Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Im Affenwald

In Salomos Tempel zu Jerusalem, am Südtore, wo das Walkerfeld lag, stand ein hoher Turm und in dem Turm war eine Glocke, mit der hatte es folgende Bewandtnis: Einmal nur im Jahre, am großen Sühnetage, wenn der Hohepriester zum heiligen Dienste schritt, wurde diese Glocke geläutet. Dann aber war ihr Schall so furchtbar, daß alle Geräusche der Welt keine Geräusche mehr waren. Alle Geschöpfe standen zitternd ob des großen Klanges, die Bäume hörten zu rauschen, die Ströme zu fließen auf, selbst die heiligen Cherubim um Gottes Thron liefen zitternd durcheinander. Denn dann riß der Himmel auf, und der göttliche Glanz, die Schechina, ließ sich herab auf das heilige Volk, das atemlos im Vorhof seines Gottes stand seiner erhabensten Stunde gewärtig. Nur einmal im Jahre. Im übrigen hing die Glocke stumm und regungslos im Turme.

Und doch nicht tot, sondern ein Sinnbild des Lebens jedem, der vorüberging. Denn wer immer zum Turme kam, hob die Augen zu ihr und fühlte sich in diesem Augenblick rein von aller Fehle und sündigte viele Tage nicht mehr. Mancher aber glaubte gar, sie summen zu hören, wann immer sein Blick sie traf. Als man den weisesten der Könige, der sie dort hingehängt hatte, darauf aufmerksam machte, sagte er, das komme daher, weil ihr Erz aus der Tiefe des Zionberges geholt worden sei, auf dem sie hing. Es sei die Sehnsucht des Erzes nach der Tiefe, die so summe. Von dieser Glocke ist uns in den alten Schriften folgende Legende aufbewahrt, die, so sonderbar und beinahe lächerlich sie sei, ich den Kindern der Zeit nicht vorenthalten möchte, da ich eine ganz geheimnisvolle Lehre darin vermute, vielleicht, daß es Hellhörige gibt, die auch im scheinbaren Widersinne den Sinn noch finden.

 

Als die Königin von Saba gen Jerusalem zog, um den weisen Salomo in seinem Glanze zu sehen und ihn mit Rätseln zu prüfen, befand sich in ihrem Gefolge auch der edle Affenkönig Kofamadbra aus dem Madbrastamme. Er hatte gehört, daß Salomo neben all seiner Weisheit auch die Sprache der Tiere verstand, und war gekommen, auch seinerseits ihn zu prüfen und das Wunder zu bestaunen. Salomo machte sich ein Vergnügen daraus, den edlen Affenfürsten vor all seinen Großen zu empfangen und danach stundenlang in seinen Garten im Gespräche mit ihm auf und niederzugehen. Der weise König war so belustigt von den zwar springenden aber lebhaften Gedanken des eigenartigen Gastes, die auf eine sonderbare Weise nicht zum Zusammenhang gebracht werden konnten und doch ganz wie eine Weisheit klangen, daß er ihn einlud, nach Jerusalem zu kommen, wo er ihm und seinem ganzen Stamme einen Affenwald pflanzen wollte. Im Süden der Stadt dehnten sich, solange Salomo seine Teiche noch nicht angelegt hatte, weite Sümpfe, geeignet im Handumdrehen aus schnellwachsenden Bäumen und wuchernden Schlingpflanzen einen Urwald hervorzuzaubern, wie ihn ganz Saba und Kusch nicht kannten. Der Affenkönig, geehrt durch den Zuspruch des Weisesten der Welt, auch durch mannigfaltigen Glanz der in Marmor und Gold gebauten Stadt geblendet, sagte zu und verließ beglückt Jerusalem.

Alsbald ließ Salomo im Volke eine Frohn ausrufen, daraufhin mußte jeder zehnte Mann des Volkes in Jerusalem erscheinen, und es dauerte auf diese Weise nicht lang, daß dort, wo bis dahin eitel Sumpf war, ein herrlich wilder Wald emporwucherte, der zugleich die Luft von Jerusalem frischer und reiner machte als vordem.

Als das Werk vollendet und der bestimmte Tag herangekommen war, erschien im Vollmond der voraufgehenden Nacht das ganze Heer der Madbraaffen, um von ihrem Walde Besitz zu ergreifen. Da damals zum ersten Male die Affen gesehen wurden in Jerusalem, hatte Salomo den Söhnen seiner Stadt verboten, in jener Nacht ihre Häuser zu verlassen. Jeder aber hörte wachend auf seinem Lager das unendliche Schwatzen der Zahllosen über die Dächer, das dunkle Brausen ihrer unabsehbaren Menge und erschauerte, wenn er im Mondlicht den lautlosen Sprung eines Schattens über sein verhängtes Fenster sah.

Am Morgen begab sich Salomo in den Affenwald und fand mit Staunen dort ein solches Gewimmel, daß mit bestem Willen nichts zu unterscheiden war. Seinem weisen Auge entging nicht die wühlende, verwirrende Betriebsamkeit, mit der die Affen daran waren, sich in ihrem neuen Heime einzurichten, nur schien ihm der Aufwand an Laufen und Beweglichkeit in keinem Verhältnis zu stehen zu der Ordnung, die zu erstreben war. Das war ein Geschwirr von Stimmen, ein Gesprudel fletschender und quakender Laute, daß selbst ihm, dem all das Tierische da Sprache war, kaum etwas verständlich wurde. Vergebens suchten seine durchdringenden Augen in dem Wirrwarr die ihm wohlbekannte Gestalt des edlen Affenkönigs, auch war kein Unterschied zu sehen zwischen Affen und Affen bei all den schaukelnden und schwingenden Leibern und Schwänzen. Nur eines war bei diesem Geschlechte der Affen erkennbar: Alles, was sie taten, war zuchtlos getan, und durch all ihre Sprünge und Kletterkünste um nichts und wieder nichts, ihre Endlosigkeiten ohne Berechnung, ihre Unermüdlichkeiten ohne Zweck, ihre bald fliehenden, bald verfolgenden Schreie und Pfiffe zuckte ihr äffischer Wahlspruch: Sinnlos und ohne Scham!

Ermüdet schließlich und beinahe gelangweilt begab sich Salomo nach Hause. Auf dem Wege kam ihm ein leises Lachen, als er vergleichsweise seines Menschenvolkes gedachte und erkennen mußte, wie ähnlich oft das Menschliche dem Äffischen war mit seinem oft so großen Anhub ums leere Nichts, seiner Vielgeschäftigkeit und seinem Lärm. Mit solchen Gedanken langte er zu Hause an, mehr ärgerlich schon als belustigt der schnellen Laune, in der er das Affenvolk ins Bereich seiner heiligen Stadt gebracht. Mit der Zeit vergaß er ganz des Affenwaldes, mochten sie schließlich selber sehen, wie sie weiterkamen. So kamen die Affen auch weiter, denn ihr König, der edle Kofamadbra, war auf seine Manier ebenfalls ein weiser Fürst, und der Wald war hoch und weit und brausend, reich an Palmen und Feigen, die dem Volke der Madbra ihre Frucht zur Speise boten. –

An einem glühenden Endsommertage hockte der ganze Stamm schlafend auf den Zweigen des gewaltigen Johannisbrotbaumes, der die Mitte des Waldes und den Beratungsplatz des Affenvolkes bildete, als mit einem Male die heilige Tempelglocke zu dröhnen und die Stunde des Hohenpriesters anzuzeigen begann. Schreiend schossen die Affen nach allen Seiten auseinander, überschlugen sich und rannten durch brechende Zweige über alle Wipfel, bis sie erschrocken und atemlos an den vier Enden des Waldes angelangt waren und unterm Laube verkrochen dem erhabenen Klange lauschten, der Himmel und Erde erschütterte. Als nach dem Läuten die Stille kam, schrie der edle Affenkönig vom höchsten Wipfel des Johannisbrotbaumes über den Wald:

»O ihr Madbraaffen, Söhnchen, Töchterchen, Enkelchen schöne, fürchtet euch nicht, sondern kommt zu mir! Euer Großväterchen ruft, kommt doch, kommt doch! Der große Affe ruft, wer wollte nicht folgen? Madbra, Madbra, Kofamadbra, euer König ruft!«

Alsbald kamen sie von den vier Waldenden, hüpfend, zaudernd, wieder hüpfend, einer nach dem andern. Als sie nun um den großen Johannisbrotbaum wieder versammelt waren, hub der edle Affenkönig also an:

»Ihr Madbra alle, Söhnchen, Enkelchen schöne, hört den allerweisesten der Könige an, ihn durch Rätsel geprüft und echt befunden! König Salomo hat uns diesen Wald gepflanzt, aber er hat uns nicht gesagt, daß in der Nähe solch ein ungeheures Lärmding sei. Söhnchen meine, Äffchen erschrockene, als ihr floht, ist der große Affe nicht geflohen, sondern ins Menschenvolk gegangen, das Lärmding zu prüfen. Hängt hoch oben in einem Turm, schaut aus wie eine hohle Nuß, riesengroß, drinnen ein Ding hängt von glänzigem Stein. Ein Seil geht vom Ding herab durch den ganzen Turm, ziehen unten die Menschen daran, so zuckt das Ding und schlägt die Nuß, heia, so wackelt die Nuß, wackelt hin und her und wird wieder geschlagen. Ein Lärmding, Söhnchen erschrockene, wer hätt' gedacht, daß das Ding so lärmen könnte! Hätt' ich das Ding nur, so macht' ich euch Lärm, daß Himmel und Erde, ja selbst der König Salomo sollt' zittern in seinem Hause. Wer nur das Ding hat, der hat die Welt: Söhnchen, ich hol' euch das Ding!«

So sprach damals im Affenwalde der edle Affenkönig Kofamadbra zu seinem erschrockenen Volke. Als aber die Nacht gekommen war, verließ er den Wald, schlich einmal um den Tempel herum, glitt, als die Wächter vorüber waren, blitzschnell den Turm empor, und hob mit seinen starken Affenarmen den Schlägel der heiligen Glocke aus und brachte ihn zum Affenwald.

Keiner in Jerusalem merkte, was geschehen war. Wer vorüberging und die Augen hob, sah die Glocke und fühlte sich gereinigt. Wer vorüberging und die Ohren auftat, hörte ihr geheimnisvolles Summen. Daß der Schlägel fehlte, sah keiner. Nur die Augen des weisesten aller Könige erkannten alles und sahen auch, wohin der Schlägel geraten war. Ob ihn aber das seltsame Spiel um den heiligen Turm tiefsinnig machte, oder ob ihm die leere Glocke am nächsten Sühnetage dienen sollte, die Herzen seines Volkes zu prüfen, Salomo schwieg und wartete. Das ganze Jahr wartete er, ob wohl einem Großen oder Kleinen, Alten oder Jungen das Fehlen des Schlägels auffallen würde. Aber alt und jung, groß und klein blickten nach wie vor, tagaus, tagein, zur Sühneglocke auf und trugen den Nachklang im Herzen und den Vorklang der heiligen Stunde.

Als aber die Stunde des heiligen Dienstes für den Hohenpriester wieder gekommen war, als die dienenden Priester den Turm betraten, um am Seile zu ziehen, siehe, da erschrak das Volk gewaltig und sein Herz fing zu flattern an. Alle starrten entsetzt zum Glockenturm empor: Die Glocke schwang, aber klang nicht mehr. Von allen Seiten eilten Priester auf den Turm zu, verschwanden im Dunkel seiner Tür, kamen wieder, blickten nach oben und verschwanden zum zweiten Male: Leer und tot schwang die heilige Glocke in der Höhe. Erschüttert, aber in erhabener Fassung vollendete der Hohepriester den heiligen Dienst, dann schritt er mitten durch das erstarrte Volk auf den Platz des Königs zu. Dieser schwieg mit undurchdringlichem Gesicht und versagte allen Fragen des Priesters Rat und Antwort.

Als der Hohepriester zurücktrat, umringte den Verlegenen alles Volk und bestürmte ihn mit Fragen, Bitten und Jammern. Die Glocke müsse tönen, sie müsse nur recht geläutet werden. Vergebens wies der Priester darauf hin, daß der Schlägel verloren sei, vergebens richteten sich seine flehenden Blicke auf den rätselvoll schweigenden König, das Volk wurde immer drohender und wilder: »Und können wir sie nicht läuten hören, so wollen wir sie läuten sehn!« riefen sie über den Tempelplatz, und angeführt von einer fast tollen Jugend, ruhten sie nicht, bis der Hohepriester gebot, daß die heilige Glocke zur Sühne ihres unerhörten Schweigens von nun an ununterbrochen Tag und Nacht geläutet werde, ein Priester sollte den andern ablösen im heiligen Werk, und nie sollte die Glocke ruhen, bis sie sich eines Besseren besänne und ihres wahren Klanges.

Und so geschah es. Ununterbrochen sah das Volk künftighin den ungeheuren, leeren Schwung im Glockenturm. Es war, als wollte die Glocke aus dem Turme fliegen, so knarrte das Gebälk, und der ganze Turm zitterte, als könnte er den toten Schrei der Stummen nicht ertragen. Unten aber arbeitete die junge Priesterschaft, die sich unter dem Kopfschütteln der Alten dazu gedrängt hatte, am Seil, und der Schweiß rann von ihrer Stirn.

König Salomo schwieg ob des sonderbaren Treibens und mochte sich wohl fragen, wie das Spiel einmal enden sollte. Oft aber trieb es ihn hinaus, sein Volk zu belauschen. Dann verkleidete er sich als Bettler, verstellte sein Angesicht und wandelte unter dem Turm, um zu sehen und zu hören.

Einmal trat er hinein und fand einen jungen Priester, der am Seile hing, während ein anderer darauf wartete, ihn abzulösen. Mannshoch hob den Jüngling das Seil, und wenn er zurückfiel, lag er fast mit dem ganzen Leibe an der Erde, so schwang er die Glocke.

»Höre einmal,« sagte Salomo zu ihm, als er das Seil losgelassen hatte, »was denkst du dir dabei, mit solcher Gewalt eine leere Glocke zu schwingen?«

»Alter Mann,« erwiderte der Jüngling in Schweiß und Verzückung, »ich höre die Glocke, die ich schwinge.«

»Ich nicht,« gab Salomo zurück, »und bist du denn sicher, daß du sie schwangst? Mir schien vielmehr, du wurdest von ihr geschwungen, so zappelten deine Beine, wenn das Seil dich hob.«

»Das Volk sieht den Schwung,« sagte der Jüngling und reckte atmend die Arme, »und der Schwung ist alles!«

»Kann man vom Schwung einer leeren Glocke leben?« fragte Salomo. »Was ist uns der Duft einer leeren Vase?«

»Ich bin jung und du bist ein alter Bettelmann!« schloß der junge Priester mit Verachtung und ließ Salomo stehen.

Der Weise blickte ihm nach und schüttelte den Kopf: »Sie wollen den Rausch,« sprach er zu sich selber, »und mehr wollen sie nicht. Aber wenn sie nur Liebe dabei hätten!« –

Ein anderes Mal traf er einen Greis, der am Fuße des Turmes saß und mit halberloschenen Augen nach oben starrte. Neben ihm stand ein kleiner Knabe, der ihn stützte.

»Heda, Alter!« rief Salomo, »warum gehst du nicht weiter und starrst immer zu der schwingenden Glocke empor? Siehst du nicht, daß sie stumm und leer dort oben schwingt?«

»Du scheinst aus einer fremden Stadt zu sein,« erwiderte der Greis, »oder gar aus einem fernen Lande. Sonst müßtest du wissen, was für eine wundersame Bewandtnis es früher mit dieser Glocke hatte. Selbst das Kind hier weiß es noch: Es war der Ton der Höhe in ihr und der Ton der Tiefe. Das Branden des ewigen Meeres brandete um sie, und der Gesang der Morgensterne war in ihrem Munde. Unsere Herzen zitterten, wenn wir sie hörten, und unsere Lippen verstummten, denn mit der Stimme des göttlichen Gerichtes sprach sie zu uns. Ich werde sie nicht mehr hören, aber ich habe sie gehört, und das ist genug. Geh deiner Wege, Alter, und störe mich nicht, denn ich bin dabei, mich zu erinnern und meinem Enkel es einzuprägen, daß Erinnerung das Leben sei, damit er es seinen Kindern dereinst weitersage und damit er lebe!«

Als der König den Greis so sprechen hörte, bewegten ihn tiefe Gedanken, und einen Augenblick lang war es ihm selber, als wenn von dem leeren Erze droben ein heimlicher Ton an sein Ohr geschlichen kam: »Hier ist wohl Liebe,« sprach er zu sich selbst, »aber leben kann man auch davon nicht.« Seufzend blieb er bei dem Turme stehen, bereit, alle Vorübergehenden zu mustern und in ihren Mienen das Geheimnis seines Volkes zu lesen. Da sah er denn, daß es vor allem die Jungen waren, die in den Turm hineingingen und aus dem Turm herauskamen, mit begeisterten Schritten und flammenden Augen: Seht, welch ein Werk wir schaffen! Und sah die Weiber, die den Jünglingen nachblickten und mit den Augen der Jünglinge zur Glocke schauten, ihre Schritte setzten wie sie und wie sie ihre Lippen bewegten. Und sah die Männer, die sich über den leeren Schwung im Glockenturm schon gar nicht mehr wunderten, aber wenn sie vorübergingen, einen Bogen machten um den Eingang des Turmes, der von der Jugend eifersüchtig behütet wurde. Und sah schließlich die Greise, wie sie stundenlang am Fuße des Turmes saßen und nach oben starrten. Da kam es dem Könige plötzlich vor, als wären alle diese Menschen von einem schweren Traum befangen und er selbst der einzig Wache in einem Volke von Schlafwandelnden, und er seufzte tief. –

Ein Jahr war vergangen, der heilige Sühnetag nahte heran, da konnte der König eines Abends nicht einschlafen, und sein Geist war sehr beunruhigt. Er stand von seinem Lager auf und schlich sich in die silberne Nacht hinaus. Und siehe, da erlebte der weiseste der Könige, der zugleich der liebereichste war, etwas wundersam Liebliches: Im Schatten des Glockenturmes, der wie ein heiliger Finger in die Mondnacht ragte, stand ein junges Liebespaar selig aneinander gelehnt. Der Knabe hielt das Mädchen umschlungen und hauchte ihr ins Ohr:

»Hörst du die Glocke tönen, meine Taube, meine Reine?«

»Ich höre sie, mein Geliebter.«

»So sage doch, was tönt sie dir, du Gazelle von den Bergen?«

»Sehnsucht tönt sie, mein Geliebter, stumme Sehnsucht nach dem, der sie zum Tönen brächte, Sehnsucht nach dem goldenen Schlägel ihres Klanges, ohne den die Glocke keine Glocke ist.«

»O meine Geliebte, meine Taube vom Turm, meine Gazelle von den Bergen, wie will ich dich zum Tönen bringen!«

Als der weiseste der Könige solche Worte hörte, dünkte es ihn wie ein göttliches Wunder. Sein Herz schwoll über von Liebe für die liebenden Kinder seines Volkes, allgewaltig rührte die Träne sein Auge, und den ganzen Rest der Nacht, da er sein Lager wiedergefunden hatte, war ihm die Brust wie tönendes Erz.

Als die Sonne in sein Fenster schien, stand Salomo auf, nahm eine kurze derbe Peitsche von der Wand, wie sie die Reiter brauchen, und begab sich mit starken, königlichen Schritten zum Affenwald, entschlossen, dem Spiel ein Ende zu bereiten. Als er in die Mitte des Waldes kam, bot sich ihm ein Bild so kläglicher Lächerlichkeit, daß sein Gesicht voll Zorn und Flammen ward: Zwischen den Zweigen des weithin schattenden Brotbaums hatten die Affen ihrem König aus Schlinggewächsen einen schwebenden Thron gezogen, darauf saß in der Höhe der große Affe Kofamadbra, um ihn herum Ast an Ast das ganze Affenheer und schauten einem Schauspiel zu, wie die Welt noch keines sah: Über den höchsten unter allen dicken Ästen des Baumes hatten die Affen ein Bastseil geworfen, an dessen einem Ende der gestohlene Schlägel der heiligen Sühneglocke hing, während am andern mit Händen, Füßen, Schwänzen und dem Gewicht ihrer kahlen Bäuche hundert Affen zogen, quiekend und kreischend, auf und nieder, auf und nieder.

»Ihr Affengezücht!« schrie der erzürnte Salomo, und mit einem Satze flog Kofamadbra von seinem schwingenden Thron, das ganze Heer der Geschwänzten stob auseinander, und der Schlägel fiel dröhnend herab.

»Ihr Affengezücht! Rotgesäßiges Diebesgeschmeiß! Wähnt ihr, daß es möglich sei, einen Schlägel zu läuten? Wähnt ihr, daß ihr mit Füßen und Schwänzen läuten könnt, was eure Hand nicht zu läuten vermag? Geile Springer hierhin und dorthin, was soll der Betrieb? Ihr Selbstbefriediger, ihr Zappler, ihr Fletscher, Gezücht, Gezücht, Gezücht, ich treibe dich aus!«

Und damit fuhr er mit seiner Peitsche mitten unter die Affen, schlug nach rechts und links unbarmherzig in die heulenden Rudel hinein, hierin und dorthin, daß es knallte, packte Kofamadbra, ihren brüllenden Fürsten, und pfiff ihm seine Hiebe über den haarlosen Leib. Fürchterlich war das Heulen ringsum, unter den Fliehenden brachen die Wipfel, einer stürzte über den anderen und stürzte in die Tiefe, um dort noch einmal ergriffen und gepeitscht zu werden. Kofamadbra aber brüllte seine äffische Schmach so gewaltig über den Wald, daß es damals bis Hebron gehört wurde, und das Land erbebte bis Bethlehem. Salomo in seinem Zorn aber hörte nicht auf, als bis das ganze Heer der Madbraaffen aus dem Walde herausgeschlagen war.

Am nächsten Morgen führte der König die Priester und alles Volk in den Affenwald hinaus, wo unter dem Brotbaum zwischen gebrochenen Ästen und entblätterten Zweigen der wiedergefundene Schlägel lag. Da erwachten die Menschen und begriffen nicht, wo sie so lange gewesen waren. Mit noch dumpfen Sinnen folgten sie dem Könige und brachten den Schlägel zum Turme zurück. Aber erst als er der Glocke wiedergegeben war, und beide zusammen das erstemal am heiligen Sühnetage aufs neue zu läuten begannen, daß der erschütterte Himmel sich auftat und die göttliche Glorie herniederkam, da erst befreite sich das Herz des Volkes vom Schlafe jenes dumpfen Jahres, als leer die Glocke über den Häuptern schwang.

Als wenige Tage später die heitere Woche der Laubhütten kam, erlebte das befreite und wiedergeborene Volk ein noch anderes und seltenes Fest. Im Palaste des Königs wurde die Hochzeit jenes jungen Paares gefeiert, das Salomo nächtlich am Turme belauscht hatte und dem er nun zu einem königlichen Glück verhalf. Alle sieben Tage der Laubhütten feierte das Volk, des Königs Keller voll köstlichen Weines waren aufgetan, und aus seinen Gewölben kam Speise und Süßigkeit.

In der Brautnacht aber, da die Kammer der Liebe sich geschlossen hatte hinter den glücklichen beiden, mochte der weiseste und liebereichste aller Könige nicht schlafen gehn. Er stand auf dem Dache seines Hauses und lauschte dem Klopfen seines rauschenden Blutes, das nicht zur Ruhe kam. Um Mitternacht aber, als alles schlief, durchzuckte ihn mit einem Male die Liebe Gottes, er nahm einen Griffel in die Hand und schrieb unter den Sternen der Nacht jenes tönende Lied nieder, in dem der helle Himmel wandert durch die irdische Welt und die dunkle Erde über Gottes unendliche Himmelsbahn, und das darum mit Recht das Lied aller Lieder genannt wird bis auf diesen Tag.


 << zurück weiter >>