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Wir bildeten zu viert – um eine Bezeichnung zu gebrauchen, die heutzutage jeder Gesellschaftsschicht geläufig ist – ein »Syndikat«, dem die ›Tremolino‹ gehörte; ein internationales und erstaunliches Syndikat. Und wir waren alle glühende Royalisten der schneeweißen legitimistischen Richtung – der Himmel mag wissen, warum! In allen menschlichen Gemeinschaften findet sich gewöhnlich einer, der kraft der Autorität seines Alters und seiner größeren Lebenserfahrung dem ganzen Kreis einen kollektiven Charakter verleiht. Wenn ich erwähne, daß der Älteste von uns sehr alt, äußerst alt, nämlich beinah dreißig Jahre alt war, und daß er in tapferer Unbekümmertheit zu erklären pflegte: »Ich lebe von meinem Schwert«, so glaube ich über den Stand unserer Lebensweisheit hinreichend Auskunft gegeben zu haben. Er war ein Gentleman aus Nord-Carolina, und J. M. K. B. waren die Initialen seines Namens. Soviel ich weiß, lebte er wirklich von seinem Schwert. Er starb auch später durch das Schwert bei irgendeiner Rauferei auf dem Balkan um der Sache einiger Serben oder Bulgaren willen, die weder Katholiken noch Gentlemen waren, wenigstens nicht in dem erhabenen, aber engeren Sinne, den er diesem letzten Wort zumaß.
Armer J. M. K. B., Américain, Catholique, et gentilhomme, wie er sich in Augenblicken himmelstürmenden Gedankenfluges selbst zu bezeichnen liebte. Ich möchte wohl wissen, ob sich heute noch in Europa Gentlemen finden, die von solch kühnem Gesicht, vornehmem Aussehen und eleganter schmaler Figur sind, außerdem noch ausgezeichnete Umgangsformen besitzen, einen düsteren, schicksalsschweren Blick haben und dabei von ihrem Schwert leben. Seine Familie war, wie ich annehme, im Bürgerkrieg ruiniert worden und hat dann eine Zeitlang ein sehr unstetes Leben in der Alten Welt geführt. Was nun Henry C., den nächsten an Alter und Weisheit, betrifft, so war dieser junge Mann vor der unbeugsamen Strenge seiner Familie ausgerückt, die, wenn ich mich recht erinnere, alteingewurzelte Bürger eines vornehmen Londoner Vororts waren. Auf Grund ihres respektablen Ansehens stellte er sich Fremden gewöhnlich ganz demütig als »schwarzes Schaf« vor. Ich habe nie ein argloseres Exemplar von Ausgestoßenem gesehen. Niemals. Immerhin waren seine Angehörigen so gnädig, ihm dann und wann etwas Geld zu schicken. Er war in den Süden verliebt, in die Provence, in die Menschen, in das Leben, in den Sonnenschein und in ihre Dichtung. Engbrüstig, lang und kurzsichtig, wie er war, stelzte er durch die Straßen und Gassen mit weit ausladenden Schritten, die weiße Nase und den roten Schnurrbart in ein Buch vergraben, denn er hatte die Angewohnheit, im Gehen zu lesen. Wie er es fertigbrachte, dabei nicht Abhänge hinabzustürzen oder von Kais und Treppenhäusern hinunterzufallen, ist ein großes Geheimnis. Die Seiten seines Mantels waren von Taschenausgaben verschiedener Dichter ausgebeult. Wenn er nicht damit beschäftigt war, in Parks, Restaurants, Straßen oder an ähnlichen öffentlichen Plätzen Vergil, Homer oder Mistral zu lesen, verfaßte er Sonette — auf französisch – auf die Augen, die Ohren, das Kinn, die Haare und andere sichtbare Vollkommenheiten einer Nymphe namens Therese, der Tochter – die Ehrlichkeit zwingt mich dies festzustellen – einer gewissen Madame Leonore, die ein kleines Café für Seeleute in einer der engsten Straßen der Altstadt betrieb.
Ein reizenderes Gesicht, scharf geschnitten wie eine antike Gemme und zart in seinen Farben wie das Blatt einer Blumenkrone, hat es noch niemals auf einem leider etwas pummeligen Körper gegeben. Henry las ihr in dem Café seine Verse mit der Unschuld eines Kindes und der Eitelkeit eines Poeten laut vor. Nur zu gerne folgten wir ihm dorthin, wenn auch nur, um die göttliche Therese unter den wachsamen schwarzen Augen Madame Leonores, ihrer Mutter, lachen zu sehen. Sie konnte sehr hübsch lachen, weniger über die Sonette, die sie wohl kaum zu schätzen wußte, als über die französische Aussprache des armen Henry, die einzigartig war und sich wie Vogelgezwitscher anhörte, wenn Vögel jemals stotternd und mit nasalem Tonfall gezwitschert haben.
Unser dritter Partner war Roger P. de la S., ein provenzalischer Graf von ausgesprochen skandinavischem Aussehen. Er war blond, sechs Fuß hoch und, wie es einem Nachkommen seeräuberischer Nordmänner ansteht, von herrischem Wesen, sarkastisch, ein geistreicher Spötter mit einer Komödie in drei Akten in der Tasche und einem Herzen in der Brust, das von einer hoffnungslosen Leidenschaft zu seiner schönen Kusine entzündet war. Sie war mit einem wohlhabenden Häute- und Fetthändler verheiratet. Ohne Umstände pflegte uns Roger zum Essen mit in das Haus des Ehepaares zu nehmen. Ich bewunderte die freundliche Geduld der guten Dame. Ihr Mann war eine verträgliche Seele, die sich mit ihrem Schicksal abgefunden hatte, was auch »Rogers Freunden« zugute kam. Ich habe allerdings den Verdacht, daß er im geheimen über diese Überfälle doch sehr entsetzt war. Aber es war ein Salon der Carlisten, und als solche wurden wir gerne gesehen. Die Möglichkeit, Katalonien im Interesse des Rey neto aufzuwiegeln, der gerade über die Pyrenäen gezogen war, wurde dort viel diskutiert. Ohne Zweifel wird Don Carlos viele sonderbare Freunde gehabt haben, das ist das Los aller Prätendenten, aber unter ihnen gab es bestimmt keine überspannteren Phantasten als das ›Tremolino‹-Syndikat, das sich gewöhnlich in einer Taverne am Kai des alten Hafens traf. Die antike Stadt Massilia hat sicherlich seit den Tagen der ersten Phönizier noch nie eine seltsamere Gruppe von Schiffseignern gesehen. Wir trafen uns, um einen genauen Plan für jede Reise der ›Tremolino‹ zu besprechen und festzulegen. An diesen Unternehmen war auch ein Bankhaus beteiligt – es war ein sehr angesehenes Bankhaus. Aber ich fürchte, am Ende sage ich zuviel. Auch Damen waren daran beteiligt (ich fürchte wirklich, daß ich jetzt zuviel sage) – alle möglichen Damen, manche waren alt genug, um auf etwas Besseres zu verfallen, als ihr Vertrauen auf Prinzen zu setzen, andere waren jung und voller Illusionen. Eine von diesen war durch ihre Imitationen verschiedener hochstehender Persönlichkeiten, die sie uns vertraulich vorführte, äußerst amüsant. Im Interesse der Sache reiste sie ständig nach Paris – por el Rey! Denn sie war eine Carlistin und überdies von baskischem Geblüt. Im Ausdruck ihres mutigen Gesichtes lag etwas von einer Löwin – besonders, wenn sie ihr Haar löste, aber ihre lebhafte kleine Seele war wie ein mit feinen Pariser Federn bekleideter Sperling, der sich einen Spaß daraus machte, in unerwarteten Augenblicken hervorzuflattern und Verwirrung zu stiften.
Aber ihre Imitationen einer Pariser Persönlichkeit von wirklich hohem Rang, eines Mannes, den sie darstellte, wie er mit dem Gesicht zur Wand in der Ecke eines Zimmers stand, sich den Hinterkopf rieb und hilflos stöhnte: »Rita, du bist mein Tod!«, das genügte, um einen, wenn man jung und frei von Sorgen war, vor Lachen bersten zu lassen. Sie hatte einen alten Onkel, Pfarrer einer kleinen Berggemeinde in Guipuzcoa, der auch ein sehr eifriger Carlist war. Als seefahrendes Mitglied des Syndikats, dessen Pläne sehr von Doña Ritas Informationen abhingen, wurde ich oft mit ergebenen und liebevollen Botschaften an den alten Mann beauftragt. Diese Botschaften hatte ich den aragonesischen Maultiertreibern (die zu gewissen Zeiten die ›Tremolino‹ in der Umgebung des Golf von Rosas erwarteten) zur getreulichen Weiterbeförderung ins Inland zusammen mit den verschiedenen gesetzwidrigen Gütern zu übergeben, die heimlich aus den Luken der ›Tremolino‹ an Land gebracht wurden.
Nun, jetzt habe ich, was den üblichen Inhalt meiner Seewiege betrifft, wirklich zuviel verraten (ich hatte ja befürchtet, daß es so ausgehen würde). Aber lassen wir es gelten. Und wenn jemand zynisch bemerken sollte, daß ich damals ein vielversprechender Jüngling gewesen sein muß, dann soll auch das gelten. Für mich ist nur der gute Ruf der ›Tremolino‹ von Wichtigkeit, und ich versichere, daß ein Schiff nie Schuld hat an den Sünden, Vergehen und Torheiten seiner Männer.