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– Und wenn du so nun stehst
Als Angeklagter vor'm Gericht der blinden
Gerechtigkeit, wer hört dein Wort dann?
Cotton.
Der Possenreißer und der Pilger erschienen, obgleich ihr Aeußeres wohl Mißtrauen einflößen konnte, mit der Zuversicht und der Ruhe der Unschuld vor den Richtern. Ihr Verhör war kurz, denn ihre Auskunft über ihr Thun war klar und zusammenhängend. Auch trugen Einzelnheiten, welche den Mönchen bekannt waren, mit dazu bei, die Ueberzeugung herbeizuführen, daß sie an dem Morde keinen Theil gehabt. Sie hatten das Thal unten einige Stunden vor der Ankunft des Jacques Colis verlassen und müde und matt, wie gewöhnlich alle, die diesen langen und beschwerlichen Weg herauf kamen, kurz nach dem Ausbruch des Sturmes das Kloster erreicht. Während der Zeit, welche man auf die Ankunft des Landvogts und des Gerichtsherrn warten mußte, waren von den Ortsbehörden Maßregeln getroffen worden, auch die unbedeutendsten Thatsachen festzustellen, welche auf die Spur der Wahrheit leiten konnten, und auch die Ergebnisse dieser Nachforschungen waren den beiden Wanderern günstig gewesen, deren landstreicherischer Charakter sie sonst sehr mit Grund in Verdacht hätte bringen können.
Der zungenfertige Pippo war der Hauptsprecher in dem kurzen Verhöre, und er gab seine Antworten mit großer Freimüthigkeit, welche unter diesen Umständen ihm und seinem Gefährten trefflich zu statten kam. Der Possenreißer hatte, so sehr er an List und Trug gewöhnt war, gesunden Verstand genug, um die mißliche Lage, in welcher er sich befand, einzusehen und zu begreifen, daß es klüger sei, aufrichtig zu sein, als seinen Zweck durch irgend einen seiner gewöhnlichen Ränke erreichen zu wollen. Er antwortete daher dem Richter mit einer Einfachheit, welche sein gewöhnliches Thun nicht erwarten ließ, und mit einem Ausdruck von Gefühl, welcher seinem Herzen Ehre machte.
»Diese Freimüthigkeit kömmt dir zu gut,« setzte der Gerichtsherr hinzu, als er seine Fragen beinahe erschöpft und die Antworten ihn überzeugt hatten, den zufälligen Umstand abgerechnet, daß sie mit dem Ermordeten auf demselben Wege reisten, sei kein Verdachtsgrund vorhanden: »sie hat viel dazu beigetragen, mich von deiner Unschuld zu überzeugen, und ist im Allgemeinen der beste Schirm für die, welche keine Verbrechen begangen haben. Ich wundere mich nur, daß jemand deines Charakters so viel Verstand gehabt hat, sie zu zeigen.«
»Erlaubt mir, Euch zu sagen, Signor Castellano, oder Podesta, oder welches Eurer Eccellenza eigentlicher Titel sein mag, daß Ihr Pippo den Verstand nicht zutraut, den er wirklich hat. Es ist wahr, ich lebe davon, Staub in der Leute Augen zu streuen und andere glauben zu machen, Schwarz sei Weiß; aber die Natur hat uns allen eine Einsicht in unsere Interessen gegeben, und die meinige reicht weit genug, um Euch zu lehren, wann die Wahrheit besser ist als die Lüge.«
»Hätten doch alle dieselbe Einsicht und denselben guten Willen, davon Gebrauch zu machen.«
»Ich habe die Anmaßung nicht, einen so erfahrenen und weisen Mann, wie die Eccellenza, etwas lehren zu wollen; wenn aber ein niederer Mann in dieser ehrenwerthen Gesellschaft frei sprechen dürfte, würde er sagen, es sei nicht gewöhnlich eine Thatsache anzutreffen, ohne zu finden, daß sie die nahe Nachbarin einer Lüge ist. Die gelten für die Weisesten und Tugendhaftesten, welche diese beiden so künstlich zu mischen wissen, daß das Schmackhafte den nützlichen Eingang verschafft, wie man bittern Arzneien Süßigkeiten beifügt. Dies ist wenigstens die Ansicht eines armen Straßen-Possenreißers, der keine bessern Ansprüche auf Verdienst hat, als daß er seine Kunst auf dem Molo und in der Toledo der belissima Napoli gelernt hat, die, wie jedermann weiß, ein auf die Erde gefallenes Stückchen Himmel ist!«
Der Eifer, mit welchem Pippo das herkömmliche Lob auf die Schönheit der alten Parthenope vorbrachte, war so natürlich und charakteristisch, daß er dem Richter, trotz der ernsten Pflicht, der er eben oblag, ein Lächeln abnöthigte und des Sprechers Unschuld noch mehr zu erhärten schien. Der Richter wiederholte nun seinen Nachbarn bedächtig die Geschichte des Possenreißers und des Pilgers, deren Inhalt folgender war.
Pippo gab unbefangen das Zechgelag zu Vevay zu und führte die Festlichkeiten des Tages und die bekannte Gebrechlichkeit des Fleisches als die zwei wirkenden Ursachen auf. Konrad jedoch behauptete die Reinheit seines Wandels und den geheiligten Charakter seines Berufs und rechtfertigte die Gesellschaft, in welcher er war, mit der rücksichtswerthen Entschuldigung der Nothwendigkeit und mit der der Demüthigungen, welchen eine Pilgerschaft mit Recht dem unterwirft, der sie unternimmt. Sie hatten am Abend des festlichen Tages Vevay miteinander verlassen, und von dieser Zeit an bis zu dem Augenblick ihrer Ankunft in dem Kloster ihre Füße wacker gebraucht, um den Col zu überschreiten, ehe der Schnee käme und den Weg gefährlich machte. Sie waren zu Martigny, zu Liddes und St. Pierre allein und in den rechten Stunden eifrig dem Hospiz zuwandernd gesehen worden; und obgleich natürlich ihr Thun mehrere Stunden nach ihrem Abgang von dem letztern Orte allein Ihm bekannt war, dessen allsehendes Auge zumal die Schluchten der Alpen und die besuchteren Pfade überschaut, so war doch ihre Ankunft in der Wohnung der Mönche zeitig genug, um glauben zu lassen, kein Theil der zwischenliegenden Zeit sei unterwegs vergeudet worden. So weit war ihre Auskunft über sich selbst und ihr Thun deutlich, während andrerseits nicht eine einzige Thatsache vorhanden war, welche sie mehr verdächtigte, als alle, welche zufällig in dem Augenblick, wo das Verbrechen begangen wurde, auf dem Berge waren.
»Die Unschuld dieser zwei Menschen scheint so klar und ihre Bereitwilligkeit zu erscheinen und auf unsere Fragen zu antworten, spricht so sehr zu ihren Gunsten,« bemerkte der erfahrene Richter, »daß ich es nicht für billig erachte, sie länger hier zu halten. Besonders hat der Pilger einen wichtigen Auftrag; ich höre er thut für andere und sich zumal Buße und es geziemt uns, die wir Rechtgläubige und Verehrer der Kirche sind, kaum, ihrer Abreise Hindernisse in den Weg zu legen. Ich schlage daher vor, ihm wenigstens zu gestatten, seine Reise fortzusetzen.«
»Da wir dem Schlusse der Untersuchung nahe sind,« fiel Signor Grimaldi ernst ein, »scheint es mir, indem ich mich jedoch einer bessern Ansicht und längerer Erfahrung gebührend füge, geeignet, daß Alle bleiben, uns selbst nicht ausgenommen, bis wir der Wahrheit näher auf den Grund gekommen sind.«
Pippo und der Pilger erklärten sich auf diesen Vorschlag willig und bereit, bis zum nächsten Morgen in dem Kloster zu bleiben. Dieses kleine Zugeständniß hatte jedoch kein großes Verdienst, denn die späte Zeit machte es unklug, sofort abzureisen und man schloß damit, daß man ihnen befahl abzutreten und ihnen bemerkte, wenn sie nicht wieder vorgefordert würden, könnten sie mit dem Wiedererscheinen des Tages abreisen. Maso war der nächste und letzte, der zum Verhöre kam.
Il Maledetto erschien mit vollkommener Festigkeit und Entschlossenheit. Er war von Nettuno begleitet, da die Klosterhunde während der Nacht eingesperrt worden. Der Hund pflegte in der letzten Zeit bei Tag in dem Geklüft umherzustreifen und Abends in das Kloster zurückzukehren, um sich Nahrung zu suchen, da der öde St. Bernhardsberg zum Unterhalt von Menschen und Thieren durchaus nichts bot, als was die Freigebigkeit der Mönche reichte, daher kein Thier, die Gemse und den Lämmergeier ausgenommen, die Region ewigen Schnee's besuchte. In seinem Herrn jedoch fand Nettuno einen treuen Freund, der seine Mahlzeit stets mit ihm theilte, denn das treue Thier durfte seine periodischen Besuche in dem zeitlichen Gewahrsam, in welchem sich Maso befand, abstatten.
Der Gerichtsherr wartete einen Augenblick, bis die kleine Bewegung, die durch den Eintritt des Gefangenen veranlaßt worden, sich gelegt hatte, und setzte dann sein Verhör fort.
»Du bist ein Genueser und heißt Tomaso Santi?« fragte er, auf seine Notizen blickend.
»Unter diesem Namen bin ich allgemein bekannt, Signor.«
»Du bist ein Seemann, und wie ich höre, ein muthiger und geschickter. Warum hast du dir den häßlichen Beinamen Il Maledetto gegeben?«
»Die Menschen nennen mich so. Es ist ein Unglück, aber kein Verbrechen, verflucht zu sein.«
»Wer so bereit ist, über sein Loos zu spotten, sollte nicht erstaunt sein, wenn andere glauben, er verdiene sein Schicksal. Wir haben einige Kunde von dir in Wallis; man sagt, du seist ein Schleichhändler.«
»Dies kann Wallis und seine Regierung nicht beunruhigen, da alle in diesem freien Lande ungefragt kommen und gehen.«
»Es ist wahr, wir ahmen unsern Nachbarn nicht in allen ihren Aufsichtsmaßregeln nach; aber wir sehen die auch nicht gern so oft, welche die Gesetze befreundeter Staaten bei Seite setzen. Warum reisest du auf dieser Straße?«
»Signor, wenn ich bin, was ihr sagt, so ist der Grund meines Hierseyns deutlich genug. Wahrscheinlich geschieht es darum, weil die Lombarden und Piemonteser gegen den Fremden härter verfahren, als ihr in den Bergen.«
»Deine Habseligkeiten sind untersucht worden und enthalten nichts, das einen Verdacht erregt. Allem Anschein nach kannst du dich eines großen Antheils an den Gütern des Lebens nicht rühmen, Maso; trotz dem jedoch haftet der Name auf dir.«
»Nun, Signor, das ist gewöhnlich die Laune der Welt. Wenn man eine Eigenschaft in einem Manne zu finden glaubt, so kann er gewiß seyn, daß man ihm mehr als seinen Antheil daran beimißt, mag es nun für oder gegen sein Interesse seyn. Des reichen Mannes Gulden wird von den Zungen des Pöbels leicht in eine Zechine umgeprägt, während der Arme sich glücklich schätzen kann, wenn er die Münze einer Silbermark für ein Loth des bessern Metalls erhält. Selbst der arme Nettuno findet es schwer, hier in dem Kloster sein Leben zu fristen, weil einiger Unterschied in Fell und Instinkt ihm einen bösen Namen bei den Hunden des St. Bernhard gemacht hat.«
»Deine Antwort stimmt mit deinem Charakter überein; du sollst mehr Witz als Ehrlichkeit besitzen, Maso, und man schildert dich als einen Mann, der einen verzweifelten Entschluß fassen und im Nothfall ausführen kann.«
»Ich bin, wie der Himmel es bei meiner Geburt wollte, Signor Castellano, und wie der Wechsel eines sehr geschäftigen Lebens dem Werke sein letztes Siegel aufdrückte. Daß es mir im Nothfall nicht an männlichen Eigenschaften fehlt, werden diese edeln Reisenden vielleicht gern bezeugen, wenn sie einiger Thätigkeit eingedenk sein wollen, die ich auf dem Leman gezeigt haben mag, als sie neulich dieses gefährliche Wasser beschifften.«
Obgleich dies ganz gleichgültig gesagt wurde, so war doch der Anruf an die Erinnerung und Dankbarkeit derer, denen er nützlich geworden, zu bestimmt, um überhört zu werden, und Melchior von Willading, der fromme Schlüsselmeister und Signor Grimaldi zeugten alle zu Gunsten des Gefangenen und gaben offen zu, daß ohne seine Besonnenheit und Geschicklichkeit der Winkelried und alle, welche er enthielt, ohne Rettung verloren gewesen wären. Sigismund war mit einer so kalten Darlegung seiner Gefühle nicht zufrieden. Er dankte nicht nur das Leben seines Vaters und sein eignes dem Muthe Maso's, sondern auch das einer ihm theurern als alle; einer, deren Rettung seiner jugendlichen Phantasie ein Dienst schien, welcher jedes Verbrechen beinahe aufwog und seine Dankbarkeit war demgemäß.
»Ich will Angesichts dieses und jeden Gerichtes dein Verdienst, Maso, kräftiger bezeugen,« sagte er, die Hand des Italieners fassend. »Jemand, der so viel Kühnheit und eine so große Liebe zu seinen Mitmenschen zeigte, kann schwerlich heimlich und wie ein Feigling morden. Du kannst in dieser Noth auf mein Zeugnis bauen – wenn du dieses Verbrechens schuldig bist, wer kann hoffen, unschuldig zu sein!«
Maso erwiederte den freundlichen Händedruck, bis ihre Finger in einander verwachsen schienen. Auch sein Auge zeigte, daß er nicht ohne kräftiges, natürliches Mitgefühl war, obgleich Erziehung und Gewohnheit es seiner rechten Richtung entfremdet haben mochten. Trotz seiner Anstrengung, die Schwäche zu unterdrücken, brach eine Thräne aus seinem Auge und rollte die sonnverbrannte Wange herab, wie ein einsames Bächlein durch eine öde, rauhe Wüste rieselt.
»Das ist freimüthig und wie es einem Soldaten ziemt, Signore,« sagte er, »und ich nehme es auf, wie es geboten wird, in Liebe und Innigkeit. Aber wir wollen auf den Vorfall auf dem See nicht mehr Gewicht legen, als er verdient. Dem scharfblickenden Gerichtsherrn braucht man nicht erst zu sagen, daß ich euch nicht nützlich werden und euer Leben retten konnte, ohne mein eigenes zu retten, und wenn ich den Ausdruck seines Auges recht verstehe, ist er im Begriff zu sagen, wir zeigten, wie das wilde Land hier, in welchem uns der Zufall zusammenführte, unsere Stellen reicher Fruchtbarkeit abwechselnd mit vielen unfruchtbaren Felsen und derjenige, der heute eine gute That vollbringe, könnte sich vergessen und sich morgen eines Frevels schuldig machen.«
»Du gibst allen, die dich hören, Grund zu bedauern, daß deine Lebensbahn dir und der Welt nicht gedeihlicher ward,« antwortete der Richter; »wer so richtig denkt und eine so klare Einsicht in seinen Charakter hat, irrt weniger aus Unwissenheit als aus Leichtsinn.«
»Hier thut Ihr mir Unrecht, Signor Castellano, und meßt den Gesetzen mehr bei, als sie verdienen. Ich läugne es nicht, daß die Gerechtigkeit – oder was man Gerechtigkeit nennt – und ich einigermaßen Bekannte sind. Ich habe manches Gefängniß bewohnt, ehe ich das betrat, welches mir die frommen Mönche anwiesen, und ich habe jede Stufe der Laufbahn eines Taugenichts kennen gelernt, von dem an, der bei seinem ersten Vergehen noch bebt und schwere Träume hat und glaubt, jeder Stein seiner Zelle habe ein Auge, das ihn anklage, bis zu dem, der nicht sobald einen Frevel begangen hat, als er ihn auch schon in dem Wunsche vergißt, Mittel zu finden, einen neuen zu begehen; und ich rufe den Himmel zum Zeugen auf, daß durch die, welche sich Diener der Gerechtigkeit nennen, mehr geschieht, dem Neuling auf der Bahn des Lasters vorwärts zu helfen, als durch dessen eigene natürliche Gebrechlichkeit, durch den Mangel an Grundsätzen oder die Gewalt seiner Leidenschaften. Laßt den Richter eines Vaters Milde fühlen, gebt den Gesetzen jene reine Gerechtigkeit, die keine Ränke verdrehen, und laßt die Gesellschaft werden, was sie zu sein Ansprüche macht, eine Vereinigung zu gegenseitiger Unterstützung, und ich setze mein Leben daran, Euer Amt, Herr Richter, wird den größten Theil seiner Last und seine ganze Bedrückung verlieren.«
»Diese Sprache ist kühn und grundlos zumal. Laß uns wissen, Maso, wie du Vevay verlassen, welchen Weg du genommen, wann du die verschiedenen Dörfer durchzogen hast und warum man dich allein in der Nähe der Zuflucht gefunden hat; sodann, warum du die, mit welchen du die Nacht hinbrachtest, so früh und so heimlich verlassen hast?«
Der Italiener hörte aufmerksam auf diese verschiedenen Fragen; als der Richter sie vorgelegt, begann er sie ernst und ruhig zu beantworten. Die Geschichte seiner Abreise von Vevay, sein Erscheinen zu St. Maurice, Martigny, Liddes und St. Pierre stimmte vollkommen mit den Nachrichten überein, welche die Behörden gesammelt hatten. Er hatte die letzte Wohnung allein und zu Fuß, ungefähr eine Stunde vor dem einsamen Reiter, verlassen, der, wie man nun wußte, Jacques Colis war; man hatte ihn denselben Weg einschlagen sehen und er gab zu, daß ihn der letztere eingeholt, als er eben das obere Ende der Ebene des Vélan erreicht hatte, wo sie, obgleich in einer bedeutenden Entfernung und bei zweifelhaftem Lichte, von den Reisenden in Pierre's Geleite gesehen worden waren.
So weit war die Auskunft, welche Maso von sich gab, in vollkommenem Einklang mit dem, was dem Richter bereits bekannt war; nach der Wendung um den in einem frühern Kapitel erwähnten Felsen jedoch war alles in Dunkel gehüllt, mit Ausnahme der Vorfälle, welche in unserer Erzählung berichtet worden sind. Der Italiener fügte im Verlaufe seiner Auseinandersetzung noch zu, er habe sich bald von seinem Gefährten getrennt, da dieser, ungeduldig und in dem Wunsche, das Kloster vor Anbruch der Nacht zu erreichen, sein Maulthier zu größerer Eile gedrängt habe, während er selbst sich ein wenig vom Wege entfernte, um auszuruhen und einige Vorbereitungen zu machen, die er für nöthig erachtete, ehe er sich dem Kloster näherte.
Diese ganze kurze Geschichte wurde mit derselben Fassung vorgebracht, wie sie eben Pippo und der Pilger gezeigt hatten, und keiner der Anwesenden konnte die geringste Unwahrscheinlichkeit oder den entferntesten Widerspruch in der Erzählung auffinden. Das Zusammentreffen mit den andern Reisenden während des Sturmes schrieb Maso dem Umstande, daß sie, während er geruht, an ihm vorbeigekommen, und seiner größern Eile zu, als er sich wieder auf den Weg gemacht, zwei Angaben, welche eben so viel Wahrscheinliches hatten, als seine übrigen Aussagen. Er hatte die Zuflucht bei dem ersten Dämmerstrahl verlassen, weil er sich verspätet und die Absicht hatte, Aosta am Abend zu erreichen, eine Anstrengung, die nothwendig war, um den Zeitverlust einzubringen.
»Dies mag wahr sein,« begann der Richter wieder; »aber wie rechtfertigst du deine Armuth? Aus der Untersuchung deiner Habe geht hervor, daß deine Lage wenig besser, als die eines Bettlers ist. Selbst deine Börse ist leer, obgleich es bekannt ist, daß du mit den Einkünften aller der Staaten, wo Eingangszölle sind, ein glückliches und verzweifeltes Spiel treibst?«
»Wer am höchsten spielt, Signore, wird am leichtesten ausgebeutelt. Was ist Neues oder Unerwartetes darin, daß ein Schleichhändler um seinen Erwerb kommt?«
»Dies ist eher wahrscheinlich, als überzeugend. Man hat dich als einen Menschen bezeichnet, der Arbeiten der Genfer Juweliere in die Nachbarstaaten zu schmuggeln pflegt und man weiß, daß du aus dem Hauptquartiere dieser Künstler kommst. Dein Verlust muß ungewöhnlich gewesen sein, daß du so ganz entblößt bist. Ich fürchte sehr, ein unergiebiger Versuch in deinem gewöhnlichen Gewerbe habe dich angespornt, den Verlust durch den Mord dieses unglücklichen Mannes zu ersetzen, der mit Gold und auch, wie es scheint mit einem werthvollen Vorrath von Kleinodien versehen, seine Heimath verließ. Die Einzelnheiten sind genau in diesem geschriebenen Verzeichnisse seiner Habseligkeiten erwähnt, welches der ehrenwerthe Landvogt von seinen Verwandten mitgebracht hat.«
Maso stand schweigend und in sich verloren da. Er bat dann, daß außer den vornehmen Reisenden, den Mönchen und den Richtern alle die Kirche verlassen möchten. Diese Bitte wurde bewilligt, da man erwartete, er werde ein wichtiges Bekenntniß ablegen, wie dies in gewissem Grade auch wirklich der Fall war.
»Wenn ich mich der Beschuldigung der Armuth entledige, Signor Castellano,« fragte er, als die Untergeordneteren die Kirche verlassen hatten – »werdet Ihr mich dann von der Anklage des Mordes freisprechen?«
»Dies nicht; aber du wirst einen der Hauptgründe der Versuchung entfernen, und dabei kannst du nur gewinnen, denn wir wissen, daß Jacques Colis beraubt und ermordet worden ist.«
Maso schien abermals mit sich zu Rath zu gehen, wie wohl jemand nachdenkt, ehe er einen Schritt thut, von dem seine Zukunft abhängen kann. Sich aber, wie ein Mann von rascher Thatkraft, plötzlich entscheidend, rief er Nettuno, setzte sich auf die Stufen eines der Seitenaltäre und begann mit Besonnenheit und großem Ernste sein Geheimniß zu enthüllen. Einen Theil der langen, zottigen Haare des Hundes zurücklegend, zeigte Il Maledetto den aufmerksamen und neugierigen Zuschauern, daß ein Ledergürtel sinnreich um den Leib des Thieres, zunächst seiner Haut, angebracht war. Er war so geschickt verborgen, daß er den Blicken aller derer gänzlich entzogen war, welche nicht genauer nachforschten, ein Unternehmen, das Nettuno, nach den sauern Blicken, die er der Mehrzahl der Anwesenden zuwarf und nach der Art, wie er seine Zähne wieß, einem Fremden nicht so leicht erlaubt haben würde. Der Gürtel wurde geöffnet, und Maso ließ einen glänzenden Halsschmuck von kostbaren Steinen, in welchen Rubinen und Smaragde mit andern Edelsteinen von Werth wetteiferten, nicht ohne die Koketterie eines Juwelenhändlers im grellen Lichte der Lampe spielen.
»Hier seht ihr die Frucht eines Lebens voll Gefahren und Wagnissen, Herr Richter,« sagte er: »wenn meine Börse leer ist, so sind die jüdischen Kalvinisten von Genf daran schuld, welche mir den letzten Heller für das Kleinod abnahmen.«
»Dies ist ein Schmuck von seltener Schönheit und ungemeinem Werthe, den man hier in dem Besitze eines Mannes deiner Art sieht,« rief der genügsame Walliser.
»Signore, er kostet hundert Dublonen reinen Goldes und vollen Gewichts, und um den Gewinn von fünfzig Dublonen bin ich bestimmt worden, ihn für einen jungen Mailänder zu kaufen, der die Gebieterin seines Herzens durch das Geschenk zu gewinnen hofft. Meine Geschäfte standen in Folge mehrfacher Beschlagnahme und Verluste schlecht und ich unternahm den Ankauf in der Hoffnung eines schnellen und großen Gewinns. Da hier nichts gegen die Gesetze von Wallis anstößt, wird man mich meine Freimüthigkeit nicht bereuen lassen, Herr Richter. Wer im Besitze dieses Schmuckes ist, wird doch wohl um der Kleinigkeit willen, die Jacques Colis bei sich getragen haben mag, kein Blut vergießen.«
»Du hast mehr,« bemerkte der Richter; »laß uns alles sehen, was du hast.«
»Nicht eine Nadel, nicht einen werthlosen Granat habe ich weiter.«
»Nein, ich sehe den Gürtel unter dem Haar des Hundes.«
Maso war überrascht oder spielte die Rolle des Erstaunten trefflich. Nettuno lag so, daß sein Herr den Gürtel bequem lösen konnte, und da der letzte die Absicht hatte, ihn wieder zu befestigen, war das Thier ruhig in derselben Lage geblieben, ein Umstand, der den Gerichtsherrn in den Stand setzte, den eben erwähnten Gegenstand zu entdecken.
»Signore,« sagte der Schleichhändler erblassend aber bemüht, leichthin von einer Entdeckung zu sprechen, welche alle andern Anwesenden sichtbar als sehr bedeutend ansahen – »es scheint, der Hund, der gewöhnt ist, dergleichen kleine Dienste für seinen Herrn zu übernehmen, ist durch den glücklichen Erfolg versucht worden, ein Geschäft auf seine eigene Rechnung einzugehen. Bei meinem Schutzheiligen und der Jungfrau! ich weiß nichts von diesem zweiten Kaufe!«
»Scherze nicht, sondern löse den Gürtel, sonst laß ich dein Thier binden, damit es durch andere geschieht,« befahl der Gerichtsherr ernst.
Der Italiener fügte sich, aber mit einem Widerwillen, der zu seinem Nachtheil allzu sichtbar war. Als er den Gürtel gelößt hatte, reichte er ihn mürrisch dem Walliser. Dieser zerschnitt das Tuch und legte zehn bis fünfzehn verschiedene Gegenstände von Werth auf den Tisch. Die Zuschauer sammelten sich neugierig um den Platz, während der Richter eifrig in dem geschriebenen Verzeichnisse der Habe des Ermordeten nachsah.
»Ein Brillantring mit einem Smaragd von Werth, die Fassung von getriebener Arbeit und schwer,« las der Walliser.
»Danke Gott, er ist nicht hier,« rief der Signor Grimaldi. »Man darf wünschen, dieser wackere Seemann möchte unschuldig an dieser blutigen That sein!«
Der Gerichtsherr glaubte, er sei einem Geheimniß auf der Spur, das ihn in Verlegenheit zu setzen anfing, und da wenige so wahrhaft menschlich fühlen, daß sie das Wohl eines Andern dem Gelingen ihrer Absichten vorziehen, hörte er sowohl die ersten als auch die letzten Worte mit einem mürrischen Blicke.
»Ein Kreuz von Türkis, zwei Zoll lang, mit Perlen von geringem Werthe dazwischen,« fuhr der Richter fort.
Sigismund seufzte und wandte sich von dem Tisch weg.
»Leider entspricht dies hier der Beschreibung zu gut,« sagte Signor Grimaldi langsam und mit sichtbarem Schmerze.
»Laßt es messen,« begehrte der Gefangene.
Dies geschah und das Maß entsprach dem angegebenen vollkommen.
»Armbänder mit Rubinen, die Steine unterlegt, sechs an der Zahl,« fuhr der methodische Richter fort, dessen Augen jetzt triumphirend glänzten.
»Diese fehlen,« rief Melchior von Willading, der, wie alle andere, die auf dem Schiffe waren, das lebhafte Interesse an Maso's Schicksal nahm. »Juwelen dieser Art sind nicht hier.«
»Laß hören, was folgt, Herr Bourrit,« fiel Peterchen ein, sich der siegreichen Parthei zuneigend, »laß uns das folgende hören, ich bitte!«
»Eine Amethystnadel, der Stein aus unsern Bergen, unterlegt, und von der Größe des achten Theils eines Zolles; die Form oval.«
Sie lag auf dem Tische, es blieb kein Zweifel. Alle übrigen Stücke, vorzüglich Ringe mit Steinen von geringerm Werthe, wie Jaspis, Türkisse und Topase wurden verglichen und entsprachen der Vergleichung des Juweliers vollkommen, welcher sie am Abend des Festes Jacques Colis verkauft hatte, als dieser, mit der Anschläglichkeit eines Schweizers, sein Geld auf diese Art anlegte, um so die Kosten seiner beabsichtigten Reise zu vermindern.
»Es ist ein Rechtsgrundsatz, Unglücklicher,« bemerkte der Gerichtsherr, die Brille abnehmend, welche er, um das Verzeichniß zu lesen, aufgesetzt hatte, »daß geraubte Gegenstände gegen den zeugen, in dessen Besitz sie gefunden werden, wenn er keine hinreichende Auskunft geben kann, wie er in den Besitz derselben gekommen. Was hast du in dieser Hinsicht vorzubringen?«
»Keine Sylbe, Signore! Ich muß euch und alle andere auf den Hund verweisen, der allein über diesen Tand Auskunft geben kann. Es ist klar, daß man mich in Wallis wenig kennt, denn Maso gibt sich nicht mit so unbedeutenden Kleinigkeiten ab, wie diese.«
»Die Ausflucht wird dir nichts helfen, Maso; du scherzest, wo es sich um Leben und Tod handelt. Willst du dein Verbrechen bekennen, ehe wir zum Äußersten schreiten?«
»Es ist wahr, ich bin lange in offenem Zwiste mit dem Gesetze gewesen, Signor Castellano, wenn Ihr es so wollt; aber ich bin an dieses Mannes Tod so unschuldig, wie der edle Freiherr von Willading. Ich gestehe auch offen, daß die Genueser Behörden mich wegen eines geheimen Verständnisses im Auge haben, in welchem die Republik mit ihren alten Feinden, den Savoyarden, steht; aber es handelt sich dabei von Gewinn, nicht von Blut. Ich habe wohl auch getödtet, Signore, aber es geschah im ehrlichen Kampfe, die Sache mag gerecht oder ungerecht gewesen sein.«
»Es liegt bereits genug gegen dich vor, um den Gebrauch der Folter zu rechtfertigen, um das Uebrige zu erfahren.«
»Nun ich sehe keine Nothwendigkeit dazu,« bemerkte der Landvogt. »Dort ist der Todte, hier sind seine Habseligkeiten, und da steht der Schuldige. Wie mir dünkt, fehlen nur noch die Formen, um sogleich das Beil in Anwendung zu bringen.«
»Unter allen sündigen Vergehen gegen Gott und die Menschen,« begann der Walliser wieder wie jemand, der im Begriff ist, ein Urtheil auszusprechen – »ist das, welches eine lebendige Seele, unvorbereitet, ohne Beicht und Absolution, mit allen ihren Sünden auf ihr, in einen andern Zustand und in die hehre Gegenwart des allmächtigen Richters fördert, das schwerste und darf von dem Gesetz nie übersehen werden. Du hast nicht viel zu deiner Entschuldigung, Thomaso Santi, denn deine Erziehung war weit über deine Lage und du hast deiner Vernunft und dem entgegen, was dir in der Jugend gelehrt wurde, ein lasterhaftes und wüstes Leben geführt. Du hast daher nicht viel zu hoffen, denn der Staat, dem ich diene, liebt vor allem die Gerechtigkeit in ihrer ganzen Reinheit.«
»Wacker gesprochen, Herr Bourrit,« rief der Landvogt, »und auf eine Weise, welche die Reue wie einen Dolch in des Verbrechers Seele schleudern muß. Was man in Wallis denkt und spricht, hallt in der Waadt zurück und ich wünschte nicht, daß irgend jemand, der mir werth ist, in deinen Schuhen stände, Maso, für die Ehren des Kaisers.«
»Signori, ihr habt beide gesprochen und ihr spracht wie Männer, die das Glück von Kindheit auf begünstigte. Es wird denen, die im Glücke leben, leicht, in allem, was sich auf Gold bezieht, ehrlich zu sein, obgleich ich – bei dem Lichte in der gebenedeiten Jungfrau Maria Antlitz! – glaube, das Gold wird mehr von denen, die viel haben, als von den arbeitsamen und abgehärteten Armen ersehnt. Ich bin mit dem, was die Menschen Gerechtigkeit nennen, nicht ganz unbekannt und weiß ihre Beschlüsse nach Verdienst zu ehren und zu würdigen. Die Gerechtigkeit, Signori, ist des Schwachen Geisel und des Starken Schwert; sie ist für den einen ein Brust- und Rückenschild, und eine Waffe, die der andere pariren muß. Kurz, sie ist ein Wort von hoher Bedeutung auf der Zunge, und von sehr ungleicher Anwendung durch die That.«
»Wir überhören deine Sprache in Erwägung des Zustandes, in welchen dich deine Verbrechen geführt haben, unglücklicher Mann, obgleich sie deine Vergehungen noch erschwert, da sie beweist, daß du zumal gegen dich und uns gesündigt hast. Wir müssen es dabei bewenden lassen; der Scharfrichter und die übrigen Reisenden können frei gegeben werden; den Italiener übergeben wir den Ketten.«
Maso hörte den Befehl ohne Unruhe, obgleich er einen heftigen Kampf mit sich zu kämpfen schien. Er schritt in der Kirche rasch auf und ab und murmelte etwas zwischen seinen Zähnen. Seine Worte waren nicht verständlich, obgleich ihr Sinn augenscheinlich sehr bedeutungsvoll war. Endlich stand er plötzlich still, wie jemand, der seinen Entschluß gefaßt hat.
»Diese Sache wird ernsthaft,« sagte er; »sie läßt kein ferneres Zaudern zu. Signor Grimaldi, heißt Alle die Kirche verlassen, in deren Verschwiegenheit Ihr nicht das vollkommenste Vertrauen setzt.«
»Ich sehe niemand, dem ich mißtrauen müßte,« antwortete der überraschte Genueser.
»Dann will ich sprechen!«