Joseph Conrad
Die Tremolino
Joseph Conrad

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III

Es lag nicht an der ›Tremolino‹, daß unser Syndikat so sehr auf den Verstand, die Weisheit und die Informationen der Doña Rita angewiesen war. Für die gute Sache — por el Rey! — hatte sie ein kleines möbliertes Haus am Prado gemietet. Sie mietete immer kleine Häuser für irgendeine gute Sache, für Kranke oder Bekümmerte, für heruntergekommene Künstler, für ausgeplünderte Spieler oder zeitweise unglückliche Spekulanten – vieux amis –, alte Freunde, wie sie entschuldigend zu erklären pflegte, und sie hob dabei ein wenig die schönen Schultern.

Ob auch Don Carlos einer ihrer »alten Freunde« war, ist schwer zu sagen. Man hat schon unwahrscheinlichere Dinge in Herrensalons gehört. Alles, was ich davon weiß, ist nur, daß ich eines Abends, als gerade die Nachricht von einem beträchtlichen Erfolg der Carlisten die Getreuen erreicht hatte, beim Betreten des kleinen Hauses im Genick und um die Taille gefaßt und dreimal im Zimmer rücksichtslos umhergewirbelt wurde, wobei umstürzende Möbelstücke krachten und eine warme Altstimme eine Walzermelodie summte. Als ich aus der schwindelerregenden Umarmung erlöst wurde, setzte ich mich auf den Teppich, und zwar ganz plötzlich und ohne mich zu zieren. In dieser wenig würdevollen Lage wurde ich gewahr, daß J. M. K. B. mir ins Zimmer gefolgt war. Elegant, unheilkündend, tadellos mit weißer Schleife und steifer Hemdbrust stand er da. Auf seinen höflichen, etwas finsteren und fragend langen Blick hin hörte ich Doña Rita in einiger Verwirrung ärgerlich murmeln: »Vous êtes bête, mon cher. Voyons! Ça n'a aucune conséquence.« Wenn ich auch sehr zufrieden war, daß dieser Fall keine besonderen Folgen haben sollte, so fühlte ich doch schon wieder ein Fünkchen weltlichen Sinnes in mir. Ich brachte meinen Kragen wieder in Ordnung, ehrlich gesagt, hätte es ein runder Kragen über einer kurzen Jacke sein müssen, aber es war kein runder, und bemerkte mit gewählten Worten, daß ich gekommen sei, um mich zu verabschieden, da ich noch diese Nacht mit der ›Tremolino‹ in See gehen wollte. Unsere Gastgeberin, immer noch etwas außer Atem und ein wenig verwirrt, wandte sich in schroffem Ton an J. M. K. B. und wünschte zu wissen, wann denn er mit der ›Tremolino‹ oder auf irgendeine andere Weise ins königliche Hauptquartier abzureisen gedenke. Habe er etwa die Absicht, fragte sie ironisch, bis zum Vorabend des Einzugs in Madrid zu warten ? So stellten wir durch die vernünftige Anwendung von Takt und Schärfe wieder das atmosphärische Gleichgewicht im Raum her, lange bevor ich mich kurz vor Mitternacht von ihnen trennte, in einer Stimmung milder Versöhnlichkeit. Ich ging zum Hafen hinunter und rief die ›Tremolino‹ vom Kai aus mit dem üblichen leisen Pfiff an, unserem Signal, das der immer wachsame Dominic, unser Padrone, unweigerlich hörte.

Schweigend hob er wie üblich eine Lampe hoch, um mir beim Anbordgehen über die schmale, federnde Planke unseres primitiven Landganges zu leuchten. Sowie mein Fuß das Deck betreten hatte, murmelte er: »Dann kann es ja losgehen.« Ich war der Vorbote plötzlicher Abfahrten; aber nichts in der Welt konnte so plötzlich kommen, daß es Dominic überrascht hätte. Sein mächtiger schwarzer Schnurrbart, den er jeden Morgen vom Barbier an der Ecke des Kais mit einer heißen Brennschere in Façon bringen ließ, schien ein stetes Lächeln zu verbergen. Aber ich glaube, niemand hat je die wirkliche Form seiner Lippen gesehen. Seiner bedächtigen, unerschütterlichen Würde nach konnte man meinen, dieser breitschultrige Mann habe niemals in seinem Leben gelächelt. In seinen Augen lauerte ein Schimmer hartherziger Ironie, als sei ihm nichts fremd, und schon das geringste Aufblähen seiner Nüstern verlieh seinem gebräunten Gesicht einen ungewöhnlich kühnen Ausdruck. Dies war das einzige Mienenspiel, zu dem er imstande schien; ein Mann aus dem Süden vom beherrschten, bedächtigen Schlag. Sein ebenholzschwarzes Haar war an den Schläfen etwas gekräuselt. Er mag vielleicht vierzig Jahre alt gewesen sein, und er war ein hervorragender Seefahrer auf diesem Binnenmeer. Schlau und skrupellos, hätte er an Wendigkeit mit dem unglücklichen Sohn des Laertes und der Antikleia wetteifern können. Wenn er seine Verschlagenheit und Kühnheit nicht gegen die Götter selbst ausspielte, dann nur, weil die olympischen Götter tot sind. Bestimmt hätte ihn keine Frau einschüchtern können. Ein einäugiger Riese würde nicht die geringste Aussicht gegen Dominic Cervoni aus Korsika, nicht Ithaka, gehabt haben; er war auch kein König und stammte auch nicht von Königen ab, aber doch aus sehr achtbarer Familie — von den Caporalis, wie er glaubhaft versicherte. Wie dem auch sein mag, die Familie Caporali läßt sich bis ins zwölfte Jahrhundert zurückverfolgen. Aus Mangel an edleren Widersachern kehrte Dominic seine an ruchlosen Listen reiche Kühnheit gegen die irdischen Mächte, wie sie durch die Zollämter und alle dazugehörigen Sterblichen – Schreiber, Beamte und Wachmannschaften zu Wasser und zu Land – verkörpert werden. Er war genau der richtige Mann für uns, dieser moderne gesetzbrechende Wanderer mit seiner eigenen Legende von Liebe, Gefahr und Blutvergießen. Manchmal erzählte er uns Bruchstücke davon in gemessenem, ironischem Ton. Er sprach Katalonisch, das Italienisch von Korsika und das Französische der Provence mit der gleichen leichten Natürlichkeit. In seinem Landgangszeug, wie ich ihn einmal mit zu Doña Rita nahm, im weißen, gestärkten Hemd, schwarzen Jackett und steifen Hut, sah er sehr stattlich aus. Er verstand es auch, sich durch taktvolle und schlichte Zurückhaltung, die noch durch eine kaum wahrnehmbare Munterkeit in Ton und Gebärde unterstrichen wurde, sehr interessant zu machen.

Er besaß die natürliche Sicherheit eines unerschrockenen Mannes. Nach einer halbstündigen Unterhaltung im Eßzimmer, während der sie beide auf geradezu erstaunliche Weise miteinander Kontakt bekamen, sagte uns Rita in ihrer besten grande dame-Manier: »Mais il est parfait, cet homme.« Ja, er war vollkommen. Wenn er an Bord der ›Tremolino‹ in seinen schwarzen caban, den malerischen Mantel der Seeleute des Mittelmeers, gehüllt dastand, sah er mit seinem buschigen Schnurrbart und den harten Augen, die aus dem Schatten der tiefen Kapuze hervorblickten, wie ein Pirat, wie ein Mönch aus, der düster eingeweiht ist in die schrecklichsten Geheimnisse des Meeres.


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