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Der Friedhof
Die Szene und die Personen des ersten Bildes
*
Heydner sitzt regungslos auf seinem Platz, und es ist, als ob er in Weites, Fernes, Unwirkliches blickte.
Einige Augenblicke völlige Stille.
Von beiden Seiten der Bühne erscheint der geisterhafte Zug der Auferstandenen, die lautlos wieder in das Massengrab zurückkehren.
Dann erscheinen unter Führung von Mazas und Vernier die von rechts rückwärts zurückkehrenden Ausflugsteilnehmer.
Auch die Gärtner kommen wieder und errichten im Hintergrund, in beträchtlicher Höhe, eine tannenreisiggeschmückte Tafel mit der Aufschrift »1914–1939«.
Henkel: Na Fritzchen, hast du dich auch ordentlich umgesehn?
Fritzchen: Gewiß, Vater.
Henkel: Hast du auch was zugelernt?
Fritzchen (gedehnt): Gelernt, Vater?
Henkel: Donnerwetter, Junge, bist doch nicht bloß zu deinem Vergnügen hergekommen?
Fritzchen: Nicht, Vater?
Henkel (geärgert): Natürlich nicht, dummer Junge! Sollst bei allem was fürs Leben lernen! Überall kann 'n rechter Kerl was fürs Leben lernen. Hab ich recht, Mutter?
Frau Henkel: Immer hast du recht, Vater.
Fritzchen: Vater, was konnte man denn hier fürs Leben lernen ?
Henkel: Was –? Das kannst du noch fragen? Und du willst 'n deutscher Junge sein? Was ein Heldengrab ist, konntest du hier lernen. Verstanden?
Fritzchen: Jawohl, Vater.
Henkel: Hast du dir überhaupt gemerkt, was ich dich auf der Herfahrt gelehrt habe? He? Was für ein Tod ist denn der Soldatentod?
Fritzchen (furchtsam): Der Soldatentod heißt . . . Der Soldatentod ist . . . Der Soldatentod . . . Der Soldatentod . . .
Henkel: Na? Wirds bald, zum Henker?
Frau Henkel (flüstert Fritzchen die Antwort ins Ohr).
Fritzchen (strahlend): Der Soldatentod ist der schönste Tod, Vater.
Henkel (besänftigt): Na also. Es dauert immer eine Weile bei dir, aber schließlich spuckst dus ja doch irgendwie raus.
Fritzchen: Jawohl, Vater.
Henkel: Und wie muß man ihn sterben, den Soldatentod?
Fritzchen: Man muß ihn . . . Man darf ihn . . . Man soll ihn . . . Man kann ihn . . . Ah! Ich weiß es wieder, Vater! Freudig muß man ihn sterben!
Henkel: Na also! So was merkt man sich doch! Wie willst dus denn sonst wissen, wenn dus einmal brauchst? Hab ich recht, Mutter?
Frau Henkel: Immer hast du recht, Vater.
Henkel (und seine Familie gehen weiter).
Alle Teilnehmer des Ausfluges sind herangekommen und haben sich – wie bei Beginn – um Vernier geschart.
Vernier: Damit, ladies and gentlemen, wäre die Besichtigung des Friedhofes beendet. Was es hier an Sehenswertem gibt, haben Sie gesehen . . . Wer von Ihnen Ansichtskarten zu kaufen wünscht, erhält sie in der Verkaufsbude gegenüber dem Eingang. Einfache Karten zu zehn Centimes, kolorierte zu fünfzehn . . . Auch sonstige Souvenirs sind dort erhältlich: Granatsplitter, ausgeschossene Maschinengewehrpatronen, Bajonette, Stahlhelme, durch garantiert echte Kopfschüsse deformiert . . .
Von draußen mehrmaliges kräftiges Hupensignal.
Mazas (blickt auf seine Uhr): Oh lala! Es ist Zeit, nach Paris zurückzufahren, wenn die Damen und Herren noch zum Theater zurechtkommen wollen . . .! Ich erlaube mir übrigens schon jetzt darauf aufmerksam zu machen, daß nach Theaterschluß bei unseren Rundfahrten »Paris bei Nacht« heute auch der Besuch der Heldentotenmessen in einigen Kirchen vorgesehen ist. Die Kirchen werden schwarz drapiert sein, alle Kerzen werden brennen, die Geistlichkeit erscheint in großem Ornat . . . Eine außerordentliche Sehenswürdigkeit, meine Damen und Herren, eine außergewöhnliche Sehenswürdigkeit . . .
Jackson: Stop, Mann. Wie groß ist der Preisaufschlag?
Mazas: Zehn Francs für Erwachsene, fünf Francs für Kinder.
Jackson: In Belgien würde das die Hälfte kosten, Mann!
Greeley: Sicherlich nicht mehr als die Hälfte. Das ist gewiß.
Viele: Aber es ist interessant! Das machen wir! Das machen wir!
Sharpe: Wo erhält man die Ticketts?
Mazas: Im Wagen, ladies and gentlemen. Im Wagen. (Die Hupe ruft dringender.)
Vernier (stellt sich links vorne derart auf, daß alle an ihm vorüber müssen): Meine Damen und Herren! Ich gestatte mir zu bemerken, daß ich ausschließlich von dem lebe, was ich mir als Fremdenführer verdiene . . . Ich nehme Geld in jeder Währung an, meine Damen und Herren . . . I take every kind of money, ladies and gentlemen . . . (Er zieht sein Käppi und sagt, sich dazu verneigend, noch ehe sich ihm Leute genähert haben, unablässig:) Merci, Messieurs, 'dames, merci beaucoup . . . Thank you, Madame, thank you very much, Sir . . . Vielen Dank, meine Dame, vielen Dank, mein Herr . . . Vielen Dank . . . Vielen Dank . . .
Die Ausflügler gehen langsam ab, jeder wirft eine Münze in Verniers Käppi.
Heydner (ist längst in die Wirklichkeit zurückgekehrt. – Er hat sich erhoben und folgt den andern als letzter. Einen Augenblick bleibt er vor Vernier stehen und betrachtet ihn stumm. Dann legt auch er Geld in dessen Käppi): Wir haben uns alle sehr verändert seit – – damals . . . (Pause.) Leben Sie wohl, Sergeant. (Ab.)
Vernier (hat sich aufgerichtet, starrt mit offenem Mund Heydner nach. Sein Käppi ist ihm entglitten, das Geld auf den Boden gerollt. Nach einer Weile leise, heiser): »Seit – – damals . . .!« »Sergeant« . . . Er hat zu mir »Sergeant« . . . Er kennt mich von – damals her . . .!! Aber auch ich . . . auch ich hab den schon einmal gesehn!! (Pause; dann in jähem Erkennen, mit Bewegung, leise:) Der – – – Deutsche!! Es war der Deutsche . . .!!! (Er starrt ihm nach.)
Die Bühne schließt sich.