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Das dritte Kapitel
Der Traum der Gemeinschaft

DIESE männliche Liebe einer offenen und ebenbürtigen Kameradschaft ist das Leben aller Demokratie, aller Versuche, mittels Debatte zu regieren; ohne sie wäre die Republik eine leere Formel. Selbst unter den gegebenen Umständen aber weicht der Geist der Demokratie natürlich häufig von der Regel ab, und ein Bierhaus ist oft eine zuverlässigere Probe als das Parlament. Demokratie im rein menschlichen Sinne ist nicht Entscheidung durch Majorität; nicht einmal Entscheidung durch jedermann. Am ehesten könnte man sie definieren als Entscheidung durch irgend jemand. Ich meine, sie beruht auf jener Klubgewohnheit, jeden völlig fremden Menschen als gesellschaftsfähig anzuerkennen, und als selbstverständlich vorauszusetzen, daß wir gewisse Dinge unzweifelhaft mit ihm gemein haben. Nur jene Bräuche, von denen man voraussetzen kann, daß jeder beliebige sie hält, besitzen die volle Autorität der Demokratie. Beobachtet nur einmal den erstbesten Menschen, der vorübergeht, wenn ihr aus dem Fenster schaut! Die Liberalen mögen sich in überwältigender Majorität über unser heutiges England verbreitet haben, so werdet ihr doch gewiß keinen Knopf dafür einsetzen, daß dieser Mann gerade ein Liberaler sei. Die Bibel mag in allen Schulen gelesen und bei allen Gerichtshöfen respektiert werden, so werdet ihr doch keinen Strohhalm wetten, daß er gerade an die Bibel glaube. Aber ihr würdet, sagen wir, um eueren Monatsgehalt wetten, daß er ans Kleidertragen glaube. Ihr würdet wetten, daß er glaubt, körperlicher Mut sei eine schöne Sache, oder Eltern hätten Autorität über ihre Kinder. Natürlich könnte er der millionste Mann sein, der an diese Dinge nicht glaubt; wenn man es so nimmt, könnte er auch die »bärtige Dame« sein, als Mann verkleidet. Aber diese Wunderdinge sind etwas ganz anderes als irgendeine bloße Zahlenberechnung. Leute von solchen Ansichten sind nicht eine Minorität, sondern eine Monstrosität: Aber auf diese universellen Dogmen, welche die volle demokratische Autorität für sich haben, gibt es nur eine Probe – die Probe, die man durch »irgendeinen« machen kann. Das, was ihr von jedem beliebigen neuen Ankömmling in einer Schenke hieltet, das ist das wahre englische Gesetz. Der erstbeste Vorüber gehende, den ihr vom Fenster aus seht, der ist der König von England.

Der Verfall der Schenken, der nur ein Teil des allgemeinen Verfalls der Demokratie ist, hat zweifellos das männliche Gleichheitsgefühl geschwächt. Ich erinnere mich, daß in einer Sozialistenversammlung alle buchstäblich lachten, als ich ihnen sagte, daß es in der ganzen Poesie keine edleren Worte gäbe als »gemeinsame Wirtsstube«.

Sie glaubten, es wäre ein Scherz. Warum gerade sie, die doch alle Stuben zu gemeinsamen machen wollen, es für einen Scherz hielten, begreife ich nicht. Aber wollte einer die wirkliche, pöbelhafte Gleichmacherei sehen, die (für Männer wenigstens) notwendig ist, so kann er sie, so gut wie nur irgendwo, in den großen alten Wirtshausdisputen finden, die uns in Büchern, wie Boswell's Johnson, überliefert worden sind. Es ist der Mühe wert, diesen einen Namen besonders zu erwähnen, weil die moderne Welt in ihrer Angekränkeltheit ihm seltsam unrecht getan hat. Johnsons Betragen war, sagte man, »rauh und despotisch«. Es war gelegentlich rauh, aber niemals war es despotisch. Johnson war nicht im allermindesten ein Despot; Johnson war ein Demagog; er schrie gegen eine schreiende Menge. Eben die Tatsache, daß er mit anderen Leuten zankte, ist ein Beweis dafür, daß andere Leute mit ihm zanken durften. Sogar seine Brutalität war auf der Idee eines Ringens unter Gleichberechtigten aufgebaut, wie das Fußball spiel. Und es ist wörtlich währ: er schrie und schlug auf den Tisch, weil er ein bescheidener Mann war. Er hatte ehrlich Angst, überwältigt oder sogar übersehen zu werden. Addison hatte auserlesene Manieren und war der König seiner Gesellschaft. Er war gegen jedermann höflich, aber jedermann überlegen; deshalb wurde er in den unsterblichen Spottversen Pope's verewigt:

»Like Cato give his little Senate laws And sit attentive to his own applause.«

Johnson, weit entfernt davon, König seiner Gesellschaft zu sein, war eine Art irisches Mitglied in seinem eigenen Parlament. Addison war ein höflicher Vorgesetzter und wurde gehaßt. Johnson war ein unverschämter Gleichgestellter und wurde daher von allen, die ihn kannten, geliebt und uns in einem herrlichen Buche überliefert, das ein wahres Wunder an Liebe ist.

Diese Lehre der Gleichheit ist das Wesen der Konversation; so viel wird wohl von jedermann, der weiß, was Konversation ist, zugegeben werden. Der berühmteste Mann der Welt, sitzt er erst ein mal am Wirtstisch und disputiert, wäre gerne dunkel und unbekannt, damit seine blitzenden Bemerkungen wie Sterne auf dem Hintergrunde seiner Dunkelheit leuchten mögen. Nichts kann einem Menschen, der wert ist, ein Mann genannt zu werden, kälter oder freudloser vorkommen, als König seiner Gesellschaft zu sein. Aber man könnte einwenden, daß es bei männlichem Sport und Spiel anderer Art als das große Spiel der Debatte, ausgesprochenen Wetteifer und Sieg gibt. Ja, Wetteifer gibt es, aber das ist nur eine feurige Form der Gleichheit. Spiele sind ein Wetteifern, weil dies die einzige Möglichkeit ist, sie aufregend zu gestalten. Aber sollte jemand daran zweifeln, daß die Menschen immer wieder zum Gleichheitsideal zurückkehren müssen, so genügt wohl die Antwort, daß es so etwas wie ein »Handikap« gebe. Fänden die Menschen an bloßer Überlegenheit Ge fallen, so würden sie sich wohl bemühen, zu sehen, wie weit solche Überlegenheit gehen kann; es gefiele ihnen, wenn ein starker Renner meilenweit vor den übrigen hereinkäme. Aber die Leute lieben nicht den Triumph eines Überlegenen, sondern den Kampf von Ebenbürtigen; und deshalb führen sie sogar in ihre Konkurrenzspiele eine künstliche Ebenbürtigkeit ein. Es ist jedoch traurig, daran zu denken, wie wenige von den Leuten, die unsere Sporthandikaps veranstalten, sich wahrscheinlich darüber klar werden, daß sie theoretische und sogar strenge Republikaner seien.

Nein, der wirkliche Einwand gegen Gleichheit und Selbstregierung hat mit diesen freien und festlichen Erscheinungen der Menschheit nichts zu tun; alle Menschen sind Demokraten, wenn sie glücklich sind. Der philosophische Gegner der Demokratie würde das Wesentliche seines Standpunktes darin zusammenfassen, daß sie »nicht recht arbeiten wird«. Ehe ich fortfahre, will ich im Vorbeigehen feststellen, daß ich gegen die Annahme, Arbeit sei der einzige Maßstab für die Menschheit, protestiere. Der Himmel arbeitet nicht, er spielt. Die Menschen sind am meisten sie selbst, wenn sie frei sind; und wenn ich finde, daß die Menschen in ihrer Arbeit Snobs sind, Demokraten aber an ihren Feiertagen, dann nehme ich mir die Freiheit, an ihre Feiertage zu glauben. Aber diese Frage der Arbeit ist es, die eigentlich die Frage der Gleichheit verwirrt, und gerade des halb müssen wir uns damit beschäftigen. Viel leicht könnte man das Richtige am treffendsten so ausdrücken, daß die Demokratie einen wirklichen Feind hat, und das ist die Zivilisation. Jene utilarischen Wunder, die die Wissenschaft schuf, sind antidemokratisch; nicht so sehr in ihrer Verzerrung oder gar in ihrem praktischen Ergebnis, als in ihrer ursprünglichen Gestalt und in ihrem Zweck. Die Empörer, die im Weberaufstand die Maschinen zertrümmerten, hatten recht; nicht mit der Annahme, daß die Maschine vielleicht die Zahl der Arbeiter, sicherlich aber, daß sie die Zahl der Meister verringern würde. Mehr Räder heißt weniger Handgriffe; weniger Handgriffe weniger Hände. Die Maschinerie der Wissenschaft muß individualistisch und isoliert sein. Eine Menschen masse kann rings um einen Palast schreien; aber eine Menschenmasse kann ein Telephon nicht niederschreien. Der »Spezialist« tritt auf, und die Demokratie ist mit einem Schlage halb vernichtet.


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