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Stephano. – Seine vordere Stimme spricht nur Gutes von einem Freunde, die hintere aber führt lose Reden und weiß nur Verläumdungen auszustoßen.
Der Sturm.
Die Lage des Montauk war nach dem Abgange so vieler Passagiere verlassener, als je. So lange es auf den Decken noch von Menschen wimmelte, hatte das Schiff ein lebenvolles Aussehen, welches dazu diente, die Unruhe zu mildern; nun aber sämmtliche Zwischendeckpassagiere und so Viele aus den Kajüten abgegangen waren, begannen die Zurückbleibenden in Betreff der Zukunft ernstlichere Besorgnisse zu unterhalten. Als der Punkt, welcher die oberen Segel des Vorrathschiffes bezeichnete, hinter der Meereskrümmung verschwand, bedauerte Mr. Effingham, daß er nicht gleichfalls seinen Widerwillen gegen eine überfüllte und unbequeme Kajüte so weit hatte überwinden können, um mit seiner eigenen Gesellschaft an Bord zu gehen. Dreißig Jahre früher würde er sich glücklich geschätzt haben, wenn er für eine Fahrt ein so gutes Schiff mit so gemächlichen Einrichtungen gefunden hätte; aber andere Angewöhnungen bringen auch einen Wechsel in unsern Ansichten hervor, und er hielt es jetzt fast für unmöglich, Eva und Mademoiselle Viefville in eine Lage zu bringen, wie sie sich diejenigen stets gefallen lassen mußten, welche zu Anfang dieses Jahrhunderts Seereisen machten.
Wie bereits bemerkt wurde, hatten die Kajütenpassagiere sich verschiedentlich entschlossen. Die Zurückbleibenden bestanden aus den Effinghams und ihrer Gesellschaft, Mr. Sharp, Mr. Blunt, Sir George Templemore, Mr. Dodge und Mr. Monday. Mr. Effingham's Gründe bestanden in der größeren Bequemlichkeit des Paketschiffes und in der Hoffnung, eine Ankunft an den Inseln würde das Schiff in die Lage bringen, die geeigneten Ausbesserungen vorzunehmen, so daß es Amerika fast eben so schnell erreichen konnte, als das träg segelnde Schiff, welches sie eben erst verlassen hatte. Mr. Sharp und Mr. Blunt hatten erklärt, daß sie seinen Glücksstern theilen wollten – eine mittelbare Redeweise, die eigentlich der Tochter galt. Daß John Effingham blieb, verstund sich von selbst, obschon er dem Fremden den Vorschlag gemacht hatte, er solle sie nach einem Hafen tauen. Die Ausführung desselben scheiterte jedoch an dem Umstande, daß die beiden Kapitäne über den Steuerkurs nicht einig werden konnten, wie sich denn auch eine ernstlichere Schwierigkeit in Betreff der Vergütung herausstellte, da der Fremde einige ziemlich verständliche Winke über Bergegeld fallen ließ. Monday dagegen mochte sich nicht von den Vorräthen des Stewards trennen, von denen ihm jetzt, wie er richtig folgerte, weit mehr zufallen mußte, als früher.
Sir George Templemore war an Bord des Vorrathschiffes gegangen und hatte durch einige sehr klare Demonstrationen seine Absicht angedeutet, sich selbst und die sechsunddreißig Paar Hosen nach diesem Fahrzeug zu überpflanzen; als er jedoch die Einrichtungen und namentlich den beschränkten Platz sah, in welchem er sich und seine zahlreichen Merkwürdigkeiten unterbringen sollte, fühlte er sich doch dem Opfer nicht gewachsen. Andererseits wußte er, daß ihm jetzt ein ganzes Staatsgemach zu Theil werden würde, weshalb der verwöhnte, schwachköpfige junge Mann die augenblickliche Gemächlichkeit und das Vergnügen, seiner Lieblingsschwäche nachzuhängen, der Sicherheit vorzog.
Was Mr. Dodge betraf, so besaß er die amerikanische Eilwuth, weshalb er unter die Ersten gehörte, welche ein allgemeines Schwärmen vorschlugen, sobald ruchbar wurde, daß der Fremde die Passagiere aufnehmen würde. Im Laufe der Nacht war er eifrig bemüht gewesen, eine Partie zu der »Resolution« zu bewegen, die Klugheit fordere, daß der Montauk von allen seinen Passagieren verlassen werde; und sogar nachdem dieser Plan fehlgeschlagen war, erging er sich sehr beredt in den Winkeln des Schiffes (denn Mr. Dodge war zu bescheiden und zu rein demokratisch, um je laut zu sprechen, wenn er nicht unter den schützenden Fittigen der öffentlichen Meinung stand) über die Zweckmäßigkeit, daß Kapitän Truck sein eigenes Urtheil dem der Mehrzahl unterstelle. Er hätte übrigens eben so gut gegen den letzten Sturm schelten und hoffen können, ihn dadurch zum Aufhören zu zwingen, als ihm ein derartiger Versuch gegen die festgewurzelten Begriffe, welche der alte Seemann von seiner Pflicht hatte, Aussicht versprach; denn kaum war ein derartiges Ansinnen [angedeutet] worden, als er schon seine Weigerung in einem Tone herausknurrte, der, eben weil er seine Passagiere sonst nicht so zu behandeln pflegte, die Vorstellung auf's Wirksamste zum Schweigen brachte. Nachdem diese beiden Plane fehlgeschlagen waren, versuchte Mr. Dodge angelegentlichst, Sir George zu überzeugen, daß er seine Interessen und seine Sicherheit nicht besser wahren könne, als wenn er an Bord des Proviantschiffes gehe; aber alle seine Beredsamkeit und der feste Fuß, den er durch unabläßige Schmeicheleien in dem Herzen des Andern gewonnen hatte, waren außer Stande, die Gemächlichkeitsliebe, namentlich aber die Leidenschaft des Baronet zu überwinden, welche ihn so großes Vergnügen an seinen hundert Merkwürdigkeiten finden ließ. Die Hosen, die Rasirmesser, das Toiletten-Etuis, die Pistolen und die meisten anderen Dinge hätten sich allerdings in einen Koffer packen lassen; aber Sir George liebte es, sie täglich anzusehen, weshalb sie wo möglich stets vor seinen Augen paradiren mußten.
Als Mr. Dodge fand, es sey vergeblich, Sir George Templemore aus dem Paketschiffe fortzuschwatzen, erklärte er plötzlich zum Erstaunen Aller seine Absicht, daß er gleichfalls bleiben wolle. Einige machten Halt, um sich noch in der Hast eines solchen Momentes nach seinen Beweggründen zu erkundigen. Seinem Zimmergefährten dagegen versicherte er, nur die innige Freundschaft, die er zu ihm fühle, könne ihn veranlassen, auf die Aussicht, die Heimath noch vor den Herbstwahlen zu erreichen, zu verzichten.
Auch ging Mr. Dodge in dieser Angabe nicht sehr weit von der Wahrheit ab; denn als amerikanischer Demagoge gab er sich genau dem Einflusse jener Gefühle und Neigungen hin, die ihn an allen andern Orten zu einem Höfling gemacht haben würden. Allerdings war er – oder glaubte es wenigstens – in einer Diligence mit ein paar Gräfinnen gereist; aber von diesen hatte er sich in Folge der Macht der Umstände zu früh wieder trennen müssen, während er hier einen bona fide englischen Baronet ganz für sich in einem raumbeschränkten Staatsgemach hatte, und seine Einbildungskraft schwelgte in dem Ruhme und dem Glück einer solchen Bekanntschaft. Was waren die stolzen und abgemessenen Effinghams gegen Sir George Templemore? Er schrieb sogar ihre Zurückhaltung gegen den Baronet dem Neide zu – eine Leidenschaft, von deren Vorhandenseyn er sehr lebhafte Vorstellungen hatte – und fand eine geheime Wonne darin, in einem so kleinen Raume mit einem Manne abgeschlossen zu seyn, der den Neid eines Effingham zu erregen vermochte. Ehe er daher seine aristokratische Prise aufgab, die er allen seinen benachbarten demokratischen Freunden zur Schau zu stellen gedachte, beschloß er lieber von seiner gewohnten Hast abzulassen und seinen Lohn in der künftigen Lust zu suchen, in seinem heimischen Kreise von Sir George Templemore, seinen Raritäten, seinen Reden und Scherzen sprechen zu können. Außerdem kitzelte, so sonderbar es auch erscheinen mag, Mr. Dodge doch das Verlangen, bei den Effinghams zu bleiben, denn obschon seine Eifersucht und das Bewußtseyn ihrer Ueberlegenheit in seinem Innern nur Haß erzeugte, war er doch jeden Augenblick bereit, Frieden mit ihnen zu schließen, vorausgesetzt, daß dies durch eine unverholene Einräumung der Rechte eines vertraulichen Umgangs geschehen konnte. Was dagegen die nichts ahnende Familie betraf, die für Mr. Dodge's Glück von so wesentlicher Bedeutung geworden war, so dachte sie nur selten an dieses Individuum, ließ sich wenig träumen, welche hohe Stelle sie in seiner Werthschätzung einnahm, und handelte blos nach den Eingebungen ihres Geschmackes und ihrer Grundsätze, wenn sie keinen Gefallen an der Gesellschaft des Journalisten finden konnte. Sie glaubte, namentlich in dieser Hinsicht frei sich bewegen zu können, um so mehr, da ihre Angehörigen schon in Folge der genossenen guten Erziehung selten sich tadelnde Bemerkungen über Personen erlaubten und nie auf Klatschereien eingingen.
In Folge dieser widersprechenden Gefühle von Seiten Mr. Dodge's – der Verwöhntheit des Sir George Templemore – des Interesses, welches die beiden Gentlemen an Eva nahmen – der Vorliebe Mr. Monday's zu Xeres und Champagner – desgleichen der Entschiedenheit Mr. Effinghams blieben diese Personen die einzigen Insassen der Kajüten des Montauk. Von dem großen Haufen, welcher nunmehr abgezogen ist, haben wir bisher nichts gesprochen, namentlich da ihm die erwähnte Uebersiedelung an Bord des Proviantschiffes im Laufe unserer Geschichte kein weiteres Interesse verleiht.
Wenn wir sagen wollten, es sey Kapitän Truck nicht wehmüthig um's Herz gewesen, als er das Transportschiff unter den Horizont versinken sah, so würden wir dem mannhaften Matrosen weit mehr Philosophie zuschreiben, als er wirklich besaß. Im Laufe eines langen und ereignißreichen Berufslebens hatte er wohl schon allerlei Ungemach durchgemacht, aber nie zuvor sich genöthigt gesehen, Beistand aufzubieten, und seine Passagiere einem anderen Schiffe zu übergeben, damit es dieselben nach dem bedungenen Hafen bringe. In dem gegenwärtigen Falle kam ihm der Akt, welchen die Nothwendigkeit forderte, sogar als Makel für seinen Seemannsruf vor, obgleich in Wahrheit der Unfall dem im Kerne des Mastes versteckten Mangel zuzuschreiben war. Der ehrliche Kapitän seufzte oft, rauchte den Nachmittag über fast noch einmal so viel Cigarren, als gewöhnlich, und wie endlich die Sonne glorreich im fernen Westen unterging, betrachtete er in melancholischem Schweigen den Himmel so lang, als noch einer von den herrlichen Gold- und Purpurstreifen, welche in der Dämmerung die Wolken zu säumen pflegen, zurückblieb. Er beschied sodann Saunders nach dem Halbdecke, wo folgendes Gespräch zwischen ihnen stattfand:
»Wir sind in einer ganz verteufelten Categorie, Meister Steward!«
»Sie könnte wohl besser seyn, Sir. Ich wünsche nur, daß die gute Butter anhalte, bis wir unsern Hafen erreichen.«
»Wenn Ihr's daran fehlen laßt, so werde ich dafür Sorge tragen, daß man Euch in das Gefängniß des Staats oder wenigstens in jene gothische Hütte auf Blackwells-Island stecke.«
»Haltet zu Gunsten, Kapitän Truck, Alles nimmt ein Ende – sogar die Butter. Vermuthlich wird auch Mr. Vattel dies zugeben, Sir, wenn er anders von der Kochkunst etwas versteht.«
»Hört, Saunders, wenn Ihr je wieder in meiner Gegenwart darauf hindeutet, Vattel habe zu den Kupferkesseln in Beziehung gestanden, so werde ich mir die Freiheit nehmen, Euch hier herum an die Küste zu setzen, wo Ihr Euch mit Zurüstung eines Diners aus gebratenen jungen Affen unterhalten könnt. Ich weiß, daß Ihr an Bord des andern Schiffes waret und die Einrichtungen beaugenscheinigtet. Wie werden die Gentlemen darin ihre Zeit verbringen können?«
»Erbärmlich, Sir – ich gebe Euch als ein ächter Gentleman mein Ehrenwort darauf, Sir. Würdet Ihr's wohl glauben, Kapitän Truck – der Steward ist ein kohlrabenschwarzer Neger, trägt Ohrenringe, ein rothes Flanellhemd und besitzt nicht die mindeste Erziehung. Was den Koch betrifft, so würde ihn Jenny Ducks, den wir an Bord haben, in einer Prüfung ausstechen; auch ist nur eine Cambüse und ein einziges Paar Kessel vorhanden.«
»Nun, in diesem Falle werden die Zwischendeckpassagiere so gut fahren, wie die in der Kajüte.«
»Ja, Sir, und die Kajüte so schlecht, wie das Zwischendeck. Ich für meinen Theil degustire Freiheit und Gleichheit.«
»Ueber diesen Punkt solltet Ihr mit Mr. Dodge sprechen, Meister Saunders – es dürfte dann einen harten Kampf setzen. Darf ich fragen, Sir, ob Ihr Euch zufälligerweise erinnern könnt, welchen Wochentag wir haben?«
»Ohne Controvers, Sir. Morgen ist's Sonntag, Kapitän Truck, und ich denke, es ist tausend Schade, daß wir keine Gelegenheit haben, die Kirchengebete für uns in Anspruch zu nehmen, Sir.«
»Wenn morgen Sonntag ist, so muß wohl heute Samstag seyn, Mr. Saunders, wenn nicht etwa die letzte Bö eine Verwirrung in den Kalender gebracht hat.«
»Ganz natürlich, Sir, und sehr richtig bemerkt. Alle Welt räumt ein, daß es keinen bessern Seemann gebe, als den Kapitän Truck, Sir.«
»Dies mag wahr seyn, mein ehrlicher Bursche,« entgegnete der Kapitän verstimmt, nachdem er drei oder vier qualmende Züge aus seiner Cigarre gethan hatte; »aber ich bin hier unten in der Nachbarschaft des Landes Eurer liebenswürdigen Familie kläglich aus meinem Wege. Wenn heute Samstag ist, so werden wir demnächst Samstag Abend haben, und seht zu, daß wir Toaste auf unsre ›Schätzchen und Weiber‹ ausbringen können. Ich bin zwar mit keinerlei derartiger Waare begabt, fühle aber doch, daß mir etwas Aufheiterndes Noth thut, damit ich meine Gedanken zu der Zukunft erheben kann.«
»Verlaßt Euch auf meinen Kopf, Sir – es freut mich, Euch so sprechen zu hören; denn ich glaube, Sir, ein Schiff ist nie so achtbar und gentil, als wenn es alle Feiertage celebrirt. Es wird heute Abend eine ganz auserlesene und sehr angenehme Gesellschaft geben, Sir.«
Nach diesen Bemerkungen entfernte sich Mr. Saunders, um sich mit Toast über den Gegenstand zu benehmen, und Kapitän Truck schickte sich an, Mr. Leach die betreffenden Befehle für die Nacht zu ertheilen. Das stolze Schiff bot in der That einen Anblick, der geeignet war, einen Seemann schwermüthig zu machen, denn zu dem einzigen regelmäßigen Segel, das noch stand, dem Focksegel, war inzwischen eben ein unteres, unvollkommen aufgetackeltes Prallsegel gekommen, das keinem frischen Stoße Stand halten konnte, während eine sehr kunstlose Nothstenge einem Oberbramsegel als Halt diente, das nur in freiem Winde geführt werden konnte. Im Hinterschiffe gingen allerdings Vorbereitungen vor sich, welche von dauernderer Natur waren. Der obere Theil des noch stehenden großen Mastes war knapp am Zwischendecke abgehauen und eine Vorrichtung angebracht worden, die das Einsetzen einer Stenge zuließ. Die Spiere selbst lag getakelt auf dem Deck, und ein paar Böcke konnten jeden Augenblick gehißt werden, um die Stenge aufzurichten. Aber die Nacht brach ein, weshalb die Mannschaft aufhörte, die Raaen aufzutakeln, die Segel anzuschlagen und die übrigen Spieren, welche benützt werden sollten, zuzurüsten, indem man den letzten Akt, das Aufrichten des Ganzen bis auf den nächsten Morgen verschob.
»Wir kriegen wahrscheinlich eine ruhige Nacht«, sagte der Kapitän, mit seinen Blicken den Himmel musternd. »Bietet morgen um acht Uhr alle Matrosen auf; dann wollen wir wohlgemuth dran gehen, um aus dem alten Rumpfe eine Brigg zu machen. Diese Stenge wird ausreichen, um das Gewicht der Hauptraa zu tragen, wenn nicht etwa abermals eine Bö kommt; und wenn wir das neue Hauptsegel reffen, sind wir schon im Stande, etwas zurecht zu bringen. Die Bramstenge wird natürlich oben passen, und wenn wir ein wenig freihalten, läßt sich's schon einrichten, daß sie das Segel führt. Im Nothfalle finden wir's vielleicht auch möglich, unsern Nothbehelf dahin zu beschwatzen, daß er auch ein Prallsegel erträgt. Für weiter haben wir kein Holz mehr; indeß wollen wir versuchen, ob wir nicht aus den ledigen Spieren, die wir von dem Proviantschiff erhielten, auch hinten etwas aufrichten können. Um Glock vier könnt Ihr die Leute entlassen, Mr. Leach, damit die armen Teufel ihren Samstag Abend im Frieden zubringen mögen. Es ist Unglück genug, entmastet zu seyn – man braucht daher nicht auch noch dem Grog Abbruch zu thun.«
Der Mate gehorchte natürlich, und der Abend schloß mit der schönen, ruhigen Glorie einer milden Nacht, wie man sie nur unter so niedrigen Breitengraden findet. Diejenigen, welche das Meer nie unter solchen Umständen gesehen haben, wissen nicht, wie zauberhaft es sich ausnimmt in den Augenblicken seiner Ruhe. Der Ausdruck Schlaf paßt wohl für die eindrucksvolle Stille; denn die langen trägen Wellen, auf welchen das Schiff sich hob und senkte, störten kaum die Oberfläche. Der Mond erhob sich erst um Mitternacht, und Eva ging, von Mademoiselle Viefville und den meisten ihrer männlichen Gefährten begleitet, im klaren Sternenlichte auf dem Decke umher, bis sie der Bewegung in dem beschränkten Raume müde war.
Von der Back her, wo die Mannschaft ihren Sonnabend beging, hörte man häufiges Singen und Gelächter – deßgleichen auch gelegentlich einen rohen Witz in der Form eines Toastes. Aber die Ermattung übermächtigte bald die Heiterkeit, und die erschöpften Matrosen, welche die [Freiwache] hatten, begaben sich nach ihren Lagern, diejenigen zurücklassend, welche in Folge ihrer Dienstpflicht oben bleiben mußten, um die langen Stunden an Plätzen, wie sie dieselben auf dem Decke finden konnten, hinzunicken.
»Eine weiße Bö,« sagte Kapitän Truck, zu den linkischen Segeln aufblickend, welche kaum im Stande waren, im Laufe von drei Stunden das Schiff eine Seemeile weit durch's Wasser zu bringen, »würde uns bald all unser Tuch beschlagen haben, und wir sind hier ganz an dem Platze, wo uns ein solches Zwischenspiel blühen könnte.«
»Und was würde dann aus uns werden?« fragte Mademoiselle Viefville rasch.
»Ihr würdet besser thun, zu fragen, Mamsell, was aus diesem Gedanken von einem Marssegel und aus jenem Prallsegel würde, das ganz aussieht, wie ein Amerikaner in London, der seine Hosenstege vergessen hat. Die Leinwand würde Drachen spielen und wir dürften mit unseren Erfindungen wieder vorne anfangen. Ein Schiff könnte kaum schlimmer in die Klemme gerathen, als wir in diesem Augenblicke, wenn uns ein derartiger afrikanischer Anflug zusetzte.«
»Im gegenwärtigen Falle, Kapitän,« bemerkte Mr. Monday, der durch das Hochlichtfenster den unten vorgehenden Vorbereitungen zusah, »können wir getrost unseren Samstag-Abend feiern, denn ich sehe, der Steward hat etwas bereit, und der Punsch sieht sehr einladend aus – des Champagners gar nicht zu gedenken.«
»Gentlemen, wir wollen unsre Pflicht nicht vergessen,« erwiederte der Kapitän. »Wir sind nur eine kleine Familie und haben's deßhalb um so mehr nöthig, uns auch als eine fröhliche zu erweisen. Mr. Effingham, ich hoffe wir werden die Ehre Eurer Gesellschaft haben, wenn es gilt, auf die Schätzchen und Frauen anzustoßen.«
Mr. Effingham hatte keine Gattin, und da die Einladung unter so eigenthümlichen Umständen vorgebracht wurde, so wirkte sie auf ihn sehr peinlich, wie Eva aus dem Zittern seines Armes deutlich entnahm. Sie deutete in mildem Tone ihre Absicht an, nach der Kajüte hinunterzugehen, und die ganze Gesellschaft folgte nach. Für die Unterhaltung des Kapitäns war es ein Glück, daß sie das Deck verließ, da derselben sonst wenige Theilnehmer angewohnt haben würden. Es bedurfte übrigens einer eigentlichen Presse, um die Gentlemen zu bewegen, daß sie ihm die Ehre ihrer Gesellschaft schenkten, und es stand einige Minuten an, ehe es ihm gelang, sie alle um den Kajütentisch zu versammeln, wo Jeder bald ein Glas köstlichen Punsches vor sich hatte.
»Mr. Saunders ist vielleicht kein Hexenmeister oder Mathematiker, Gentlemen,« rief Kapitän Truck, während er das Getränk mit dem Löffel einschöpfte, »versteht aber die Theorie des Süßen und Sauren, des Starken und Schwachen; ich erlaube mir daher dieses Getränk zu loben, noch ehe ich es gekostet habe. Na, Gentlemen, es giebt besser aufgetackelte Schiffe auf dem Meer, als das unsrige ist, aber nur wenige mit comfortableren Kajüten, einem stärkeren Rumpfe oder besserer Gesellschaft. Gefällt's Gott, so können wir, nun wir unseres lästigen Schattens ledig sind, wieder ein paar Hölzer oben anbringen, und dann glaube ich, mir noch immer mit der vernünftigen Hoffnung schmeicheln zu können, daß ich alle diejenigen, welche mir die Ehre erwiesen haben, bei mir zu bleiben, in kürzerer Frist zu New-York landen werde, als ein gemeiner Drogher mit allen seinen Beinen und Armen die Fahrt zu machen im Stande wäre. Mit eurer Erlaubniß soll der erste Toast lauten: ein glücklicher Ausgang dem, was so unheilvoll begonnen hat!«
Kapitän Trucks harte Züge zuckten ein wenig, als er diese Anrede hielt, und wie er den Punsch hinuntergoß, glänzten seine Augen unwillkührlich. Mr. Dodge, Sir George und Mr. Monday wiederholten den Trinkspruch mit voller Stimme Wort für Wort, während die andern Gentlemen sich verbeugten und stumm Bescheid thaten.
Der Anfang einer regelmäßigen Belustigungsscene ist gewöhnlich steif und förmlich, weßhalb es einige Zeit anstand, ehe Kapitän Truck seine Gefährten zu der Höhe zu steigern vermochte, auf welcher er sie zu sehen wünschte; denn obschon er ein sehr mäßiger Mann war, liebte er doch ein geselliges Gläschen, namentlich in Zeiten, wenn dadurch der Ausübung seines Berufes kein Abtrag geschah. Eva und ihre Gouvernante hatten es zwar abgelehnt, an der Tafel Platz zu nehmen, willigten aber doch ein, sich an einem Orte niederzulassen, wo man sie sehen und gelegentlich mit in die Unterhaltung ziehen konnte.
»Ich trinke nun schon seit vierzig Jahren und mehr jeden Samstag-Abend auf die Gesundheit der Frauen und Liebchen, meine theure junge Dame,« sagte Kapitän Truck, nachdem die Gesellschaft ungefähr einige Minuten bei ihren Gläsern gesessen hatte, »ohne daß ich je in diese Glücksbreite gerieth oder mich selbst mit einem derartigen Gegenstand versah. Aber obgleich ich meine eigenen Interessen und meine zeitliche Wohlfahrt so sehr vernachläßigt habe, mache ich mir's doch stets zur Regel, allen meinen jungen Freunden den Rath zu ertheilen, daß sie sich splissen lassen, noch ehe sie dreißig sind. Mancher ist schon zu mir mit dem festen Vorsatze an Bord gekommen, ewig ein Junggeselle zu bleiben, und verließ zu Ende der Fahrt mein Schiff mit dem preiswürdigen Vornehmen, das erste hübsche junge Frauenzimmer zu ehelichen, das ihm in den Wurf käme.«
Eva besaß zuviel mädchenhaftes Selbstgefühl und wußte die wahre Würde ihres Geschlechtes zu sehr zu schätzen, um an Scherzen über den Ehstand oder über die Liebe Theil zu nehmen; auch begriffen sämmtliche Gentlemen von ihrer Gesellschaft den Character der jungen Dame zu gut, – ihrer eigenen feinen Bildung gar nicht zu gedenken – um diesen Versuch des Kapitäns zu unterstützen; der Witz des ehrlichen Seemanns fand daher außer einigen flüchtigen Bemerkungen von Seiten der Uebrigen weiter keinen Anklang.
»Stehen wir nicht ungewöhnlich weit unten, Kapitän Truck?« fragte Paul Blunt, in der Absicht, dem Gespräche eine andere Wendung zu geben; »und doch sind wir noch immer nicht mit dem Passatwinde zusammen gefallen. Ich traf sie an dieser Küste gemeiniglich in einer Höhe von sechs oder sieben und zwanzig Graden und wenn ich nicht irre, bemerktet Ihr heute, daß wir uns unter dem vier und zwanzigsten befänden.«
Kapitän Truck blickte den Sprecher eine Weile scharf an und nickte dann beifällig mit dem Kopfe.
»Ich bemerke, Ihr habt diesen Weg schon früher gemacht, Mr. Blunt. Ist mir's doch gleich vorgekommen, Ihr seiet ein Span von demselben Holze – von dem Augenblicke an, als ich Euch den Fuß beim Heraussteigen aus dem Boote auf die Seitenklampen setzen sah. Ihr kamt nicht papagaienzehig, wie ein walzendes Bauernmädel an Bord, sondern setztet den Ballen des Fußes fest aufs Holz und schwenktet Euch in Armslänge wie ein Mann, der weiß wie er seine Muskel zu brauchen hat. Auch zeigt Eure gegenwärtige Bemerkung, daß Ihr wohl begreift, wo ein Schiff seyn sollte, um sich am rechten Platze zu befinden. Was die Passatwinde betrifft, so sind sie ein wenig unsicher, ungefähr wie der Sinn einer Dame, wenn sie mehr als einen guten Antrag erhalten hat; denn ich weiß, daß sie schon bis zu dreißig hinauf bliesen, und dann konnte man sie wieder unter drei und zwanzig oder gar tiefer noch immer nicht finden. Es ist meine Privatansicht, Gentlemen, und ich benütze mit Vergnügen diese Gelegenheit, sie kund zu thun, daß wir an dem Rande der Passatwinde oder in jenen leichten, neckenden Winden stehen, dir sich neben denselben hinziehen, wie man ja auch an der Seite starker stätiger Meeresströmungen Wirbel spielen steht. Wenn wir das Schiff aus dieser Besatzgegend – so lautet, glaube ich das Wort, Mr. Dodge – zwingen können, so wird es uns gut genug ergehen; denn ein Nordost- oder ein Ostwind kann uns sogar unter den Fetzen, die wir jetzt führen, bald in die Höhe der Inseln bringen. Wir sind freilich der Küste sehr nah – näher, als mir lieb ist; aber wenn wir eine gute Brise kriegen, so ist's nur um so besser für uns, da sie uns wohl windwärts finden wird.«
»Aber diese Passatwinde, Kapitän Truck –« fragte Eva: »wenn sie stets in die gleiche Richtung blasen, wie ist es möglich, daß der letzte Sturm unser Schiff in eine Meeresgegend führen konnte, wo sie vorherrschen?«
»Das stets, meine theuere junge Dame, ist gleichbedeutend mit bisweilen. Obgleich leichte Winde in der Nähe der Passatwinde vorherrschen, so blasen da doch auch bisweilen Böen und zwar gewaltige Kerle, wie wir kürzlich erst selbst erlebt haben. Ich denke, wir kriegen jetzt gesetztes Wetter, und zähle mit ziemlicher Sicherheit darauf, daß wir namentlich, wenn wir in einen südlichen amerikanischen Hafen einlaufen wollen, wohlbehalten anlangen werden, obschon es mit der Geschwindigkeit nicht eben so gut aussehen wird. Ich hoffe, noch vor Ablauf von vier und zwanzig Stunden unsere Decken mit weißem Sand bestreut zu sehen.«
»Rührt dies von einer Naturerscheinung her, welche dieser Gegend eigenthümlich ist?« fragte Eva's Vater.
»Es kommt oft vor, Mr. Effingham, wenn Schiffe nahe an der afrikanischen Küste in die stätigen Winde gerathen. Die Wahrheit zu sagen, das Land, welches etwa acht oder zwölf Stunden von uns entfernt liegt, ist nicht sehr einladend, und obschon sich's nicht leicht ausfindig machen lassen wird, wo sich der Garten Eden befindet, so begeht man doch eben kein Wagniß, wenn man behauptet, dort könne er unmöglich seyn.«
»Aber warum sehen wir denn kein Land, wenn wir so gar nah an der Küste sind?«
»Im Tackelwerk könnte man's jetzt vielleicht wohl sehen, wenn wir welches hätten. Wir sind übrigens südlich von den Gebirgen und in einer Höhe, wo die große Wüste bis an die Küste reicht. Aber ich bemerke, Gentlemen, daß Mr. Monday all' diesen Sand sehr trocken findet, weshalb ich mir erlaube, insgesammt ›eure Liebchen und Frauen‹ hoch leben zu lassen.«
Die meisten von der Gesellschaft thaten auf den gewöhnlichen Toast mit Lebhaftigkeit Bescheid, obschon die beiden Effinghams kaum ihre Lippen netzten. Eva warf einen schüchternen Blick nach ihrem Vater und ihre Augen füllten sich mit Thränen, als sie dieselben wieder abwandte, denn sie wußte, daß jede derartige Anspielung schmerzliche Erinnerungen in seiner Seele hervorrief. Was ihren Vetter Jack betraf, so war er ein zu entschiedener Hagestolz, so daß sie sich bei seiner Theilnahmlosigkeit an dem Trinkspruche eigentlich nichts dachte.
»Ihr müßt in Amerika Euer Herz in Acht nehmen, Sir George Templemore,« rief Mr. Dodge, dem der genossene Punsch die Zunge löste. »Unsre Damen sind berühmt wegen ihrer Schönheit und dabei ungemein populär, kann ich Euch versichern.«
Sir George machte ein vergnügtes Gesicht und dachte dabei wahrscheinlich an irgend ein besonderes Exemplar von den Sechsunddreißigen, das er bei seinem ersten Auftreten in einer derartigen Gesellschaft zu benützen beabsichtigte.
»Ich gebe zu, daß die amerikanischen Damen schön sind,« sagte Mr. Monday, »glaube aber, daß ein Engländer um deswillen sein Herz keiner besondern Gefahr aussetzt, wenn er an die Schönheiten seiner eigenen Insel gewöhnt ist. Kapitän Truck, ich habe die Ehre, auf Eure Gesundheit zu trinken.«
»Schön gesagt,« rief der Kapitän, sich für das Compliment verbeugend; »und ich schreibe mein eigenes hartes Geschick der Thatsache zu, daß ich stets zwischen zwei Ländern, die in Betreff dieses Artikels so begünstigt sind, segeln mußte; wer wäre auch da im Stande gewesen, über die Wahl mit sich in's Reine zu kommen? Ich habe schon zu tausend Malen gewünscht, es möchte nur eine einzige schöne Frau in der Welt geben; denn der Mann hätte dann nichts weiter zu thun, als sich in sie zu verlieben und sie unverweilt zu heirathen oder sich an dem nächsten besten Nagel aufzuhängen.«
»Das ist ein grausamer Wunsch für uns Männer,« entgegnete Sir George, »da wir dann zuverlässig wegen der Schönheit Streit kriegen würden.«
»In einem solchen Falle,« nahm Mr. Monday wieder auf, »würden wir von gemeinem Schlage den Ansprüchen des Adels das Feld räumen und uns mit einfacheren Gefährtinnen begnügen, obgleich der Engländer seine Unabhängigkeit liebt und leicht rebellisch werden könnte. Ich habe die Ehre auf Eure Gesundheit und Eure Wohlfahrt zu trinken, Sir George.«
»Ich protestire gegen Euren Grundsatz, Mr. Monday,« sagte Mr. Dodge, »denn er ist ein Eingriff in die Menschenrechte. Vollkommene Freiheit des Handelns muß in einer solchen Angelegenheit eben so gut behauptet werden, wie in allen andern. Ich räume ein, daß die englischen Damen ungemein schön sind, werde aber stets den Vorzug der amerikanischen Schönen verfechten.«
»Wir wollen auf ihre Gesundheit trinken, Sir. Es fällt mir nicht ein, Mr. Dodge, ihre Schönheit in Abrede zu ziehen; aber ich glaube, Ihr müßt mir zugeben, daß ihr Zauber vergänglicher ist, als der unsrer britischen Damen. Gott segne sie übrigens beiderseits, und ich leere dieses Glas aus vollem Herzen und aus ganzer Seele auf das Wohl der zwei Nationen.«
»Sehr höflich, Mr. Monday; aber was das Hinschwinden der Schönheit betrifft, so bin ich nicht überzeugt, ob ich Eurer Behauptung eine unbedingte Billigung zu Theil werden lassen kann.«
»Nun, Sir, Ihr werdet zugeben, daß euer Clima nicht das beste ist und die Constitutionen fast eben so schnell aufreibt, als eure Staaten Constitutionen machen.«
»Ich hoffe, es ist doch keine wirkliche Gefahr von dem Clima zu besorgen?« ließ sich jetzt Sir George vernehmen. »Schlimme Himmelsstriche sind mir ganz besonders zuwider, und aus diesem Grunde habe ich mir's zur Regel gemacht, nie nach Lincolnshire zu gehen.«
»In diesem Falle, Sir George, wäret Ihr besser zu Hause geblieben; denn was das Clima betrifft, verbessert man sich selten, wenn man Alt-England verläßt. Es ist nun das zehnte Mal, daß ich nach Amerika reise, vorausgesetzt, daß ich überhaupt dahin gelange, und obgleich ich große Achtung vor dem Lande habe, finde ich doch, daß ich jedesmal, so oft ich es verlasse, wieder älter geworden bin. Mr. Effingham, ich gebe mir die Ehre, auf Eure Gesundheit und Euer Wohlergehen zu trinken.«
»Ihr lebt zu gut, wenn Ihr unter uns seyd, Mr. Monday,« sagte der Kapitän. »Wir haben zu viele weiche Krabben, harte Austern und Destillirapparate – zu viel alten Madeira und edlen Xeres, als daß ein Mann von Eurem wohlbekannten Geschmack denselben sollte widerstehen können. Bleibt weniger lang an der Tafel sitzen, geht bei diesem Ausfluge öfter in die Kirche und laßt uns dann hören, was Ihr nach zwölf Monaten über die Folgen berichten könnt.«
»Ihr verkennt meine Lebensweise ganz und gar, Kapitän Truck – ich gebe Euch mein Ehrenwort darauf. Obschon ich im Essen gerne eine Auswahl treffe, so genieße ich doch nur selten künstlich zusammengesetzte Speisen, sondern halte es einfach mit Gesottenem und Gebratenem. In dieser Hinsicht ein ächter, altmodischer Engländer, befriedige ich meinen Appetit mit kernhaftem Ochsenfleisch, Schöps, Truthühnern, Schweinfleisch, Puddingen, Kartoffeln, Rüben, Möhren und ähnlicher einfacher Kost; und dann trinke ich nie. – Ladies, ich gebe mir die Ehre, euch eine glückliche Heimkehr in's Vaterland zu wünschen. – Ich schreibe den ganzen Uebelstand dem Clima zu, welches Einem nicht gestattet, gehörig zu verdauen.«
»Mr. Monday, ich unterschreibe die meisten Eurer Ansichten, und glaube, daß nur selten ein paar Menschen mit einander den Ocean kreuzen, welche im Allgemeinen harmonischere Gesinnungen hätten, als dies zwischen Euch, Sir George und mir der Fall ist,« bemerkte Mr. Dodge, indem er einen scharfen Seitenblick nach der übrigen Gesellschaft hinwarf, wie wenn er andeuten wollte, daß sie sich in einer entschiedenen Minderheit befinde; »aber in diesem Falle fühle ich mich genöthigt, meine Stimme als verneinend einregistriren zu lassen. Ich glaube, Amerika hat ein so gutes Clima und im Allgemeinen so gute Verdauungskräfte, als gemeiniglich den Sterblichen zu Theil werden; mehr als dies nehme ich für mein Land nicht in Anspruch, aber mit weniger könnte ich mich unmöglich zufrieden geben. Ich bin ein wenig auf Reisen gewesen, Gentlemen – vielleicht nicht so viel, wie die Herren Effingham; aber Niemand kann mehr sehen, als zu sehen ist, und ich behaupte, Kapitän Truck, daß meinem geringen Urtheil nach, das, wie ich wohl weiß, eigentlich gar nicht anzuschlagen ist –«
»Warum macht Ihr dann Gebrauch davon und verlaßt Euch nicht lieber auf ein besseres?« fragte abgebrochen der derbe Kapitän.
»Man muß es brauchen, wie man es hat, oder ganz darauf verzichten, Sir. Meinem geringen Urtheile nach, welches wahrscheinlich viel geringer anzuschlagen ist, als das der meisten Uebrigen an Bord, glaube ich, daß Amerika eine sehr gute Sorte Land genannt werden kann. Ich habe Einiges von andern Ländern, Regierungen und Völkern gesehen und mir jedenfalls aus meinen Erfahrungen die Ueberzeugung geholt, daß Amerika als Land gerade gut genug für mich ist.«
»Ihr habt nie wahrere Worte gesprochen, Mr. Dodge, und ich bitte Euch, mit Mr. Monday und mir zu einem frischen Glas Punsch zu greifen, nur um der Verdauung nachzuhelfen. Ihr habt mehr von der Menschennatur gesehen, als Euch Eure Bescheidenheit auszusprechen erlaubt, und ich denke daher, die Gesellschaft würde es Euch sehr Dank wissen, wenn Ihr alle Bedenken beseitigtet und uns Eure Privatansichten über die verschiedenen Völker, die Ihr besucht habt, mittheiltet. Erzählt uns etwas von jenem Ditter, den Ihr am Rhein machtet.«
»Es steht zu hoffen, daß Mr. Dodge seine Bemerkungen zu veröffentlichen gedenkt,« sagte Mr. Sharp, »und es wäre nicht recht, also seinem Stoffe vorzugreifen.«
»Ich bitte Gentleman, daß ihr euch um deswillen keine Sorge macht, denn mein Werk wird weniger aus Privatanekdoten bestehen, als vielmehr philosophischer und allgemeiner Natur seyn. Saunders holt mir das Manuscript, das Ihr auf dem Simse unsres Staatsgemachs neben Sir Georges Patent-Zahnstocheretuis finden werdet. – Dies ist das Buch; und nun muß ich die Gentlemen und Ladies bitten, eingedenk zu seyn, daß ich hier nur die Ideen aufzeichnete, wie sie mir eben aufstiegen, ohne daß bis jetzt die reiferen Betrachtungen daran geknüpft sind.«
»Genießt ein wenig Punsch, Sir,« unterbrach ihn der Kapitän abermals, indem er sein hartes Nordwestergesicht in die Falten der gesetztesten Aufmerksamkeit legte. »Nichts klärt die Stimme besser, als Punsch, Mr. Dodge. Die Säure verbannt die Heiserkeit, der Zucker sänftigt die Töne, das Wasser macht die Zunge geschmeidig und der Jamaika kräftigt die Muskeln. Mit einer hübschen Menge Punsch in sich wird der Mensch bald ein anderer – ich habe den Namen jenes großen Redners aus dem Alterthum vergessen – indeß, Vattel hieß er nicht.«
»Ihr meint den Demosthenes, Sir; und ich bitte Euch, zu bemerken, Gentlemen, daß dieser Redner ein Republikaner war. Uebrigens kann es keiner Frage unterliegen, daß die Freiheit der Ausbildung aller höheren Befähigungen sehr günstig ist. Wünschen die Ladies vielleicht einige Notizen über Paine zu hören, oder soll ich mit etlichen Auszügen über den Rhein anfangen?«
» Oh! de grâce – Ihr werdet doch so gütig seyn, Paris nicht zu übersehen« – bemerkte Mademoiselle Viefville.
Mr. Dodge verbeugte sich anmuthig, blätterte in seinem Privat-Journal und ließ sich im Herzen der genannten großen Stadt nieder. Nach einigem Räuspern begann er in ernstem pedantischem Tone zu lesen, damit hinreichend zeigend, welchen Werth er seinen eigenen Bemerkungen beilegte:
»›Wie gewöhnlich um zehn dedschunirt – eine Stunde, die ich äußerst unvernünftig und unpassend finde, wie ihr überhaupt in Amerika die allgemeinste Mißbilligung zu Theil werden würde. Es wundert mich nicht, daß ein Volk, welches so ungeeignete Stunden hält, in seinen Sitten so unmoralisch und verderbt wird. Der Geist gewöhnt sich an's Unreine, und alle Empfänglichkeiten werden abgestumpft, wenn man außer den naturgemäßen Zeiten etwas genießt; ich schreibe daher viel von dem Verderbniß Frankreichs auf Rechnung der Tagesstunden, in welchen man daselbst die Nahrung zu sich nimmt –‹«
» Voilà une drôle d'idée!« rief Mademoiselle Viefville.
»›– in welchen man daselbst die Nahrung zu sich nimmt,« wiederholte Mr. Dodge, welcher den unwillkührlichen Ausruf der Gouvernante für Beifall hielt, den sie der Richtigkeit seiner Ansicht zollte. »›In der That muß der Brauch, bei dieser Mahlzeit Wein zu genießen, zugleich mit der Unsittlichkeit der Stunde ein Hauptgrund seyn, warum die französischen Damen in solchem Uebermaße zu trinken pflegen.‹«
» Mais, monsieur!«
»Ihr bemerkt, Mademoiselle stellt die Richtigkeit Eurer Thatsachen in Frage,« bemerkte Mr. Blunt, der in Gemeinschaft mit allen Zuhörern, Sir George und Mr. Monday ausgenommen, sich einer Scene zu erfreuen begann, die anfangs nichts als Abgeschmacktheit und lange Weile in Aussicht gestellt hatte.
»Ich gebe Euch mein Ehrenwort, daß ich es aus der besten Quelle habe; denn andernfalls würde ich mich nicht erdreisten, eine so schwere Beschuldigung in ein Werk aufzunehmen, das Aufsehen machen soll. Die Angabe rührt von einem englischen Gentleman her, der zwölf Jahre in Paris wohnte und mir mittheilte, ein großer Theil der Modedamen in dieser Hauptstadt, mögen sie was immer für einem Lande angehören, seien ausschweifend.«
» A là bonne heure, monsieur! – mais zu trinken, dies ist etwas ganz Anderes.«
»Nicht so sehr, als Ihr Euch vorstellt, Mademoiselle,« entgegnete John Effingham. »Mr. Dodge ist in der Sprache sowohl, als in der Moral ein Purist und bedient sich der Ausdrücke ganz anders, als wir weniger unterrichteten Plauderer. Unter ausschweifenden Menschen versteht er Säufer.«
» Comment!«
»Allerdings. Ich denke, Mr. John Effingham wird uns Amerikanern wenigstens das Zeugniß geben, daß wir unsere Sprache besser reden, als irgend ein anderes bekanntes Volk. ›Nach dem Dedschuniren einen Viehaker genommen und nach dem Palaste gefahren, um die Abfahrt des Königs und der Königlichen Familie nach N'July zu sehen.‹«
» Pour où?«
» Pour Neuilly, Mademoiselle,« antwortete Eva ruhig.
»›– nach N'July zu sehen. Seine Majestät saß zu Pferd und ritt Seiner Durchlauchtigen Familie und dem ganzen übrigen adeligen Geleite voraus; der König trug einen rothen Rock, der an den Nähten mit weißen Borden besetzt war, blaue Beinkleider und einen aufgeschlagenen Hut.‹«
» Ciel!«
»›Ich machte ihm, als er an mir vorbeikam, eine angemessene republikanische Achtungsbezeugung, die er mit einem huldvollen Lächeln und einem wohlwollenden Blicke seines königlichen Auges beantwortete. Der honorable Louis Philipp Orleans, der gegenwärtige Beherrscher der Franzosen, ist ein Herr von stattlicher Haltung und gebieterischer Außenseite; in der Staatsgalla, die er bei dieser Gelegenheit trug, erschien er »jeder Zoll ein König.« Er reitet mit Anmuth und Würde; auch gibt er durch die Feierlichkeit seiner Haltung seinen Unterthanen ein Beispiel von Anstand und Ernst, so daß zu hoffen steht, seine Regierung werde einen wohlthätigen und Segen bringenden Einfluß auf die Sitten des Volkes üben. Seine gravitätische Haltung war ganz des Schulmeisters von Haddenfield würdig.‹«
» Par exemple!«
»Ja, Mamsell – so meine ich's: Anderen zum Exempel. Denn obgleich ich ein reiner Demokrat und in jeder Hinsicht ein Gegner des Ausschließlichen bin, machte doch die königliche Würde in dem Benehmen Seiner Majestät und die große Einfachheit seiner ganzen Haltung einen tiefen Eindruck auf mich. ›Ich stand in dem Gedränge neben einer sehr fein gebildeten Gräfin, welche Englisch sprach, und sie erwies mir die Ehre, mich zu einem Besuch in ihrem Hotel, das in der Nähe der Bourse lag, einzuladen.‹«
» Mon Dieu – mon Dieu – mon Dieu!«
»›Nachdem ich meiner schönen Gefährtin versprochen hatte, mich pünktlich einzufinden, begab ich mich nach Notter Dam –‹«
»Es wäre gut, wenn Mr. Dodge ein wenig bestimmter in seinen Namen wäre,« sagte Mademoiselle Viefville, welche an der Sache ein Interesse zu nehmen begann, wie es selbst werthlose Ansichten zu wecken pflegen, wenn sie Dinge betreffen, welche uns theuer sind.
»Mr. Dodge ist ein wenig profan, Mademoiselle,« bemerkte der Kapitän; »da jedoch sein Journal wahrscheinlich nicht auf Damen berechnet ist, so müssen wir es ihm zu Gute halten. Wohlan, Sir, Ihr gingt also nach jenem garstigen Platze?«
»Nach Notter Dam, Kapitän Truck, wenn Ihr erlaubt – und ich schmeichle mir, daß dies recht gutes Französisch ist.«
»Ich denke, Ladies und Gentlemen, wir haben ein Recht, auf einer Uebersetzung zu bestehen; denn Leute, die einfach für's Gesottene und Gebratene sind, wie Mr. Monday und ich, weinen bisweilen, wenn sie lachen sollten, sobald das Gespräch in etwas Anderem als in altmodischem Englisch geführt wird. Langt zu, Mr. Monday, und vergeßt nicht, daß Ihr nie trinkt.«
»Notter Dam, Mamsell, bedeutet, glaube ich, ›unsre Mutter‹; die Kirche unsrer Mutter. – Notter oder noster: unser – Dam, Mutter: notter Dam. ›Hier machte die Irreligion des Gebäudes und der gänzliche Mangel an Pietät in der Architektur einen peinlichen Eindruck auf mich. Es wimmelte von Götzendienst und Weihwasser. Wie oft habe ich Gelegenheit gefunden, die Vorsehung zu preisen, daß sie mich von jenen frommen Vorfahren abstammen ließ, die lieber ihr Glück in der Wildniß suchten, als vom Glauben und von der Liebe abließen. Was Bequemlichkeit und ächten Geschmack betrifft, so steht das Gebäude den gewöhnlicheren amerikanischen Kirchen weit nach, so daß ich ihm meine unbedingte Mißbilligung zu Theil werden lassen mußte.‹«
» Est-il possible, que cela soit vrai, ma chère!«
» Je l'espère bien, Mademoiselle.«
»Ihr mögt despair bien, Bäschen Eva,« sagte John Effingham, dessen schönes wellenlieniges Gesicht einen mehr als gewöhnlichen Ausdruck von Verachtung blicken ließ.
Die Damen flüsterten sich einige Erklärungen zu, und Mr. Dodge, welcher meinte, er dürfe nur wollen, um der Erringung seines Zieles sicher zu seyn, fuhr mit der ganzen Selbstzufriedenheit eines Provinzial-Kritikers in seinen Bemerkungen fort.
»›Von Notter Dam begab ich mich in einem Cabrioly nach dem großen Nationalbegräbnißplatz Père la Chaise, so genannt von dem Umstande, daß seine Entfernung von der Hauptstadt Chaisen nöthig macht für die Convoys –‹«
»Was ist dies – wie muß ich dies verstehen?« unterbrach ihn Mr. Truck. »Muß man durch die Straßen von Paris unter einem Convoy segeln?«
» Monsieur Dodge veut dire, convoi. Mr. Dodge will convoi sagen,« legte sich Mademoiselle Viefville freundlich ins Mittel.
»Mr. Dodge ist ein gründlicher Republikaner und ein Verfechter der Rotation in der Sprache sowohl, als in den öffentlichen Aemtern. Uebrigens muß ich Euch der Inconsequenz beschuldigen, mein theurer Freund, und wenn mich's das Leben kosten sollte. Ihr sprecht in der That Eure Worte nicht stets in der gleichen Weise aus, und als ich die Ehre hatte, Euch vor sechs Monaten herauszunehmen, gabt Ihr bei Euren Uebungen in den Continentalsprachen, wie Ihr's nanntet, vielen von den Worten, die ich damals aus Eurem Munde zu hören das Vergnügen hatte, ganz andere Laute.«
»Durch Reisen gewinnt man stets, Sir, und es kann wohl nicht in Frage kommen, daß meine Kenntniß in fremden Sprachen durch die Uebung in den Ländern, wo sie geredet werden, sich beträchtlich erweitert hat.«
Die Vorlesung des Journals wurde jetzt durch eine lange Abschweifung über Sprachen unterbrochen, in welcher die Herren Dodge, Monday, Templemore und Truck hauptsächlich das Wort führten. Auch mußte mittlerweile die Punschbowle zweimal neu gefüllt werden. Wir wollen von dieser gelehrten Abhandlung, die hauptsächlich aus Gemeinplätzen bestand, nicht viel berichten, obschon einige der Bemerkungen ein Pröbchen vom Ganzen geben mögen.
»Ich nehme mir die Freiheit, zu sagen,« entgegnete Mr. Monday auf eine von Mr. Dodge's schwunghaften Tiraden über die Vorzüge seines eigenen Volkes, »daß es doch ganz außerordentlich erscheint, einem Engländer zumuthen zu wollen, er solle aus seinem eigenen Lande gehen, um die eigene Sprache rein sprechen zu hören. Ich kenne Euer Volk, Mr. Dodge, und getraue mich daher, die Behauptung aufzustellen, daß nirgends besser Englisch gesprochen wird, als in Lancashire. Sir George, ich trinke auf Eure Gesundheit!«
»Mehr patriotisch als gerecht, Mr. Monday. Jedermann gibt zu, daß die Amerikaner der östlichen Staaten in der ganzen Welt am besten Englisch sprechen, und ich denke, jeder dieser Gentlemen wird dies zugeben.«
»Auf die Gefahr hin, mit meiner Ansicht für nichts zu gelten,« rief Kapitän Truck, »muß ich meinerseits sie dahin ausdrücken, daß man eine Woche oder zehn Tage im River zubringen muß, wenn man ein vollkommenes Englisch hören will. Ich muß sagen, Mr. Dodge, daß ich gegen manche von Euren Ausdrucksweisen Einwendungen zu erheben habe – namentlich gegen das Wort Onion (Zwiebel), das ich Euch erst gestern wie Ingon aussprechen hörte.«
»Es ist eine etwas eigenthümliche Ansicht, daß Mr. Monday sich vorstellt, man finde das beste Englisch in Lancashire,« bemerkte Sir George Templemore; »denn ich versichere Euch, daß wir in London nur mit Mühe die Gentlemen, die aus Eurem Theil des Königreichs kommen, verstehen können.«
Dies war ein schwerer Hieb von Seite eines Mannes, in welchem Mr. Monday einen Verbündeten zu finden gehofft hatte, weshalb denn auch dieser Gentleman Anlaß nahm, seine Unzufriedenheit mit Punsch hinunterzuspülen.
»Wir sind übrigens ganz von dem Convoi oder von dem Convoy abgekommen, Kapitän,« sagte Mr. Sharp »und Mr. Dodge – der Leidtragenden gar nicht zu gedenken – hat ein Recht, sich zu beschweren. Ich bitte diesen Gentleman, daß er in seinen unterhaltenden Auszügen fortfahre.«
Mr. Dodge räusperte sich, that einen weiteren Zug aus seinem Glase, blies die Nase auf und fuhr fort:
»›Der berühmte Begräbnißplatz ist in der That seines hohen Rufes würdig, denn bei der Beerdigung herrscht die größte republikanische Einfachheit. Man wirft Gräben auf, in welche die Leichen Seite an Seite ohne Unterschied des Ranges und nur mit Berücksichtigung der Ordnung, in welcher die Convoys anlangen, niedergelegt werden.‹ Ich denke, Gentlemen, dieser Satz wird großen Beifall finden in Amerika, wo die Stimme der Mehrheit jeden Gedanken an Ausschließlichkeit verbannt hat.«
»Was mich betrifft,« bemerkte der Kapitän, »so würde ich keine sonderlichen Einwendungen dagegen erheben, von einem solchen Grabe ausgeschlossen zu seyn. In so gemischter Gesellschaft muß man ja fürchten, die Cholera zu kriegen.«
Mr. Dodge überschlug einige Blätter und gab sodann weitere Auszüge.
»›Die letzten sechs Stunden waren einer gründlichen Erforschung des Standes der schönen Künste geweiht. Mein erster Besuch galt der Gullytien und dann verbrachte ich ein paar belehrende Stunden in den Gallerien des Musy –‹«
» Où donc?«
» Le Musée, Mademoiselle.«
»›– wo ich mehrere ganz außerordentliche Leistungen im Fache der Bildhauerkunst und Malerei entdeckte. Namentlich fiel mir ein Teller auf, welcher in der berühmten Hochzeit von Cana abgebildet war; man hätte ihn für ächtes Delfter Porcelain halten können. Auch sah ich in dem Gemälde einen Finger an der Hand einer Dame, der eigentlich dazu geschaffen zu seyn schien, den Trauring anzunehmen und zu behalten.‹«
»Habt Ihr Euch nicht erkundigt, ob sie schon versagt war? – Mr. Monday, wir wollen ihre Gesundheit trinken.«
»›St. Michael und der Drache ist ein Scheffduwrie –‹«
» Un quoi?«
» Un chef-d'oeuvre, Mademoiselle.«
»›Die Art, wie der Engel mit seinen Füßen den Drachen festhält, erscheint ganz so, wie wenn ein Kind mit den Füßen auf einen Wurm tritt. Das Bild ist ungemein rührend und ansprechend. In der That wimmelt es in den Werken der alten Meister an derartigen Zügen der Natur, und ich sah mehrere Früchtestücke, die Einem zum Einbeißen Lust machten. Man kriegt in der That Appetit, wenn man so viele Dinge hier sieht, und es wundert mich nicht länger, daß ein Raphael, ein Titian, ein Correggio, ein Guidio –‹«
» Un qui?«
» Un Guido, Mademoiselle.«
»›Oder ein Cooley –‹«
»Darf ich fragen, wer dies wohl seyn mag?« erkundigte sich Mr. Monday.
»Ein junges Genie in Dodge Town, welches in Aussicht stellt, mit der Zeit den Namen eines Amerikaners berühmt zu machen. Er hat ein neues Schild für einen Laden gemalt, das in seiner Art ganz so vortrefflich ist, als die Hochzeit von Cana. ›Ich stand in Thränen vor der Verzweiflung einer Niobe,‹« fuhr er zu lesen fort, »›und sah die Windungen der Schlangen im Laocoon, der mit krampfhafter Hast nach ihnen griff; es war mir, als könne ich sie zischen hören.‹ Diese Stelle wird, wie ich glaube, wahrscheinlich auch von dem uralten New-Yorker beachtet werden – einem der allerbesten kritischen Journale unserer Tage, Gentlemen.«
»Sprecht Eurem Punsch ein wenig mehr zu, Mr. Dodge,« nahm der aufmerksame Kapitän das Wort; »die Sache wird ergreifend und bedarf der Alleviation, wie Saunders sagen würde. Mr. Monday, Ihr werdet in den schlimmen Geruch allzugroßer Nüchternheit kommen, wenn Ihr nie Euer Glas leert. Fahrt ins Himmels Namen fort, Mr. Dodge.«
»›Abends begab ich mich noch in die Grand Opery –‹«
» Où donc?«
» Au grand Hopferei, Mademoiselle,« versetzte John Effingham.
»In die Grand Opery « nahm Mr. Dodge mit Nachdruck wieder auf, und seine Augen begannen nachgerade zu leuchten; denn er hatte um der Begeisterung willen dem Punsche oft Zuspruch gethan – »›wo ich eine Musik hörte, welche tief unter derjenigen stand, deren wir uns in Amerika erfreuen – namentlich bei der allgemeinen Parade und an Sonntagen. Der Mangel an Wissenschaftlichkeit war augenfällig, und wenn dies Musik seyn soll, so verstehe ich wahrhaftig nichts davon.‹«
»Eine sehr gute Bemerkung!« rief der Kapitän. »Mr. Dodge ist ein trefflicher Schriftsteller, denn er verabsäumt keine Gelegenheit, seine Ansichten durch die unwidersprechlichsten Thatsachen zu belegen. Er hat Geschmack gewonnen an den Leistungen Zip Coon's und Long Tail Blue's; man darf sich daher nicht wundern, daß er mit Verachtung auf die untergeordneteren Künstler heruntersieht.«
»›Was die Tänze betrifft,‹« fuhr der Herausgeber des Active Inquirer fort, »›so machten sie entschieden den Eindruck auf mich, daß sie nicht schlechter hätten seyn können. Die Bewegungen eigneten sich eher für ein Leichenbegängniß, als für einen Ballsaal, und ich behaupte ohne Furcht vor einem Widerspruch, daß es in ganz Amerika keine Assembly gibt, wo nicht ein Cotillion in der halben Zeit getanzt würde, welche an jenem Abend das Bally dazu brauchte.‹«
» Le quoi?«
»Ich glaube, ich habe dem Wort nicht die eigentliche Pariser Pronunciation gegeben – die Franzosen nennen es bal-leh ,« fuhr der Leser in großer Unschuld fort.
»Dies erinnert an's Lee, wie wir an Schiffsbord zu sagen pflegen. Mr. Dodge, als Meister dieses Schiffes bitte ich Euch, den vereinigten oder, wie Saunders sagen würde, den condensirten Dank der Passagiere für diese Belehrung anzunehmen, und nächsten Sonntag hoffen wir auf eine Erneuerung des Vergnügens. Ich bemerke, die Damen werden schläfrig, und da Mr. Monday nie trinkt, die andern Gentlemen aber mit ihrem Punsch fertig sind, so wollen wir uns jetzt zurückziehen, um uns auf morgen für ein saures Tagewerk vorzubereiten.«
Kapitän Truck machte diesen Vorschlag, weil er sah, daß ein paar von der Gesellschaft des Punsches voll waren und Eva mit ihrer Gefährtin einzusehen begann, daß es passend sey, sich zu entfernen. Auch fühlte er die Nothwendigkeit der Ruhe, um der Anstrengung des nächsten Morgens gewachsen zu seyn.
Die Gesellschaft brach daher, allerdings sehr gegen die Wünsche der Herren Dodge und Monday auf, und Mademoiselle Viefville verbrachte noch ein Stündchen in dem Staatsgemach von Miß Effingham, sich in mehreren sehr überflüssigen Beschwerden über die Art ergehend, wie der Herausgeber des Active Inquirer die Pariser Zustände betrachtete, indem sie zugleich viele neugierige Fragen in Betreff seiner Beschäftigung und seines Characters anknüpfte.
»Ich bin nicht ganz überzeugt, meine theure Mademoiselle, ob ich Euch eine sehr gelehrte Schilderung des Geschöpfes geben kann, das Ihr aller dieser Fragen werth achtet; aber unter Benützung von Mr. John Effingham's Belehrung und einiger Worte, die Mr. Blunt fallen ließ, glaube ich, sie sollte etwa folgendermaßen lauten: – Amerika brachte einmal einen sehr ausgezeichneten Philosophen hervor, Franklin mit Namen –«
» Comment, ma chère? tout le monde le connaît.«
»Dieser Monsieur Franklin begann seine Laufbahn als Buchdrucker; da er aber ein hohes Alter erreichte und sich zu hohen Ehrenstellen erhob, so wurde er eben so gut ein Philosoph auf dem Boden der Ethik, als er es früher durch seine Studien im Felde der Physik geworden war. Nun ist Amerika voll von Buchdruckern, und die meisten halten sich für Franklins, bis sie durch die Zeit und fehlgeschlagene Hoffnungen klüger werden.«
»Aber die Welt hat bis jetzt nur einen einzigen Franklin gesehen?«
»Wird auch wahrscheinlich so bald keinen zweiten zu sehen kriegen. In Amerika bringt man den jungen Leuten die ganz richtigen Begriffe bei, daß sie sich durch Verdienst zu den höchsten Staatsstellen heben können, und Mr. John Effingham meint, daß sich nur allzuviele davon einbilden, weil es ihnen freistehe, sich alle hohe Eigenschaften, die zufälligerweise eben Geltung haben, anzueignen, passen sie in der That zu gar Allem. Sogar mein Vetter gibt zu, daß diese Eigenthümlichkeit dem Lande sehr zu Statten komme; aber er behauptet, daß sie auch viel Schaden bringe, indem sie aller Orten zu dem Aufschießen anmaßender Leute Veranlassung gebe. Unter diese letzte Classe zählt er nun auch Mr. Dodge. Statt den mechanischen Theil der Presse zu besorgen, für den er erzogen wurde, hat er sich in den Kopf gesetzt, den geistigen zu leiten, und in dieser Absicht gibt er den Active Inquirer heraus.«
»Es muß ein sehr werthvolles Journal seyn.«
»Höchst wahrscheinlich entspricht es seinen Zwecken. Ihr bemerkt, daß Unwissenheit und Vorurtheile der Provinz in ihm stecken, und ich stehe dafür, er braucht seine Zeitung zum Cirkulationsmittel derselben, indem er sie außerdem noch zum Organe der persönlichen Bitterkeit, des Neides und der Lieblosigkeit macht, durch welche sich gewöhnlich die Anmaßung characterisirt, die sich selbst irrthümlicherweise für edlen Ehrgeiz hält. Mein Vetter Jack behauptet, daß es in Amerika von Leuten dieses Gelichters wimmle.«
»Und Monsieur Effingham?«
»Oh, Ihr wißt, Mademoiselle, mein Vater ist die Milde und Liebe selbst; er betrachtet nur die lichten Stellen des Bildes, denn er behauptet, aus der Regsamkeit und Schwungkraft eines solchen Zustandes der Dinge entsprängen sehr viele gute Resultate. Er räumt zwar ein, daß viel schreiende Unwissenheit als Weisheit ausgekramt werde, – daß viel engherzige Unduldsamkeit unter dem Deckmantel der Grundsatzfestigkeit und Freiheitsliebe sich breit mache, und daß leider nur zu oft gemeine, persönliche Anfechtungen alles sittliche Gefühl und allen Rechtssinn verletzen; aber dennoch besteht er darauf, daß die Folgen im Allgemeinen gut seyen.«
»In einem solchen Falle bedarf es eines unparteiischen Schiedsrichters. Ihr habt der Ansicht des Mr. Blunt Erwähnung gethan. Comme ce jeune homme parle bien francais!«
Eva stockte und wechselte leicht die Farbe, ehe sie antwortete.
»Ich weiß nicht, ob Mr. Blunts Meinung in einer derartigen Frage den Ansichten meines Vaters und meines Vetters gegenüber von Belang ist,« sagte sie. »Er ist sehr jung, und wir sind nicht einmal darüber im Klaren, ob er überhaupt ein Amerikaner ist.«
» Tant mieux, ma chère. Er ist viel in dem Lande gewesen, und von dem Eingeborenen hat man sich nicht eben des richtigsten Urtheils zu versehen, wenn ihm gegenüber der Fremde viele Gelegenheit zu beobachten hatte.«
»Diesem Grundsatze zufolge, Mademoiselle, müßt Ihr also in allen Punkten, in welchen ich das Unglück habe, mit Euch anderer Meinung zu seyn, auf Euer Urtheil über Frankreich verzichten,« versetzte Eva lachend.
» Pas tout à fait,« entgegnete die Gouvernantin gut gelaunt. »Alter und Erfahrung müssen doch gelten pour quelque chose. Et Monsieur Blunt?«
»Monsieur Blunt neigt sich, wie ich fürchte, mehr auf die Seite des Vetter Jack, als auf die meines lieben, theuren Vaters. Er sagt, in der amerikanischen Presse und um dieselbe wimmle es von Leuten, deren Character, Bosheit, Intoleranz, Unwissenheit, Gemeinheit und sonstige Laster mit allen diesen Liebenswürdigkeiten auf Seiten Mr. Dodge's wetteiferten. Auch behauptet er, sie übten einen unberechenbaren Schaden durch den Einfluß auf diejenigen, denen keine besseren Belehrungsquellen zugänglich seyen, indem dadurch niedrige Eifersucht und gemeiner Neid an die Stelle der Grundsätze und des Rechtes gesetzt würden; solche Leute verdrängten – ich bediene mich seiner eigenen Worte, Mademoiselle,« fügte Eva, im Bewußtseyn der Treue ihres Gedächtnisses erröthend, bei – »den guten Geschmack und ächte Liberalität durch gehaltlose Provinzialansichten, vermischten die Grundsätze der Freiheit mit den Antrieben eines persönlichen Neides und gemeiner Stellenjägerei – kurz, verlören ihre Pflichten gegen die Oeffentlichkeit ganz aus dem Gesichte, indem sie sich nur Mühe gäben, ihre eigenen Interessen zu fördern. Er sagt, das Gouvernement sey in Wahrheit eine Pressokratie und dazu noch eine Pressokratie, welche nicht einmal das versöhnende Verdienst guter Grundsätze, des Talents, eines gediegenen Geschmackes oder der Kenntnisse für sich habe.«
»Dieser Monsieur Blunt hat sich also sehr bestimmt ausgedrückt und dabei suffisament éloquent,« entgegnete Mademoiselle Viefville ernst; denn die verständige Gouvernante bemerkte wohl, daß sich Eva einer Sprache bediente, die von ihrer gewöhnlichen zu sehr verschieden war, um nicht die Vermuthung in ihr rege zu machen, daß sie die Worte des Sprechers buchstäblich angeführt habe. Zum erstenmal erwachte in ihr der schmerzliche Verdacht, daß sie den Verkehr zwischen ihrem Pflegling und den beiden angenehmen jungen Männern, welche der Zufall ihnen als Reisegefährten zugeführt hatte, nicht sorgfältig genug bewacht habe. Nach einer kurzen Pause des Nachsinnens kam sie wieder auf den Gegenstand des abgebrochenen Gesprächs zurück.
» Ce Monsieur Dodge, est-il ridicule?«
»Ueber diesen Punkt wenigstens, meine theure Mademoiselle kann kein Irrthum obwalten. Und doch behauptet Vetter Jack steif und fest, er werde den Unsinn, den wir mitanhören mußten, seinen Lesern als Ansichten über Europa auftischen, die ihrer vollsten Beachtung würdig seyen.«
» Ce conte du roi! mais c'est trop fort!«
»Mit dem an den Nähten bordirten Rock und dem aufgeschlagenen Hut!«
» Et l'honorable Louis Philippe d'Orleans!«
» Orleans, Mademoiselle; d'Orleans würde antirepublikanisch seyn.«
Die beiden Frauenzimmer sahen sich einige Augenblicke schweigend an und brachen dann, obschon im Allgemeinen mit anständiger Mäßigung, in ein herzliches, anhaltendes Gelächter aus. In der That lachte Eva in der Schwungkraft ihres jugendlichen Geistes und in ihrem feinen Gefühle für das Komische so lange fort, bis ihr die Locken über die rosigen Wangen niederfielen und ihre leuchtenden Augen eigentlich vor Entzücken zu tanzen schienen.