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97 So lebten diese beiden Jungfräulein ein Leben voller Wonnen, gegen das Leben der beiden Helden genommen, die berufen waren, im späteren Lebens Rosinchens – auch der Line – »einschneidend« aufzutreten, die aber zu dieser Zeit noch die Schulbänke mit Widerwillen drückten. Eine Ahnung vom Rosinchen hatte der Dreivaterbua wohl schon lange, eine etwas kordialere und etwas intimere Annäherung – gegen die ganze frühere gemessen – hatte ja auf dem Eise stattgefunden, sonst traten die beiden Helden vorderhand in keine weitere Berührung mit den beiden Heldinnen.
Die Schule! Ach Gott, was war das für ein Fegfeuer für den Fritzl und für den Maxl! Alle zwei haßten sie das Lernen, wie es in den Schulen betrieben wurde. Stets interessierten sie andere Dinge mehr, als die, die sie gerade lernen sollten, oder auf die sich die Herrn Lehrer gerade kaprizierten, sie wissen zu wollen.
»Warum will er's denn wissen,« sagte der Fritzl mit schlauen Augen zum Maxl: »weil er's selber net woaß!«
98 Oder: »O Jegerl! so viel wie der Lehrer weiß ich auch, no vüll mehrer!«
Trotzdem verhielten sich beide, unbeschadet ihrer aufrührerischen Ansichten über den jeweiligen Präzeptor, in den Schulstunden ganz ruhig, der Maxl aus angeborenem Hang zum Vorsichhindösen, der Fritzl aus angeborener Diplomatie, was er aber nicht wahr haben wollte. Da ferner niemand einen Wert darauf legte, daß sie vorwärts kamen, der Lehrer ebensowenig wie die Eltern, wurden sie schlecht und recht mit durchgeschoben.
Ihr eigentliches Leben führten sie ja doch außerhalb der Schule, auch außerhalb der elterlichen Höhlen, im Freien draußen. Dort schleppten sie alle ihre Schätze zusammen, blanke Steine, Metallkapseln, gefundene »Schusser«, Lederabschnitte, farbiges Papier und nicht zum wenigsten Zeitungsfetzen, der Mutter Glocke entrafft, die sie begierig lasen, ein Buch, das sie sich von einem Kameraden erbettelt, Bilder aus illustrierten Zeitschriften aus Mama Glockes Einwickelpapieren gestohlen, die eine Welt für sie bedeuteten, über denen sie grübelten, über die sie sich berieten, über die sie disputierten. Das alles hatten sie in einer Art Höhle draußen gegen den Erzberg zu vergraben, und deckten es sorgfältig jeden Tag zu und hüteten es eifersüchtig. Dort 99 draußen spielten sie wie andere Kinder, bauten Wälle und Burgen, gruben Teiche und Bäche, lasen, stritten und schmiedeten Pläne.
»Was willst werden?« frug einmal der Maxl den Fritzl.
»I? – Vorderhand halt a G'werbschachtel. Und du?«
Da hob der Maxl den Kopf.
»I werd a Gymnasist.«
Wie da der Fritzl lachte!
»Du?! Dich werd'ns gleich studieren lassen!«
»Mit der G'werbschachtel gib ich mich net ab und a Handwerk lern i net und wenn's mi derschlag'n.«
Ja, derschlagen ließ er sich vielleicht, das sah ihm gleich, im Passiven war er groß, da hatte ihn der Fritzl schon heraus. Wie er nur auf den großartigen Gedanken kam, ein Gymnasiast werden zu wollen! Wie er sich nur getraute! Freilich, wenn man's erwog –! vertraulich rückte er dem Maxl näher: »I wenn du wär', i wisset, was i tät.«
»Was denn?« der hinkende Maxl drauf.
»Für was hast denn dein Vatern? Mach kein so dumm's Gesicht! Dein Papa mein' i. Für was is denn der da? Manderl hast du net so viel Kurasch, daß du zu ihm gehst 100 und dich anmeldst? Sagst einfach: Da bin ich, ein Geld gib mir, studieren möcht ich.«
»Ja, aber er gibt sowieso Geld her, sagt die Mutter,« wies ihn der Maxl mit einem alten weisen und zugleich resignierten Gesicht zurück.
»Zahlen! Zahlen! Siehst du was davon? Spürst du was davon? Da! Da! Da! auf die Hand laßt dir's geben, schüttel dein großen Kopf net! Was? unehrlich is des, wenn du's für dich allein nimmst? Du bist halt der Noble, du bist der Baron und ich versteh das net, ich bin der Obstlervogel, ja freilich! Aber Bürscherl, an deiner Stell wenn i wär, des werdet ein anderes Leben! Grad die Haar möchst dir ausreißen.«
Und fuchsteufelswild gemacht von der passiven Noblesse und Indolenz des Maxl packte der Fritzl wirklich seine zerzauste schwarze Bürste und fuhr mit allen zehn pappigen Fingern darin herum.
»Helfen könntest uns alle zwei,« sagte er, »aber du hast kein Streben, keine Aufopferung, keinen Schwung!«
Der Maxl senkte den Kopf und schwieg.
Manchmal konnte Fritzls Wut sich so weit erheben, daß sie dem Quartalszorn der unverehelichten Glocke sehr nahe kam. Er zerriß und zerfetzte alles um sich, die am meisten gehüteten 101 und geliebten Bilder, wobei der Maxl kreidebleich vor Schmerz zuschaute; zuletzt zerbläute er sogar den Maxl, der studieren wollte und doch nicht dazu kam, der einen Papa hatte, der nur die Hand aufzumachen brauchte und ihnen beiden war geholfen, – er zerbläute ihn, bis sie sich beide nicht mehr rühren konnten, der Maxl immer stiller und der Fritzl immer lauter wurde. Als er nicht mehr schreien konnte, stürzte er schimpfend und vor Wut heulend davon.
Er sah's ja kommen. Dieser Feigling von Maxl ließ sich zu einem Handwerk pressen, wo das Geld für ihn auf der Straße lag! Und er? – was wurde aus ihm? Wenn die Zeichen nicht trügten, wendete der alte Schwamm, den er nie Mutter nennen konnte, viele Schläge, aber keinen Knopf Geld für ihn auf, von der Gewerbeschule keine Rede! Und wieder stieg ihm der Grimm. Es wäre so einfach gewesen! Nur er, er hätte an der Stelle sein sollen!
Er und »die Alte« sprachen schon lange kein Wort mehr miteinander, es war die höchste Zeit, daß er ihr aus den Fingern kam, in der körperlichen Kraft war sie ihm eben doch allzusehr über. – –
Und die Tage rückten näher, der Schulschluß stand vor der Türe, die alten Freunde und Bundesgenossen wurden immer stiller, sogar dem 102 Fritzl mußte man jedes Wort abkaufen, von ihren Plänen zu sprechen, vermieden sie ganz; sie stritten auch nicht mehr, nur manchmal sah der Fritzl fast haßerfüllt nach dem melancholischen Schusterbaron, zuletzt blieb er ihm ganz fern, sie sahen und sprachen sich nicht mehr. 103