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Unterdessen steigt der Tag höher, und die Schiermoserin ist bald am Ziel ihrer Fahrt.
Vor dem stattlichen Hof des Reisertaler Einödbauern hält sie den Schimmel an, steigt bedächtig und sittsam ab und führt danach das Roß gegen die Stalltür.
Da tritt auch schon der Reisertaler aus dem Haus und unterdrückt mit Gewalt seine Verwunderung und Wißbegier wegen des unverhofften Besuches.
Aber die Schiermoserin entwickelt System.
»Grüaß di Good, Vetter!« sagt sie aufgeräumt und klar wie ein frischer Bergbach; »gell, wunderst di, daß i so unvermoant daherkimm! – Aber, woaßt, a paar Kirtasäu möcht ma uns zügln, und da will i di frag'n, obst uns net a paar Fakei hast oder woaßt.«
Und sie schirrt dabei den Schimmel aus, als ob es selbstverständlich wäre, daß hier Mensch und Vieh eine freie Gaststätte bekommen können zu jeder Stund, – führt ihn in den Stall an einen leeren Roßstand und wendet sich wieder an den ihr folgenden Bauern: »Sakra – aber sauber hast dein Stall beinand! – Scho so sauber, daß's a wahre Freud is! Dees scheene Viech! Und so foast oans wias ander! – Hast no tragade aa dabei?«
Sie tritt hinter die lange Reihe wohlgenährter, gleichfarbiger Kühe.
»Aha. Jawoi. – Vo dera werst eppa bald's Kaibe kriagn, ha? – und die da tragt aa nimmer lang, wähn i. – Aha. Bis in a vierzeha Täg sagst. Aha. – Und enkan Bummel habt's aa no alleweil. Aber die zwo Ochsen, moan i, san neu, gell?«
Der Reisertaler gibt ihr bereitwillig auf alle Fragen Antwort.
Ist er doch selber ganz vernarrt in sein Vieh! Gilt er doch rings umher im ganzen Gau als der reichste und beste Bauer, dessen Stall und Scheune als ein Muster bekannt sind weit und breit! Während sie nun so schwatzen, kommen sie auch zurück zu den Schweinen, und die Schiermoserin beeilt sich, dem »lieben Vetter« nochmals ihre Bitte wegen der Ferkel vorzutragen.
Da geht die Stalltür, die nach dem Hausflöz führt, hastig auf, und herein kommen nacheinander unter lauten Ausrufen der Verwunderung und Freude die alte Reisertalerin, ihre älteste Tochter und ihre jüngste.
Ihre mittlere ist bereits seit Jahresfrist irgendwo in der Nähe eine schwere Bäuerin.
»Ja Basl! Was für a Wind hat denn di heunt zu ins herg'waaht? Werd do – wie Gott will – a guata sei?« Sie sind sehr fromm, die Reisertalerischen.
Die Schiermoserin begrüßt jede einzelne sehr umständlich und herzlich, bewundert das gute Aussehen aller, sagt ihnen so viel Lob und so viel Hübsches, daß jede sich selbst wie ein gottbegnadetes höheres Wesen vorkommen würde, wenn sie es aufmerksam anhören und überdenken wollten – und berichtet auch ihnen endlich den Zweck ihres Herkommens.
Dabei läßt sie es willig geschehen, daß man sie aus dem Stall führt und in die Eßstube geleitet, und daß man ihr eine Schale guten Kaffees vorsetzt nebst einem frischgebackenen Hefenkranz. Und sie lobt das gute Gebäck und fragt, wer es zuweg gebracht hätte.
Die Reisertalerin senkt demütig die Augen: »Gell, schmeckt er dir, der Kranz? Insa Marai hat'n bacha. Ja, ja. Sie kocht überhaupt recht guat, insa Marai.«
Und abermals senkt sich ihr Blick nach einem kurzen, frommen Augenaufschlag; denn sie hat dies so in der Gewohnheit. War sie doch lange Jahre Mesnerin gewesen in der Wallfahrtskirche Unserer Frau vom Reisertal und hat dabei gelernt, wie man die Lider heben und senken muß, um dem lieben Herrgott wohlgefällig und dem Herrn Pfarrer angenehm zu sein.
Der Schiermoserin freilich erscheint es im stillen höchst überspannt und sogar recht dumm, daß die Base, wie man sie kurz nennt, sogar dann so heilig dreinschaut, wenn sie von ihren Hühnern und Säuen erzählt, und daß sie jetzt kein Blaukraut mehr pflanzt, weil ihr auch heuer wieder die Deixelsraupen alles, Butz und Stiel, zusammengefressen haben.
Auch die eine von den Töchtern hat schon dies fromme Senken und Heben des Blickes; die Schiermoserin schließt daraus, daß wahrscheinlich jetzt sie in Diensten Unserer Lieben Frau steht und gewiß viel eher zu einer Nonne als zu einer Bäuerin taugt.
Sie betrachtet also um so aufmerksamer die jüngste, das Marai.
Denn sie will nicht nur ein paar Ferkel für die Kirchweih, die gute Schiermoserin, sondern auch eine Hochzeiterin für den Franzl.
Bevor ihn dieses Weibsbild – diese Stadtmamsell – noch ganz kopfscheu macht!
Bei dem Gedanken an Rosalie steigt plötzlich wieder die ganze Abneigung und Verachtung gegen alles Städtische und ganz besonders gegen ihre Sommergäste in ihr auf Und sie kann nicht anders, sie muß anfangen, davon zu reden und sich bitter über sie zu beklagen.
Ganz allgemein beginnt sie. Aber sie redet sich immer mehr in ihren Zorn hinein und wird zu guter Letzt so ausfallend gegen die Tochter der Rätin, daß die Reisertalerin samt ihren Töchtern gar bald weiß, woher der Wind weht.
Nun ist es aber schon längst der stille Wunsch der Reisertalerin, der Franzl möcht einmal um eine oder die andere anhalten von ihren Mädchen.
Da käm ihnen so eine Stadtdocke grade recht! Schau, schau! Um den Schiermoserhof tät sich so ein landfremdes Frauenzimmer bewerben wollen! Sonst nichts mehr?
Der Reisertalerin wird ganz warm bei dem Gedanken daran.
Sie vergißt ganz, ihre Augen zu senken und kann es im Sitzen kaum mehr erleiden.
»Geh, Schiermoserbasl!« sagt sie aufstehend, »i hätt a kloane Frag an di! Magst net amal a bißl mit mi in d' Höch auffe geh?«
G'rad will die Schiermoserin, nachdem sie ihren Kaffee bedachtsam ausgelöffelt und mit dem letzten Kuchenbrocken die Brösel sauber zusammengelesen und mitgegessen hat, dem Basl vollends ihr Herz ausschütten und daran anknüpfend ein wenig auf den Busch klopfen wegen einer Verbindung ihres Sohnes mit dem Marai – da kommt die Bitte der Reisertalerin.
Herrvergeltsgott, denkt da die gute Schiermoserin. Es steht guat um mein Habern! I moan, i mach heunt no a paar Hochzatleut!
Und sie folgt bereitwillig der andern über die Stiege hinauf, bewundert die Sauberkeit des Hauses, den Blütenreichtum der Blumenstöcke und die Pracht der Einrichtung in der Künikammer.
»Schee hast es beinand, dei Sach!« sagt sie immer wieder; »wirkli schee, des muaß mir sag'n. – I wollt, i kriagat amal a Schwiegertochter eina ins Haus, die ihra Sach a so beinand hätt wie du und deine Dirndln!«
Die Reisertalerin lächelt ihr frömmstes, demütigstes Lächeln. »Mei, derfst dir ja grad oane außasuacha, die wo a so is«, meint sie; »waar oft a diam oane froh, bals in an scheen' Hof eine kaam....«
»Ja ja. Dessell scho...« entgegnet die Schiermoserin.
»Aber so sauber, wie's ös enka Zeugl beinand habt's, a so find't man's nimmer landauf und landab. Woaßt – so a deinige Tochter... wie eppa dei Marai... woaßt – dees war scho ehander eppas. Da wüßt ma halt, daß ma sei Sach nemad unrechten net gaab... Gar bei enkana Marai...«
Die Reisertalerin senkt ihre Augen immer tiefer und hebt sie danach, wie wenn sie etwas suchen wollte, was droben in der Weißdecke verborgen ist.
Und dazu seufzt sie: »Ja no. A bravs Deandl is's ja aa, insa Marai. Und schiach is's aa net. Und notig dran is's wieder net. – Der wo dee amal kriagt, der derf unsern Herrgott alle Tag auf dee Knia danka...«
Die Schiermoserin hat ihr bei jedem Satz Beifall zugenickt; da aber die Base den letzten ausspricht, zuckt sie doch zusammen. Ihr Sohn, der Franz, müßt sich auf den Knien...
Wegen des Reisertalergelds! – Und wegen dieser Aussteuer!
Oder etwa wegen des Frauenzimmers, der Marai!
Wahrhaftig, die Schiermoserin fühlt sich beinahe versucht, der Reisertalerin eine grobe Antwort zu geben!
Beinahe.
Denn zum Glück fällt ihr bei dem Gedanken »Frauenzimmer« eine andere ein.
Die Rechtsratstochter!
Dieses andere Frauenzimmer!
Nein, bevor sie ihrem Sohne die läßt, schluckt sie lieber die bittre Pille dieser Betschwester hinab.
Sie bindet sich nervös das seidene Kopftuch fester und streicht sich die Haare über den Ohren mit dem angefeuchteten Finger zurück. Dann schluckt sie ein paarmal und fragt danach interessiert: »Habts eppa scho oan auf der Seitn für sie?«
Die Reisertalerin tut plötzlich unwissend. »Was, ›oan‹?«
»No – an Hochzeiter!«
»Für wen?«
Die Schiermoserin muß ans Fenster treten, so sehr ärgert sie diese Frage.
Trotzdem antwortet sie sehr sanft: »Na, für enka Marai moan i!«
Die Reisertalerin lacht ein mitleidiges Lachen.
»Ja so. Für dee. Ah mei! Grad gnua kunnt' ma habn! – Ja – mehra wia gnua! – Aber an jeden mag ma net. – Und bal oana oft no so viel Geld und Sach hätt! – Mir denkan ins alleweil: es hat no Zeit. Dee kimmt no leicht wo zuawe. Werd scho amal der Rechte kemma...«
Jetzt wendet sich die Schiermoserin wieder der Base zu. »Woaßt, Basl – i wissat dir scho den Rechten!« meint sie. Aber die Reisertalerin hört schlecht.
»Wenns heunt net is, is's vielleicht morgn oder übermorgn«, fährt sie langsam im Tone absoluter Gleichgültigkeit fort; »wia i sag: es hat ja no Zeit damit.«
Die Schiermoserin kennt sich aus. Von der Seite ist ein Angriff aussichtslos.
Darum pflichtet sie plötzlich der andern ganz ernsthaft bei.
»Da hast aber aa recht!« meint sie; »sie is ja no jung, enka Marai. Ja, ja. Ganz recht hast. I sag aa alleweil a so zu insan Franzl. Es pressiert net. Gar net. – Aber no, amal muaß's schließli do sei. – Und bal dees mit der Resl vom Burgermoaster vo Frauenreut a so furtgeht, nachher moan i scho, daß's bald amal eppas werdn kunnt. D' Sach is schee, Geld is aa grad gnug da – und sie is ja nur sauber! Nur sauber! – Und ganz narrisch auf eahm. Woaßt, ganz narrisch! – Aber... insa liabe Zeit! I schwatz da und schwatz – und muaß do wieder hoam zu meiner Arbat! – Geh, sags eahm, an Vetter, daß er mir glei a paar Fackei einpackt in a Kirm oder in an Sack! I nimms do lieber glei selber mit hoam! Nachher hab i s' dahoam.«
Und sie richtet sich plötzlich so geschäftig zum Gehen, daß die Reisertalerin kaum mehr Zeit findet, die Schränke und Schubladen wieder abzuschließen.
Sie ist heftig erschrocken, da die Schiermoserin so mittendrin die Geschichte mit der Bürgermeisterstochter erwähnt; und nun, da die Base auch noch so schnell vom Gehen spricht und so eilig tut, wird ihr ganz übel vor Angst. Es wird doch nicht die ganze Handelschaft in die Brüche gehen wegen ihres Geredes.
Sie könnte sich die Zunge abbeißen vor Zorn über sich selber.
Und sie nimmt den sanftesten Ton zur Hilfe, da sie sagt: »Ja, was waar denn jetz dees, Basl! Werst do net scho davonlaufa! Daß's dir denn auf amal gar so pressiert? – Es werd di do net am End eppas g'ärgert habn?«
Aber die Schiermoserin lacht bloß lustig, beteuert, daß sie sich gewiß über nichts geärgert hätte, bedankt sich nochmals für alles und schickt sich wirklich zum Gehen an.
Damit aber hat sie das erreicht, was sie wollte: die Reisertalerin sieht im selben Augenblick, wo ihr der Hochzeiter für ihre Tochter sozusagen noch unter den Fingern weggezogen wird, erst ein, was er wert ist.
Und sie beginnt, um ihn zu kämpfen mit den Waffen, die ihr gegeben sind.
Also gibt sie sich scheinbar damit zufrieden, daß die Schiermoserin wieder einspannen läßt.
Aber sie flüstert im Vorbeigehen ihrer Tochter Marai zu: »Leg dei Feirta'gwand o und fahr mit!« und dann geht sie zu ihrem Bauern in den Stall, läßt ihn die Ferkel aussuchen und in einen Korb stecken und versäumt dabei nicht, ihn flüsternd von ihrem Hoffen, ihrer Furcht und ihren Plänen zu unterrichten.
Die Schiermoserin hat derweil noch mit der älteren Tochter eine kleine Abschiedsunterhaltung gepflogen, ihren Schimmel eingespannt und tritt nun in den Stall, um nach den Ferkeln zu schauen.
Da bringt ihr der Reisertaler schon den Korb, zeigt ihr die beiden feisten Tierchen und wünscht ihr alles Glück dazu, indem er meint: »Und zwegn der Zahlung werdn mir scho einig, der Schiermoser und i. I brauch so an Saamawoaz a paar Zenten. Da werdn mir nachher scho gleich mitanand.«
Die Schiermoserin gibt sich nach dem üblichen Sträuben damit zufrieden und verabschiedet sich von ihm.
Die Reisertalerin aber eilt noch geschwind in den Hühnerstall und bringt der Base in der Schürze zwölf Bruteier als Aufmerksamkeit.
»Du kannst mir nachher gelegentli amal a paar von deine Schopfhenna gebn«, meint sie. »Und d' Marai kann vo mir aus mit dir umafahrn, daß dir mit dee Fakei nix passiert. Werd dir scho recht sei. Dei Franzl kanns ja morgn wieder umabringa, bal er Zeit hat.«
Aha! Der Weizen blüht schon!
Die Schiermoserin reibt sich in Gedanken schon die Hände. Aber sie versichert doch, daß sie auch allein ganz gut zurecht gekommen wär'. Da aber das Marai sich so schön angezogen hätt' und schon so lieb wär' und sie begleiten wollt', so hätt' sie natürlich nichts dawider! Im Gegenteil! Es wär' ihr eine Ehr', daß sie dem Marai ihr armseliges Hauswesen zeigen dürft' und ihre paar Habseligkeiten.
Und nach den gebräuchlichen schönen Redensarten, die bei Bauern ebenso gepflogen werden wie bei den Stadtleuten, nimmt sie endlich Abschied und fährt mit Marai und den Säulein davon, im Herzen frohlockend über das gewonnene Spiel.
Und sie denkt: Jetz kanns geh', wie's mag; insa Sach steht auf an guten Grund. Jetz legn mir zu insane Taler a paar Sackl voll Reisertaler – und 'm Buam gebn mir a saubere Bäuerin... und dera Stadtgsellschaft gebn mir an Fußtritt...
Bei diesem letzten Gedanken stampft sie unwillkürlich mit dem Fuß auf, und ihre Peitsche saust klatschend dem Schimmel über den Rücken, so daß er unwillig einen Sprung macht.
Danach aber setzt er sich in einen gemütlichen Trab und bringt die beiden Weiberleut, die sich bald aufs beste unterhalten, rasch und sicher heim nach Berganger und an die Stätte, die dem Marai eben vorbestimmt wurde als Heimat und irdisches Paradies.