Felix Dahn
Bissula
Felix Dahn

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Zwölftes Kapitel.

Seit gestern schien das Regengewölk, das so lange dicht und schwer die Häupter der Berge verhüllt und sich in grauen Gehängen bis auf die Seefläche gesenkt hatte, lichter und lichter zu werden. Über die Wipfel der Wälder hin zogen sich noch einzelne Schleier: aber vom Säntis herab und vom Tödi fielen die Nebel. Und bevor die Sonne dieses Tages versank hinter den Waldhöhen des Westsee's, brach sie einmal – zum erstenmal seit geraumer Zeit – hindurch, See und Land auf wenige Augenblicke blutrot beleuchtend: die Fische sprangen sofort gierig nach den Mücken, die sich da in dem lang entbehrten Lichte sonnten und matt, mit feuchten Flügeln, ganz nahe dem Wasserspiegel flogen: – dann tauchte die glühende Scheibe wieder in die langgezogene Wolkenwand. Kreischend zog der Reiher aus dem Schilf, landeinwärts. –

Der Wind schien umzuspringen. Bald hierhin, bald dorthin jagten die Wolken über den Himmel. Anders gingen die Wellen des Sees, noch der alten Windrichtung folgend, anders oben die Wolkenzüge.

Vor dem Nordthor des Lagers, der Porta prätoria, aber mehr gegen Westen hin, lagerten an diesem Abend die batavischen Söldner vom Niederrhein. Mißmutig schürte der Centurio, im römischen Dienst lange bewährt, mit Halsketten und auf dem Brustpanzer mit Ehrenzeichen für tapfre Thaten geschmückt, ein Mann von etwa vierzig Jahren, das qualmende Feuer, das man in den naßkalten Wäldern nicht gern ausgehen ließ. »Da!« brummte er, »Fiff! Da erlischt es. Alle beide, Vulkan und Loge, habe ich umsonst angerufen. Vulkan hilft mir nicht, weil ich Barbar, – Loge nicht, weil ich den Römern diene. Wir Söldner haben keine helfenden Götter mehr: – weil wir keines Volkes sind.« »Ha, Rignomer,« lachte der andere, ein junger Mann mit rotsprossendem Flaumbart, »ich halt' es unter allen Göttern nur mit einem: – dem Gott des Sieges!« – »Und gerade der, gerade Wodan hat uns verlassen, Brinno. Überall siegen die Germanen – das heißt: die Völker, die gegen Rom, nicht wir germanischen Söldner, die wir für den Kaiser fechten. Und furchtbar bluten in jeder Schlacht – gerade wir Söldner.«

»Weil sie uns stets auf den bedrohtesten Fleck stellen, diese schlauen Walen,« zürnte nun auch Brinno. »Weil Wodan uns gram ist,« raunte der Centurio. »Wir sollen nicht mehr fechten für Rom gegen die anderen Germanen. Er will es nicht mehr!«

»Was ›Germanen‹! Das ist ein Wort, wie ›Barbaren‹: die Walen haben's aufgebracht, nicht wir. – Was gehn mich diese ›Alamannen‹ an? Ich bin Bataver: – Franke, wenn du's lieber hörst.« – »Ja, das hör' ich lieber.« – »'s ist aber jünger!« – »Jedoch stärker, – weil größer!« – »Was gehen mich, frag' ich noch einmal, diese dickköpfigen Sueben an? Mit ihrem Schweif auf dem Wirbel! – Ich verstehe kaum, was sie lallen!« – »Aber wir sind alle, wir Blauäugigen, Gelbhaarigen, Söhne derer von Asgardh! Wir alle sind von Aufgang her den großen Wassern entgegengerückt! So lehrten's die Väter, so singen's die Harfenleute. Und überall, an Rhenus und Danubius, scharen sich die Gaue, die Völkerschaften zusammen, die sonst sich so grimmig befehdet. Das ist Wodans Werk! Er ruft die Enkel Asgardhs gegen Rom! – Dies ist mein letzter Feldzug unter den Drachenzeichen: – in ein paar Tagen ist meine Dienstzeit um –: dann geh' ich heim und baue meine Scholle an der Yssala, wo die Mutter und die Geschwister mein warten, – baue sie mit dem bessern, dem römischen Pflug. – Und muß ich nochmal kämpfen, – dann kämpf' ich für meine Scholle gegen Rom! Wir haben allzuwenig Raum, wir Franken, da unten im Rheinsumpf! – Wir müssen hinein ins schöne Gallien.« – »Nun, dieser Krieg der Römer wird bald zu Ende sein. Ein unblutiger Sieg.« »Wer weiß!« Hier warf sich der Centurio neben Brinno auf die Erde und raunte in sein Ohr: »Ein Gaugenosse von mir, der schon früher unter Kaiser Valentinian hier an diesem See gegen die Alamannen kämpfte, hat mir erzählt, weshalb er, voll Angst und Grauen, plötzlich den Soldvertrag gekündet hat: in einer Schlacht – die Römer verloren sie – brauste dem Keil der Alamannen auf weißgrauem Roß Einer voran, wider den kein Mann die Hand erhebt, ohne es für immerdar mit Wunsch und Wonne zu verderben.« »Wie?« fragte Brinno, halb ungläubig, halb furchtsam: »Erer – selber?« Rignomer nickte bedeutungsvoll: »In eines greisen Herzogs Gestalt! So flüstert die Sage. Von der Himmelsburg steigt er hernieder, wann heiße Gefahr die Waldleute am See hier bedroht, warnt sie, verhüllt sie mit seinem dunkeln Wolkenmantel vor den Augen der Feinde, lehrt sie Siegrunen auf unersteigbarem Berge und trägt sie plötzlich heran auf den Adlerflügeln des Sturmwinds. Gegen den kämpfe ich nicht! Nur gegen Menschen hab' ich dem Imperator zu dienen geschworen. – Aber horch: – ein Tubaruf von unseren Vorposten! Wen bringen da unsere Reiter?« – »Eine Botschaft der Alamannen, scheint es!« – »Ja, einen Führer – und zwei Gefolgen. Welch' ein Jüngling! – Halt, junger Held: wenn du ins Lager willst zu dem Feldherrn, – nur je einer darf hineinreiten – muß ich dir vorher die Augen verhüllen. Steig' ab! Du willst nicht? Ja, dann kehr' nur wieder um.«

Das war ein harter Schlag gegen Adalos Hoffnungen! Er hätte so gern gesehen, scharf gesehen im Römerlager: – Gräben, Wälle, Thore und – zwei Menschen innerhalb jenes trotzig-dräuenden Pfahlwerks. Mißmutig stieg er ab. Eine dicke Wolldecke ward ihm, wie ein weiter Sack, in lockeren Falten über das Haupt geschlagen und unter dem Kinn zusammengebunden: Rignomer faßte seine Hand und führte ihn bis an das Thor, wo ein Centurio der Thraker den Sendboten der Barbaren in Empfang nahm.

Auch Adalos beide Begleiter stiegen ab, banden die drei Rosse an die nächsten Tannen und lagen bald plaudernd mit den Batavern – das schlechte Latein der Grenzgebiete mußte freilich gar oft den ganz verschiedenen Mundarten das Verständnis vermitteln – um das Wachtfeuer, das nun, mit Anstrengung, frisch entzündet worden: denn es dunkelte stark.

Alsbald erscholl von dem Waldweg her, auf welchem die Gesandtschaft gekommen, ein seltsam Gebrumm, das näher und näher kam. Alle, auch die beiden Alamannen, sprangen überrascht auf. »Ein Bär?« – »So nah dem Feuer?« – »Durch unsere Vorposten geschlichen?« Und sie griffen nach den gekreuzt zusammengelegten Speeren.

Doch da bog um die Wendung des schmalen Waldsteiges ein Bataver mit hellem Lachen: er deutete hinter sich. »Seht, Waffenbrüder! Ein sarmatischer Gaukler! Mit einer zahmen Bärin! Sie tanzt nach seiner Schwegelpfeife! Das ist drollig,« Da entfuhr dem einen Alamannen ein Ruf des Staunens: er sperrte Augen und Mund auf: »Das ist ja –« Doch der andre stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen: »Eine Bärin! Ja! Hast du noch nie eine gesehn?«

Und nun kam in den Schein des Feuers ein Mann in sarmatischer Tracht, – zusammengenähte, schwarze Schafsfelle, die Wolle nach innen gewendet: – er führte an ledernem Halsband eine große Bärin.

Hinter ihm schleppte sich, gleichfalls in ein Ziegenfell gehüllt, sein Knecht, der in einem Ranzen wohl den Reisevorrat trug: es war ein armer Krüppel, ein Knabe; halb lahm, kam er mit Hilfe einer Krücke nur langsam vorwärts: er konnte wohl nur schwer gehen und stehen: denn da der dritte Bataver ihm einen Stoß mit dem Schaft des Speeres gab, ihn mahnend, näher an das Feuer zu treten, fiel der Arme mit einem dumpfen Schrei ins Gras.

Der Söldner rief ihm, unter römischen und germanischen Scheltwörtern, die Frage zu, was seine Kunst sei? Er rührte sich nicht. –

»Da kannst du lange fragen,« lachte sein Herr, »der Junge ist stumm. Und fieberkrank. Er fürchtet die Menschen. Laßt ihn liegen!« Der Knabe kroch unter das dichteste Gebüsch, weit ab vom Feuer: man konnte von der Wachtstätte aus ihn kaum wahrnehmen; man sah nur, daß sein krauses Lockenhaar ganz kohlschwarz war; er zog ein kleines irdenes Töpfchen hervor, träufte daraus Tropfen auf seinen kranken Fuß und rieb ihn emsig mit der Hand.

 


 


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