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Das zwölfte Kapitel
Moderne Sklaven

NUN habe ich aber das Frauenwahlrecht nur deshalb als Beispiel gewählt, weil es ein leicht faßbarer und konkreter Begriff ist. Politisch ist es jedoch für mich von keiner großen Bedeutung. Ich kann mir ganz gut vorstellen, daß jemand im wesentlichen mit meiner Ansicht übereinstimmt, die Frau sei im engeren Wirkungskreis die »Universalistin und Autokratin«, und dennoch glaubt, ein Wahlzettel würde daran nichts verderben. Die eigentliche Frage ist: wird das alte Idealbild »Die Frau als große Dilettantin« anerkannt oder nicht! Es gibt viele andere moderne Dinge, die dieses Ideal weit mehr gefährden als das Wahlrecht; vor allem die Tatsache, daß die Zahl der sich selbst erhaltenden Frauen, in allen Berufen, auch in den härtesten und schmutzigsten, fortwährend zunimmt. Und wenn die Vorstellung von einer Horde wilder Weiber, die die Welt regieren, uns irgendwie unnatürlich erscheinen mag, so ist die Vorstellung von einer Herde zahmer Frauen, die regiert werden, gewiß völlig unerträglich. Rein menschlich empfinden wir oft gerade dieses Moment als besonders schmerzlich und unwürdig.

Das häßliche Einerlei des Geschäftslebens, die Glocken und Uhren, die bestimmten Stunden und die kahlen Zimmer, das ist alles nur für den Mann gedacht, der in der Regel nur ein einziges Ding tun kann und nur mit der größten Schwierigkeit dazu gebracht wird, es zu tun. Wenn nicht jeder Angestellte versuchen würde, von seiner Arbeit etwas wegzuschwindeln, so bräche unser ganzes großes Kommerzsystem zusammen. Und tat sächlich bricht es unter dem Andrange der hereinströmenden Frauen zusammen, die den noch nie versuchten und ungangbaren Weg eingeschlagen haben, dieses System ernst zu nehmen und ihre Arbeit möglichst gut zu machen. Gerade die Leistungsfähigkeit der Frau macht sie zur Sklavin. Es ist gewöhnlich ein sehr schlechtes Zeichen, wenn einem der Chef zu sehr vertraut. Und wenn unsere etwas unverläßlichen Angestellten ein wenig an Spitzbuben erinnern, so sehen die emsigen Damen oft richtigen Betrügerinnen sehr ähnlich. Aber das Wichtigste ist, daß die heutige Berufsfrau eine doppelte Last zu tragen hat; denn sie erduldet gleichzeitig die stumpfe Langeweile der neuen Amtlichkeit und die kleinlichen Gewissensqualen der alten Häuslichkeit. Wenige Menschen verstehen, was eigentlich Gewissenhaftigkeit ist. Sie denken meist an Pflichterfüllung, aber nur in bezug auf eine einzige Pflicht. Gewissenhaftigkeit ist aber die Pflichterfüllung der »Universalistin«. Diese Pflicht ist nicht durch irgend eine Wochen- oder Feiertagsordnung beschränkt, sondern ist gesetzlose, grenzenlose verzehrende Anständigkeit. Wenn es schon unbedingt notwendig sein sollte, die Frauen dem dumpfen Zwange einer Geschäftsordnung zu unterwerfen, so müßten wir wenigstens einen Ausweg finden, sie von dem triebhaften Zwang ihres Gewissens zu befreien. Aber ich glaube, da wird es noch leichter sein, bei der Gewissenhaftigkeit zu bleiben und auf das Geschäft zu verzichten. Heutzutage steht die Sache so, daß unsere Beamtinnen und Kontoristinnen sich tagsüber damit plagen, irgend etwas im Hauptbuch in Ordnung zu bringen und dann nach Hause gehen, um dort einfach alles in Ordnung zu bringen.

Dieser Zustand (von manchen als Emanzipation beschrieben) ist zumindest das Gegenteil von meinem Ideal. Ich möchte der Frau nicht mehr Rechte, aber mehr Privilegien geben. Statt sie auf die Suche nach solchen Freiheiten zu schicken, die erwiesenerma1 in Banken und Fabriken zu finden sind, möchte ich lieber ein Haus schaffen, darin sie tatsächlich frei sein kann. Und damit kommen wir zum eigentlichen Kern der Sache; nämlich zu dem Punkte, der uns alles klar erkennen läßt: Die Bedürfnisse der Frauen und die Rechte der Männer, stets gehemmt und unterdrückt durch Dinge, die dieses Buch zeigen soll.

Der Feminist (das ist, glaub' ich, einer, der die wichtigsten und gerade die charakteristischsten weiblichen Eigenschaften mißbilligt) hat meinen weitschweifigen Monolog angehört und ist beinahe an einem lang zurückgehaltenen Einwand erstickt. Jetzt wird er herausplatzen: »Aber was sollen wir denn schließlich machen? Das moderne Geschäftssystem mit seinen Beamten ist nun einmal da; die moderne Familie mit ihren unverheirateten Töchtern ist nun einmal da; überall werden Spezialkenntnisse gefordert; weibliche Sparsamkeit und Gewissenhaftigkeit gesucht und angeboten. Was tut's, ob uns, rein theoretisch, die einfache und gute Hausfrau von ehedem lieber wäre? Wir könnten uns ebensogut den Garten Eden wünschen. Aber seitdem die Frauen ein Gewerbe haben, müssen sie auch Gewerkschaften haben. Seitdem Frauen in Fabriken arbeiten, müssen sie über Fabrikgesetze abstimmen können. Wenn sie unverheiratet sind, müssen sie einen Beruf haben.

Wenn sie einen Beruf haben, müssen sie an der Politik teilnehmen. Wir müssen neue Gesetze für eine neue Welt haben – selbst wenn es keine bessere sein sollte!«

Ich sagte einmal einem Feministen: »Es ist nicht die Frage, ob die Frauen für das Wahlrecht gut genug sind, sondern ob das Wahlrecht für die Frauen gut genug ist.« Er antwortete aber nur:»Ah, versuchen Sie einmal, das einer Frau zu sagen, die in Cradley-Heath Ketten macht.«Und das ist eben der Standpunkt, den ich anfechte. Es ist die ungeheure Ketzerei des »Vorhergegangenen«. Es ist die Ansicht, daß, weil wir in den Schmutz geraten sind, wir noch schmutziger werden müßten, um dazu zu passen; weil wir vor einiger Zeit eine falsche Richtung eingeschlagen haben, weitergehen müßten, statt kehren; weil wir den Weg verloren haben, auch noch die Karte verlieren müßten; und weil wir unser Ideal verfehlt haben, es auch noch vergessen müßten. Es gibt gewiß viele vortreffliche Menschen, die das Wahlrecht nicht unweiblich finden; und es mag sogar Leute geben, die für unseren schönen, modernen Industrialismus schwärmen und selbst Fabrikarbeit nicht unweiblich finden. Aber wenn diese Dinge unweiblich sind, dann antwortet mir nicht, daß eins zum an deren paßt. Ich kann mich mit der Feststellung nicht zufrieden geben, daß meine Tochter unweibliche Rechte haben soll, weil sie unweibliche Pflichten ertragen muß. Industrieller Ruß und politische Druckerschwärze sind zwei Schwarz, die niemals ein Weiß ergeben werden. Die meisten Feministen werden wahrscheinlich mit mir darin übereinstimmen, daß das Frauentum in den Läden und Fabriken unter beschämender Tyrannei leidet. Nur will ich die Tyrannei zerstören und sie das Frauentum. Das ist der einzige Unterschied.

Ob wir jemals das klare Bild der Frau wiederherstellen können, einen Turm mit vielen Fenstern; das Ewig-Weibliche, daraus ihre Söhne, die Spezialisten, erstehen; ob wir die Tradition eines Grunddinges erhalten können, das noch menschlicher als Demokratie und noch praktischer als Politik ist; ob es, mit einem Worte, möglich ist, die Familie wiederherzustellen, befreit von dem filzigen Zynismus und der Grausamkeit unserer kommerziellen Epoche – das will ich im letzten Teil dieses Buches zeigen. Aber einstweilen sprecht wir nicht von den armen Kettenmacherinnen in Cradley-Heath! Ich weiß genau, was sie sind und was sie tun. Sie sind in einer sehr weitverbreiteten und blühenden Industrie der Gegenwart beschäftigt: Sie machen Ketten.


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