuzend. »Der Himmel ist leer. Eine Welt, in der Drakolen schuldlos solche Qualen leidet, Fredigundis – verflucht sei ihr Name, solang ihn Menschen nennen!« – er schlug heftig mit der Krücke auf die Steinstufe – »straflos waltet, all' ihre Feinde sieghaft überwindet, – in einer solchen Welt ist kein Gott. Er wäre ja ein Teufel.« – »Bei allen Heiligen – schweigt! Sonst verlaß ich Euch! Horch, hört Ihr den frommen Gesang? Das Gebet der vielen Hunderte?« »Ha, ha,« lachte der Blinde laut. »Gebet! Weder Bitte noch Fluch eines Menschen drang jemals durch die Wolken.« »Schweigt doch!« mahnte sie. »Sie sind schon nahe. Sie schlagen Euch tot, hören sie die Lästerung. Kommt hierher! Noch mehr aus dem Wege.«
In diesem Augenblick sprang ein Mann die Stufen hinauf. Er war nicht von der Brücke her gekommen, über welche jetzt die Betenden sich drängten, sondern von einer Seitengasse her. Rulla erkannte ihn und sie sah seinen Blick: – sie erschrak.
»Der? In die Kirche?« sagte sie, leise schaudernd.
Der Mann schob die Vorhänge zur Seite, die das Thor der Basilika verkleideten, und trat rasch in das Innere. Sofort eilte er durch den mittleren Gang auf den Hauptaltar zu. Sein Schritt widerhallte in dem weiten leeren Raum. Der Beter hatte ihn gleichwohl nicht gehört. Der Mann stand nun dicht hinter ihm. »Steh auf,« sprach er, »Bischof! Mich schickt die Königin Fredigundis.« Hocherfreut erhob sich der Beter. »Dank euch, ihr Heiligen, ihr habt mein Flehen erhört, ihr Herz erweicht! Sie bereut! – Was schickt mir Fredigundis?« flüsterte er. »Diesen Kuß,« schrie der Mann und stieß ihm den Dolch in die Kehle. Der Getroffene seufzte tief, fiel auf den Rücken und starb.
»Mord! Mord! Der Bischof am Altar ermordet!« So scholl ein gellender Schrei. Rulla, von seltsamem Grauen ergriffen, war Bladast gefolgt; sie hatte ihm durch den Vorhang nachgeblickt.
»Mord? Was? Mord? Ein Bischof? Ach, hier vor dem Altar? Haltet den Mörder!« So klang es draußen auf den Stufen, wo der Bittgang nun angelangt war.
Entsetzt war Rulla die Stufen hinabgesprungen. Bladast folgte ihr auf der Ferse. »Mord!« schrie er. »Greift das Weib!« Er sprang mit einem Satz über alle Stufen und wäre sicher in dem wilden Gewühl der Hunderte entkommen. Aber er stolperte – die lange Stelzkrücke des Blinden war ihm auf der untersten Stufe zwischen die Beine gekommen: – er fiel vornüber. »Haltet ihn!« rief Rulla. »Er ist der Mörder. Es ist Bladast – seht: da entfiel ihm das blutige Messer!« Einstweilen strömten bereits die Priester und Mönche aus der Basilika wieder zurück, die durch die Thür eingedrungen waren. –
»Bischof Prätextatus von Rouen!« – »Am Altar ermordet! Hier ist der Mörder!« – »Bringt ihn zur Königin!« – »Nein! Es ist Bladast, ihr Günstling! Sie läßt ihn entkommen.« »Zerreißt ihn!« rief eine einzelne Stimme.
Und buchstäblich – und in furchtbarer Geschwindigkeit – war das geschehen.
Die Messer in den Fäusten der Männer, die Nägel der wütenden Weiber hatten den Schreienden in kürzester Zeit in eine blutige formlose Masse verwandelt: – der Ferge der Seinefähre schlug seine lange Schiebstange mit der harpunengleichen Eisenspitze in den Rumpf und schleifte ihn in den Strom. Platschend fiel er von dem erhöhten Damm hinein: – hochauf spritzten die schmutzigen Fluten. Die Menge strömte in die leere Kirche, an der Leiche des Bischofs zu beten.
Es war ganz still wieder auf dem Platz vor der Basilika.
Drakolen war allein; auch Rulla war in die Kirche geeilt; sie hatte dem Blinden, der das meiste erraten, den entsetzlichen Tod des Mörders kurz berichtet. »Rulla!« sagte er jetzt: »Wo bist du? – Bist du nicht mehr da?« – Dann schüttelte er den weißhaarigen Kopf. »Es ändert nichts. Es ist doch kein Gott.«
Kein Mensch in Paris zweifelte daran, in wessen Auftrag Bladast, das berüchtigte und gefürchtete Werkzeug der Königin, gehandelt habe.
Von der Stätte des Mordes hinweg hatte sich der Strom der zornigen Menge gegen das königliche Haus und die Bischofskirche gewälzt. Verwünschungen, Flüche, Drohungen waren durch die dicken Mauern bis zu den Ohren Fredigundens gedrungen; ihre gemieteten Lanzenträger hatten mit vorgestreckten Speeren die Andrängenden abwehren müssen; sie hatte bei dem ersten Lärm das Asyl der Bischofskirche aufgesucht.
Und als die Nachricht von der neuen Unthat, die, nach der Urteilsweise der Zeit, alle früheren zu überragen schien, nach Orléans und nach Metz gelangte, da erklärten übereinstimmend König Guntchramn und die Regentschaft zu Metz: das Maß sei voll. Mit den Waffen in der Hand würden sie Fredigundis für diesen und für andre Frevel zur Rechenschaft ziehen, Paris besetzen, die Königin daselbst umschließen, und den Papst und ein allgemeines Konzil der gallischen Bischöfe befragen, ob das Asyl, das zur Anstiftung so vieler Verbrechen mißbraucht worden, sie noch schütze.
Am gleichen Tage traf diese Kriegserklärung von Orléans und von Metz her bei Fredigundis ein. Und Fredigundis erschrak und verzagte. Krieg, Waffen, tapfre Männer, ein gezücktes Schwert: – all' das gegen sie gerichtet, das konnte sie nicht ertragen, nicht denken in ihren Gedanken.
Sie war schon lange so einsam. Aber jetzt, nach dem Eintreffen dieser gepanzerten Botschaften, fühlte sie sich mehr denn je so schutzlos, – so verwitwet . . . . Das war es! Verwitwet!
Zwar war ihre Lage keineswegs so übel. Ihr Günstling, Herzog Boso, galt für den besten Feldherrn der Zeit, zumal denen Guntchramns weit überlegen; aber auch mit den austrasischen Führern hatte er sich früher wiederholt erfolgreich gemessen. Er übernahm sofort den Befehl über die neustrischen Streitkräfte, die er eilig aufbot; und er versicherte seiner schönen Königin, er werde die Feinde einzeln schlagen: zuerst die weichlichen Burgunden, dann die schwerfälligen Austrasier, und mit Glück und Sieg zu ihr heimkehren nach Paris. Mit starker Macht eilte er gen Nordosten, – die Marne aufwärts, den Burgunden entgegen, die bereits bis in den Gau von Soissons vorgedrungen sein sollten.
Aber Fredigundis zagte.
Ihre Lanzenträger hatte sie dem Herzog nicht mitgegeben. Sie schien dem Asyl allein nicht mehr trauen zu wollen; auch stieß sie, wagte sie sich einmal auf die Straße, auf so finster drohende Mienen bei den Bürgern von Paris, ja auch wohl auf leise Verwünschungen der hastig an ihr Vorübereilenden, daß sie ihre Sänfte stets von einem starrenden Rechen von Lanzen begleiten ließ; zu Pferde war sie nicht mehr gestiegen seit Chilperichs Todestag! sie konnte sich seitdem nicht mehr im Sattel halten vor Schwindel und Herzklopfen.
Die aus Furcht und Abscheu gemischte Stimmung gegen die Königin ward den Einwohnern nicht gebessert durch die Aussicht auf eine Belagerung durch die verbündeten Burgunden und Austrasier.
Als man der Fürstin von der gärenden Erbitterung des Volkes meldete, hatte sie zuerst wieder ihre Pfeilschützen unter die sich auf den Hauptplätzen sammelnden Haufen schießen lassen wollen. Aber sie besann sich, wie Chilperich das weiland scharf mißbilligt, vielmehr in solchen Fällen versucht hatte, durch öffentliche Spiele die Laien, auch wohl durch fromme Stiftungen die Geistlichen der Städte zu gewinnen, umzustimmen. Seinem Beispiel folgend ließ sie bei Trompetenschall in den Straßen verkünden, bei dem Eintreffen der ersten Siegesnachricht werde sie auf dem Campus Martius ein großes Wettrennen und Kampfspiele veranstalten und alle Bürger von Paris in diesem »Cirkus« mit Fleisch und Wein bewirten; auch gelobte sie, für den ersten Sieg der heiligen Jungfrau der Siegverleiherin eine Kapelle auf der kleineren Seineinsel zu bauen, deren Grundstein am Tage des Eintreffens der Siegesnachricht feierlich gelegt werden sollte.
Sie fragte Winnoch, wie diese Zusagen gewirkt hätten unter den Parisern. »Einstweilen,« meinte er achselzuckend, »noch nicht gar viel. Aber siegst du wirklich: – dann gieb acht, wie sie dir zujubeln werden im Cirkus und bei der Kapelle.« Nachdem Herzog Boso und dessen kriegerische Scharen die Stadt verlassen, fühlte sie sich noch viel mehr vereinsamt – »verödet, so recht verwitwet,« sagte sie.
Bischof Ragnemod, ihr Freund, hatte sich nach der ersten Unterredung mit dem ermordeten Prätextatus in ein Bußgemach zurückgezogen und ließ nur seinen Beichtiger zu sich.
So ging sie allein durch die weiten, leeren, schweigenden Räume des Königshauses, des Bischofshauses, der Kirche. Unter ihren Dienerinnen war keine, der sie vertraute, der sie sich mitteilte; doch mußte sie stets einen Menschen wenigstens in Sehweite haben. Ihr kleiner Knabe ermüdete sie; sie trug ihn lang, stundenlang, mit sich umher, ohne ihn anzulächeln, anzusprechen.
So hatte sie auch an dem Abend des Tages, da die Krieger die Stadt verlassen hatten, gethan. Erschöpft legte sie das weinende Kind auf sein Pfühl: »Armer Wurm,« sagte sie, »wonach verlangst du? Ah, du weinst nach deinem – Vater. Hast recht, Kind; wir sind so allein; mich fröstelt. – – Man rufe Winnoch,« gebot sie einer Magd; »ich muß laut denken können,« sagte sie, auf das Ruhebett sinkend und müde das Haupt auf die weiße, kleine Hand stützend.
»Ich halt' es nicht mehr aus, allein. Es ist zuviel. Oder doch: zu schwer. Immer Orléans und Metz! Und Krieg! Ich versteh' davon nichts! Ich fürchte es! Und alles Boso überlassen? Wer weiß, ob er mich nicht verrät? Du warst freilich kein Held, Chilperich. Oft hab' ich dich darum verspottet und des – andern heimlich im Herzen gedacht; des einzigen, der mir – einmal, nur einmal sah ich ihn! – das Blut heiß in die Wangen schießen ließ. War er schön, dieser blonde Heldenjüngling! Wie schade, daß ich ihn umbringen mußte: – den Einzigen, den ich so gerne geküßt hätte! Und ihm durfte die Gotin einen Sohn gebären! Wie, wenn ich ihn – Sigibert – auferweckte von den Toten und . . . – ach, ja so! Er war ja auch mein Bruder! – Die Gotin würde er küssen und mich zertreten –! Chilperich! – Du wußtest doch, was Krieg ist. – Und auch sonst! Wie oft hab' ich im Herzen mich heimlich berühmt, ich sei klüger, kühner als du. War es auch: – solange du neben mir standest, – solange du ausführtest, was ich dachte. Aber jetzt! Ach ich bin so allein! – Und immer seh' ich, wenn ich so allein bin, den blonden Knaben erhobenen Fingers mit dem Zorne Gottes mich bedräuen. – Ich trag' es nicht mehr. – Ich muß dich wieder haben, Chilperich. Den Fluch, den du in Umnachtung des Todes gegen mich geschleudert, den mußt du zurück, mußt ihn mir von der Seele nehmen. Ich muß dich wieder haben, muß es sein, durch eine neue große Sünde. – Ah, da bist du, Winnoch.«
»Was befiehlst du, Königin?« fragte dieser finster. »Deine Befehle bringen Unheil ihren Vollstreckern.« – »Was siehst du so verdrossen, elender Knecht, wenn deine Herrin dich entbietet?« – »Wo wär' ich, hätt' ich, wie Bladast, deinen letzten Befehl erfüllt?« Sie lachte. »Geschah ihm recht, dem Frechen. – Ich ward der Lohnzahlung ledig! – Aber höre nun. Beantworte meine Fragen.« – »Sind es abermals dieselben? Zum hundertsten Mal? Es macht die öde Wiederholung meinen Kopf, meine Gedanken so krank wie . . . –« »Die meinigen, willst du sagen? O ja, mag wohl sein, daß die Gedanken da links in meiner Stirn nicht gesund sind, seit – seit ich auf diese Schläfe fiel. Es schmerzt oft so – ganz tief im Gehirn.« Sie rieb die Schläfe und neigte das Haupt langsam von rückwärts nach vorn. »Aber die andern – die Gedanken rechts sind frisch.« – »Das ist thöricht, Königin!« – »Gieb acht und antwort. Also: nicht wahr, es ist ein Gott?« Gelangweilt erwiderte er: »Ja! Tausendmal . . . .!« – »Schweig! Es muß ein Gott sein, weil es erstens die Kirche lehrt – weiter: – wie geht es weiter?« »Und zweitens die Natur« – sagte er gähnend auf. »Woher wäre sonst die Welt? Und drittens –«
»Nun drittens!« – »Du weißt es ja selbst, – wie's im Buche steht.« – »Aber du sollst es sagen –« »Und drittens – das Gewissen!« flüsterte er scheu. »Siehst du?« lachte sie seltsam. »Du magst dies stechende Wort auch nicht gern aussprechen! ›Und weil Gott ist, ist auch‹ – weiter!« – »Die Seele unsterblich, weil Gott die unsterbliche Seele geschaffen hat.« – »Und sie lebt nach dem Tode –« – »In ewiger Qual oder ewiger Seligkeit.« – »Und die Hölle kann man abkaufen . . .« – »Durch gute Werke.« »Und jede Sünde, ausgenommen die wider den heiligen Geist. Bis dahin,« fragte die Königin müde, »war es das Alte. Aber nun gieb acht! – Ist Zauber, ist die Anrufung der Dämonen die Sünde gegen den heiligen Geist?« – »Nein.« – »Weißt du's gewiß?« – »Ja.«
»Gut. Ich weiß es auch. Schon lange. Aber ich wollte es bestätigt hören: – du bist ja Priester –! Denn ich fürchte mich ein wenig.« Sie fröstelte.
»Was willst du thun?«
Sie beugte sich dicht an sein Ohr und flüsterte: »König Chilperich aufwecken von den Toten.«
Winnoch sprang auf, sie faßte ihn am Arm und zog ihn zurück. »Bleib. Es muß sein. Ich halt' es nicht aus ohne ihn. Den Heiligen, der es kann, den – hab' ich verlegt, verschoben, ausgestrichen, vergessen. Der Christus, der mir das zu thun versprach, der war, wie sich ergab, ein Narr. Mit Pfeilen haben sie ihn erschossen, wie einen Vogel. Der Heilige, der es mir versprochen, war vollends ein Betrüger. Aber ich habe nun, für sehr viel Gold, von einer alten Pythonissa . . . –« »Von der Hexe von Paris?« rief Winnoch erschrocken.
»So heißt sie. Ein bergalt Weib, halb verrückt; aber sehr kräuterkundig. Sie hat mir schon früher einen Berauschungstrank gebraut – und dann ein Gift, vortrefflich! – Ha, wie geschwind –« sie lachte laut, »fiel doch jener plumpe Frankenriese vom Gaul! – Und ein Gegengift, ich nehm's nach jeder Mahlzeit –! Die haben sich alle meisterlich bewährt. Wohlan, die hat mir einen Leichenzwang verkauft: – Kräuter, Dämpfe und – mit Anrufung der Dämonen, weiß nicht, welcher Völker. Hilft, hilft gewiß! Wie Rauschkraut half und Gift und Gegengift! Ist sehr schwere Sünde – aber die kauf' ich ab. Ich habe noch Schätze liegen, geheime – in der . . .«: plötzlich hielt sie inne. – »Nein! Ich sag's dir nicht, wo. Chilperich meinte, jeder Mensch hat seinen Preis. Du könntest mich auch verraten. – Glaubst du wohl, daß Boso mich verrät? – Also – heut' um Mitternacht weck' ich den toten Chilperich, meinen Bruder –« – »Du redest irre, Königin.« Sie lachte schrill: »Hi, hi! Sind wir nicht alle Brüder und Schwestern in dem Herrn? Schlechter Christ, ungelehrter Priester! War nicht Eva von demselben Fleisch wie Adam? Seine Schwester! Und Gott selber gab sie ihm zum Weibe. Also, wo liegt da die Sünde?« – »Königin, ich verstehe dich nicht.« – »Das will ich hoffen! Also: ich wecke Chilperich wieder auf: ich brauch' ihn, brauch' ihn, brauch' ihn!« Sie schrie jetzt. – »Nicht, wie du meinst. – Du Knecht deines Blutes. Nicht das Eheweib begehrt des Mannes: sein Kind braucht den Vater! Und ich brauche den Schützer, den klugen, kühlen Kopf –: denn mein Kopf – ach er schmerzt mich oft! Jetzt gerade wieder! – gar so sehr. Und das Herz, das drückt oft noch ärger. – Horch auf: – du holst mich kurz vor Mitternacht hier ab . . – ich mag nicht allein . . . –« »Nein!« rief Winnoch aufspringend. »Den Leichenzwang mach' ich nicht mit: – ich will nicht mit ansehen, wie Herr Chilperich aus dem blutigen Bahrtuch steigt!«
»Thor! Das sollst du nicht. Nur bis an die Basilika sollst du mich begleiten. Ich fürchte mich nicht vor dem toten Gemahl, nur vor den Lebendigen auf der Straße. Ich steige allein hinab in die Krypta zu – ihm. – Allein muß ich's vollbringen.«
Schwül brütete die Augustnacht über Paris. Nur wenig hatte die drückende Hitze abgenommen seit Sonnenuntergang. Es war Vollmond. Der Fluß, die flachen Dächer der alten, oft bis in die Römerzeit zurückreichenden Häuser glänzten in geisterhaftem Licht, während die sehr engen, winkeligen Gassen, von hohen Mauern und Türmen überragt, in tiefschwarzem Schatten lagen.
Kurz vor Mitternacht ward durch die Straßen eine geschlossene Sänfte geführt; neben den vier Knechten, die sie an langen, über die Schultern gelegten Stangen trugen, schritten vier Lanzenträger; Winnoch folgte.
Weite Wege gab es noch nicht in dem Paris von damals: von Fredigundens Wohnung, dem neuen Palast Chlodovechs, den sich dieser, den alten römischen Palast der Thermen verlassend, im Herzen der Stadt, neben der Peter- und Paulskirche, nahe der größeren Seineinsel, auf dem linken, dem südlichen Ufer des Stromes erbaut hatte, war in einer Viertelstunde weiter stromabwärts die Basilika des heiligen Vincentius leicht zu erreichen. Aber die Königin hatte doch die geschlossene Sänfte befohlen; sie fürchtete den Groll des Volkes und mehr noch den Schwindel und das Herzpochen, die sie beim Gehen leicht befielen.
Als der kleine Zug vor der Basilika angelangt war, – schwarzes Dunkel warf der hohe Römerturm daneben auf ihre Stufen – wurde das Thor leise geöffnet. – Der nächtliche Besuch war vorher angesagt worden: ein paar Priester traten hervor, mattleuchtende kleine Lampen in den Händen; schweigend, mit verstörten Mienen begrüßten sie, tief sich neigend, die Königin, die ihren weiten dunkelroten Mantel über ein mächtiges Gefäß geschlagen hatte, das sie nicht aus der Hand ließ; mühsam, schwer atmend stieg sie die Stufen hinan; auf der vierten machte sie Halt und stützte sich auf Winnoch, die Linke auf die Brust pressend.
»Wie dein Herz schlägt, Königin!« warnte der. »Du solltest nicht so Grauenvolles wagen.« »Schweig,« befahl sie, sich aufrichtend und die übrigen Stufen hinansteigend. »Du folgst mir – du allein – bis an die Pforte der Krypta. Dort wartest du – bis wir . . . bis ich daraus hervortreten werde. Ist die Pforte der Grufthalle von Innen schließbar?« fragte sie die Priester. »Ja, o Herrin!« – »Desto besser. Ich werde von innen schließen. Und keiner wag's, so wahr ihm sein Leben lieb,– ihr mögt hören, was es sei, es mag dauern, solang es wolle – keiner wage, einzudringen, bis ich selbst die Thür erschließe. Er wäre verloren!« Und zu Winnoch sagte sie leise: »Nicht ich selber könnte dich retten vor der Wut der belauschten Dämonen. Vorwärts! Leuchtet!« gebot sie.
Die Knechte und die Lanzenträger setzten sich auf die unterste Stufe der Basilika. Sie aber durcheilte nun raschen Schrittes das Mittelschiff der Kirche, bog um den Hauptaltar in der Absis und setzte den Fuß auf die erste der Staffeln, die hinter dem Altar in die Krypta hinunterführten.
Sie zögerte, sie erschauerte leis: in dem Steinbau, innerhalb der dicken Mauern, war es sehr erheblich kühler als in der Sänfte und vor der Kirche; sie fror, es schüttelte sie.
Der Diakon bemerkte es: »O Herrin,« sprach er zaghaft, »verstatte deinem Knecht ein warnend Wort. Dich schaudert . . .« »Nein! Es ist die Kälte,« sagte sie und zog den roten Mantel dichter an sich. – »Ich muß dir doch sagen: es ist nicht geheuer da unten.« »Wird bald noch weniger geheuer werden,« murmelte sie. – »Von je her galt die Krypta als von Dämonen heimgesucht. Man vernahm gar oft von unten her geheimnisvolle Geräusche. Aber niemals so häufig, als in den letzten drei Tagen.« – »So? Das ist mir lieb zu hören. Sehr lieb.« – »O spotte nicht! Es kracht und stöhnt und ächzt da unten. Es ist, als ob einer der dort Bestatteten mit aller Gewalt den furchtbar schweren Erzdeckel seines Sarkophages heben, sprengen wolle.« »O,« atmete sie tief auf. »Die vorbereitenden Zaubersprüche wirkten,« flüsterte sie Winnoch zu. »Seit drei Tagen, nicht?« – »Ja, seit drei Tagen: bevor wir – heute erst – auf Euren Befehl den Sargdeckel Herrn Chilperichs gehoben.« »Es trifft zu. – Geduld, mein Chilperich: – ich komme, dich zu holen. – Ihr wißt,« sprach sie laut, »ich muß am offenen Sarge meines Gatten beten: – ein Gelübde. – Ei ist hier alles schwarz und finster! Als ging es in die Unterwelt. Hinab! Leuchte voran!«
Über viele, viele Stufen ging es hinab; Wasser troff aus den roh behauenen Steinwänden an beiden Seiten. Endlich war die letzte Staffel erreicht; eine starke Thüre, mit ehernen Platten bekleidet, schloß die Krypta. Der Priester sperrte auf: – kalte Kellerluft schlug entgegen aus dem nachtschwarzen Gruftgewölbe.
Entschlossen schritt Fredigundis über die Schwelle: geduckt, mit Grauen, sah ihr Winnoch nach. – Sie setzte das schwere Gefäß, das sie allein getragen hatte, jenseit der Schwelle nieder. – »Gieb mir die Ampel – nein, jene offene –! Und nun wartet: – draußen!« Der Priester stellte die offene, schalenförmige Ampel auf den Estrich, dicht hinter der Schwelle nieder: – »Hier ist der Riegel, der Innenriegel!« fügte er bei und trat zurück.
Fredigundis schlug die Thüre ins Schloß – sie sah noch Winnoch warnend den Finger erheben – und schob den mächtigen Eisenriegel vor: sie war allein in der Unterwelt bei den Toten.
Tiefe, dunkle Nacht, wohin sie blickte in dem sehr großen Raum. Die Ampel zu ihren Füßen erhellte nur die nächste Umgebung mit ganz mattem Scheine.
»Wenn das Licht erlöschte!« Es war ihr erster, erschreckender Gedanke. – »Bah, ich finde mich leicht zu der Thüre zurück!«
Sie hob nun mit der Linken die Ampel von dem Estrich auf; mit der Rechten ergriff sie das schwere Gefäß, das sie niedergestellt hatte, und ganz langsam, Schritt vor Schritt setzend, ging sie vorwärts, mit der Ampel vor sich hinleuchtend.
Nur einmal war sie bisher in dem Grabgewölbe der Merowingen gewesen: als Chilperichs Leiche hier in dem alten Römersarkophag war beigesetzt worden. Seither hatte sie eine seltsame Scheu fern gehalten von dem Grabe des Gatten, der – ihr Bruder war. Allein nun zwang die Not, die innere Not des Herzens.
Sie erinnerte sich: der Sarkophag Chilperichs war der letzte in einer ganzen Reihe von solchen Steinsärgen – am weitesten rechts. Sie durchschritt zuerst geradeaus den Gang des Mittelgewölbes, wandte sich dann nach rechts und hielt vor dem letzten Sarkophag. – Es war ganz richtig. Der Deckel dieses Sarges – eine wuchtige, hochgewölbte, ausgemeißelte Marmorplatte mit ehernem Randbeschlag und langem, spitzem Zahndorn, der genau in eine Öffnung des Randes der steinernen Sarkophagtruhe paßte, war – auf ihren Befehl – heute in die Höhe gehoben worden. Eine dünne Eisenstange war zwischen der Truhe – an deren Fußende – und dem Deckel eingespreizt, diesen emporzuhalten. Ein dunkelfarbiges Bahrtuch war über die Leiche des Königs gespreitet, die nach Entfernung der Eingeweide, gemäß der aus Byzanz und Ägypten herübergenommenen, bei Königen und Heiligen ganz regelmäßig angewandten Sitte der Zeit, kunstvoll einbalsamiert und vor Verwesung geschützt war.
Sie stellte das Gefäß nieder und leuchtete mit der offenen Ampel umher, das Gruftgewölbe musternd, das sie umgab. Es fiel ihr auf, daß der Qualm der Ampel stark nach links abdampfte: – Zugluft drang rechts von der Mauer her, die hoch über Menschenhöhe eine Lücke haben mußte; aber alsbald kehrte der Qualm zurück: auch auf der linken Seite drang ein Luftzug ein durch das Gemäuer.
Nachdem sie die Inschrift auf Chilperichs Sarg – sie selber hatte sie verfaßt und die Lobesworte nicht gespart – gelesen, schritt sie weiter nach links, suchend mit der Ampel. Nach einigem Suchen fand sie, was ihr im Sinne schwebte. Sie machte Halt und las: ›Hier ruhen die irdischen Reste des ruhmvollen Mannes, Herrn Chlothachars, des Königs der Franken, der zuerst seit König Chlodovech wieder alle drei Reiche der Franken: Austrasien, Neustrien und Burgund, unter seinem Scepter vereinen durfte. Das gewährte ihm Gott zum Lohne seiner Tugenden: Frömmigkeit, Gerechtigkeit und Keuschheit.‹ Sie las es, langsam, bei jedem Wort verweilend, mit der Ampel den einzelnen schwarzen Buchstaben in dem grauen Gesteine folgend. Als sie zu Ende war, lachte sie.
Aber sie erschrak: denn von allen Seiten, – und viel lauter, dünkte ihr, – scholl ihr Lachen wieder in der Wölbung.
»Herr Chlothachar – mein Vater!« – sagte sie bitter – »wenn ich dich nun aufweckte, mit all' deinen Tugenden? Und wenn dich deine Tochter fragte: warum hast du meine Mutter verlassen – nach einem Tag –? Warum bist du nie auf deinen Hof an der Wutach gekommen, wo du sie geborgen hattest: – doch nur, um sie wieder aufzusuchen? Hast sie vergessen, wie das Eichhorn die süße Nuß, die es sich versteckt hat im hohlen Baum, sie später wiederzuholen? Hast dein Kind nie aufgesucht? Weshalb hast du nicht auch mich anerkannt als dein Blut, wie so viele andere, und mich gemäß meinem, – gemäß deinem Blut – erzogen wie andere und vermählt irgend einem stolzen Herzog? Dann wäre vieles nicht geschehen. Zwei deiner Söhne – meine Brüder! – lebten noch! Und ich hätte mich nicht mit Gewalt eindrängen müssen in den Glanz, der mir gebührt von Geburt. – Denn nicht wir, nicht ich und mein Chilperich, tragen Schuld, daß die Schwester des Bruders Gattin ward. Du bist der Schuldige! – Schlafe fort, du tugendreicher König! Aber schilt nicht, wenn ich mir den Gatten erwecke.«
Und sie kehrte zurück an Chilperichs Sarkophag.
Sie nahm nun aus dem großen Erzgefäß allerlei seltsame Dinge heraus: ein rundes Kohlenbecken, auf einem ehernen Dreifuß ruhend, eine Pergamentrolle und mehrere Säcke, teils von grober Leinwand, teils von ungegerbtem Leder, ein paar schmale, winzige Krüge, auch ein Päcklein Werg und Zunder. Und nun begann sie ein geschäftig Werk.
Den langfaltigen Mantel, der sie in der Bewegung der Arme hinderte, warf sie ab. – Vor allem entzündete sie einen Streifen Werg an ihrer offenen Ampel und setzte damit kleine Holzspäne und Kohlen in Glut, die sie aus dem größten Sacke genommen und in das runde Becken, hoch aufgehäuft, geschichtet hatte. Sofort stieg ein eigenartig und stark duftender Rauch empor, der sich gelblich braun über dem Becken hinwegzog vor dem Luftzug aus der Mauerlücke zur Rechten.
Nun streifte sie beide Schuhe ab und trat, mit leisem Frösteln, nacktfüßig auf den kalten Estrich; sie löste das dunkelblaue Band, das ihre Haare auf dem Wirbel zusammenhielt, und ließ sie über die weißen Schultern rieseln. »Ob ich ihn vorher schon aufdecke? – Nein!« sagte sie schaudernd.
Und nun, in feierlichem Taktschritt den Sarkophag umwandelnd, las sie aus der Pergamentrolle Wörter ab, die sie meist nicht verstand. Sobald sie aber wieder an dem Kohlenbecken, das an dem Fußende des Toten stand, angelangt war, warf sie, in bestimmter Reihenfolge in die weit geöffneten Säcklein greifend, eine Handvoll des Inhalts auf die glimmenden Kohlen.
Immer rascher ward dabei ihr Schritt: – und immer qualmender, immer stärker duftend zogen die gelben, braunen, schwarzen, roten Dämpfe von dem Becken aus über sie und über den Sarg hin, allmählich das ganze Gewölbe füllend. – Manchmal prasselte auch nach solchem neuen Einwurf das schwelende Feuer hoch lodernd auf, Funken sprühend, knisternd und knatternd.
Und sie sprach dabei, ablesend aus der langen Rolle, bald aus diesem, bald aus jenem Säcklein oder Krüglein schöpfend, und geschäftig ausstreuend oder sprengend aus vollen Händen:
»Erst Honig und Milch, dann Wein, Öl und Mehl: alles Lebenden Grundstoffe. Dann Walrat und Rostwurz! Dann Safran, Bisam und Moschus. Dann Thymian und des Maulwurfs getrocknetes Blut. Ein Kuckucksei und die Schnurren des Luchses. Nun rasch! Bilsenkraut, drei rechte Hände voll. Und der letzte Schweiß eines Mannes, der am Galgen verstarb. Und Schwefel, drei linke Hände voll. Und das Kraut Johannis des Täufers. Und eines Knaben mit auf die Welt geborne Glückshaube! Und Teufelsabbiß und Alraunwurzeln! Schierling und Mandragora! Und Nachtschatten und schwarzen Mohn! Sumpfeppich und Sumpfporst! Koriander und Eppichwurzeln! Und Bibergeil! Und Raute und Drachenpilz und Fliegenschwamm. Und schwarzer Mohn und Eppichsaft. Und nochmal eine Hand Schwefel und Bilsenkraut. Und ganz zuletzt: das nie genannte, das dreimal gebrannte, das nur dem Höllenwirt Bekannte, das hell auflodernde Mächtigste: – das blutrote Pulver des Leichenzwangs!«
Endlich war der letzte Wurf aus dem letzten der Säcklein – bis auf Einen – geschehen: geleert lagen diese auf dem Estrich; schon lange war solcher Qualm aufgestiegen aus den bald hell auflohenden, bald gedämpften Kohlen, daß in allerlei phantastischen Streifen, Schleiern und rundgeballten Leibern dichte Wolken über dem Sarkophage schwebten, diesen wie die Beschwörerin verhüllend. Der Geruch, der strenge, war so betäubend, daß sie manchmal nur schwer Atem fand und, sich mit der Hand auf die offene Sargwand stemmend, tiefer, mit Anstrengung, Luft schöpfte.
Nun hielt sie inne: – erschöpft, bleich, mit gewaltig klopfendem Herzen: – der Schweiß trat ihr auf die Stirn und doch fror sie: von den kalten Füßen stieg aus dem Marmorestrich die Kälte ihr bis ans Herz; sie raffte daher den weitfaltigen Mantel wieder auf, schlug ihn um die linke Schulter und schloß die Spange auf derselben.
»Jetzt kommt's – jetzt kommt das Ärgste!« sagte sie. »Mir graut. – Doch es muß sein.« –
Und sie begann nun mit lauter Stimme: – obwohl sie zuerst über den Wiederhall der eigenen Worte erschrak, fuhr sie doch so fort – ihre Stimme gab ihr bald Mut: – sie las ab: »Nun höret mich – ihr, die ich nicht kenne und doch verehre, nicht sehe, aber anwesend spüre« – da erschauerte sie – »in dieser Stunde der Nacht, in der Nähe der Toten, die ja nicht tot sind, sondern nur schlafen und oft ächzen« –: da schrie sie leise auf – aber es war nur ein zerspringendes Stück Räucherwerk auf dem Becken gewesen – höre mich: du der Dämonen nächtliche Herrin, Hekate mit den Schlangen im Haar! Höre mich, Hermes Trismegistos, du mit den Drachenflügeln! Höre mich, Teutates, dem der Druide die heilige Mistel schnitt mit goldener Hippe! Höre mich du, waltender Wotan, der du mit Leichenrunen neun tote Walas geweckt hast und gezwungen zur Rede. Ich hab' euch gerufen, ich hab' beschworen: – ich bete euch an – ihr gewaltgen Dämonen! Auf den Knieen bete ich euch an« – und sie warf sich auf die Knie und preßte das Antlitz auf den Boden. –
Als sie sich aufgerichtet – es ward ihr schwer! – lag eine breite gelbweiße Qualmwolke über dem Sarkophag. –
»Ich ruf' euch und zwing' euch! – Erweckt mir vom Tode – ihn, der da vor mir im Sarge nur schläft – ich ruf' ihn, ich zwing' ihn, ich will ihn lebendig, daß er spreche und wandle – ihn, – ihn: – Chilperich, den Sohn Chlothachars.«
Nun faßte sie das letzte Säcklein und entleerte dessen ganzen Inhalt auf einmal in die Glut. – Laut prasselte diese, hoch schlug eine blaue Flamme empor. – Sie erlosch und dichter Dampf stieg auf, hoch, weit über Menschenhöhe: – »Ja, ich will – nein, nein, nein,« schrie sie plötzlich – »ich kann es nicht! – Ob dann wohl das Blut wieder aus seiner Wunde auf mich spritzt? Doch! Ich will! Ich muß. – Komm! Wach auf! Ich rufe dich, Chilperich – mein Gemahl!«
Und entschlossen riß sie, ganz dicht an den Sarkophag hinantretend, das dunkle Bahrtuch weg – da – wirklich! – sie sah's mit Grausen und Entsetzen, da stieg vor ihr gelbbrauner Dampf empor und in dem Qualm ballte sich's zu einer Gestalt: – das Kopfende der Leiche schien sich langsam zu heben.
»Ah!« schrie sie. »Er kommt! Wirklich!«
Sie fuhr zurück mit gellendem, gellendem Schrei, stürzte nieder auf ihr Antlitz, ganz hart neben dem Sarkophag, mit dem linken Ellbogen stieß sie dabei die Eisenstange aus dem Sarg: – – und furchtbar dröhnend schmetterte der centnerschwere Deckel hinab. – Der gewaltige Krach schreckte sie auf. Sie wollte aufspringen. – Weh! sie konnte nicht! Der spitze Zahndorn des Deckels war zwischen ihren Haaren und durch ihren Mantel hindurch, einen Teil ihrer Haare einklemmend in den Sarg, zugeschlagen: sie konnte nicht auf.
»Der Tote hält mich fest!« – So schrie sie. Und sank wieder auf den Estrich, diesmal ohnmächtig. – Die Sinne waren ihr vergangen. – – –
Lang, lange lag sie so.
Zuerst, bald, erloschen die Kohlen – einen letzten, dumpf betäubenden Qualm aushauchend. – Dann losch auch die Ampel. Nun war alles dunkle Nacht. – – –
Lange hatten Winnoch – wohl vernahm er das Krachen des lauten Schlages und ihren Schrei – und die von seiner Angst herbeigerufenen Priester nicht gewagt, trotz ihrer Besorgnis, zu rufen. Sie fürchteten die Königin. Endlich, als Stunden vergangen waren: – schon war die Nacht der Dämmerung gewichen, – befahl der Diakon, mit Brecheisen die Thür zu sprengen; sie eilten mit Grauen in das Gewölbe.
An dem Sarg Chilperichs lag bewußtlos Fredigundis noch immer mit eingeklemmtem Haare: selbst die Erbrechung der Thüre hatte sie nicht geweckt: mit Stangen und Hebeln mußte der Sargdeckel gehoben werden.
Nun trugen sie die Königin die Stufen empor, durch die Basilika; erst in der frischen Morgenluft draußen erwachte sie, die Augen groß aufreißend. – Aber sie schloß sie wieder: ihr Blick war auf ihr Haar gefallen, das über ihre Brust hing. »Das bin ich ja nicht« – sagte sie und schloß die Augen wieder. – »Ich bin es nicht. – Fredigundis, die hatte schön rotes Haar – dies Haar ist ja schneeweiß.«
Und schneeweiß war es geworden in der Einen Nacht. Mit schweigendem Entsetzen wies es Winnoch, zitternd am ganzen Leibe, den Priestern. Schweigend trug man die wieder Bewußtlose in der Sänfte in den Palast zurück.
Eine Woche lang lag Fredigundis wie niedergeschmettert vom Blitzstrahl.
Grauen und Schrecknis jener Nacht schienen ihre Kraft geknickt zu haben; sie öffnete nur selten die Augen, genoß wenig, sprach gar nicht. Aber am Morgen des achten Tages richtete sie sich auf und blickte erstaunt um sich. »Ich glaubte, ich sei gestorben,« sagte sie zu den Dienerinnen. »Nun leb' ich doch noch. Wie seltsam! Rüstet mir ein Bad. Und dann bringt mir vom besten Wein. Und bratet mir Fleisch. Gutes, saftiges Fleisch; mich hungert.«
Rasch erholte sie sich: noch einmal richtete sich diese zähe Natur auf. Auch über die weiße Färbung ihres Haares, die sie anfangs sehr schmerzte, tröstete sie sich, als ihre Umgebung versicherte, es stehe ihr wunderschön.
»Ja,« sagte sie, nach langer Prüfung den Silberspiegel Landerichs weglegend, »es ist wahr. Es ist sehr schön. – Ein wenig unheimlich –: so geisterhaft, die doch noch recht jugendlichen Wangen umrahmt von diesem schneeweißen Haar.« –
Die Mägde wußten nicht, ob sie das zu ihnen oder zu sich selbst sprach: – sie unterschied das manchmal nicht mehr.
»Ei,« lachte sie, leiser fortfahrend, »nun mag Prätextatus kommen und allen Richtern des Erdballs vorweisen jene rote Locke: sie hat nicht mehr die Farbe Fredigundens! Und die Rotkehlchen, – die mögen sich freuen! Die haben nun Friede von Fredigundis. – Ah so, Prätextatus ist – nicht mehr da. Auch Bladast ist –! Wo ist Winnoch? – Ich muß ihn etwas fragen über jene Nacht.« »Winnoch, o Frau Königin,« erwiderte eine der Dienerinnen, »hat Paris verlassen. Er läßt dir sagen, er bereue seine vielen Sünden. Das Wunder, das dein Haar gebleicht, habe ihn erschüttert; er kehre zurück, zerknirscht und reuig, in seinen Klausnerturm bei Villa amica.« »Villa amica!« wiederholte sie. »O dort? – Das ist lange her. – Wo ist Bischof Ragnemod? Ruft ihn her! Er spielt gut das Brettspiel und erzählt dabei so lustige Geschichten aus der Beichte. Ich will spielen und lachen.« – »Herr Ragnemod, Frau Königin, hat seine Bischofswürde niedergelegt: – auf Mahnung eines Briefs aus Rom, sagt man. Er trat in das Kloster, das Herr Columban aus Hibernia gestiftet hat im Ödwald des Wasgensteins.« – »So! – Es wird leer, einsam um mich her. Wo ist Herzog Boso? Horch, was ist das? Trompetenklang und freudiger Hörnerruf auf der Straße. Was mag das bedeuten?« Ein Thürwart trat ein und meldete: »Frohe Botschaft, Frau Königin, vom Krieg« –
»Vom Krieg? Von welchem Krieg? Ach – jawohl! Den ganzen Krieg hatt' ich vergessen. Boso führt ihn – nicht Theudibert. – Theudibert ist auch schon lange – fort.« – »Du hast gesiegt, Frau Königin. Dein Herzog Boso hat die Burgunden überfallen in ihrem Lager bei Droisy, südlich von Soissons. Viel Tausende deiner Feinde sind gefallen.« »Das ist recht! Das ist fein!« rief sie lebhaft, vom Bett aufspringend: sie patschte die kleinen Hände zusammen, daß es laut erschallte. »Die noch übrig, sind zersprengt und nach Burgund zurückgeflohn.« »Das ist der Dank der Heiligen,« nickte sie vergnügt. »Viel hatte ich ihnen für den Sieg gelobt. Ah, man sieht, die alten Mittel helfen noch,« schloß sie beruhigt. »Deine gute Stadt Paris,« fuhr der Mann fort, »atmet hoch auf, befreit von der Furcht, belagert zu werden. Die Bürger wünschen dir Glück zu diesem Sieg. Sie bekränzten die Pforten des Palastes. – Hörst du sie draußen? Sie rufen dir zu! Sie wünschen dir Heil!«
»Jawohl,« lachte sie höhnisch »und sie erinnern mich an die versprochene Speisung und die Spiele. Es soll geschehen! Geht, sendet mir den Kämmerer und den Kellerer und den Truchseß. Sie sollen das Fest rüsten: groß, königlich, ein echtes Siegesfest der Merowingen. – Und den Geistlichen sagt, heute noch – ich hab's gelobt! – heute nach Mittag lege ich den Grundstein zu dem Bethaus unserer lieben Frau vom Siege.« – –
Und so geschah's.
In den vorher schon aufgeschlagenen Schranken des »Cirkus« auf dem Campus Martius vor dem Thore der Stadt, einer weiten Wiese, wurden nach wenigen Stunden die lange vorbereiteten Wettrennen und Kampfspiele abgehalten; außerhalb der Schranken auf einigen Hunderten von hölzernen Gestellen und Schemeln, die unsern Schulbänken einigermaßen ähnlich, Tisch und Sitz vereinten, wurde Tausenden von Bürgern mit ihren Weibern und Kindern Wein und Bratfleisch gespendet.
Und als die Königin, – sie ließ sich's von den Ärzten nicht verbieten – hoch zu Roß, auf prachtvollem Rappen, – Mähne und Schweif waren ihm von scharlachroten Bändern durchflochten, und zwei Stratores führten ihn an den purpurfarbenen Zügeln, – von der Grundsteinlegung zurückkehrend, durch das Marsfeld ritt, da begrüßte sie brausender Jubel. »Heil Fredigundis, Heil der Siegerin! Heil der Spenderin! Heil ihr und langes Leben!«
Und sie ließ sich den Knaben reichen, der neben ihr in einem purpurbehangenen Wägelein von zwei kleinen weißen Pferdchen gezogen ward; sie hob ihn hoch empor und zeigte ihn den Tausenden: »Schau her,« rief sie, »du Volk der freien Franken, ihr lieben Bürger von Paris, schaut her, da seht ihr euren jungen König, der alten Merowingen echten Erben. Schwört ihm Treue. Er soll heranwachsen, euch zu schützen vor euren Feinden und euch reich zu beschenken.« »Heil König Chlothachar,« scholl es in die Lüfte. »Heil dem Sohne! Heil der Mutter! Heil Fredigundis!«
Stolz, voll befriedigt, legte sie das Kind in den Wagen zurück, grüßte mehrmal anmutvoll und doch königlich und gebot, ihr Roß zu wenden. »Nach Hause! Nun in den Palast zurück.«
Lange, lange hatte sie solche Wonne nicht gekostet. Höher hob sich ihr Haupt. Ihre Brust weitete sich, in ihren Zügen atmete sie Lebensfreude, Siegesglanz, Machtgenuß.
»So schön hat sie noch nie ausgesehen,« riefen die Männer ihr nach. »Wie hoheitsvoll läßt ihr das weiße Haar!« »Vor Gram um ihren Gatten! Am Sarg desselben betend ward sie so verwandelt,« meinte ein Weib. – »Sie muß die Heiligen versöhnt haben für gar manche That. Wie hätten sonst die Heiligen ihr Sieg gewährt?« – »Wie dem sei, die Burgunden thun uns nichts zuleide, Dank Fredigunden.« – »Und ihr Wein ist gut.« – »Und reichlich ward er gespendet.« – »Darum: Heil Fredigundis.«
Und ihrem stattlichen Aufzug von Geistlichen, Höflingen und Kriegern folgte vom Marsfeld an ein Haufe Volkes: – auf allen Straßen, durch welche sie ritt, schlossen sich Leute an und stimmten ein in den Ruf: »Heil, Heil Fredigundis!«
Der Zug mußte an dem Kloster der heiligen Genoveva vorbei. Gern hätte die Königin, als sie die Richtung erkannte, einen andern Weg eingeschlagen; sie sagte das den Stratores. »Es geht nicht anders, hohe Frau,« erwiderten diese. »Die andern Gassen sind zu eng: schau nur, wie dein treues Volk von allen Seiten herandrängt. Auch auf dem Klosterplatz sogar – sieh nur hin! – staut sich der Zug. – Treibt sie auseinander.« »Nein, laßt sie nur. Es eilt ja nicht. – Es thut mir wohl,« sagte langsam Fredigundis. Sie wiegte sich in dem Wohlgefühl lärmender Huldigung.
So zürnte sie denn auch nicht, als ihr Zug vor den Stufen der Basilika völlig zum Halten kam. Es wollte den Vorreitern nicht gelingen, die dichtgedrängten Massen zu zerstreuen. Ihr edler Rappe scharrte ungeduldig den Grund, ihr langer Purpurmantel wallte, sie streichelte des Rosses Nacken, sich wiegend im golddurchwebten Sattel, auf dem sie seitlings, wie heute Damen reiten, saß.
»Heil Fredigundis, der Siegerin!« scholl es nochmal laut. Da fiel ihr Blick auf einen Bettler, der barhaupt auf der untersten Stufe saß, dicht neben den Hufen ihres Rosses, das sich hüten mußte, ihn zu treten; denn der Alte schien der Hufe nicht zu achten.
Sie sah erstaunt auf ihn herab und hörte, wie er langsam ganz laut vor sich hin sprach: »Da sieht man's wieder, unbestreitbar klar. – Es ist kein Gott.«
Wie vom Blitz getroffen fuhr die stolze Reiterin zusammen, »Was,« – kreischte sie – »was sagst du da? – Wer bist du?« – »Ich heiße Drakolen. Wer aber bist du?« – »Und was hast du – gesagt, – zu denken gewagt?« – »Es ist kein Gott. – Könnte sonst Fredigundis siegen?« Da ließ die Königin mit gellendem Schrei die Mähne fahren, an welcher sie sich herabgebeugt gehalten: »Kein Gott?« schrie sie. »Und daher kein Leben nach dem Tode! – Vernichtung! – Ah!« Sie schrie aus Leibeskräften, und drückte, die Zügel fallen lassend, beide Hände auf das Herz. Hoch bäumte der Rappe. Und sie stürzte aus dem Sattel auf ihr Antlitz, auf die staubige Straße.
Ihre Diener hoben die Bewußtlose auf.
Sie legten sie in die Sänfte, die der Arzt für alle Fälle hatte mitführen lassen.
Das Volk stob schreiend auseinander. »Das ist der Fluch der Heiligen!« – »Das ist der Finger Gottes!« – »Vor der Kirche, wo sie den Bischof morden ließ!« – »Vor dem blinden Herzog traf sie der Streich des Herrn!« – »Flieht – weicht von der Verdammten!« – »Flieht! – Fluch über Fredigundis!« –
Mit gefällten Speeren brachen die Krieger Bahn: – Blut floß dabei: – Steine und Verwünschungen flogen der Sänfte nach.
In ihrem Schlafgemach auf dem Bette lag die Königin – sterbend.
Der Arzt hatte es gesagt; es sei das Herz geborsten und keine Hilfe; vielleicht erwache sie noch einmal, aber nicht auf lange mehr. Mit diesem Wort zog er den kostbaren Goldkelch von ihren festgeschlossenen Lippen; er wollte ihn auf den Schanktisch stellen – er betrachtete ihn dabei: – das Gold funkelte im Licht der Abendsonne, die durch das offene Rundfenster brach. – »Er ist sehr wertvoll,« sagte er zu der nächsten Dienerin. »Weißt du was? Ich nehm' ihn. – Sie wollte mich Schuldlosen morden, als ihr Sohn Samson starb! Die Teufelin, sie ist des Todes. Ihr Erbe ist ein Kind. Wer weiß, wer all' die Schätze gewinnt? Es ist doch allen uns – den Franken, dem Volk – abgepreßt von der Tyrannin und ihrem bösen Gemahl! Wenn ihr klug seid, – so thut wie ich.« Er faßte noch eine Schale dazu, barg sie im Gewand und eilte hinaus.
Und die Mägde, die Dienerinnen alle – thaten wie er. Sie nahmen von den Tischen, was an Kostbarkeiten umherlag, – sie rissen die Truhen auf, fuhren mit den Armen hinein und rafften hastig heraus, was sie fassen, was sie tragen konnten. Kein Auge sah mehr auf die Kranke. Und als sie das Schlafzimmer ausgeleert hatten, ließen sie hinaus und setzten die Plünderung fort im Vorsaal. Hier stießen sie auf die Diener, die Thürhüter, ihre Gesippen, ihre Freunde, ihre Buhlen; jubelnd folgten die Männer dem Beispiel der Mägde. Lärm, Lachen, Streit scholl aus den äußeren Räumen, aus den Gängen.
Dann ward es still, ganz still in dem Königshaus: – es war leer geworden.
Die Abendsonne sank und sank. Sie warf ihr Licht jetzt auf das niedere Pfühl, das nur zwei Schuh vom Estrich sich erhob. Der Strahl traf auf die Augen der Kranken. Der Lichtreiz weckte sie: sie schlug die Lider auf, wandte den Kopf und stöhnte. »Wasser! Wasser!« ächzte sie. »Ich verschmachte.« Nichts regte sich.
»Niemand hier? Wo ist Chilperich?« Sie richtete sich mühsam auf den Ellbogen. »Wie war es doch? Nachdenken! – Ah,« schrie sie plötzlich, »so war es! Falsch, falsch ist alles! – Ist die ganze Rechnung meines Lebens! – Kein Gott! Keine Heiligen! – Natürlich! Wie konnte ich sonst siegen? Und aber auch – o schrecklich, schrecklich! keine Auferstehung! Winnoch, – wo bist du? – Falsch, falsch war dein Beweis, deine Folgerung Wahn. – Die Toten stehen nicht mehr auf! – Natürlich! Daher konnte auch Chilperich nicht auferstehen. – Vermodern, verfaulen! Gar nicht mehr sein! Ich! ich, Fredigundis, die ich doch so lieb habe, so lieb – ich soll nicht mehr sein! Und die andern sollen noch sein? Und diese falsche Sonne soll scheinen auf mein Grab, indes andere lachen, tanzen! Und ich nicht mehr? Oh lieber noch solange leben: in der Vorhölle, auch in der Hölle: – aber nur leben! Ewig – ewig sein! – Nur nicht ganz aufhören! – Ob ich diesmal wohl schon sterbe? Sterbe für immer? Nein, nein, ich will . . .!«
Sie wollte aufspringen: – aber ihre Kräfte versagten: – sie fiel aus dem niederen Bett auf den Estrich. Sie rief – rief laut, sie schrie um Hilfe, bis sie nicht mehr schreien konnte.
»Oh, sie lassen mich allein! – Die Hunde! Alle, alle! – Allein! mit dem Tode! Denn gewiß: – jetzt kommt der Tod, – der ewige Tod. Ich will nicht sterben! Ich kann nicht sterben!«
Und sie fuhr mit beiden Händen in ihr weißes Haar und raufte es wild und riß lange Strähnen heraus und schlug um sich mit den Fäusten auf dem harten Marmorestrich. »Da ist er wohl! – Da schleicht er heran! – Leise, ganz leise. Hu, da ist er selbst, der ewige Tod.« »Nein, Fredigundis,« sprach eine sanfte Stimme und eine Gestalt kniete neben ihr nieder und richtete sie auf und legte ihren Kopf mit den gräßlich verzerrten Zügen zärtlich, pfleglich auf zwei weiche Kniee.
»Wer – wer bist du?« Sie starrte mit offenen Augen auf die Frau. »Rulla bin ich, deine Magd, dein Gespiel von der Wutach her: – weißt du nicht mehr?« – »Wo – kommst du her?« – »Vom Kloster. Ich sah dich vom Pferde stürzen. Ich schlich deiner Sänfte nach bis an den Palast. – Bald strömten die Knechte und Mägde aus allen Thoren auf die Straße, Gold und Silber in den Händen. Ich erreichte . . . –« – »O Rulla – Dank! Sag's – ist ein Gott und ein unsterblich Leben –? Sag's« – schrie sie. »Rasch, sag's, sonst hör' ich's ja nicht mehr. – Sag's!« – »Ja, so wahr dort Gottes Sonne scheint in den Saal! –« Aber die Sterbende hatte es nicht mehr gehört: »Nacht!« schrie sie. »Nacht wird's ringsum! Nacht auf ewig. Oh! . . . Die Qual! Die Angst! – Verzweiflung!« Sie schnellte noch einmal auf und sank zurück. Und sie war tot.
Rulla schloß ihr die starren, Furcht und Entsetzen blickenden Augen und weinte, weinte bittere Thränen, die langsam auf der Leiche Antlitz troffen.
Wenige Tage darauf stand Arnulf der Cancellarius vor Frau Brunichildis in dem Schreibgemach im Palatium zu Metz. »Es ist so, zweifle nicht mehr, Königin. Was anfangs als dumpfes Gerücht zu uns drang, – es wird durch dieses Schreiben aus Paris bekräftigt. – Deine Feindin ist nicht mehr. Sie starb, von allen verlassen, auf dem Schos einer armen Magd.«
»So dank' ich dir, Gott, und deinen Heiligen! Die Schwester und der Gatte sind endlich gerächt!« sprach die Königin, beide Arme hoch erhebend.
»Frohlocke nicht, o Brunichildis, über tote Feinde! – Aber horch, welcher Lärm im Vorsaal? Das ist Pippins Stimme. – Wie kommt der Knabe aus dem Feldzug heim?« – »Da ist er wirklich.«
Durch die Vorhänge herein sprang Pippin, die Sturmhaube auf den krausen Locken, den jungen Arnulf an der Hand nach sich zerrend.
»Was bringst du, kleiner Held!« fragte Brunichildis.
»Den Sieg, Frau Königin! Den Sieg! Mein Vater hat die Neustrier geschlagen vor Paris, ihr Herzog Boso fiel von seiner eigenen Hand. Die stolze Stadt that uns die Thore auf. Und ich – ich war auch dabei! Ich durfte ihm das zweite Roß nachführen. Ein Pfeil hat mir den Arm gestreift: es that nicht weh. Und deshalb, weil's nicht weh that, hat mich der Vater mit den andern Siegesboten zu dir geschickt, Frau Königin. Wir ritten Tag und Nacht.«
»Heil meinem Marschalk Karl!« rief Brunichildis mit leuchtenden Augen. »Zum Majordomus von Austrasien mach ich ihn.«
»Nun, was hast du indes getrieben, Nülfchen?« fragte Pippin. – »Ich lerne griechisch. Denn ich werde Priester, dir einstmals deine Sünden zu vergeben.«
»O Gott der Heerscharen! Ich danke dir!« rief Brunichildis.
»Ja, dankt ihm, edle Frau,« sprach der Cancellarius. »Doch denkt auch stets, daß das Glück wandelbar. Jetzt steht Ihr auf der Höhe. Wer weiß, wie lang? Wer weiß, was Euch noch vorbestimmt ist an Weh?«
»Kommt es, so werd' ich's tragen,« sprach die Königin, »wie es Sigiberts Witwe ziemt: – mit Heldensinn.«
»Und,« mahnte der alte Arnulf, »mit der Christin Demut und Ergebung.«
»Ja!« sprach der kleine Arnulf und faltete die Hände. »Denn was er thut, der große Himmelsherr, ob uns unerforschlich, das ist heilig. So laßt uns beten: ›Wir danken dir, Herr Gott für deine Siegesgnade. Wir bitten dich um deinen Siegessegen. Doch nicht unser Wille geschehe, sondern der deinige, gleichwie im Himmel also auch auf Erden. Amen!‹«