Lena Christ
Madam Bäuerin
Lena Christ

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Die Rätin ist damit beschäftigt, ihre Sommerwohnung »menschenwürdig« zu gestalten, wie sie es nennt.

Ein Wust von Deckchen und Spitzen, von Bildchen, Photographien und Nippsachen liegt um sie herum, und ein Berg von Schlummerrollen und Sofakissen türmt sich auf dem Tische auf.

Eine Wolke von Wohlgerüchen strömt aus einem kleinen zerdrückten Körbchen, welches leider nur mehr die Scherben einiger Parfümflaschen und Hautcremdosen enthält.

Die Laune der alten Dame ist ganz unerträglich, und sowohl Tante Adele als auch Rosalie haben sich gleich nach dem Frühstück aus dem Staub gemacht und sie ihrem Schicksal überlassen.

Besonders Rosalie, die es herzlich satt hat, innerhalb einer Stunde etwa hundertmal zu hören: »Aber Rosalie! Du bist doch verlobt! Das schickt sich doch nicht für eine Braut! Was soll denn dein Verlobter sagen, wenn er das und das und das erfährt...«

Unwillkürlich kommt Rosalie die Entgegnung auf die Lippen: »Na, so soll er's doch erfahren! Jetzt bin ich auf dem Land, und da leb ich so – und wenn ich wieder in der Stadt bin, leb ich wieder anders. Und mein Verlobter kann mir heut noch...« Sie hält erschrocken inne und rennt mit hochrotem Kopf davon. Weh tun will sie der alten Dame, die so große Hoffnungen auf diese Heirat setzt, doch nicht.

Da räumt sie lieber das Feld.

Drunten beim Schiermoser ist bereits alles auf den Feldern und Wiesen bei der Arbeit.

Nur die alte Großmutter sitzt wie immer auf der Hausbank und strickt an ihrem ewigen Strumpf.

Und der Großvater steht unter der Stalltür und knüpft eine neue Geißelschnur an den Haselnußstecken, indem er halblaut vor sich hinschwatzt und murmelt.

Da kommt Rosalie im bäuerischen Leibchenrock und hemdärmelig aus dem Haus, bindet sich eine blaue härwene Schürze um und fragt: »Großmuatta, wo is der Schiermoser?«

»Warum fragst?« erwidert die Alte zwischen Unwillen und Mißtrauen.

»Weil i eahm helfa möcht«, erwidert Rosalie.

»Soo, soo. Was möchst eahm denn nachher helfe?«

»No mei, was i eahm halt helfen kann. Z'sammrechan, häufeln, owerfa...«

»Ja freili! Sinst nix mehr!« ruft da die Alte aus, »da kunnts weiter net zuageh! Moanst, daß dee ohne di nix z'wegn bringa? Dee brauchan di net! Aber scho gar net aa! Ha! Sie! d' Stadterin!«

Rosalie wird brennrot vor Zorn und Ärger über die »Stadterin«; und sie kann nicht anders, sie muß der Alten zur Antwort geben: »Ha, daß jetz die alten Weiber gar so zwider san!«

Dies ist aber nicht wohlgetan. Denn schon die Erwiderung der Großmutter: »O du Stadtschnappen, du zahnete!« zeigt ihr, daß sie sich hier einen Feind geschaffen hat trotz Pantoffeln und Halstüchlein.

Aber sie macht sich nicht allzuviel daraus.

Summend geht sie zum Großvater hin und schreit ihm ins Ohr: »Werd heunt eingführt, weilst d' Goaßl neu machst?«

Und der Alte erklärt ihr, ohne sie ganz verstanden zu haben: »A neue Schnur hab i ei'knüpft, weil der Franzl nachher glei eispannt. Z'erscht fahrns in Kleepoint und nachn Essen a fünf a sechs Fuada Heu.«

In diesem Augenblick kommt auch schon der kleine Ochsenbub gerannt und brüllt: »Eispanna sollst! Den kurzn Truchawagn und d' Ochsen! In Bruckmoser Klee hintre zum Franzl!«

Und damit rennt er hinein ins Haus und in die Kuchel, wo die Schiermoserin schwitzend vor dem Herd steht und Roggennudeln backt.

»Brotzeit!« schreit der Tropf, schneidet sich einen Ranken Brot ab, trinkt aus einer Schüssel voll abgeblasener Milch einen gehörigen Schluck und läuft danach hinaus in die Speisekammer um das Bier für die Knechte.

Rosalie hat derweil draußen dem Großvater geholfen, den Wagen aus der Schupfe zu schieben und die Ochsen einzuspannen.

Und sie nimmt die neue Geißel, stellt sich auf den Wagen und ruft ganz in der Art und im Ton des Franz Schiermoser: »Wühlöh, Alter! Geh, Handiger, geh! Hüah, hottöh!« Der Großvater schaut ihr lachend nach.

Die Großmutter aber murmelt etwas von »frechen Stadtgesindel« und strickt dazu, daß die Nadeln klappern.

Inzwischen kommt der Ochsenbub beladen mit Bier und Brot aus dem Haus und denkt, er könne seine Last schön auf den Wagen tun und sich selber gut dazu. Derweil sieht er aber das Fuhrwerk schon drunten am Feldkreuz um die Ecke biegen und gegen den Bruckmoser Klee zu fahren.

Also bleibt ihm nichts anderes übrig, als schwerbepackt hintendrein zu tappen und sich gleichfalls sein Teil zu denken über die Städtischen.

Rosalie ist's, als hätte sie niemals in ihrem Leben etwas anderes getan, als Ochsen geführt. Mit einem Gemisch von Abscheu und Angst denkt sie an die Zeit, da sie als Frau Assessor von Rödern drinnen in der Stadt ihre Tage wird verbringen müssen; da sie in vornehmen Badeorten wird herumstolzieren müssen; da sie nie mehr wird dies sorglose und unbekümmerte Leben führen, nie mehr so wie heute wird fröhlich lachen können.

Doch – noch sind ja die Tage gesunder Lust und fröhlichen Schaffens! Noch kann sie ja lachen!

Noch ist sie ja ein freies Geschöpf unsers Herrgotts, das sich noch freuen darf über seinen Sonnenschein und an seiner Welt!

Eine große Lustigkeit überkommt sie, und sie begrüßt Franz, der mit einer Dirn den frisch gemähten Klee zum Auflegen häuft, sehr munter und herzlich.

»Gell, da schaust, Franzl!« ruft sie, indem sie vom Wagen springt, »auf  d e n  Ochsenbuben hast gar nimmer denkt ghabt!«

»Aber er is mir liaber wia der andere erwidert dieser lachend, »und wenn i a Stadtherr waar, nachher müaßt i no an schlechtn Witz macha: da möcht i aa a Ochs sei, bal i an solchen Knecht kriagat!«

Rosalie droht ihm mit der Geißel.

Dabei aber fährt ihr doch eine flammende Röte übers Gesicht; besonders, da Franz sie auf Ja und Nein bei den Hüften faßt, in die Höhe hebt und mit seltsamem Lachen wieder auf den Boden stellt.

»Du bist scho a sakrischs Luadamadl!« sagt er heiser, »du brachtest an Eiszapfa aa zum Siadn!«

In diesem Augenblick aber trifft ihn beißend ein Hieb mit der Geißel, Rosalie gebietet ihm wütend Schweigen und sagt rauh: »An Klee sollst auflegn!«

Da wendet er sich schnell und verlegen seiner Arbeit zu.

Nun sind es bereits vier Tage, daß die Rechtsrätin samt Tochter und Schwägerin auf dem Land ist.

Und da fällt es der alten Dame plötzlich auf, daß Rosaliens Verlobter immer noch nicht geschrieben hat.

Daher frägt sie am Nachmittag erst die Schwägerin und danach ihre Tochter: »Ist immer noch keine Post da? Daß der Assessor nicht schreibt!«

Worauf Rosalie mit großem Gleichmut erwidert: »Wahrscheinlich, weil er unsere Adress' nicht weiß.«

Die Rätin starrt sie erschrocken an.

»Ja, hast du ihm denn nicht gesagt...«

»Ich hab' ihm gar nichts gesagt!« entgegnet ihr das Mädchen, nun doch errötend.

Die Rätin wird immer erregter. »Und du hast auch nicht geschrieben...?«

»Nein. Ich hab' keine Zeit gehabt.«

Rosalie ist nicht sehr wohl zumut. Doch verbirgt sie ihre Verlegenheit hinter einer großen Gereiztheit.

»Ich hab' überhaupt nicht so viel Zeit, als du glaubst, Mama!« ruft sie aus, »ich hab' doch wirklich jetzt was anders z'tun, als Liebesbrief zu schreibn! Ich denk', ich muß mich doch in erster Linie – erholen!«

Und damit läuft sie auch schon aus der Stube und hinunter in den Hof

Des Schiermosers Franz spannt eben ein Fuhrwerk ein. Rosalie greift sogleich helfend mit an. »Wo fahrst denn hin, Franzl?«

»In d' Kumpfmühl ums Mehl«, erwidert ihr der Bursch freundlich, »bals di gfreut, derfst mit fahrn!«

»Ob's mi gfreut! Freili! Gern mag i!«

Und während droben die Rätin erbittert und verzweifelt über die Unart ihrer Tochter Tränen vergießt und sich danach hinsetzt, um dem Herrn Assessor einen mustergültigen Höflichkeits- und Komplimentierbrief zu schreiben, kutschiert Rosalie scherzend und lachend, ist voller Übermut und tut, als wär' sie die Großbäuerin von Gott weiß woher.

Erst drunten im Marktflecken fällt ihr ein, sie könnt am End doch schnell ihrem Verlobten ein paar Zeilen schreiben.

Darum sagt sie zum Franzl: »Du, i steig ab. I muaß gschwind was bsorgn. I komm darnach scho hintre in d' Mühl.« Damit springt sie vom Wagen, geht auf die Post und schreibt folgende Karte: »Aus Berganger sendet freundlichen Gruß Rosalie Scheuflein.«

Danach macht sie sich zufrieden wieder auf den Weg nach der Kumpfmühle.

Dort bezahlt Franz eben das Mahlgeld, während ihm der Mühlbursche den Wagen mit schweren Säcken voll Brotmehl, Nudelmehl und Kleie belädt.

Die Müllerin steht schon eine Weile am Fenster und schaut neugierig hinaus auf die Straße, wer wohl das stämmige Weibsbild sein könnte, das da so rasch und rüstig des Wegs kommt.

Und da Rosalie ganz nahe am Haus ist, hält die Alte es nimmer aus auf ihrem Auslug.

Wie die Kreuzspinne aus ihrem Winkel fährt, kaum daß sie eine Fliege im Netz erblickt hat, so rennt auch sie jetzt hastig unter die Tür und starrt auf das Mädchen.

»Is jetz dees net...?«

In diesem Augenblick aber hat Franz seine Schuldigkeit beim Kumpfmüller bereinigt, dem Burschen sein Trinkgeld gegeben und ruft nun lachend Rosalie zu: »Guat derraten hast es, Roserl! Akrat mitanand san mir firti wordn! Jetz sitz auf, nachher fahrn mir hoam zua!«

Da die Kumpfmüllerin nun diese Worte vernimmt, schaut sie erst einen Augenblick drein, als hätte sie nicht recht gehört. Dann aber geht plötzlich ein verstehendes Leuchten über ihr ganzes Gesicht. Ein pfiffiges Lächeln weitet ihren zahnlosen Mund, und sie stößt ihren Eheherrn vertraulich in die Seite.

»He du! Hast es gsehgn? Der Schiermoserfranzl und d' Sommerfrischlerin! Es schlagn halt doch a diammalen aa die Kinder von de Großkopfatn aus der Art. Dees hätt si aa neamd traama lassn, daß der amal a Stadtscheesn aufn Schiermoserhof bracht!«

Und diese Entdeckung prickelt ihr so in allen Gliedern und auf der Zunge, daß sie sogleich zur Huberbäuerin, ihrer Nachbarin, hinüberlaufen muß, um ihr die große Neuigkeit zu berichten.

Bei der Huberbäuerin aber sitzt gerade die alte Nähterin, die Kathl, auf der Stör, und mit ihr noch zwei schwatzhafte Nähmädchen als Helferinnen.

Und so kommt es, daß am andern Tag abends nach der Herz-Jesu-Andacht drunten in Glonn die Kathl der Kramerin und die Müllerin der Bäckerin und die Nähmädchen ihren Kameradinnen das Allerneueste mitteilen: »Wißts ihr's schon! Der Franzl vom Schiermoser...«

Und die Wimmerin und die Pfeifferin, die Hürblerin und die Strieglin, jede Bäuerin und jedes Häuslweib werden 's inne: »Der Franzl hat die Stadtmamsell, die Sommerfrischlerin, zu einem ›Gschpiel‹ erkoren!«

Wie es halt so oft bei den Weiberleuten ist, daß sie schon Regen spüren, noch ehe die Wolken kommen, und daß sie schon das Maul wetzen, noch bevor sie was zu reden wissen!


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