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Frontwechsel

Während Bars, der Panther, in der Hütte des Alten in den einsamen Bergen seiner Genesung entgegengeht, wird ein Szenenwechsel auf der Bühne des Weltgeschehens vorgenommen. Die Kulisse wechselt, der Schauplatz verwandelt sich, Akteure und Statisten werden vermehrt.

Unter dem harten Zangendruck der Japaner ist Urga von den Russen geräumt worden. An den Südhängen des Kenteigebirges beziehen sie neue Stellungen. Der Gegner drängt vorläufig nicht nach.

Auch weiter östlich ist die Rote Armee bis hinter den Ononfluß zurückgegangen. Die Mongolei und das ganze fernöstliche Gebiet sind fest in den Händen der Japaner. Große Teile der sibirischen Industriegebiete, soweit sie im Flugbereich der feindlichen Bombengeschwader liegen, sind zerstört, die Verbindungen mit dem Westen lahmgelegt. Die Macht der Sowjetrepubliken im fernen Asien scheint gebrochen, die russische Niederlage besiegelt. Da aber lenkt Japan ein, ein Waffenstillstand wird vereinbart, Verhandlungen angebahnt. Und es liegt eine gewisse Ironie darin, daß gerade in Mukden, auf den Schlachtfeldern des ersten russisch-japanischen Krieges, die Delegierten einander gegenübertreten. Die Japaner erklären sich bereit, unter folgenden Bedingungen einen Frieden zu schließen:

»Anerkennung einer selbständigen Mongolei, an deren Spitze ein von Japan vorgeschlagener einheimischer Fürst treten soll. Loslösung der bisher Rußland angeschlossenen autonomen Republik Burjäten, die zu einem neutralen Staat erklärt und von einem durch den Chutuchtu in Urga bestimmten geistlichen und von Burjäten gewählten weltlichen Oberhaupt gemeinsam verwaltet werden soll. Dagegen ist Japan bereit, die fernöstliche Provinz bis zum Amur an Rußland zurückzugeben. Jedoch wird die Küstenprovinz dem Staate Mandschukuo angegliedert.«

Damit wäre jeglicher Einfluß Rußlands in Ostasien ausgeschaltet. Der einzige Hafen am Stillen Ozean, der dem Reich noch verbliebe, Nikolajewsk an der Mündung des Amur, ist praktisch wertlos, da er die längste Zeit des Jahres über vereist ist. Die Zwischenschaltung eines neutralen, in Wirklichkeit von Japan kontrollierten Staates Burjäten isoliert die fernöstlichen Gebiete vom sibirischen Hinterland. Diese Provinz, von drei Seiten eingeklemmt, wäre ein für Rußland verlorener Posten.

Die Bedingungen sind also unannehmbar.

Doch der sehr geschickte Führer der Moskauer Delegation verhandelt weiter, macht Gegenvorschläge und sucht mit allen Mitteln die Verhandlungen in die Länge zu ziehen. Er weiß, daß die Zeit für ihn arbeitet. Jetzt liegt der Winter über den Schlachtfeldern. Unter seinem Eishauch sind die Fronten erstarrt. Eine Wiederaufnahme der Feindseligkeiten ist vor dem Frühjahr hier nicht zu befürchten. Und er weiß auch, daß Japan seinen errungenen Besitz nur halten, nicht erweitern will, um durch eine Befriedung dieser Gebiete sich den Rücken zu decken für einen Frontwechsel, der kommen muß. Denn das Rad hat sich inzwischen weitergedreht, die Spannungen auf der Erde haben sich verlagert.

Wenn England geglaubt hat, in den Flammen des mohammedanischen Brandherdes für sich eine Waffe schmieden zu können, so sieht es sich jetzt bitter enttäuscht. Das Feuer vom Pamir ist zu einer Riesenfackel geworden, die durch ganz Vorderasien leuchtet. Der Weg nach Indien ist bereits in Rauch gehüllt. Im Irak, in Transjordanien, in Syrien flammen Brände auf. In ganz Arabien flattert die grüne Fahne des Propheten. In Nordafrika, vom Nil bis zum Hohen Atlas ziehen sich drohende Gewitterwolken zusammen. London, Paris und Rom horchen erschreckt auf das ferne Grollen, sehen mit steigender Sorge nach dem verfinsterten Horizont.

Die ersten Blitze zucken um Europa.

*

Der zum Studium der Lage im Südseeraum entsendete britische Sonderkommissar, Sir George Raleigh, landet mit seiner großen Reisemaschine von Rom kommend in Haifa. Auf dem Weg vom Flugplatz in die Stadt wird ihm über die Zustände in Transjordanien berichtet. Erfreuliches ist es nicht, was er hier zu hören bekommt. Und was er zu sehen bekommt, sind einerseits die höchst bedenklichen Gesichter seiner Landsleute und andererseits die geradezu aufreizend selbstbewußten Mienen der Araber. Daß es die Franzosen im benachbarten Syrien nicht besser haben, ist kein Trost. Auch sie sitzen auf einem Pulverfaß. Und ihre Ölleitungen sind genau so gefährdet wie die englischen. Eine gewisse Beruhigung ist wohl die Unmasse neuer Truppen, die man gelandet hat, aber der Araber ist ein nicht zu unterschätzender Feind. Er steht hier am Tor nach Asien und weiß sehr wohl, was das für England – für Europa bedeutet.

Anderntags startet der Kommissar am frühen Morgen zu einem direkten Flug nach Karachi in Indien. Über das tief eingeschnittene Jordantal hinweg, über den feinen Strich der Medinabahn, an dem die ausgedehnten englischen Camps und Flugplätze bei Amman zu erkennen sind, fliegt die große Maschine in den Gluthauch der Syrischen Wüste hinein.

Sir Raleigh betrachtet nachdenklich die flimmernde weite Einsamkeit dieses Landes an der Grenzscheide zwischen Asien und Europa. Er kennt die trostlosen Wüsten des inneren Australien, kennt alle Länder der Erde, die der Krone Englands tributpflichtig sind, aber er kennt keinen Fleck auf der Welt, dessen heiße Wildnis erbittertere Feinde erzeugt als das Land, das jetzt unter ihm liegt.

Während er noch in Gedanken versunken hinabschaut, bringt sein Sekretär die inzwischen eingelaufenen Radiomeldungen. Der Kommissar liest aufmerksam die Berichte:

»Die französische Regierung erklärt, in Lyon und im Artois Herrin der Lage zu sein, der kommunistische Aufstand sei gebrochen. In Paris sei die Ruhe wieder hergestellt.«

»Bedeutsame Rede des deutschen Außenministers auf der Europakonferenz.« Mit einem nicht ganz eingestandenen Gefühl von Bewunderung überfliegt er die in Stichworten wiedergegebene Rede, die in den Worten gipfelt: »Kein verantwortungsbewußter Staatslenker kann heute seine Aufgabe darin sehen, sein Land allein möglichst ungeschoren durch die Weltwirren zu bringen; oder aus den Schwierigkeiten anderer seinen Vorteil zu ziehen. Nur der Zusammenschluß aller europäischen Staaten kann den Machtblock schaffen, der den Bestrebungen einer östlichen Welt ein Gegengewicht schafft, das geeignet ist, einen Weltkrieg von unvorstellbaren Ausmaßen zu verhindern!«

Daß dieser Mann recht hat, tausendmal recht mit seiner Forderung eines rückhaltlosen Zusammenschlusses, einer gemeinsamen Front, sieht er wohl. Aber warum muß das ein Deutscher sagen?

Sir Raleigh seufzt auf, liest weiter:

»Streik der Hafenarbeiter in Djibouti (französisch Somaliland). Japanische Agenten als Provokateure verhaftet.«

Der Kommissar überlegt, läßt sich den Akt über Abessinien bringen. Bevor er sich in die Berichte über die japanischen Ansiedlungen in diesem letzten freien Staat Afrikas vertieft, liest er weiter:

»Friedensverhandlungen in Mukden vor dem Abbruch.«

Es sind lauter unangenehme Nachrichten, mit denen ihn die fleißige Station versorgt. Der japanische Einfluß auf den Philippinen nimmt eine Ausdehnung an, die das Schlimmste befürchten läßt. Und die Nachrichten über Tibet – dieser General mit dem unaussprechlichen Namen scheint ein kleiner Napoleon seines Landes zu sein – sind reichlich alarmierend. Das einzig Erfreuliche für den britischen Sonderkommissar ist die von Moskau übernommene Meldung schwerer Unruhen im japanischen Industriegebiet. Wenn auch solche russischen Meldungen sehr mit Vorsicht aufzunehmen sind, einen wahren Kern enthalten sie doch.

Eben wird das breite Sumpftal des Euphrat überflogen, in der Ferne wird der Sender von Basra sichtbar.

Weiter geht der Flug an der persischen Küste entlang. Der Sekretär legt neue Meldungen auf den Tisch:

»Der siamesische Luftfahrtminister an Bord des Flaggschiffs des vor Bangkok liegenden japanischen Geschwaders.«

»Im Panamakanal ist der mexikanische Dampfer San Ignacio gesunken.« Zweifellos japanische Arbeit, kommentiert Sir Raleigh diese Meldung.

»Die große Eisenbahnbrücke über den Syr-Darja bei Tschina – zwischen Taschkent und Samarkand – durch ein Attentat zerstört.«

Und gleich darauf ein Moskauer Dementi, das im weiteren von siegreichen Kämpfen in der Buchara berichtet.

»Stapellauf des holländischen Panzerschiffs ›Hertog Hendrik‹, für Indien gebaut, 12 000 Tonnen.«

In der Dämmerung wird Karachi erreicht. Auch hier bleibt der Kommissar nur über Nacht, um am andern Morgen sofort weiter nach Bombay zu starten, wo er mit dem Vizekönig eine Besprechung haben soll.

Von General Malcolm, der gerade in Karachi ist, erfährt er Einzelheiten über die Kämpfe am Khaiberpaß und um Fort Chaman. Die Afghanen verfügen seit neuester Zeit über eine Reihe von Jagdstaffeln – made in Japan – die sich in den letzten Luftkämpfen erstaunlich gut gehalten haben.

Über die afghanische Armee befragt, erklärt der General, daß die japanischen Instrukteure mit außerordentlichem Geschick aus den früheren, mehr organisierten Räuberbanden als Soldaten gleichenden Truppen eine wirkliche Armee geformt hätten. Vorzüglich bewaffnet und von einem glühenden Kampfgeist beseelt, seien diese Leute sehr ernst zu nehmende Gegner.

»Wissen Sie,« sagt der alte Kolonialsoldat, »unsere Lage da oben in Kaschmir, im Pendschab und in Beludschistan, – ach, Sie können ganz Nordindien nehmen – ist ein Kampf nach allen Seiten. Seit man die Großmohammedanische Nationenbewegung ins Leben gerufen hat, ist hier der Teufel los.«

Auf seinem Weiterflug nach Bombay vereinigt Sir Raleigh das, was er bisher gesehen und gehört hat, zu einem düsteren Bild. Die tiefe, an Hoffnungslosigkeit grenzende Müdigkeit, die sich seit vielen Jahren in den Physiognomien britischer Diplomaten ausgeprägt hat, steht auch in den Zügen dieses Sonderkommissars, dessen Zweifel an dem Bestand des britischen Weltreichs immer neue Nahrung erhalten.

Die Besprechung mit dem Vizekönig in Bombay ist im Weiteren wenig geeignet, seine düstere Stimmung zu heben. Bevor er den Indischen Ozean überquert, um Singapore zu erreichen, macht er in Colombo Station.

Kurz vor Ceylon erreicht ihn die Nachricht von weitgehenden Zugeständnissen der japanischen Vertreter auf der Konferenz in Mukden. Unter anderem soll von der Errichtung des burjätischen Pufferstaats abgesehen werden. Es ist ganz klar, Japan will möglichst rasch auf dem Kontinent fertig werden, um seinen Vorteil gegen die mit revolutionären Aufständen beschäftigten Vereinigten Staaten auszunützen.

In Colombo steht ein großes neues Flugboot für den Sonderkommissar bereit. Nach eintägiger Rast macht er sich auf den Weg nach Singapore. In neun bis zehn Stunden kann die Strecke bewältigt werden. Die Maschine liegt ruhig in der Luft und macht trotz des nicht unerheblichen Nordost-Monsuns doch immer noch ihre 350 Stundenkilometer. Man fliegt den Dampfertrack entlang immer genau nach Osten.

Aus der Menge der Nachrichten, die dem Kommissar von der Station Colombo nachgesandt werden, berührt ihn die von der feierlichen Einweihung des Kanals Duisburg-Ruhrort-Bremen-Hamburg-Lübeck besonders. Seine Gedanken wandern von diesem friedlichen Bau zu einem andern Kanal, der wohl auch bald fertig sein wird. Zu dem von Kra. Dort in der dünnen Mitte des langen Arms, den Hinter-Indien weit nach Süden hinausschiebt und den Indischen Ozean vom Chinesischen Meer trennt, liegt der Isthmus von Kra. Hier entsteht der Kanal, hier bohrt sich Japan seinen Weg nach Osten.

Da seine Maschine gerade die Nordwestspitze von Sumatra ansteuert, verspürt er nicht übel Lust, einen Abstecher nach dem Isthmus von Kra zu machen, um sich vom Stand der Arbeiten selbst zu überzeugen. Aber er ist Diplomat genug, den Gedanken gleich wieder aufzugeben. Statt dessen vertieft er sich jetzt in das Studium statistischen Materials über die Sundainseln und in den Bericht des Gouverneurs von Britisch-Nordborneo.

Die untergehende Sonne vergoldet die Tragflächen einer Marinestaffel, die den Kommissar in den Hafen von Singapore hineinbegleitet. Als sein Flugboot gewassert ist, braust die Motorbarkaste des Panzerkreuzers »Glasgow« heran. Der Kommandant ist selbst im Boot, um Sir Raleigh zu begrüßen und ihn auf sein Schiff zu bringen, wo morgen die Besprechungen beginnen werden.

Bei der kurzen Fahrt zum Kreuzer betrachtet der Kommissar mit Wohlgefallen die stattliche Anzahl der Kriegsschiffe, die hier an den Bojen liegen. Neben den modernsten Panzerschiffen, von denen die »Glasgow« das neueste ist, sind ein paar ältere Kreuzer von der Washington-Klasse, eine Unmenge Zerstörer und Schnellbootsflottillen hier. Weiter zurück im Abenddunst stehen die mächtigen Silhouetten des zweiten ostindischen Geschwaders und das Flugzeugmutterschiff »India«.

Neben der »Glasgow« erkennt er den holländischen Kreuzer »Sinobong« mit der Admiralsflagge im Top.

Die Welt erfährt diesmals nichts von den Besprechungen auf dem Kreuzer »Glasgow«. Worum diese Zusammenkunft britischer und niederländischer Admirale und Gouverneure sich dreht, ist natürlich jedem klar. Japanische Blätter bringen lange Kommentare und nicht ungeschickt erfundene Beschlüsse, die dort angeblich gefaßt wurden.

Nach acht Tagen verläßt Sir Raleigh Singapore mit unbekanntem Ziel. Es sind wieder japanische Zeitungen, die sich am besten informiert zeigen, wenn sie behaupten, der Kommissar habe sich zu einer Inspektionsreise nach Borneo begeben.

*

Zu gleicher Zeit verläßt der ehemalige russische Fliegergeneral Bars Irkutsk, um nach Moskau zu fahren.

Als der Verschollene bei der Armee plötzlich wieder auftauchte, wollte man seinen Erzählungen über seinen Verbleib kein rechtes Vertrauen schenken. Man glaubte sein Verschwinden mit dem Verlust von Urga in Zusammenhang bringen zu müssen und enthob ihn seines Postens, zumal sein gänzlich verändertes Wesen den Verdacht zu bestärken schien, daß er mit dem Feind in Beziehungen gestanden habe. Um sich zu rechtfertigen, wird er nach Moskau beordert.

Man hat ihm ein eigenes Abteil zur Verfügung gestellt, das er allerdings mit einem politischen Kommissar teilen muß, der ihn begleitet. Durch das tiefverschneite Sibirien trägt ihn die Bahn einer unbekannten Zukunft entgegen. Bars sitzt tagsüber schweigend am Fenster und läßt in tiefen Gedanken seine Blicke über das Land hinschweifen.

In Nowo-Sibiersk wird der Zug so überfüllt, daß er die noch freien Plätze seines Abteils zwei Offizieren, die von der Front kommen, zur Verfügung stellt. Sie erzählen von den Kämpfen und den großen Schwierigkeiten des Nachschubs von Munition und Lebensmitteln. Trotz der Anwesenheit des politischen Kommissars machen sie kein Hehl aus der allgemeinen Unzufriedenheit über das gänzliche Versagen der Organisation.

»Mit Redensarten, mit Phrasen und mit Flugblättern sind wir genug versorgt worden, wir brauchen Munition, Material, Ersatzteile, – wir brauchen alles andere, nur kein Geschwätz!«

Mit diesen bitteren Worten kennzeichnen sie die Stimmung der kämpfenden Truppe.

In Samara hat der Zug längeren Aufenthalt; die ganzen Bahnhofsanlagen sind verstopft mit Militärtransporten. Immer neue Truppen, neue Flugzeuge und Tanks werden nach Turkestan befördert. Die optimistischen Berichte und Artikel der Presse stehen in scharfem Gegensatz zu den Erzählungen der Soldaten, die von der Front kommen. Die Wahrheit ist die: da unten steht es schlecht. Dieser Guerillakrieg, den man mit einigen Tankregimentern und Bombengeschwadern schnell zu unterdrücken gehofft hatte, frißt immer weiter um sich. Er ist ein erbittertes Ringen mit einem Feind, der überall steht, den man aber nirgends richtig zu fassen bekommt.

In Moskau wird Bars vor ein Kriegsgericht gestellt. Die Verhandlungen, von denen nichts in die Öffentlichkeit dringt, dauern fast eine Woche. Sie enden mit einer Verurteilung. Trotz des glänzenden Zeugnisses, das dem Angeklagten von seiten des Kriegsministers ausgestellt wird; trotz der außerordentlichen Beliebtheit, der sich der Panther in allen Kreisen der Bevölkerung erfreut. Daß man ihm nicht das Geringste nachweisen konnte, war ohne Einfluß auf das Urteil. Die politische Führung brauchte einen Sündenbock. So mußte der Fliegergeneral fallen. Doch wagte man nicht, ihn auf die übliche Weise zu beseitigen. Das mit großer Aufmachung verkündete Todesurteil wurde stillschweigend in Verbannung umgewandelt, das heißt: man verwies ihn außer Landes. Die Tatsache seiner deutschen Abstammung mochte wohl auch eine Rolle gespielt haben, warum man ihn verurteilte. Andererseits aber auch, daß man ihn auf diese Weise begnadigte.

Von allen Seiten kommen dem berühmten Flieger Angebote zu. Mehr oder weniger auf Umwegen versuchen ihn eine Reihe von Staaten für sich zu gewinnen. Doch Bars lehnt vorläufig alles ab.

Er begibt sich zuerst nach Deutschland. Dort taucht er zunächst unter. In der abgeschiedenen Stille der Berge, aus denen seine Familie stammt, trinkt er sich satt an Heimat. Saugt sich ganz voll mit der reinen Luft dieses Landes, das ohne Krieg ist und ohne Not.

Über sonnenbeglänzte Hügel, durch rauschende Wälder wandert der staatenlose, einsame Mann. Sieht den Bauern am Pflug, den Handwerker in seiner Werkstatt, sieht den Arbeiter in seinem Gärtchen die Ruhe des Feierabends genießen, sieht die Kinder im Spiel und die Mutter bei der Arbeit.

Sein beglückter Blick tastet die Formen der Landschaft ab, gleitet wie streichelnd an den Dörfern entlang, die angeschmiegt sind an diese Hügel und Berge, hineingebettet in die ruhevollen Täler, dringt ein in die Züge der Menschen. Sein Blick umfängt Mensch, Baum und Haus, Berge und Wolken und formt aus dem Geschauten ein inneres Bild deutscher Kraft, die in der Heimat wurzelt.

Auf einer Bank, unter einer uralten Linde über einem Dorf läßt er sich nieder. Überwältigt von all dem, was in diesen gesättigten Tagen auf ihn eindrang, hingegeben an die gesegnete Fülle dieses mütterlichen Landes lauscht er dem Raunen des im Abendwind sich wiegenden Baumes.

Langsam holpert ein Bauernwagen vorbei, ein Schäfer treibt seine Schafe in den Pferch, Kühe ziehen geruhsam ihren Ställen zu; Abendfrieden lagert über Haus, Feld und Wiesen.

Den Hügel herauf, auf staubendem Feldweg, kommt ein Mann geschritten. An der Linde verhält er den Schritt, grüßt den Sitzenden und schaut dann in die Runde:

»Es ist schön bei uns, nicht wahr, ein friedlicher Abend.« Damit beginnt er ein Gespräch. Bars fühlt sich anfangs gestört, doch das offene Wesen des Mannes, seine Art zu sprechen, nehmen ihn bald gefangen. Der Fremde fragt nicht nach woher und wohin, sagt nur nebenbei, wenn der Herr noch keine Unterkunft habe, würde er sich freuen, ihn als Gast in seinem Hause zu sehen. Bars nimmt gerne an.

Es stellt sich heraus, daß sein Gastgeber der Pfarrer des Dorfes ist. Ob er weiß, wen er heute beherbergt? Bars fühlt sich irgendwie verpflichtet sich zu erkennen zu geben. Doch unterläßt er es zunächst. Während des schweigend eingenommenen Abendessens, an dem die Pfarrfrau und zwei neugierig den Gast bestaunende Enkelkinder teilnehmen, läßt er seine Blicke verstohlen über seine Tischgenossen schweifen. Dieser Pfarrer sieht eigentlich wie ein Gelehrter aus, allerdings wie ein streitbarer Gelehrter. Ganz anders als er sich einen Dorfpfarrer vorgestellt hat. Nachher sitzt man noch ein wenig in der Gaisblattlaube im Garten, spricht über dies und jenes. Bars hat das Gefühl, der Pfarrer warte nur darauf, mit seinem Gast allein zu sein, um dann mit ihm über ernstere Dinge zu sprechen. Schließlich wünscht die Pfarrfrau gute Nacht und zieht sich zurück.

»Haben Sie noch Lust, unseren sehr trinkbaren Landwein zu probieren, dann kommen Sie doch noch für ein Stündchen zu mir hinauf in meine Stube.«

Diese Frage des Pfarrers ist geradezu eine Aufforderung. Obwohl Bars nun eine Art Examen befürchtet, folgt er doch seinem Gastgeber die breite Stiege hinauf in die geräumige Studierstube. Während der Pfarrer in den Keller steigt den Wein zu holen, steht er sich im Zimmer um. Spartanisch einfach ist hier alles. Ein großer Arbeitstisch, ein paar Stühle, lange Bücherregale, Bilder aus altem Familienbesitz, weißgetünchte Wand, gescheuerte Dielen; trotz aller Nüchternheit ist eine wohltuende Atmosphäre sammelnder Klarheit in diesem Raum. In einem Glaskasten sind Ausgrabungsfunde vorgeschichtlicher Zeit, daneben in Glas und Rahmen ein zierlich gezeichneter, weitverzweigter Stammbaum. An dessen Wurzel liest Bars die Jahreszahl 1364. Darüber zwei Säbel, gekreuzt an der Wand befestigt, umringt von Photographien junger Männer.

»Meine Brüder,« sagt der eintretende Pfarrer, »wir waren vier, ich bin der Jüngste, drei sind im großen Krieg geblieben. Und das hier sind meine Söhne, zwei sind Flieger, die andern zwei führen die Tradition unserer Familie fort; der eine, dieser Kleine da, ist Landwirt, und der andere wird Pfarrer. Sehen Sie hier am Stammbaum; Bauern, Pfarrer oder Naturwissenschaftler – und Soldaten. Durch die Jahrhunderte ist das immer so gewesen.«

»Ich wundere mich,« sagt Bars, »über die große Zahl an Fliegern, die Deutschland besitzt, ich bin nämlich auch einer,« setzt er verlegen hinzu.

Damit ist das Stichwort gefallen, das die Unterhaltung zwanglos einleitet. Vom Fliegen gleitet das Gespräch über auf die kriegerischen Ereignisse im Osten. Bars ist erstaunt über die genauen Kenntnisse seines Gastgebers vom Kriegsschauplatz.

»Ja, mein Lieber, wer den Frieden will, muß zum Kriege rüsten, lautet ein klassisches Zitat. Wir hier in Deutschland verfolgen mit sehr viel Interesse die Kämpfe, um aus ihnen zu lernen.«

»Auch Sie, ein Pfarrer?«

»Gewiß doch, abgesehen davon, daß mich als alten Soldaten – ich war nicht als Geistlicher, sondern mit der Waffe im Feld – schon die rein militärische Seite interessiert, das, was sich dort in Asien abspielt, ist doch mehr als nur ein militärisches Schauspiel, es ist doch das Ringen von Weltkräften, es sind die ersten Zeichen eines, ich möchte direkt sagen kosmischen Geschehens, dessen Wurzeln, Ziele, Möglichkeiten und Forderungen zu erforschen doch eines intensiven Beobachtens wert sind.«

»Nur Beobachtens, nicht auch Eingreifens?«

»Sie gestatten eine Gegenfrage. Wenn ich mich nicht sehr täusche sind Sie Militär, vielleicht sogar an den Kämpfen im Osten beteiligt gewesen – fragen Sie als Soldat?«

In knappen Worten berichtet Bars über seine Vergangenheit. Nachdem der Flieger geendet, entsteht eine längere Pause.

»Sehen Sie,« beginnt der Hausherr wieder, »Ihre Frage vorhin war voll berechtigt. Ein Beobachten ohne einzugreifen ist nur dem Weisen oder dem Schwächling Vorbehalten. Wir hier in Deutschland sind vorerst nicht genötigt, mit Waffen in den Kampf im Osten einzugreifen. Wir überlassen das den ›interessierten Mächten‹. Aber wir ermöglichen erst den nicht zu umgehenden Endkampf der Völker weißer Rasse gegen die Farbigen. Wir haben längst eingegriffen. Für den, der über die Ereignisse des Tages nicht hinaussehen kann, sind wir nur die unbeteiligten Beobachter, sind die friedliche Insel in Europa. Aber glauben Sie mir, hier bei uns wird ein zäherer Kampf ausgekämpft, als die meisten ahnen. Hier im Herzen Europas, hier auf dem Boden unserer Ahnen ringt sich die Seele Deutschlands, die Seele des nordischen Menschen aus den Trümmern einer versinkenden Zeitepoche zu neuem weltweitem Wirken empor. Wenn ein Volk aus seinen uralten ewigen Wurzeln neu entsteht, dann ist das ein zutiefst aufwühlender Vorgang des Werdens, der ein Kampf ist, ungleich erschütternder als ein Krieg. Halten Sie mich, halten Sie uns Deutsche nicht für überheblich, wenn ich so spreche. Das, was sich bei uns abspielt – ohne Analogie in der Geschichte – das ist, glauben Sie mir, richtungweisend für alle Völker unserer Rasse. Wozu wir uns aus innerer Not durchgerungen haben, dahin werden alle anderen auch kommen. Nicht aus der Fülle und nicht aus der Sattheit kommt die Kraft eines Volkes, sondern aus dem ewigen Kampf um die Reinhaltung seines Wesens. Eine dem materiellen Genießen und dem zersetzenden Denken zugewandte Vergangenheit brachte uns an den Rand des Untergangs. Verschüttet lag die deutsche Seele unter den Trümmern abgelegter Daseinsformen. Die Unfähigkeit der Massen, den drängenden Lebenswillen neu zu formen, das brünstige Mißverständnis volksbeglückender Programm-Politiker, die Sehnsucht des Maschinenmenschen nach Innerlichkeit und das zu Taten noch nicht berufene Wissen Weniger um die Forderungen der Zeit schufen die deutsche Not.«

»Und der verlorene Krieg, die Geldentwertung, die Wirtschaftskrisen, rechnen Sie die nicht?«

»Doch, aber dies alles sind äußere Merkmale der Not, Symptome einer Krankheit, nicht ihre Ursachen.«

»Und glauben Sie, Herr Pfarrer, daß Deutschland diese Krankheiten überwunden hat, daß das übrige Europa sich auch befreien kann; glauben Sie ferner, daß die weiße Rasse genug an inneren Kräften aufbringen kann, um die Gefahr vom Osten abwenden zu können?«

»Ihre erste Frage soll Ihnen unser Land selbst beantworten, sehen Sie sich bei uns um, und Sie werden Antwort finden. Was die weiße Rasse überhaupt betrifft, so darf ich Sie daran erinnern, daß sie allein befähigt ist, durch Anwendung von Erkenntnissen, Erfindungen und Entdeckungen, die sie ihrer schöpferischen Kraft verdankt, das Weltbild zu formen. Der Weisheit und der Dulderfähigkeit des Orients, dem Ausdehnungs- und Machtdrang der gelben Massen, der Seele Asiens, setzen wir die nordische Seele entgegen.«

»Was ist Seele?«

Erstaunt sieht der Pfarrer den Fragenden an.

»Sie wundern sich über diese Frage, Herr Pfarrer,« sagt Bars, »aber wer aus Rußland kommt, und wer sein Handwerk an Todesmaschinen ausübt, darf vielleicht so fragen.«

»Sie fragen viel, doch will ich nicht ausweichen, obwohl niemand eine erschöpfende Antwort wird geben können.

Die Bezirke der Seele beginnen bei der unzerstörbaren Gewißheit einer in uns lebenden Kraft, die uns geformt hat, die uns – ich spreche hier in weltlicher Wortbildung – mit dem Schöpferwillen des Alls untrennbar verbindet; bei dem Bewußtsein der Verantwortung für das in uns gelegte Gesetz. Das Wissen um die Verpflichtung, dieses Gesetz zu verkörpern, die Anerkennung seiner allein Richtung gebenden Wesenheit, das ist Seele. Die lebendige Kraft des überpersönlichen Willens in uns, gesteigert durch das durch die Jahrhunderte hin waltende Wirken unserer Ahnen ist der Urquell, aus dem der Strom kommt, der unser Volk vorwärtstreibt in der Geschichte der Erde. Je mehr der einzelne sich dieser Kraft bewußt wird, desto stärker ist der Wille eines Volkes, seine Bestimmung zu leben. Volkwerdung ist ein Bewußtwerden der gemeinsamen Kraft, der gemeinsamen Seele. Sie, der Sie in die asiatische Seele geschaut haben, wissen, zu was eine solche gemeinsame Kraft fähig ist, wissen, daß ihr nur eine gleiche Kraft entgegengesetzt werden kann. Sehen Sie« – damit deutet er auf die langen Bücherreihen auf den Regalen – »dort steht die Weisheit östlicher Menschen, das Kulturgut der Völker aller Zeiten und Zonen, aber hier,« er deutet auf seine Brust – »hier liegt der unverlierbare Schatz der Weisheit und des Strebens unserer Väter. In jenem Glaskasten dort sind die Funde von Ausgrabungen in unserer Heimat. Aber ich sage Ihnen, wenn wir diese Dinge, das heißt ihren Formwillen nicht auch in unserer Brust wieder finden, dann bleiben sie tote Museumsstücke. Wenn wir der Seele nicht Raum geben, bleibt alles Können und Wissen umsonst. – So, und nun, bevor wir zur Ruhe gehen, nehmen Sie von einem alten Mann ein Wort mit auf Ihren Weg, der Sie wieder in Krieg und Kampf führen wird. Sie sind zurückgekehrt in das Land Ihrer Väter, Sie werden, wo Sie auch später sind, ein Sohn dieses Volkes bleiben, wenn Sie sich offen halten für die uns alle durchströmende gemeinsame Kraft, die uns siegreich hindurchführen wird durch die Prüfungen der Gegenwart und der Zukunft.« –

*

Vom Dorf, vom friedvollen Land, drängt es Bars in die Großstadt. Er wandert durch Geschäftsstraßen, Fabrikviertel und durch die ausgedehnten Siedlungen der Arbeiter und Angestellten. Was sich ihm am eindrucksvollsten aufdrängt, ist die Haltung des ganzen Volkes. Er sieht, hier schafft ein freies Volk in freiem Land am Aufbau eines Staatswesens, dessen achtunggebietende Macht auch ohne Waffengewalt den führenden Platz unter den Völkern Europas erringen wird. Doch fühlt er schmerzlich die betonte Reserviertheit, mit der er von allen offiziellen Stellen behandelt wird. Hinter aller Korrektheit steht ein unausgesprochenes Mißtrauen. Hält man ihn für einen russischen Agenten, für einen Spion? Es tut weh, wenn die Heimat sich verschließt. Er sieht, man braucht ihn hier nicht.

In Berlin lernt er den Militärattaché der Vereinigten Staaten kennen. Kurz darauf erhält er eine Einladung in dessen Haus. Obwohl er bisher alle derartigen Annäherungsversuche fremder Staaten abgelehnt hat, geht er diesmal doch hin. Es sind nur ein paar Gäste geladen, einige Herren vom diplomatischen Korps mit ihren Damen, ein berühmter Musiker und Professor Bergemann, eine internationale Größe der Chemie.

Während sich die Damen und die jüngeren Herren um den Musiker scharen, nimmt der Gastgeber Bars beiseite:

»Mein lieber General …«

»Bitte nicht General,« wehrt der Flieger ab, »ich bin es nicht mehr, Sie wissen –«

»Nun, ein König ohne Land bleibt immer noch ein König, aber, wie Sie wollen, Mr. Bars, ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen. Treten Sie in unsere Armee ein. Ich habe den Auftrag, Sie für uns zu gewinnen.«

»Muß das gleich sein?«

»Nun, je eher, desto besser für uns – und vielleicht auch für Sie!«

»Danke!«

»Sie sind doch Soldat, was wollen Sie hier im friedlichen Deutschland. Im übrigen wird es Ihnen wohl nicht entgangen sein, daß man …«

»Daß man mich für einen Spion hält, wollen Sie wohl sagen?«

»Wenigstens so ähnlich, General, Verzeihung, Mr. Bars; wenn auch nicht so grob ausgedrückt. Aber bei uns hat man keine solchen, – hm, solchen Bedenken. Sie können sicher sein, in den Staaten die glänzendste Aufnahme zu finden. Wir eröffnen Ihnen eine neue Karriere. Bedenken Sie, daß wir mit einem Krieg in allernächster Zeit rechnen.«

Professor Bergemann betritt den Raum, noch bevor Bars antworten kann:

»Ach, Verzeihung – störe ich?«

»Durchaus nicht, Professor,« der Attaché geht ihm lächelnd entgegen, »wir haben nur eben ein wenig – wie sagt man doch bei Ihnen? gefachsimpelt, nicht wahr. Übrigens wird Mr. Bars nach den Staaten reisen und seine Kriegserfahrung unserer Armee zur Verfügung stellen.«

»Die Katze läßt das Mausen nicht, oder ein Krieger kann ohne Krieg nicht leben,« lacht der Professor, dann wieder ernst werdend:

»Es ist gut, daß Sie hinübergehen.«

»Warum glauben Sie, Herr Professor,« erwidert der Flieger, »daß es gut wäre, vorausgesetzt, ich würde den von unserem liebenswürdigen Gastgeber vorweg genommenen Entschluß bestätigen?«

»Setzen wir uns doch,« meint der Attaché, »im Stehen sind gewichtige Probleme – in Deutschland ist doch gleich immer alles ein Problem – schwer zu behandeln.«

»Ja,« beginnt der Professor und streicht bedächtig die Asche seiner Zigarre ab, »das ist in zwei Worten gesagt. Weil es wichtig ist, daß ein Europäer, der schon einmal im Kampf der weißen Rasse mit den Gelben gestanden hat und der die Revolutionen Europas, wenigstens in dem russischen Experiment, miterlebt hat, hinüberkommt und Ihren Landsleuten, Verehrtester – dabei blickt er mit seinen funkelnden Brillengläsern zu dem Attaché hinüber – etwas beibringt von dem, was man machen und was man nicht machen soll – widersprechen Sie nicht: Ihre Leute da in Amerika tragen, um mich bildlich auszudrücken, jetzt die von uns abgelegten Kleider auf, genau so wie wir, unseligen Angedenkens, Ihre Torheiten damals gierig aufnahmen, als der letzte Krieg zu Ende war.«

»Sie sind doch ein Grobian, Professor,« widerspricht der Amerikaner, »die wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten in unserm Land sehen Sie alle gleich als Revolution an. Aber wir machen keine Revolution.«

»Wenn Ihr doch eine machen wolltet,« platzt der Professor los, »das ewige Geschwür am amerikanischen Volkskörper wäre schneller geheilt, wenn Ihr Euch zu einer durchgreifenden Operation entschließen könntet. Braucht ja nicht nach russischem Rezept zu sein – die Brillengläser funkeln zu Bars hinüber – sehen Sie doch, wie das Deutschland gemacht hat!«

»Ja,« seufzt der Attaché, »Sie haben das leichter gehabt, aber bei uns, bei dem Rassengemisch.«

»Ach was, wir in Deutschland sind auch nicht alles blonde reinrassige Nordmänner; viele Ströme Bluts flossen zu uns herein; auf die äußeren Merkmale kommt es nicht an, die Wesenszüge eines Volkes, seine Charaktereigenschaften sind maßgebend. Ihre Vorfahren haben das Land in zähem Ringen erobert, und das Land hat Euch geformt. Aber Sie, wenigstens die noch führende germanisch-angelsächsische Schicht, sind vom nordischen Stamm, sind verbunden mit der Schicksalsgemeinschaft dieser Rasse. Macht etwas daraus im neuen Land, werdet ein neues Volk!«

»Kann man das durch Wollen allein erreichen, Professor?« Sehr ernst fragt es der Attaché.

»Zunächst ja – alles andere findet sich dann – dazu soll Ihnen Herr Bars helfen.«

Anderntags läßt er den Attaché in einem Schreiben wissen, daß er bereit sei, die Einladung nach Amerika anzunehmen.

*

Inzwischen tritt in Europa ein Ereignis ein, das für die Zukunft von ausschlaggebender Bedeutung sein wird. In Frankreich hat der hartnäckige Kampf einsichtsvoller Politiker und eines Teiles der Bevölkerung gegen den starren, deutschfeindlichen reaktionären Kurs mit dem Sturz der Regierung geendet.

Frankreich braucht Ruhe im Innern, braucht seine Truppen in Afrika, in Syrien und Ostasien; der Weg zu einer Verständigung mit seinen Nachbarn ist freigemacht.

Auf der Europakonferenz erklärt sich Frankreich bereit, in eine Diskussion über die von Deutschland aufgestellten Satzungen eines europäischen Staatenbundes einzutreten.

Während Bars nach den Vereinigten Staaten fliegt, findet in Hamburg die denkwürdige Sitzung der Europakonferenz statt, in der dieser Staatenbund gegründet wird.

Von den Fahnenmasten auf dem Dach des Konferenzgebäudes wehen im Frühlingswind die Fahnen aller Länder Europas. Jeder freie Platz dieses gewaltigen Saales ist besetzt, die Tribünen sind überfüllt. Die Vertreter der Presse der ganzen Welt sind da. Die Sender von fünf Kontinenten sind an Hamburg angeschlossen. Während der Rede des deutschen Vertreters herrscht Totenstille im Saal »… das Deutsche Reich, dessen Regierung die Europakonferenz einberufen hat – und heute mit lebhafter Genugtuung ihre Bestrebungen von vollem Erfolg gekrönt sieht – ist der Garant des Friedens in Europa. An den Verwicklungen in Asien nur mittelbar interessiert, ohne Machtgelüste irgendwelcher Art, die Hand am Pflug, aber das Schwert an der Seite, im Vollgefühl seiner Verantwortung, das Reich der Mitte in Europa zu sein, hat das deutsche Volk das Recht und auch die Kraft dazu. So wenig der Eigennutz des einzelnen innerhalb seines Landes vorherrschen darf, so wenig darf der Eigennutz eines einzelnen Staates im Gefüge des Bundes Richtschnur sein. Nur die selbstlose Hingabe an die gemeinsame Arbeit, an den gemeinsamen Bau kann aus der Vielzahl der Länder eine Einheit schaffen, die eine unüberwindliche Macht bedeutet. Wir Deutsche haben der Welt gezeigt, was ein einiges Volk mit diesem Grundsatz erreichen kann. Wir stehen am Anfang eines neuen Abschnitts in der Geschichte der Erde. Die Zersplitterung der Einzelkräfte in Kämpfen nach außen und innen, die Ausdehnungsbestrebungen politischer und wirtschaftlicher Macht haben eine seelische und körperliche Ausblutung gebracht, eine Verdünnung der völkischen Substanz, die notwendigerweise zu einer Zurückbesinnung auf die natürlichen Lebensgrundelemente führen mußte, das heißt: die Völker zu sich selbst, zu ihrem Blut und Boden zurückführen mußte. Jedes für sich und in seiner Art müssen die Völker sich selbst wieder finden, um in einem inneren Gesundungsprozeß die Voraussetzungen zu einer höheren Form des Zusammenlebens zu schaffen. So, wie sich die Menschen von gleichem Blut und gleicher Eigenschaft zu einem Volk zusammenfinden, so finden sich die Völker gleicher Rasse zu einem Bund zusammen. So haben sich heute die Länder Europas zusammengefunden. Nicht um eines bequemen Genießens des Errungenen willen, sondern jeder an seinem Platz und jeder in seiner Art, zum tatkräftigen gemeinsamen Bau am gemeinsamen Ziel, und auch, wenn es sein muß, zum gemeinsamen Kampf!«

*

Bars hört die Reden der Konferenz, hört ihr Weltecho auf seinem Flug über den Ozean. Er weiß, daß dies alles nur ein Anfang ist, daß guter Wille und eine hohe Gesinnung allein nicht genügen, weitgesteckte Ziele zu erreichen, daß es noch vielen Kämpfens bedarf, daß den Worten Taten folgen müssen.

Je mehr er sich von dem geeinten Europa entfernt, um so mehr erwacht in ihm der Drang, sich wieder in dem Element zu betätigen, in dem er heimisch ist. Seine persönliche Auseinandersetzung mit dem Gegner im Osten wurde vor der Entscheidung abgebrochen. Und der Panther ist nicht der Mann, der sich mit Halbem zufriedengibt. Angesichts der amerikanischen Küste ist er fest entschlossen, das Angebot, in die Luftflotte der Vereinigten Staaten einzutreten, anzunehmen. Als er in Lakehurst landet, ist er wieder Soldat, Krieger, Kampfflieger!

Die Amerikaner halten sich nicht mit langen Vorreden auf. Schon am andern Tag wird ihm ein sehr ehrenvoller Vertrag vorgelegt, nach dem er unter vorläufiger Ernennung zum Oberst eine einflußreiche Führerstelle in der Luftflotte erhält. Es ist ein regelrechter Dienstvertrag mit Rechten und Pflichten, Kündigungstermin und dergleichen. Auf seine Frage, ob man von den Verdächtigungen wisse, um derentwillen er aus der russischen Armee ausgeschieden sei, wird ihm zur Antwort, man sei genau über ihn orientiert, er brauche sich keine Sorge zu machen.

Bars unterschreibt.

Und nun geht alles in einem tollen Tempo. Innerhalb vierundzwanzig Stunden ist er im Besitz von Uniformen, fabelhaften Ausrüstungsgegenständen aller Art, von einem Dutzend Einladungen einflußreicher Persönlichkeiten, von 94 Heiratsanträgen, von 37 Aufforderungen zum beschleunigten Eintritt in kirchliche Gemeinschaften und Sekten, von 23 Ehrenmitgliedschaften der verschiedensten Vereine, von 1384 Talismanen und Glücksbringern aller nur möglichen Art; kurz, er ist überschwemmt von amerikanischer Hemmungslosigkeit, Geschäftstüchtigkeit, Sentimentalität und Begeisterung.

Nach dem Empfang beim Präsidenten und ein paar bemerkenswert einfach gehaltenen Essen bei der unumgänglichen Prominenz begibt sich Bars, von Herren der Luftflotte und der Industrie begleitet, auf eine Besichtigungsreise durch die Staaten. Sie dient einer Einführung in die Armee und aller für den Fall einer Mobilmachung vorgesehenen Einrichtungen. In kurzer Zeit kommt der neue Oberst so ziemlich im ganzen Land herum. Bars sagt nicht viel bei diesem Rundflug, fragt nur da und dort, wo ihm die Brücken zum Verständnis besonders eigentümlicher Zustände und Einrichtungen fehlen, im übrigen beobachtet er genau, macht sich ein Bild von seinem neuen »Vertragspartner«. Seine Eindrücke könnte man in zwei Worte zusammenfassen: »Reichlich schwierig.«

Bars als Außenstehender sieht tiefer als mancher sehr kritische Amerikaner. Er läßt sich nicht blenden von großartigen, mit den neuesten Errungenschaften von Technik und Wissenschaft ausgestatteten Anlagen, von vielstelligen Zahlen und Maßen. Er sieht sofort, hier fehlt beinahe alle Kriegserfahrung, hier fehlt auch jegliche Soldatentradition, aber – was viel tiefgreifender ist – hier fehlt vor allem ein geschlossenes, von einem einheitlichen Willen beseeltes Volk. Manchmal fühlt er sich in Zeiten zurückversetzt, die das alte Europa zwischen 1910 und 1930 kennzeichneten, wenn er Zeuge von Ereignissen wird, wie sie sich zum Beispiel in einer Industriestadt abspielten, die man zur Besichtigung der dortigen Flugzeugwerft besuchte. Man war gerade gelandet, als die Nachricht von der japanischen Flottenaktion gegen die Philippinen eintraf. Auf den Inseln, die seit einer Reihe von Jahren selbständig sind, stehen bis zur völligen Einspielung der neuen Regierung noch geringe amerikanische Besatzungstruppen, verstärkt durch einige Kriegsschiffe und Flugzeugstaffeln.

Bei dem Vorstoß der Japaner sind in Manila Teile dieser Besatzungstruppen entwaffnet worden. Es hat Tote und Verwundete gegeben. Amerikanische Bürger sind verhaftet, ihr Eigentum beschlagnahmt worden. Die völlige Besitzergreifung der Inseln durch die Japaner steht zu erwarten.

Bars ist verblüfft über die Wirkung dieser doch gewiß äußerst alarmierenden Nachricht in dieser Industriestadt. Obwohl die Stadt im Augenblick von Extrablättern aller Zeitungen überschwemmt wird, die in großer Aufmachung den Vorfall schildern, findet der angekündigte Demonstrationszug der Arbeiterschaft, die eine zwanzigprozentige Lohnerhöhung fordert, unbekümmert statt. Vom Verwaltungsgebäude der Werft aus kann Bars den mit roten Fahnen und aufreizenden Plakaten übersäten Umzug sehen und wird Augenzeuge einer mit aller Erbitterung geführten Straßenschlacht zwischen den Arbeitern und der von Militär verstärkten Polizei. Zwei Straßen weiter kann ein Wahlredner in dicht gefülltem Saal ungehindert zum Klassenkampf auffordern, während im Stadtpark eine Sekte eine stark besuchte pazifistische Demonstration veranstaltet. Zu allem Überfluß streiken die Omnibus- und Taxichauffeure aus Sympathie für einen verurteilten Kommunisten. Nur die Offiziere besprechen mit Erbitterung die Nachricht, die – wenn es nach ihnen ginge – ein Grund zum Losschlagen sei.

Dieser Vorfall, der sich in ähnlichen Formen in anderen Städten des Ostens und des mittleren Westens wiederholt, scheint Bars typisch zu sein für die verhängnisvolle Lage, in der sich die Vereinigten Staaten befinden. Auf der einen Seite der Zersetzungsprozeß innerhalb der Bevölkerung mit allen seinen bekannten Erscheinungen; auf der andern Seite ein Drängen zum Krieg mit Japan, dem man unbedingt zuvorkommen will.

Die Seele dieses Riesenstaatsgebildes, dem die Entwicklungskämpfe der weißen Rasse trotz des anderen Bodens und einer anderen Sonne auch nicht geschenkt werden, in ihrer in vielen Farben schillernden Eigenart ganz zu erfassen, ist Bars nicht gegeben. Er sieht die Erscheinungsformen, soweit sie zutage treten, spürt die gefährliche Atmosphäre des Landes und zieht daraus seine Schlüsse. Der Professor hat recht gehabt: hier ist ein Arbeitsfeld, auf dem er wirken kann.

Sein neuer Wirkungskreis sind die Fliegerausbildungslager in Kalifornien. Neben der Schulung des Nachwuchses hat er in besonderen Kursen auch die übrigen Fliegerformationen von Armee und Marine mit seinen Kriegserfahrungen vertraut zu machen.

Bald fühlt er sich heimisch unter seinen neuen Kameraden. Die meisten sind große Kinder, begeisterungsfähige junge Leute, zwar mit einer etwas seltsamen Auffassung von Disziplin, aber willig und bildungsfähig. Der Oberst sucht seine »Wildwestreiter der Luft« nach europäischem Muster zu erziehen. Unermüdlich versucht er durch Kriegsspiele, die besonders markanten Episoden der Kämpfe in der Mongolei nachgebildet werden, seinen Leuten einen Begriff von der Wirklichkeit des Krieges zu geben. Der sonst so schweigsame Mann wird zum hinreißenden Erzähler, wenn er dem Drängen der jungen Leute nachgibt und die Luftkämpfe schildert. Die seltsamsten Fragen werden gestellt.

Dinge, die außerhalb von › gods own Country‹ liegen, sind den allermeisten ein Buch mit sieben Siegeln. In naiver Überheblichkeit glauben sie alle an das Märchen von der Ungeeignetheit der Japaner für den Fliegerberuf. Es ist für Bars oft nicht leicht, seinen Schülern Achtung vor dem Gegner beizubringen. Er duldet es niemals, daß von den Japanern als von gelben Affen gesprochen wird. Am schwierigsten ist seine Stellung der starken politischen Tätigkeit der Parteien gegenüber, deren Wühlarbeit in Heer und Flotte oft zu unerträglichen Zuständen führt. Doch genügt meistens seine Autorität, bei den jungen Leuten Ordnung zu halten.

Bei den älteren Fliegern, die teilweise an den Kämpfen auf Kuba oder bei der Unterdrückung von Unruhen in den Staaten teilgenommen haben, stößt er zunächst auf unerwarteten Widerstand. Von dem »Fremden« wollen sie sich nichts sagen lassen. Doch mit der unbeugsamen Energie des Panthers haben sie nicht gerechnet. Die gerade unter den älteren Fliegern besonders stark grassierende Rekordjägerei und scharfe politische Meinungsverschiedenheiten führen zu Unzuträglichkeiten, gegen die der Oberst mit allem Nachdruck einschreitet.

Bei Geschwaderübungen, die Bars vom Flugplatz aus beobachtet, ereignet es sich, daß ein Staffelführer einen Kameraden offensichtlich zu rammen versucht. Nur dem sehr geschickten Manöver des anderen gelingt es, den Zusammenstoß zu vermeiden. Bars, der die Hintergründe dieses unglaublichen Verhaltens kennt, ist empört.

Nachdem das Geschwader gelandet ist, nimmt er sich den Mann vor.

»Wenn Sie sich noch einmal unterstehen, Ihre Privatstreitigkeiten mit einem Kameraden während des Dienstes auszutragen – ich habe Ihre gemeine Absicht wohl bemerkt – dann lasse ich Sie ablösen. Mit Leuten Ihres Schlages bin ich sehr bald fertig!«

»Oho, was geht Sie denn das an, Oberst, Sie haben mir gar nichts zu sagen, Sie sind …«

Bars tritt mit funkelnden Augen ganz dicht an den Mann heran:

»Ich bin dafür verantwortlich, daß aus den Geschwadern ein unbedingt kriegstaugliches Instrument wird. Wenn jeder machen wollte, was er will, dann wären wir bald zu Ende. Ich dulde keinerlei Disziplinlosigkeit und werde gegen unkameradschaftliches Verhalten mit aller Schärfe einschreiten. Merken Sie sich das!« Bars dreht sich auf dem Absatz herum und läßt den Staffelführer stehen.

Wenn er geglaubt hat, damit die Sache erledigt zu haben, so wird er andern Tages eines Besseren belehrt. Er erfährt, daß es in diesem Lande besonders schwierig ist Soldat zu sein. Wenigstens, wenn man europäische Selbstverständlichkeiten hierher verpflanzen will.

Zum Inspekteur der Fliegertruppe gerufen, findet er dort eine Reihe von Geschwader- und Staffelführern vor. Die Atmosphäre im Raum ist eisig. Bars merkt sofort, hier ist gegen ihn intrigiert worden.

Nun beginnt eine Art Verhör, aus dem er entnimmt, daß man ihm Überschreitung seiner Befugnisse, Anmaßung einer ihm nicht zustehenden Befehlsgewalt und andere »Verbrechen« vorwirft.

»Wir haben Sie engagiert, Oberst, damit Sie Ihre Kriegserfahrungen unsern Leuten übermitteln. Sie sind zunächst lediglich als Instrukteur im Land, ich ersuche Sie, das nicht zu vergessen!«

Bars ist nicht der Mann, diesen Vorwurf so ohne weiteres hinzunehmen.

»General,« sagt er, »ich bin nicht als Schulmeister hierhergekommen. Fliegen lernt man nicht aus Büchern, sondern nur in der Luft. Wenn ich kriegstaugliche Flieger erziehen soll, dann muß ich mit ihnen fliegen. Nicht als Begleiter, sondern als Führer! Und als solcher verlange ich unbedingten Gehorsam! Mein weiteres Verbleiben bei der Armee muß ich von dieser Bedingung abhängig machen!«

Gewisse Kreise hätten es gerne gesehen, wenn der ihnen unbequeme neue Oberst kaltgestellt worden wäre. Aber die große Macht der öffentlichen Meinung, die in diesem merkwürdigen Lande schon so oft entscheidend gewesen ist, setzt sich auch im »Fall Bars« durch. Seine große Popularität – es hat sich geradezu ein Mythos um ihn gebildet – und die Sympathien, die er bei den Jungfliegern genießt, durchkreuzen alle gegen ihn gerichteten Machenschaften. Bars hat schließlich die Genugtuung, mit der von ihm verlangten Befehlsgewalt betraut zu werden, die es ihm ermöglicht, eine Reihe von vorzüglich durchgebildeten Geschwadern heranzubilden.

Wenn auch noch manches zu wünschen übrig bleibt – die verworrene politische Lage im Innern und manche wirtschaftlichen Schwierigkeiten verhindern doch immer wieder durchgreifende Maßnahmen – so hat der Oberst doch ein Instrument geschaffen, das der zu erwartenden Kriegserprobung standhalten kann.

Und daß dieser Krieg bald kommt, ist ohne Zweifel.

Hier in Kalifornien, an der Küste des Stillen Ozeans, auf dessen anderer Seite der Gegner lauert, ist man näher am Puls der Zeit. Der Wind, der über die See her kommt, trägt den Geruch von den Brandwolken Asiens herüber. Schon hier in Kalifornien ist ein Stück Asien. Eine nicht einzudämmende Unterströmung trägt Jahr um Jahr japanische Völkersaat ans Land. Trotz strengster Einwanderungsverbote, trotz hermetisch verschlossener Grenzen wächst immer noch die Zahl der Japaner. Fleißig, betriebsam, still und unheimlich sind die Gelben. Da machen sie einen neuen Laden auf, dort legen sie Gärtnereien an, hier an der Ecke sind neue Stiefelputzerstände von ihnen besetzt, und hier löschen neue Kolonnen die Fracht ihrer Dampferlinien. Überall trifft man auf die immer lächelnden, unergründlichen Asiaten. Schon längst bedeuten sie eine ungeheure Gefahr. Wenn man nur die amtlich bekannten Zahlen der hier lebenden Japaner liest, muß man sich sagen, daß sie eine Riesenarmee bilden, die im Rücken der Amerikaner steht. Wohl sind sie heute friedliche Händler, Landleute, Arbeiter und Handwerker, aber wer garantiert dafür, daß sie nicht über versteckte Waffen verfügen? Und wenn es auch keine Waffen aus Stahl sein sollten, die eine Waffe haben sie alle, die allergefährlichste, den rücksichtslosen Einsatz der Person im Dienst ihres Landes, ihrer Idee.

*

Bars sitzt mit einigen Staffelführern und ein paar Seeoffizieren des im Hafen liegenden Geschwaders auf dem Flugplatz eines Ausbildungslagers. Während er den Übungen einer Staffel zusieht, unterhält er sich. Man bespricht die Ereignisse in Asien.

»Sagen Sie mal, Oberst,« fragt der Flieger Ginnell, »Sie kennen doch die Verhältnisse da drüben genau, glauben Sie, daß China in absehbarer Zeit wieder auf die Beine kommt? Ich meine, ob sich das Land von der japanischen Beaufsichtigung ganz befreien wird?«

»Ich kenne die Chinesen zu wenig,« antwortet Bars, »um Prognosen stellen zu können. Aber ich glaube, Sie verkennen die Lage in Asien. Ob China sich geeinigt aufraffen wird und die Bevormundung abschütteln kann, wird ohne Einfluß auf die Weltereignisse sein.«

»Und warum das?«

»Weil China ein wesentlicher Teil Asiens ist.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Weil ganz Asien gegen uns aufgestanden ist. Wie sich auch der Gegensatz China-Japan weiter entwickeln wird – das Reich der Mitte wird immer unser Gegner sein. Heute führt Japan, vielleicht wird es einmal von China abgelöst, – – wer kann es wissen. Jedenfalls sollte man keine Hoffnungen auf die Chinesen setzen.«

»Sie meinen also, Oberst, daß es keinen Vorteil verspricht, wenn wir etwa China unterstützen, es gegen Japan ausspielen.«

»Nein, das sind – nehmen Sie mir's nicht übel – Gedankengänge von vorgestern. Der altbewährte Trick, ein fremdes Land gegen ein anderes auszuspielen, ist heute ein untaugliches Mittel der Politik geworden.«

»Ja, aber Sie müssen doch zugeben,« wendet ein anderer ein, »daß wir nicht untätig zusehen können, wie ein ganzer Erdteil von einem einzigen Staat, von Japan, beherrscht wird, und wir alle vor die Tür gesetzt werden.«

»Darf ich mal,« sagt Bars mit einem feinen Lächeln, »den sehr guten Vergleich mit der Tür weiter ausspinnen? – – Da ist jemand in ein Haus eingedrungen, dessen Bewohner schlafen, und hat sich darin breit gemacht. Nach einiger Zeit wacht einer der Hausbewohner auf und versucht die Eindringlinge hinauszuwerfen. Um das beschleunigt und energisch durchführen zu können, nimmt er die anderen noch Schlaftrunkenen zu Hilfe. Was nicht ohne Widerspruch geschieht. Aber ein Versuch der Eindringlinge, einige von diesen für sich zu gewinnen, um so dem Hinauswurf zu entgehen, mißlingt, da alle ihr Haus von den Fremden säubern wollen. In geschlossener Front setzen sie die Eindringlinge vor die Tür. – – Damit haben Sie ein Gleichnis für das Geschehen in Asien. Und noch mehr: Sie haben damit auch den Schlüssel zum Verständnis für die grundsätzliche Entwicklung der Völker überhaupt. Europa ist auch so ein Haus, nur daß die Bewohner niemand hinauszuwerfen haben. Im Gegenteil, sie sind in das asiatische Haus eingedrungen, aus dem sie jetzt hinausgeworfen werden. Bei ihrem Rückzug müssen sie sich ihrerseits nun vor einem Eindringen der Asiaten in ihr Haus schützen. Ähnlich liegt es mit Amerika. In jedem dieser Häuser ist ein Führer aufgestanden, der die Mitbewohner zu tatkräftigem Handeln zusammenfaßt. Oder mit anderen Worten: bisher haben einzelne Staaten Politik gemacht, heute machen Kontinente Politik.«

Nach einer kleinen Pause, in der jeder seinen Gedanken nachhängt, meint Kapitän Tompson: »Um wieder auf China zu kommen – ich kenne diese Herrschaften. Ja, von uns wollen sie nichts wissen, da hat der Oberst schon recht, aber Waffen, Geld, Maschinen, die nehmen sie von uns. Und sie werden sie einmal genau so gegen alle Weißen verwenden, wie es die Japaner gemacht haben.«

»Na, ich weiß nicht,« läßt sich ein anderer der Seeoffiziere vernehmen, »diese absolute Einigkeit kann ich mir nicht vorstellen. Es ist doch immer so, wenn zwei sich streiten, lacht der dritte. Ich wollte doch wetten, daß die Chinesen bei einem Krieg zwischen Japan und uns die Gelegenheit wahrnehmen und ihren Vettern das alles wieder abnehmen würden, was sie an sie verloren haben.«

»Na, wir werden ja sehen,« erklärt Tompson, »von mir aus könnte der Rummel gleich losgehen. Wozu sitzen wir denn hier? Wenn wir noch länger warten, machen die Japaner tatsächlich Frieden mit Rußland und unsere schöne Chance ist hin.«

Bars weiß aus Erfahrung, daß jetzt das Gespräch auf Rußland übergeht, und das möchte er gern vermeiden. Er erhebt sich, um mit dem Führer der Staffel zu sprechen, die inzwischen gelandet ist.

Die andern bleiben noch sitzen, sehen schweigend auf das Meer hinaus. Da liegen die Linienschiffe und Kreuzer still an ihren Bojen, eine lange Reihe grauer schlafender Riesen. Davor an der Pier sind die Zerstörerflottillen und ein Teil der U-Boote. Weiter links, von den Felsen halb verdeckt, stehen die Minenschiffe und die Schnellboote.

Ein Beiboot löst sich vom Flaggschiff, strebt dem Lande zu. Kapitän Tompson, der einen besonders feinen Riecher hat, meint zu seinen Kameraden: »Sollte mich nicht wundern, wenn das uns gilt. Was der Admiral da wohl wieder ausgeheckt hat?«

Es dauert auch gar nicht lange, bis eine Ordonnanz über den Platz herüber kommt und dem Kapitän ein Schreiben überbringt, das die Offiziere auf das Flaggschiff befiehlt.

Zur selben Zeit wird Bars an den Fernsprecher gerufen. Fünf Minuten später saust er in seinem schweren Wagen die Serpentinen zu seinem auf der Höhe gelegenen Hause hinauf. Der Wagen dreht sofort um und bleibt mit laufendem Motor abfahrbereit stehen.

»Jonny,« meint der Chauffeur Boyle zum Beifahrer, »da ist was nicht in Ordnung, daß es der Oberst auf einmal so eilig hat.«

»Ja, sonst ist er doch nicht so; hast du eine Ahnung, was los ist?«

»Nein, mein Junge, aber Ted Boyle ist nicht auf den Kopf gefallen, ich denke, daß es losgeht.«

»Was soll losgehen?«

»Dummkopf, Krieg natürlich.«

» Damned,« knirscht Jonny. Er ist seit vierzehn Tagen verheiratet, der Gedanke an Krieg ist ihm wenig sympathisch. Bevor er noch weitere Fragen stellen kann, ist der Oberst schon wieder da.

»Zum Geschwader!«

Boyle wirft Jonny einen kurzen Blick zu, fährt los. Wenn der Chef zum Geschwader fährt, so ist es für den Chauffeur ausgemachte Sache, daß es wirklich losgeht.

Dieses Geschwader, das aus Kampfflugzeugen, Aufklärungs- und Bombenmaschinen besteht, liegt jenseits der Stadt in einer geschützten Bucht. Die neuesten Flugboote der Marine sind dabei; vom selben Typ wie die in Hawaii. Das Geschwader ist erst vor vier Wochen hier stationiert worden, nachdem es den vielbesprochenen Dreiecksflug Seattle–Daku–S. Diego ohne Zwischenlandung durchgeführt hatte.

In der Bucht angekommen, meldet sich Bars sofort beim Kommandanten. Seinen Wagen schickt er zurück.

Obwohl an diesem Tage die Zeitungen und der Radio außer den gewohnten Krawallen in den Industriestädten nichts Außergewöhnliches berichten, laufen auf einmal die tollsten Gerüchte durch die Stadt. Obwohl also nichts Bestimmtes vorliegt, niemand etwas Tatsächliches weiß, scheint doch etwas in der Luft zu liegen.

Da nun in diesen Zeiten drohender Kriegsgefahr und besonders hierzulande auf Grund unkontrollierbarer Gerüchte der Schritt zum eigenmächtigen Handeln nur klein ist, geschieht es also, daß in den Abendstunden aufgeregte Volksmassen japanische Läden zu plündern beginnen. Wer die Parole dazu gegeben hat, ist natürlich nicht zu ermitteln. Als Polizei und Militär eingreifen, ist es schon zu spät. In verschiedenen Stadtvierteln brennen Läden und Verkaufsbuden lichterloh. Aber nur ein einziger der schlitzäugigen Inhaber liegt klein und unscheinbar in seinem Blut zwischen den rauchenden Trümmern. Nicht etwa, weil man die andern mit Handschuhen angefaßt hätte, nein, nur deswegen, weil man keinen anderen gefunden hat. Sie waren spurlos verschwunden. Kein Mensch weiß, wo sie geblieben sind.

In der Nacht startet ohne jedes Aufsehen das Geschwader.

Als die Stadtbewohner am andern Morgen erwachen, sind auch die Bojen der Kriegsschiffe leer. Nur zwei ältere Linienschiffe und die Minensucher sind noch da. Hafen und Bucht sind verödet.

Dafür kleben an allen Straßenecken und Plakattafeln strenge Verordnungen für die Bevölkerung. Patrouillen mit aufgepflanztem Seitengewehr durchziehen die Stadt. Aber in den Zeitungen steht immer noch nichts.

Bis ein paar Tage später plötzlich die Kunde über den Erdball fliegt: Krieg zwischen Japan und den Vereinigten Staaten von Amerika! –


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