Felix Dahn
Bissula
Felix Dahn

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Dreizehntes Kapitel.

Aber der Bataver ward aus seinen mythologischen Studien jäh aufgeschreckt. Er hörte von Osten her den germanischen Ruf: »Römer! Römer! Drauf los!« und sah einen Kahn voll Alamannen wenden und auf sie zuhalten, »Rasch! Auseinander! Nach allen Seiten!« gebot er. Und die Kähne der Flüchtigen stoben auseinander. Zwei verlor er bald aus dem Gesicht. Auf sie lenkte sich die Verfolgung, die Germanen jagten sie in den Weitsee hinaus – nach Süden. Er selbst steuerte und ruderte zugleich, von mehreren Soldaten unterstützt, ganz dicht am Lande hin nach Westen, wo er eine kleine Strecke hohen Schilfs glücklich erreichte.

Er barg den Nachen darin: bald stieß der zweite Kahn, der Decius trug, zu ihm. In diesem Schilfversteck nun gewahrte Ausonius, auf des Saturninus Befehl nach dem Ufer ausspähend, ob nicht noch versprengte Römer aufzunehmen seien, die im Morgendämmer nun deutlich sichtbare Gestalt eines Mädchens in hellglänzendem, weißem Gewand, das in raschester Flucht gerade auf die beiden Kähne zueilte: schon glaubte er, Bissula zu erkennen: da schlug vollends ihre wohlbekannte Stimme an sein Ohr, – ihr Ruf: »Adalo, Alamannen, helft Bissula!« er sah auch einen Reiter, der sie wütend den Hügel herab verfolgte. Er befahl, rasch ans Ufer zu fahren. Prosper, auch Rignomer zögerten. »Herr,« warnte dieser, »sie morden alles!« – »Gleichviel! Bissula! Es gilt Bissula!« Da gehorchte Rignomer sofort, – er hatte hinter seinem Segel die Kleine nicht sehen und hören können – drehte das Steuer und blitzschnell schoß der Kahn gegen das Ufer.

Rignomer trieb nun die Soldaten an, aus allen Kräften zu rudern – auch die übrigen im Kahn erkannten jetzt die Fliehende – und so kamen die Retter gerade noch recht, die Sinkende aufzunehmen.

Lange, lange lag sie, nach voller Erschöpfung der Kräfte, ohnmächtig am Boden des Kahnes. Rignomer hatte ein Fischernetz, das er unter dem Gransen gefunden, zusammengeballt und ihr als Kopfkissen untergeschoben. Ausonius lehnte, auf der Ruderbank sitzend, das schöne Köpfchen gegen seine Kniee: besorgt blickte er auf sie herab. Rignomer rieb ihr die erstarrten Hände.

Die beiden Kähne verließen inzwischen das Schilfversteck, ruderten zunächst gerade südlich in den See hinaus und wollten sich dann in weitem Bogen, die Verfolgung umgehend, östlich nach Arbor wenden.

Aber sie kamen nicht weit. »Was hast du beschlossen, Feldherr?« fragte Decius, aus dem dicht daneben rudernden Kahn herüber rufend. »Rache!« antwortete Saturninus grimmig. »Rache für diese unerhörte Schmach! Sobald ich Arbor erreicht habe, flehe ich den Kaiser an, wenn jemals Saturninus sich um das Reich verdient gemacht hat, mir drei Legionen zu geben. Sie sollen diese Nacht entgelten, die Barbaren!« »Haltet an,« gebot da Rignomer. »Schon lange sehe ich ein Schiff – ein römisch Schiff – gegen uns anfahren.« »Wo? Woher?« fragte Decius. »Es birgt am Ende auch Barbaren!« – »Nein, nein! Es kommt ja von Südwest! – Seht dort, von Constantia her!« »Ja,« rief nun Decius. »Das ist des Kaisers schnellstes Eilschiff! Ich erkenn' es – es führt die große Purpurflagge: – also trägt es den Kaiser selbst . . . –« »Oder einen vom Kaiser entsandten Magister militum,« bemerkte Saturninus. Die beiden Kähne machten Halt: das rasche Schiff brauste heran.

Es mochte zuerst Barbaren in den Kähnen vermutet haben: aber bald entdeckte die Besatzung die römischen Freunde: es erreichte nun die Flüchtigen.

Da stand an Bord des Eilschiffes neben einem reichgerüsteten Feldherrn: – Nannienus. »Oh Freund,« rief Saturninus, das Haupt erhebend, »daß wir uns also wiedersehen! – Und du, Andragathes, was bringst du? Hoffentlich Hilfe, Verstärkungen! Wir sind geschlagen: – Heer und Schiffe verloren!« Und er stöhnte. »Ich weiß es, mein Saturninus!« antwortete der Gesandte des Kaisers. »Nannienus hier, den ich auf dem See, in einem Barbarenkahne fliehend, aufnahm, hat mir alles erzählt, was er selbst erlebt, – was er über dich fürchtete! Ach, was ist diese kleine Schlappe, – was sind diese zwei oder drei tausend Mann gegen den furchtbaren Schlag, der uns getroffen!« »Was ist geschehen?« fragten die römischen Führer erschrocken. »Ein zweites Cannae! sagt Gratian.« – »Oh welches Wort!« – »Kaiser Valens und sein ganzes Heer ist erschlagen! – Erschlagen von den Goten bei Adrianopel: vierzigtausend Römer liegen tot auf ihren Schilden, dreißigtausend sind gefangen. Der Kaiser Valens verbrannte, verwundet, auf der Flucht, in einem erstürmten Bauernhause! – Alle Ostprovinzen sind überflutet von den Goten, – selbst Constantinopolis, es ist bedroht! Gratian hat dich, Saturninus, zum Oberfeldherrn für das gesamte zitternde, verwaiste Ostreich ernannt. Er befiehlt dir, augenblicks zu ihm nach Vindonissa zu eilen, von da sein ganzes Heer sofort gegen die Goten an die Donau zu führen: – du bist seine, bist des Reiches letzte Hoffnung. ›Nur Saturninus kann noch retten!‹ das gebot er, dir zu sagen,« »Und dieser Saturninus ist ein Stümper,« klagte der Illyrier, »und dazu ein wunder Mann. Von suebischen Räubern überfallen und schimpflich geschlagen, – aufs Haupt geschlagen in jedem Sinne!« lachte er grimmig. »Ah,« fiel Nannienus schmerzlich ein, »das ist gar nichts gegen mein Geschick! – Eine kaiserliche Flotte – unter meinem Befehl! – genommen und verbrannt von elenden Kähnen für den Weißfischfang!« »Oh,« fuhr Saturninus fort, »und nun nicht einmal mich rächen und meine Feldherrnehre an diesen Nachtbrennern! – Aber das Reich: – des Kaisers Befehl, – das geht allem vor! – Ich gehorche! – Auf, wendet das Steuer! – Wir fahren nach Constantia. Von da nach Bindonissa! – Folge sofort, Ausonius. Hörst du nicht?«

»Sogleich,« erwiderte dieser. – »Sie schlägt die Augen auf.«

 


 


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