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Was haben wir für Land hier, Freunde?
Illyrien, Fräulein.
Dreikönigsabend.
Kapitän Truck warf mit einer Gelassenheit, als sey durchaus nichts Ungewöhnliches vorgefallen, einen Blick nach dem Tackelwerk hinauf, um sich zu überzeugen, ob Alles ziehe; denn wie es schien, war ihm sowohl als der Schiffsmannschaft ein Versuch, das Schiff zu entern, etwa so vorgekommen, wie der Mensch die natürlichen Erscheinungen der Planeten zu betrachten pflegt – oder, mit anderen Worten, als sey das Schiff, zu dem sie blos als Theile gehörten, durch eigenen Instinkt oder durch freie Willensthätigkeit entwischt. Diese Gewohnheit, die Maschine als das herrschende Princip zu betrachten, ist unter den Matrosen ziemlich allgemein, denn während sie in der Weise, wie etwa ein Kutscher die Zügel lenkt, eine Brasse nachlassen oder ein Bolien anziehen, scheinen sie zu glauben, daß sie das Geschöpf in der freiern Kundgebung seiner Willkühr nur unterstützen. Allerdings wissen alle, daß die Sache sich nicht so verhält; aber keiner gibt durch Worte kund, oder scheint überhaupt nur zu fühlen, daß er anders denke.
»Habt Ihr bemerkt, wie das alte Fahrzeug jenen Strolchen in dem Kutter aus dem Wege hüpfte?« bemerkte der Kapitän selbstgefällig gegen die Gruppe auf dem Halbdecke, sobald der prüfende Blick nach Oben ihm die Ueberzeugung gegeben hatte, daß seine eigene Seemannsgewandtheit im Stande sey, den Instinkt des Schiffes zu regeln. »Ein stattliches Pferd, ein harpunirter Wallfisch oder meinetwegen auch der gelenkigste Theater-Harlekin hätte nicht hübscher bei Seite springen können, als dieser arme alte Rumpf, welcher zuverlässig das unbeholfenste Fahrzeug ist, das auf dem Ocean segelt. Ich wollte, König William setzte sich's in den allergnädigsten Kopf, einen seiner leichtfüßigen Kreuzer auszuschicken, damit er die Geschwindigkeit seines Kiels zeige, um für den artigen Possen Rache zu nehmen, den der Montauk seinem Boote gespielt hat.«
Der Ton eines Kanonenschusses, welcher gedämpft in der Brise erstarb, that Mr. Trucks Scherzrede Einhalt. Es war noch hell genug, um im Lee die regelmäßig gestellten Segel der Corvette zu erkennen, die sie vor Anker gelassen hatten; sie war dicht bei dem Winde aufgetackelt und steuerte unter starkem Segeldruck, augenscheinlich um Jagd zu machen, auswärts. Der Schuß hatte als Signal zur Rückkehr dem Kutter gegolten, denn an Bord des Schiffs sowohl als des Bootes brannten blaue Lichter, zum Beweise, daß sie sich gegenseitig Mittheilungen machten.
Die Passagiere warfen sich nun ernste Blicke zu, denn die Sache begann in ihren Augen bedenklich zu werden. Einige deuteten auf die Möglichkeit hin, daß Davis' Vergehen in etwas mehr als einer bloßen Schuld bestehen dürfte, obschon der ganze Verlauf und die Aussage des Gerichtsdieners selbst das Gegentheil bewies, während die Meisten zu der Folgerung kamen, daß der Entschluß, die Geringschätzung gegen die Obrigkeit zu ahnden, den Kreuzer bewogen habe, ihnen zu folgen, um das Paketschiff wieder zurückzubringen. Namentlich begannen jetzt die englischen Passagiere von dem Ansehen der Krone zu sprechen, während diejenigen, welche man als Amerikaner kannte, in Behauptung der Rechte ihrer Flagge warm wurden. Die beiden Effinghams übrigens verhielten sich in der Aeußerung ihrer Ansichten gemäßigt, denn ihre Erziehung sowohl, als ihre Jahre und Erfahrung hatten sie gelehrt, in ihrem Urtheile eine gerechte Unterscheidung walten zu lassen.
»Was die Weigerung des Kapitäns betrifft, den Kutter entern zu lassen, so wußte Mr. Truck wahrscheinlich besser, als einer von uns, was ihm zustand,« bemerkte Mr. Effingham mit gentlemanischer Zurückhaltung; »denn er mußte die damalige Lage seines Schiffes am besten kennen. Uebrigens kann es meiner Ansicht nach keinem vernünftigen Zweifel unterliegen, daß kein fremdes Kriegsschiff in einer Zeit des tiefsten Friedens berechtigt ist, dieses Fahrzeug nach einem Hafen zu führen, sobald es einmal in hoher See steht – und dies wird bei dem Montauk bald der Fall seyn, wenn es nicht etwa gar schon jetzt ist. Sollte sich's also hier um einen Streit handeln, so kann dabei nur von Verhandlungen die Rede seyn, deren Ausgleichung durch die Gesandten der beiden Nationen, nicht aber durch die untergeordneten Officiere des einen oder des andern Theils bewerkstelligt werden kann. Jedenfalls steht der Montauk, sobald er die öffentliche Völkerstraße erreicht hat, unter der ausschließlichen Gerichtsbarkeit des Landes, dessen Flagge er gesetzlich führt.«
»Vattel!« versetzte der Kapitän mit einem beifälligen Kopfnicken, indem er wieder die Asche seiner Cigarre abstieß.
Nun war John Effingham ein Mann von heftiger Gemüthsart – ein Ausdruck, der oft nur einen Mann von tief gewurzelten Vorurteilen bezeichnet – und seine Erziehung fiel in eine um dreißig oder vierzig Jahre frühere Periode; das heißt, er wuchs unter dem Einflusse der britischen Ansichten heran, die damals – wie leider zum Theil heute noch – gleich einem Alpe auf Amerikas Nationalinteressen lasteten. Zwar war Mr. Effingham in jeder Hinsicht ein Zeitgenosse, ja sogar Schulkamerad seines Vetters; sie liebten sich wie Brüder, setzten in der Hauptsache das größte Vertrauen auf einander und dachten in tausend Dingen gleich – aber dennoch konnten, sobald die englische Oberherrschaft in Frage kam, kaum ein paar Menschen einander unähnlicher seyn, als dies bei dem verwittweten Verwandten und dem unvermählten der Fall war.
Edward Effingham war ungemein rechtlich gesinnt, und da er in früher Jugend zum Besitze seines Vermögens gekommen war, so hatte er viele Jahre einer abgeschiedenen Geistesmuse gelebt, die, während sie ihn dem Ringen der Welt entzog, zu Ausbildung seines Verstandes beitrug und ihn frei nach seinen Neigungen handeln ließ. Die ganze Republik bot damals ihrer Wesenheit nach das traurige Bild einer Nation, die durch Parteiwuth zerrissen war – und noch obendrein einer Parteiwuth, welche ihren Ursprung in ganz fremdartigen Interessen hatte; aber obschon in jener Periode die meisten entweder Engländer oder Franzosen seyn wollten, war er doch das geblieben, wozu ihn die Natur, die Gesetze und die Vernunft gestempelt hatten – nemlich ein Amerikaner. Auf seinem Erbsitze sich des otii cum dignitate erfreuend, hatte Edward Effingham, obschon er nicht nach Auszeichnung rang und nur durch den gediegenen stillen Werth seines Charakters wirken wollte, genau jene Linie der Wahrheit getroffen, welche so viele von den »Göttern« der Republik unter dem Einflusse ihrer Leidenschaften und unter dem Sporne der flüchtigen, schwankenden Interessen des Tages entweder ganz übersahen oder doch leichtsinnig verachteten. Nicht leicht ließ sich ein Mann finden, welcher der Aufregung – diesem primum mobile aller amerikanischen Vaterlandsliebe und Thätigkeit, wenn wir anders den Theorieen der Zeit glauben dürfen – weniger zugänglich war. Die Unabhängigkeit seiner Lage hatte ihn unabhängig denken gelehrt, und dem selbstständigen Forschen verdankte er eine Originalität und einen Rechtlichkeitssinn, der ihn über den Einfluß der Leidenschaften erhob. Hundert Andere waren vielleicht scharfblickender und gewandter in Auseinandersetzung von Spitzfindigkeiten oder wußten sich unter der Masse mehr Geltung zu verschaffen; aber nur wenige standen so oft auf der Seite des Rechts, während keiner der Selbstsucht weniger Einfluß einräumte, als dieser einfache biedere Ehrenmann. Er liebte das Land seiner Geburt, obschon ihm die Schwächen desselben, die er von Herzen beklagte, nicht entgingen, und wenn er im Auslande stets als dessen fester und beharrlicher Verfechter auftrat, so ließ er sich doch nie zu eigennütziger oder schaaler Schmeichelei herab, obgleich er in allen Lagen kund that, daß sein Herz da war, wo es seyn sollte.
In vielen wesentlichen Punkten bot John Effingham von alledem den geraden Gegensatz. Sein Verstand war zwar viel schärfer und kräftiger, als der seines Vetters; dagegen aber wußte Letzterer seine Leidenschaften weniger zu zügeln und war mehr dem Einflusse eines störrischen Eigensinnes oder der Herrschaft von Vorurtheilen hingegeben, die oft seine Vernunft übertäubten. Sein Vetter hatte den größten Theil des persönlichen Familieneigenthums geerbt, und mit diesem stürzte er sich in den Strudel der Spekulationswuth, welche sich nach Einführung der neuen Constitution Geltung verschaffte. Auch hatte er – die Wahrheit des heiligen Sprichworts bekundend, daß »das Herz bei seinem Schatze sey« – sich warm und blindlings auf alle die ränkesüchtigen und nicht vereinbarlichen Grundsätze des Parteigeistes eingelassen – wenn anders von Grundsätzen die Rede seyn kann, wo sich's blos um Verhaltungsregeln handelt, die mit den Interessen des Tages wechseln – und den Strom der Irrthümer in sich gesogen, mit welchem unvermeidlich Faktionen den Sinn des Menschen vergiften.
Amerika's Unabhängigkeit war damals viel zu jung und der Staatenverband in den Augen Aller, die eigenen ausgenommen, zu unbedeutend, um für sich selbst urtheilen und handeln zu können, wenn nicht etwa gerade Punkte in Frage kamen, die zu augenfällig und dringlich unmittelbare Abhülfe forderten, um übersehen werden zu können. Aber die großen socialen Principien – oder um uns eines besseren Ausdruckes zu bedienen, die großen socialen Interessen – welche in jener Periode Europa zerrütteten, hatten in dem fernen Lande eben so viel Aufsehen zur Folge, als sich überhaupt mit einem Stande der Dinge vertrug, welcher zu dem Resultat so wenig praktische Beziehung hatte. Die Familie Effingham hatte sich auf die Seite der Föderalisten in der wahren Bedeutung dieses Wortes geschlagen; denn ihre Erziehung, ihre angeborene Denkweise und ihre Grundsätze ließen sie Ordnung, eine gute Regierung und die Würde des Vaterlands als die wichtigsten Momente betrachten; als jedoch die Parteiungen wilder und die Namen ohne Unterschied im größten Widerspruche gebraucht wurden, trat der begüterte Zweig auf die Seite der sogenannten Amerikaner, während derjenige, welcher sich dem Handelsstande zugethan hatte, zu den ganz passend so bezeichneten englischen Föderalisten überging. Wir wollen damit nicht sagen, daß John's Vater geneigt war, seinem Vaterlande untreu zu werden; aber indem er sich den Lehren einer Partei anschloß, verwickelte er sich in eine Reihenfolge von Grundsätzen, die, wenn sie irgend einen Sinn hatten, lieber alles Andere in's Auge faßten, nur nicht das, was feierlich als leitendes Princip des eigenen Landes anerkannt worden war, sondern im Gegentheil oft sowohl den Interessen als der Ehre desselben schnurstracks zuwider lief.
John Effingham hatte unwillkührlich die Ansichten seiner Partei eingesogen, obgleich das große Vermögen, das sein Vater hinterlassen, ihm eine zu unabhängige Stellung verschafft hatte, um auf alle Schlangenwege der Handelspolitik einzugehen. Indeß wirkten seine Vorurtheile doch in einer Ausdehnung auf ihn ein, daß er sogar England das Recht zugestand, unter amerikanischer Flagge dienende Matrosen zu pressen – ein Grundsatz, den sein biederer und klar sehender Vetter keinen Augenblick anerkennen konnte; auch wußte er mit merkwürdigem Scharfsinn in allen Handlungen der Republik Mängel zu entdecken, sobald ihre Grundsätze mit der Politik Großbritaniens in Zwiespalt traten. Mit einem Worte, sein Talent war vielleicht nöthig, um mit so viel Sophistik zu versöhnen oder das als scheinbar vernunftgemäß darzustellen, was so grund- und bodenlos falsch war. Nach dem Frieden von 1815 ging John Effingham zum zweiten Mal auf Reisen und eilte mit der Begier einer kräftigen Zuneigung durch England – einer Zuneigung, die ihr Daseyn weit mehr dem Widerspruche, als natürlichen Banden oder gediegenen Vorstellungen von der Wahrheit verdankte. Wie es unter zwanzig Fällen neunzehnmal zu geschehen pflegt, fand er sich in seinen Erwartungen getäuscht und dies bloß deshalb, weil er im Eifer der Parteisucht sich Theorien geträumt und vermeintliche Resultate daraus abgeleitet hatte. Wie bei dem englischen Radikalen, der, den Kopf voll unausführbarer Lehrsätze, nach Amerika hinübereilt, fand nun eine Gegenwirkung statt, und dies hauptsächlich deshalb, weil er finden mußte, daß die Menschen nicht besser waren, als ihre Natur – freilich eine späte Entdeckung, denn er hätte sich gleich anfangs denken können, daß besondere Ursachen besondere Wirkungen zur Folge haben müssen. Von dieser Zeit an war John Effingham ein weiserer und gemäßigterer Mann geworden, obgleich die Erschütterung nicht gewaltsam genug gewirkt hatte, um ihn auf den Weg der Wahrheit zu leiten oder gar auf die entgegengesetzten Vorurtheile einer andern Partei zu werfen, denn die Ueberbleibsel der alten Meinungen hafteten ihm noch immer an und warfen eine Art Zwielicht über seine Denkweise, wie in der Natur die Tinten des Abends und die Schatten des Morgens dem Lichte der Sonne folgen oder vorangehen.
Unter dem Einflusse dieser verborgenen Vorurtheile antwortete nun John Effingham auf die Bemerkungen seines Vetters, und die Unterhaltung nahm den redseligen Character aller Erörterungen an, in welchen die betreffenden Personen über ihren Gegenstand nicht ganz klar sind und sich kein anderer Wunsch einmengt, als der, die Wahrheit zu ermitteln. Fast Alle schloßen sich dem Gespräche an, und so war bald eine halbe Stunde in Untersuchungen über das Völkerrecht und über die eigentliche Bedeutsamkeit des vorliegenden Falles entschwunden.
Es war eine liebliche Nacht, und Mademoiselle Viefville erging sich mit Eva auf dem Decke, da das glatte Wasser der Bewegung in jeder Weise günstig war. Wie bereits bemerkt wurde, hatte die gemeinschaftliche Theilnahme an dem Entkommen des neuvermählten Paares die Bahn gebrochen, und von dem Augenblicke an, als Mr. Grab das Schiff verlassen, herrschte unter den Passagieren weit weniger Zurückhaltung, als unter gewöhnlichen Umständen nach Ablauf einer Woche der Fall gewesen seyn würde. Eva Effingham hatte sich von ihrem eilften Jahre an hauptsächlich auf dem europäischen Continent und in dem gemischten Verkehr aufgehalten, welchen der Fremde in diesem Theile der Welt gemeiniglich findet, oder mit andern Worten, sie war weit weniger dem Zwang unterworfen gewesen, den man daselbst jungen Mädchen aufzulegen pflegt, ohne sich übrigens der ausgedehnten Ungebundenheit erfreuen zu dürfen, die ihnen in Amerika zugestanden wird. Sie stammte aus einer zu gebildeten Familie, um sich den maßlosen Freiheiten hinzugeben, die bisweilen in Amerika für Ungezwungenheit gelten, selbst wenn sie das Haus ihres Vaters nie verlassen hätte; aber ihr Aufenthalt im Ausland hatte unvermeidlich ihrem gewöhnlichen Benehmen größere Rückhaltung eingeflößt, als die Einfachheit der cisatlantischen Gebräuche selbst in den feinsten Cirkeln für nöthig gehalten haben würde. Indeß war sie trotz aller mädchenhaften Schüchternheit in ihrem Verkehr mit der Welt natürlich und unbefangen; auch hatte sie so viele verschiedene Nationen zu sehen Gelegenheit gefunden, daß sie mit einem Selbstvertrauen auftreten konnte, welches ihr unter dem Einflusse einer musterhaften Erziehung und eines natürlichen Seelenadels keinen Abtrag that. Gleichwohl war Modemoiselle Viefville, obschon sie in Folge ihres vieljährigen Aufenthalts in einer amerikanischen Familie einige ihrer eigenthümlichen Ansichten verloren hatte, ein wenig überrascht, als sie bemerkte, daß sich Eva die achtungsvollen Annäherungen der Herren Sharp und Blunt mit weniger Zurückhaltung gefallen ließ, als sie sonst gegen wildfremde Personen an den Tag zu legen pflegte. Statt nemlich blos zuzuhören, hatte sie mehrere Bemerkungen des Ersteren beantwortet und ein oder zwei Mal sogar offen mit ihm über die Abgeschmacktheit des Fünfer-Committees gelacht. Die vorsichtige Gouvernante wunderte sich darüber, war aber halb geneigt, zu glauben, daß dies eine nothwendige Folge der Freiheit auf einem Schiffe sey – denn gleich einer ächten Französin hatte Mademoiselle Viefville nur sehr unbestimmte Vorstellungen von dem Geheimnisse der mächtigen Tiefe; sie ließ deshalb die Sache hingehen, indem sie auf den lang erprobten Geschmack und die Klugheit ihres Pfleglings vertraute. Während Mr. Sharp sich mit Eva unterhielt, der er seinen Arm gereicht, hatte sie ein lebhaftes Gespräch mit Mr. Blunt begonnen, der an ihrer Seite ging und des Französischen so vollkommen mächtig war, daß sie ihn anfänglich für einen Landsmann hielt, welcher unter einem englischen nom de guerre reiste. Als diese Unterhaltung eben recht interessant wurde – denn Paul Blunt sprach mit seiner Gefährtin von Paris und seinen Vorzügen mit einer Gewandtheit, die bald ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, sintemal » Paris, ce magnifique Paris« auf das Glück der Gouvernante fast eben so großen Einfluß übte, wie es dem Vernehmen nach bei Madame Stael der Fall gewesen seyn soll – dämpfte Eva's Begleiter seine Stimme zu einem Tone, der etwas allzu vertraulich für einen Fremden klang, obschon er die Schranken achtungsvoller Ehrerbietung nicht überschritt.
»Ich schmeichle mir,« sagte er, – »obschon vielleicht nur meine Eigenliebe Schuld daran ist – Miß Effingham habe diejenigen, mit welchen sie auf ihren Reisen zusammentraf, nicht so ganz und gar vergessen, um mich für einen wildfremden Menschen zu halten.«
»Gewiß nicht,« entgegnete Eva mit vollkommener Einfachheit und Ruhe, »sonst wäre mir ja eines meiner Vermögen – das des Gedächtnisses völlig nutzlos. Ich habe Euch auf den ersten Blick erkannt und hielt deshalb die Vorstellung des würdigen Kapitäns, die er mit so viel Feinheit anbrachte, für sehr vergebliche Mühe.«
»Ich bin hierüber eben so erfreut, als schmerzlich berührt – erfreut, weil ich mir schmeicheln darf, daß ich an Euren Blicken nicht vorüberging, wie die gewöhnliche Heerde von Menschen, welche dem Andenken nicht einmal die Spuren ihrer Gesichtszüge zurücklassen; aber auch schmerzlich berührt, mich in einer Lage zu finden, die Ihr, wie ich fürchte, für ungemein lächerlich halten werdet.«
»Oh, man darf kaum wagen, aus den Handlungen junger Männer oder auch junger Frauenzimmer – zumal in einem so originellen Zeitalter, wie das unsrige ist – derartige Folgerungen zu ziehen. Im Ganzen kam mir nichts ungereimt vor, als die Vorstellung, und auch diese habe ich fast wieder vergessen, weil inzwischen so viele noch ungereimtere Dinge vorgingen.«
»Und der Name?«
»Hat zuverläßig Schneide. Wenn ich nicht irre, so begnügtet Ihr Euch während Eures Aufenthalts in Italien, denselben Eurem Bedienten führen zu lassen. Ich vermuthe übrigens, Ihr habt es für nöthig gehalten, cap-à-pié bewaffnet zu gehen, nachdem Ihr Euch einmal entschlossen hattet, unter ein Volk zu gehen, das um seiner Schlauheit willen so im Rufe steht wie die Yankees.«
Beide lachten leicht hin, als ob ihnen der Scherz in gleicher Weise Vergnügen mache, worauf der Gentleman wieder aufnahm:
»Ich hoffe aber aus dem Grunde meines Herzens, daß Ihr mein Incognito aus keiner ungebührlichen Triebfeder ableitet.«
»Sie ist vermuthlich dieselbe, welche so viele junge Männer veranlaßt, von Rom nach Wien oder von Wien nach Paris zu eilen – dieselbe, welche einen bestimmt, das Vis a vis zu verkaufen und eine Dormeuse zu kaufen – die Freunde von Heute zu kennen und sie morgen wieder zu vergessen – oder mit einem Worte, hundert andere Dinge zu thun, die sich aus keinem anderen Beweggrund erklären lassen.«
»Und dieser Beweggrund?«
»Ist einfach Laune.«
»Ich wünschte, Euch überreden zu können, daß Ihr mein Benehmen einem besseren Grunde zuschriebet. Könnt Ihr Euch im gegenwärtigen Augenblicke auf nichts besinnen, was ein Bischen ehrenvoller für mich wäre?«
»Vielleicht,« antwortete Eva nach kurzem Nachdenken; dann lächelte sie wieder und fügte hastig bei: »aber ich fürchte, wenn ich Euch der Anklage einer nicht zu bändigenden Launenhaftigkeit überhebe, muß ich Euch einen Grund unterstellen, der Eurem Verstande noch weniger zur Ehre gereicht.«
»Dies wird sich am Ende zeigen. Glaubt Ihr, daß Mademoiselle Viefville sich meiner erinnere?«
»Nicht möglich. Besinnt Euch – sie war die drei Monate, während welcher wir so viel von Euch sahen, krank.«
»Und Euer Vater, Miß Effingham – sollte er mich wirklich ganz vergessen haben?«
»Gewiß nicht, denn er vergißt nie ein Gesicht, wie es auch in dem gegenwärtigen Falle dem Namen ergangen seyn mag.«
»Er empfing mich so kalt und wie einen völlig Fremden.«
»Er hat zu viel Bildung, um einem Manne gegenüber, der unbekannt zu seyn wünscht, eine Erkennungsscene zu feiern oder in Rufe der Ueberraschung und dramatische Verzückungen auszubrechen. Außerdem besitzt er festere Grundsätze, als ein Mädchen, und dürfte wohl mit einer Laune weniger Nachsicht haben.«
»Ich bin ihm für seine Zurückhaltung verpflichtet, denn eine Bloßstellung müßte mich lächerlich machen, und so lange Ihr und er allein mich kennen, fühle ich mich in diesem Schiffe weniger beengt. Ich bin überzeugt, von dieser Seite aus droht mir kein Verrath.«
»Verrath?«
»Verrath, Entdeckung, Vernichtung, wenn Ihr wollt; aber alles dies ist immerhin besser, als das Spielen einer lächerlichen Rolle.«
»Dies streift ein Bischen an's Launenhafte. Dennoch schmeichelt Ihr Euch mit allzuviel Sicherheit, denn Ihr seyd außer meinem Vater, mir selbst und dem Ehrenmanne, dem Ihr alle Schlauheit geraubt habt, welche, wie ich glaube, in seinem Namen lag – noch einer weiteren Person bekannt.«
»Um's Himmels willen, wer kann diese seyn?«
»Der würdigen Nanny Sidley, meiner ehemaligen Wärterin und nunmehrigen femme de chambre. Kein Wehrwolf war je wachsamer auf ein ihm anvertrautes Pfand, als die treue Nanny auf das ihrige, und es wäre vergebliche Hoffnung, annehmen zu wollen, daß sie sich nicht Eurer Züge erinnerte.«
»Aber die Wehrwölfe schlafen bisweilen – bedenkt doch, wie viele in diesem Zustande überwältigt wurden.«
Eva lächelte, aber schüttelte den Kopf. Sie wollte Mr. Sharp eben die Versicherung geben, daß er sich in Betreff dieses Punktes mit einem eitlen Wahne trage, als ein Ausruf der Gouvernantin ihrer beiderseitigen Aufmerksamkeit eine andere Richtung anwies. Auch hatten sie keine Zeit, ihr Gespräch wieder aufzunehmen, denn Mademoiselle Viefville wandte sich jetzt an sie und sagte hastig in französischer Sprache:
»Ich versichere Euch, meine Liebe, ich würde Monsieur seiner Sprache nach für einen Landsmann gehalten haben, wenn er nicht eben erst einen schlimmen Verstoß gemacht hätte.«
»Darf ich fragen, worin dieser Verstoß besteht, damit ich ihn eiligst verbessern kann?« entgegnete Mr. Blunt.
»Monsieur, Ihr sprecht viel zu vollkommen, zu grammatikalisch für einen gebornen Franzosen und erlaubt Euch nicht die Freiheiten, zu welchen sich diejenigen berechtigt fühlen, die über ihr Eigenthum schalten. Der Fehler liegt in der allzugroßen Correctheit.«
»Sie kann allerdings leicht zum Fehler werden, und ich danke Euch für den Wink, Mademoiselle; aber da ich jetzt nach einem Lande reise, wo man wahrscheinlich wenig Französisch zu hören bekommen wird, so dürfte er sich wohl bald in gröberen Verstößen verlieren.«
Die Beiden wandten sich nun wieder ab und setzten das Gespräch fort, welches sie durch diese unbedeutende Bemerkung unterbrochen hatten.
»Es könnte wohl der Fall seyn, daß Ihr auch außerdem noch Jemanden bekannt wäret,« nahm Eva wieder auf, sobald sie aus der Lebhaftigkeit der Unterhaltung, in welcher die Französin und Mr. Blunt begriffen waren, die Ueberzeugung gewonnen hatte, daß ihre Bemerkung nicht gehört werden konnte.
»Sicherlich könnt Ihr doch ihn nicht meinen.«
»Allerdings meine ich ihn. Seyd Ihr so ganz überzeugt, daß Mr. Sharp, Mr. Blunt – Mr. Blunt, Mr. Sharp sich nie zuvor gesehen haben?«
»Ich glaube, es geschah das erstemal, als wir miteinander in das Boot traten. Er ist ein gebildeter junger Mann und scheint sogar mehr zu seyn, als Deine flüchtige Bekanntschaft vermuthen läßt; solche Leute vergißt man nicht so leicht. Ueberhaupt zeichnet er sich vortheilhaft vor der übrigen Schiffsgesellschaft aus – seyd Ihr nicht der gleichen Ansicht?«
Eva gab keine Antwort, weil sie wahrscheinlich glauben mochte, daß ihr Gefährte nicht auf einem Fuße von Vertraulichkeit zu ihr stehe, um berechtigt zu seyn, sie über ihre Meinung von Andern zu fragen. Auch besaß Mr. Sharp zuviel Weltkenntniß, um den begangenen kleinen Verstoß nicht zu bemerken; nachdem er daher in scherzendem Tone die junge Dame um so viel Mitleid gebeten hatte, ihn nicht zu verrathen, gab er dem Gespräch mit der Gewandtheit eines Mannes, welcher einsah, daß er die Unterhaltung nicht fortführen konnte, ohne ihr einen Character von Vertraulichkeit zu verleihen, den Eva zu gestatten nicht geneigt war – eine andere Wendung, die sich um so glücklicher herbeiführen ließ, weil in der Unterredung der Gouvernantin mit Mr. Blunt eine Pause Platz gegriffen hatte.
»Ich glaube, Ihr seyd ein Amerikaner, Mr. Blunt,« bemerkte er, »und da ich ein Engländer bin, so sind wir vollkommen geeignet, gegenseitig die wichtige nationalrechtliche Frage zu verhandeln, über die unser würdiger Kapitän seine schwunghaften Vattelfloskeln so familiär anbringt, als wären sie sein tägliches Brod. Ich hoffe, Ihr seyd wenigstens mit mir einverstanden, daß es sehr thöricht von unserer Seite wäre, Einwendungen gegen einen Besuch zu erheben, wenn uns die Kriegsschaluppe einholen sollte.«
»Ich sehe nicht ein, warum ich gerade ein Amerikaner seyn müßte, um über einen derartigen Punkt meine Ansicht abzugeben,« entgegnete der angeredete junge Mann höflich, während er zugleich vor sich hinlächelte; »denn was recht ist, bleibt recht ohne Rücksicht auf Nationen oder Nationalität. In der That scheint mir, daß ein bewaffnetes Staatsschiff, sowohl im Krieg, als im Frieden, berechtigt ist, wenigstens an der Küste des Landes, dem der Kreuzer angehört, sich über den Character aller Kauffahrer Gewißheit zu verschaffen. Ich sehe nicht ein, wie ohne diese Ermächtigung dem Schleichhandel gesteuert, Seeräuberei unterdrückt oder überhaupt der Zweck erfüllt werden könnte, um dessen willen diese Schiffe gewöhnlich in die See geschickt werden, auch ohne daß entschiedene Feindseligkeiten obwalten.«
»Es freut mich, zu finden, daß Ihr über die Gesetzlichkeit der Lehre vom Durchsuchungsrecht mit mir einverstanden seyd.«
Paul Blunt lächelte abermals, und Eva glaubte, bei Gelegenheit einer Wendung in ihrem kurzen Spaziergang in dem Ausdrucke seines schönen Gesichtes den geheimen Stolz einer überlegenen Einsicht wahrzunehmen. Er antwortete übrigens mit der früheren Milde und Ruhe:
»Ein Recht der Durchsuchung ist allerdings vorhanden, sofern sich's um nichts weiter handelt, als eben um Erreichung der erwähnten Zwecke. Wenn zum Beispiel eine Nation von seeräuberischem Treiben unterrichtet wird und besondere Agenten aufstellt, um den Freibeutern auf die Spur zu kommen und sie zu überwältigen, so müssen vernünftigermaßen diesen Bevollmächtigten alle Rechte eingeräumt werden, welche zu Erfüllung einer derartigen Obliegenheit erforderlich sind. Muß aber auch dies zugestanden werden, so sehe ich nicht ein, daß sie dadurch eine Autorität gewinnen, welche über den unmittelbaren Bereich ihres besonderen Dienstes hinaus greift. Wenn wir Jemanden gestatten, in unser Haus einzutreten, um nach Dieben zu spähen, so folgt aus diesem Zugeständniß nicht, daß er berechtigt ist, in den vier Pfählen eines Andern auch sonstige Verrichtungen vorzunehmen. Ich glaube, man sollte dem Schiffe, das uns nachsetzt, als einem öffentlichen Kreuzer erlauben, an Bord dieses Fahrzeugs zu kommen; findet er aber nichts, was dem Völkerrechte zuwider läuft, so ist er nicht ermächtigt, den Montauk aufzuhalten oder anderweitig zu belästigen. Sogar das Recht, das ich einräume, muß mit Humanität und ohne ränkevolle Plackerei geübt werden.«
»Ihr müßt aber gewiß bedacht haben, daß wir uns ein Unrecht zu Schulden kommen ließen, indem wir einem Menschen, der vor dem Arm der Gerechtigkeit flüchtig wurde, Schutz gaben. Dem Grundsatze nach steht es uns also nicht zu, uns zu widersetzen, wenn man den armen Tropf wieder nach dem Lande zurückschaffen will, aus dem er entwich, wie sehr wir auch in dem gegenwärtigen Falle die Härte der Gesetzgebung beklagen mögen.«
»Es frägt sich sehr, ob Kapitän Truck geneigt seyn wird, die Sache so unbestimmt zu beurtheilen. Erstlich wird er wohl sagen, sein Schiff sey regelmäßig klarirt und zur Ausfahrt berechtigt gewesen; wenn er nun, so lang er noch in britischem Gewässer war, dem Polizeibeamten gestattete, sein Schiff zu durchsuchen, so habe er Alles gethan, was von ihm verlangt werden könne, denn das Gesetz zwinge ihn nicht, den Häscher oder den Angeber zu machen. Die Vollmacht habe dahin gelautet, den Davis festzunehmen, nicht aber den Montauk aufzuhalten, und sobald er einmal aus britischem Gewässer sey, habe an Bord seines Schiffes das amerikanische Gesetz Geltung. Der englische Beamte sey von nun an als Eindringling zu betrachten gewesen, den er sich vom Halse zu schaffen das Recht hatte, denn seine Vollmacht habe aufgehört, sobald er außerhalb des Bannes der Gerichtsbarkeit war, welche sie verliehen hatte.«
»Ich glaube, Ihr werdet den Kapitän jenes Kreuzers nicht geneigt finden, diesen Satz einzuräumen.«
»Dies ist nicht unmöglich, denn der Mensch hält sich oft lieber an die Mißbräuche, als daß er seinen Wünschen etwas in den Weg legen läßt. Aber der Kapitän der Corvette könnte ebensogut an Bord eines ausländischen Kriegsschiffs gehen und sich kraft der Vollmacht, vermöge welcher er sein eigenes Schiff befehligt, das Commando auf dem fremden ansprechen, als er einen vernünftigen oder gesetzlichen Grund für das, was Ihr vorauszusagen scheint, aufzufinden im Stande seyn wird.«
»Ich freue mich, zu hören, daß der arme Mann nunmehr seiner Frau nicht mehr entrissen werden kann!« rief Eva.
»So haltet Ihr's also mit der Lehre des Mr. Blunt, Miß Effingham?« bemerkte der andere Sprecher in etwas vorwurfsvollem Tone. »Ich fürchte, Ihr betrachtet die Sache blos im Interesse Eurer eigenen Nation.«
»Vielleicht that ich das Gleiche, was Alle gethan zu haben scheinen, indem ich mehr der Stimme der Sympathie als einer wohlbegründeten Beleuchtung Gehör gab. Und doch würde es eines kräftigen Beweises bedürfen, um mich zu überzeugen, jener schuftig aussehende Attorney sey in einer guten, jene sanfte und warmherzige Frau aber in einer schlechten Sache begriffen gewesen.«
Beide Gentlemen lächelten und wandten sich der schönen Sprecherin zu, als wollten sie dieselbe zum Fortfahren ermuntern; aber Eva hielt inne, da sie bereits mehr gesprochen zu haben glaubte, als ihr zustand.
»Ich hatte gehofft, Mr. Blunt, in Euch einen Beistand zu finden, wenn es gälte, die Berechtigung Englands zu unterstützen, seine eigenen Matrosen wegzunehmen, wenn es dieselben an Bord der Schiffe einer andern Nation findet,« nahm Mr. Sharp wieder auf, nachdem eine achtungsvolle Pause den beiden jungen Männern gezeigt hatte, daß sie von ihrer schönen Gefährtin nichts mehr erwarten dürften, »fürchte aber jetzt, daß ich Euch unter die Reihe derjenigen zählen muß, welche Englands Macht gerne gemindert sähen – coûte qui coûte.«
Diese Aeußerung wurde aufgenommen, wie sie gemeint war, nemlich als eine wirkliche Ansicht, die den Schleier des Scherzes vorgenommen hatte.
»Zuverläßig wünsche ich nicht, daß es seine Macht festhalte coûte qui coûte,« entgegnete der Andere lachend; »und für diese Ansicht glaube ich auch auf die Bundesgenossenschaft dieser beiden Damen rechnen zu können.«
» Certainement!« rief Mademoiselle Viefville, die einen lebendigen Beweis abgab, daß Gefühle der Abneigung, die durch Jahrhunderte genährt wurden, sich nicht durch ein paar Federzüge bannen lassen.
»Was mich betrifft, Mr. Sharp,« fügte Eva bei, »so werdet Ihr einem amerikanischen Mädchen nicht zumuthen, daß es was immer für einem Lande ein Recht zugestehe, uns Unrecht zu thun. Indeß muß ich doch auch bitten, mich nicht unter diejenigen zu zählen, welche die rechtmäßigen Ansprüche des Landes meiner Vorfahren verkümmert sehen möchten.«
»Dies ist ein mächtiger Beistand, und ich werde wohl Schamade schlagen müssen. Uebrigens im Ernst – Ihr werdet mir wohl die Frage erlauben, Sir, ob Ihr glaubt, man könne England sein Recht an die Dienste seiner Matrosen absprechen.«
»Ich muß Euch gleichfalls im Ernst die Frage entgegenhalten, Mr. Sharp, ob Ihr meint – mit Gewalt oder auf dem Wege vernünftiger Vorstellung?«
»Natürlich auf dem letzteren!«
»So habt Ihr wohl meiner Ansicht nach die schwache Seite der englischen Rechtsbegründung aufgegriffen. Die Natur des Dienstes, welchen der Unterthan oder der Bürger, wie es jetzt in Paris zu sagen Mode ist, Mademoiselle, –«
» Tant pis,« murmelte die Gouvernante.
»Seiner Regierung schuldig ist,« fuhr der junge Mann fort, indem er bei dieser Unterbrechung einen Blick nach Eva hingleiten ließ, »ist blos ein Punkt der innern Verwaltung. England übt ein schrankenloses Zwangsrecht oder, was so ziemlich dasselbe ist, es nöthigt einen Theil seiner Unterthanen zu Dienstleistungen, ohne daß irgend ein gleichförmiger Schutz stattfände. In Frankreich beruht der Zwangsdienst auf einem Grundsatze, der für Alle gleiche Geltung hat, während in Amerika, soweit die Matrosen in Frage kommen, nur freiwillige Dienste geleistet werden.«
»Mit Eurer Erlaubniß – würden die amerikanischen Staatsgesetze überhaupt das Pressen gestatten?«
»Jedenfalls kein gewaltsames Pressen, möchte ich glauben, obschon ich nicht einsehe, warum nicht gesetzliche Bestimmungen sollten erlassen werden können, um die Kriegsschiffe eben so gut zu rekrutiren, wie die Armeen. Doch dies ist ein Punkt, den Männer von Fach, wenn deren an Bord sind, besser werden beantworten können, als ich.«
»Die Gewandtheit, mit welcher Ihr heute diese Gegenstände behandelt habt, ließ mich hoffen, in Euch einen Mann von Fach gefunden zu haben; denn für einen Reisenden ist es immer wünschenswerth, mit einiger Vorbereitung ein neues Land zu betreten, und ein Schiff dürfte wohl eben so viel Verlockung bieten, zu lehren, als zu lernen.«
»Wenn Ihr mich für einen amerikanischen Rechtsgelehrten haltet, so erweist Ihr mir eine größere Ehre, als ich ansprechen kann.«
Er stockte, und Eva hätte gar gerne wissen mögen, ob der leichte Nachdruck, den er auf die beiden mit gesperrter Schrift gedruckten Worte legte, wohl vorzugsweise dem Lande oder dem angedeuteten Berufe gelten mochte.
»Ich habe mich lange Zeit in Amerika aufgehalten und seinen Institutionen einige Aufmerksamkeit geschenkt; es würde mir übrigens leid thun, wenn Ihr glauben wolltet, daß mir in solchen Punkten überhaupt ein unfehlbares Urtheil zustehe,« fuhr Mr. Blunt fort.
»Ihr wolltet von dem Pressen der Matrosen sprechen.«
»Blos um zu bemerken, daß dies in das Bereich der Municipal- oder National-Berechtigungen gehöre, ohne daß allgemeine Grundsätze darauf in Anwendung kommen können. Jedenfalls hört die Befugniß dazu auf, wo die betreffenden Partieen außer dem Bann der Municipal- oder National-Gewalt sind. Ich kann zwar zugeben, daß die Ausübung des erwähnten Zwangsrechtes auf amerikanischen Schiffen in britischen Gewässern zulässig ist, oder doch wenigstens einen scheinbaren Grund für sich hat; indeß glaube ich nicht, daß sie unter allen anderen Verhältnissen eine rechtmäßige Grundlage hat. Zuverläßig würde sich England bei seiner gegenwärtigen Kraft im umgekehrten Falle keine Stunde einer derartigen Praxis unterwerfen, und eine solche Vergleichung dürfte wohl den besten Prüfstein eines Grundsatzes abgeben.«
»Ja, ja, was eine gute Brühe für die Gans ist, ist's auch für den Gänserich, wie Vattel sagt,« fiel Kapitän Truck ein, der den letzten Theil dieses Gespräches mitangehört hatte – »freilich nicht gerade mit denselben Worten, aber den Sinn derselben hat er durch sein ganzes Werk ein Langes und Breites ausgeführt. Was dies betrifft, so läßt sich wohl wenig über einen Gegenstand sagen, was er seinen Lesern nicht so klar vor Augen geführt hätte, als Beachy Head vor den Blicken des Seemanns liegt, der durch den britischen Kanal fährt. Mit Bowditch und Vattel kann man die ganze Welt umsegeln, ohne eine schlechte Anthuning oder einen Fehlgriff in den Principien besorgen zu müssen. Uebrigens bin ich gekommen, meine Damen, Euch anzuzeigen, daß der Steward das Nachtessen gemeldet hat, welches nun der Ehre Eures Zuspruchs gewärtig ist.«
Ehe die Gesellschaft das Deck verließ, erkundigte sie sich noch nach der Stellung des nachjagenden Schiffes und nach den muthmaßlichen Absichten der Kriegsschaluppe.
»Wir sind jetzt auf der großen Völkerstraße,« entgegnete Mr. Truck, »und ich gedenke darauf fortzuwandern, ohne Rippenstöße auszutheilen oder einzunehmen. Was die Schaluppe betrifft, so steuert sie unter starkem Segeldruck heraus, und wir stehen, unter gleichen Umständen in fast gerader Linie vor ihr. Sie befindet sich etwa vier Stunden in unserem Stern, und der Matros trägt sich mit einem alten Sprüchlein, daß ›eine Sternjagd eine lange Jagd sey!‹ Ich glaube nicht, daß unser Fall eine Ausnahme von der Regel machen wird. Zwar maße ich mir nicht an, voraussagen zu wollen, wie die Sache ablaufen könnte; aber es gibt kein Schiff in der britischen Flotte, das dem Montauk bei seiner gegenwärtigen Tackelung und unter einer solchen Brise zehn englische Meilen in eben so vielen Stunden abgewinnen kann; wir sind daher vorderhand vollkommen quitt mit ihr.«
Die letzten Worte wurden ausgesprochen, als Eva eben ihren Fuß auf die oberste Stufe der Treppe setzte, um nach der Cajüte hinunterzusteigen.