James Fenimore Cooper
Der Pfadfinder
James Fenimore Cooper

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Sechstes Kapitel

Als der Häuptling ans Land gestiegen war und mit dem Pfadfinder zusammentraf, redete dieser ihn in der Sprache seines Volkes an.

»War es wohlgetan, Chingachgook«, sagte er vorwurfsvoll, »sich gegen ein Dutzend Mingos ganz allein in einen Hinterhalt zu legen? 's ist zwar wahr, mein Wildtod fehlt selten, aber der Oswego ist breit, und dieser Schuft zeigte wenig mehr als Kopf und Schultern überm Gebüsch, und eine ungeübte Hand und ein unsicheres Auge hätt' ihn leicht fehlen können. Du solltest das bedacht haben, Häuptling!«

»Schlange ist ein mohikanischer Krieger und sieht nur die Feinde, wenn er auf seinem Kriegspfad ist. Seine Väter haben ihre Feinde im Rücken angegriffen, seit die Wasser zu fließen begannen.«

»Ich kenne deine Gaben und habe alle Achtung davor. Kein Mensch wird mich klagen hören, daß eine Rothaut der Rothautnatur treu bleibt; aber Klugheit ziemt einem Krieger so gut wie Tapferkeit, und hätten nicht diese Irokesenteufel auf ihre Freunde im Wasser gesehen, so möchten sie dir wohl heiß genug auf die Fährte gekommen sein.«

»Was hat der Delaware vor?« rief Jasper, der in diesem Augenblick bemerkte, daß der Häuptling plötzlich den Pfadfinder verließ und gegen den Rand des Wassers ging, anscheinend mit der Absicht, wieder in den Fluß zu steigen. »Er wird doch nicht so toll sein, wieder an das andere Ufer zurückzukehren, vielleicht um einer Kleinigkeit willen, die er vergessen hat?«

»Nein, gewiß nicht; er ist im Grunde so klug wie tapfer, obgleich er sich in seinem letzten Hinterhalt vergessen hat. Hört, Jasper –« er führte den anderen ein wenig auf die Seite, als man gerade den Indianer in das Wasser springen hörte: »Hört, Junge; Chingachgook ist kein Christ, kein weißer Mann wie wir, sondern ein mohikanischer Häuptling, der seine eigenen Gaben hat. Und wer sich zu Männern gesellt, die nicht so ganz von seiner Art sind, tut gut, sie der Leitung ihrer Natur und Gewohnheit zu überlassen.«

»Was soll das bedeuten? – Seht, der Delaware schwimmt auf den Körper zu, der dort am Felsen hängt. Warum begibt er sich in diese Gefahr?«

»Um der Ehre und des Ruhmes willen!«

»Ich verstehe. Er will sich den Skalp holen.«

»In den Augen einer Rothaut erscheint dies als ehrenhaft.«

»Ein Wilder bleibt ein Wilder, Pfadfinder, mag er in was immer für einer Gesellschaft leben.«

»Wir haben da gut reden, Junge; aber die Ehre des Weißen steht gleichfalls nicht immer im Einklang mit der Vernunft und dem Willen Gottes.«

»Er setzt sich bei diesem Skalpholen der größten Gefahr aus. Es kann uns den Tag verlieren.«

»Wie er's betrachtet, nicht, Jasper. Dieser einzige Skalp gereicht ihm nach seinen Begriffen zu größerer Ehre, als ein ganzes Feld voll Erschlagener, die ihre Haare auf dem Kopf haben. Da hat der feine junge Kapitän vom Sechzigsten beim letzten Gefecht mit den Franzosen sein Leben dem Versuch geopfert, einen feindlichen Dreipfünder zu nehmen, wobei er sich auch Ehre zu erwerben hoffte; dann hab' ich noch 'n jungen Fähnrich gekannt, der sich in seine Fahne wickelte, um darin den blutigen Todesschlaf zu schlafen. Mochte er sich wohl einbilden, daß er so sanfter ruhe, als auf einer Büffelhaut?«

»Ja, es ist ein anerkanntes Verdienst, seine Flagge nicht niederzuholen.«

»Und dies sind Chingachgooks Flaggen – er wird sie aufbewahren, um sie seinen Kindeskindern zu zeigen.« – Hier unterbrach sich Pfadfinder, schüttelte melancholisch den Kopf und fuhr fort: »Was sage ich! Kein Sprößling ist dem alten mohikanischen Stamm geblieben. Er hat keine Kinder, die er mit seinen Siegeszeichen erfreuen könnte, keinen Stamm, der seine Taten preist. Er ist ein einsamer Mann in dieser Welt, und doch hält er treu an seiner Erziehung und seinen Gaben! Es liegt etwas Ehrenwertes und Achtbares hierin, Jasper, Ihr müßt es zugeben.«

Hier erhob sich unter den Irokesen ein gewaltiges Geschrei, dem schnell das Knallen ihrer Büchsen folgte. Die Feinde wurden in ihrem Bemühen, den Delawaren von seinem Opfer zurückzutreiben, so hitzig, daß ein Dutzend ins Wasser stürzte und einige fast auf hundert Fuß in der schäumenden Strömung vordrangen, als ob sie wirklich an einen ernstlichen Ausfall dächten. Aber Chingachgook machte ruhig weiter, da er von den Geschossen unverletzt geblieben war, und beendete seine Aufgabe mit der Gewandtheit einer langen Übung. Dann schwang er sein triefendes Siegeszeichen in der Luft und ließ sein Schlachtgeheul in den furchtbarsten Tönen erschallen. Eine Minute lang ertönten die Hallen des schweigenden Waldes und der tiefe, von dem Laufe des Stromes gebildete Einschnitt von einem schrecklichen Geschrei wider, so daß Mabel in ununterdrückbarer Furcht ihr Haupt sinken ließ, während ihr Onkel einen Augenblick ernstlich auf Flucht bedacht war.

»Das übersteigt alles, was ich je von diesen Elenden gehört habe«, rief Jasper voll Entsetzen und Abscheu, indem er sich die Ohren zuhielt.

»Es ist ihre Musik, Junge; ihre Trommeln und Pfeifen, ihre Trompeten und Zinken. Sie lieben diese Töne, denn sie erregen in ihnen ungestüme Gefühle und das Verlangen nach Blut«, erwiderte Pfadfinder in vollkommener Ruhe. »Ich hielt sie für schrecklicher, als ich noch ein junger Bursche war; jetzt aber sind sie meinen Ohren nicht mehr als das Pfeifen des Windfängers oder der Gesang des Spottvogels, und stünde dieses kreischende Gewürm von den Fällen an bis zur Garnison, einer an dem anderen, so würde es jetzt keinen Eindruck mehr auf meine Nerven machen. Ich hoffe, Schlange ist nun zufriedengestellt, denn da kommt er mit dem Skalp an seinem Gürtel.«

Jasper wandte voll Abscheu über das letzte Beginnen des Delawaren sein Gesicht ab, als dieser ans Land stieg. Pfadfinder aber betrachtete seinen Freund mit der philosophischen Gleichgültigkeit eines Mannes, dessen Geist sich gewöhnt hat, auf alle ihm außerwesentlich scheinendenden Dinge ohne Vorurteil zu blicken. Als sich der Delaware tiefer in das Gebüsch begab, um seinen ärmlichen Kattunanzug auszuwringen und seine Büchse instand zu setzen, warf er einen triumphierenden Blick auf seine Gefährten, nach dem jedoch alle auf seine vermeintliche Heldentat bezogenen Gefühlsäußerungen verschwanden.

»Jasper«, begann nun der Pfadfinder, »geht zu Meister Caps Station hinunter und sagt ihm, er soll sich mit uns vereinigen. Wir haben nur wenig Zeit zur Beratung und müssen daher schnell unsern Plan entwerfen; denn es wird nicht lange dauern, bis diese Mingos neues Unheil spinnen.«

Der junge Mann gehorchte, und in wenigen Minuten waren die vier in der Nähe des Ufers versammelt, um ihre nächsten Bewegungen zu beraten, wobei sie sich jedoch vorsichtig verbargen und ein wachsames Auge auf das Beginnen ihrer Feinde hielten.

Mittlerweile hatte sich der Tag seinem Ende zugeneigt und weilte noch einige Minuten zwischen dem scheidenden Licht und einer Dunkelheit, die tiefer als gewöhnlich zu werden versprach.

»Männer«, begann Pfadfinder, »der Augenblick ist gekommen, wo wir mit Besonnenheit unsere Pläne entwerfen müssen, um gemeinschaftlich und nach bester Würdigung unserer Gaben handeln zu können. In einer Stunde werden diese Wälder so dunkel wie um Mitternacht sein, und wenn wir je die Garnison erreichen wollen, so muß es unter dem Schutz dieses günstigen Umstandes geschehen. Was sagt Ihr, Meister Cap? Denn obgleich Ihr in den Kämpfen und Rückzügen der Wälder nicht unter die Erfahrensten gehört, so berechtigen Euch doch Eure Jahre, zuerst im Rat und in dieser Sache zu sprechen.«

»Und meine nahe Verwandtschaft zu Mabel, Pfadfinder, die doch auch als was anzuschlagen ist.«

»Ich weiß das nicht. Rücksicht ist Rücksicht, und Zuneigung ist Zuneigung, ob sie eine Gabe der Natur ist oder ob sie aus eigenem Urteil und einer freiwilligen Anhänglichkeit fließt. Ich will hier nicht von Chingachgook sprechen, der für die Weiber keinen Sinn mehr hat, wohl aber von Jasper und mir; wir sind ebenso bereit, uns zwischen des Sergeanten Tochter und die Mingos zu stellen, wie es ihr eigener braver Vater tun würde. Sag' ich nicht die Wahrheit, Junge?«

»Mabel kann bis zum letzten Tropfen Bluts auf mich rechnen«, sprach Jasper, zwar mit verhaltenem Ton, aber mit tiefem Ausdruck des Gefühls.

»Schön, schön«, erwiderte der Onkel, »wir wollen über diesen Gegenstand nicht streiten, da wir alle dem Mädchen dienen wollen, und Taten sind besser als Worte. Nach meinem Gutachten können wir nichts anderes tun, als an Bord des Kahnes gehen, sobald es dunkel genug ist, daß uns die feindlichen Ausluger nicht sehen können, und gegen den Hafen rennen, so schnell es Wind und Zeit erlaubt.«

»Das ist leicht gesagt, aber nicht leicht getan«, entgegnete Pfadfinder. »Wir werden in dem Fluß weit mehr Gefahren ausgesetzt sein, als wenn wir unseren Weg durch die Wälder verfolgen, und dann ist die Stromenge des Oswego vor uns. Ich glaube nicht, daß selbst Jasper einen Kahn in der Dunkelheit wohlbehalten darüber wegbringen wird. Was sagt Ihr, Junge, da ich das Euerm Urteil und Eurer Geschicklichkeit überlassen muß.«

»Ich bin, die Benützung des Kahnes, anlangend, mit Meister Cap einer Meinung. Mabel ist zu zart, um in einer Nacht, wie diese zu werden scheint, durch Sümpfe und über Baumwurzeln zu gehen, und dann fühle ich mein Herz immer kräftiger und mein Auge treuer, wenn ich mich auf dem Wasser befinde.«

»Kräftig mag Euer Herz sein, Junge, und Euer Auge treu genug für einen, der soviel im hellen Sonnenschein und so wenig in den Wäldern gelebt hat. Freilich, der Ontario hat keine Bäume, sonst würde er eine Fläche sein, die das Herz eines Jägers erfreuen könnte. Aber was Eure Meinung anbelangt, Freunde, so hat sie viel für sich und viel gegen sich. Einmal ist es richtig: Das Wasser hinterläßt keine Fährte –«

»Was ist denn das Kielwasser anders?« unterbrach ihn der hartnäckige und überkluge Cap.

»Wie?«

»Macht nur fort«, sagte Jasper, »er bildet sich ein, er sei auf dem Meere – Wasser hinterläßt keine Fährte –«

»Es hinterläßt keine, Eau-douce, wenigstens bei uns nicht, obgleich ich mir nicht anmaße, zu sagen, was es auf dem Meer hinterläßt. Ein Kahn ist schnell und bequem, wenn er mit der Strömung schwimmt, und den zarten Gliedern der Sergeantentochter wird diese Bewegung gut bekommen. Andererseits aber hat der Fluß keine Verstecke als die Wolken des Himmels. Die Stromenge ist sogar bei Tage für einen Kahn ein kitzliges Wagestück; und dann sind es zu Wasser sechs wohlgemessene Meilen von hier an bis zur Garnison. Eine Landspur dagegen findet man in der Dunkelheit nicht leicht auf. Es beunruhigt mich, Jasper, denn wirklich ist hier guter Rat teuer.«

»Wenn Schlange und ich in den Fluß schwimmen und den anderen Kahn aufbringen könnten«, erwiderte der junge Schiffer, »so möchte unser sicherster Weg der zu Wasser sein.«

»Ja, wenn! – Und doch ließe sich's vielleicht tun, wenn es erst ein wenig dunkler geworden ist. Gut, gut, wenn ich des Sergeanten Tochter und ihr Aussehen betrachte, so weiß ich nicht, ob es nicht doch das Beste sein mag. Ja, wenn es bloß eine Partie von Männern wäre, so möcht's eine lustige Hatz werden, wenn wir mit jenen schuftigen Burschen ein wenig Verstecken spielten. Jasper«, fuhr der Pfadfinder fort, in dessen Charakter keine Spur von eitlem Gepränge Raum fand, »wollt Ihr es unternehmen, den Kahn aufzubringen?«

»Ich will alles unternehmen, was zu Mabels Nutz und Schutz sein kann, Pfadfinder.«

»Das ist 'n rechtschaffenes Gefühl, und ich denke, es ist Natur. Chingachgook, der bereits fast entkleidet ist, kann Euch helfen. So wird diesen Teufeln wenigstens eines der Mittel abgeschnitten, mit denen sie Unheil stiften können.«

Nachdem dieser wichtige Punkt im reinen war, bereiteten sich die verschiedenen Glieder der Gesellschaft vor, ihn zur Ausführung zu bringen. Die Schatten des Abends fielen dicht über den Forst, und als es so dunkel geworden war, daß man unmöglich mehr die Gegenstände am jenseitigen Ufer unterscheiden konnte, war alles zum Versuch bereit. Die Zeit drängte; denn die indianische Schlauheit konnte so manches Mittel ersinnen, um über einen so schmalen Strom zu setzen, so daß der Pfadfinder mit Ungeduld darauf drang, den Ort zu verlassen. Während Jasper und sein Helfer, nur mit Messern und dem Tomahawk des Delawaren bewaffnet, in den Strom gingen und die größte Sorgfalt anwandten, um keine ihrer Bewegungen zu verraten, holte Pfadfinder Mabel aus ihrem Versteck, hieß sie und Cap am Ufer hin bis an den Fuß der Stromschnellen gehen und bestieg selbst den anderen Kahn, um ihn an dieselbe Stelle zu bringen.

Dies war leicht bewerkstelligt. Der Kahn wurde an das Ufer getrieben, und Mabel und Cap stiegen ein, um ihre vorigen Sitze wieder einzunehmen. Der Pfadfinder stand im Stern aufrecht und hielt bei einem Gebüsch, um zu verhüten, daß sie das schnelle Wasser nicht in die Strömung reiße.

Einige Minuten gespannter und atemloser Aufmerksamkeit folgten, während sie den Erfolg des kühnen Versuches ihrer Kameraden erwarteten.

Die zwei Abenteurer mußten nun über das tiefe und reißende Fahrwasser schwimmen, ehe sie den Teil der Stromenge erreichen konnten, der ihnen das Waten erlaubte. Soweit war jedoch die Unternehmung bald gediehen, und Jasper und der Häuptling erreichten im gleichen Augenblick Seite an Seite den Grund. Als sie nun festen Fuß gewonnen hatten, nahmen sie sich gegenseitig bei der Hand und wateten langsam und mit der äußersten Vorsicht in der Richtung fort, in der sie den Kahn vermuteten. Aber die Tiefe der Finsternis brachte sie zu der Überzeugung, daß ihnen der Gesichtssinn hier nur wenige Hilfe gewähre und daß ihr Suchen durch jene Art von Instinkt geleitet werden müsse, der die Jäger in den Stand setzt, ihren Weg unter Umständen zu finden, wo keine Sonne und kein Stern einen Leitpunkt abgibt und wo einem Neuling in den Labyrinthen der Urwälder alles nur wie ein Chaos erscheinen würde. Unter solchen Verhältnissen ergab sich Jasper darein, sich von dem Delawaren leiten zu lassen, dessen Gewohnheiten ihn am ehesten geeignet machten, die Führung zu übernehmen. Es war jedoch keine kleine Aufgabe, in dieser Stunde mitten durch das brausende Element zu waten und alle Örtlichkeiten dem Geist so einzuprägen, daß ihnen die nötige Erinnerung daran blieb. Als sie sich in der Mitte des Stromes glaubten, waren die Ufer nur noch als dunkle Massen zu unterscheiden, deren Umrisse am Himmel kaum durch die Einschnitte der Baumwipfel angedeutet wurden. Ein- oder zweimal veränderten die Wanderer ihren Kurs, weil sie unerwartet in das tiefe Wasser gekommen waren; denn sie wußten, daß sich der Kahn an der seichtesten Stelle der Stromenge befand. Dies war auch überhaupt ihr einziger Leitpunkt, und Jasper und sein Gefährte tappten nun schon nahezu eine Viertelstunde im Wasser herum, was dem jungen Mann gar kein Ende zu nehmen schien, und doch waren sie scheinbar dem Gegenstand ihres Suchens nicht näher, als sie es im Anfang gewesen waren. Gerade, als der Delaware anhalten wollte, um seinem Kameraden mitzuteilen, daß sie besser tun würden, ans Land zurückzukehren und von dort aus einen neuen Versuch zu machen, sah er in einer Entfernung, die er mit dem Arm erreichen konnte, sich die Gestalt eines Menschen im Wasser bewegen. Jasper stand neben dem Häuptling, dem es nun auf einmal klar wurde, daß die Irokesen die gleiche Absicht wie sie hatten.

»Mingo!« wisperte er in Jaspers Ohr – »Schlange wird seinem Bruder zeigen, wie man schlau ist.«

Der junge Schiffer warf in diesem Moment einen Blick auf die Gestalt, und die erschreckende Wahrheit blitze auch in seiner Seele auf. Da er die Notwendigkeit erkannte, sich hier ganz dem Delawarenhäuptling anzuvertrauen, so hielt er sich zurück, indes sich sein Freund vorsichtig in der Richtung fortbewegte, in der die fremde Gestalt verschwunden war. Im nächsten Augenblick wurde sie wieder sichtbar und bewegte sich augenblicklich auf unsere beiden Abenteurer zu. Die Wasser tobten in einer Weise, daß von dem gewöhnlichen Ton der Stimme nichts zu befürchten stand; der Indianer wendete daher den Kopf rückwärts und sprach hastig: »Überlaß dies der Schlauheit der Großen Schlange.«

»Hugh!« rief der fremde Wilde und fuhr in der Sprache seines Volkes fort – »der Kahn ist gefunden, aber es ist niemand da, mir zu helfen. Kommt, laßt uns ihn vom Felsen losmachen.«

»Gern«, antwortete Chingachgook, der den Dialekt verstand, »führe uns, wir wollen folgen.«

Der Fremde, der mitten im Brausen der Wasserfluten die Stimme und den Akzent nicht zu unterscheiden vermochte, führte sie in der erforderlichen Richtung, wobei sich die beiden dicht an seiner Ferse hielten, und so erreichten alle drei schnell den Kahn. Der Irokese hielt an dem einen Ende, Chingachgook stellte sich in der Mitte auf und Jasper begab sich zum anderen, da es von Wichtigkeit war, daß der Fremde nicht die Anwesenheit eines Bleichgesichts gewahr werde – eine Entdeckung, die ebensogut durch die Kleidungsstücke, die noch der junge Mann trug, als durch das Sichtbarwerden seines Kopfes hätte herbeigeführt werden mögen.

»Hoch!« sagte der Irokese mit der seiner Rasse eigentümlichen Kürze, und mit geringer Anstrengung machten sie den Kahn von dem Felsen los, hielten ihn einen Augenblick in der Luft, um ihn auszuleeren, und setzten ihn dann sorgfältig in der geeigneten Lage auf das Wasser. Alle drei hielten fest, damit er nicht unter dem heftigen Drängen der Strömung ihren Händen entschlüpfte, während der Irokese, der den Kurs leitete und sich an dem Bug des Kahnes befand, die Richtung nach dem östlichen Ufer oder dem Ort, wo seine Freunde seine Rückkehr erwarteten, einschlug.

Da der Delaware und Jasper aus dem Umstand, daß ihre eigene Erscheinung dem Indianer sogar nicht aufgefallen war, annehmen konnten, daß sich noch mehrere Irokesen in der Stromenge befanden, so fühlten sie die Notwendigkeit der äußersten Vorsicht. Männer von weniger Mut und Entschlossenheit würden zuviel Gefahr zu laufen gefürchtet haben, wenn sie sich in die Mitte ihrer Feinde begeben, aber die kühnen Grenzleute kannten die Furcht nicht, waren mit Gefahren vertraut und sahen die Notwendigkeit wenigstens die Besitzergreifung des Fahrzeugs durch die Feinde zu verhindern, zu sehr ein, um sich nicht mit Freuden zu Erringung dieses Zweckes sogar noch größeren Wagnissen zu unterziehen. Jasper erschien auch in der Tat der Besitz oder die Zerstörung dieses Kahnes für Mabel so wichtig, daß er sein Messer zog und sich bereit hielt, Löcher hineinzustoßen, um ihn wenigstens für den Augenblick unbrauchbar zu machen, wenn er und der Delaware durch irgendeinen Umstand zum leeren Rückzug gezwungen werden sollten.

Mittlerweile schritt der Irokese, der den Zug anführte, in der Richtung seiner eigenen Partei, langsam durch das Wasser und schleppte seine widerstrebenden Hintermänner nach. Einmal hatte Chingachgook schon seinen Tomahawk erhoben, um ihn in das Hirn seines vertrauenden und arglosen Nachbars zu senken; aber die Wahrscheinlichkeit, daß der Todesschrei oder der schwimmende Körper Lärm erregen würden, veranlaßte den behutsamen Häuptling, sein Vorhaben zu ändern. Im nächsten Augenblick bereute er jedoch seine Unentschlossenheit, denn plötzlich fanden sich die drei, die den Kahn festhielten, von vier anderen umgeben, die gleichfalls nach dem Fahrzeug spähten.

Nach den gewöhnlichen kurzen charakteristischen Ausrufungen, die ihre Zufriedenheit bezeichneten, hielten die Wilden den Kahn mit Lebhaftigkeit an; denn alle schienen die Notwendigkeit, sich dieser wichtigen Erwerbung zu versichern, zu fühlen, da solche auf der einen Seite zur Verfolgung der Feinde, auf der anderen zur Sicherung des Rückzuges dienen sollte. Dieser Zuwachs der Gesellschaft war jedoch so unerwartet und gab dem Feind ein so vollständiges Übergewicht, daß sich selbst der Scharfsinn und die Gewandtheit des Delawaren einige Augenblicke in Verlegenheit befand. Die fünf Irokesen drängten gegen ihr Ufer zu, ohne zu einer Besprechung anzuhalten; denn ihre Absicht ging in Wahrheit dahin, die Ruder, deren sie sich vorläufig versichert hatten, zu holen, und drei oder vier Krieger einzuschiffen, samt allen ihren Büchsen und Pulverhörnern, deren Mangel allein sie verhindert hatte, sobald es dunkel war über den Fluß zu schwimmen.

So erreichten nun Freunde und Feinde miteinander den Rand des östlichen Fahrwassers, wo, wie in dem westlichen, das Wasser zu tief war, um durchwatet werden zu können. Hier erfolgte eine kurze Pause, denn es war nötig, die Art zu bestimmen, wie man den Kahn darüber wegbringen solle. Einer von den vieren, der eben bei dem Boot anlangte, war ein Häuptling, und da der amerikanische Indianer dem Verdienst, der Erfahrung und dem Rang Achtung zu zollen gewöhnt ist, so verhielten sich alle übrigen still, bis der Führer gesprochen hatte.

Durch diesen Halt wurde die Gefahr einer Entdeckung für Jasper, obgleich er zur Vorsorge seine Mütze in den Kahn geworfen hatte, noch vermehrt. Doch mochten seine Umrisse in der Dunkelheit, da er Jacke und Hemd ausgezogen hatte, weniger Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und seine Stellung am Hinterteil des Kahnes begünstigte gleichfalls ein Verborgenbleiben, da die Indianer mehr vorwärts blickten. Nicht so verhielt sich's mit Chingachgook, der sich buchstäblich mitten unter seinen tödlichsten Feinden befand und sich kaum bewegen konnte, ohne einen zu berühren. Er verhielt sich jedoch ruhig, obgleich alle seine Sinne rege waren und er jeden Augenblick bereit stand, zu entwischen oder im geeigneten Moment einen Schlag zu führen. Die Gefahr einer Entdeckung wurde noch dadurch vermindert, daß er sich sorgfältig enthielt, auf die hinter ihm Stehenden zurückzublicken, und so wartete er mit der unüberwindlichen Geduld eines Indianers auf den Augenblick, der ihn zu handeln zwang.

»Mögen alle meine jungen Leute ans Land gehen und ihre Waffen holen, bis auf die zwei an den Enden des Bootes. Diese mögen den Kahn über die Strömung wegbringen.«

Die Indianer gehorchten ruhig und ließen Jasper an dem Stern und den Indianer, der den Kahn aufgefunden hatte, an dem Bug des leichten Fahrzeuges. Chingachgook tauchte so tief in den Fluß, daß er ohne entdeckt zu werden an den anderen vorbeikommen konnte. Das Plätschern in dem Wasser, das Schlagen der Arme und der gegenseitige Zuruf verkündeten bald, daß die vier, die sich später zu der Gesellschaft gefunden hatten, im Schwimmen begriffen waren. Sobald sich der Delaware hiervon überzeugt hatte, erhob er sich, nahm seine frühere Stellung wieder ein und dachte nun auf den Augenblick des Handelns.

Ein Mann von geringerer Selbstbeherrschung als Chingachgook würde wahrscheinlich jetzt seinen beabsichtigten Streich ausgeführt haben. Aber Chingachgook wußte, daß sich noch mehr Irokesen hinter ihm in der Strömung befanden, und er war ein zu geübter und erfahrener Krieger, um irgend etwas unnützerweise zu wagen. Er ließ deshalb den Indianer am Bug des Kahnes in das tiefe Wasser stoßen, und nun schwammen alle drei in der Richtung des östlichen Ufers fort. Statt aber das Fahrzeug quer über die rasche Strömung treiben zu helfen, begannen Jasper und der Delaware, als sie sich mitten in dem kräftigsten Schusse des Wassers befanden, in einer Weise zu schwimmen, daß dadurch die weiteren Fortschritte in die Quere des Stromes verhindert wurden. Dies geschah jedoch nicht plötzlich oder in der unvorsichtigen Manier, mit der ein zivilisierter Mensch den Kunstgriff versucht haben würde, sondern mit Schlauheit und so allmählich, daß der Irokese am Bug zuerst dachte, er habe nur gegen die Gewalt der Strömung anzukämpfen. Wirklich trieb auch unter dem Einfluß dieser Gegenwirkung der Kahn stromabwärts und schwamm in ungefähr einer Minute in dem stillen tieferen Wasser am Fuß der Stromenge. Hier fand jedoch der Irokese bald, daß sich etwas Ungewöhnliches dem Weiterkommen entgegenstemme, und als er zurückblickte, wurde es ihm klar, daß er den Grund in den Bemühungen seiner Gehilfen zu suchen habe.

Jene zweite Natur, die in uns die Gewohnheit erzeugt, sagte dem Irokesen schnell, daß er allein mit seinen Feinden sei. Mit einem raschen Stoß durch das Wasser fuhr er Chingachgook an die Kehle, und nun ergriffen sich die beiden Indianer, die ihren Posten am Kahn verlassen hatten, mit der Wut der Tiger. In der Mitte der Finsternis und der düsteren Nacht, in einem Element schwimmend, das so gefährlich für einen tödlichen Kampf sein mußte, schienen sie alles mit Ausnahme ihres blutigen Hasses und des gegenseitigen Bestrebens, den Sieg davonzutragen, vergessen zu haben.

Jasper hatte nun den Kahn, der unter den durch das Ringen der beiden Kämpfer hervorgebrachten Wellenstößen wie eine Feder im Winde dahinflog, völlig in seiner Macht. Der erste Gedanke des Jünglings war, dem Delawaren zu Hilfe zu schwimmen. Dann aber zeigte sich ihm die Wichtigkeit der Sicherung des Kahnes in ihrer vollen Gewalt, und während er auf die schweren Atemzüge der beiden Krieger, die sich an den Kehlen gefaßt hielten, horchte, trieb er so eilig als er es vermochte dem westlichen Ufer zu. Dieses hatte er bald erreicht und nach kurzem Suchen die zurückgebliebene Gesellschaft, wie auch seine Kleider wieder aufgefunden. Wenige Worte genügten, um die Lage, in der er den Delawaren verlassen, und die Art, wie er den Kahn gerettet hatte, auseinanderzusetzen.

Als die am Ufer Befindlichen die Mitteilung Jaspers gehört hatten, trat eine tiefe Stille ein, und jeder lauschte aufmerksam in der eitlen Hoffnung, etwas zu vernehmen, was über den Ausgang des schrecklichen Kampfes, der im Wasser stattgefunden oder noch fortdauerte, Aufschluß geben konnte. Aber man vernahm nichts durch das Geräusch des brausenden Flusses, und es gehörte mit zu der Politik ihrer Feinde auf dem entgegengesetzten Ufer, eine totengleiche Stille zu beobachten.

»Nehmt dieses Ruder, Jasper«, sagte Pfadfinder ruhig, obgleich es den übrigen dünkte, daß seine Stimme melancholischer als gewöhnlich tönte, »und folgt mir mit Eurem Kahn. – Es ist nicht ratsam, hier zu bleiben.«

»Aber Chingachgook?«

»Die Große Schlange ist in den Händen ihrer Gottheit. Wir können ihm nicht helfen und würden zuviel wagen, wenn wir müßig hier bleiben und wie Weiber im Unglück jammern wollten. Diese Finsternis ist kostbar.«

Ein lauter, langer, durchdringender Schrei drang vom Ufer herüber und unterbrach die Worte des Pfadfinders.

»Was bedeutet dieser Lärm, Meister Pfadfinder?« fragte Cap. »Er klingt ja mehr wie das Zetergeschrei der Teufel, als wie Töne aus den Kehlen von Menschen und Christen.«

»Christen sind's nicht und wollen keine sein; und wenn Ihr sie Teufel nennt, so habt Ihr sie richtig betitelt. Dieser Schrei ist ein Freudenruf, wie ihn die Sieger ausstoßen. Es ist kein Zweifel, der Körper Chingachgooks ist tot oder lebendig in ihrer Gewalt.«

»Und wir –«, rief Jasper, der den Schmerz einer edlen Reue fühlte, denn der Gedanke vergegenwärtigte sich seinem Geist, daß er wohl dieses Unglück abzuwenden vermocht hätte, wenn er seinen Kameraden nicht verlassen haben würde.

»Wir können dem Häuptling nichts nützen, Junge, und müssen diesen Platz so schnell wie möglich verlassen.«

»Ohne einen Versuch zu seiner Befreiung? – ja, ohne zu wissen, ob er tot oder lebendig ist?«

»Jasper hat recht«, sagte Mabel, die zwar zu sprechen vermochte, jedoch nur mit erstickter Stimme. »Ich habe keine Furcht, Onkel, und will hier bleiben, bis ich weiß, was aus unserem Freund geworden ist.«

»Das scheint vernünftig, Pfadfinder«, warf Cap ein. »Ein rechter Seemann kann seinen Kameraden nicht verlassen. Es freut mich, so richtige Grundsätze unter diesem Frischwasservolk zu finden.«

»Fort, fort damit«, erwiderte der ungeduldige Pfadfinder, indem er zugleich den Kahn in den Strom drängte. »Ihr wißt nichts, drum fürchtet Ihr nichts. Aber wenn Euch Euer Leben wert ist, so denkt daran, die Garnison zu erreichen, und überlaßt den Delawaren den Händen der Vorsehung. Ach! Der Hirsch, der zu oft zu der Lick geht, trifft am Ende doch mit dem Jäger zusammen!«


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