Lena Christ
Die Rumplhanni
Lena Christ

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Die Hanni wirft den Korb unter die Stiege im Hausflöz, zündet eine Kerze an und geht hinein in die Stube. Aber die ist leer. Und aus der Kammer daneben dringt ein matter Lichtschein. Sie läuft durch die Stube und bleibt erschrocken an der Kammertür stehen. Da liegt der Weinzierl wachsgelb und starr in den Kissen; neben der Lagerstatt brennt in einer steinernen Flasche eine Wachskerze, und auf dem Nachttischchen liegen allerhand bunte Heiligenbilder ausgebreitet. Und auf der Zudeck des Bettes liegen und krabbeln die jungen Hunde, indes die Alte drunten bei den Füßen des Toten sich unters Deckbett verkrochen hat und schläft.

Die Kleinen aber hocken auf der Geißenstreu und machen halblaut Musik mit Papiertrompeten, indes der Bub leise weinend unter der herausgezogenen Kommodenschublade liegt und ängstlich nach dem eingebrochenen Gesicht des Toten schielt. Und die Geiß steht meckernd dabei, wühlt mit den Hörnern in der Wäsche und zerrt an ihrem Strick, der sich in ihre Füße verwickelt hat. Starr steht die Hanni eine Weile vor dem Bild; endlich rafft sie sich zusammen, trägt die Kinder hinaus, kocht, versorgt das Haus und eilt danach zur Totenpackerin und zum Schreiner, zum Doktor und zum Pfarrer, bei dem sie auch das große Weinzierlmaidl findet, bleich und mit großen, fremden Augen. »Sie hat ihn sterben sehen«, sagt der Pfarrer mit einem Blick auf das Kind; »nun wollt sie nimmer heim, allein.« – »Aber mit der Hanni geh i scho hoam«, sagt das Dirndl. Und sie faßt die Hanni bei der Hand und zieht sie mit sich fort.

Nun liegt also der Tote da, und man muß warten bis zum Morgen, bis er in die gelblackierte Truhe mit dem Hobelspanbett und den steifgestärkten Spitzen kommt und der Deckel mit dem blechernen Herrgott drauf den starren Leichnam einschließt in die Kammer, die leicht Platz hat in der stillen Grube draußen im Gottesacker. »Mei, is guat, daß 'hn unser Herrgott hoamgholt hat!« meint die Leichenfrau am Morgen, da sie den Abgeschiedenen wäscht und für die letzte Reise kleidet. »Für die arma Leut is der Tod allemal a Glück. Und fürn Weinzierl scho ganz gwiß. Sitzt sie scho wieder?« Die Hanni gibt ihr keine Antwort und geht hinaus. Indes die Leichenträger und die Geistlichkeit erscheinen, der Friedhofswagen mit den beiden Rappen vorfährt und also der ehrbare Kaspar Weinzierl für immer seine Herberg in der Au verläßt. Dabei dann einer von den Trägern zu den andern halblaut sagt: »Da werds mitn Trinkgeld mager ausschauen!« und ihnen seufzend eine Prise aus der großen Dose anbietet.

Da nun die Kammer leer und ausgefegt und das Bett des Heimgegangenen in die Holzlege hinausgehängt ist zum Lüften, auch die Kinder versorgt und die Stube durchwärmt ist, da muß die Hanni daran denken, den Tod des Hausvaters seiner Wittib draußen mitzuteilen. Und so macht sie sich am Vormittag noch auf den Weg.

 

»Und wenn grad amal was wär, Hanni, mit eahm, oder mit die Kinder, nachher bringst mir die Botschaft 'naus; fahrst bis in d' Tegernseerlandstraß und gehst die Alleebaam nach. Wenn d' Häuser ausgehn, siechst es a so vor dir steh.« So sagte die Weinzierlin noch vor ihrem Gehen. Also fährt die Hanni mit trübem Sinn und müdem Kopf dahin und geht nachdenklich durch die alte Straße, indes der Föhn durch die Bäume pfeift, die Wolken jagt und drüben im Forst heulend über die Wipfel fegt, daß es weithin ächzt und kracht. Fröstelnd zieht sie ihr Wolltuch fester um die Schultern und blickt mit großen, starren Augen hinüber zu dem düsteren Häusergeviert mit der kleinen Kirche und den hohen Mauern, welche alles, was dahinter ist, abschließen von der Außenwelt. »Wann wirst du selber drin sein hinter dene Fenstergitter?« fragt sie sich; »wie mag dir wohl die Suppen schmecken drin in so einer Keuchen?« Und ein Zorn packt sie – über ihr hitziges Blut, über ihre Reise nach München, über alles, was Schuld trägt an ihrem Dasein überhaupt.

Unter solchem Denken und Sinnieren kommt sie unversehens an das hohe Gittertor, das sich eben hinter einem alten, dürren Weiblein schließt. Sie überlegt, ob sie nicht dem Pförtner noch rasch rufen sollt; aber sie tuts nicht. »Dann geh ich zu Maxim ... da bin ich sehr intim ... « Die Hanni blickt erschrocken um sich. Da trippelt auf zierlichen Stöckelschuhen eine modisch aufgeputzte Dame hinter ihr zum Tor, trällert und singt und wiegt den Kopf mit dem Federnhut dazu im Takt, schlenkert das Täschchen und den Schirm in der Hand und tut, als ging sie zu einem Reichsgrafen auf Besuch. Vor dem Eingang bleibt sie stehen, schaut von oben herab zur Hanni hin und fragt: »Ham Sie schon gläut'!?« – »Naa.« Die Hanni betrachtet in starrem Staunen das noble Frauenzimmer und überhört schier, daß der Pförtner mit dem rasselnden Schlüsselbund das Tor aufschließt und einem die Freiheit gibt, einem bleichen, hageren Burschen im hellen Sommeranzug und Strohhut. Der zieht frierend die Schultern hoch, steckt die Hände tief in die Hosentaschen und sagt: »Joldene Freiheit, wie blickste mir an! Nee, Justav, so wat machste nich wieder!« Und damit stutzt er mit langen Schritten stadteinwärts. Der Schließer aber begrüßt die Dame mit den Worten: »So, bist scho wieder da, Kathi! Nur 'reinspaziert!« und sagt dann zur Hanni: »Wollen Sie auch 'rein?« Die fährt erschrocken zusammen. »Jaa ... dees hoaßt ... i muaß zum Herrn von dem Haus. I hab eppas zum ausrichten.« – »Aha. Also, dann gehn S' nur aa glei mit.« Drinnen in der Wachstube des Pförtners wird das feine Fräulein sogleich als alte Bekannte begrüßt und einer Aufseherin überwiesen. Die Hanni aber weist den Totenschein des seligen Weinzierl vor und sagt: »Ich muaß mit der Weinzierlfranzi redn. Ihr Mann is gstorbn, gestern.« Man stellt sie dem Inspektor der Anstalt vor; dann wird sie in eine Kammer geführt, die durch ein hohes Gitter in zwei Hälften getrennt ist. Sie setzt sich fiebernd und zerschlagen auf einen Stuhl. Ein Schaudern erfaßt sie wieder, da sie daran denkt, daß sie vielleicht schon in wenig Tagen auch hier sein muß – als eine Bestrafte, eine Büßerin. Aber dazwischen kommt ein trotziger Grimm über sie. »Für was eigentli? Wegen was sperrn s' di ein? Was hast denn gar to? A paar fremde Mannsbilder hast a bißl scharf anlassen, weilst es net kennt hast, daß s' gwappelte gwen sand! Ah was! ... «

Eine Tür wird aufgeschlossen, eine robuste Wärterin mit harten Zügen und stahlgrauen Augen tritt mit der Gefangenen ein. Die Franzi wird bleich und rot; Angst wechselt mit dem Gefühl der Scham, hier hinter Schloß und Riegel, hinter Gitterstäben und im Beisein eines Dritten weiß Gott was hören, reden zu müssen. Aber die Hanni spürt, wie es der Franzi ist; sie würgt an ihrem Mitleid, Zorn und Schmerz, drückt die notpeinliche Verlegenheit nieder, die sie beim Anblick ihrer Hausmutter befällt, dabei sie an die Legend vom lieben Christusherrn denken muß, wie er vor dem Herodes stund; und sie sagt: »Franzi, du hast gsagt, wenn amal was is, ... i muaß dir sagn ... daß dei Mo ... der Kaschba ... gestern ... ruhi ... und guat ... hoamganga is. Am Sunnta werd er eingrabn.« Es ist aus mit ihrer Fassung. Da drüben hinter diesem Beichtstuhlgatter, da steht die Wittib, wie eine schmerzhafte Mutter unterm Kreuz, schlägt die Händ vors Gesicht, läßt sie wieder sinken und sagt endlich mit einer fremden, toten Stimm: »Der Vater. Mei Kaschba. Nachher san ma jetz alloa."

Die Aufseherin unterbricht sie mit einem Wort des Beileids. Und meint darnach: »Mei, grad recht leicht wird er kaum gstorbn sein, Eahna Mann! Wenn man bedenkt, die arma Kinder, und d' Frau da herin ...«

– »O du ... « Beinahe wäre der Hanni ein Wort entfahren, das ihr gewißlich eine Woche Aufenthalt in diesen Mauern eingebracht hätte; aber sie schluckt 's hinab. »Wennst was Bsonders hättst, Franzi: an Wunsch oder was; sag mirs. Was i toa kann, tua i.« Die Weinzierlin schüttelt den Kopf. »Naa, Hanni. Werst scho alles recht macha. A Sträußerl Rosen kaafst eahm, für mi, und a Meß laßt eahm lesen. Ja, wenn i's Geld hätt! Aber mei. Unseroana is und bleibt der Depp. Im Lebn und im Sterbn. Aber dees macht nix. Dafür gehts die reichen Leut besser. Geh, Hanni, gehn ma wieder. I mag net grob sein. Wenn oana an Geldsack scho in d'Wiagn nei kriagt, kann er so weni was dafür, als wia oana, der an Buckel mit auf d' Welt bringt, oder an Kopf ohne Verstand. Mach dei Sach guat. Am Samstag acht Tag bin i wieder frei. Frailn Maier, führn S' mi wieder auffe, bitt schön. Pfüate Good, Hanni. Schaug auf meine Kinder... « Ein hartes Weinen schüttelt sie, da sie geht. Die Hanni macht sich still auf den Heimweg.

 

Der Weinzierl ist zur Erden bestattet mit dem Gepräng und den Ehren, die ihm gemäß der Klasse, für die bezahlt wurde, zukamen. Und die Hanni begleicht die Totenrechnungen, bindet den Kindern schwarze Halstüchlein um, fegt das Haus von unten bis oben und geht danach wieder zum Handeln wie zuvor. Bis endlich die Weinzierlin kommt und ihr die Geldtasche samt dem Karren abnimmt, indem sie sagt: »Is mir lieber, wannst du dahoam bleibst bei die Kloana. Du konnst mit der Hausarbeit besser umgehn, und i mitn Handeln.«

So hätte denn die Hanni ihr Heimatl, ihre Erdäpfel mit der Brennsuppen und ihre Arbeit. Aber wie es halt so ist im Leben: hat einer den Strick, so möcht er den Esel dazu, und hat er den Esel, so möcht er ein Roß. Und da die Hanni das Häflein hat, möcht sie auch eine Wurst darein. Oft steht sie an dem Guckloch des hochgiebeligen Schindeldaches oder droben auf der Höhe des Fischerberges, schaut mit brennenden Augen über die großmächtige Münchnerstadt hin und seufzt: »Ja, ja. Wer da drin an Orts so an Palast hätt! A rare Hoamat und a Geld und a Ansehng bei die Leut ... « Wohl ist sie ihrer Hauswirtin dankbar für die Aufnahm, für das Vertrauen, wohl kommt sie sich da draußen in der altmodischen Vorstadt mit ihren gemütlichen Häuslein und Hütten, mit ihren Gassen und Winkeln und dem grünen Wasser, das sich mittendurch schlängelt, schier wie daheim vor; aber in ihr bohrt der Ehrgeiz, das Verlangen nach Wohlstand und Ansehen. Und sie überlegt schon, wie sie einen Vorwand fände, der Weinzierlin den Pfüagott zu geben.

Da schickt sichs, daß sie eines Tags in ihrem blauen Festgewand eine Karte findet, die ihr das Blut gählings in die Schläfen treibt: jene vornehme Visitenkarte mit dem Namen des Barons im Pelzrock, der ihr die Blumen alle abnahm und so freigebig bezahlte. Sie starrt auf die Adresse. Wenn nun der Weg zu ihrem Glück durch diese Straße führte? ... Vielleicht sollte man einmal hingehen? ... Blumen bringen und sagen... ja, was sollt man sagen?... Man hat sich nicht getraut... Ein leises Lachen überkommt sie bei diesem Gedanken. »I – mir net traun! I trau mir scho! 1 geh zum Sparrigankerl selber, wenns sein muaß, wenn mei Glück davon abhängt!« Aber da ist eine Stimm, die warnt und ratet ab davon: »Geh nit hin! Tus nit!« Und die Hanni geht zwiespältig mit sich selber herum und kommt zu keinem rechten Fürnehmen.

Derweil aber rollt der Stein, den sie in derselbigen Nacht so grob und hitzig gegen jene Männer vom Gesetz hinwarf, seinen Weg dahin und liegt ganz unversehens mitten in ihrer Bahn als Urteilsspruch, der sie für dreimal vierundzwanzig Stunden hinausschickt in eine jener Zellen, darin heute eine ihr Unglück beweint, morgen sich eine ihrer Bosheit freut und übermorgen vielleicht eine fragt: »Warum? Was hab ich getan?« Und auch die Hanni steht eines Tages in jenem Raum, in dem die Kleider und das Eigentum aller eingeschlossenen Frauen und Mädchen verwahrt sind; und wie zuvor zu der, die hierherkam, weil sie ihr Kind zu einem Krüppel schlug, wie zu der Dirne, die einem Gimpel seine goldnen Federn ausrupfte, wie zu der verwegenen Landstreicherin, die mit ihrem Genossen und Geliebten in Gehöfte einbrach und von Betrug und Diebstahl lebte, so sagt die Aufseherin nun auch zu ihr: »Ihren Namen! – Wie lange haben S'? – D' Stiefel runter! – D' Strümpf ausziehn! – D' Haar aufmachen! Auskleiden!« Hoch bäumt sich etwas auf in ihr; es mag wohl Stolz sein, Scham und ein verletztes Ehrgefühl. Doch: Du bist ein Sträfling wie jene andern! sagt sie sich; jetzt hat Gottes Mühl auch dich zwischen die Mahlsteine genommen! Jetzt kommt die Straf für deinen Hochmut in Öd! Die Aufseherin durchsucht ihr die Kleider, die Wäsche, die Strümpfe, das Haar. Danach heißts: »Wieder ankleiden!« Ein Paar Pantoffeln, ein Handtuch und ein deckelloser Steinkrug sind ihre ganze Habe, die sie mitnimmt in die einsame Zelle mit dem hochgeschnallten Strohsack, dem Tischbrett und der Bank. Schlüssel rasseln, Riegel schlagen, das hohe Gitter auf der Treppe scheppert: die Hanni ist Gefangene, eine Zellennummer, wie die andern, neben ihr, über ihr, unter ihr.


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