Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die Wolken und die Strahlen, die umhüllten
Mit ihrem Schatten, ihrem Glanz den Blick;
Sie ließen in den schweigenden Gefilden
Von ihrem Lauf auch keine Spur zurück.
Montgomery.
Eine Stille, tief wie die, welche die düstern Wüsten vor ihnen auszeichnete, ward von den Flüchtlingen beobachtet, um die Stelle zu unterscheiden, welche sie eben verlassen hatten. Selbst der Streifschütz bot seine geübte Erfahrung vergebens auf, um etwas von den wohlbekannten Zeichen zu entdecken, welche hätten verrathen können, daß die Feindseligkeiten wirklich zwischen dem Haufen des Mahtoree und Ismael angefangen; ihre Pferde brachten sie außer dem Bereich der Töne, ohne ihnen das geringste Zeichen von dem Vorgefallenen zu gestatten. Der Alte murmelte von Zeit zu Zeit sein Befremden, verrieth aber die Unruhe, die er wirklich fühlte, durch nichts weiter, als vielleicht dadurch, daß er steigende Aengstlichkeit im Antreiben der Thiere zeigte. Er hatte im Vorübereilen auf jene verlassene Erhöhung hingedeutet, wo die Familie des Auswanderers sich zur Nacht gelagert, als sie dem Leser zum ersten Mal vorgeführt wurde, und behielt hernach sein vielbedeutendes Schweigen bei; vielbedeutend, weil seine Gefährten schon genug von seinem Charakter gesehen hatten, um sich zu überzeugen, daß die Umstände in der That gefährlich sein müßten, welche die Gewalt besaßen, die wohlbegründete Ruhe des Alten zu trüben.
»Haben wir nicht genug gethan?« fragte Middleton aus Zärtlichkeit gegen Inez und Ellen, die nach einigen Stunden nicht mehr im Stande waren, so große Ermüdung zu ertragen; »wir sind hart zugeritten und haben eine weite Strecke zurückgelegt. Es ist Zeit, einen Ruheplatz zu suchen.«
»Dann müßt Ihr ihn im Himmel suchen, wenn Ihr zu weiterem Marsch unfähig seid,« murmelte der alte Streifschütz. »Wären die Teton und der Wanderer hinter einander gekommen, wie man hätte vermuthen mögen, sie geneigt wären, dann hätten wir wohl Zeit, uns umzusehen, und nicht allein die Zufälle, sondern auch die Bequemlichkeiten der Reise zu berechnen; aber wie es jetzt steht, würde es uns gewissen Tod oder endlose Gefangenschaft bereiten, wenn wir unsere Augen dem Schlaf überlassen wollten, ehe unsere Häupter sicher in einem ungewöhnlichen Versteck verborgen sind.«
»Ich weiß es nicht,« entgegnete der ungeduldige Jüngling, der mehr auf die Leiden des zarten Wesens, das er unterstützte, als auf die Erfahrung seines Gefährten achtete; »ich weiß es nicht. Wir sind Meilen geritten, und ich kann keine besondern Zeichen von Gefahr sehen; wenn Ihr für Euch fürchtet, guter Freund, glaubt mir, Ihr irrt, denn – –«
»Euer Großvater, lebte er und wäre er hier,« unterbrach ihn der Alte, streckte seine Hand aus, und legte mit Ausdruck einen Finger auf Middletons Arm; »der hätte nicht so gesprochen; er hatte einige Ursache, zu meinen, im Frühling meiner Tage, als mein Auge schärfer war als das des Falken, und meine Glieder so schnell als die Schenkel des Rehs, hätte ich nie zu fest und freudig am Leben gehangen; warum sollte ich nun jetzt eine so kindische Liebe zum Leben fühlen, da ich weiß, daß es eitel ist und der Gefährte der Mühe und Arbeit. Mögen die Teton ihr Schlimmstes thun, sie werden einen armen, abgelebten Streifschützen finden, der aber in seinen Klagen und Bitten nicht der lauteste sein wird.«
»Verzeiht mir, mein würdiger, unschätzbarer Freund,« rief der reuige Jüngling, und ergriff gerührt die Hand, welche dieser wegziehen wollte; »ich wußte nicht, was ich sagte, oder vielmehr ich dachte nur an jene, deren Zärtlichkeit wir besonders beachten müssen.«
»Genug. Es ist Natur und recht. Darin würde Euer Großvater dasselbe gethan haben. Ach, wie viel Jahrszeiten, heiße und kalte, nasse und trockene, sind über meinen armen Kopf hingeflogen, seit wir zusammen jagten unter den rothen Huronen der See'n, bis zurück in jene rauhen Gebirge von alt York, und mancher edle Bock ist seitdem durch meine Hand gefallen, ja, und auch mancher diebische Mingo. Sagt mir, Junge, erzählte der General, denn General, weiß ich, ist er geworden, erzählte er Euch je von dem Thier, das wir jagten in der Nacht, wo die Wegelagerer von dem verfluchten Stamm uns in die Höhlen auf der Insel trieben, und wie wir speisten und tranken in Sicherheit?«
»Ich hab' ihn oft die geringsten Umstände von der Nacht, die Ihr meint, erwähnen hören; aber – – –«
»Und der Sänger und seine offene Kehle und sein Schreien im Gefecht?« fuhr der Alte fort, und lachte freudig über die Stärke seiner Erinnerung.
»Alles, Alles; er vergaß nichts, bis zum geringsten Umstand. Wißt Ihr nicht – –«
»Was, erzählte er Euch von dem Wicht hinter dem Stamm, – von dem armen Teufel, der über den Wasserfall kam, – oder von dem Schurken im Baum?«
»Von jedem, mit Allem, was dahin gehörte. Ich sollte denken – –«
»Ei,« fuhr der Alte in einem Tone fort, welcher verrieth, wie stark seine Geistesfähigkeiten den Eindruck des Auftritts festhielten; »ich bin ein Bewohner der Wälder und der Wildniß siebzig Jahre lang gewesen, und wenn einer behaupten kann, er kenne die Welt, oder habe schreckliche Scenen gesehen, so bin ich's. Aber nie vorher, noch nachher habe ich einen Menschen in einem solchen Zustand köstlicher Verzweiflung gesehen, als eben jenen Wilden, und doch wollte er nicht sprechen oder rufen oder seine verlorene Lage gestehen! Es ist ihr Charakter so, und edel behauptete er ihn.«
»Hört, alter Streifschütz,« fiel Paul ein, der zufrieden, daß seine Brust von einem von Ellens reizenden Armen umschlungen werde, bis jetzt in ungewöhnlichem Schweigen geritten war; »meine Augen sind so sicher und genau als die eines Summvogels bei Tage, aber bei Sternenlicht taugen sie nicht besonders. Ist das ein kranker Büffel, der sich am Boden dort hinschleppt, oder ist es eine von den herumstreichenden Kühen der Wilden?«
Die ganze Gesellschaft richtete sich auf, um den Gegenstand zu untersuchen, auf den Paul hingewiesen hatte. Meistens waren sie in den kleinen Thälern geritten, um in den Schatten Schutz zu suchen, aber gerade jetzt waren sie einer Erhöhung in der Steppe hinaufgestiegen, um denselben Grund zu durchreiten, wo dies unbekannte Thier erblickt worden.
»Laßt uns absteigen,« sagte Middleton, »mag es Thier oder Mensch sein, wir sind zu stark, um uns zu fürchten.«
»Nun wenn es nicht moralisch unmöglich wäre,« rief der Streifschütz, der, wie der Leser schon bemerkt haben muß, nicht immer genau in dem Gebrauch der Beiwörter war, »wenn es nicht moralisch unmöglich wäre, würde ich behaupten, es sei der Mann, der auf Ungeziefer und Insecten Jagd macht; unser Reisegefährte, der Doctor.«
»Warum unmöglich? Habt Ihr ihn nicht angewiesen, diesen Weg zu nehmen, um zu uns zu stoßen?«
»Ei, aber ich sagte ihm nicht, er solle es mit seinem Esel einem Pferde zuvorthun, – Ihr habt Recht, – ja, es ist so,« sagte der Streifschütz, und unterbrach sich selbst, als mit der allmählig verminderten Entfernung zwischen ihnen, seine Augen sich versicherten, es sei Obed und Asinus, was er sah, »Ihr habt Recht, so gewiß es ein Wunder ist; Himmel, was thut doch die Furcht! Nun, Freund, Ihr seid eifrig gewesen, um so weit in so kurzer Zeit zu kommen. Ich bewundere die Schnelligkeit des Esels.«
» Asinus ist erschöpft,« erwiederte der Naturforscher traurig. »Das Thier ist wahrhaftig nicht faul gewesen, seit wir uns trennten, aber er weist alle meine Ermahnungen und Aufforderungen zurück, weiter zu gehen. Ich hoffe, wir brauchen für den Augenblick uns vor den Wilden nicht zu fürchten.«
»Ich kann es nicht sagen, ich weiß nicht; es ist nicht so zwischen dem Wanderer und den Teton, wie es sein sollte, auch will ich bis jetzt für die Sicherheit keines unserer Köpfe stehen. Das Thier ist zu Grunde gerichtet; Ihr habt es über seine Kräfte angestrengt, es ist wie ein ausgemergelter Hund. Mitleid und Maß und Ziel muß bei allem sein, selbst wenn Jemand auf Tod und Leben reitet.«
»Ihr zeigtet mir den Stern,« entgegnete der Doctor, »und ich hielt es für gut, mit der größtmöglichen Schnelligkeit die Richtung zu verfolgen.«
»Wolltet Ihr etwa in ihn durch solche Eile? Geht, Ihr sprecht stolz von den Geschöpfen des Herrn, obwohl ich deutlich sehe, daß Ihr nur ein Kind in dem seid, was ihre Naturgaben und ihren Instinkt angeht. In welcher Noth würdet Ihr Euch jetzt befinden, wenn wir unsere Thiere lang und stark anstrengen müßten.«
»Der Fehler liegt in der Bildung des Quadruped's,« sagte Obed, dessen ruhiges Gemüth sich über so viele schwere Vorwürfe zu empören anfing. »Wären rotirende Hebel Schöne Geister begegnen sich; dasselbe hatte schon der ehrliche Polwarth in »Lionel Lincoln« gemeint. Uebers. statt der beiden Beine dagewesen, würde ihm die Hälfte der Ermüdung erspart worden sein, denn – – –«
»Weg mit Eurem Rotiren und Halbiren und dergleichen; ein matter Esel ist ein matter Esel, und wer es leugnet ist sein Bruder. Nun, Capitain, müssen wir zwischen zwei Uebeln wählen, entweder diesen zurücklassen, der zu viel unser Glück und Unglück getheilt hat, um leicht aufgegeben zu werden, oder ein Versteck aufsuchen, um das Thier ausruhen zu lassen.«
»Verehrungswürdiger Jäger!« rief der beunruhigte Obed; »ich beschwör' Euch bei der geheimen Sympathie unserer gemeinsamen Natur, bei all den versteckten – –«
»Ah, die Furcht läßt ihn doch jetzt ein wenig vernünftig reden! Es ist nicht Natur in der That, einen Bruder in der Noth zu verlassen, und der Herr weiß, daß ich nie so etwas Schändliches gethan. Ihr habt Recht, Freund; wir müssen uns alle verstecken und das schnell. Aber was mit dem Esel machen? Freund Doctor, schätzt Ihr wirklich sein Leben?«
»Er ist ein alter, treuer Diener,« entgegnete der trostlose Obed, »und ungern würde ich ihm ein Leid widerfahren sehen. Bindet seine untern Gliedmassen und laßt ihn in dem Blätterbett ruhen. Ich stehe dafür, wir werden ihn am Morgen finden, wo wir ihn gelassen haben.«
»Und die Sioux? Was würde aus dem Thier werden, wenn die rothen Schelme seine Ohren wie zwei Wollkrautstengel über das Gras hervorpiepen sähen,« rief der Bienenjäger. »Sie würden ihn mit Pfeilen bespießen, gleich einem Weiberkissen voll Nadeln, und dann Wunders meinen, was Großes sie gethan! Welch' ein Kaninchen sie gejagt, aber mein Wort darauf, beim ersten Bissen würden sie ihren Fang erkennen!«
Middleton, der bei dem fortgesetzten und in die Länge gezogenen Gespräch ungeduldig zu werden begann, schlug sich jetzt in's Mittel, und da man seinen hohen Rang sehr verehrte, gelang es seinen Anstrengungen bald, eine Art von Vertrag zu Stande zu bringen. Der demüthige Asinus, zu sanft und müde, um Widerstand zu leisten, war bald gefesselt und auf eine Streu welken Grases gelegt, wo man ihn mit der festen Ueberzeugung ließ, sein Herr werde ihn nach Verfluß einiger Stunden wieder finden. Der Alte war sehr gegen diese Vorkehrung, und gab mehr als einmal zu verstehen, daß das Messer weit sicherer als der Strick sei; aber Obed's Bitten, unterstützt vielleicht durch den geheimen Widerwillen, den der Streifschütz selbst gegen das Schlachten des Thiers empfand, retteten ihm das Leben. Als Asinus so gesichert und versteckt war, wie sein Herr wenigstens glaubte, schickte sich die ganze Gesellschaft an, eine Stelle aufzusuchen, wo auch sie während der für das Thier nöthigen Ruhe sich erholen könnten.
Nach den Berechnungen des Streifschützen waren sie zwanzig Meilen seit ihrer Flucht geritten. Die zarte Gestalt der Inez begann bei der außerordentlichen Anstrengung kraftlos zu werden, und selbst die stärkere aber immer weibliche Natur Ellens war nicht unempfindlich gegen die übermäßige Ermüdung. Middleton selbst sehnte sich nach Ruhe, auch nahm der kräftige, muthige Paul keinen Anstand, zu erklären, daß durch etwas Erholung alles besser werden würde. Der Alte allein schien gleichgültig gegen die gewöhnlichen Aufforderungen der Natur. Obgleich nur wenig an die ungewöhnliche Art von Bewegung gewöhnt, die er sich eben gemacht, schien er doch allen Angriffen menschlicher Hinfälligkeit Trotz zu bieten. Offenbar ihrer Auflösung nahe, stand seine geschwächte Gestalt noch wie der Stamm einer alten Eiche, trocken, nackt und vom Wetter gepeitscht, aber ungebeugt, und, so schien es, zur Festigkeit eines Steins abgehärtet. Bei der gegenwärtigen Gelegenheit betrieb er das Suchen nach einem Ruheplatz, das sogleich begann, mit aller Energie der Jugend, gemäßigt durch die Ueberlegung und Erfahrung seines hohen Alters.
Das Graslager, wo man auf den Doctor getroffen, und seinen Esel eben zurückgelassen hatte, ward noch auf eine geringe Entfernung verfolgt, bis man fand, daß die wellenförmigen Erhöhungen der Steppe sich in eine große, weite Ebene verloren, die meilenweit mit derselben Art Gras bedeckt war.
»Ah, das mag's thun,« sagte der Alte, als sie an die Grenzen dieses See's von falbem Gestrüpp kamen, »ich kenne die Stelle, und habe oft in ihren verborgenen Schluchten gelegen, Tage lang; während die Wilden auf dem offenen Grund den Büffel jagten. Wir müssen ihn sehr vorsichtig betreten, denn tiefe Spur könnte gesehen werden, und indianische Neugier ist ein gefährlicher Nachbar.«
Selbst vorangehend, wählte er eine Stelle aus, wo das hohe, wilde Gestrüpp am höchsten stand, und dadurch an Höhe und Dichte einem Schilfboden nicht unähnlich ward. Dahin ging er, allein, und wies die Andern an, so viel als möglich in seine eigenen Fußtapfen zu treten. Als sie einige hundert Schritte in der Wildniß des Gesträuchs zurückgelegt, gab er Paul und Middleton ihre Anweisung, die tiefer eindrangen, während er abstieg und an den Rand der Wiese zurückging. Hier brachte er mehrere Minuten damit zu, das niedergetretene Gras wieder aufzurichten, und, so weit es möglich, jede Spur ihrer Tritte zu verwischen.
Indeß setzte der übrige Theil seinen Weg fort, nicht ohne Mühe, und also in sehr mäßiger Eile, bis sie eine Meile weit in die Stelle eingedrungen. Hier fanden sie einen Ort, der für ihre Absicht paßte, stiegen ab und fingen an ihre Vorkehrungen zu treffen, um da den übrigen Theil der Nacht zuzubringen. Jetzt war auch der Streifschütz zu ihnen zurückgekommen, und unterzog sich wieder der Leitung ihrer Geschäfte.
Das Gestrüpp und Gras war bald von einem beträchtlichen Stück Land ausgerissen und abgeschnitten, und eiligst wurde für Inez und Ellen, ein wenig bei Seite, ein Bett bereitet, das in Weichheit und Bequemlichkeit mit einem von Eiderdunen hätte streiten können. Die erschöpften Frauen begaben sich nun, nachdem sie einige leichte Erfrischungen aus Paul's und des Alten Vorräthen zu sich genommen, zur Ruhe, und ließen ihren stärkern Begleitern die Freiheit, für ihre eigenen Bedürfnisse nun zu sorgen. Middleton und Paul folgten bald dem Beispiel ihrer Verlobten und ließen den Streifschützen und Naturforscher um ein saftiges Stück Bisonfleisch sitzen, das bei einem vorigen Halt gekocht worden und jetzt, wie gewöhnlich, kalt gegessen ward.
Eine gewisse noch zurückbleibende Erregung, die so lange in Obed's Gemüth sich behauptet, verbannte noch den Schlaf, und was den Alten betraf, hatten sich seine Bedürfnisse durch Gewohnheit und Noth so sehr seinem Willen unterworfen, daß sie beinahe in jedem Augenblick von seinem Willen abhing. Wie sein Gefährte wollte er daher wach bleiben, und beobachten.
»Wenn die Kinder der Gemächlichkeit und Sicherheit die Mühen und Gefahren der Naturforscher kennten, die sie ihretwegen erdulden,« sagte Obed nach einem Augenblick Stille, als Middleton ihnen gute Nacht gesagt hatte, »sie würden ihnen Säulen von Silber und Statuen von Erz errichten, als dauernde Zeichen ihres Ruhms.«
»Ich weiß nicht,« entgegnete der Andere, »Silber ist gar nicht häufig, wenigstens nicht in der Wildniß, und eherne Götzen sind in den Gesetzen Gottes verboten.«
»Das war die Meinung des großen Gesetzgebers der Juden; aber die Aegypter und Chaldäer, die Griechen und Römer pflegten ihre Dankbarkeit in jenen Musterbildern der Menschengestalt an den Tag zu legen. In der That, viele der ausgezeichneten Meister des Alterthums haben mit Hülfe der Kunst und Geschicklichkeit die Werke der Natur selbst übertroffen, und eine Schönheit und Vollkommenheit in der Menschengestalt dargestellt, die schwer in dem seltensten lebendigen Specimen von einer der Species des Genus: homo zu finden sind.«
»Können Eure Götzenbilder gehen oder sprechen, oder haben sie die glorreiche Gabe der Vernunft?« fragte der Streifschütz etwas unwillig; »obgleich nur wenig geneigt, mich in dem Geräusch und Lärm der Ansiedelungen herumzutreiben, bin ich doch meiner Zeit in den Städten gewesen, um Pelzwerk für Pulver und Blei umzusetzen und oft hab' ich eure wächserne Dinger gesehen, mit ihrem Flitterstaat und ihren Glasaugen.«
»Wächserne Dinger!« fiel Obed ein, »es ist eine Entweihung in den Augen der Kunst, die elenden Machwerke der Wachsfigurenhändler den reinen Mustern des Alterthums zu vergleichen.«
»Es ist Entweihung in den Augen des Herrn,« versetzte der Alte, »die Werke seiner Geschöpfe der Macht seiner Hand zu vergleichen.«
»Verehrungswürdiger Jäger,« fuhr der Naturforscher fort und räusperte sich, wie wenn man sehr eifrig ist, »laßt es uns verständig und in Freundschaft untersuchen. Ihr sprecht von dem Troß der Unwissenheit, während meine Gedanken über jenen kostbaren Juwelen schweben, welche ich früher so glücklich war, unter den gehäuften Schätzen der alten Welt zu sehen.«
»Alte Welt!« versetzte der Streifschütz, »das ist der armselige Schrei all der halbverhungerten Wichte, die in das gesegnete Land gekommen sind seit den Tagen meiner Kindheit! Sie sprechen euch von der alten Welt; als ob der Herr nicht Macht hätte, nicht den Willen, das Universum an einem Tag zu schaffen, oder als wenn er seine Gaben nicht mit gleicher Hand ausgetheilt, obwohl nicht mit gleichem Sinn und gleicher Weisheit sie sie angenommen und gebraucht haben. Nennten sie sich eine abgelebte, abgenutzte, verbrecherische Welt, dann wären sie der Wahrheit schon näher.«
Doctor Battius, der es eben so schwierig fand, einen seiner Lieblingssätze gegen einen so regellosen Angreifer zu vertheidigen, als es ihm schwer gefallen sein würde, mit einem Klopffechter des Westen zu ringen, brummte etwas für sich und benutzte die neue Aussicht, die der Streifschütz ihm eröffnete, um den Kampfplatz zu ändern.
»Unter alter und neuer Welt, mein würdiger Gefährte,« sagte er, »darf nicht verstanden werden, es seien die Hügel und Thäler, die Felsen und Flüsse unserer Erdhälfte, physikalisch gesprochen, nicht von eben dem Datum, als die Stelle, wo man babylonische Ziegel findet; es soll nur bedeuten, der moralische Zustand sei nicht gleichzeitig mit ihrer physischen, geologischen Bildung.«
»Ah!« rief der Alte und sah forschend in des Philosophen Gesicht.
»Nur daß sie nicht so lange moralisch bekannt war, als die andern Ländern der Christenheit.«
»Desto besser. Ich bin kein großer Bewunderer eurer alten Moral, wie ihr sie nennt, denn ich hab' immer gefunden und hab' lange im Herzen der Natur gleichsam gelebt, daß eure alte Moral keine von den besten ist. Der Mensch verwickelt und verkehrt die Gesetze des Herrn, um sie seiner Verderbtheit anzupassen, wenn seine teuflische List zu viel Zeit hat, mit seinen Geboten zu spielen.«
»O, würdiger Jäger, noch begreift Ihr mich nicht. Moral nehm' ich nicht in dem beschränkten, buchstäblichen Sinn des Worts, wie etwa seine Synonymie, Moralität, gebraucht wird, sondern es soll das Verhalten der Menschen, wie es sich in ihrem täglichen Verkehr, ihren Einrichtungen und Gesetzen zeigt, andeuten.«
»Aber das nenn' ich geradezu baaren Unsinn und Thorheit,« unterbrach ihn sein störriger Gegner.
»Nun, es sei so,« entgegnete der Doctor und gab verzweifelnd seine Worterklärung auf. »Vielleicht hab' ich zu viel zugegeben,« fügte er dann zugleich hinzu, da er das Glimmen eines andern Streitpuncts zu erspähen glaubte, den er zu einem neuen Wortstreit ausspinnen wollte, »vielleicht hab' ich zu viel zugegeben, als ich sagte, diese Hemisphäre sei buchstäblich in ihrer Bildung so alt, als die, welche die verehrungswürdigen Theile Europa, Asien und Afrika umfaßt.«
»Es ist leicht sagen, eine Erle sei nicht so groß als eine Fichte, aber es würde schwer zu beweisen sein. Könnt Ihr mir den Grund von so thörichtem Glauben angeben?«
»Die Gründe sind zahlreich und mächtig,« entgegnete der Doctor, erfreut über diesen ermuthigenden Anfang; »seht in die Ebenen von Aegypten und Arabien; ihre Sandwüsten sind angeschwängert mit den Denkmalen ihres Alterthums; – und dann haben wir auch geschriebene Zeugnisse ihres Ruhms, die den Beweisen ihrer früheren Größe doppeltes Gewicht geben, nun, da sie daliegen, ihrer Fruchtbarkeit beraubt. Aber vergebens sehen wir uns nach ähnlicher Bürgschaft um, daß der Mensch je den Grad von Cultur auf diesem Continent erreicht habe, und suchen, ohne Lohn für unsere Mühe, nach dem Pfad, auf dem er die Reise zurückgemacht zu seinem jetzigen Zustand einer zweiten Kindheit.«
»Und was seht Ihr in dem Allem?« fragte der Streifschütz, welcher, obgleich etwas durch die Ausdrücke seines Gefährten verwirrt, doch den Faden seiner Ideen ergriffen hatte.
»Einen Beweis für meinen Satz, daß die Natur solch ein großes Land nicht schuf, um so viele Jahrhunderte hindurch dazuliegen, eine unbewohnte Wüste. Das ist nur die moralische Ansicht der Sache, die genauere und geologische – –«
»Eure Moral ist schon genug für mich,« entgegnete der Alte ernst, »denn ich glaube darin den Stolz der Thorheit zu sehen; ich bin nur wenig in den Fabeln über das, was Ihr die alte Welt nennt, bewandert, da ich meine Zeit hauptsächlich damit zugebracht, der Natur fest in's Angesicht zu sehen, und lieber über das urtheilte was ich selbst geschaut, als was ich durch Andere gehört. Aber nie hab' ich mein Ohr den Worten des guten Buchs verschlossen, und viele sind der langen Winterabende, die ich in den Wigwam der Delawaren zugebracht, auf die guten Mähren hörend, wenn sie die Geschichte und Lehren älterer Zeiten dem Volke von Lenape vortrugen. Es war angenehm, solche Weisheit nach beschwerlicher Jagd zu vernehmen! Sehr angenehm fand ich's und oft hab' ich darüber mit der großen Schlange der Delawaren in den friedlicheren Stunden unserer Wegelagerung gesprochen, mochten wir nun im Krieg den Mingo auf der Spur sein oder dem York-Hirsch nachstellen. Ich erinnere mich, hier und da sagen gehört zu haben, das gesegnete Land sei einst fruchtbar gewesen wie die Gründe des Mississippi, habe geächzt unter seinen Vorräthen von Korn und Früchten, aber das Gericht sei einst über es gekommen, und so war das Land jetzt merkwürdiger durch seine Dürre, als durch sonst eine Eigenschaft, der es sich rühmen könne.«
»Es ist wahr, aber Aegypten, ja ein großer Theil von Afrika gibt noch schlagendere Beweise von dieser Erschöpfung der Natur.«
»Sagt mir,« fiel der Alte ein, »ist es Wahrheit, daß noch Gebäude im Lande Pharao's stehen, die in ihrer Größe verglichen werden mögen mit den Hügeln der Erde?«
»Es ist wahr, eben so wahr, wie die Thatsache, daß die Natur nie ihre incisores den Thieren mammalia, Genus: homo zu geben unterläßt.«
»Es ist sehr bewunderungswürdig! und es zeigt, wie groß er sein muß, wenn seine geringen Geschöpfe solche Wunder vollbringen können. Viele Menschen muß es bedurft haben, solch ein Gebäude aufzuführen, ja und Leute mit Kraft und Geschicklichkeit! Hat das Land auch zu dieser Stunde noch solche Bewohner?«
»Weit gefehlt! Viel vom Land ist eine Wüste; wär' ein mächtiger Strom nicht, das Ganze würde so sein!«
»Ja, Ströme sind herrliche Gaben für den, der das Land erbaut, wie jeder sehen mag, der weit zwischen den Felsgebirgen und dem Mississippi hinzieht. Aber wie erklärt ihr diese Veränderungen auf der Fläche der Erde, dieses Sinken der Völker; Männer der Schule, wie erklärt ihr's?«
»Es ist moralischen Ur –«
»Recht, ihre Moral ist es! Ihre Verkehrtheit, ihr Stolz, und besonders ihre Verwüstung hat all dies bewirkt! Nun hört, was die Erfahrung eines Greises ihn lehrt! Ich hab' lang gelebt, wie diese grauen Haare, diese dürren Hände es zeigen würden, selbst wenn meiner Zunge die Weisheit der Jahre fehlte. Ja, viel hab' ich gesehen von der Thorheit des Menschen; denn seine Natur ist dieselbe, werd' er in der Wildniß, in den Städten geboren. Meinem schwachen Urtheil hat es immer geschienen, seine Gaben seien seinen Wünschen nicht gleich. In den Himmel würde er steigen, mit all seiner Mißgestalt, wüßte er den Weg dahin; wer wird's leugnen, der seine mühevollen Anstrengungen auf der Erde gesehen? Wenn seine Macht seinem Willen nicht gleich ist, ist es die Weisheit des Herrn, die seinem bösen Streben Schranken gesetzt!«
»Es ist zu gewiß, daß einige Thatsachen auf die natürliche Verderbtheit des Genus hinführen, aber könnte nur die Wissenschaft mit einem Mal auf eine ganze Species zum Beispiel eindringen, dann würde die Erziehung den bösen Grundsatz ausrotten.«
»Genug mit Eurer Erziehung! Es gab eine Zeit, wo ich's für möglich hielt, einen Gefährten aus einem Thier zu machen; viele junge Bären und gefleckte Rehkälber hab' ich mit diesen alten Händen erzogen, bis ich sie endlich für vernünftige und veränderte Wesen hielt; – aber wie weit bracht' ich's? Der Bär biß, das Reh entrann, trotz meiner verkehrten Einbildung, ich könnte die Naturanlage ändern, die der Herr selbst ihnen hatte geben wollen. Nun wenn der Mensch so blind ist, daß er in seiner Thorheit von Geschlecht zu Geschlecht fortschreitet, und dadurch sich Uebel zufügt, kann man sich wohl denken, daß er sein Unglück hier wie in den Ländern, die Ihr so alt nennt, selbst geschaffen hat. Seht um Euch, Mann, wo sind die Mengen, die einst diese Steppen bevölkerten, die Könige und Paläste, der Reichthum und die Macht dieser Wüste?«
»Wo sind die Denkmäler, die eine solche Annahme beweisen würden?«
»Ich weiß nicht, was Ihr ein Denkmal nennt.«
»Die Werke des Menschen! Der Ruhm von Theben und Balbek, – Säulen, Katacomben und Pyramiden, die im Sande des Osten stehen, wie Bretter fluthen an der Felsküste, die Stürme der Jahrhunderte zu bezeugen!«
»Sie sind vergangen. Die Zeit hat zu lang gewährt für sie. Warum? Die Zeit schuf der Herr, und sie waren vom Menschen geschaffen. Diese Stelle voll Schilf und Gras, worauf wir sitzen, mag einst der Garten eines mächtigen Königs gewesen sein! Es ist das Loos aller Dinge, zu reisen und dann abzufallen. Der Baum blüht und trägt seine Frucht, die fällt, fault, vertrocknet und selbst der Same ist verloren. Geht, zählt die Ringe der Eiche und Sycamora; Kreis folgt auf Kreis, einer liegt um den andern, bis das Auge ermüdet, ihre Anzahl zu fassen; und doch vollenden die Jahreszeiten ihren Lauf, ehe der Stamm einen jener Kreise um sich beschreibt; es ändert der Büffel sein Fell, der Bock sein Horn, und was bedeutet das alles? Die edle Eiche nimmt ihre Stelle ein im Wald, luftiger und größer und reicher, und schwerer nachzuahmen als einer Eurer ärmlichen Pfeiler für tausend Jahre, bis die Zeit erfüllt ist, die der Herr ihr gegeben. Dann kommen die Winde, die Ihr nicht seht, und durchfurchen die Rinde, und die Wasser des Himmels erweichen ihre Poren, und die Fäulniß, die wir alle bemerken und Niemand versteht, erniedrigt ihren Stolz, bringt auf den Boden ihre Krone. Dann beginnt ihre Schönheit zu verfallen. Sie liegt noch ein Hundert Jahre, ein faulender Stamm, dann ein Haufen Moos und Erde, ein trauriges Bild vom Grabe des Menschen. Das ist eins von Euren ächten Denkmalen, obwohl von einer andern Macht geschaffen, als die Eurer meißelnden Zimmerei! Und dann, wenn dies all geschehen, könnte der listigste Späher der ganzen Dahcotah-Nation sein Leben im Suchen nach der Stelle hinbringen, wo sie fiel, und würde nicht weiser sein, wenn seine Augen dunkel werden, als da zuerst er sie öffnete. Als wenn dies nicht genug wäre, um den Menschen von seiner Unwissenheit zu überführen, als wenn sie zum Spott über seine Anmaßung hingestellt worden, schießt eine Fichte aus der Fäulniß der Eiche hervor, ganz wie Dürre folgt, auf Fruchtbarkeit, wie diese Wüsten sich ausgebreitet haben, wo einst ein Garten gewesen sein mag. Sprecht mir nicht von Euren Welten, die alt sein sollen, es ist Gotteslästerung, Schranken und Jahreszeiten den Werken des Herrn zu setzen, wie ein Weib zählt die Jahre ihres Kindes.«
»Freund Jäger oder Streifschütz,« entgegnete der Naturforscher, und räusperte sich etwas verwirrt durch den kräftigen Angriff seines Gefährten; »Eure Deductionen, würden sie von der Welt angenommen, würden gar sehr die Wirkungen der Vernunft beschränken und einengen das Gebiet der Wissenschaft.«
»Desto besser, denn ich hab' immer gefunden, daß ein Betrogener nie Maß und Ziel kennt; Alles beweist es. Warum haben wir nicht die Flügel der Taube, die Augen des Adlers und die Füße des Wiesels, wenn der Mensch all seine Wünsche erreichen sollte?«
»Es gibt gewisse physische Mängel, verehrungswürdiger Streifschütz, wo ich immer gerne große und glückliche Aenderungen an Hand geben würde. Zum Beispiel in meiner Phalangacru – –«
»Greuelhaft genug würden die Aenderungen sein, die von so armen Händen kämen, wie Eure. Eine Berührung von solch einem Finger würde die Mißgestalt eines Affen gefährden. Geht, geht, menschliche Thorheit braucht den großen Plan Gottes nicht auszuführen. Es gibt keine Gestalt, keine Schönheit, kein Verhältniß, keine Farbe, die den Menschen schmücken könnte, welche nicht schon für ihn angewandt worden.«
»Da berühren wir eine zweite große und sehr bestrittene Frage,« rief der Doctor, der jeden klaren Gedanken ergriff, den der feurige und etwas absprechende Alte ihm darbot, bloß in der Hoffnung, er werde eine logische Discussion dadurch bewirken, worin er seine Schlußbatterieen aufführen könnte, um die wenig wissenschaftlichen Vertheidigungen seines Gegners in den Grund zu schießen.
Es ist jedoch für unsere Erzählung unnöthig, die abschweifende Unterredung, welche folgte, wiederzugeben. Der Alte wich den vernichtenden Schlägen seines Gegners aus, wie der leichtbewaffnete Soldat die Bemühungen eines mehr regelmäßig ausgerüsteten Kriegers gerade dann vereitelt, wenn er am meisten gedrängt wird; und eine Stunde ging vorüber, ohne daß sie einen der zahlreichen Gegenstände, die sie berührten, zu einem genügenden Schluß brachten. Doch wirkten die Beweise auf des Doctors Nervensystem, wie eben so viel einschläfernde Mittel, und als sein bejahrter Gefährte sein Haupt auf seinen Pack niederlegte, hatte sich Obed durch diesen Wortkampf so erquickt, daß er in einem Zustand war, sich dem Schlaf zu überlassen, ohne die Qualen des Alps in der Gestalt eines Tetonkriegers mit blutigem Tomahawk zu erdulden.