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Der Frühling war wunderschön eingezogen in das Land der Rosen und der Reben, in die blühende Provence. Reichen Schmuck hatte er gebreitet über die stolze Stadt Marseille.
Und herrlich war von der Burg aus, wo jetzt auf steilem Kalkfels die Wallfahrtskirche Notre Dame de la Garde weithin den Schiffer grüßt, der Ausblick auf das blaue, das leuchtende Meer im Westen und auf die von blühenden Obstbäumen bedeckte »Campania« rings vor den Wällen der Stadt.
In der Bogenhalle des königlichen Palatiums in jener Burg standen und saßen in ernstem Gespräch zahlreiche geistliche und weltliche Große des Frankenreichs; ein mächtiger Marmortisch war mit Urkunden und mit Schreibgerät bedeckt. Ein hoher Greis in reichem bischöflichem Gewand beugte sich über eine der Urkunden und schrieb langsam, fast feierlich, mit schönen, festen Zügen unter den Text seinen Namen: »Germanus, durch die Gnade Gottes Bischof der Stadt Paris.« Er legte das Schreibrohr weg und erhob sich! »So! Nun möge Gottes Segen walten über unsrem Werk, daß diesem vielgequälten Reich der Franken endlich Friede werde. Amen.« »Amen!« wiederholten alle.
»Verzeiht, ehrwürdige Bischöfe und große Herzoge,« begann ein stattlicher junger Krieger, dessen schönes Antlitz von südlicherer Sonne gebräunt schien, – er sprach das Latein mit andrem Anklang als die Franken, – »wenn ich ein paar Fragen an euch richte. Die Dinge in euren drei – oder vier? – Reichen liegen etwas kraus. Wir Goten kennen nur Einen König, der mächtig zu Toledo thront. Mir ist nicht alles klar geworden aus euren Reden; auch aus den Urkunden nicht ganz. Eure Stadt, Herr Bischof, Paris, scheint mehreren Königen zu gehören? Wie kam das?«
»Das kam so, Herr Marschall Sigila. Wir haben noch Zeit: rechtzeitig ruft uns das Zeichen, bevor das Hochzeitschiff den Hafen erreicht. – Ihr könnt dann Eurer jungen Herrin und Königin alles genau klarlegen. Sie ist – das fand ich bald, als ich in Toledo um ihre Hand warb bei ihrem Vater, König Athanagild, – sie ist gar hohen herrschgewaltigen Geistes, eine echte Königstochter vom Wirbel bis zur Sohle.«
»Herrlich ist Frau Brunichildis, meine Herrin,« sprach der Gote mit blitzenden Augen. »Glückliches Frankenreich, das sie zur Königin empfing. ›Die neue Perle, die Hispania gebar,‹ wie Venantius Fortunatus gesungen hat. Wie rühmt er sie doch?:
›Schön, anmutig und klug, echt königlich: hehr und doch gütig,
Mächtig durch Reiz und durch Geist wie durch ihr fürstlich Geschlecht.‹
»Ja, sie ist unvergleichlich,« sprach ein jüngerer Priester, über die edeln, sehr bleichen Züge flog ein leiser Schimmer hin. »Ei, Prätextatus,« lächelte der Bischof. »Seit Ihr sie mit mir geschaut in Toledo, seid Ihr so begeistert wie jener Poet. Aber ich darf nicht schelten. Ging mir es doch ebenso wie Euch.« »Reinheit thront auf ihrer Stirn,« sprach Prätextatus mit tiefem Ernst, »und hoher Seelenadel leuchtet aus ihrem klaren Auge. Reinheit und Seelenadel! Wie dringend bedarf dieser Tugenden der arge, im Schmutz der Lüste versunkene Hof der Merowingen.«
»Nicht unser Herr!« rief da laut ein junger Franke, »nicht König Sigibert. Wer wagt es, ihn zu vergleichen mit jenem geilen Fuchs, dem roten . . . –« »Gemach, Herr Charigisel!« unterbrach ein andrer der Großen, ein älterer Mann mit leicht ergrautem Haar, von schönem Antlitz und ruhiger, vornehmer Haltung, der auf der Marmorbrüstung des Bogenfensters saß: der reiche Schmuck seiner Gewandung überstrahlte bei weitem alle andern. – »Zwar sind wir – leider! – keineswegs sonderlich zufrieden mit unserm Herrn – gar nicht! Und die Zeit mag kommen, fürcht' ich, da er das erfährt! – Aber wenn über König Chilperich gescholten wird, so wollen wir das selber thun, nicht von andern gegen ihn schelten hören, Herr Kämmerer!« – »Freilich, Herzog Drakolen, Ihr seid diesem Rechte der nächste! Doch gesteht selbst: ragt nicht Herr Sigibert, der junge Held, wie ein Erzengel Gottes hoch über den guten, aber trägen König Guntchramn von Orléans und über Euren schlauen, ja geistvollen, erfindungsreichen Herrn? Von König Chilperichs Hinterlist, von seiner Wollust ist ganz Gallien voll, – von seinen Heldenthaten hat noch niemand was gehört.« »Daß Gott erbarm!« rief der Herzog, unwillig aufspringend: »Kommt, ihr Getreuen König Chilperichs! Wir können ihn nicht verteidigen mit Gründen – mit den Waffen dürfen wir's nicht – in Gegenwart der heiligen Reliquien, vor denen wir soeben den Frieden beschworen. Aber unsern Herrn schmähen hören ohne dem zu wehren, das stößt mir gegen das Herz. – Wir gehen voran! – Habt ihr ausgescholten, so kommt uns nach.« – Waffenklirrend verließen der Herzog und die übrigen Mannen des Königs von Neustrien den Saal.
Der Gote sah ihm nach. »Ein wack'rer Held! Und seinem Herrn getreu.« »Treu wie Gold,« sprach der Bischof. »Gott hat seine Tugend auch auf Erden schon belohnt.« »Ja,« rief der Kämmerer, »das muß wahr sein. Der Herr Herzog von Aquitanien ist wohl der glücklichste Mann im ganzen Reich der Franken; reich wie kein andrer – im schönsten Land des schönen Rhonestroms! – begütert, hochangesehen: in Krieg und Frieden gleich gerühmt; König Chilperich hat ihm seine starke Feste Chartres zur Behütung anvertraut; an der Seite einer trefflichen Gemahlin, umgürtet und umblüht von sechs trefflichen Söhnen, wackern Eidamen vermählt sind die zwei schönen Töchter. – ›glücklich wie Herzog Drakolen,‹ sagt man im Volk.«
»Ich sehe aber noch immer nicht klarer,« mahnte der Gote. »So hört,« begann Bischof Germanus. »Als König Chlothachar, der das ganze Frankenreich in seiner Hand vereinigt hatte, zu sterben kam, verteilte er es unter seine vier Söhne: Charibert, Guntchramn und – den Jüngsten – Sigibert, welche drei Königin Ingundis und Chilperich, den ihm deren Schwester Aregundis geboren.« »Wie?« staunte Sigila, »Zwei Schwestern nacheinander?« Beschämt schwieg der Bischof. Aber der Kämmerer lachte. »Nacheinander? Ha, ha! Zugleich, nebeneinander hat er sie gehabt. Als Ehefrauen! Alle beide!« »Die Kirche verbietet das,« fiel Prätextatus eifrig ein, »im Frankenreich, wie überall . . . –« »Aber,« fuhr Charigisel fort, »ein Merowing läßt sich auch von der heiligen Kirche nicht viel einreden.« – »Und am wenigsten,« seufzte Prätextatus, »wo es sich um Weiber handelt.« »Hei, das war schnurrig,« lachte der Kämmerer, »wie König Chlothachar die zweite Schwester dazu nahm, nur um der ersten einen rechten Gefallen zu erweisen.« »Wie das?« staunte Sigila. – »Je nun, so! Frau Ingundis sprach eines schönen Morgens, da sie sich vom ehelichen Lager hob, zu ihrem Gatten: ›Alles hab ich nun, mein königlicher Herr, erreicht durch deine Liebe und Gnade, was deine Magd ersehnen konnte. Nur Ein Wunsch übrigt noch: siehe, o Herr, Aregundis, meine Schwester, ist allmählich gar schön aufgeblüht; sie sollte nun doch auch bald der Liebe, der Ehe Glück genießen; o thu' mir die Gnade, such' ihr einen ihrer würdigen Gatten. Denn gar sehr begehrenswert ist die reizvoll üppige Gestalt. Du hast sie über Jahr und Tag nicht mehr gesehen. Sie wohnt im Hofe Clichy bei Paris.‹ Der König schwieg und nickte mit dem Kopfe. Zwei Tage darauf trat er vor seine Königin und sprach: ›Aus Clichy komm' ich. Wahr hast du gesprochen. Sehr schön ist deine Schwester geworden, die weißarmige Aregundis. Und ich weiß ihr in meinem ganzen Reich keinen ihrer würdigen Mann – als mich selber. So hab ich sie denn gestern mir vermählt.‹ Und Ingundis, wohl gezogen, sprach: ›Was mein Herr thut, das ist wohl gethan. Wenn nur auch ich . . . –‹ Darüber beruhigte sie sofort der gnädige Herr König. Und so ist nun Chilperich, Aregundens Sohn, zugleich der Vetter und der Bruder von Ingundens drei Söhnen.« »Das ist ja himmelschreiend,« rief der Gote. »Merowingisch ist es!« meinte Charigisel. – »Und die Kirche – die Bischöfe?« »Leider,« zürnte Prätextatus, »schwiegen sie damals zu solcher Fleischeslust und Vielweiberei. Heute, nicht wahr, ehrwürdiger Vater, würden wir nicht schweigen!« »Wir nicht, mein eifriger Sohn,« sprach Germanus. »Aber auch heute giebt es gar manche Bischöfe und Äbte, welche die Herren Könige aus Herzogen und Grafen plötzlich in Priestergewande steckten und die weltlich denken, nach wie vor der Weihe.« »Aber,« fuhr Charigisel fort, »damit hatte Herr Chlothachar noch lange nicht genug! Im ganzen hat er es, teils neben-, teils nacheinander, auf sieben Weiber gebracht – Eheweiber, – die Buhlinnen nicht gezählt, die er im ganzen Reich sich aufgriff, Hirtinnen, Bäuerinnen, Unfreie, wie Freie und Edle.« Der Gote schüttelte das Haupt; Bischof Germanus aber fiel ein: »Laßt diese Dinge ruhen, die der Kirche und ihrer lässigen Zucht zur Schmach gereichen. – Also König Chlothachar gab vor dem Sterben seinem Sohn Charibert Paris und Aquitanien, Guntchramn Orléans und Burgund, Sigibert Reims und Austrasien, Chilperich Soissons mit Neustrien.« »Aber kaum,« ergänzte der Kämmerer, »hatte er die Augen geschlossen, als, trotz dem Erbvertrag, der Bruderkrieg begann.« »Warum?« fuhr Prätextatus fort. »Weil König Chilperich in maßloser Habgier sofort den Frieden brach, des Vaters Schatzhaus zu Braine überfiel und plünderte und Paris, das er so heiß begehrt, wie sonst nur noch ein schönes Weib . . . –« »Wegschnappte,« zürnte Charigisel, »das heißt, durch seine Feldherren, durch seine drei Söhne von Audovera.« »Wie?« fragte Sigila, »Ja, wie alt ist er denn, dieser König Chilperich?« »Etwa zweiundvierzig,« antwortete der Bischof. »Die Merowingen haben meist schon mit sechzehn, siebzehn Jahren Kinder.« »Sogar eheliche,« grollte Prätextatus, »von den andern zu schweigen!« »Das ist ja Unzucht!« rief der Gote entsetzt. »In welchen Pfuhl haben wir dich verpflanzt, o Lilie von Toledo!« »Ihr Gemahl, unser Herr Sigibert, ist frei von solchem Schmutz,« rief Charigisel. – »Durch seine Söhne: Theudibert, Merovech und Chlodovech, vollführt Herr Chilperich seine Heldenthaten.«
»Er selbst bleibt klüglich zu Hause, verführt Frauen und Mädchen . . .« – eiferte Prätextatus. »Oder dichtet zur Abwechslung fromme Lieder,« lachte Charigisel. »Oder erfindet neue Buchstaben,« meinte der Bischof. »Oder neue Steuern,« seufzte ein Kaufherr aus Chartres. »Oder stiftet und beschenkt Klöster, hat ihm der ehrwürdige Vater Germanus das Gewissen wieder einmal geweckt,« meinte der Kämmerer. »Oder widerlegt Juden in scharfsinniger theologischer Disputation« –, fuhr Prätextatus fort. »Sie dürfen ihm aber nicht antworten!« lachte Charigisel. »Und kann er sie nicht zur Taufe bereden . . .« – sprach der Bischof – »So führt er sie auf der Folter gelinde zu besserer Einsicht« – meinte Prätextatus. »Und verbrennt die Rückfälligen!« rief der Kämmerer. »Oder behauptet ihren Rückfall, d. h. der Reichen, um sie verbrennen und dann beerben zu können!« schloß der Kaufherr. »Nun also,« begann der Bischof aufs neue, »die drei vollbürtigen Brüder thaten sich zusammen, jagten ihm Paris und seinen übrigen Raub wieder ab und zwangen ihn, Ruhe zu halten.« »Herr Charibert wollte den schlimmen Bruder bestraft wissen; der dicke Guntchramn schwankte,« fuhr Charigisel fort. »Wie gewöhnlich!« meinte der Kaufmann. »Doch unser edler König, Herr Sigibert,« rief der Kämmerer, »erwirkte ihm Verzeihung.« »Der Dank blieb nicht aus,« seufzte Prätextatus. – »Jawohl! Wenige Monate, später ward er heimgezahlt! Kaum hatte Herr Sigibert den ganzen Heerbann Austrasiens ins Thüringland geführt, die Avaren, diese greulichen Unholde, hinauszuschlagen, als Herr Chilperich unsere Länder überfiel.« »Schmählich!« rief der Gote. – »Und da vollführte er denn selbst große Heldenthaten: er nahm Reims, Herrn Sigiberts Königssitz, – freilich: nur Weiber standen auf den Wällen! – und andre Städte mehr. Aber er faßte sich das Herz dazu doch nur, weil ein Gerücht unsern Herrn in der Schlacht geschlagen und gefallen gemeldet hatte. Allein Herr Sigibert war nicht tot. Nach heißem Kampf hatte er den Avaren-Chan bezwungen und auf die Nachricht von dem Fall von Reims flog er aus Thüringland über den Rhein zurück, zornig und rasch, dem Adler gleich, der den eingedrungenen Geier aus dem Horste jagt.« »Herr Chilperich hatte sich zwar längst davongemacht. Nicht einmal in seinem eigenen Königssitz Soissons glaubte er sich sicher,« erzählte der Kaufmann weiter. – »Nur Theudibert, sein ältester Sohn, verteidigte die Stadt: und zwar recht tapfer. Aber wir nahmen sie mit Sturm. Und Herr Sigibert griff mit eigner Hand seinen Neffen, umarmte und küßte ihn, lobte seinen Mut und – ließ ihn frei.« »Ein edler, wahrhaft königlicher Herr!« rief Sigila. »Nur mußte er schwören,« schaltete Prätextatus ein, »niemals wieder gegen Herrn Sigibert das Schwert zu heben. Und da bald darauf Herr Charibert starb, vermittelte Herr Guntchramn den Frieden. Abermals verzieh Sigibert dem besiegten Bruder.« »Aber Soissons behielten wir,« lachte Charigisel. »Herr Chilperich mußte seinen Sitz in das kleine schmale Tournay verlegen. Gewaltig soll es ihn wurmen.« – »Das Erbe Chariberts – Aquitanien – ward unter den drei Brüdern geteilt. Nur über Paris konnten sie sich nicht verständigen. Schon drohte neuer Kampf darüber auszubrechen . . .« »Da fand,« sprach Prätextatus, »die Weisheit des Bischofs der Stadt, stets bemüht, Blutvergießen zu verhüten, den Ausweg, daß Paris Gemeingut der drei Brüder werden sollte.« »Aber mit so mißtrauischen Augen,« rief der Kämmerer, »betrachten sich die Merowingen, daß keiner den andern in jenen Wällen weilen wissen mag.«
»Daher ward,« belehrte Germanus, »von den drei Brüdern, unter fürchterlicher Selbstverwünschung für den Fall des Eidbruches, auf die heiligsten Reliquien von Sankt Hilarius und Sankt Martinus den Bekennern, und zumal von Sankt Polyeuktus dem Martyr, dem furchtbaren Rächer des Meineids, ein schwerer Schwur geleistet, daß keiner ohne die beiden andern Brüder je einreiten solle durch die Thore von Paris.« »Ich erschauerte,« schloß Prätextatus, und ein leises Zittern flog über seine Glieder. »Ich stand nur als Zeuge dabei. Aber Grauen ergriff mich in die Seele der Schwörenden hinein, da sie nun, die heiligen Pfänder, den Reliquienschrein, berührend, die fürchterlichen Worte wiederholten, die der hochwürdige Bischof hier ihnen vorsprach.« »Ich aber hätte das Friedenswerk nicht zu stande gebracht,« beteuerte dieser, »ohne die eifrige Unterstützung dieses jungen Freundes hier. Der Sohn Herrn Landberts, in kurzer Zeit zum Archidiakon des Bischofs von Rouen emporgestiegen, ist ebenso gewandt in weltlichen Geschäften wie eifrig im Gebet und in fast allzustrenger Askese.« »Und als nun unser König Sigibert Friede hatte vor seinem bösen Bruder,« rief der Kämmerer freudig, »da eilte er, das Verlöbnis abzuschließen mit der Königstochter der Westgoten. Der reine Mann, den nie, wie seine Brüder, der Schmutz der Lust befleckt, er wollte nun in seine Halle die edle Gattin führen.« »Und keine herrlichere wahrlich,« sprach Prätextatus, »hätte er wählen können, als diese königliche Brunichildis.« »Ja, gewiß!« rühmte Charigisel. »Wie er bisher schon seine Brüder an Heldenkraft, an Siegesruhm, an edlen Sitten überstrahlte, so wird nun vollends diese Königstochter an seiner Seite seinen Hof, seine ganze Herrschaft weit erhöhen über seine beiden Brüder, die mit unfreien Mägden in Buhlschaft, mit vielen Weibern zugleich leben, ein Zerrbild echter Ehe.«
»Und vergeßt nicht, ihr Herren,« sprach der Gote stolz sich aufrichtend, »wie auch seine Kriegsmacht gestärkt wird durch das enge Waffenbündnis mit König Athanagild. Auf sechzig Tausendschaften tapfrer Goten kann er fortab als Rückhalt seines Heerbanns zählen, – wider jeden Feind.« »Horch!« unterbrach der Kaufmann, »das Hornzeichen! Es meldet, daß das Hochzeitsschiff demnächst einlaufen wird.« »Auf! mahnte Germanus. »Schon hör' ich das Psallieren der Geistlichen und Mönche. Der ehrwürdige Herr Bruder, der Bischof von Marseille, zieht mit seinem ganzen Klerus dem Brautpaar entgegen bis in den Hafen.« »Auf, hinunter in den Hafen!« scholl es nun ringsum. Und eilfertig verließen Bischöfe, Äbte, Krieger und Kaufherren den Saal und stiegen die steile Felsentreppe hinab, welche in die untere Stadt führte.
Die Ausschiffung der neuvermählten Gatten, auch der Einzug derselben und ihres zahlreichen Gefolges durch die reichgeschmückten Straßen von Marseille war nahezu vollendet. Nur noch der Weg über den Platz des großen Schutzheiligen der Stadt, Sankt Viktor, war zurückzulegen, dessen eine Seite das Palatium in der »Neustadt« füllte. Hier drängte sich am dichtesten das Volk: denn die vielen Stufen der Basilika gegenüber dem Palast gewährten gute Ausschau und bei dem Einritt in das schmale Thor des Königshauses mußte der Zug notwendig stocken oder sehr langsam vorschreiten und so längere Zeit dem Auge sich darbieten.
Auf der breiten Terrasse vor den Thüren der Basilika und auf den Stufen bis hinab zu dem staubigen, ungepflasterten Platz wogte die Menge: man hatte Wasser gesprengt, den Staub zu mindern, aber nun waren vielfach Pfützen und Lachen schmutzigen, staubverdichteten Wassers entstanden.
»Jetzt kommen sie!« rief ein Bürger von Marseille. »Eben biegen sie um die Ecke! Seht! König Sigiberts Gefolgschaft in vollem Waffenschmuck!« – »Auf trefflichen Rossen!« – »Ja, alamannischer Zucht!« – »Und nun die Goten, die Begleiter der jungen Königin! Wie glänzt da alles an ihnen von Gold und Silber und bunten Steinen.« – »Ja, sind reiche Herren. Große Schätze soll die Braut von Toledo Herrn Sigibert zubringen.« – »Horch, Trompeten!« – »Was bedeutet das?« – »Ein König reitet an! – Das ist das Brautpaar! Seht nur, seht! Herr Sigibert! Hoch zu Roß! Wie herrlich flutet ihm das dunkel-goldne Gelock aus dem Kronhelm auf die Schultern! Wie Sankt Georg, der den Drachen sticht, auf Goldgrund gemalt, drüben in dem Oratorium! – Was drängst du so, Weib? – 's ist wieder die junge Rothaarige! – Mußt du durchaus den König sehen? Mußt du?«
»Ja, ich muß!« – Und eine schlanke junge Frau in schlechtem Gewand, wie es unfreie Mägde trugen, drängte sich keck durch die vor ihr dicht gereihten Männer; es gelang ihr wirklich; aalgleich glitt sie vor; nun stand sie hart an dem Bug des herrlichen weißen Rosses, das den König trug; jetzt sah sie voll sein Antlitz! da rieselte ein süßer Schauer durch ihren Leib: Lohen schlugen ihr in die Wangen, sie suchte gierig sein Auge, aber er sah sie nicht. Ganz versunken in seinen Anblick, machte sie noch einen Schritt weiter vor, da scheute, vielleicht über ihr plötzlich aufleuchtend Rothaar, – denn die Kapuze des Mantels war ihr bei der raschen Bewegung herabgefallen, – ein Pferd neben dem des Königs, – es bäumte sich; das Weib wollte rasch ausbiegen und trat dabei heftig in eine der Pfützen; hoch auf spritzte das gelbbraune Wasser.
»Verfluchte Sklavin!« schrie Sigila, welcher jenes zweite, ebenfalls weiße Roß am Zügel führte. »Beschmutzest Frau Brunichildens Hochzeitskleid! Über und über! Da! Freche Magd!« Und mit der Reitpeitsche gab er ihr einen leichten Hieb über das Gesicht.
Grimmig schrie die Getroffene auf: beide Hände und das rote Haar vor die Augen drückend.
»Was ist, meine geliebte Königin?« fragte Sigibert. Wie wohllautend scholl diese schöne klangreiche Stimme! »Nichts, mein Gemahl!« – die Stimme Brunichildens war fast tiefer, – »einer Plebejerin Keckheit. Sie fand bereits, was solcher Brut gebührt.«
Schon waren Braut und Bräutigam vorüber. –
Die Geschlagene warf beiden einen langen, langen Blick nach; sie stand unbeweglich. Sie hemmte so den Zug. »Aus dem Wege, Straßenunkraut!« rief ein fränkischer Reiter vom Pferd herab. Die Gescholtene hörte nicht: sie starrte dem Paare nach. –
»Vorwärts! Was stockt da? Was staut den Zug?« rief Charigisel, der Kämmerer, und spornte seinen Rappen. »Eine Dirne? Eine Bettelmagd? Packe dich aus dem Wege! Du trotzest? So stampfe ich denn Kot zu Kot!« Und ein Sprung des Rosses: das Weib lag in der Schmutzlache. Sofort war sie wieder auf den Füßen; sie sah dem Kämmerer stumm ins Auge: der erschrak und sprengte rasch hinweg.
»Ha, schau einer die rote Katze! Die ist flink!«
»Zurück, Weib!«
Über und über beschmutzt schlich die junge Frau wieder hinter die vorderste Reihe. Und sie hielt sich, offenbar mit Mühe, aufrecht an einem auf dem Platz eingemauerten hochragenden Kreuz.
»Horch! Wieder ein Trompetenstoß!« – »Wieder ein König?« – »Gewiß! Aber welcher?« – »Guntchramn von Orléans?« – »Nein! Der liegt ja krank zu Bett in Châlons.« – »Dann muß es Chilperich sein!« – »Jawohl! Der ist's auch! Seht! Da trägt schon sein Bandalarius seine scharlachrote Heerfahne.« – »Mit der goldnen Schlange.« – »Ja, unter dem Meerwicht mit dem Fischleib.« – »Den haben alle Merowingen.« – »Jawohl! Und da kommt er selbst! Auf seinem roten Roß! Auch ein gar schöner Herr!« – »Bah! Aber neben seinem Bruder!« »Wie Loge neben Paltar,« murmelte ein eisgrauer Mann. »Du alter Heide, schweig von den Dämonen, daß dich keiner der Geschorenen hört!«
Da flog ein Blick des Königs über die Gruppe hin; hastig duckte sich die junge Frau hinter das breite Kreuz.
»Aber wer ist das Weib auf dem goldbraunen Zelter an seiner Seite?« – »Ha, wird eine seiner vielen Buhlinnen sein. Wohl Audovera . . .« –
»Oder die neue, die er sich vor ein paar Monden im Wald gegriffen haben soll. Wie heißt sie doch?«
»Nein, nein! König Sigibert soll ihm zur Bedingung gemacht haben bei der Einladung zu seiner Hochzeit, daß er keines seiner Weiber . . . –« – »Dirnen sinds! Nicht Frauen!« – »Mitbringen darf, sieben Meilen weit von Marseille!«
Hoch auf horchte das Weib an dem Steinkreuz.
»Und das, bei Sankt Julianus . . .« – »Das ist keine Buhle!« »Laßt sehen, laßt sehen!« riefen alle, zumal die Frauen, und drängten sich vor. »Schaut nur, Nachbarin,« rief ein Weib dem andern zu, »wie herrlich die fremde Jungfrau geschmückt ist!« – »Ja, wie ein echtes Königskind.« – »Sehet nur hin! Was glänzt da so weiß an ihrem Halse?« – »Das sind Perlen!« – »Nicht möglich! Nie sah ich soviele auf einmal!«
»Wieder stockt der Zug. Man kann alles bequem mustern.« – »Was thut ihr?« – »Vier – fünf! – Ich zähle. – Sieben Schnüre der größten Perlen trägt sie um den Hals!« – »Ja, die reichen Goten! Das stammt all' aus dem Königsschatz zu Toledo.« »Oh,« rief ein junges Mädchen, »welch wunderholde Züge!« – »Nicht so stolz königlich wie Brunichildis.« – »Aber ihr sehr, sehr ähnlich! Nur gar so bleich! Ob sie krank ist?« – »Und gar so schlank!« – »Und gar so jung noch! Seht nur, wie sie so schüchtern den Worten König Chilperichs lauscht.«
»Wie er in ihr Ohr flüstert!« – »Wie er sich vorbeugt! Ihr weißes Haar . . . –« – »Ja, das ist nicht mehr blond, 's ist fast weiß.« – »Es mischt sich mit seiner roten Merowingenmähne.« – »Aber Weib, dränge doch nicht so!«
»Du rote, freche Fliege dahinten!« – »Mußt du denn alle Könige begaffen?« – »Hast du nicht genug am ersten Peitschenschlag?« – »Zurück mit dir!« zürnten Bürger und Frauen durcheinander. »Nur Einen Blick. – Nicht auf den König! – Auf das Weib an seiner Seite.«
So weichflehend ward das gesprochen, daß ein junger Matrose, von der Stimme gelockt, sich wandte, und die so schmeichelnd Bittende betrachtete. »Zurück,« wiederholte drohend der andere, ein graubärtiger Bürger von Marseille. »Oder –« und er hob die Faust zum Schlag. Da blitzte des Matrosen Messer; der Bürger schrie auf, das Blut spritzte aus seinem Arm: er ließ ihn sinken. »So!« lachte der Seefahrer, das junge Weib vorschiebend, »jetzt magst du schauen nach dem Milchgesicht. Ich kann nichts an ihr finden, du gefällst mir viel besser, Rote.« Und er faßte ihren vollen, nackten Arm und drückte einen Kuß darauf.
Das Weib hatte nun die jugendliche Reiterin zur Genüge gemustert. Es wandte sich jetzt seinem Beschützer zu. »Zum Dank für dieses Wort,« flüsterte es und senkte die grauen Augen in die seinen, »nimm das!« Und sie drückte dem Erstaunten ein schweres Goldstück in die Hand. »Und komm heute nacht in die Herberge vor dem Rhonethor. Vergiß dein Messer nicht!«
In einem der Frauengemächer des unteren Palatiums saß auf einer Ruhebank am offenen Bogenfenster die junge Königsfrau.
Den Überwurf von schwerem weißem Seidenstoff hatte sie abgestreift, den Kronreif aus dem reichen dunkelbraunen Haare gelöst, das nun in Einer breit wogenden Welle bis auf die Kniekehlen flutete; auch die Goldringe hatte sie von den schimmernden Armen gestreift, den mit edeln Steinen besetzten Gürtel gelockert über den Hüften. Das Licht der Ampel, so gedämpft es aus der Achatschale glimmte, hatte sie gestört: nur wenig hatte sich die hochgewachsene, die junonische Gestalt auf den Zehen heben müssen, das Licht auszublasen.
»So,« sprach sie, »nun waltet nur des Mondes trauter, all' verklärender, verschwiegener Schein.« Sie lehnte den linken Arm gegen die Rückwand der Ruhebank und das schöne Haupt darauf; die Rechte lag im Schos. So blickte sie verträumt in den Garten zu ihren Füßen, wo hohe Pinien und breitästige Platanen regungslos die dunklen Wipfel im hellen Guß des Mondlichts badeten.
»Der Mond! Er scheint jetzt auch in den Garten, in den Burghof von Toledo! Des Tajo stolze Wellen glänzen wie eitel Silber in seinem Strahl. – Grüße mir die Heimat, grüße den edeln Vater und die bange, allzubange Mutter und sag ihnen – ›glücklich, nein selig, unaussprechlich selig ist euer Kind.‹ – Seine Erkorene! Sein Weib! – Oh, ich fühl es wohl: sein ganzes Glück!« – Sie führte die Rechte an den Mund: »Kleiner, schmaler Ring, welche Wonne, welchen Stolz hast du mir gebracht! Ich bin des besten Helden, des reinsten Mannes, des Herrlichsten Genossin! –
Ja, seine Genossin! Nicht seine Liebe nur, – seine innersten, seine echtesten Königsgedanken enthüllt er mir: er hebt mich auf die Höhe seines edeln Willens. – Noch nicht drei Wochen bin ich sein Weib – und schon bin ich die Vertraute seiner Pläne, seiner Sorgen, seiner ganzen Königschaft; und welche Gedanken! Die Pflicht, die Pflicht und noch einmal die Schutzpflicht gegen dies arme Volk der Franken, das aus tiefen Wunden blutet, das ein unbändger Adel knechtet, wie er des Herrschers Herrschaftsrecht nicht achtet. Schutz den Schwachen, Recht für alle, Beugung der frechen Großen unter des Königs Richterschwert – das ist sein Gelübde. Und mitten unter den heißen Küssen der ersten Tage schon hieß er mich schwören auf sein Schwert, dieses Gelübde ihm nachzusprechen, es gleich ihm zu erfüllen. ›Denn nicht mein Lager nur,‹ sprach er zu mir, ›meine Kämpfe sollst du teilen und meinen Sieg.‹ Ich schwur es auf sein Schwert. Und als er im Schlummer neben mir lag in voriger Nacht, da legte ich – nur du, vieltrauter Mond, hast es gesehen – leise, leise diese Hand auf sein Herz und bei seinem heil'gen, edeln Herzen schwur ich's nochmal: – mir selbst! Wie ich ihn liebe! Mehr als Gott den Herrn und alle Heiligen! O zürne mir nicht, strenger Himmelsherr da oben. Und laß mich's nicht entgelten – an ihm! Wer mir ein Haar krümmte seines schönen Hauptes,« – sie sprang auf – »nicht ruhen, nicht rasten könnt' ich, bis ich sein Herzblut fließen säh. – Thörin, die ich bin!« schalt sie. »Welcher Feind reicht an den Herrlichen hinan? Aber horch! Schritte in der Vorhalle? Das ist sein Gang! Er ist's! – O Geliebter!«
Sie flog ihm entgegen. Die Vorhänge rauschten auseinander: von der Vorhalle her fiel das rote Licht von mehreren Fackeln seitwärts auf den Eintretenden, während sein Antlitz in hellstem Mondlicht glänzte. Zauberisch war der Eindruck. Wie hatte seit Wochen die bräutliche Frau geschwelgt im Anschauen dieser vornehmen Züge, dieses edel gebildeten Hauptes, umrahmt vom flutenden Dunkelgold des Haargelocks: – aber doch stand sie nun wie geblendet von soviel Mannes-Schöne, vom Glanze dieser herrlichen Gestalt. –
Stürmisch schloß er sie in die Arme, führte sie, ohne sie im Schreiten loszulassen, an das Ruhelager: und drückte sie zärtlich darauf nieder, ihr Haar und Stirn und Augen und Mund mit heißen Küssen bedeckend. »O du mein Held!« hauchte sie erglühend. »Mein Herr und mein Gemahl!« Sie fand kaum Atem. Endlich sprach sie: »ich hoffte nicht, dich so früh wieder zu haben. Das Festmahl im Haus des Bischofs . . . –« – »Währt noch lang. Aber ich riß mich los mit Gewalt. Mich zog's unwiderstehbar her zu dir, du meines Herzens stolze Königin. Und außer der Sehnsucht noch – die Freude, der Eifer, dir eine Botschaft zu bringen, dir . . .« –
Brunichildis fuhr auf, tief erschrocken. »Weh' mir! So ist es wahr? Er hat um sie geworben?« – Freudig nickte Sigibert. »Jawohl! Ich sah es kommen – seit vielen Tagen. Ja, sobald er sie auf dem Schiffe zuerst erschaut: – er war uns ja bis Narbonne entgegengesegelt . . .« – »O wehe, wehe! Meine arme Schwester! Mein Liebling! Mein Pflegling! Mein allzuzartes Schneeglöcklein!« »Ei was, er wird sie nicht fressen,« lachte der Gemahl. – »Aber verraten – wie alles, was ihm naht.«
»Das sollte ihm schlecht bekommen! Beim Sonnenglanz! Er soll uns Eide schwören, wie sogar er sie noch nie gebrochen.« – »Oh mein Gemahl! Ich flehe dich an! Nur das nicht! Nur nicht dieser unheimliche . . . –«
Sigibert schloß seinem schönen Weibe den Mund mit einem Kusse. »Still, Königin der Franken. Du weißt: es ist deines Vaters Wunsch.« – »Aber die Mutter ward krank vor Schreck über den Plan!« – »Es ist auch mein Wunsch. Denn leider, leider, nicht nur der Adel ist es, der das Volk quält: die Könige, die seine Schützer sein sollten, sind seine Peiniger geworden. Nicht nur, daß sie in unablässigen Bruderkriegen Franken gegen Franken führten, – jeder der drei, vier Herrscher unterdrückte in seinem Gebiet Freiheit und Recht seiner Unterthanen. Weder ihre Truhen noch ihre Weiber und Töchter waren – und sind – sicher vor der Habgier, vor der bösen Lust ihrer Fürsten. Mit der eigenen Besserung müssen die Merowingen beginnen, bevor sie andere bessern oder züchtigen können. Leider mit vollem Recht mahnen mich hieran, wenn ich sie treibe, mir den Adel bändigen zu helfen, die beiden wackersten Männer in meinem ganzen Austrasien.« –
»Wer sind sie? Jene beiden, die du mir schon früher rühmtest?«
»Jawohl, Herr Karl und Herr Arnulf an der Mosel! – Und mein Bruder Chilperich hat so viele Vorzüge: auch vor mir: ja! ja! er ist zehnmal so gescheit, ist ein Gelehrter. Er kann auch in seinen Sitten gebessert werden, sicher. Und das wird am besten vollbringen die Ehe mit einem edeln, reinen, sanften Kind wie dein bleich Schwesterlein. – Auch mit mir wird er so näher verbunden und – ich zählte darauf! Alles fügt sich wie ich es gehofft – hinweggesonnt ist der letzte Schatte in dem Haus der Merowingen.«
»Und das Opfer heißt Galsvintha, das scheue Reh, die bleiche, weiße Blüte!«
»Nein, süßes Weib. Denn, deine Schwester . . . –«
»Sie liebt ihn, jawohl, ich hab's entdeckt mit Zittern und Schrecken. Sie liebt ihn: – desto tiefer elend wird sie werden.«
Eine Stunde später traten aus dem Bischofshause, das mit der Basilika Sankt Viktors zusammengebaut war, mehrere Fackelträger, einen heimkehrenden Gast zu begleiten. Bischof Theodor selbst gab dem Scheidenden das Geleit bis an die Schwelle.
»Dank, ehrwürdiger Vater, für die reiche Bewirtung! Freute mich.« – »Das ehrt mich, königlicher Herr!« – »Warum freute sie mich? Warum? Ratet! – Ihr erratet 's doch nicht. Will's Euch sagen. Wo soviel Reichtum ist, da kann, ja, da muß die Steuer erhöht werden, dreifach! So! – Hi, hi! – So! Nun schlaft wohl! Dies Wort sei Euer Schlummerkissen. – Ihr mit euern Fackeln – trollt euch! – Herr Mond giebt Licht genug. – Und des führenden Armes bedarf ich nicht! – Trinke nie zu viel! – Nur ein wenig heiter. Trollt euch, sag ich.« Und er gab dem nächsten einen Schlag mit dem eingescheideten Langschwert, das er, aus dem Wehrgehäng gelöst, in der Rechten trug. »Schurke von einem Knecht!«
»Herr König,« rief der Geschlagene und Gescholtene, »ich bin kein Knecht. Freiwillig hab' ich mich dem Herrn Bischof heut' zu Diensten erboten. Ich bin ein freigeborner Bürger dieser Stadt.« – »So! Frei bist du? Dann nimm noch eins dazu.« Und er schlug ihm diesmal schwerer über den Kopf. »Vor uns Königen seid ihr alle Knechte, das merkt euch!«
Er schritt nun rasch weiter. – »Heller Mondschein! – Ich spüre Lust, noch auf Abenteuer durch die Stadt zu streunen. Berühmt sind um ihrer Schönheit willen die Weiber von Marseille. Und um ihr heißes Blut. – Ja so! – Ich bin ja Bräutigam! – Wieder einmal! – Zwar hab' ich dem gestrengen Bruder – was hat der Gelbschnabel den reifen Mann zu meistern? – versprochen, meine bisherigen Weiber und – Gespielinnen fortzujagen. Aber nicht hab' ich versprochen, wenn neue auftauchen, die Augen zu schließen! – Hi hi! – Seit ich in der Dialektik diese Kunst der ›Distinktionen‹ lernte, bin ich stärker als alle Gegner, stärker als alle Verträge und alle Eide. – Jedoch Vorsicht! Erst nach der Hochzeit! – Merken sie's vorher, weder der weißen Jungfrau noch ihres roten Goldes werd' ich froh. – Da ist ja das Haus, in dem ich abgestiegen.«
Zwei Speerträger hielten davor Wache, sie senkten ehrerbietig die Spitzen ihrer Lanzen. Ohne Gruß schritt er über die Schwelle. In der Vorhalle lag ein junger schöner Knabe am Fuß eines Pfeilers, der in einer Öse eine Kienfackel trug. Der Knabe war tief eingeschlafen, ein Lächeln spielte um die reinen Züge. Der Heimkehrende blieb vor ihm stehen: einen Augenblick betrachtete er den Schlummernden: »der jüngste Sohn des Herzogs Drakolen. Der Alte ist so stolz, so aufrecht! Und so unsinnig reich! Könnt ich ihm an seine Güter! Doch er hütet sich vor jeder Verfehlung! – Der Junge da ist sein Augapfel. Warte!« – Mit einem Fußtritt weckte er den Schläfer: schreiend fuhr der auf und griff ans Schwert: aber bestürzt sank er sofort aufs Knie: »König Chilperich! – Vergebung! Ich war so müde – vier Nächte . . . –«
»Wofür hält man die Wächterhunde, als damit sie wachen?« Der Knabe erbleichte. »So? Blaß, nicht rot wirst du im Zorn? Solche Art ist gefährlich. Sag deinem Vater, du bist aus dem Hofdienst weggejagt.«
Und der König drehte ihm den Rücken, und schritt weiter, in sein Schlafgemach. Hier trat er sofort an das offene Fenster und legte Stirnreif und Schwert und Oberkleid ab, seinem Lager, das im Hintergrund des Zimmers hinter Vorhängen aufgeschlagen war, den Rücken kehrend. Eine kurze Weile sah er noch in die Maiennacht, in die schweigenden Straßen hinaus. »Das ist keine Nacht zum Durchschlafen! Weich, warm, wohlig! Zum Durchküssen und Durchkosen! – Ich möchte wohl wissen, wo –? Ei. das ist aber kein Nachtgebet.« – Und plötzlich ernsten, ja furchtsamen Ausdruck annehmend bog er ein wenig das rechte Knie, griff nach der versilberten Reliquienkapsel, die er an seidener Schnur auf der Brust trug und murmelte: »Schütze mich, heiliger Martinus, dieweil ich selbst mich nicht schützen mag, in den unheimlichen Stunden vor den Dunkelelben der Nacht und allen Dämonen. Amen.« –
Nun schritt er auf sein Lager zu und schlug den Vorhang zurück. Da saß auf dem Rande seines Bettes regungslos eine verhüllte Gestalt. Kreischend vor Schreck, sinnlos vor Angst fuhr er zurück: »Mörder! Zu Hilfe! Mörder!« lallte er; er wollte nach seinem Schwerte springen, aber er glitt aus auf dem glatten Marmorestrich; – hilflos lag er auf der Seite. Jedoch die Gestalt rührte sich nicht. »Schweig, Chilperich,« sagte sie leise. »Es ist nur ein Weib.«
»Ein Weib?« wiederholte er, rasch aufspringend, – »Du – Fredigundis?« – Und zornig stampfte er mit dem Fuß: »Du Walandine! Mich so zu erschrecken!« – »Was kann ich für deine Feigheit –!« – »Und welche Frechheit! Hab' ich dir nicht befohlen – dir und den andern! – bei meinem Zorn, euch nicht nach Marseille zu wagen, auf Meilenweite? Weshalb kommst du?« – »Weil du's verboten hast!« – »Weib!« – Er hob die geballte Faust. – »Schlag' nur zu. Es ist nicht das erste Mal.«
Er senkte den Arm. »Wäre aber das letzte Mal,« drohte er. »Denn du siehst mich nie mehr wieder. Das macht dir gar keinen Eindruck? – Du lächelst. – Das Lachen wird dir geschwind vergehen. – Es ist am Ende ganz gut, daß du kamst. So erfährst du noch vorher, was du nicht früh genug befolgen kannst. Aber – was suchtest du hier?« – »Meinen Ehegemahl.« – Er lachte, »Das weiß kein Mensch, ob du, nach der Kirche und des Volkes Recht, mein Eheweib bist.«
»Du bist mit mir getraut. Das Gewissen trieb dich doch dazu.« – »Ja, aber auch mit Audovera, mit manchen andern. Leben alle noch! – Trauen! Ich laß' mich immer trauen! Beruhigt die Weiblein! – Und du bist eine Unfreie, bist nach Volksrecht gar nicht der Ehe fähig.« – »Du hast mich losgekauft von Herrn Landbert.«
»Aber erst nach der Trauung, hi, hi. Das nennt man ›distinguieren‹. Trauung gilt nicht und Ehevertrag gilt nicht. Nichts gilt, als mein Wille. Und übrigens: als ich dich im Wald, an dem Grenzgraben, auf der Straße auflas, – hast du da lang mit mir – dem niegesehenen Jäger – ein Eheverlöbnis verhandelt? Oder habe ich dich gezwungen? ›Ich will!‹ riefst du – gar laut scholl's durch den Donner – und sprangst mir entgegen in die Arme. Keinen Schatten hast du eines Rechts. Hi, hi,« lachte er, »freilich, große Augen machtest du – später! Im Walde noch, da du mein wardst unter lohendem Blitz und krachendem Donner – die Dämonen freuten sich unserer Umarmung und eine brennende Eiche leuchtete dazu! – erfuhrst du, daß ich der Frankenkönig. Nun wähntest du, – hi, hi! – Frankenkönigin zu sein, Chilperichs alleinige Gemahlin, du! Die Plebejerin, die unfreie Magd!« –
Hier zum erstenmal zuckte Fredigundis.
»Als du aber nun daheim in meinem Palast Audoveren im Vorbesitze trafst und die andern alle –, da warst du sehr erstaunt! Frech wurdest du vor lauter ›Staunen‹«. »Und du schlugst mich,« sprach sie tonlos. »Mit der Faust. Hierher! Auf Schulter und Rücken!«
»Ja, weil du schäumtest! An die Gurgel wolltest du mir fahren. Aber plötzlich – nach dem Faustschlag – wardst du lammfromm. Weiß Gott, was dir da durch die Seele ging!« »Die Hölle weiß es,« sagte Fredigundis ruhig. »Und wahr ist es,« sprach er nachsinnend, »du bist von allen meinen Gespielinnen die schönste, die berückendste. Und – weitaus! die gescheiteste. Weitaus! – Klug sind deine Ratschläge. Ein wenig zaubern kannst du auch, die Eifersucht hast du dir abgewöhnt. – Reizvoll, sehr reizvoll bist du!« Er sprang auf sie zu und küßte sie auf den Mund. – »Warum bist du in tiefster Niedrigkeit geboren!«
Fredigundis bebte leise.
»Ich verlangte mir keine bessere Königin von Neustrien. Aber so! – Es geht nicht! – Mein Bruder Sigibert mit dieser gotischen Fürstin neben sich – es ist wahr: jede Bewegung Brunichildens bezeugt das throngeborne Königskind. – Was hast du? Was knirschest du mit den Zähnen? – Und dann dieses ungeheure Heiratsgut, das die Gotinnen mit erhalten! Die Jüngere, – denk dir nur! – erhält ebensoviel wie die Ältere.« – »Und ein neues Spielzeug ist das Wachsbild auch. Aber hüte dich, Chilperich, wenn du sie küssest: halte den Atem an. Sie hat die Schwindsucht. Schwindsucht steckt an.« – Der König fuhr zusammen, furchtbar, auf das äußerste erschrocken. »Was? Was? – Bah, Eifersucht! – Du willst sie mir verleiden.« – »Warum? Da ich ja doch verstoßen bin, könnte mir's gleich sein, ob ich der Brustsiechen weiche oder einer andern. – Aber du, du thust mir leid! Siehe, dir das zu sagen, – deshalb kam ich.« Sie erhob sich von dem Bette. – »Wirklich? Nur deshalb? – Das wäre ja –! Diese Sanftmut? – Ich glaub's nicht! Nur deshalb?«
»Nein, noch um ein andres Wort.« Sie beugte, wie verschämt, das schöne Haupt, trat dicht an ihn heran und flüsterte in sein Ohr. Dann wollte sie, – so schien's, – zur Thüre eilen: aber er hielt sie fest und riß sie an die Brust. »Mein rotes Fredelein, mein süßes! Wirklich? wirklich? – Nun, mein Gundelein, dann wünsch' ich dir Glück. – Das bringt dir Glück! – Hat dir's schon gebracht! – Nun sollst du nicht, wie ich's vorhatte, in ein Kloster.« Fredigundis lachte übermütig; es stand ihr gut: »Armes Kloster, das mich aufnehmen müßte.« – Chilperich lachte auch und küßte sie: »Du hast Witz. Darum taugst du so gut zu mir. – Taugtest!« seufzte er, »Denn leider – geschieden muß es sein. Geh in meinen – das heißt: jetzt deinen Hof Amica bei Limoges. Ich hab' ihn dir ja geschenkt mit aller Zubehör von Wald, Wiesen und Weide, mit Hirten und Herden, Knechten und Mägden: – recht reichlich kannst du leben von dem Ertrag und noch rotes Gold zurücklegen. Von dort melde mir's. Lauter schreiende Mädchen haben mir die andern geboren. Das allein hat Audovera solange gehalten in meiner Gunst, – sie ist ja fast so alt wie ich, sie muß jetzt ins Kloster! – daß sie mir drei Söhne gab. Aber«, und hier nahm sein Gesicht eine unheimlich drohende Miene an – »ich bin unzufrieden mit meinen Söhnen in jüngster Zeit. Der Trotzkopf Chlodovech grollt, weil ich dich mir gesellt. Merovech! – ha, der ist eigentlich mehr Sigiberts Neffe als mein Sohn.« – »Wie meinst du das?« – »Der seltsame, weiche, träumerische Mensch! Hat von mir gar nichts geerbt. Ich hab' ihn schon als Knaben nicht leiden mögen: nun, da lernte er auch wohl nicht, mich lieben. Als er heranwuchs, – er sah mich immer so vorwurfsschwer an: ich wußte nicht, was er wollte. Endlich kam es heraus. Als er etwa sechzehn Winter zählte, trat er eines Tages vor mich, mit ungewohnter Festigkeit –, und verlangte, fast drohend, – weiß Gott, welcher Priester ihm das in das Ohr gesetzt hatte! – Audovera selbst nicht: der hatte ich solch Ansinnen längst ausgetrieben! – ich müsse seine Mutter feierlich zu meiner Ehefrau erheben. Das sei ich Gott und ihr und ihm und seinen beiden Brüdern schuldig. Ich lachte ihn aus. Aber der weiche Träumer war auf einmal wie Stein und Eisen geworden: er ließ nicht ab, trotz meiner Drohung – er zerrte mich am Mantel: gar rasch fährt mir im Zorn die Hand an den Skramasachs! – ich traf ihn tief. Bruder Sigibert kam dazu, trug den Blutenden davon. – Seither hab ich Merovech wenig gesehen. Sein Oheim hat ihn an seinen Hof genommen seit vielen Jahren. Er hat eine feine Seele, der Junge. Aber eine allzu zarte. Und verträumte Augen, die nur die Sterne suchen, statt die Dinge dieser Welt.« –
»Solche Menschen bringen es nicht weit auf Erden,« meinte Fredigundis ruhig, »auch wenn sie Königssöhne sind.« – »Und jüngstens, so scheint's« – lachte er hämisch – »liebt Merovech seine Muhme, Frau Brunichilden, mehr als seine Mutter –«
Fredigundis horchte hoch auf.
»Nur Theudibert blieb mir: aber der« – und er warf einen raschen, lauernden Blick auf sie – »der verehrt mir seine schöne junge Stiefmutter mehr als nötig.«
Fredigundis zeigte die kleinen weißen Zähne: »der Milchbart!« lachte sie.
Beruhigt fuhr Chilperich fort: »kurz, die Söhne sind mir nicht recht sicher. Zudem: die Pest hat auch Bruder Guntchramns Söhne sämtlich hingerafft. Meine Knaben schlagen meine Schlachten: – ich werde doch nicht so thöricht sein, diesen meinen gedankenvollen Kopf den Schlachtbeilen dummer Feinde auszusetzen! – Wie leicht fällt man in jenem rohen Mordhandwerk, das sie Heldentum nennen! So steht mein Geschlecht auf sechs Augen nur. Söhne, Söhne will ich haben! Kann ein König gar nicht genug haben! Bring mir einen Knaben, Fredeline! Kann dein Glück werden.«
»Aber – der Unfreien – der Buhlin Sohn –, kann er . . . –?«
Chilperich lachte hell: »Hihi! Da hinaus wolltest du? Nein, Gundelchen! Damit erzwingst du die Ehe nicht! Nach zweifellosem Frankenrecht kann jeder Königssohn die Krone seines Vaters erben, auch der Bastard, wenn nur der Vater ihn als sein Blut anerkennt.«
Hoch auf atmete Fredigundis; ihr graues Auge leuchtete Triumph. Chilperich sah es scharf. »Du scheinst mir des Knaben allzusicher, Fredeline,« lachte er hämisch. »Ich befragte Zauberlose: – dreimal fielen sie auf den Speer, nicht auf die Spindel.« – »Hi, hi! Ich geh doch lieber sicher! Ich werde einen verlässigen Mann dir an die Seite geben –, daß du mir nicht das Mägdelein, das du etwa geboren, vor lauter Liebe zu mir in einen Buben verzauberst! Ich trau' dir nicht über den Weg! Wie sollte ich? Trau' ich doch mir selber nicht!« – »Wirst du dein Kind nicht sehen?« – »Das Kind? Ja! – Aber dich, Gundelchen, leider nie mehr! Ich mußte es beschwören« – er schauderte hier – »mit gräßlichen Eiden.« – »Wem?« – »Bruder Sigibert. Euch alle fortzujagen. Zumal auch dich. Er hasset dich vor allen.« Sie atmete gepreßt. »Er kennt mich nicht.« – »Er hat genug von dir gehört.« – »Und – warum Chilperich, warum thust du das alles? Was erhältst du dafür? Nur jene Sieche, jene wandelnde Leiche, deren Atem tödlich?« Chilperich stampfte mit dem Fuß. »Schweig davon! Ich muß ein Königskind haben, meiner Franken wegen. Und dann – die volle Aussöhnung mit Bruder Sigibert!« – »Du liebst ihn, diesen Bruder? – Heute hört ich alles Volk rufen: Heil Sigibert dem Helden! Ein feiger Fuchs ist der rote Chilperich.« »Bah,« meinte er spöttisch, aber doch recht geärgert, »ein Stier ist auch ein Held. Giebt gar nichts Dümmeres als so einen Helden.«
»Also volle Aussöhnung! – Das ist ja schön. – Giebt er dir auch Soissons zurück?« fragte sie, sich harmlos vorbeugend und ihm ins Auge sehend. »Hölle, Tod und Teufel! Nein! Das thut er nicht! Aber schweig davon! – Es macht mich wütig.« – »Nun gut, gut! – Mir kann es jetzt ja gleich sein. Ich habe ja nicht mehr teil an dir. – Nur noch ein Wort zum Abschied von deiner – armen Fredigundis.« Sie schluchzte.
»Nicht weinen, Gundelchen. Ich kann's nicht hören – du weißt es recht gut, es macht mich weich.« Seine Nasenflügel bebten und zuckten. »Ein Wort der Warnung nur. Du kennst meinen Zauberspiegel –? Du weißt . . . –« »Er zeigt wahr. Sahst du was darin?« forschte er ängstlich. »Ich sah den Dolch des Mörders gegen dich gezückt. Morgen Abend wird's versucht. Trag unter dem Wams die geschuppte Brünne. Und denke Fredigundens!« Ein flammender Blick; sie war verschwunden.
»Bleib – bleib doch!« rief er ihr nach. »Noch einen Kuß! Bleib doch! Du hast mein ganzes Herz entzündet. – Fort ist sie! – Läßt mich allein in solchem Sehnen! – Ah so, ja! – O, weshalb ist sie nicht König Athanagilds Tochter geworden?«
Wenige Tage darauf ward zu Marseille das Fest der Vermählung Chilperichs und Galsvinthens gefeiert; der gotische Mariskalk Sigila übergab an seines Königs Stelle die Braut dem Bräutigam. Der Plan dieser zweiten Heirat war längst zwischen dem Gotenkönig und Sigibert verabredet worden, nur war einerseits Chilperichs Zustimmung und Werbung, andererseits dessen eidliche Übernahme gewisser Verpflichtungen vorbehalten. Denn man wußte in Toledo genug von diesem begabtesten, aber bösartigsten der Nachkommen Chlodovechs, um ihm zu mißtrauen.
Der Bräutigam war übler Laune. Nicht jenes Mißtrauen kränkte ihn – er war daran gewöhnt! – Nur daß er – in Folge dieses Mißtrauens – solche Opfer bringen, solche Verbindlichkeiten auf sich nehmen sollte, das verdroß ihn. Hatte er doch noch nicht ausgeklügelt, – so angestrengt er seinen schlauen Kopf bemühte, – wie er diese lästigen Fesseln werde abstreifen können, ohne doch die angestrebten Vorteile wieder herausgeben zu müssen. Auch noch anderes schien ihm die rechte Bräutigamsstimmung zu stören.
Er hatte vor dem Kirchgang mit der Braut seine drei Söhne in sein Gemach beschieden. Ärgerlich auf- und niederschreitend, während er sich von den Vestiarii ankleiden ließ, – diese hatten ihre Not, ihrem ungeduldigen Herrn, der nicht stillstand, mit den Gewand- und Schmuckstücken nachzulaufen, – fuhr er bald den einen, bald den andern von ihnen an.
»Wenig Freude hab' ich an euch, allen dreien! – Es ist ohnehin schon abgeschmackt, daß ein noch so junger Mann wie ich schon so große, alte, hoch aufgeschossene Lümmel von Söhnen hat. – Jetzt bin ich zweiundvierzig Jahre, und dieser Riese da, dieser Merovech ist dreiundzwanzig! Das ist ein Unsinn!« »Den nicht wir begangen haben,« klang eine trotzige Antwort. Chilperich blieb plötzlich stehen: »Eh? – du, Chlodovech? Natürlich! Der Jüngste und der – Frechste.«
»Man sagt, ich gleiche dir am meisten!« erwiderte rasch der Jüngling mit rotbraunem krausem Haar und blaugrauem Auge; und in der That war sein Äußeres dem Vater am ähnlichsten, nur war auch er bedeutend größer, breitknochiger als der feingliedrige Vater.
»Höre du! Hüte dich!« rief dieser. Aber er mußte lachen. Er hatte Sinn für Witz, auch für solchen, der sich gegen ihn selbst richtete. – »Also! – Ihr wißt, eure Mutter Audovera – es ist zweifelhaft, ob die Trauung mit ihr gültig war – nun, das schadet keinesfalls eurem Erbrecht, da ich euch – leider! – als mein echtes Blut anerkennen muß, – sie war so verständig, – gutwillig in das Kloster zu gehen, als ich es ihr anriet, damit ich diese neue Ehe schließen könne, die auch euer größter Vorteil ist, sobald ihr mein Reich erbt, – mag es noch recht lange nicht geschehn! – um der Schätze, um der Waffenhilfe der Goten willen. Seht ihr das nicht ein?« »Ich würdige ganz die Ehre,« sprach Merovech, der Älteste, ein Jüngling mit dunkelm Haar, dunkeln, ernsten Augen und sinnigem, fast weichem Ausdruck der edeln Züge, »die in der Verschwägerung mit der herrlichen Frau Brunichildis liegt. Mußte unsre arme Mutter weichen, so ist dieser Ersatz, dieser Preis noch eine Art von Trost.« »Mein Trost ist:« polterte der ungestüme Chlodovech heraus, »nicht unsre liebe Mutter allein räumt das Feld! Auch die andern Freundinnen verschwinden! Vor allem die verhaßte Hexe: Fredigundis, die Verfluchte.« Theudibert, der mittlere Sohn, ein schlanker, stattlicher Jüngling mit offnen, hellbraunen Augen und schönem braunem Flaumbart, fuhr zusammen und wurde, als er durch diese Bewegung des Vaters Auge auf sich gelenkt hatte, blutrot.
Chilperich stemmte beide Arme in die Seiten und musterte die drei Jünglinge: »Nette Früchte! Angenehmes Kleeblatt! – Du, Merovech, solltest dich doch lieber gleich von Bruder Sigibert an Sohnes Statt annehmen lassen! Schon wegen der so zu gewinnenden herrlichen Stiefmutter. Meinen Segen hast du dazu. Der Oheim ist dir doch lieber als ich. – Du, Theudibert . . . . .! – Dich sollte ich eigentlich scheren und ins Kloster stecken. Aber ich brauche deine starken Knochen im Schlachtfeld. Und dann: – auch Mönche sollen nicht immer Engel sein, sondern oft nach Verbotenem verlangen. Hi, hi! – Dir aber, Chlodovech, geb' ich zu bedenken: – Nur ihr, nur der ›Hexe‹, wie du sie schiltst, habt ihr's zu danken, daß euer Vater heute noch lebt. Oder wär's euch lieber gewesen, der Dolch des Matrosen neulich hätte mich durchbohrt?«
»Dich schützte das Schuppenhemd, Vater,« sprach Chlodovech trotzig, »das du unter dem Wamse trugst, nicht jene . . .« – »Gelbschnabel! Daß ich aber das Schuppenhemd angelegt hatte an jenem Abend, – das hatte mir das Gundelchen geraten« »Wann?« fragte Theudibert rasch. »Hattest du sie gesprochen – hier?« – »Geht's dich was an, tapferer Krieger, wann und wo ich meiner Gespielinnen eine spreche? – Übrigens – du warst ja wohl bei seinem Tod zugegen? War denn nicht aus ihm herauszufoltern, wer ihn gedungen?« – »Er sagte: er habe eine Rache vollziehen wollen.« – »Für wen?« – »Für ein Weib.«
Chilperich lachte. »Wieder einmal? – Hi, hi! Dadurch werden wir freilich nicht klüger! – Sind ihrer zu viele. – Nannte er keinen Namen?« – »Nein; er konnte ja kaum noch sprechen. Sowie sein Messer abgeprallt war an dir, stieß er sich's selber in die Brust. Auf meine Frage lallte er nur noch: ›sie hat das geraten, falls es mißlingt, um der Folter zu entgehen, – Und all das‹, so schloß der Mörder, ›umsonst. Nur für die Hoffnung eines Kusses nach der That.‹ – Damit streckte er sich und war tot.«
»Mögen ihm darin noch viele ›Rächer‹ folgen! Nun, ihr Söhne, einen Auftrag für euch. Morgen brecht ihr auf von hier und begleitet eure Mutter Audovera aus Rouen mit allen Ehren in das Kloster der heiligen Chrothechildis, unserer Ahnfrau, zu Beauvais. Sagt der Äbtissin, gut möge sie die Arme halten, bei meinem Zorn! Und grüßt sie mir noch mal! Sie hat es gut gehabt – über zwanzig Jahre! Was kann sie mehr verlangen? – So, nun geht! Wer will das Festmahl heute teilen? Ich zwinge keinen!«
»Den Leichenschmaus für meine Mutter? Ich nicht!« rief Chlodovech und stürmte aus dem Gemach. »Ich auch nicht,« sprach Theudibert, ihm folgend.
»Ich werde teilnehmen,« sagte Merovech. »Ohm Sigibert, der selbst Galsvintha in die Basilika führt, hat mich beauftragt, an Frau Brunichildens Seite zu gehen.« Chilperich wollte spöttisch erwidern, da wurden von den Thürhütern gemeldet: König Sigibert, dessen Gemahlin und mehrere Priester und weltliche Große.
»Aha! – Jetzt kommen sie mit den geistlichen Stricken und Banden, mich zu fesseln. Der Gotin hab' ich schon geschworen; jetzt nochmal, – öffentlich! Laßt sie herein! In aller Teufel Namen!«
Mit tiefem Schweigen erschienen nun Sigibert, Brunichildis, Bischof Germanus, Bischof Theodor von Marseille, Prätextatus, Sigila, Charigisel, Herzog Drakolen, andre Vornehme mehr und viele andre Geistliche, von welchen vier mittels zwei Tragstangen auf den Schultern eine reich vergoldete Truhe mit hochgewölbtem, dachähnlichem Deckel trugen. Die Kiste, auf zwei zierlichen Rundpfeilern ruhend, war in allen Stücken einer Basilika nachgebildet.
Höchst feierlich und andächtig ward das goldstarrende, reich mit bunten Steinen besetzte, kleine Gebäude auf einen Marmortisch niedergestellt, indem die vier Träger niederknieten und die beiden Bischöfe und der Archidiakon Prätextatus dasselbe auf die Marmorplatte hoben, nachdem sie es ehrfürchtig geküßt hatten.
»Oh jeh! o jeh!« stieß Chilperich ärgerlich hervor, indem er unter wiederholten tiefen Verneigungen, unwillig und ängstlich, vor der Truhe, soweit er konnte, an das andere Ende des Saales zurückwich. »Da sind sie ja wieder! Da haben wir sie ja wieder alle beisammen, die lieben, gottgesegneten, verfl . . ., verehrten, teuern Heiligen. – Weiß der Teufel, das ist derselbe heilige Holzkasten, wie damals bei dem Eide wegen Paris! Lieber hundert lebendige Könige betrügen, als einen solchen heiligen Knochen!« Das hatte er leise grollend vor sich hin gebrummt.
»Mein Bruder,« begann Sigibert, »wir haben – wohlmeinend – beschlossen, dir den Eid in der Basilika vor all dem gaffenden Volk zu erlassen und statt dessen dich nur hier, vor wenigen, aber bedeutungsvollen Zeugen schwören zu lassen!« »Sehr gütig,« brachte Chilperich giftig hervor. »Ich habe dies bei meiner Gemahlin und bei Marschall Sigila, als dem Vertreter des Gotenkönigs, erbeten . . . –«
»Danke sehr, danke!« – »Weil es der Frankenkönige Ehre nicht eben erhöht, daß man solche Eide von ihnen fordern muß.«
Chilperich wollte auffahren; aber er bezwang sich. »Tausend Pfund Goldes bringt die Braut,« sagte er zu sich selber, »dafür kann man schon ein paar Tugendwörtlein hinunterwürgen von diesem Ausbund aller Trefflichkeiten. – Macht's kurz,« sprach er brummig, »ich schwöre alles, was man geschworen haben will.«
Da trat Frau Brunichildis vor; königlich war ihr Schritt, majestätisch ihre Haltung, als sie das große dunkle Auge voll auf ihn richtete; er ertrug dessen Blick nicht, sondern sah zur Seite und fragte unwirsch: »Was soll's, Frau Schwester?« – »Bevor du schwörst, vertraggebunden, König von Neustrien,« sprach sie feierlich, »höre du – und höret all ihr, ehrwürdige Priester des Herrn, vornehme Franken und ihr, meine edlen Goten, was ich schwöre – freiwillig.« – Sie legte die Rechte auf den Deckel der Kiste und fuhr fort: »Rache schwöre ich, furchtbare Vergeltung, wird meine süße, arme Schwester Galsvintha, das weiße Lamm, gekränkt von König Chilperich! Verletzt er die Eide, die er nun zu schwören hat und sollten die Heiligen im Himmel der Rache vergessen des Eidbruches, – ich, Brunichildis, werd' ihrer nicht vergessen. Und von dir, Herr König von Austrasien, mein Gemahl, von euch, ihr tapfern Franken, aller drei Reiche, so auch von Euch, Herr Herzog von Drakolen, und den übrigen Mannen König Chilperichs, wie von euch, ihr meine Goten, verlange ich's, daß ihr schwört gleich mir: Rache, Rache, Rache für jedes Unrecht wider meine Schwester.« –
Laut, mächtig scholl ihre starke, tiefe Stimme durch das weite Gemach. Chilperich erbleichte. Und Sigibert und alle Laien im Saale traten einen Schritt gegen ihn vor, erhoben die Schwurhand und sprachen feierlich »Rache!«
Kaum war der Ruf der vielen Stimmen verhallt, als Merovech, die Augen starr auf die herrliche Frau gerichtet, ebenfalls vortrat und laut sprach: »Rache!« Alle erschraken, Merovech selbst zumeist: er hatte wie in Verzückung gehandelt, fortgerissen von dem gewaltigen Eindruck. Ein grimmiger, ein bitterböser Blick seines Vaters traf ihn; er sah es nicht, sein Auge hing noch immer an Brunichildis.
Chilperich fand zuerst das Wort; lächelnd trat er an die Kiste: »Der eigne Sohn! – So unmöglich scheint uns allen der Eidbruch, daß der eigene Sohn die Rache versprechen kann. Natürlich. Denn merket: also lehrt die Theologia: ›der Eid ist die bedingte Selbstverfluchung.‹ Verflucht sich der Vater selbst für den Fall der Nichterfüllung, darf auch der Sohn ihm drohen für diesen ganz unmöglichen Casus. Nun vorwärts! Sprecht die Formel!« »Nicht so rasch,« mahnte Bischof Germanus, »Ihr müht dabei die heiligen Reliquien selbst berühren.« »Muß ich?« forschte Chilperich, ängstlich, widerstrebend. »Wirklich – soll ich? Damals – wegen Paris – genügte es, daß ich die Hand auf den Deckel . . . –« »Die Frau Königin Brunichildis will's,« meinte der Bischof.
Er und Bischof Theodor zogen nun zwei kleine goldne Schlüssel aus zwei kleinen Kapseln, die sie auf der Brust trugen, schlossen die zwei Schlösser auf, welche den Deckel an die »Arche« befestigten, und schlugen den hochgewölbten Deckel auf. Ein starker, scharfer Geruch von orientalischem Räucherwerk drang aus der Truhe. Feierliches Schweigen, Schauer der Andacht ergriffen alle und nicht am schwächsten Chilperich; er legte unwillkürlich die Hand aufs Herz und wandte das Haupt ab.
Bischof Germanus begann: »Durch die Güte unserer Mitbischöfe und der Äbte in diesem ganzen weiten Reich der Franken haben wir in dieser Arche vereinigt Überbleibsel von Christus selbst, dem Herrn, und von den größten Heiligen. Hier ruhen bei einander: ein Splitter vom Kreuze Christi, Haupthaare des Apostels Petrus, ein Barthaar des Apostels Paulus, ein Zahn des heiligen Bekenners Hilarius von Poitiers, eine Rippe Sankt Martins von Tours und – die Schwurhand des heiligen Polyeuktus, des furchtbaren Rächers des Meineids. König Chilperich von Neustrien, mit leiblicher Berührung all dieser Heiligtümer – bedenk' es wohl! dadurch zwingst du den Herrn Christus selbst und alle die genannten in diesem Augenblick, ob unsichtbar, doch leibhaftig in ihren verklärten Auferstehungsleibern hier zu erscheinen! – sie weilen jetzt in diesem Saal: – sieh', wie geheimnisvoll, von keinem Lufthauch bewegt, die Kerze flackert: – sie schweben über unsern Häuptern – ich fühl' mein spärlich Haar sich sträuben vor heiligem Schauer! – Vor ihnen schwörst du und versprichst du nun zum ersten:
»Nie werd' ich Jungfrau Galsvintha, die Tochter Athanagilds, des Königs der Westgoten, die heute mein ehelich Weib werden wird, aus irgend einem Grund oder Vorwand welcher Art immer verstoßen oder, solange sie lebt, von mir scheiden oder ihrem Vater zurückschicken.«
»Ich schwöre!« sprach Chilperich mit lauter Stimme.
»Zum zweiten: Alle die Frauen oder Mädchen, die ich bisher unter dem Schein oder ohne den Schein der Ehe mir gesellt hatte, entferne und verstoße ich am heutigen Tage.«
Unwillig, rasch, polternd, stieß der Gepeinigte heraus: »Ich schwör's! – Ist's nun aus?«
»Gemach,« sprach Sigibert vortretend. »Das Gerücht geht durch die Gaue, – es drang auch zu dem Ohre meiner reinen Königin und hat sie erschreckt mit banger Furcht – vor wenig Monden habest du dir aus tiefstem Pöbelstaub, in der That aus der unfreien Mägde Schmutzstand, neuerdings ein solch verworfnes Geschöpf hervorgezerrt . . . –«
Chilperich biß die Lippe, seine Nüstern flogen.
»Es läge zu tief unter unserem Stolz, ihrer zu gedenken. Aber man flüstert, die Unholdin verstehe bösen Zauber, ja durch Zauber Haß und Liebe, Siechtum und Tod herbeizuzwingen. Das hat meine hohe Königin erschreckt. Versprich daher ausdrücklich, auch diese zu verstoßen: vergieb, du Vielreine, – daß ich vor dir den schmutzigen Namen nenne, doch es muß sein: – verstoße auch Fredigundis.«
»Was? Heil'ger Gott!« Ein schriller Schrei. Nicht Chilperich hatte ihn ausgestoßen.
Er und alle andern fuhren zusammen und blickten nach dem Marmortisch; über denselben gebeugt stand, mühsam sich aufrecht haltend, leichenfahl, Prätextatus.
»Was befällt Euch, mein Sohn?« forschte staunend Bischof Germanus. »Welche – welche Fredigundis?« stammelte der Priester. »Ihr scheint deren viele zu kennen,« höhnte Chilperich. – »Ei ja, diese werdet Ihr wohl meinen; sie war ja Eures Vaters Ziegenmagd.« »Ich kannte sie,« sprach Prätextatus, sich eisern zusammenfassend, »Sie war als Kind schon – ruchlos. Und konnte – glaub' ich – zaubern.« – Er atmete schwer.
»Auch sie verstieß ich,« rief Chilperich gereizt. »Ist's nun zu Ende?« »Noch nicht!« sprach Sigibert, »König Athanagild verlangt noch eins. Reich ist das Brautgut an gemünztem Gold und Silber, an Gold- und Silberschmuck und Gerät, an köstlichen Gewänden und Edelgestein, an edeln Rossen, Hunden und Habichten, an Knechten und Mägden, ja auch an liegenden Gründen und allerlei Hoheitsrechten im gotischen Gallien, in Septimanien, zumal bei Narbonne: die Mitgift seiner Tochter Galsvintha ist so reich wie die meiner geliebten Gattin Brunichildis. König Athanagild ist ein Greis und darbt der Söhne. Darum will er, daß, falls, – was Gott verhüte! – Galsvintha vor dir sterbe . . . –« »Dann erben die Mitgift unsere Kinder,« rief Chilperich. »Selbstverständlich!«
»Gewiß. Doch blieb eure Ehe kinderlos, dann soll die Mitgift, das Erbe Galsvinthas, falls sie vor dir verstirbt, an Brunichildis, ihre Schwester, fallen.« »Das ist eine Bosheit!« schrie Chilperich außer sich. »Das will ich nicht! Das thu' ich nicht.« »So seien die Heiligen gelobt!« sprach freudig Brunichildis. »So wird nichts aus der unseligen Vermählung. Komm, mein Gemahl! Wie froh bin ich!« Und sie wandte sich, zu gehen.
»Aber so bleibt doch! So hört doch, schöne Schwägerin! – Ein Mann darf sich doch eine Sache überlegen.« »Vater,« flüsterte ihm Merovech zu, »Eure Habgier hat sich allzusehr verraten.« »Du schweig,« fuhr er ihn an. »Du nähmst diese hochfärtige Gotin da und gäbst dein Erbteil obenein dafür.« »Und meine arme Seele,« sagte der Gescholtene ganz leise zu sich selbst.
»Höre,« – forschte Chilperich, zögernd – »gilt das – soll das gelten auch umgekehrt – für Galsvintha als Erbin Brunichildens?« Sigibert lachte hellauf. »Herr Bruder, gern! Doch wirst du, – das sag' ich dir schon heute – dieses Trostes nicht froh werden.« In Gluten gebadet senkte sich Frau Brunichildens edles Haupt. »So, so!« – grollte Chilperich leise, sie grimmig betrachtend. »O Fredigundis, brächtest du mir doch den Sohn! – Nun denn, auch das! Es sei! Ich beschwöre auch das.« »Sehr wohl,« sprach der Bischof von Paris: »nun legt die rechte Hand auf den Splitter vom Kreuze Christi und die linke auf die Haare der Apostel Petrus und Paulus und sprecht mir nach die Formel des Schwurs: ›Und wenn ich, Chilperich, König von Neustrien, von diesen, von mir beschworenen Stücken auch nur Eins im mindesten verletze, so sollen mich strafen Gott und alle Heiligen, zumal aber Sankt Polyeuktus, der Rächer des Meineids, und Sankt Hilarius und Sankt Martinus, bei denen ich geschworen. Und ausgestoßen soll ich sein aus der Fürbitte des Herrn Christus und aus der Gemeinschaft der Kirche. Und es treffe mich der Fluch von Data und Abira und der Aussatz Naamans des Syrers schlage mein Gebein. So im Leben. Im Tod aber sollen mich davontragen die Dämonen und peinigen meine Seele in dem gleichen Feuer, in dem sie peinigen Judas Ischariot, den Verräter des Herrn, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.‹«
Chilperich fluchte vor sich hin, machte ein sehr finsteres Gesicht und sprach die Formel nach.
Ziemlich früh in der Nacht nahm das Hochzeitsmahl ein Ende, das Sigibert in dem Palaste den Neuvermählten ausrichtete. Er, nicht der Bräutigam, war es, der das Zeichen zum Aufbruch gab. Hastig stürzte Chilperich noch den Becher Weines hinunter, der halbgeleert vor ihm stand. Galsvintha aber, die bleiche Braut, lag fassungslos, einem geknickten Schilfe vergleichbar, in ihrer Schwester Armen, unter strömenden Thränen, bebend am ganzen Leibe. Holdselig, aber noch vielmehr rührend war der Anblick der nur allzu Zarten, die in dem weißen Gewölk des faltenreichen weiten Brautgewandes fast zu verschwinden drohte. Auch die starkmutige Brunichildis unterdrückte nur mit Anstrengung die Thränen. Endlich löste Sigibert mit sanfter Gewalt die Umarmung der Schwestern. Krampfhaft hatte Galsvintha die langen schmalen durchsichtigen Finger in die Hände Brunichildens gerenkt.
»Fasse dich, holde Schwägerin! Sieh, der Bräutigam harret dein mit Ungeduld!«
Da hob sie das kleine Köpfchen, schüchtern wie ein Vögelein, von der Schwester hochwogendem Busen: ein verstohlener Blick wagte sich scheu, doch nicht ganz ohne Hoffnung, nach dem schönen, scharfgeschnittenen geistvollen Gesicht Chilperichs: – schon hatten sich die blutlosen Lippen zu einem sanften Lächeln ermutigen wollen. Aber da die Braut den Bräutigam abgewandt, über den Kredenztisch gebeugt sah, – er gebot mit gefurchter Stirn, ihm den Pokal nochmal zu füllen – da legte sich wieder bange Trauer auf die weiße Stirn. Willenlos folgte sie Sigibert, der sie an der Hand aus dem Saale zog. Mürrisch schritt ihnen nach Chilperich, von jungen Männern umgeben; diese riefen ziemlich laut derbe Scherze in sein Ohr, da lachte er einmal grell auf; erschrocken fuhr Galsvintha zusammen. Sie stiegen die Stufen des Palastes hinab.
Brunichildis, den Arm in die Hüften gestemmt, sah den Verschwindenden nach: »Mein Lamm! Mein weißes Lamm! Zur Schlachtbank! – Vergieb, Neffe Merovech: er ist dein Vater.« »Leider,« sprach der Jüngling. »Aber nichts als das Blut hab' ich mit ihm gemein.« –
An der Behausung Chilperichs angelangt, verabschiedete sich Sigibert von Galsvintha mit einem Kuß auf die Stirn. Dann trat er rasch zu seinem Bruder: »Sei gut, sei zart mit ihr. Sie ist so hilflos, ein zitternd Kind.« »Ich werde sie nicht beißen!« war die unwillige Antwort. »Habe keine Sorge! – Es ist mir gar nicht drum, noch mehr von ihren Thränen zu sehen. Kann ja nichts als weinen, das Geschöpf. Hat wohl Thränen statt Blutes in den Adern.«
Um Mitternacht sah der Mond eine weiße Gestalt am offenen Bogenfenster des Brautgemachs stehen. In diesem Lichtguß glänzte das weißgelbe Haar wie Silber; das kleine Köpflein war an den kalten Marmor des Fensterbogens gepreßt. Die Arme hingen schlaff herab; die einsame Braut weinte bitterlich. – –
Aber am Hafen unten, in der schlimmst berüchtigten Schenke des rohen Schiffervolkes saß, unter Matrosen, Sklaven, Ruderknechten, Gauklern und Tänzerinnen, ein Mann, der trotz der schwülen Luft, die in dem niedrigen, nach Fischen und Würsten übelriechenden Holzverschlag brütete, sorgfältig das Haar und zum Teil das scharfgeschnittene Gesicht mit der Kapuze des Mantels bedeckt trug. Er würfelte eifrig um Pfennige mit Sklaven, lachte lärmend über die wüstesten Scherze und warf hier und da den braunarmigen Cymbelschlägerinnen, die, hochgeschürzt, um ihn her tanzten, Goldstücke zu.
Da sprang mit einem Satz eine solche, eine schwarzlockige Syrerin, auf seine Knie. »Bist du, Goldspender, König Midas, daß du so sorgfältig deine Ohren verbirgst?« Und rasch riß sie ihm die Kapuze ab: – in langen roten Locken flutete ihm nun das Haar auf die Schulter. »Das ist ein Merowing!« – »Ein König der Franken!« – »König Chilperich ist's!« – »Der heute Hochzeit hielt.« »Schon überdrüssig der ›weißen Lilie?‹« höhnte die Syrerin.
»Schweigt, ihr Gesindel!« rief er, jäh aufspringend, daß die Tänzerin auf den Boden rollte. »Ein Wort hiervon außer dieser Spelunke und ich laß euch allen die Augen ausbrennen.« –
Schon stand er im Freien. Gierig sog er die kühle Nachtluft ein. »Ach, wohin nun? Nach Haus? Ich kann sie nicht anrühren! Eiskalt ist ihre Hand, wie einer Toten. Mir graut vor ihrem Geseufze. – Mir graut vor ihr ganz und gar! – Du hast sie mir gründlich verleidet, Fredigundis! – Beim Dämon! Die Begehrte verstoßen! Die einzige, die ich wirklich will. Und verkettet an dieses Gespenst, vor dem mir schaudert! Das ertrag' ich nicht lang! O läge doch jede von ihnen, wohin jede von ihnen gehört: die eine im kalten Sarge, die andre an meiner heißen Brust.«
Nach einer Woche trennten sich die beiden königlichen Paare. Sigibert und Brunichildis brachen von Marseille auf gen Norden, um über Lyon und Langres nach Reims, dem damaligen Königssitze von Austrasien, zu ziehen, während Chilperich seine junge Gattin über Limoges, Poitiers, Tours zunächst nach Rouen, später dann nach Tournay führen wollte.
Prätextatus, der nach Rouen zurückkehrte, schloß sich ihnen an, während Bischof Germanus das andere Paar begleitete; ebenso Merovech, den sein Oheim sich zum Majordomus seines Palastes erbeten hatte von Chilperich, der, anfangs betroffen, bald einwilligte. »Es ist gar nicht übel,« dachte er in seinem Sinne, »stets zu erfahren, was da vorgeht im Palast zu Reims: freiwillig wird zwar der Träumer nicht selbst ausplaudern, aber ich will ihn schon ausfragen.«
Sigibert hielt beim Abschied ernst und eindringlich Zwiesprach mit seinem Bruder. »So hat sie mich verklatscht, die Thränenprinzessin?« fuhr dieser alsbald auf. »Wohl bei der gestrengen Frau Schwester? Sehr zartfühlig, das muß ich sagen, von Jungfrau Galsvintha! Ist es meine Schuld, daß mir vor ihr graut?« – »Es graute dir gar nicht vor ihr auf dem Schiff, auf der Fahrt von Narbonne bis Marseille. Kaum hattest du das zarte, keusche Kind gesehen mit den großen, den rührenden Rehaugen, – da warbst du um sie wie ein Dämon. Habe noch nie einen Mann so freien sehen: – wie ein Feuerstrom! Wie sollte solchem Andrang eines solchen Geistes ein Mädchen widerstehen? – Noch bei dem Einzug in Marseille! Du verschlangst sie mit den Augen. Und gleich danach – dieser Widerwille! – Keine Silbe hat sie gehaucht! Aber man sieht ja, wie sie leidet, die Verschmähte! Was liegt dazwischen?«
»Ein Wort! – Nicht doch, – ich meinte: vielleicht ein Zauber. Du weißt, es giebt solche Künste! Man knüpft Knoten – mit magischen Worten: – Nestelknüpfen nennt man's – und verwandelt ist des Bräutigams Sinn. Er kann gar die Braut nicht küssen, ob er's auch wollte. – So geht es mir. – Will ich ihr nahen –, es bläst mich etwas an wie Furcht vor Siechtum, wie Leichenkälte. – Aber warte nur. Kommt Zeit, kommt Rat. Auf der langen Reise werden wir wohl vertrauter werden. Hier, in dem lärmenden Marseille, werden wir stets auseinandergestört. Es wird schon alles gut werden.«
»Wir wollen's hoffen. Leb wohl, Bruder.«
»Leb wohl. He, noch eins! Was ist's mit Soissons? Wir sind ja jetzt ausgesöhnt – und nicht nur Vettern – Hi, hi! – und Brüder sind wir – noch Schwäger dazu. Gieb mir meine Stadt Soissons zurück.«
»Kann nicht, Bruder. Sieh, ich thät' es gern. Aber ich habe versprochen, dies Pfand für deine friedliche Gesinnung noch zurückzuhalten.« – »Versprochen? Wem versprochen?« – »Einer Seele, die dir wenig traut.« – Er war fort.
»Das ist seine Gotin,« rief Chilperich giftig. »Beim Dämon! Warte! Du sollst noch Grund finden für dein Mißtrauen. Was mischt sich das Weib in fränkische Reichsgeschäfte? Sie beherrscht diesen guten Jungen, der früher so leicht zu bereden war. Sie macht ihn mißtrauisch und fest. Warte, Brunichildis!«
Schmerzlich und thränenreich war der Abschied der Schwestern. In dem Frauengemach des Palastes saßen die beiden auf der Ruhebank; zärtlich schmiegte sich die schmächtige, kindliche Gestalt Galsvinthens an Brunichildis, diese hatte die Schlanke auf ihren Schos gehoben und wiegte sie leise hin und her, wie die Mutter ein krankes Kind; die Kleine barg das Antlitz an der Schwester Busen; die beiden Hände hatte sie hinter deren Nacken gefaltet.
»Meine weiße Wasserrose! Mein schlankes Schilf! Mein silbernes Sternlein!« koste sanft beschwichtigend die ältere Schwester. »Wie soll ich dich entbehren?«
»Du – mich? Das wirst du leicht. Du bist so glücklich.« – »Ich kann es nicht sein, weiß ich dich traurig. Du darfst, du sollst mir nicht traurig sein.« Da machte sich Galsvintha los, richtete die sanften dunkeln Augen auf die Trösterin und sprach mit trübem Lächeln: »Warum bist du glücklich? Weil du liebst und geliebt wirst. Warum bin ich elend? Weil ich liebe und . . . –!« »Er liebt dich auch. In seiner Art. Hast du vergessen, wie er um dich warb, wie glühend?« – Zornig furchte sich bei der Erinnerung die hoheitvolle Stirn. – »Ich bat Sigibert, als ich dies wilde Werben sah, dem zu wehren. Denn solche Glut steckt an. Und es ist wahr,« – sie wollte die Kleine mit ihrem Lose versöhnen – »er ist schön von Antlitz und rasch von Gedanken und witzig und reich an allerlei blendenden Einfällen und schmeicheln kann er und scherzen und schwatzen zum . . . –«
»Bethören des ganzen Herzens. Ach, ich ward ihm gut schon am ersten Tage. Und Schwager Sigibert sagte mir gleich, unser Vater wünsche es. Ich fühlte nur, ich sei seiner nicht würdig, seinem Geist nicht gewachsen. Aber die schmeichelnde Welle seiner süßen Rede trug mich schaukelnd dahin – willenlos. Und nun! Ich sehe es jetzt wohl: nur die Schätze lockten ihn, die unseligen, die, wie er wußte, der Vater mir so hochgehäuft wie Dir zum Heiratsgut bestimmt hatte. 's ist auch begreiflich. – Was bin ich!«
Heftig rief Brunichildis: »Du bist ein holdes, süßes Mädchen, viel schöner als ich, viel sanfter und viel besser!« und sie drückte die Kleine an die Brust.
»Oh nein! – Und gestern, da er wieder so wortkarg mit mir beim freudlosen Abendmahle saß: – seine glitzernden grauen Augen sahen an mir vorbei, weit weg, in die Ferne, als ob sie dort etwas suchten – und als die Diener fortgeschickt waren, da faßte ich mir ein Herz. Leise, leise, – er merkte es nicht, – glitt ich von dem Sitz an seiner Seite auf den Boden und umfaßte seine Kniee.« – »Galsvintha! Du hast vor ihm gekniet? Des Gotenkönigs Tochter!« – »Ei, strenge Schwester,« lächelte das Kind wehmütig unter Thränen, »als ich heute plötzlich in euer Gemach trat: – wer lag auf beiden Knieen vor König Sigibert und bedeckte seine Hände mit demütigen, raschen, raschen Küssen?« – Brunichildis errötete über und über: »Das ist ganz was andres, Kind!« – »Freilich wohl! Denn er liebt dich! – Ich aber – ich bat ja auch nicht um Liebe – kann man Liebe erbitten? – Ich bat nur um meine Freiheit!«
»Wie? Was hör' ich?« – »Vielmehr um seinetwillen als um meinetwillen! Denn ich – ach, es ist eine Schmach, es zu gestehen! – ich war es am Ende auch zufrieden, nur still, geduldet, neben ihm hinzugehn und still, ungeliebt, zu welken, seinen überlegenen Worten lauschend, seinem Witz, den ich fürchte und der mich doch anlockt wie die Flamme. – Aber er! – Er leidet auch unter dieser aufgezwungenen Ehe!« »Wer hat ihn gezwungen?« drohte Brunichildis. – »Nun – oder er hat sich geirrt. Er hat gewähnt, um das reiche Heiratsgut sei auch leicht in den Kauf zu nehmen die arme Galsvintha, die nie das Wort findet für ihre Empfindung, für ihre Gedanken –: denn manchmal, Schwester, hab' ich wirklich auch Gedanken, gar nicht ganz üble. Er hat mich überschätzt. Er leidet an meiner Seite, beim Anblick meiner stummen Qual. Ach, ich vermag es wohl nicht genug zu verstecken, daß ich ihn liebe. – Er aber soll nicht leiden! – So sprach ich denn zu ihm, recht flehentlich, so demütig ich bitten konnte: ›Ach Herr König von Neustrien,‹ sprach ich, ›laß deine Magd in Frieden von dir scheiden. Ich bin zu einfältig für deinen raschen, reichen Geist. Laß mich, ohne Groll und Vorwurf, von dir gehen, und über die Berge wieder heimwärts ziehen zur lieben Mutter. Die Schätze aber, die ich dir zugebracht,‹ – so fügte ich eilig bei – ›sollst du behalten.‹« »Mein armes Reh!« rief Brunichildis. »Was hast du gethan!« – »Das Rechte. Es schien auch ihn zu rühren. Ich konnt' es nämlich nicht verhindern, daß mir dabei zwei große Thränen langsam über die Wangen flossen. Er sprang auf, strich mir – oh wie schauderte ich dabei bis ins innerste Mark! – fast zärtlich über das Haupt – und rief: ›Gute Kleine!‹ Er bog sich zu mir nieder: gar traurig sah ich zu ihm auf, er faßte mich an der Schulter, er näherte mir das schöne, schöne Antlitz – ich glaube,« – hauchte sie ganz leise – »er wollte mich küssen, auf den Mund. – Schon fühlte ich seinen warmen Atem mir ganz nah – mir schwindelte dabei ein wenig, liebe Schwester! – aber plötzlich, als habe ihn eine Schlange gestochen, fuhr er weit von mir zurück. ›Unsinn!‹ rief er mit der harten, bösen Stimme, die ihm oft den weichsten Schmeichelton ablöst: ›Unsinn! Geht nicht! Gäbe Krieg mit den Goten und mit Frau Brunichildens gehorsamem Gemahl. Mußt schon bei mir bleiben, Kleine.‹ – Das letzte,« flüsterte sie, »klang beinah wieder zärtlich.« »Nun siehst du?« tröstete die Schwester mit Worten, an die sie selbst nicht glaubte. »Hoffe und vertraue! Wann ich dich wiedersehen werde in wenigen Monden, bist du so glücklich wie« – ›wie ich‹, hatte sie sagen wollen. Aber sie brachte dieses Unrecht gegen die eigene Liebe nicht über die wahrhaftigen Lippen. »Wie die Toten alle«, sprach Galsvintha feierlich und erhob sich.
Brunichildis erschrak, so tief ernst, so ruhig, so feierlich gereift klang das Wort: »Schwester,« rief sie, »welcher Wahn!«
»Kein Wahn, Wahrheit. Hast du vergessen, wie unsere liebe Mutter daheim, welche dich ohne Klage, mit Stolz, König Sigibert anvertraut hatte, auf den Tod erschrak, da sie hörte, ich – ich solle dich begleiten, um – vielleicht – zu werden, was ich Arme nun geworden bin? ›Niemals seh' ich dich wieder,‹ schrie sie verzweiflungsvoll und raufte das graue Haar. ›Du steigst nicht in das Brautbett, – in das Grab. Totenkränze harren dein in Gallien!‹ – Sie tobte, sie erkrankte. – Wahr hat sie geredet. O Brunichildis, selige Frau! O wer so glücklich wäre wie du! – Aber ungeliebt, verschmäht, dem Geliebten zur Last! – O wenn du mich lieb hast, wünsche mir nicht das Leben, wünsche mir den Tod. Wie oft, wie heiß, wie flehend hab ich in diesen Tagen mir selber ihn gewünscht!«
»Nein, nicht den Tod wahrlich,« rief Brunichildis kraftvoll, »aber ein Ende wünsch' ich – und schaff' ich dir! – dieser Schmach, dieser herzverzehrenden Pein. – Drei Monde geb ich ihm noch Frist, dem Herrn Schwager. Nach drei Monden such' ich dich auf, mein holdes Schwesterlein. Und bist du dann noch so geknickt wie heute, – beim Leben unseres Vaters! dann soll dein Wunsch geschehen und ich zerhaue diese Ehe: muß es sein, – mit scharfem Schwert.«
»Drei Monate? – O Schwester, was wähnest du! – Horch! Die Hörner mahnen zum Aufbruch. Schritte auf dem Gang! Dein Gatte naht, dich abzuholen und – der König von Neustrien. Noch einen Kuß, den letzten, – den allerletzten, – Schwester Brunichild! – Grüße, o grüße noch die arme Mutter.«
In den nächsten Tagen besserte sich merklich das Verhältnis der Neuvermählten.
Viele Stunden ritt Chilperich an der Seite des unschuldigen jungen Geschöpfes, neben ihrem Zelter oder, falls sie der Sattel ermüdete, neben ihrer offenen Sänfte. Es konnte nicht ausbleiben, daß der stille Reiz dieser sanften Natur, der ihn von Anbeginn gelockt, in solch traulichem Verkehr offener entfaltet, auf ihn zu wirken begann. Daß sie ihn liebte, wußte er längst: hatte er es doch von Anfang darauf angelegt, das unerfahrene Kind für sich einzunehmen.
Nun kitzelte es seine Eitelkeit, – es machte ihm wirkliches Vergnügen – zu beobachten, wie die scheue, knospenhaft streng in sich geschlossene Mädchenseele sich auf das ängstlichste bemühte, das süße Geheimnis ihrer Neigung vor ihm zu verbergen. Soviel Verwirrung holder Scham, – es war ihm ganz ergötzlich, sie zu betrachten. Aber recht wohl war ihm doch nicht dabei. »Es ist alles so kindisch oder kindlich an dieser ihrer Liebe, – lauter Duft und Mondschein. Ich bin von derberem Stoff und habe heißere Wünsche.«
Nach mehreren Tagen kamen sie in die Nähe von Limoges; diese Stadt wäre aber erst in tiefer Nacht zu erreichen gewesen; man beschloß daher, in einem König Guntchramn gehörigen Hof, Baniacus, der am Wege lag, zu übernachten; der gutmütige Beherrscher von Burgund stellte stets seine Paläste und Villen den Brüdern zur Verfügung, was der geizige Chilperich gern annahm, aber nicht erwiderte. Schon zwei Tage vorher war durch Vorreiter angesagt worden, daß das Königspaar hier übernachten werde. Die Sonne neigte zum Untergang, als der Zug der Reisenden sich jenem Hofe näherte.
Aber nicht geradeaus nach diesem Ziel der Reise, nach Norden, und auch nicht in den dunkelrot erglühenden Abendhimmel war Chilperichs Auge gerichtet. Unverwandt blickte er seitwärts, nach rechts, nach Osten, aus, wo eine sanfte Hügelkette ziemlich nah und der alten Römerstraße, auf der sie ritten, parallel sich hinzog. Er überhörte wiederholt Fragen der jungen Frau neben ihm. Diese richtete sich endlich neugierig in der Sänfte auf und blickte scharf in die gleiche Richtung. »Was ist dort so Schönes zu sehen, Herr König?« fragte sie. »Auf jenem Hügel? Jene weißen Häuser . . . –?« – »Sie gehören mir. Es ist ein recht angenehmer Aufenthalt, jener Hof.« – »Warum übernachten wir nicht dort, auf Eurem Eigen?« »Eh – ich versprach mich,« – er ward sehr rot und redete hastig: »Bis vor kurzem war jene Villa mein. Jetzt nicht mehr. Ich habe sie – verschenkt.«
»Schaut einmal dorthin, königlicher Herr,« sprach Prätextatus, sein Maultier näher heran spornend, »dort im Westen von Baniacus. Seht Ihr da das schmale turmartige Gemäuer?« – »Jawohl. Sieht aus wie die Cella eines Einsiedlers.« – »Ist es auch. Ein altes zerfallenes Oratorium; in dessen Trümmern hat sich vor kurzem, wie ein Steinkauz, ein Klausner eingenistet.« »Wie heißt er?« fragte Chilperich gleichgültig. – »Winnoch.« »Wie?« rief der König hastig und hielt sein Rotroß kurz an. »Der Kelte, der Britanne aus Vannes? Der Weissager, dem die Zukunft offen liegt wie eine aufgerollte Urkunde? Der Allwisser, wie ihn die Leute nennen?« – »Derselbe. Er weilte früher in der Nähe von Paris. Bischof Germanus hat ihn aber nicht geduldet dort.« – »Warum?« »Weil das Gerücht geht – und er konnte sich nicht gänzlich davon reinigen, – daß er die Zukunft weniger durch den Geist Gottes erkunde und durch Traumgesichte, wie die Heiligen und frommen Büßer nach langem Fasten und Kasteien, als vielmehr durch« – er stockte und bekreuzte sich. – »Nun, wodurch?« – »Durch Anrufung der Dämonen und allerlei Zaubermittel.« »Das wäre mir gleich!« rief Chilperich. »Wüßte ich nur, daß er wirklich die Zukunft schaut.« – »Daran ist kein Zweifel, Herr König. In unzähligen Fällen erfüllte sich sein Wort.« »So, so?« forschte Chilperich nachdenklich; er warf einen raschen Blick nach der fernen Cella. – »Und Bischof Ferreolus von Limoges denkt – leider! – wie Ihr: er schützt ihn, weil er selbst die Zukunft erforschen will, gleichviel durch wessen Hilfe, – was von einem Bischof traurig zu sagen ist.« »Was von einem Bischof gerade so gescheit ist wie von andern Menschen!« lachte Chilperich.
»Ihr redet Sünde, Herr König. – Wie gern befragte ich den Klausner – nicht um der Zukunft willen: die liegt in Gottes Hand, der ich mich längst ergeben. – Aber Winnoch weiß auch verborgene Dinge der Gegenwart. Und was gäb' ich darum, zu wissen . . .« – er seufzte. – »Nun, was erregt sogar Eure Neugierde, in dieser Welt, der Ihr, fast bei lebendigem Leibe schon ein Heiliger, habt abgesagt?« – »Nicht Neugier. Schwere brüderliche Sorge! Verschwunden ist, zu großem Kummer meines Vaters, mein Bruder Landerich. Spurlos verschwunden!« – »Seit wann?« – »Seit vorigem August.« – »So? – Seltsam! Gerade – auch – seit vorigem August?« meinte Chilperich; er warf einen Blick nach Osten, auf die Hügelvilla. – »Ich brauchte nur hinüberzureiten und dem Klausner, der leider sehr geldgierig und weltlich schlau sein soll, ein paar Goldstücke in die Hand zu drücken, – in einer Stunde wüßt' ich, wohin mein Bruder sich gewandt, ob er noch lebt. – Aber ich will meine, selbst des geliebten Vaters Beruhigung nicht den Dämonen zu danken haben.« »Archidiakon,« sagte Chilperich feierlich und laut. »Ihr denkt edel. – Aber dumm!« flüsterte er lachend vor sich hin, seinen schönen roten Bart streichend. – »Seht, da sind wir gleich am Ziel! Schon eilen uns zur Begrüßung der Villicus und die Knechte und Mägde entgegen – ei, was für eine dralle Dirne da, die dritte.« – Er sprang vom Pferd und schritt, den weißbärtigen Villicus, der sich tief vor ihm verbeugte, unsanft zur Seite stoßend, auf die Magd zu. Plötzlich blieb er stehen und sah zurück nach der Sänfte, aus welcher Galsvintha ehrerbietig gehoben ward. »Ja so! Ich bin verheiratet! Und – zum erstenmal – im Ernst – im bittersten Ernst. Nur mit Einer! – Und die, die ist mir so verleidet von der Roten da drüben in der Villa, als wäre sie eine Braut aus Nebelgewölk. Beim roten Höllenwirt, das muß ein Ende nehmen: so oder so! – Vorwärts, ihr Schurken von Knechten! – Pflegt der Rosse! – Und, du, Weißbart, ein reichlich Mahl bitt' ich mir aus. Und höre, von Bruder Guntchramns allerbestem Wein! Es freut den guten Bruder, geht was drauf. – Wir wollen ihm, Herr Archidiakon, recht viele Freude machen.«
Die Villa bestand aus einer Mehrzahl von Gebäuden. Der Villicus hatte das stattlich eingerichtete Wohnhaus für die Aufnahme des Königspaares und seiner vornehmsten Begleiter zurüsten lassen: die erhebliche Menge von unfreien und freigelassenen Knechten und Mägden des Trosses wurde in den Wirtschaftsräumen untergebracht. Außer diesem zahlreichen Gefolge und neben den ständigen Bewohnern der Villa trieben sich an diesem Abend auf dem geräumigen Platz vor dem säulengetragenen Hauptgebäude noch gar viele Leute aus der Nachbarschaft umher: Männer, Weiber, Kinder, welche die Neugier herangezogen hatte, das königliche Paar und dessen glänzenden Aufzug zu mustern, auch wohl anzubetteln: denn eine neu vermählte Frau durfte nach dem Glauben der Zeit keine erbetene Gabe weigern. Ungeduldig drängte sich die Menge vor dem Hause während des Mahles, das die Reisenden in dem inneren Hof einnahmen; allerlei Rufe und Bitten klangen bis zu ihnen.
»Was will das Gesindel?« fragte Chilperich, den letzten Becher hinunterstürzend. »Jagt die Hunde in den Haufen!« »Herr,« bat der Villicus, »zürnet nicht den guten Leuten. Sie haben sich Eures und zumal Eurer holdseligen Frau Königin Anblicks noch nicht ersättigt. Auch sind viel Arme darunter, die . . . –« »Wenn es Euch genehm wäre, Herr König,« sagte Galsvintha mit sanfter schüchterner Stimme, »ich möchte wohl den Dürftigen spenden.«
»Es sei! Gehen wir! Der Wein ist sehr stark. Es ist genug!« Er sprang auf und schritt mit der Königin und den Tafelgenossen aus dem Hause auf die Freitreppe, welche mit mehreren Stufen auf den Vorplatz führte. »Heil! Heil König Chilperich! Heil dem Merowing! Heil unserer jungen Königin, der schönen Herrin!« scholl es dem Paar entgegen in fränkischer und in vulgär-lateinischer Sprache. Und schon drängten die Bittenden die Stufen hinauf. »Gebet, gebet, gute Königin! Spendet, holde Frau!« Galsvintha griff in ein ledernes Täschlein, das ihr eine gotische Freigelassene hinhielt, und streute Kupfer- und Silbermünzen unter die Menge. »Danke, Frau Königin!« rief eine junge Frau, die einen Säugling an der Brust trug. »Wie Ihr mir meine Bitte erfülltet, so mögen die Heiligen Euch erfüllen Euren geheimsten, süßesten Wunsch!« »Was mag sie meinen?« fragte Galsvintha ihren Gemahl.
»O süße Unschuld!« fuhr die Frau fort, welche die Frage vernommen. – »Das war wirklich nicht Verstellung! Welch reine, kindliche Frau habt Ihr Euch da genommen, Herr König! Nun, vor Jahresfrist, mögt Ihr an die Brust drücken, schöne Königin, einen Sohn, stark wie diesen da, den meinen!«
Über und über errötete das bleiche Kind. Das ließ ihr sehr wohl. Die letzten Tage, stets in der warmen Maienluft verbracht, hatten auf ihre bleichen Wangen ohnehin bereits etwas Farbe gezaubert und wie sie nun, in reizender Verwirrung der Scham, die langen, langen Wimpern gesenkt, das Köpflein gegen den knospenden Busen niederbeugte, dem suchenden Blick des Königs ausweichend, während ihr wunderschönes, seidenweiches und silberhelles Haar in zwei reichen Wellen vorn über ihre Schultern wogte, bot sie eine holdselige Schau. Chilperich, ein begabter und viel geübter Kenner aller Art von Weibesschöne, blieb nicht unberührt von diesem Reiz: er ließ mit Wohlgefallen, mit einem Anflug von Stolz, daß die Leute das ihm vermählte Königskind bewundern mußten, die Augen auf der rührenden Gestalt ruhen, trat einen Schritt näher und streichelte freundlich vor allem Volk ihr schön gewölbtes Haupt, das weiche Haar und die liebliche, nur allzuschmale Wange. Noch tiefer errötete Galsvintha: – vor all' den Leuten! – Nie hatte er sie so zärtlich berührt! Und sie fühlte, obwohl sie die Augen eifrigst gesenkt hielt, seinen heißen Blick hingleiten über ihre Gestalt.
Dem Volke, das die holde, so gar nicht hochfärtige junge Königsfrau rasch liebgewonnen hatte, gefiel diese eheliche Zärtlichkeit: die Leute hätten es gern gesehen, wenn er sie geküßt hätte. Laute Heilrufe stiegen in die Luft. Aber als sie verhallt waren, schlug an des Königs Ohr ein halblautes Wort: »Werde nicht zu zärtlich, Chilperich, liebst du dein Leben.«
Betroffen fuhr der König einen Schritt zurück: – scharf spähte er in die Menge, in die Richtung der geflüsterten Worte: – aber da wogten zu viele Köpfe von Frauen und Männern durcheinander, keine einzelne Gestalt war auszuscheiden in dem Gedränge. Mit verfinsterter Miene nahm er Galsvintha an der Hand und trat mit ihr in das Haus zurück; die Menge draußen begann nun sich zu verteilen und zu entfernen. Galsvintha ward von der Frau des Villicus gebeten, sich den kleinen Blumengarten hinter dem Haus anzusehen: sie nickte freundlich und folgte.
»Wo hast du mein Lager gewählt?« fragte Chilperich den Villicus. »Dort, in jenem Gang ist das bräutliche Gemach, Herr König. Ich hoffe, Ihr werdet beide zufrieden sein. Mit Blumenkränzen haben meine Töchter die beiden Ruhebetten aneinandergeknüpft. Sehet nur selbst.«
Er stieß die Thüre auf: das sehr schmale Gelaß bot außer den beiden über und über mit Blumen beschütteten Lagern fast gar keinen Raum; eine Ampel, die von der niederen Decke herabhing, war bereits angezündet und verbreitete ein mattes, gedämpftes Licht. Zu Häupten des Doppellagers hing an einem starken, weit vorspringenden Eisenhaken, der die Gestalt eines Greifen trug, an einer zierlichen Kette, ein weites Bronzebecken für geweihtes Wasser.
Zögernd blieb Chilperich auf der Schwelle stehen; er schien zu überlegen. – »Es wäre das erste Mal,« murmelte er. – »Hast du kein anderes Gelaß?« fragte er dann. – »Keines, das sich so eignete; nur Vorhänge schließen die Eingänge der andern. Die scheue junge Frau! – Seht, diese Thür hat innen einen Riegel. Ich wüßte hier keinen andern Raum für solch ein Paar.«
»Dummes Gerede!« schalt Chilperich. – »Aber – vielleicht ist es ein Wink der Heiligen. – Nun, die Kleine wird staunen über meine Schlafgesellschaft! – Ah, da bist du, meine holde Königin. – Tritt hier ein: hier wirst du heute Nacht ruhen.« – Sie trat auf die Schwelle – – und bebte leise zurück. »Nur hinein, mein Täubchen! – Ich – ich reite noch ein wenig aus. – Du aber« – hier neigte er sich und ganz leise flüsterte er in ihr Ohr – »du riegle mir auf, wann ich poche.«
Draußen auf dem Vorplatz bestieg alsbald der König ein Pferd, das ihm der Villicus empfohlen.
»Ich muß den heißen Wein in meinem Kopf noch kühlen in der Abendluft,« rief er. Laß einen Knecht des Hofes mir folgen, der die Wege, die Nachbarschaft kennt.« – »Wohin?« – »Ich weiß es selbst noch nicht, Herr Archidiakon! Nur ins Freie. – Vorwärts, mein Rößlein!« Und damit sprengte er aus dem Thor des hölzernen Gatterwerks, das den ganzen zu den Gebäuden der Villa gehörigen Hofraum umfaßte. – In gemessener Entfernung folgte ihm ein berittener Knecht.
Er hatte nicht gelogen mit den Worten, er wisse selbst noch nicht, wohin? Aber daß er nur zwischen zwei Zielen seines Rittes schwanke, das zu verraten hatte er nicht nötig gefunden.
Eine gute Strecke führte nur der eine Weg von dem Hofe weg, ohne Abbiegung. Nach kurzer Frist wilden Jagens zog der König den Zügel an und ließ das Pferd im Schritt gehen; er nahm den breitrandigen Reisehut von Filz ab, steckte ihn in den Schwertgürtel und wischte sich die Stirne.
»Heiß, Heiß! Im ganzen Leibe! Es ist nicht nur der Wein! Es ist das wilde Blut. – Wir haben ja den Arzt im Gefolge, den Griechen. – Ob ich mir heut' noch eine Ader schlagen lasse? – Bah, freut mich wenig. – Und allüberall her von den Wiesen, aus den Büschen dringen Wohlgerüche stark duftender Blumen auf mich ein: – betäubend, berauschend, wollustschwül! Und diese Nachtigall mit ihrem brünstig heißen, buhlerisch lockenden Schlag! Diese Töne, die langgezogenen, schmelzenden – sie machen mich ganz toll! Wohin? Wohin will ich denn eigentlich? – Da drüben,« er wandte sich leicht im Sattel zur Seite, »da droben auf dem Hügel winkt die Amica: – ich meine die Villa. – He du, Schneckenreiter, komm' mal heran. Wem gehört die Villa da drüben?«
»Man sagt, seit acht Tagen einer sehr schönen Frau.« – »Kennst du sie?« – »Nein, niemand kennt sie; sie war noch nie auf unserem Hof.« – »Wie weit ist's von hier nach der Villa da oben?«
»Nicht eine halbe Stunde, und wie Ihr reitet, Herr König, kaum eine Viertelstunde.« – »In einer Viertelstunde,« flüsterte er zu sich selber, »könnte ich in ihren Armen liegen, ihre wilden Küsse pflücken. Und mir wäre wohl, – selig! – Warum soll ich nicht? Bin ich nicht König? – Dort, linkshin zieht sich der Weg. – Ich will –!« Da scheute sein Roß und sprang mit mächtigem Satz nach rechts zur Seite; beinahe wäre der Reiter aus dem Sattel geflogen. Ein zorniger Faustschlag zwischen die Ohren züchtigte das schnaubende Tier. »Was hat die Bestie?« schrie er den Knecht an, der eilig herzusprengte. »Das Roß scheute.« – »Ja, das hab' ich gespürt, Esel. Aber wovor?«
»Wohl vor jenem Bildstock an dem Scheideweg; es ist eine Gestalt von Holz, ein Heiliger darauf geschnitzt, den wir hier im Gau sehr hoch verehren.«
»Welcher?« fragte Chilperich unwirsch. »Sankt Polyeuktus, der Rächer des Meineids,« sagte der Mann leise bebend. Chilperich erschrak. »Eine Warnung? Eine Mahnung des Himmels an den Eid? Bah, es geschehen wohl nicht ganz so viele Mirakel als mein Bruder Guntchramn glaubt. Weil ein dummer Bauerngaul vor einem Wegkreuz einen Sprung macht, soll ich nicht – –? Aber freilich! Das andre Ziel lockt auch! – Denn wer die Zukunft weiß, – der kann all' seine Feinde schlagen, seine Pläne danach bauen. Halt, wir wollen's davon abhängig machen, was näher ist. Das soll ein Wink der Heiligen sein. – Sage du, wo geht der Weg von hier ab zu dem Hause des heiligen Winnoch?« – »Da, rechts neben Euch, biegt der Weg in die Wiese.« – »Und wieweit ist's dorthin?« – »Genau so weit wie nach Villa Amica, Herr.«
»Lieber Gott, sind deine Heiligen eigensinnig,« rief er, das Roß anhaltend. »Ja, wenn die nicht wollen, dann mucksen sie nicht! – Und sonst sind sie oft recht aufdringlich mit ihren Warnungen. – Jetzt bin ich so weise wie zuvor. Nun, wenn der Himmel schweigt, so mag die Hölle reden. Zwar hat's Prätextatus auf der Reise streng verboten, als er mich das alte heidnische Loswerfen üben sah (– ob ich den diebischen Pferdeknecht köpfen oder hängen solle –?), aber der Tugendschwätzer ist ja nicht da. – Also!« – Er nahm aus der Gürteltasche ein Goldstück. »Bild oder Spruch! Der Spruch bedeutet des Heiligen Sprüche, das Bild bedeutet das schöne Gundelchen. Nun flieg' und falle.« – Er legte die Zügel auf des Pferdes Hals, warf mit der Rechten die Münze in die Luft und fing sie mit der Linken. Es war schon ziemlich dunkel, doch konnte er deutlich erkennen, daß die Spruchseite oben lag. »Verdammt!« brummte er. – »Ich glaub', ich sehe schlecht. – Komm her, du Kerl. – Sprich! Siehst du, wie ich's wünsche, so ist das Goldstück dein. – Sag: siehst du da ein Bild oder einen Spruch –?« – »Einen Spruch, ohne Zweifel, Herr König.« »Du bist ein Schaf!« schrie der König zornig. »Der Höllenwirt hole sich die Münze!« Und er warf sie weit von sich. – »Armes Gundelchen! Du hast Unglück. – Und ich noch mehr! – Nun denn, im Namen aller Teufel – zu dem Heiligen!« – Und er gab dem Roß den Sporen und sausend sprengte er davon auf dem Seitenweg nach rechts. –
Eine halbe Stunde später war der König bereits im tiefsten Gespräch mit dem Reclausus; den Knecht hatte er außerhalb des schmalen Gemäuers gelassen.
»Sagt aber doch, heiliger Vater oder Bruder, – – denn Ihr seid noch ziemlich jung! – ja Jugend schützt im Reich der frommen Franken nicht vor der Heiligkeit! – Warum habt Ihr mich denn anfangs nicht hereinlassen wollen? Mußte erst lange bitten, bis Ihr aus Eurem Turme die schmale Leiter herabließet, auf der allein man zu Euch, wie in einen Taubenschlag, hinaufklettern kann. Wäre schier hinuntergefallen.«
»Der Weg ins Himmelreich ist schmal und steil, mein Sohn,« näselte der Einsiedler. »Nun, ich hoffe, ist man aber oben, dann ist's da beim lieben Gott hübscher als bei dir. Sonst danke ich für die Herberge! – Also, warum hast du mich nicht einlassen wollen? Bei dir ist doch nichts zu rauben?« – Er sah sich um in der schmalen Zelle, die ringsum nur die nackten Ziegelsteine wies und einen irdenen Krug mit Wasser. »Freilich nicht, freilich nicht! Wasser und Wurzeln, Wurzeln und Wasser.« – »Höre, das bekommt dir aber gut. Der Kienspan giebt zwar mehr Qualm als Licht. Aber ich sehe doch: deine Wangen sind voll und deine Nase ist rot. – Warum ließest du mich solange harren?«
»Herr, – es ist Nacht. Ich war versunken im Gebet.« – »So? – Es klang täuschend wie Schnarchen. – Du sahst ganz verschlafen aus deinen verschmitzten, grünen Augen. Übrigens, diese Augen sehen allerdings so listig aus, als könnten sie, was die Weissagung betrifft, durch ein dickes Brett gucken.« Der Klausner schmunzelte geschmeichelt: »Muß auch sein! Die Zukunft ist dicker verhüllt als mit Bretterverschlägen. Euer Bitten hätte Euch auch den Eingang nicht verschafft: aber daß Ihr gleich ein paar Goldsolidi in die Turmluke warft, das gefiel mir.«
»Was thut Ihr mit Geld? Dürft es ja doch nicht behalten!« – »Freilich nicht, freilich nicht,« eiferte Winnoch. »Habe nichts zu eigen als diese Kutte aus Kamelhaar, diesen Strick um die Lenden, jenen Wasserkrug und einen Stab. Aber die Armen in der Nähe – die brauchen gar viel! – Und als Ihr dann beifügtet: ›höre, Kerl, ich bin König Chilperich, der Merowing, und läßt du mich nicht ein, so laß ich dich schinden und pfählen‹, – und als Ihr das beschwort mit so gotteslästerlichem Fluch – da erkannt ich Euch gleich.«
Der König lachte. »Sahst du mich denn schon?«
»Oh ja, Herr! Ich hab' Euch fluchen gehört und gesehen, wie Ihr pfählen ließet, als Ihr Reims überfallen hattet und die Bürger Euch nicht huldigen wollten, sondern an Herrn Sigibert festhielten.«
»Die Hunde! Nie vergeß ich's ihnen! – Nun gieb acht. In der Villa haben sie mir erzählt, dein Hauptkunststück sei: dein Besucher denkt sich einen Menschen, nennt ihn dir nicht, du legst dem Fragenden die Hand auf die Augen und sagst dann, was dieser ungenannte Mensch dem Fragenden in der Zukunft an Glück oder Unglück bedeuten wird. Ist das so?« – »So ist's. Und ist noch immer eingetroffen. Aber –« – »Was aber?« – »Das ist mein allerschwerstes Stück! Das kostet viel Lebenskraft! Und soviel Fasten! Und Beten und Geißeln und Anschreien der Heiligen. Sind oft gar taub und eigensinnig.« – »Ja, das weiß Gott. – Aber höre, Freundchen, du sollst deine Wissenschaft weniger von den Heiligen beziehen als von dem da unten.« – Er stieß mit dem Fuß auf die Ziegel: ein Stein gab nach und senkte sich in die Tiefe. »Was Teufel,« rief Chilperich, »der Boden ist ja hohl! Und was steigt da für ein starker Schmack auf? Das ist ja Wein! Bei Sankt Martinus! Ein halb offener Schlauch, – da rinnt es aus . . . – und zwei Becher. Ei, frommer Klausner!« – »Herr König, schweigt! – wißt Ihr nicht, daß man zum heiligen Sakrament des Weines bedarf?« – »Wohl – aber gleich soviel! Und so feurigen! Gieb mir einen Schluck. Der Ritt machte wieder durstig.« – »Vergebt: – er ist schon geweiht und gesegnet!«
»Ich bin auch geweiht und gesegnet, als König. Wenn er nur nicht getauft ist! Her damit! So –! Nun fangen wir an. Trink' aus.« – »Gemach, Herr König! Die Goldstücke waren nur für den Eintritt. Für die Weissagung bedarf's besondern Vergelts!« – »Du bist vielleicht gut in der Not, aber jedenfalls teuer im Handel, wie mein Ahn, Herr Chlodovech, von Sankt Martinus sagte. Was verlangst du? Mehr Gold?«
»Nein, Herr! Auch sollt Ihr mir nur noch schenken, wenn Ihr mit meinem Spruch zufrieden seid. Dann aber nicht Gold: – ich darf gar nicht viel zeigen, sonst . . . –«
»Glauben dir die Leute deine andern Gelübde auch nicht,« lachte Chilperich, sich wieder einschenkend. »Höre, dein Wein ist besser, als der König Guntchramns.«
»Doch nicht, o Herr. Es ist derselbe, den sie dir in Baniacus vorsetzten. Aber – ich verstehe ihn besser zu behandeln. Denn für den frommen Zweck kann der Saft gar nicht kostbar genug sein. – Kurz, seid Ihr zufrieden mit meinen Worten, sollt Ihr mir einen Weinberg schenken, an der Rhone, in bester Lage: – natürlich für meine Armen.« – »Höre, du bist frech, frommer Bruder. Aber es sei darum. Nun paß auf: – ich denke mir . . . –« Verzeiht, Herr König, – nur eins muß ich wissen: ist's ein Männlein oder ein Weiblein?« – »Ein Weiblein ist's.« »Aha,« lächelte der Einsiedler. »Jetzt weiß ich's schon,« sagte er zu sich selber. »Wenige Tage vermählt! – Laßt Euch übrigens danken, Herr König,« sprach er nun laut, »daß Ihr, um meine Weissagung zu hören, sogar auf Eurer Hochzeitsfahrt Euch zu mir bemüht.« Damit bekreuzte er seine rechte Hand dreimal mit seiner Linken und legte dann deren innere Fläche auf des Königs heiße Stirn. »Sage, werde ich sie bald wiedersehen?« – »Gewiß! Wenn nicht noch heute nacht: – morgen.« »Ei, das trifft zu,« lachte der König. Und zu sich selber sagte er: »ich hatte es beschlossen. – Wird sie mir Glück bringen oder Unglück?« – »Sie hat Euch bereits die süßesten Stunden Eures ganzen Lebens gebracht: – unvergleichbar allen andern Lebenswonnen, die Ihr je genossen, stehen diese Stunden in Euerem Erinnern.« – »Weiß Gott! Der Mann spricht wahr!« – »Und Glück, heißes Glück wird sie Euch bringen immer aufs neue. Solang Ihr an ihr festhaltet, wird Euer Stern steigen, solang Ihr ihren klugen Rat Euch holet, werdet Ihr siegen über Eure Feinde. Wie Ihr denn nie eines andern Weibes Rede so gerne gelauscht habt.« – »Das ist alles richtig.« »Es gefällt ihm – er ist sehr verliebt: also kühn weiter!« sagte der Klausner zu sich selbst. »Schon trägt sie von Eurer Liebe ein kostbar Pfand unter dem Herzen.« – »Auch das weiß er! Sage: wird's ein Sohn?«
»Jawohl, mein König. Einen Sohn wird sie Euch bringen. Und dieser Sohn wird all' Eure andern Söhne überleben.« – »So? Das ist . . . –!« – »Diese Söhne lieben Euch nicht sehr.« – »Ich sie auch nicht, bei Gott! Aber – das Reich – die Erben meiner Macht?« – »Merket auf! Der Sohn, den sie Euch bringt, wird nicht nur Eure anderen Söhne überleben, – er wird auch die Söhne Eurer beiden Brüder überleben.« »Wie? Welche Freude!« schrie der König. – »Und er wird alle drei Reiche der Franken vereinigen unter seinem Scepter, nachdem Ihr im höchsten Greisenalter – achtundneunzig Jahre geb' ich Euch . . . –« – »Das ist recht! Hundert wären mir noch lieber!« – »Friedlich auf Eurem Bett entschlafen seid: – nicht Mörderdolch, nicht Feindesschwert wird je Euer königlich Blut verspritzen.« – »Das höre ich sehr gern.« – »Nachdem Ihr, fast hundert Jahre alt, selig im Herrn entschlafen, wird dieser Euer Sohn, ihr Sohn ruhmvoll herrschen über Reims und Soissons und Orléans, von dem Rheinstrand bis an die Pyrenäen, geleitet von dem klugen, von dem unvergleichlich überlegenen Geist seiner Mutter –«
»Fredigundis!« rief der König. »Klausner, der Weinberg ist dein. Und dies dazu.« Er warf eine ganze Handvoll Goldstücke klingend auf den Ziegelboden. »Heil Fredigundis! Mit dem Morgenrot bin ich bei ihr.«
Und schon hatte er sich zu der Mauerluke, die als Fenster und Thüre zugleich diente, hinausgeschwungen, rasch wie ein Marder glitt er die Leiter hinab; gleich darauf hörte ihn Winnoch eilig davonsprengen.
Verblüfft zog er die Leiter herauf. »Fredigundis?« sagte er langsam. »Nicht Galsvintha? – Nun, mir kann's gleich sein. – Der Weinberg ist mir sicher.«
Mit wild erregten Sinnen jagte Chilperich durch die Nacht. Kaum konnte der Knecht ihm folgen.
»'s ist wahr! – 's ist alles wahr!« raunte der König. »Soviel hat der Pfaff richtig gesagt, was schon vergangen oder was gegenwärtig ist und was ihm nur Engel oder Teufel zugetragen haben können, – warum soll nicht wahr sein, was er von der Zukunft sagt? Bestärkt doch mein Herz mit heißen Schlägen jedes seiner Worte. Keins von all' den vielen Weibern hat mich je so fest gebunden, weil so heiß beglückt. Und nicht nur mein Blut! Es ist ja wahr! Ihr Geist, ihr Verstand! Alle Frauen überragt sie darin, die ich je gesehen. Sie hat viel Ähnlichkeit mit – nun, mit mir selbst. Ja, sie ist gescheiter, listiger, erfindungsreicher und – und kühner als ich. Ein Sohn von ihr! Erbe ihrer Art, meiner Art und Erbe von allen drei Reichen! Wie konnt' ich sie nur verstoßen! Ja, ja! Zu ihr, zu ihr allein zieht es mich! Zwingt es mich! – Und nun diese verfluchte Ehe! Eine Ehe, die ich halten soll! – Es ist nicht zu tragen! – O wär ich ihrer doch ledig, dieser Seufzerprinzessin! – Und nun heute nacht – jetzt – in dieser Erregung – ganz erfüllt von Fredigundens feuerheißem Reiz, in Einem Gemach neben diesem Kinde schlafen! – Das ist wie Wahnsinn! – Und doch! – Ob sie schon schläft?«
Er sprang ab am Thor der Villa, die sonst in tiefstem Schweigen lag; nur ein angebundener Hofhund tobte an seiner Kette, zerrte und riß daran und bellte wütend: – aber nicht gegen die beiden Reiter, nach anderer Richtung hin, wo ein kleines Pförtlein in dem Zaun in die Wiesen führte. Der Villicus kam auf den Ruf des Knechtes aus dem Nebenhaus mit einer Fackel, beruhigte mit Mühe das Tier und empfing ehrerbietig den König. »Es schläft schon alles bei Euch?« fragte dieser, in das Haus schreitend. »Schon lang, Herr; Eure Begleiter sind müde von der Reise.« Und er leuchtete mit der Fackel über die Schwelle.
»Bleib nur! – Laß nur! Ich sehe genug! In der Mauernische des Ganges brennt ja ein Öllämpchen. Ich weiß ja. Die dritte Thür ist's in diesem Gang.« Der Alte blieb gehorsam stehen und leuchtete nur mit der Fackel weit vor in den Gang; da ward es nun ziemlich hell; doch stolperte der König über etwas Weiches auf dem Estrich; er bückte sich mit einem leisen Fluch und stieß das Hindernis zur Seite – es war ein Schuh –; noch ein paar Schritte; er stand vor der Thür des Schlafgemaches.
Der Alte verschwand nun mit seiner Fackel. Eine seltsame Scheu hielt ihn ab von dem Gelaß, in welchem das keusche Kind schlummerte, das er soeben erst – unter heißen Gedanken an eine andere – verwünscht hatte. Durfte er diesen Schlummer stören? Er wollte umkehren, dem Villicus befehlen, ihm ein anderes . . . – aber der Alte ging schon über den Hof. »Ach was,« sagte der Merowing, »was für eine thörichte Scheu! Dumme Schwäche! Wie ein Mönch! – Sie muß ganz lieblich aussehen im Schlaf, von ihrem langen, weißen Haare zugedeckt –.«
Er pochte. Er lauschte. Er pochte stärker – er drückte auf das Schloß – die Thür ging auf. »Nicht eingeriegelt hat sie sich?« Er trat über die Schwelle, blickte auf das Bett; es war leer: aber die Decken, die Kissen lagen zerwühlt, durcheinandergeworfen: – er sah umher in dem schmalen Raum: die Ampel gab nur trüben Dämmerschein: – er sah zu Häupten des Bettes – da stieß er einen gellenden Schrei aus: denn an dem Eisenhaken der Wand hing neben dem zurückgeschobenen Vorhang eine schlanke, weiße Gestalt, – regungslos; »Galsvintha!« schrie er nun und sprang darauf zu: »Tot! – Erhängt! Sie hat sich selbst getötet!«
Die Schreckensrufe des Königs, weithin durch die Gänge schallend, weckten das Haus.
Sofort stürzten die Reisegenossen und die Leute der Villa herzu. Chilperich selbst hatte mit raschem Hieb des Kurzschwertes das Band zerschnitten, das der Unseligen Kehle zusammenschnürte – es war ihr eigener breiter, seidener Gürtel – und die leichte Last auf das zerwühlte Ruhebett gelegt. »Ich fand sie schon tot, Archidiakon!« rief er dem verstört Eintretenden entgegen. »Welches Glück, daß der Knecht und der Villicus bezeugen müssen, ich war fern vom Hause, wie's geschah. Ihre Schwester wäre im stande . . .!« – »Nicht doch, Herr König.«
»Selbstmord! Es ist schrecklich! Aber sie hat wiederholt sich den Tod gewünscht in diesen Tagen.« – »Kein Wunder,« sprach Prätextatus zu sich selbst. »Den Tod gewünscht? Das mag sein! Aber sich selbst den Tod gegeben? – Das glaub' ich nicht von Königin Galsvintha! Sie war sehr fromm. – Übrigens, ist sie denn unrettbar tot?« – »Ja, freilich, ja,« rief Chilperich hastig. »Nicht wahr, Grieche? Hier ist all' deine Kunst ohnmächtig?«
»O Herr,« klagte dieser, ein alter Mann, welcher die beiden Königstöchter aus Toledo nach dem Frankenreich begleitet und auf Wunsch Brunichildens in Marseille sich der jüngern Schwester angeschlossen hatte. Die Thränen liefen ihm in den grauen Bart. »Meine Kunst kann manchmal Lebenden helfen, aber Tote auferwecken kann nur Gott der Herr. Meine arme Herrin ist tot! Noch ist der zarte Leib ganz warm: aber das Herz steht still: das Auge ist gebrochen; am jüngsten Tage wird sie es wieder aufschlagen und den verklagen, der da schuldig dieser grausen That.«
»Also sich selbst!« – »Nein, Herr! Dieses gute Kind, das ich von seinen ersten Atemzügen an kannte und liebte, hat nicht selbst Hand an sich gelegt. Sie ist erwürgt, erdrosselt worden!« – »Wie wagst du, so was zu behaupten?« – »Weil ich's beweisen kann. Sich her, oh König von Neustrien! Das Bett ist zerwühlt, hier ward gerungen: – und nicht der Gürtel, den dein rasches Schwert zerschnitt, hat sie getötet: sie ward erwürgt mit ihrem eignen Haar. Schau – hier, – dicht unter dem Halse zieht sich noch ein Strähn dieses ihres Haares hin, fest zusammengezogen, tief einschneidend in das zarte Fleisch. – Die andern Strähne haben die Mörder nach dem Mord aufgelöst – diesen zu entknoten, vermochten sie wohl nicht in der Eile. Oder sie haben im Halbdunkel den schmalen Streifen übersehen. Sieh, diese tief eingeschnittenen, schmalen, haarscharfen Furchen: – nicht der breite Gürtel konnte sie bewirken. Die Mörder haben die bereits Tote mit deren Gürtel an jenen Wandhaken gehängt, wohl um den Schein des Selbstmordes zu erzielen. Mit dem eignen Haar kann sich kaum ein Weib selbst erwürgen.« »Wohl aber kann ein anderer sie so töten?« fragte Prätextatus. – »Oh ja! Oder – leichter – mehrere.« – »Unsinn!« schalt Chilperich. »Wem hätte sie was zuleide gethan im ganzen Frankenreich? Sie war sanft und gütig.« – ›Wer hätte ihr den Tod wünschen sollen?‹ – so wollte er sagen. Aber er gedachte seiner eigenen wilden Wünsche während seines letzten Rittes – – und er schwieg. – »Strengste, genaueste Untersuchung!« gebot er, von neuem anhebend. »Ob Selbstmord oder Mord – es muß heraus! Ei, wird Frau Brunichildis toben! Und Bruder Ungestüm! – Wahrlich, froh bin ich, – ich muß es nochmal sagen! – daß ich Zeugen meiner Abwesenheit habe. Denn – der Verdacht! – ich – denn freilich – ich war nicht sehr glücklich in dieser kurzen Ehe. Und die Schmerzwut, die Rachsucht vielmehr, einer Schwester, wie diese Brunichildis! – Archidiakon, helft mir die Untersuchung leiten.«
Ein Paar auffallende Thatsachen zwar fand man, aber sichere Schlüsse ließen sich nicht daraus ziehen.
Wollte man Mord annehmen, so mußten die Verbrecher durch die Thüre eingedrungen sein. Das Gemach hatte nur diesen Einen Eingang und kein Fenster, das Tageslicht fiel von oben ein durch mehrere höchstens handbreite Öffnungen; das kleine Gelaß war nicht bestimmt, bei Tag bewohnt zu werden. Schloß und Riegel waren unversehrt. Die Unglückliche mußte den Mördern selbst geöffnet haben; eine gotische Freigelassene, die sie, nachdem der König abgeritten war, entkleidet hatte, war bereit, zu beschwören, daß ihre Herrin hinter ihr die Thüre nicht nur in das Schloß gedrückt, sondern den Riegel vorgeschoben habe. »Denn die Königin war sehr scheu und furchtsam, seit sie das Gotenreich verlassen,« schloß die Magd; »sie sagte mir, als ich sie entkleidete, sie freue sich des starken Eisenriegels und ganz deutlich hörte ich, wie sie ihn in die eherne Öse schob, als sie die Thüre hinter mir geschlossen hatte.«
Die Aussage dieser Freigelassenen war auch sonst noch die wichtigste. Sie berichtete, etwa eine halbe Stunde, bevor der Mordschrei durch das Haus dröhnte, habe sie, die in einem Gemache des Parallelganges schlief, ein leises Rufen oder Wimmern zu vernehmen geglaubt, das aus dem Brautgemach zu kommen schien. Sie habe rasch einen Mantel umgeworfen und sei hinzugeeilt, um nachzusehen, ob die Königin ihr rufe. Aber da sei alles wieder still gewesen. Als sie gleichwohl noch um die Ecke des Ganges geblickt, in welchem das Brautgemach lag, sei ihr von dem Gemache her eine gleich ihr selbst in einen Mantel gehüllte Magd des Hauses entgegengetreten, die ganz leise, vielleicht barfuß, ging und ihr, den Finger auf den Mund legend, Schweigen bedeutet habe, mit der andern Hand winkend, die Herrin schlafe schon wieder; das Gesicht sei fast ganz von der Mantelkapuze bedeckt gewesen.
Auf die Frage des Villicus, woher sie wisse, daß dieses Weib eine Magd der Villa, erwiderte die Gotin sofort, sie habe dieselbe unter den Mägden der Villa im Laufe des Abends bereits in der Nähe des Königshauses gesehen. Sofort wurden alle weiblichen Angehörigen der Villa ihr vorgeführt: sie meinte, bald in der einen, bald in der andern eine gewisse Ähnlichkeit zu finden mit dem jungen hübschen Weibe. Allein der Villicus wies nach, daß alle diese die ganze Nacht in dem Frauenhause des Hofes verbracht hatten, das er selbst abgeschlossen hatte. Er erinnerte nun, daß sich im Laufe des Abends noch viele fremde Gäste, Männer und Weiber, um das Haus versammelt und unter das Gesinde gemischt hätten; leicht könne die Gotin eine Fremde für eine Magd der Villa gehalten haben. Die Freigelassene gab denn auch zu, letzteres habe sie nur daraus geschlossen, daß sie das gleiche Weib mitten in der Nacht in dem Gange getroffen. –
Ob aber dieses Weib die Thäterin war? Dann hätte dieselbe pochen und die Königin selbst ihr öffnen müssen, in dem Glauben, ihr Gatte stehe vor der Thüre: dann wäre sie also nicht im Schlaf überfallen und überwältigt, sondern nicht ohne Gegenwehr erwürgt worden, worauf auch die durcheinander geworfenen Decken und Kissen des einen Lagers hinwiesen: das des Königs war unberührt. – Der Schuh, über welchen der König gestrauchelt, war, auf den rechten Fuß zugeschnitten, ein Bastschuh, wie ihn die Bäuerinnen des Gaues im Sommer allgemein zu tragen pflegten. –
Der Villicus dachte an Raubmord. Er sagte, er habe unter den Fremden in der Menge zwei schlimme Burschen bemerkt und sofort aus dem Hofe fortgewiesen, herumziehende Händler, die, von Hof zu Hof wandernd, allerlei Kleinkram feil hielten; sie waren vor Jahren schon einmal wegen Straßenraubes bestraft und gebrandmarkt worden; nur zögernd, finstere Blicke auf den reichen Glanz des königlichen Aufzugs werfend, hätten sie sich entfernt. Und ganz sicher ward er seiner Sache, als sich herausstellte, daß die goldnen breiten Armreife und ein reich mit Edelsteinen besetztes Busenkreuz, das die treue Freigelassene der Herrin abgenommen und auf einen Marmortisch gelegt hatte, fehlten. Während bei dem Scheine vieler Fackeln das ganze kleine Gelaß nach den fehlenden Stücken durchsucht wurde, bückte sich auch Prätextatus und griff unter das fast ganz auf dem Estrich aufstehende Gestell des Lagers. Mit einem leisen, halb unterdrückten Schrei zog er die Hand rasch wieder hervor und barg sie in dem Busen seiner Stola.
»Ihr habt Euch wohl die Hand verletzt?« fragte Chilperich. »Auch mir ging es so. Die Spalte zwischen Bett und Boden ist so eng. – Nun also,« schloß er, aufatmend, »nicht Selbstmord, sondern Raubmord. – Schrecklich! Aber doch ist mir's viel, viel lieber! – Nun kann die Frau Königin von Austrasien beim besten Willen nicht sagen, ich sei – auch nur mittelbar – an diesem Unglück schuld. – Verlassen wir die Stätte des Grausens. – Laß die Spur jener Räuber eifrig verfolgen, Villicus. – Kommt alle, folgt mir! Was wollt Ihr noch hier, Archidiakon?« – »Beten bei dieser Leiche. Für die Tote. – Und, – dringender noch! – für die Lebendigen.« –
Der König hatte bereits befohlen, ihm ein Roß zu satteln. Er wolle noch in der Nacht einen Ritt machen. Aber dann besann er sich eines andern.
Er ließ das Pferd wieder absatteln und sich ein Schlafgemach anweisen. »Ich kann nicht mehr, bin zu müde! Müder in der Seele als im Leibe. Welche Wechsel von Gefühlen! – Ich will versuchen, zu schlafen.« Und nach kurzer Zeit schlief er, fest. Er schlief bis in den hellen Tag hinein; als er allmählich wach wurde, sagte er, noch halb im Traum, zu sich: »Was ist doch so Wunderbares geschehen? Ihr Sohn König aller drei Reiche! Ein Traum? Nein! Der Spruch des Klausners! – Und dann jenes Eheband . . . Großer Gott, ich bin ja frei! Das ist auch kein Traum! Die bleiche Braut ist tot. Ich bin Witwer! Ah, ich bin aller Eide und Verträge frei! Ich kann an Herrn Polyeuktus ruhig vorbeireiten, – hinüber nach jenen Hügeln . . . .!«
Als er aus dem Bade trat, erbat sich Prätextatus geheimes Gehör. »Um Gott – Ihr sehet ja ganz entstellt, leichenblaß – ganz verstört aus, als hättet Ihr einen Geist gesehen! Habt Ihr sie etwa wieder lebendig gebetet? – Hat man die beiden Mörder? Die Räuber, mein' ich.« Prätextatus schüttelte das Haupt und legte vor den erstaunten König die vier goldnen Armringe und das Busenkreuz Galsvinthas. »Woher? – Hat man es ihnen abgenommen?« – »Die beiden – ohne Grund – Verdächtigten haben bewiesen, daß sie von Sonnenuntergang bis sie – soeben – ergriffen wurden, die Hütte des Schankwirts im Dorfe nicht verlassen haben.« – »Nun, und die Raubsachen?« – »Aus der Cisterne – neben dem Hofhund – schöpften die Knechte soeben Wasser für die Pferde; mit dem ersten Eimer hoben sie auf Einen Zug diese fünf Schmuckstücke hervor. Die Mörderin ist sehr schlau. Sie wollte zuerst an Selbstmord glauben machen, dann, nachdem sie das Haar nicht völlig losknüpfen konnte, an Raubmord. Auf der Flucht warf sie diese Stücke von sich – in den Brunnen.« – »Sie? Die Mörderin! Ihr meint, jene Magd –?«
Da griff Prätextatus an seine Brust und tief aufseufzend legte er vor den König ein kleines in Linnen gehülltes Päcklein. »Sehet her, oh König Chilperich. Ihr wähntet, ich verletzte mir die Hand. Allein ich schrie auf aus tiefstem Schreck, aus tiefstem Weh der Seele. Unter dem Bett hervor zog ich – diese Handvoll ausgerissener langer Frauenhaare. Nicht der Ermordeten! Seht – tief rot – wie eines Rotkelchens Brust. Wem, im ganzen Reich der Franken, von allen Weibern, die Ihr kennt, wem allein gehört dies rote Haar, oh König Chilperich?«
Alles Blut wich aus des Königs Wangen. »Oh,« schrie er, »sie . . .! Nein! Nein! Ich will's nicht wissen. Ich will gar nichts wissen. Nichts ahnen. – Mir her dies Haar!« – »Nein, Herr König. Dies himmelschreiende Zeugnis bleibt in meiner Hand. Aber – sorgt nicht! Ich werde sie nicht verraten, Eure Buhle! Denn – wehe, wehe mir Sünder, mir Verfluchten! Ich liebe sie noch immer.« Und wie vom Blitze getroffen stürzte der Priester ohnmächtig zusammen.
Am Abend des folgenden Tages saß in seinem Gemach zu Amica-Villa an der Seite Fredigundens König Chilperich.
Er hatte zärtlich den Arm um ihren weißen Nacken gelegt und sah ihr aufmerksam zu, wie sie auf wohl geglättetes Pergament mit der Rohrfeder gar zierliche Buchstaben malte, schön und gleichmäßig, einen wie den andern, mit sicherer Hand. Denn er diktierte ihr einen Brief, der also lautete: ›Meinem geliebten Bruder, dem Herrn König Sigibert, und meiner teuren Schwester, seiner Frau Königin Brunichildis.
Durch die Boten, die euch dieses Schreiben überbringen, werdet ihr mündlich alles genau erfahren über das Unheil, welches mich, welches euch mit mir betroffen hat. Denn ich wähle zu Boten die Männer und die Frauen, den Villicus, die gotische Freigelassene, den griechischen Arzt, die – nach mir – zuerst die arme Tote sahen.‹ »Hast du das schon?«
Fredigundis nickte und wiederholte »arme Tote sahen«.
›Ob Selbstmord, ob Raubmord – noch ist es nicht entschieden. Zwei verdächtige gebrandmarkte Räuber werden so lange gefoltert werden, bis sie ihre Schuld gestehen. Wird der Thäter entdeckt, so . . . –‹
Hier löste er seinen Arm von Fredigundens Nacken und machte einen Gang durch das Zimmer, wie um nachzudenken über den Schluß des Satzes. – Aber in Wahrheit sah er scharf in den Fredigunden gegenüber in das Marmorgetäfel der Wand eingelassenen Metallspiegel.–
Sie bemerkte es sofort, und wiederholte rasch: »wird der Thäter entdeckt, so – Nun, weiter?«
– ›soll er der grausamsten Todesstrafe nicht entgehen.‹ – Er machte Halt in seinem Wandelgang und sah scharf in den Spiegel. Gleichgültig, ohne die leiseste Erregung, wiederholte sie: »grausamsten Todesstrafe nicht – entgehen.«
Er trat wieder an sie heran und sah auf das Pergament: »Wie schön du schreiben kannst! Es ist zum Staunen! Du bist mein bester Tabellio. Und sollst es immer bleiben.« Er küßte sie auf den weißen Nacken, und legte dabei ihr offnes Haar auseinander, das nun um sie her flutete. »Laß das! – Du wirst die Schrift verwischen!«
Mit ungeduldiger Bewegung entzog sie ihm den Kopf.
Er trat wieder von ihr hinweg und fuhr fort:
›Unaussprechlich ist mein Schmerz.
›Allein, als gute Christen müssen wir uns fügen. Denn, oh teure Schwägerin, nicht also dürfen wir meinen, daß Gott und die Heiligen nur jene Ereignisse schicken, welche uns erfreuen. Vielmehr schicken sie Trübsal wie Freude, Tod wie Leben, Frost wie Sonnenschein. Sie haben also auch diesen Schlag auf uns geführt, unsere Häupter zu beugen, zu unserer Prüfung und Läuterung. So lehrt unser heiliger Glaube. Nicht ein Sperling fällt ja vom Dache, nicht ein Haar fällt von unserm Haupt – ohne Gottes Willen: wie sollte eines Frankenkönigs Gattin sterben können ohne Gottes Fügung?‹
»Ohne Gottes Fügung. – Weiter.«
›Nun müssen wir aber die Trauer um die Tote den Pflichten der weltlichen Geschäfte opfern. Ich bin überzeugt, ihr werdet mir Einen Trost in meinem großen Schmerze nicht mißgönnen: ich meine die Schätze, welche die mir Entrissene in die Ehe gebracht hatte. Zwar ist in jenem Vertrag – er bedeutete Unheil, hätten wir ihn lieber nicht abgeschlossen! – vorgesehen, daß ich, falls Galsvintha in unbeerbter Ehe sterbe, diese Schätze an Frau Brunichildis herausgeben solle. Allein! Dabei ward doch vorausgesetzt, daß dieses Bündnis erstens wirklich eine Ehe werde und zweitens, daß es doch einige Zeit dauere.‹
Sie blickte auf: »Chilperich – vergieb, aber dieser zweite Punkt scheint mir sehr schwach.« »So? Soll ich etwa das viele Gold zurückgeben?« fuhr er heraus. »Du glaubst gar nicht, wieviel es ist!«
»Zurückgeben? Behüte! Aber laß es doch bei dem ersten Grund bewenden. Er ist auch nicht gerade sehr stark: aber doch noch haltbarer.« – »Nun! Wie du meinst. Bist klüger als ich! Also schreibe: ›daß dieses Bündnis eine Ehe werde: Jungfrau Galsvintha ist mir aber so fern und fremd geblieben, wie wenn sie –‹ ja: was soll ich nur sagen? Das ist heikel! –«
›die Pyrenäen nie überschritten hätte.‹
»Sehr gut! – Weißt du nicht noch ein Gründchen?« ›Ich will,‹ sprach Fredigundis und schrieb es gleich nieder, ›jene Schätze ja nicht um ihres Goldwertes willen, – als Andenken an die Verlorene nur will ich sie behalten.‹ – »Vortrefflich! Das wäre mir nie eingefallen. Aber wie ist's mit dem Eide? Der Fluch, – ich sage dir, Gundelchen! – der Fluch war schrecklich.« Sie lehnte sich zurück und sprach sehr bedächtig, sein Auge suchend: »Darüber, mein Freund, das heißt über dieses ganze Wesen: – über Sünde und Strafe und Loskauf von der Strafe hab' ich viel, sehr viel nachgedacht in der Zeit, da du mich verstoßen – vergieb! wollte sagen: einstweilen zurückgestellt hattest. Denn im Ernst – das hast du nun zur Genüge erkannt – kannst du ja gar nicht von mir lassen, –« sie lächelte ihn an, er sprang hinzu und küßte sie, – »Also darüber werd' ich dir bald eine Predigt halten. – Aber keine langweilige – und eine höchst ersprießliche, zumal für einen König, der viele Feinde hat. Für diesmal laß mich so schreiben:
›Der Eid aber, den ich geschworen, steht durchaus nicht im Wege. Denn . . . –‹
»Jetzt bin ich begierig!«
›Denn ich muß voraussetzen, daß ihr mir die Herausgabe erlaßt. Das Gegenteil hieße euch eine wenig königliche und geschwisterliche Gesinnung zutrauen, was mir ferne sei! Nämlich das Seelenheil der Entschlafenen erheischt das.‹ –
»Wieso?« fragte Chilperich erstaunt.
›Denn nur unter der Bedingung, daß ihr mir die Schätze belaßt, kann ich, wie ich beschlossen habe, einen Teil davon zu Seelenmessen für Galsvintha verwenden.‹« – »Ausgezeichnet! Höre, wo hast du Dialektik studiert? Du bist mir auch darin beinah überlegen.« – »Dialektik? Weiß nicht, was das ist. Aber beim Ziegenhüten versah ich manches und sehr früh fand – oder erfand – ich Gründe, mich zu entschuldigen. Ich brauchte mir nur die drohenden Geißelhiebe lebhaft vorzustellen: dann fiel mir immer bald was ein, das sie abwandte.«
»Nun aber – den Schluß diktiere ich wieder: ›Durch meine betrübende Verwitwung bin ich ferner aller der Eide ledig geworden, mit welchen Sankt Hilarius, Sankt Martin und ganz besonders Sankt Polyeuktus mich recht geängstigt haben während meiner Ehe. Es ist nicht gut, daß der Mann allein sei, sprach Gott der Herr selbst. Zwar steht in jener Stelle – ich weiß es wohl: der Mensch –‹« – »Soll ich all das schreiben?« – »Jawohl! Schreibe nur! Sie sollen Achtung bekommen am Hof zu Reims, die plumpen Helden von Austrasien, vor meiner Theologie, Grammatik und Exegese! – ›Der Mensch: allein, da der einzige damalige Mensch Adam war, steht hier »Mensch« gleich »Mann«; was man interpretatio logica nennt. Daher hab ich beschlossen, sofort wieder in den Stand der heiligen Ehe zu treten. Zwar sprechen die Geistlichen, nach römischem Kirchenrecht, von einem sogenannten »Trauerjahr«, – neun oder zehn Monaten – das einzuhalten sei. Jedoch dies bezieht sich, wie die Berechnung der Frist andeutet, nur auf Witwen, nicht auf Witwer. »Trauerjahr« ist falsch: denn bei Nichtigerklärung der Ehe gilt für das Weib das gleiche.‹ Schreib's nur hin! Sie sollen's merken, daß ich auch in Rechtsauslegung ihr Meister bin. ›Und so habe ich denn beschlossen, meine schon früher um vieler Tugenden willen hochgeehrte Freundin Fredigundis nicht nur zu heiraten, sondern . . . –‹
Nun, bist du nicht neugierig, Gundelchen? Du bleibst ganz ruhig!« – »Ich habe deine Liebe wieder –, was brauch' ich mehr?« – »Hast sie nie verloren gehabt! – Schreib: sondern auch, nachdem wir heute von dem Bischof von Limoges getraut worden sind, sie sofort nach meiner guten Stadt Rouen zu führen, und sie dort vor allem Volke feierlich krönen zu lassen als meine einzige Gemahlin und als eine Königin der Franken.‹«
Fort warf die Schreiberin die Rohrfeder, – sie schnellte sich wie eine Schlange an Chilperichs Brust und umschloß ihn fest mit ihren beiden wunderschönen weißen Armen. »Dank, König Chilperich! Du sollst es nie bereue»,« rief sie, »daß du die niedere Magd zu dir erhöht, sie gleichgestellt hast jener im Purpur gebornen hochmütigen Gotin. Ich will dir eine Königin sein, die dir einen Kanzler ersetzt und sieben weise Räte,« – »Nun, freut mich, Gundelchen, daß dich doch etwas aufreißen konnte aus deiner Ruhe.«
Es wäre unnatürlich gewesen, hierbei ruhig scheinen zu wollen, dachte sie, aber sie sagte es nicht.
»Nur noch eine kleine Nachschrift, bitte!«
Fredigundis ging an ihren Schreibschemel zurück.
»Du hinkst ja, Liebchen? – Ich glaubte es schon heute morgen zu bemerken. Aber du kannst dich wunderbar zusammennehmen.« – »Ich trat mir einen Scherben in den Fuß.« »In welchen?« fragte er rasch. »In den rechten.« – »Ei – gehst du barfuß?« – »Ja, zuweilen gern; es erinnert mich an meine Hirtenzeit.« »Eine Königin der Franken darf das nicht wieder thun!« warnte er. »Nun die Nachschrift: ›Bruder Sigibert, es würde meinen großen Schmerz in etwas lindern, wolltest Du mir jetzt endlich herausgeben, die Du mir mit Gewalt entrissen hast, meine gute Stadt Soissons.‹ – So! – Schluß! – Thut er's nicht, hab' ich doch immer Grund zur Beschwerde.«
Um Mitternacht lag Fredigundis in festem Schlaf; in gleichmäßigen tiefen Zügen atmete sie; der Gatte auf dem Pfühl neben ihr schlief nicht; zwar hatte er schon lange vor ihr die Augen geschlossen und auf ihr letztes »gute Nacht« keine Antwort mehr gegeben: aber er schlief nicht.
Beim Scheine der Ampel, die, von duftendem Öle genährt, oberhalb des Doppellagers schwebte, richtete er sich jetzt behutsam, leise, auf einem Arm auf, lauschte ihrem gleichmäßigen Atem und betrachtete lang ihr schönes edles Antlitz.
»Wie sie so friedlich schlummert! Im Kloster zu Poitiers sind auf Goldgrund schlafende Engelein gemalt – nicht heiliger, nicht kindlicher sehen sie aus. – Ist es denn möglich?« –
Vorsichtig holte er unter seinem Kissen ein Linnenbündelchen hervor. »Durfte es doch nicht lassen in der Hand des Pfaffen, den die Ohnmacht widerstandlos vor meine Füße gelegt.« Er nahm die Handvoll Haare heraus und hielt sie unter dem Strahle der Ampel an das Gelock der Schläferin. – »Kein Zweifel! – Es ist dasselbe unvergleichliche Rot. Und hier – an ihrem linken Ohr – da! – ist die Lücke: – hier stehen zum Teil die halb abgerissenen Haare noch. Sie passen genau. – Furchtbar. Eine Mörderin! – Allein: – sie that's aus Liebe zu mir. – Gott mag ihr darum zürnen, – nicht ich, den sie befreit hat aus unerträglichen Banden, befreit um den Preis der eigenen Seele. – Ich kann sie nicht darum verdammen. – Und ich muß sie lieben!« Sorgfältig verbarg er wieder das Büschel Haare in seinem Lager, holte tief Atem und bald schlief auch er.