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Zehntes Kapitel.
Die Sühne.

Kapitän Sanglier, Pfeilspitze und Juni blieben noch auf der Insel zurück; der Erstere hatte noch einige Schriftstücke zu vollziehen und Lieutenant Muir einzuhändigen, der in seinen Augen hier allein eine Persönlichkeit von dienstlicher Autorität war; der Tuskarora mochte Gründe haben, sich von seinen bisherigen Freunden, den Irokesen, fern zu halten.

Cap und Pfadfinder bereiteten an einem schnell hergerichteten Feuerherde das Frühstück, zu dem alle Anwesenden sich einfanden, zuletzt auch der mit der ›Wolke‹ zurückgekehrte Jasper. Vorher hatte Pfadfinder nach seinem leidenden Freunde, dem Sergeanten, gesehen und Mabel eine Herzstärkung gereicht.

Der Franzose saß am Feuer und kochte sich mit größter Seelenruhe eine Suppe. Er war ein Mann von eiserner Körperkonstitution, unbeugsamem Mute und reichster Erfahrung auf dem Gebiete der indianischen Grenzkriege; seit dreißig Jahren im Lande, stand er in dem Rufe eines kaltherzigen und grausamen Kriegsmannes; den Namen Sanglier (Eber) hatte er sich selber zugelegt, die Indianer und Grenzbewohner nannten ihn »Kieselherz«. Pfadfinder und dieser wilde Abenteurer hatten einander mit Achtung begrüßt; jeder kannte den andern dem Rufe nach, zugleich aber wußten sie auch, daß sie miteinander, gewisse kriegerische Tugenden ausgenommen, nichts gemein hatten.

» Monsieur le Pfadfinder,« begann der Kapitän, um die Unterhaltung zu eröffnen, » un militaire ehrt hoch le courage et la loyauté. Ihr spreken Iroquois

»Ja,« antwortete der Jäger, »ich verstehe die Sprache der Reptile, aber sie ist nicht nach meinem Geschmack, ebensowenig wie die Mingos selber. Denn jeder Mingo ist ein Schuft, Meister Kieselherz. Ich habe Euch übrigens oft in der Schlacht gesehen, und ich muß sagen, stets in der Vorderreihe. Die meisten unserer Kugeln müssen Euch schon von Ansehen bekannt sein.«

»Nicht die Eure, Monsieur; une balle von Eurer ehrenwerten Hand sein sickerer Tod. Ihr habt getötet meine besten Soldaten.«

»Mag sein; was Ihr aber Eure besten Soldaten nennt, war doch nur Lumpenpack. Nichts für ungut, Meister Kieselherz, Ihr befindet Euch jedoch zumeist in recht schlechter Gesellschaft.«

» Oui, Monsieur,« lächelte der Franzose, der von Pfadfinders Reden nur wenig verstand und sich gern höflich erweisen wollte, » oui, Monsieur, Eure Gesellschaft sein mir rekt angenehm. Mais, was das heißen? Was haben der jeune homme gethan?«

Er deutete dabei auf Jasper, über den soeben zwei Soldaten hergefallen waren, um ihm, auf Muirs Weisung, die Hände auf den Rücken zu binden.

»Was soll das?« rief Pfadfinder herzuspringend und die Soldaten mit unwiderstehlicher Kraft zurückschleudernd. »Wer wagt es, sich an Jasper Eau-Douce zu vergreifen, und noch dazu vor meinen Augen?«

»Es geschah auf meinen Befehl, Pfadfinder,« entgegnete der Quartiermeister. »Ihr werdet Euch hoffentlich nicht der Ordre widersetzen, die ein Offizier des Königs den Soldaten des Königs erteilt.«

»Ich würde mich einer Ordre aus des Königs eigenem Munde widersetzen, wenn Jasper dadurch ein Unrecht zugefügt werden soll,« versetzte der Jäger. »Hat der Junge nicht soeben erst alle unsere Skalpe gerettet? Hat er uns nicht zum Siege verholfen? Wenn Ihr keinen besseren Gebrauch von Eurer Autorität macht, dann bin ich der Erste, der sie nicht respektiert.«

»Das sieht ein wenig nach Insubordination aus,« antwortete Muir; »doch vom Pfadfinder muß man sich schon etwas gefallen lassen. Allerdings ist Jasper uns dem Anschein nach von einigem Nutzen gewesen, darüber dürfen wir jedoch nicht vergessen, was er auf dem Kerbholz hat. Major Duncan selber hat den Sergeanten vor ihm gewarnt. Und sind wir hier nicht verraten worden? Wer soll denn der Verräter sein, wenn nicht dieser junge Mensch?«

Kapitän Sanglier schaute mit hochgeschraubten Brauen bald Jasper und bald den Quartiermeister an.

»Jasper Eau-Douce ist mein Freund,« versetzte Pfadfinder; »er ist ein braver, ehrlicher und treuer Junge, und kein Mann vom 55. Regiment soll Hand an ihn legen, so lange ich das verhindern kann. Über Eure Soldaten mögt Ihr Gewalt haben, über mich und Jasper aber habt Ihr keine Gewalt, Meister Muir!«

» Bon!« rief Sanglier in tief dröhnendem Nasenton.

»Aber nehmt doch Vernunft an, Pfadfinder,« sagte der Quartiermeister. »Habt Ihr denn alle Verdachtsmomente und Indicien vergessen? Hier, seht das Stück Flaggentuch; Mabel Dunham fand es an einem Baume flatternd, gerade eine Stunde vor dem Angriff. Dann seht Euch die Flagge der ›Wolke‹ an, ob nicht genau solch ein Stück aus derselben herausgeschnitten ist. Das ist doch ein Indicienbeweis, sollt' ich meinen!«

» Ma foi, c'est un peu fort, ceci,« knurrte der Kapitän finster.

»Redet mir nicht von Indicienbeweisen, wo ich das Herz kenne,« fuhr der Pfadfinder fort. »Jasper hat die Gabe der Ehrlichkeit, damit läßt sich nicht umspringen, wie mit einem Mingogewissen. Also Hände weg! Oder es wird sich zeigen, wer sich am besten schlägt, Ihr mit Euren Soldaten, oder Killdeer, die Schlange und Jasper mit seinen Matrosen.«

» Très bon!« nickte der Kapitän.

»Nun, wenn Ihr's denn nicht anders wollt, Pfadfinder, so muß ich rund heraus reden. Kapitän Sanglier und Pfeilspitze, der brave Tuskarora, beide haben mir mitgeteilt, daß Jasper der Verräter ist. Nach solchem Zeugnis werdet Ihr einsehen, daß ich ihn festnehmen muß.«

» Scélérat!« brummte der Franzose.

»Kapitän Sanglier ist ein tapferer Soldat, er wird einen ehrlichen Seemann nicht verleumden,« rief Jasper. »Ist hier ein Verräter, Kapitän Kieselherz?«

»Ja,« fügte Muir hinzu, »der Kapitän möge reden, damit die Wahrheit an den Tag komme. Ich will nur hoffen, daß Ihr der äußersten Strafe, dem Galgen, entgeht. Wie ist's, Kapitän, seht Ihr einen Verräter hier unter uns?«

» Oui! Ja! Gewiß! Bien sûr

»Zu viel Lügen!« rief Pfeilspitze plötzlich mit Donnerstimme, den Quartiermeister heftig vor die Brust schlagend. »Wo meine Krieger? Wo Yengeesenskalp? Zu viel Lügen!«

Muir taumelte überrascht einen Schritt zurück, dann griff er, bleich vor Wut, nach einer Büchse. Aber Pfeilspitze kam ihm zuvor; er riß ein Messer aus dem Gürtel und stieß es bis ans Heft in des Quartiermeisters Brust. Lautlos sank dieser zusammen; der Stoß hatte sein Herz getroffen.

» Voilà l'affaire finie,« sagte der Kapitän kalt, als der Lieutenant ihm vor die Füße rollte. Dann nahm er achselzuckend eine Prise. » Ce n'est qu'un scélérat de moins,« schloß er, »ein Schurke weniger auf der Welt.«

Pfeilspitze hatte einen wilden Schrei ausgestoßen und war ins Dickicht gesprungen. Keiner der erschrockenen Weißen dachte an seine Verfolgung, allein noch ehe die Büsche sich hinter dem Flüchtling geschlossen hatten, war ihm der Delaware bereits auf den Fersen.

Dem jungen Schiffer war das Benehmen des Franzosen aufgefallen.

»Sprecht, Monsieur,« sagte er jetzt zu demselben, »bin ich der Verräter?«

»Nein,« antwortete der kaltblütige Kriegsmann, » le voilà – der da ist unser espion – unser agent – unser Freund. Ma foic'était un grand scélératvoici – dieser Quartiermeister!«

Damit beugte er sich über den Toten, zog eine Börse aus der Tasche desselben und schüttete deren Inhalt auf die Erde; eine Anzahl Goldstücke rollte den Soldaten zu, die begierig zugriffen.

Sanglier setzte sich wieder zum Feuer und machte sich über seine Suppe her, als sei nichts vorgefallen. Während die Soldaten den Leichnam auf die Seite schafften und mit einem Mantel bedeckten, fand auch Chingachgook sich wieder ein; der Häuptling sagte kein Wort, aber sowohl der Kapitän wie auch der Pfadfinder bemerkten an seinem Gürtel einen frischen Skalp.

Der Erstere erzählte nun die Geschichte des Verrats. Unmittelbar nach dem Eintreffen des 55. Regiments hatte Muir den Franzosen seine Dienste angeboten. Man nahm dieselben gegen gute Bezahlung an, und Sanglier hatte mehrere Zusammenkünfte mit ihm, teils in der Nähe von Oswego, teils verkleidet im Fort selbst. Pfeilspitze war der Zwischengänger und Bote; der anonyme Brief an Lundie war von Muir verfaßt, nach Frontenac geschickt, daselbst abgeschrieben und dann durch den Tuskarora an den Major gesandt. Jasper aber sollte geopfert werden, um Muir zu decken, der natürlich auch die Stationsinsel dem Feinde verraten hatte.

» Touchez-la« schloß der Abenteurer, seine sehnige Hand dem Jäger hinstreckend, »Ihr sein ein ehrlik Mann und das sein beaucoup. Wir nehmen die Spion', wie wir nehmen die Medizin: wir helfen uns damit. Mais, je les déteste! Ik verabscheuen die Schuft. Touchez-la

»Meine Hand sollt Ihr haben, Meister Kieselherz,« antwortete Pfadfinder, »weil Ihr mein natürlicher und gesetzlicher Feind seid, und obendrein ein tapferer Mann. Das Paktieren mit Verrätern mag bei Soldaten üblich sein, mir gefällt es nicht und ich möchte die Sache nicht auf dem Gewissen haben. Welch' ein Sünder war der Mann! Falsch nach rechts und links, gegen Freunde und Vaterland und gegen seinen Gott ... Jasper, auf ein Wort.«

Er zog den jungen Mann auf die Seite.

»Ihr kennt mich, Eau-Douce, und ich kenne Euch,« sagte er. »Ich habe nichts Böses von Euch geglaubt, obgleich das Ding recht schlimm aussah. Nicht eine Minute hatte ich Verdacht gegen Euch, allerdings auch nicht gegen den Quartiermeister.«

Jetzt erschien Cap auf dem Schauplatze. Er hatte bis jetzt bei seinem sterbenden Schwager und seiner Nichte gesessen, daher waren die soeben geschilderten Vorgänge ihm unbekannt geblieben.

»Wo ist der Quartiermeister, Freund Pfadfinder?« fragte er. »Es ziemte sich wohl, daß er dem armen Sergeanten noch ein freundliches Wort zum Abschied sagte. Was sind wir Menschen doch für elende Geschöpfe! Wir haben wahrlich keinen Grund, uns mit unserer Kraft und Jugend und Schönheit zu brüsten.«

»Ein wahres Wort, Meister Cap,« versetzte der Jäger, »ein wahres Wort! Was aber den Quartiermeister anlangt, so kann der keine Silbe mehr zu dem Sergeanten reden, aus dem einfachen Grunde, weil er demselben bereits vorausgegangen ist.«

»Ihr sprecht nicht ganz so verständlich, wie sonst, Pfadfinder. Ernste Gedanken muß man ja bei solchen Gelegenheiten haben, aber deswegen braucht man doch nicht gleich in Parabeln zu reden. Wo steckt der Lieutenant? Doch nicht etwa wieder in dem Loch? Jetzt, wo der Kampf vorüber ist, braucht er doch nicht mehr davon zu laufen; vorher war's etwas anderes.«

»Dort, unter dem Mantel, liegt alles, was von ihm noch übrig ist,« erwiderte der Jäger und berichtete nun kurz, was sich zugetragen hatte. »Er starb mit einer Lüge auf den Lippen,« so schloß er, »und seine Seele fuhr in all ihrer Bosheit dahin.«

Cap stand und lauschte mit offenem Munde; er vermochte sich kaum von seinem Erstaunen zu erholen.

»Gott steh uns bei!« rief er endlich. »Der Muir ein Verräter, der sein Vaterland verkaufen wollte, und noch dazu an die elenden Franzosen!«

»Nicht nur sein Vaterland, auch sich selber mit Leib und Seele, dazu Mabel und alle unsere Skalpe,« nickte Pfadfinder, »und der Käufer war ihm gleich. Diesmal haben die Franzosen bezahlt.«

»Sieht ihnen ähnlich! Wo sie nicht schlagen können, da kaufen sie; geht beides nicht, dann laufen sie.«

Kapitän Sanglier lüftete in ironischem Ernst seine Mütze, Caps Kompliment gleichsam mit höflicher Verachtung anerkennend. Dabei ließ er sich im Essen nicht stören.

»Ich kam, um mit dem Quartiermeister wegen Übernahme des Kommandos zu sprechen,« nahm Cap, dem des Franzosen Gebärde entgangen war, wieder das Wort. »Der Sergeant steht dicht vor dem Abmarsch, der andere aber ist nun schon abmarschiert.«

»Das ist er, wenn er auch jedenfalls einen Weg eingeschlagen hat, auf dem der Sergeant ihm nicht begegnen wird,« sagte Pfadfinder. »Das Kommando über die Soldaten wird wohl der übriggebliebene Korporal übernehmen müssen. Viel zu thun bleibt uns nicht. Wir müssen die Toten begraben und dann Blockhaus und Hütten niederbrennen, damit der Feind keinen Vorteil davon hat. Die Insel ist fortan für uns nutzlos, da die Franzosen sie aufgefunden haben. Das letztere Stück Arbeit werden die Schlange und ich übernehmen. Doch nun laßt uns nach dem Sergeanten sehen.«

Sie fanden den Sterbenden bei voller Besinnung, was den gesprächigen Seemann veranlaßte, demselben lang und breit über Muirs und Pfeilspitzes Tod zu berichten.

Die letztere Kunde veranlaßte Juni, die am Fußende des Lagers gekauert hatte, schnell aufzustehen und das Blockhaus zu verlassen. Der Sergeant, seines nahen Endes sich bewußt, achtete nur wenig auf Caps Erzählung, sondern fragte mit schwacher Stimme nach Jasper Eau-Douce. Man rief den jungen Mann herbei. Der Sterbende schaute ihn freundlich an, zugleich drückte sein Blick das Bedauern darüber aus, Jasper in seinen Gedanken unrecht gethan zu haben. Mabel kniete an des Vaters rechter Seite. Pfadfinder und Cap standen neben ihr. Dunham wurde zusehends schwächer.

»Bete, liebster Vater!« flüsterte Mabel dem Sterbenden unter Thränen zu. »Bete, daß Gott Dir gnädig sein möge!«

»Ich verstehe mich nicht darauf,« entgegnete der alte Soldat mühsam. »Bruder – Pfadfinder – Jasper – könnt Ihr's nicht für mich thun?«

Cap kannte ein Gebet kaum dem Namen nach; Pfadfinder betete oft, aber nur innerlich, und so fand er auch in diesem Augenblick keine Worte. Jasper zögerte noch, da erhob plötzlich Mabel ihre Stimme in heißem, innigem Flehen. Der Sergeant lauschte mit Anstrengung, der Tochter Worte fielen wie Balsam auf seine Seele; Cap war erstaunt und ergriffen; Pfadfinder stand auf seine lange Büchse gelehnt, deren Lauf er so fest umklammerte, als müsse das Eisen nachgeben, und ab und zu richtete er den Blick nach oben, wie in Erwartung, dort ein Zeichen von der Gegenwart des Allmächtigen zu gewahren, an den des Mädchens hinreißende Beredsamkeit gerichtet war. Jasper war mit gefalteten Händen auf der andern Seite des Sterbelagers niedergekniet.

Als Mabels Gebet beendet war, legte ihr der Sergeant seine Hand auf das auf sein Bett niedergebeugte Haupt.

»Ich danke dir, meine geliebte Tochter,« flüsterte er, »ich danke dir. Gottes Segen über dich! – – Mabel« – seine Stimme wurde fast unhörbar – »Mabel, ich muß dich verlassen – ich sehe dich nicht mehr – wo ist deine Hand?«

»Hier, bester Vater – hier sind beide!«

»Jasper,« fuhr der Sterbende fort, nach der andern Seite tastend und des jungen Schiffers Hand fassend, »hier – nimm sie – sei ihr Schutz, ihr Stab – Gott segne euch beide – beide – meine Kinder – –«

Ein tiefer Seufzer, das Leben des alten Soldaten war entflohen. Jaspers und Mabels Hände aber lagen vereint unter den seinen ...

Die Toten wurden noch an jenem Nachmittag beerdigt. Sergeant Dunham erhielt sein Grab im Schatten einer großen Eiche. Die Nacht verging ruhig, ebenso der folgende Tag. Am Morgen des dritten Tages verließ Kapitän Sanglier die Insel; er verabschiedete sich von Pfadfinder, wie jemand, der sich zum letztenmal in der Gesellschaft eines außerordentlichen, bedeutenden Mannes befunden hat.

An demselben Tage ging auch die ›Wolke‹ nach Oswego unter Segel. Cap hatte schon seit vierundzwanzig Stunden seinen Wohnsitz an Bord genommen, und so befanden sich zuletzt nur noch Pfadfinder, Jasper, Mabel und Juni auf der Insel. Chingachgook war bereits wieder auf Kundschaft gezogen. Der Abschied Mabels von dem Jäger war kurz aber liebevoll. Sie sowohl, wie auch Jasper, hatten gehofft, daß der Freund sie begleiten würde. Der aber zog es vor, noch auf der Insel zu bleiben.

»Ich werde Euch nie vergessen,« sagte er zu der weinenden Mabel. »Gott gebe Euch und Eurem zukünftigen Gatten alles Glück. Lebet wohl.«

Er geleitete das junge Mädchen zum Kanoe, schüttelte Jasper herzlich die Hand und stand dann, auf die Büchse gelehnt, am Ufer, bis der Kutter hinter einer Windung des Kanals verschwunden war. Dann wendete er sich und suchte langsamen Ganges die Tuskarorafrau auf.

Das arme Wesen, das sich schmerzvoll von Mabel Dunham verabschiedet hatte, kauerte am Grabe Pfeilspitzes. Sie war so versunken in ihrer Verzweiflung, daß sie den Herankommenden gar nicht bemerkte. Der Jäger beobachtete sie eine Weile, dann begann er:

»Tau des Juni, du bist in deinem Schmerze nicht allein. Wende dich, deine Augen werden einen Freund schauen.«

»Juni hat keinen Freund mehr,« antwortete die Indianerin. »Pfeilspitze ist nach den glücklichen Jagdgründen gezogen, nun fragt niemand mehr nach Juni. Die Tuskaroras scheuchen sie von ihren Wigwams, die Irokesen aber sind ihr verhaßt. Nein, laß Juni auf dem Grabe ihres Gatten sterben!«

»Das darf nicht geschehen. Das wäre gegen Vernunft und Recht. Glaubst du an Manitu, Juni?«

»Manitu ist zornig; er hat sein Gesicht vor Juni verborgen.«

»Du irrst, Juni, Manitu meint es gut mit dir. Er hat den Häuptling weggenommen, damit er dich durch seine falsche Zunge nicht verleite und dir Mingogedanken beibringe.«

»Pfeilspitze war ein großer Häuptling!« entgegnete die Frau stolz.

»Er hatte seine guten Seiten, ja ja, aber er hatte auch schlimme Seiten. Du aber sollst nicht verlassen sein, gute Juni. Weine dich satt; hernach reden wir noch mehr miteinander.«

Pfadfinder ging zu seinem Kanoe und verließ die Insel. Im Laufe des Tages vernahm Juni mehrmals den Knall seiner Büchse, und als die Sonne sank, da kam er wieder und brachte ihr gebratene Vögel und Wildpret. Das währte einen ganzen Monat; Juni weigerte sich hartnäckig, das Grab des Gatten zu verlassen, die Nahrung aber nahm sie dankbar an. Sie schlief in einer der Hütten; Pfadfinder hatte sich ein Obdach auf der nächsten Insel errichtet.

Dann aber kam der Herbst; das Wetter wurde rauh und die Bäume verloren das Laub. Chingachgook kam eines Tages zurück und hatte mit Pfadfinder eine lange Unterredung. Am nächsten Morgen machte der Jäger sein Kanoe bereit, und da Juni seinem verständigen Zureden schließlich Gehör gegeben hatte, so begaben die Drei sich in zwei Kanoes auf die Fahrt nach dem Fort. Drei Tage währte die Reise, dann winkte ihnen vom Strande Jaspers Gruß entgegen.

Mabels Freude beim Wiedersehen war groß. Der Geistliche der Garnison hatte das junge Paar eine Woche nach der Rückkehr desselben von der Stationsinsel getraut; jetzt wohnten Mr. und Mrs. Western in einem schnell errichteten Blockhause unweit des Gestades. Der Onkel Cap war bereits abgereist, um sich wieder auf sein geliebtes Salzwasser zu begeben.

Pfadfinder verweilte einige Tage bei den durch seine Anwesenheit hochbeglückten Freunden, dann aber trat er eines Morgens in voller Ausrüstung vor sie hin. Es hielt ihn nicht länger in dieser Unthätigkeit, um so weniger, als die Feinde sich wieder regten und man seiner Kundschafterdienste bedurfte. Chingachgook harrte seiner bereits draußen am Waldesrand.

»Wann sehen wir Euch wieder, Pfadfinder?« fragte Mabel traurig.

»Das steht bei Gott,« antwortete der Jäger. »Führt der mich wieder einmal diese Straße und finde ich Euch dann noch hier, dann soll der Tag mir hochwillkommen sein; wenn nicht – doch lebt wohl! Lebt wohl!«

Das waren die letzten Worte, die Jasper und sein Weib aus des Pfadfinders Munde vernahmen. Schnellen Schrittes ging er dem Walde zu, in dem er an der Seite seines treuen Genossen und Busenfreundes verschwand.

Das junge Ehepaar blieb nur noch ein Jahr am Gestade des Ontario, dann folgte Jasper dem Drängen des alten Cap und siedelte nach New York über, wo er sich im Laufe der Jahre zu einer angesehenen Stellung im Handelsstande emporschwang. Dreimal erhielt Mabel aus dem fernen Innern kostbare Geschenke an Pelzwerk zugesandt; der Geber blieb ungenannt, ihr Herz aber sagte ihr, daß es Pfadfinder sei, der ihrer so freundlich gedachte.

Juni, die arme Indianerin, hatte bei der jungen Frau herzliche Aufnahme gefunden; der Gram aber nagte an ihrem Leben, sie starb noch am Ufer des Ontario und Jasper begrub sie auf der Insel neben ihrem Gatten, dem Tuskarorahäuptling. Mabel betrauerte sie aufrichtig, denn sie hatte nicht vergessen, daß sie der aufopfernden Zuneigung des treuen Geschöpfes allein ihr Leben und damit ihr Glück verdankte.


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