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Zweites Kapitel.
Die Mingos.

Der Mohikaner ließ sich durch das Herankommen Pfadfinders und der Begleiter desselben in seiner Mahlzeit nicht stören, der andere weiße Mann aber erhob sich und zog vor Mabel Dunham höflich seine Kappe ab. Sein Äußeres bekundete in ähnlicher Weise, wie das des alten Cap, den Schiffer, dabei war er jung, kräftig und von angenehmster Erscheinung. Pfadfinder nahm sogleich das Wort.

»Dies,« sagte er, zu Mabel gewendet, »sind die Freunde, die Euer Vater Euch entgegensandte. Der dort ist ein großer Delaware, ein berühmter Häuptling, reich an Ehren, aber auch reich an Leid. Sein Name ist Chingachgook, was soviel bedeutet als Große Schlange; er heißt so, nicht etwa weil er falsch wäre, sondern weil er die Weisheit und Klugheit besitzt, die einem Krieger gebühren. Der Tuskarora versteht mich.«

Bei diesen Worten Pfadfinders war Pfeilspitze an den Mohikaner herangetreten und beide tauschten einige freundschaftliche Bemerkungen aus.

»Das sehe ich gern,« fuhr der Jäger fort. »Wenn zwei Rothäute einander in der Wildnis friedlich begegnen, so gleicht das der Begrüßung zweier Schiffe auf hoher See. Da wir vom Wasser reden – dieser junge Mann ist Jasper Western, ein Seefahrer, Führer eines Fahrzeugs auf dem Ontario.«

»Freue mich, Euch kennen zu lernen,« sagte Cap, dem Genannten kräftig die Hand schüttelnd. »Wenngleich ich Euch gegenüber kein Seefahrer, sondern ein Meerfahrer bin, so sind wir dennoch Kameraden. Dies ist meine Nichte Mabel; ich nenne sie allerdings Magnet, aus einem Grunde, den Ihr verstehen werdet, da Euch der Kompaß sicherlich nicht unbekannt ist.«

Jasper Western nickte verständnisvoll lächelnd und bald befand er sich mit dem Kameraden vom salzigen Ocean in eifrigem Gespräch, während die Ankömmlinge, der freundlichen Aufforderung Pfadfinders entsprechend, sich den am Feuer bereiteten Hirschbraten trefflich munden ließen. Die Unterhaltung der Weißen wurde bald eine allgemeine. Der alte Cap ließ es dabei in seiner Geringschätzung alles dessen, was nicht zum salzigen Wasser gehörte, an Spöttereien und Prahlereien nicht fehlen, so daß Western, der bei den Waldläufern, Soldaten und Indianern den Beinamen »Süßwasser« führte, sich wiederholt beherrschen mußte, um den Sticheleien des unverbesserlichen »Salzwasser« gegenüber die Ruhe nicht zu verlieren. Pfadfinder stand seinem jungen Freunde nach Kräften bei; er fand seinen Spaß daran, dem Selbstgefühl des großsprecherischen alten Gesellen ab und zu einen Dämpfer aufzusetzen.

»Ich möchte Euch und Eure Nichte nicht ohne Not beunruhigen,« sagte er, als das Gespräch auf die Gefahren der von diesen bereits zurückgelegten und noch auszuführenden Reise kam, »soviel aber ist gewiß, Meister Cap, daß die Gegend zwischen dieser Stelle und dem Seeufer von feindlichen Irokesen wimmelt. Aus diesem Grunde allein hat uns der Sergeant gebeten, Euch entgegen zu gehen und den Weg zu weisen.«

»Was?« rief Cap, »die Schelme wagen doch nicht etwa, so dicht unter den Kanonen eines Forts Seiner Majestät herumzukreuzen?«

»Wenn das nicht der Fall wäre, würden die Große Schlange und ich uns da Euretwegen bemüht und uns durch die Mingobanden geschlichen haben, die allenthalben den Wald unsicher machen? Und meint Ihr, daß Jasper dann die noch zehnmal größere Gefahr bestanden hätte, das Kanoe für Euch bis hierher flußaufwärts zu bringen?«

»Dafür soll er bedankt sein,« antwortete Cap, »obgleich die Gefahr bei solcher Bootsfahrt keine erhebliche gewesen sein kann.«

»Wie man's nimmt,« sagte Pfadfinder. »Er konnte aus dem Ufergebüsch niedergeschossen werden, während er alle Kräfte aufbieten mußte, das Kanoe durch eine Stromschnelle zu bringen. Es giebt keine gefährlichere Fahrt, als die auf einem schmalen Flusse, dessen Ufer einen einzigen, fortlaufenden Hinterhalt bilden.«

»Zum Henker!« rief der alte Seemann wild, »wenn das so ist, wie kommt dann mein Schwager, der Sergeant, dazu, mich solch eine vertrackte Reise durch diese heidnische Wildnis machen zu lassen? Wenn ich nicht an Magnet dächte, dann kehrte ich hier auf der Stelle um, zurück nach York, und ließe den Ontario Ontario sein!«

»Dadurch wäret Ihr um nichts besser daran, Freund Seemann, da der Weg zurück viel länger und jetzt auch ebenso gefährlich ist, als der Weg zum Fort. Ihr müßt Euch nun schon wohl oder übel darauf verlassen, daß wir Euch entweder gesund ins Fort bringen, oder unsere Skalpe verlieren.«

Caps Schädel war beinahe kahl, im Nacken aber hing ihm ein Zopf herab, der fest mit Aalhaut umwickelt war. Bei den Worten Pfadfinders strich er mit der Hand über Glatze und Zopf, wie um sich zu vergewissern, daß beides noch vorhanden sei. Es wurde ihm schwül zu Mute.

»Wie weit ist's noch bis zum Fort?« fragte er endlich.

»Fünfzehn englische Meilen,« antwortete der Jäger, »und die sind bald zurückgelegt, denn der Fluß fließt schnell – vorausgesetzt, daß die Mingos uns in Ruhe lassen.«

Cap war im Grunde ein Mann von Mut und Tapferkeit; als er die Lage der Dinge erkannt hatte, ergab er sich in sein Schicksal und erhob weiter keinen Einspruch.

Das Kanoe, in welchem Cap und seine Genossen die Fahrt vom Fort Stanwix, der letzten militärischen Station am Mohawkflusse, bis in diese Gegend gemacht hatten, lag, seiner Insassen gewärtig, noch an derselben Stelle, wo man es verlassen hatte, um den Windbruch zu erklettern. Nach beendetem Mahle, während dessen Pfadfinder mit der Großen Schlange und Jasper angelegentlich Rat gehalten, brach die ganze Gesellschaft auf und begab sich zu dem Fahrzeug, in welchem Junitau geduldig harrend saß. Dasselbe war eins jener leichten Rindenboote, wie sie die Indianer so meisterhaft anzufertigen wissen. Alle stiegen ein, bis auf Pfadfinder, der am Ufer blieb, um das Kanoe abzuschieben.

»Drücke das Hinterteil flußabwärts herum, Jasper,« rief er dem jungen Manne zu, der das Paddelruder Pfeilspitzes ergriffen und den Platz des Bootssteuerers eingenommen hatte. »Wenn die Mingos unserer Fährte hierher folgen sollten, dann werden sie nach den Spuren im Uferschlamme sehen; finden sie hier die Spitze des Kanoes flußaufwärts gerichtet, dann glauben sie sicher auch, wir seien in dieser Richtung davon gefahren.«

Damit stieß er das Fahrzeug ab und schwang sich mit mächtigem Satze hinein. In der Mitte des Stromes angelangt, wurde das Kanoe gewendet und nun trieb es schnell stromabwärts.

Cap saß auf einer niedrigen Ducht in des Kanoes Mitte; die Große Schlange kniete in seiner Nähe. Vor ihnen kauerten Pfeilspitze und dessen Weib. Mabel saß auf einigen Gepäckstücken hinter ihrem Onkel, Pfadfinder und Jasper standen aufrecht, der Eine im Buge, der Andere im Stern; sie führten die Paddelruder und trieben das Fahrzeug mit langen, geräuschlosen Streichen durch das Wasser.

Der Oswego, dies war des Flusses Name, war hier nicht sehr breit, aber tief und reißend und überall so dicht von den Uferbäumen überhangen, daß stellenweise das Tageslicht kaum noch seine Oberfläche zu erreichen vermochte. Die Ereignisse, die in unserer Erzählung geschildert werden sollen, trugen sich im Jahre 175* zu, in einer Zeit, wo die Civilisation noch keinen Fuß in diese Wildnis gesetzt hatte, wo der Urwald sich noch in seiner ganzen romantischen Schönheit zwischen den Seen und längs der Wasserläufe ausbreitete.

»Ich wollte, wir hätten bald wieder Frieden im Lande,« begann der Jäger, nachdem man eine lange Strecke schweigend den Fluß hinabgeglitten war; »ich sehne mich nach der Zeit, wo man wieder im Walde schweifen kann, ohne nach Feinden ausspähen zu müssen. Wie schön waren die Tage, wo die Schlange und ich friedlich an diesen Stromufern lebten, Wild und Fische erlegten und weder an Mingos noch an Skalpe dachten! Hoffentlich hält mich die Tochter des Sergeanten nicht für einen jener wüsten Menschen, die Freude am Vergießen von Menschenblut empfinden.«

»Einen solchen Menschen hätte mein Vater sicherlich nicht erwählt, seine Tochter durch die Wildnis zu geleiten,« antwortete Mabel, mit lächelndem Auge dem fragenden Blick des Jägers begegnend.

In diesem Augenblick führte ein über dem Flußbett heranziehender leichter Luftzug ein dumpfes Getön an die Ohren der Reisenden. Der alte Cap horchte auf.

»Aha,« sagte er, »der See kann nicht mehr weit sein, ich höre bereits die Brandung am Strande.«

»Das ist ein Irrtum,« entgegnete der Jäger. »Eine halbe Meile von hier fällt der Oswego über einige Felssteine herab, daher das Geräusch.«

»Ist da ein Wasserfall im Flusse?« fragte Mabel mit leichtem Erschrecken.

»Den Teufel auch!« rief Cap. »Hört, Meister Pfadfinder, und Ihr, Meister Süßwasser, könnt Ihr das Kanoe nicht mehr an das Ufer heranscheren lassen? Oberhalb solcher Fälle sollen sich häufig Stromschnellen finden, und geraten wir dahinein, dann ist's mit diesem papiernen Boot vorbei.«

»Habt nur Vertrauen zu uns, Freund Cap,« antwortete der Jäger, »wir sind zwar nur Süßwasserschiffer, und ich nicht einmal ganz ein solcher, aber wir verstehen uns auf Strudel Stromschnellen und Katarakte und werden alles thun, um Ehre einzulegen, wenn wir die Schnelle hinabschießen.«

»Die Schnelle – hinabschießen?« rief Cap, die Augen weit aufreißend. »Mann, seid Ihr bei Sinnen? In dieser Eierschale wollt Ihr über einen Wasserfall fahren?«

»Warum nicht?« lächelte der Jäger. »Das ist doch einfacher, als wenn wir das Kanoe ausladen und eine Meile weit um den Fall herum schleppen.«

Mabel war blaß geworden; sie richtete einen ängstlichen Blick auf den jungen Mann, der im Stern des Bootes stand. Das Tosen des Wassers ertönte lauter und drohender.

»Wir gedachten Miß Dunham, Junitau und die beiden Krieger zu landen,« nahm Jasper ruhig das Wort; »wir drei weißen Männer aber, die wir alle an das Wasser gewöhnt sind, wollten über die Schnelle fahren, was weiter nicht gefährlich ist, da Pfadfinder und ich das Stück schon sehr oft ausgeführt haben.«

»Und dabei haben wir heute besonders auf Euren Beistand gerechnet, Freund Salzwasser,« bemerkte Pfadfinder, seinem jungen Genossen neckisch zublinzelnd; »Euch sind schäumende und brüllende Wogen nichts neues, Ihr könnt Euch daher des Gepäcks annehmen, damit Miß Mabels Kleider und Putzgegenstände nicht über Bord gerissen werden und auf der Fahrt durch die Stromschnelle verloren gehen.«

Cap schwieg. Als Seemann wußte er die Gefahr, der sie entgegen gingen, zu beurteilen, sein Stolz aber gestattete ihm nicht, mit den Frauen das Kanoe zu verlassen; auch wollte er lieber im Wasser ersaufen, als am Lande den Mingos in die Hände fallen, seit er von Pfadfinder erfahren, wie arg diese Rothäute nach Skalpen seien.

Es geschah, wie Jasper gesagt hatte. Die erwähnten vier Personen wurden ans Ufer geschafft, an eine Stelle, von der sie die Stromschnelle überschauen konnten; dann schoß das Kanoe dem tosenden Falle zu. Einen Augenblick erschien es Cap, als befände er sich in einem kochenden Kessel; es verging ihm Hören und Sehen; wie ein welkes Blatt wurde das Fahrzeug in dem weißschäumenden, brüllenden Chaos umhergeworfen, aber nur einen Augenblick, dann glitt es, von Jaspers fester Hand geleitet, ruhig auf dem glatten Wasser unterhalb der Schnelle dahin. Cap griff an seinen Zopf, derselbe hing noch an der alten Stelle; er atmete tief auf und blickte hinter sich – die Gefahr war vorüber.

Man gelangte zu dem Uferversteck, wo Jasper sein eigenes Kanoe verborgen hatte, und nunmehr schifften auch die Andern sich wieder ein; Cap, seine Nichte und Jasper begaben sich in das eine Fahrzeug, Pfadfinder, Pfeilspitze und Junitau in das andere. Der Mohikaner war im Uferwalde bereits vorausgegangen, um hier nach den Feinden zu spähen.

Eine lange Strecke schifften die Abenteurer vorsichtig und sich nur mit leiser Stimme unterhaltend stromabwärts; der Fluß war voll von Klippen und Untiefen und es bedurfte der größten Aufmerksamkeit von seiten der Bootsführer, alle diese Hindernisse und Gefahren zu vermeiden. Die Kanoes hielten sich nach Möglichkeit nebeneinander.

»He, Süßwasser!« rief Pfadfinder plötzlich zu dem jungen Schiffer hinüber, »dort am Ufer, auf dem Stein unterhalb des hängenden Buschwerks steht eine Rothaut – wer ist das?«

»Das ist die Große Schlange, Pfadfinder. Der Häuptling winkt uns.«

Die Fahrzeuge glitten heran und Pfadfinder und der Mohikaner wechselten einige Worte in der Sprache der Delawaren.

»Chingachgook ist nicht gewohnt, Baumstämme für Feinde anzusehen,« sagte der weiße Mann zu seinem rothäutigen Genossen. »Warum hält er uns hier auf?«

»Im Walde sind Mingos,« antwortete der Häuptling.

»Das haben wir schon seit zwei Tagen gemutmaßt; hat der Häuptling jetzt Gewißheit?«

»Sieh,« versetzte der Mohikaner, einen aus Stein geschnitzten Pfeifenkopf emporhaltend. »Der Tabak darin glimmte noch, als ich ihn fand.«

»Dann sind die Mingos nicht weit,« sagte Pfadfinder. »Jasper,« gebot er dem jungen Schiffer, »seht Ihr dort die hohe Kastanie? Lauft, mein Junge, nehmt Stahl und Stein und zündet dort ein Feuer an; vielleicht lockt der Rauch die Schelme nach jenem Orte, während wir die Flußbiegung umschiffen und unterhalb derselben ein Versteck suchen.«

Jasper sprang ans Land und verschwand im Dickicht; bald darauf stieg ein bläulicher Rauch über den Wipfeln in der Nähe der Kastanie auf, während die Kanoes schnell der Flußbiegung zustrebten. Der Mohikaner blieb zurück, um seine Beobachtungen fortzusetzen. Unterhalb der Biegung entdeckte das scharfe Auge Pfadfinders bald eine kleine Bucht in dem hohen Ufer, die für beide Fahrzeuge Raum bot. Ein besserer Schlupfwinkel ließ sich gar nicht denken. Das dichte Ufergebüsch und die von der Höhe über das Wasser hinausragenden Baumkronen verwandelten die Bucht in eine dunkle Grotte, die nur vom Flusse her Zugang hatte. Die Kanoes wurden hineingeschafft, dann schnitten Pfadfinder und der Tuskarora laubreiche Äste und Stämmchen ab, steckten dieselben vor die Grotte in den sandigen Grund des Flusses und schufen dadurch eine buschige Schutzwand, die kein Auge zu durchdringen vermochte.

»Still!« flüsterte der Jäger, nachdem man eine Weile in schweigender Erwartung teils in den Kanoes gesessen, teils am Ufer gestanden hatte, »da kommt Süßwasser. Als verständiger Junge watet er im Flusse, um keine Fährte zu hinterlassen. Jetzt werden wir sehen, ob unser Versteck die Probe besteht.«

Der junge Schiffer hatte die Flußbiegung umschritten und als er keine Spur von den Kanoes sah, begann er mit prüfenden Blicken die Ufergebüsche zu mustern. Langsam, ganz langsam watete er vorwärts, alle zehn Schritte stehen bleibend. Er kam der künstlichen Schutzwand so nahe, daß die Blätter ihn streiften, dennoch merkte er nichts Verdächtiges; er wäre vorüber gegangen, wenn Pfadfinder ihn nicht leise gerufen hätte.

»Nicht übel,« sagte der Jäger, unhörbar vor sich hin lachend, »nicht übel! Allein Rothäute haben andere Augen als Bleichgesichter. Ich möchte mit der Sergeantentochter einen Wampumgürtel gegen ein Horn voll Pulver wetten, daß ihres Vaters ganzes Regiment hier vorbeimarschieren würde, ohne uns zu entdecken. Aber warten wir, bis die Große Schlange kommt; wenn unsere Kunst vor diesem Häuptling besteht, dann erst können wir uns etwas darauf einbilden.«

»Meint Ihr nicht, Meister Pfadfinder,« warf Cap ein, »daß es klüger wäre, wenn wir uns sogleich wieder aufmachten und in möglichster Eile das Fort zu erreichen suchten? Haben wir die Wilden erst hinter uns, dann soll es ihnen schwer werden, uns einzuholen.«

»Ehe wir von dem Mohikaner gehört haben, möchte ich diesen Schlupfwinkel nicht um alles Pulver im Fort verlassen,« entgegnete der Jäger. »Wir liefen dem Tode geradezu in den Rachen und das dürfen wir nicht, so lange des Sergeanten Tochter bei uns ist.«

Cap fügte sich, und wieder versank die Gesellschaft in Schweigen. Eine lange Zeit verstrich. Endlich erhob Pfadfinder lauschend den Kopf.

»Die Schlange kommt!« rief er leise. »Nun wollen wir sehen, ob mohikanische Augen schärfer sind als die eines Seeschiffers.«

Der Delaware kam denselben Weg daher, den vor ihm Jasper eingeschlagen. Aber anders wie dieser, schien er auch Sorge zu tragen, sich durch das Ufergebüsch gegen die Blicke hinter ihm befindlicher Späher zu decken.

»Der Häuptling sieht die Vagabunden!« flüsterte Pfadfinder. »Die Dummköpfe haben auf den Köder gebissen und sind gegen Jaspers Feuer herangeschlichen!«

Der Mohikaner war vor der Schutzwand angelangt; schon schien er dieselbe passieren zu wollen, da aber warf er noch einen forschenden Blick auf das Gesträuch, dann bog er die Zweige vorsichtig zur Seite und im nächsten Moment stand er in der Grotte, mitten unter der Gesellschaft.

»Mingos?« fragte der Jäger kurz.

»Irokesen,« antwortete der Häuptling.

»Das ist dasselbe; Irokesen, Teufel, Mingos oder Furien, das ist alles eins. Ich nenne die Schelme Mingos. Komm hierher, Häuptling, ich habe mit Dir zu reden.«

Die beiden traten auf die Seite und hielten eine lange Zwiesprache auf delawarisch. Dann teilte Pfadfinder den Andern das Gehörte mit.

Der Mohikaner war der Spur der Feinde in der Richtung des Forts gefolgt, bis dieselben, durch Jaspers Feuer angelockt, plötzlich umgekehrt waren. Er hatte fünfzehn Krieger gezählt, die sich jetzt alle oberhalb der Stromschnelle befinden mußten. Jasper machte den Vorschlag, schleunigst davon zu paddeln.

»Ihr wißt ein Kanoe geschickt zu handhaben, Süßwasser,« entgegnete der Jäger, »aber ein Mingo ist in der Ausführung seiner Teufeleien noch geschickter; die Fahrzeuge sind schnell, schneller noch aber ist eine Büchsenkugel.«

Er redete noch, da berührte Mabel, die aufrecht im Kanoe stand, mit einer der in demselben befindlichen Angelruten seine Schulter. Sie hatte den Finger auf die Lippen gelegt und ihre Augen deuteten auf eine Öffnung in der Schutzwand. Der Jäger trat herzu und blickte durch das Blätterwerk.

»Die Mingos!« rief er flüsternd, »haltet die Waffen bereit. Freunde, aber rührt euch nicht!«

Jasper bewog Mabel, sich in dem Kanoe niederzulegen, Pfeilspitze und Chingachgook krochen ins Dickicht und lauerten hier wie Schlangen. Junitau setzte sich auf einen Stein und bedeckte den Kopf mit ihrem Gewande, und Cap schob die Pistolen im Gürtel handrecht; nur Pfadfinder stand, die Büchse im Arm, unbeweglich.

An der Biegung des Flusses erschienen drei Mingos, im flachen Wasser watend. Langsam, anscheinend unschlüssig, kamen sie näher. Blätterrascheln und leichte Tritte auf dem hohen Ufer verrieten, daß eine andere Abteilung der Mingos am Lande in gleicher Richtung daherkam. Unsere Abenteurer hatten jetzt Feinde auf beiden Seiten. Die Gestaltung des Ufers war derart, daß die Mingos am Lande ihre Gefährten im Flusse zu Gesicht bekamen, gerade als die Letzteren unmittelbar vor der künstlichen Schutzwand angelangt waren. Beide Abteilungen blieben stehen und begannen über die Köpfe der in der Buschgrotte Versteckten hinweg eine Unterhaltung, deren Worte sowohl dem Mohikaner und dem Tuskarora, wie auch dem Jäger verständlich waren.

»Das Wasser hat die Fährte weggewaschen,« sagte einer der Mingos im Flusse, der sich so nahe befand, daß Jasper ihn mit seinem Fischspeer hätte erreichen können.

»Die Bleichgesichter sind in ihren Kanoes entflohen,« antwortete ein Krieger vom Ufer.

»Das ist unmöglich. Die Büchsen unserer Krieger dort unten fehlen nicht.«

Pfadfinder warf Jasper einen bezeichnenden Blick zu.

»Meine jungen Männer mögen scharf ausschauen, als wären sie Adler,« sagte der älteste der im Flusse Watenden. »Einen ganzen Monat sind wir auf dem Kriegspfade und haben erst einen Skalp erbeutet. Da ist ein Mädchen unter den Bleichgesichtern, und einige unserer Tapferen brauchen Weiber.«

Die beiden Abteilungen setzten sich wieder in Bewegung. Von den am Lande befindlichen Wilden konnten unsere Abenteurer kaum bemerkt werden, sehr groß aber war diese Gefahr von seiten der drei Mingos im Flusse, die jedes Gesträuch mit funkelnden Blicken prüften. Trotzdem schritten auch diese an dem Versteck vorüber und schon öffnete Pfadfinder den Mund zu seinem herzlichen, lautlosen Lachen, als der Letzte der Krieger, ein ganz junger Mensch, plötzlich stehen blieb und einige Blätter befühlte, die ihm welker als die übrigen zu sein schienen. Seine Gefährten setzten ihren Weg fort. Schon wollte er ihnen folgen, da betrachtete er noch einmal die Blätter ganz genau, dann bog er kurz entschlossen die künstlich eingepflanzten Äste zurück, that einen Schritt vorwärts und stand nun in dem Schlupfwinkel, den wie Statuen dastehenden Abenteurern gegenüber. Ein leises »Hugh!« entfloh seinen Lippen, da aber fuhr auch schon der Tomahawk des Delawaren hernieder und spaltete ihm krachend den Schädel. Der Irokese warf die Hände empor und stürzte dann rücklings ins Wasser, das ihn sogleich davonführte, ehe Chingachgook noch herzuspringen und sich seines Skalps bemächtigen konnte.

»Jetzt haben wir keinen Augenblick mehr zu verlieren,« rief Jasper mit unterdrückter Stimme, indem er zugleich eine Lücke in die Schutzwand riß. »Thut wie ich, Meister Cap, wenn Euch an der Rettung Eurer Nichte gelegen ist; Ihr aber, Mabel, legt Euch flach nieder in das Kanoe.«

Damit zog er das Fahrzeug in den Fluß hinaus, wobei Cap ihm behilflich war. Pfadfinder folgte mit dem andern Kanoe; der Delaware aber sprang das Ufer hinauf, die Mingos von neuem zu beobachten. Als Pfadfinder in die Strömung gelangte, gewahrte er, sich umschauend, daß der Tuskarora und sein Weib, die gleich zu Anfang in sein Kanoe gestiegen waren, sich nicht mehr darin befanden. Ein Gedanke an Verrat flog ihm durch den Kopf, da aber wurde seine Aufmerksamkeit durch Gewehrschüsse abgelenkt, die gegen Jaspers Kanoe abgefeuert wurden. Der junge Mann strebte quer über den Fluß dem andern Ufer zu, kräftig von dem alten Cap unterstützt. Zugleich verkündete ein lautes Geheul, daß die Wilden den im Wasser treibenden Leichnam ihres Genossen entdeckt hatten.

»Haltet auf das Elsenbuschwerk zu, Jasper!« rief der Jäger mit schallender Stimme dem Freunde zu. »Denkt an nichts als an die Rettung des Mädchens und überlaßt diese schurkischen Mingos mir und der Großen Schlange!«

Der junge Schiffer schwenkte zustimmend sein Paddelruder, während jetzt Schuß auf Schuß gegen den hoch und frei im Kanoe stehenden Jäger knallte; derselbe hatte seinen Zweck erreicht, das Feuer der Wilden von dem Kanoe Jaspers ab und auf sich gelenkt.

»Ja, schießt nur, ihr Dummköpfe,« sagte Pfadfinder im Selbstgespräch, indem er zugleich mit starken Ruderschlägen sein Fahrzeug über den Fluß trieb, »schießt nur und verschwendet euer Pulver. Ich will euch nicht verhöhnen, wie ein Delaware oder ein Mohikaner dies thun würde, denn meine Gaben sind die eines Christenmenschen und nicht die einer Rothaut, aber hier, wo ihr es nicht hört, kann ich es ja wohl sagen, daß ihr nicht bessere Schützen seid, als jene Stadtleute, die in ihren Gärten auf Rotkehlchen schießen ... Aha, das war gut gemeint,« lächelte er, als ihm eine Kugel eine Locke von der Schläfe schnitt, »aber das Blei, das um einen Zoll fehlt, ist ebenso unnütz, wie eins, das nie den Lauf verläßt. Brav, Jasper! Des Sergeanten liebes Kind muß geborgen werden und sollten wir ohne Skalpe heimkommen!«

Jasper erreichte unverletzt das schützende Dickicht, wo er, Cap und Mabel auf das Ufer sprangen und vorläufig in Sicherheit waren. Pfadfinder aber befand sich in größter Gefahr, da er ohne Deckung den Kugeln aller Feinde ausgesetzt war, denn inzwischen hatte sich auch die Abteilung der Mingos, die weiter unten den Fluß überwachen sollte, durch die Schüsse angelockt, auf dem Schauplatze eingefunden und, zehn Mann stark, eine Stromenge besetzt, die der Jäger demnächst passieren mußte. Ruhigen Blickes überschaute der kühne Mann die Sachlage, dann griff er plötzlich nach Büchse und Jagdsack, sprang über Bord und watete von Fels zu Fels dem westlichen Ufer zu. Das Kanoe aber geriet in den Wirbel der Enge, füllte sich mit Wasser und trieb dann dicht bei den Irokesen auf den Strand. Schuß auf Schuß krachte, das Brausen der Flut übertönend; die Kugeln durchlöcherten des Jägers Gewand, sein Körper aber schien gefeit zu sein. Endlich erreichte er in Brusttiefe einen großen Stein, dessen Oberfläche trocken war; auf diesen legte er sein Pulverhorn und machte sich dann die Deckung so gut als möglich zu nutze.

Vom Ufer aus hatten Jasper, Mabel und Cap mit pochenden Herzen das Thun des Jägers und der Mingos beobachtet; jetzt aber gewahrte der junge Schiffer, daß die Strömung von seinem Standorte aus direkt auf jenen Stein zutrieb; er zog das Kanoe herbei, schob es mit Vorsicht in den Fluß hinaus und hatte bald darauf die Freude, es von Pfadfinder aufgefangen zu sehen. Der Jäger schwang sich hinein und erreichte glücklich das rettende Ufer, wo die Freunde ihn jubelnd empfingen.

Inzwischen hatten die Mingos auf dem östlichen Ufer Pfadfinders Kanoe aufgefischt und drei von ihnen machten sich daran, in demselben über den Fluß zu setzen.

»Soll ich feuern?« fragte Jasper, seine Büchse erhebend.

Ehe Pfadfinder aber noch antworten konnte, hörte man den scharfen Knall einer Büchse; der Wilde, der das Kanoe steuerte, that einen Luftsprung und stürzte, das Ruder in der Hand, kopfüber in den Strom.

»Das ist das Zischen der Großen Schlange!« rief der Jäger frohlockend. »Ein treueres und kühneres Herz als das seine schlug nie in eines Delawaren Brust!«

Das führerlose Kanoe schoß der Enge zu, wo es sogleich in den Wirbel geriet; im nächsten Augenblick schlug es um und seine beiden Insassen fielen ins Wasser. Schwimmend und watend strebten sie dem Ufer zu; das Fahrzeug aber blieb auf einer Klippe sitzen, für Freund und Feind zunächst gleich unerreichbar.

Wieder erhob der vor Eifer brennende Jasper seine Waffe, um einen der watenden Krieger niederzustrecken, aber Pfadfinder hinderte ihn daran. Der wackere Jäger war kein Freund von unnützem Blutvergießen.

»Ich liebe die Mingos nicht,« sagte er, »aber ich verschieße auch keine Kugel auf sie, wenn ich nicht dazu gezwungen bin. Behalten wir unser Blei im Lauf, zu Nutz und Frommen der Schlange, die nicht ganz vorsichtig handelte, als sie den Irokesen vorhin ihre Nähe verriet ... Da, sagt ich's nicht? So wahr ich ein Sünder bin, dort schleicht einer der Schelme am Ufer hin, dem Schlupfwinkel des Häuptlings zu! Er ist nicht mehr weit von der Stelle, wo ich vorhin den Rauch von Chingachgooks Büchse aufsteigen sah. Merkwürdig, daß der Delaware ihn so nahe herankommen läßt!«

Und kein Auge von dem Mingokrieger verwendend, hob er langsam die Büchse empor.

»Der Leichnam des Irokesen, den die Schlange erschossen, ist dort auf den Felsen getrieben,« rief Jasper, »sein Kopf ragt aus dem Wasser.«

»Der wird niemand mehr ein Leid thun,« versetzte Pfadfinder, »jener schleichende Schuft aber trachtet nach dem Leben meines besten Freundes –«

Der Jäger unterbrach sich plötzlich, riß die Büchse, eine Waffe von ungewöhnlicher Länge, an die Wange und feuerte, anscheinend ohne erst zu zielen. Der Wilde drüben hatte sich soeben zum Schuß angeschickt, als der Todesbote ihn erreichte. Sein Gewehr entlud sich in die Luft und er selber fiel ins Dickicht zurück.

»Das hat das Gewürm sich selber zuzuschreiben,« sagte Pfadfinder mit gerunzelten Brauen, indem er seine Büchse von neuem lud. »Chingachgook und ich sind seit unserer Knabenzeit treue Gefährten gewesen, wir haben am Horikan, am Mohawk, am Ontario und überall, wo es die Franzosen zu bekämpfen galt, Seite an Seite gefochten; bildete der dumme Teufel sich etwa ein, ich würde ruhig zusehen, wie man meinen besten Freund aus dem Hinterhalt niederschießt?«

»Die Schlange hat uns vorhin einen guten Dienst geleistet, der ist ihm jetzt vergolten worden,« versetzte Jasper. »Die Mingos verkriechen sich, sie gewahren, daß wir sie auch über den Fluß erreichen können. Doch was kommt da auf uns zugeschwommen? Ist das ein Hund oder ein Hirsch?«

Der Jäger lugte scharf nach dem Wasser, auf dem ein Stück Strauchwerk herangetrieben kam. Er erkannte bald, daß man es mit einer indianischen Kriegslist zu thun hatte. Dann aber erheiterten sich seine Züge.

»Die Große Schlange, so wahr ich lebe!« rief er. »Er hat sich den Busch um den Kopf und das Pulverhorn oben drauf gebunden, und auf dem Stück Holz schiebt er die Büchse vor sich her! Wie oft haben wir beide angesichts der heulenden Mingos solche und ähnliche Scherze ausgeführt!«

Der Häuptling erreichte das Ufer genau an der Stelle, wo seine Freunde sich befanden; er stieg aus dem Wasser, schüttelte sich wie ein Hund und sagte nichts als: »Hugh!«


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