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»Ha«, sprach der Ritter, »Herr, nichts mehr dergleichen!
Was ihr gesagt, scheint völlig hinzureichen
Und mehr als das; denn mich bedünket fast:
Für Viele reicht schon eine kleine Last.
Mich selbst kann nichts mehr quälen und empören
Als eines Mannes jähen Sturz zu hören,
Der erst im Wohlstand lebte, hoch beglückt.
Wogegen ich erfreut bin und entzückt,
[14,780]
Wenn Einer, der im niedern Stand gelebt,
Emporklimmt und zum Glücke sich erhebt,
Und dann verharrt in Wohlstand und Gedeihn.
Das scheint mir ein gar fröhlich Ding zu sein;
Das wäre zu erzählen schön und recht.«
»Bei Paulus' Glocke«, rief der Wirth, »ihr sprecht
Ganz wahr. Der Mönch stieß laut in die Posaune,
Wie daß, ich weiß nicht recht, Fortuna's Laune
Bewölkt sei. Von Tragödien hörtet ihr
So eben auch.
Pardy, nichts nützt es mir
[14,790]
Noch Andern, wenn ich jammre und beklage,
Was doch geschehn ist. Auch ist's eine Plage,
Wie ihr bemerkt, hört man von Noth und Pein.
Nein, segn' euch Gott, Herr Mönch, laßt jetzt das sein,
Da eure Red' uns Alle hier beschwert.
Solch Salm ist keinen Buttervogel werth.
Nichts ist darin von Späßen und von Scherzen.
Darum, Herr Mönch, bitt' ich euch recht von Herzen
(Dan Peter heißt ihr, nicht?), erzählt uns heute
'Was Andres. Sicher, wenn nicht das Geläute
[14,800]
Von euerm Schellenzaum mich munter machte,
– Bei Gott, der sich für uns zum Opfer brachte –
Schlaftrunken wär' ich sicher längst zuvor
Vom Roß gefallen in den tiefsten Moor.
Umsonst dann wäre, was ihr vorgetragen.
Denn in der That, wie die Gelehrten sagen,
Wenn's an Zuhörern einem Mann gebricht,
So hilft's nicht, daß er seine Meinung spricht.
Und dann muß ich die Sache in mir tragen,
Wenn Andern auch mein Vortrag soll behagen.
[14,810]
Herr, bitte, gebt von Waidwerk uns Bericht.«
»Nein«, sprach der Mönch, »Spaß treiben mag ich nicht.
Ich hab' erzählt. Laßt Andern nun das Wort.«
Mit kecker, roher Rede fiel sofort
Der Wirth den Nonnenpriester also an:
»Komm her, du Priester, komm, mein Herr Johann,
Hab' Acht, daß du uns Herzensspaß bereitest.
Sei froh, wenn gleich du eine Kracke reitest.
Ist dürr dein Roß auch und sieht's scheußlich aus,
Wenn's seinen Dienst thut, mach dir gar nichts draus,
[14,820]
Halt nur dein Herz vergnügt zu allen Zeiten.«
»Ja, Wirth«, sprach er, »so wahr ich stets mag reiten!
Wohl unrecht wär's, wenn ich nicht fröhlich wäre.«
Und an das Wort knüpft gleich er seine Märe.
Und also sprach zu uns der werthe Mann,
Der herzensliebe Priester, Herr Johann.
Es wohnt' einmal in eines Thales Mitte
Bei einem Busch in einer engen Hütte
Ein armes Weib, verwittwet und bei Jahren.
Die Frau, von der ihr bald sollt mehr erfahren,
[14,830]
Sie führte, seit ihr sel'ger Mann verschieden,
Ein einfach Leben in Geduld und Frieden.
Ihr Gut und ihr Erwerb war sehr beschränkt;
Sie nährte sich mit dem, was Gott geschenkt,
Durch Wirthlichkeit: zwei Töchter nebenher.
Drei große Säue hatte sie, nicht mehr,
Drei Kühe und ein Schaf – sie nannt' es Malle.
Von Rauch geschwärzt war ihre Stub' und Halle;
Drin aß sie oft ihr spärliches Gericht.
Pikante Brühen kannte man da nicht.
[14,840]
Durch ihren Schlund ging niemals leckres Essen.
Die Nahrung war der Wohnung angemessen.
An Ueberladung litt sie keiner Zeit;
All ihre Medicin war Mäßigkeit,
Arbeitsamkeit und ein genügsam Herz.
Es hielt vom Tanz sie ab kein Gliederschmerz.
Vom Schlagfluß ward niemals ihr Kopf bedroht;
Auch trank sie keinen Wein, nicht weiß noch roth.
Aus Schwarz und Weiß bestand meist ihr Gericht:
Schwarzbrod und Milch; denn daran fehlt' es nicht;
[14,850]
Gebratner Speck, vielleicht ein Ei, auch zwei;
Denn sie hielt eine Art von Meierei.
Mit Stöcken eingezäunt war um und um
Ihr Hof; ein trockner Graben ging darum.
Es war ein Hahn drin, der hieß Kanteklär;
Kein andrer kräht' im ganzen Land wie der,
Und lustiger war seiner Stimme Klang,
Als wenn die Orgel dröhnt zum Meßgesang.
Viel sichrer konnte man nach seinem Krähn
Als nach der Kirchen- und Abteiuhr gehn.
[14,860]
Er kannte von Natur in der Umgebung
Der Stadt der Sonne Senkung und Erhebung.
Denn wenn die Neigung funfzehn Grade zählte,
Dann kräht' er, daß kein Tüttelchen dran fehlte.
Sein Kamm war röther als die Seekoralle,
Gezackt gleich eines Schlosses Mauerwalle,
Sein Schnabel schwarz mit des Gagates Scheine,
Blau wie Azur die Zehen und die Beine;
Die Nägel weißer als der Lilie Blüthen,
Und gleich polirtem Gold die Federn glühten.
[14,870]
Es waren sieben Hennen diesem Hahn
Zu jedem Dienst beständig unterthan,
Die in der Farb' ihm sprechend ähnlich sahn;
Er war zugleich ihr Bruder und Galan.
Allein am meisten durch das Farbenspiel
Des Halses Fräulein Pertelot gefiel.
Sie war gesellig, freundlich und gewandt
Und klug und trug sich stets so elegant,
Seitdem sie eben sieben Tage alt,
Daß sie den Kanteklär ganz in Gewalt
[14,880]
Bekam, sein Herz sammt seinen Gliedern allen.
Er liebte sie mit inn'gem Wohlgefallen.
Und eine Lust war's, wenn ihr Wechselsang,
Sobald der Sonne erster Strahl aufsprang,
So süß erklang: »Mein Lieb ist fern von hier!«
Denn damals hatte Vogel noch und Thier
Gesang und Sprache, wie man mir vertraute.
So kam es einstmals, als der Morgen graute
Und Kanteklär und seine Weiber alle
Auf ihrer Stange saßen in der Halle
[14,890]
– Schön Pertelot dicht neben ihrem Mann –,
Da fing Herr Kanteklär zu gurgeln an,
Wie Einer, den ein Traum recht angstvoll drückt.
Und Pert'lot, die ihn ächzen hört, erschrickt
Und ruft: »Was ist euch, ei du meine Seele,
Daß ihr so ächzt? Was sitzt euch in der Kehle?
Wer schläft so tief auch –! Pfui, ihr sollt euch schämen.«
»Ich bitt' euch sehr, wollt mir's nicht übel nehmen,
Madam«, versetzt der Hahn, »im Augenblick,
Bei Gott, träumt' ich von solchem Mißgeschick,
[14,900]
Daß ich mein Herz von Schreck noch fühle beben.
Mag Gott dem Traum ein gutes Ende geben,
Und halte mich von schnöden Banden frei!
Mir träumte, daß ich hier im Hofe sei.
Ich ging hier auf und ab und sah ein Thier
Gleich einem Hund; dasselbe wollte mir
Zu Leibe gehn und drohte mir den Tod.
Des Thieres Farbe war ein gelblich Roth.
Der Ohren und des Schweifes Spitze war
Mit Schwarz besetzt, nicht wie das andre Haar.
[14,910]
Sein Maul war spitz; die Augen funkelnd helle.
Bei seinem Blick starb ich fast auf der Stelle
Vor Furcht. Daher wohl kam das Stöhnen auch.«
»Pfui«, rief sie, »fort mit euch, ihr feiger Gauch,
Ihr habt, beim großen Gott sei's euch geschworen,
Mein Herz und meine Liebe nun verloren.
Ich kann zu keinem Feigling Liebe tragen.
Denn traun, was auch die Weiber mögen sagen,
Wir alle wünschen, wenn's geschehen kann,
Daß herzhaft, klug und gütig unser Mann,
[14,920]
Dazu verschwiegen, ohne Knickerei
Und auch, bei Gott, kein Narr und Prahlhans sei,
Der gleich bei jedem Quark geräth in Schrecken.
Wie könnt ihr euerm Liebchen nur entdecken,
Daß ihr durch irgendwas geängstigt wart!
Habt ihr kein Mannesherz und tragt 'nen Bart?
Ach, und es jagt in Schrecken euch ein Traum?
Weiß Gott, ein Traum ist nichts als eitler Schaum.
Ein Traum entsteht, wenn wir uns überladen,
Aus Säftemischung und aus bösen Schwaden,
[14,930]
Wenn zu viel Saft in uns sich fühlbar macht.
So kam der Traum euch sicher diese Nacht
Von eurer rothen Galle Ueberfluß,
Die immer durch cholerischen Erguß
Die Leut' im Traum mit blutigen Geschossen
Erschreckt und Feuerflammen, roth umflossen,
Mit rothen Thieren, die zum Biß bereit,
Mit Wespen groß und klein, mit Kampf und Streit.
So wie der, den Melancholie verstört,
Oftmals aufschreit im Schlafe wie bethört,
[14,940]
Weil schwarze Stier' und Bären ihn erschrecken
Und schwarze Teufel Krallen nach ihm strecken.
Von andern Säften könnt' ich noch erzählen,
Die schrecklich oft im Traum die Menschen quälen;
Doch fass' ich mich so kurz ich irgend kann.
Sieh Cato, sicherlich ein weiser Mann,
Was sagt er? – Sei vor keinen Träumen bange.
Drum, fliegen wir hernach von unsrer Stange,
So nehmt, bei Gott, Herr, etwas zum Laxiren.
Denn Leib und Seele will ich gleich verlieren,
[14,950]
Wird es für euch der beste Rath nicht sein,
Von roth- und schwarzer Gall' euch zu befrein.
Doch säumt nicht. Da die Sache Eile hat,
Ist auch kein Apotheker in der Stadt,
So will ich selber euch zwei Kräuter bringen;
Damit soll eure Heilung mir gelingen.
Ich finde sie auf dieses Hofes Flur,
Und ihre Gabe ist es, von Natur
Nach oben und nach unten aufzuräumen.
Um Gottes willen, wollt' es nicht versäumen!
[14,960]
Ihr seid cholerisch, Herr, von Complexion.
Sorgt, daß die Sonne in der Ascension
Nicht mehr in euch der heißen Säfte Lauf
Vorfinde; sonst wett' einen Grot ich drauf,
Es tritt bei euch die Tertiana ein
Und Fieberfrost, der euer Tod kann sein.
Doch müßt ihr, eh' ihr einnehmt zum Laxiren,
Die Würmer ein paar Tage digeriren
Mit Erdrauch, Enzian und Kirschlorbeer,
Mit Fliederbeere, die hier wächst umher,
[14,970]
Mit Judenkirschen oder Hahnenfuß
Und Epheu, den's hier giebt in Ueberfluß.
Pickt Alles, wie es wächst, gleich auf zum Schmaus.
Seid lustig, Mann, bei eures Vaters Haus,
Habt nicht vor Träumen Angst, das ist mein Rath.«
»Madam, ich bin sehr dankbar in der That
Für die Belehrung. Doch wenn Cato gleich,
Der allerdings an hoher Weisheit reich,
Gebietet, uns an Träume nicht zu kehren,
Bei Gott, so kann manch altes Buch uns lehren
[14,980]
Von Männern, die in größerm Ansehn stehn
Als Cato und (mag es mir schlimm ergehn,
Wenn es nicht wahr!) das Gegentheil bekunden,
Indem sie durch Erfahrung ausgefunden,
Daß Träume uns von dem ein Zeugniß geben,
Was uns betrifft im gegenwärt'gen Leben,
Mag es nun Freud'ges oder Schlimmes sein.
Dies darf man, da es schon der Augenschein
Uns täglich lehrt, auch weiter nicht begründen.
Bei einem hochberühmten Autor finden
[14,990]
Wir dies: Es hatten einst sich zwei Genossen
Ganz ohne Arg zu einer Reis' entschlossen.
Nun kamen sie in eine Stadt. Da war
Von Reisenden schon eine solche Schaar,
Und die Herbergen schon so eingenommen,
Daß sich für ihr gemeinsam Unterkommen
Nicht einmal Raum in einer Hütte bot.
So zwang für diese Nacht sie denn die Noth,
Daß sie sich trennen mußten, und sie gehn,
Sich eine Herberg' einzeln zu ersehn
[15,000]
Und ein Quartier zu suchen, wie es falle.
Der eine fand Logis in einem Stalle
Auf einem fremden Hof mit Ackerstieren;
Dem andern glückt' es, baß sich zu quartieren,
Wie grad' es Zufall wollte oder Glück.
Denn das regiert ja Jedermanns Geschick.
Und so geschah's, als er im Bett dort lag,
Daß es ihm träumte, lang' bevor es Tag,
Es riefe ihn sein Freund recht jammervoll:
»Ich lieg' in einem Ochsenstall und soll
[15,010]
Ermordet werden hier noch diese Nacht;
Hilf, Bruder, eh ich werde umgebracht.
Hilf eilig«, sprach er, »komm zu mir und lauf!«
Der Mann fuhr aus dem Schlaf vor Schrecken auf,
Doch kehrt' er, als er aus dem Schlaf erwacht,
Sich um und hatte deß nicht ferner Acht.
Er dachte
auch, ein Traum sei eitler Schaum.
Doch zweimal hatt' er drauf denselben Traum.
Und es erschien sein Freund zum drittenmale
Und sprach: »Ich bin erschlagen. Sieh die Mahle
[15,020]
Hier meiner blut'gen Wunden, tief und weit.
Erhebe früh dich in der Morgenzeit,
Um zu der Stadt westlichem Thor zu gehn.
Da wirst du einen Düngerwagen sehn;
Den wählten sie, den Leichnam zu verstecken.
Halte den Wagen an, laß dich nicht schrecken.
Mein Gold allein war schuld an meinem Mord.«
Und er erzählt die ganze That sofort
Mit jammervollem, bleichem Angesicht.
Und glaubet mir, der Traum betrog ihn nicht.
[15,030]
Früh schlug er bei des Tages erstem Schein
Den Weg zu seines Freundes Herberg ein,
Und als er kam an jenen Ochsenstall,
Rief den Gefährten er mit lautem Schall.
Der Gastwirth nahm darauf sogleich das Wort:
»Euer Kamrade«, sprach er, »Herr, ist fort.
Beim Tagesanbruch ging er aus der Stadt.«
Der Mann, der gleich im Herzen Argwohn hat,
Da er bedenkt, was er des Nachts geträumt,
Er richtet seinen Weg – und ungesäumt –
[15,040]
Zum Thor der Stadt, das westwärts lag. Dort fand
Er einen Wagen, welcher Dung aufs Land
Hinausfuhr, ganz beschaffen in der Art,
Wie der verstorbne Mann ihm offenbart.
Mit kühnem Herzen schrie er laut sofort
Um Rach' und Strafe für den schnöden Mord.
»Mein Freund ist mir in dieser Nacht erschlagen;
Starr liegt er ausgestreckt in diesem Wagen.
Ich schrei' in Noth zu den Beamten laut,
Die mit dem Regiment der Stadt betraut.
[15,050]
Halloh! o weh! Hier liegt mein Freund erschlagen.«
Was soll ich mehr von der Geschichte sagen?
Man lief herbei; der Karr'n ward umgewandt
Und ausgestürzt, und in dem Dünger fand
Die Leiche man in ihrem frischen Blut.
O gnäd'ger Gott, der du so treu und gut,
Sieh, wie du an den Tag bringst jeden Mord!
Mord kommt ans Licht; das sehn wir fort und fort.
Mord ist so scheußlich, so abscheulich schlecht
Vor Gott, der so vernünftig und gerecht,
[15,060]
Daß er ihn nimmer ganz verbergen will,
Bleibt er ein Jahr gleich, zwei bis drei auch, still.
Mord kommt ans Licht; dies ist mein letztes Wort.
Und gleich ergriff die Obrigkeit im Ort
Den Kärner. Dieser ward so scharf torquirt
Und auch der Wirth so peinlich quästionirt,
Daß ihre Schandthat sie sofort gestanden
Und beide ihren Tod am Galgen fanden.
Ein Traum ist doch zu fürchten, wie ihr seht,
Und wahrlich, in demselben Buche steht,
[15,070]
Und im nächst folgenden Kapitel zwar
– Ich will hier nicht gesund stehn, ist's nicht wahr -
Wie einst zwei Männer auch entschlossen waren,
Zur See in ein entferntes Land zu fahren.
Doch da der Wind der Abfahrt hinderlich,
Verweilten sie in einem Städtchen sich,
Das lustig über einen Hafen schaute;
Bis eines Tags, als schon der Abend graute,
Der Wind umschlug und blies, wie's ihnen paßte.
Drauf gingen frohen Muthes sie zu Raste,
[15,080]
Um andern Morgens früh zur See zu gehn:
Da ist dem Einen Seltsames geschehn.
Denn es erschien ihm, als zu Bett er lag,
Ein wunderbarer Traum kurz vor dem Tag.
Ihm däucht', es stünd' an seinem Bett ein Mann,
Der hielt ihn dringend zu verweilen an
Und sprach: »Wirst morgen du die Reise wagen,
Mußt du ertrinken; dies wollt' ich nur sagen.«
Als er erwacht, erzählt er sein Gesicht
Dem Freund und bat ihn, heute doch noch nicht
[15,090]
Zu reisen, morgen sei auch noch ein Tag.
Der Freund, der neben seinem Bette lag,
Fing an zu lachen und ihn sehr zu necken.
Er sprach: »Mich kann ein Traum nicht so erschrecken,
Daß er zu thun mir, was ich will, verwehrt.
Den deinen acht' ich keinen Strohhalm werth.
Ein Traum ist Possenspiel und eitler Tand.
Von Eulen, Affen und von allerhand
Gespenstern träumt der Mensch ja Tag für Tag,
Was nie geschah und nie geschehen mag.
[15,100]
Doch da einmal durch Warten du die Zeit
Durchaus vergeuden willst, so thut's mir leid;
Doch muß, weiß Gott, alsdann geschieden sein« –
Und sprach »Ade!« und ging des Wegs allein.
Doch als sein Schiff die halbe Fahrt vollbracht
– Ich weiß nicht, wie das Unglück sich gemacht –,
So spalteten durch Zufall seine Planken,
Daß Schiff und Mannschaft in die Flut versanken.
Von andern Schiffen konnte man's gewahren,
Die just gleichzeitig ausgesegelt waren.
[15,110]
Drum, Pertelot, mein Liebchen hold und werth,
Sei durch solch altes Beispiel denn belehrt,
Wie der nicht recht thut, der zu wenig sich
Um Träume kümmert. Glaube sicherlich,
Daß mancher Traum gar sehr zu fürchten ist.
Sieh, was im Leben St. Kenelms man liest.
Er war der Sohn Kenulph's von Mercia,
Des edeln Königs. Er, Kenelmus, sah
Kurz vor dem Tag, der ihm zum Mord ersehn,
Den Mord in einer Vision geschehn.
[15,120]
Und seine Amme legt' in jedem Stücke
Den Traum ihm aus und rieth ihm, sich vor Tücke
Zu hüten. Doch er war erst sieben Jahr,
Und was ein Traum bedeutet, davon war
Dem heil'gen Herzen jede Ahnung fremd.
Bei Gott, mir wär' es lieber als mein Hemd,
Hätt'st du das Buch gelesen so wie ich.
Frau Pertelot, ja, ich versichre dich,
Macrobius, der von dem Traumgesicht
Des Scipio Africanus giebt Bericht,
[15,130]
Besagt, daß Ding' im Traume vor sich gehn,
Die nachmals in der Wirklichkeit wir sehn.
Im alten Testament auch magst du lesen
Und nachsehn, wie's mit Daniel gewesen,
Ob er die Träume hielt für eiteln Tand.
Wer, der von Joseph liest, hat nicht erkannt,
Daß oft ein Traum (ich rede nicht von allen)
Verkündigt hat, was just so ausgefallen?
Und haben in Aegypten Pharao's
Mundschenk und Bäcker nicht erkannt, wie groß
[15,140]
Die Kraft der Träume sei? Wer die Berichte
Von manchem Reich durchforscht in der Geschichte,
Der liest von Träumen manches Wunderding.
Wie es dem König Lydiens, Crösus, ging:
Der träumt' einmal, er säß' auf einem Baum;
Den Tod am Galgen kündigt' ihm der Traum.
So träumte Hektors Weib Andromacha
Die Nacht zuvor, eh wirklich es geschah,
Daß Hektor, wenn ins Feld sich zu begeben
Er selb'gen Tages wagte, mit dem Leben
[15,150]
Es büßen müßte. Und sie warnte ihn:
Allein umsonst; von dannen mußt' er ziehn.
Er ging hinaus ins Feld, den Kampf zu wagen,
Und von Achilles' Hand ward er erschlagen.
Doch die Erzählung führte mich zu weit.
Schon naht der Tag; ich habe nicht mehr Zeit;
Ich sage dir ganz kurz nur und zum Schluß,
Daß ich ein Mißgeschick erwarten muß
Nach der Vision, und ferner sag' ich dir:
Laxanzen haben keinen Werth vor mir;
[15,160]
Denn sie sind eitel Gift; ich kann's beschwören;
Ich hasse sie und mag davon nichts hören.
Doch jetzt zu Heiterm! Stellen wir das ein!
Frau Pertelot, ich will nicht selig sein,
Hat Gott mit Einem mich nicht reich gesegnet!
Denn wenn dein schönes Antlitz mir begegnet,
Rings um die Augen so fein scharlachroth,
Dann ist mein Fürchten alles hin und todt.
So sicherlich wie
in principio
Mulier est hominis confusio.
[15,170]
Das heißt, soll das Latein ich übersetzen:
Es ist das Weib des Mannes höchst Ergetzen.
Denn fühl' ich nachts nur deine weiche Seite,
Ists auch nicht möglich, daß ich fürbaß schreite,
– Denn ach der Platz auf unsrer Stange fehlt –,
Fühl' ich mich so von Freud' und Lust beseelt,
Daß ich verlache Traum und Vision.
Und bei dem Wort flog er von seinem Thron
– Denn es war Tag – sammt seinen Hühnern allen.
Drauf ließ er gluckend seine Stimm' erschallen,
[15,180]
Da auf dem Hof ein Körnchen er gefunden,
Schritt stattlich her, die Furcht war ganz verschwunden,
Und federte Frau Pert'lot, sein Gemahl,
Und trat sie bis zur Primzeit zwanzigmal.
Grimm wie ein Löwe war er anzusehn,
Schritt auf und ab im Hof auf seinen Zeh'n,
Zu stolz, den Fuß zu setzen auf den Grund.
Und wie er gluckt bei jedes Kornes Fund,
Gleich rennen zu ihm seine Weiber alle.
So stolz wie einen Fürsten in der Halle,
[15,190]
Lass' auf der Weid' ich Kanteklär zurück.
Hernach erzähl' ich weiter sein Geschick.
Der Monat März, in dem die Welt begonnen,
Da Gott die Menschen schuf, war schon entronnen;
Zwei Mond' auch waren und der Tage zwei
Seit jenes Monats Anfang schon vorbei,
Da sah man Kanteklär im Prunke schreiten,
Und seine sieben Weiber ihm zur Seiten,
Und wie die helle Sonn' er angeblickt,
Die ein und zwanzig Grade vorgerückt
[15,200]
Im Stier und etwas mehr, wußt' er die Stunde
Gleich von Natur ohn' alle andre Kunde:
Es war die Prim. Da kräht' er, daß es schmettert:
»Die Sonn' ist ein und zwanzig Grad geklettert«,
Sprach er, »und mehr als das am Himmelszelt.
Frau Pertelot, du meine einz'ge Welt,
Horch, wie die lieben Vögel prächtig singen!
Sieh, wie die Blumen aus den Knospen springen!
Voll ist mein Herz von Jubel und von Glück.«
Doch plötzlich drang herein das Mißgeschick,
[15,210]
Wie Freude stets zuletzt mit Trübsal endet
Und alle Lust der Welt gar bald sich wendet.
Dies soll ein Redner, der sich wohl aufs Schreiben
Versteht, doch einer Chronik einverleiben
Als von der äußersten Bedeutendheit.
Drum bitt' ich alle weisen Männer, leiht
Das Ohr mir. Sicher ist, was ich berichte,
So sicher, wie Herrn Lanzelots Geschichte,
Die bei den Frauen steht in hohen Ehren.
Jetzt will zurück zu meiner Red' ich kehren.
[15,220]
Ein Brandfuchs voll verruchter Pfiffigkeit,
Der im Gebüsch drei Jahr verbracht die Zeit,
War, wie die Kraft der Vision versprochen,
Bei Nacht in das Gehäge eingebrochen
Des Hofes, wo der schöne Kanteklär
Mit seinen Fraun spazierte hin und her.
Er hat sein Lager still im Kraut genommen.
Da sah er, bis Mittag herangekommen,
Die Zeit ab, Kanteklär zu überfallen,
Wie es die Art ist bei den Mördern allen,
[15,230]
Die lauern in dem Hinterhalt versteckt.
Wie sich im Nest der falsche Mörder streckt!
O Ganelon und Judas unsrer Zeit,
Zu Lug und Trug wie Sinon stets bereit,
Der Troja stürzt' in Noth und bittre Sorgen.
O Kanteklär, verflucht sei jener Morgen,
Da in den Hof du flogst von deiner Latte,
Obschon der Traum dir klar verkündet hatte,
Verderblich würde dieser Tag dir sein!
Doch das, was Gott vorher weiß, trifft auch ein,
[15,240]
Wie etliche Gelehrte es verstehn.
Wer
recht gelehrt ist, wird mir zugestehn,
Daß über diesen Punkt viel Zwistigkeit
Auf Schulen herrsche, und daß dieser Streit
Seit Jahren Hunderttausende entzweie.
Ich kann das Mehl nicht sichten von der Kleie,
Wie es versteht der heil'ge Augustin,
Boethius und Bischof Bradwardin,
Ob Gottes Wissen über alle Dinge
Nothwendig mich zu einer Handlung zwinge
[15,250]
(Ich nenne Zwang, was einfach ist nothwendig),
Oder ob mir die freie Wahl zuständig,
Daß ich dasselbe thun und lassen kann,
Wußt' es auch Gott schon, eh' ich es begann;
Oder ob Gottes Wissen nur bedingt-
Nothwendig mich zu einer Handlung zwingt.
Mit solchen Scrupeln mag ich mich nicht quälen:
Ich will euch nur von einem Hahn erzählen,
Der seines Weibes Rath mit großen Sorgen
Befolgt, im Hof zu gehn an jenem Morgen,
[15,260]
Als er den Traum gehabt, den ich erzählt.
Der Rath der Weiber ist oft sehr verfehlt.
Des Weibes Rath bracht' uns das erste Leiden
Und zwang Adam, das Paradies zu meiden,
Wo er gelebt in Frohsinn und Ergetzen.
Doch sollt' ich Jemand hier vielleicht verletzen,
Weil ich der Weiber Rath so sehr verachte,
So bitt' ich, daß er es als Scherz betrachte.
Mag die Autoren er von Fach befragen
Und hören, was sie von den Weibern sagen.
[15,270]
Dies sind des Hahnes Worte, nicht die meinen.
Ich kann von Frauen niemals Böses meinen.
Frau Pertelot und ihre Schwestern lagen
Und badeten im Sand sich voll Behagen
Im Sonnenschein. Der edle Kanteklär
Sang lust'ger als die Nixen in dem Meer.
Denn wie Physiologus versichert, singen
Sie Lieder, die gar schön und lustig klingen.
Und so geschah's, daß, als sein Aug' im Kraut
Nach einem Schmetterling zufällig schaut,
[15,280]
Er dort den Fuchs sieht, tief ins Gras versenkt.
Worauf er gar nicht mehr ans Krähen denkt
Und nur »kluck, kluck!« schreit und vom Boden springt,
Wie Einer, dem der Schmerz das Herz durchdringt,
Da jedes Thier, wenn seinen Feind es sieht,
Den Trieb schon von Natur hat, daß es flieht,
Sah es mit keinem Aug' ihn auch vorher.
So würd', als er ihn sah, auch Kanteklär
Geflohn sein. Aber Reinhart schmeichelnd spricht:
»Was lauft ihr, edler Herr? ihr flieht doch nicht
[15,290]
Vor mir, der es so freundlich mit euch meint?
Traun, ärger wär' ich als der böse Feind,
Wollt' ich mit Tück' und Arglist euch bedrohn.
Ich bin nicht hergekommen als Spion.
Mich führte nur hieher der Herzensdrang,
Zu hören euern lieblichen Gesang.
Und eure Stimm' ist in der That so schön,
Wie Engelsstimmen in des Himmels Höhn.
Ja, im Gefühl für Tonkunst stehn euch nach
Boëz und alle Musiker von Fach.
[15,300]
Euer Herr Vater, welchen Gott behüte,
Und eure Mutter hatten einst die Güte,
Mein Haus zu meiner Freude zu beehren.
Ich möcht' euch selbst gern jeden Dienst gewähren –;
Doch, was Gesang betrifft, so wollt' ich sagen,
Gott mag die Augen mir mit Blindheit schlagen,
Wenn außer euerm Lied ich je eins wieder
Gehört wie eures Vaters Morgenlieder.
Das machte, weil er aus dem Herzen sang.
Um zu verstärken seiner Stimme Klang,
[15,310]
Drückt' er mit Eifer beide Augen ein.
So sehr strengt' er sich an, um laut zu schrein,
Und hob sich auf den Zehen hoch empor
Und streckte lang und schlank die Kehle vor.
Und dazu war so scharf er von Verstand,
Daß Niemand je in irgend welchem Land
An Weisheit wie Gesang ihm gleich gewesen.
Wohl hab' in Burnels Versen ich gelesen,
Des Esels, wie ein Hahn, da ihn vor Jahren,
Als er sehr jung noch war und unerfahren,
[15,320]
Ein Priesterssohn hart an sein Schienbein stieß,
Nachmals die Pfründe ihn verlieren ließ.
Doch in der That kann diesen schlauen Streich,
Wie klug er war, doch Niemand in Vergleich
Mit eures Vaters hoher Weisheit bringen.
Um Gottes Huld, Herr, bitt' ich euch, zu singen.
Laßt sehn, ob ihr's wie euer Vater macht.«
Drauf schlägt die Flügel Kanteklär mit Macht,
Da er durchaus nichts vom Verrathe spürt;
So war er durch die Schmeichelei verführt.
[15,330]
Ihr hohen Herrn! Ach, wie so manchen Schmeichler
An euerm Hof ihr habt und manchen Heuchler,
Der, meiner Treue, besser euch behagt,
Als Er, der immer euch die Wahrheit sagt.
Les't Salomo nach über Schmeichelei!
Nehmt euch in Acht vor der Verrätherei.
Und Kanteklär, hoch auf die Zehn gerückt,
Streckt aus den Hals, die Augen zugedrückt,
Und fängt zu krähen an, so laut er kann.
Da springt Herr Reinecke ihn plötzlich an
[15,340]
Und packt ihn bei der Gurgel mit Gewalt
Und trägt ihn auf dem Rücken in den Wald,
Da Niemand sich, ihn zu verfolgen, fand.
O, Schicksal, nimmer wirst du abgewandt.
Ach, daß auch Kanteklär der Sparren Bäume
Verließ! Ach, daß sein Weib nichts gab auf Träume!
Das Unheil fiel auf einen Freitag just.
O Venus, Göttin du der Liebeslust,
Kannst du, da Kanteklär, dir unterthan,
In deinem Dienst sein Möglichstes gethan,
[15,350]
Mehr zum Vergnügen, als die Welt zu mehren,
An
deinem Tage seinen Tod begehren?
O Meister Galfried, trefflichster von Allen –;
Als König Richard durch den Schuß gefallen,
Wie bitter klagtest du des Helden Tod!
O stünde deine Kunst mir zu Gebot,
Den Freitag, wie du thatest, zu verklagen –
Denn eines Freitags ward auch er erschlagen –;
Dann wollt' ich dem Entsetzen und der Pein
Herrn Kanteklärs auch meine Klagen weihn.
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Solch ein Geschrei und solch ein Jammerton
Erscholl nicht von den Fraun in Ilion,
Als Pyrrhus mit gezognem Schwerte kam,
Den König Priamus beim Barte nahm
Und ihn erschlug (so sagt Aeneïdos),
Wie jetzt im Hof die Hennen ließen los,
Als sie das Unglück Kanteklärs erschaut.
Doch schrie Frau Pertelot vor Allen laut,
Viel lauter als das Weib des Hasdrubal
Nach ihres Gatten Tod und nach dem Fall
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Karthago's, als die Römer es der Glut
Preisgaben, und in der Verzweiflung Wuth
Sie selbst mit Absicht in die Flammen rannte
Und mit entschloßnem Herzen sich verbrannte.
Solch Schrein wie eures, arme Hennen, hörte
Einst Rom, als Nero's Brand die Stadt zerstörte.
Da schrien wie ihr die Fraun der Senatoren,
Weil alle ihre Männer sie verloren,
Die Nero sämmtlich schuldlos niederhieb!
Doch geh' ich weiter, wo ich stehen blieb.
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Die arme Wittw' und ihre Töchter zwei
Vernahmen ihrer Hühner Wehgeschrei.
Gleich aus der Thüre stürzten sie zu Hauf,
Und sahn den Fuchs, wie er im vollen Lauf
Den Hahn auf seinem Rücken trug zum Wald.
Sie schrien: »O weh, halloh! he! halt ihn, halt!
Hoho! der Fuchs!« und rannten hinterher.
Mit Stöcken folgten noch manch Andre mehr.
Hund Bello rannte, Talbot und Gerland
Und Malchen mit der Spindel in der Hand.
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Es rannten Kuh und Kalb und aus den Ställen
Die Schweine, die entsetzt von Hundebellen
Und von der Fraun und Männer Ruf sich trollten,
Als ob die Herzen ihnen brechen sollten,
Und ein Gequiek wie Höllenteufel machten.
Die Enten schrien, als wollte man sie schlachten;
Die Gänse flogen über Bäum' und Hecken,
Die Bienenschwärme kamen aus den Stöcken.
So scheußlich war der Lärm – Gott steh' mir bei!
Daß nicht Jack Straw und seine Kompanei
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Ein halb so gellendes Geschrei ausstießen,
So oft sie einen Flämming wollten spießen,
Wie damals, als man jagte nach dem Fuchs.
Von Messing brachte man, von Horn und Buchs
Und Knochen Zinken an und blies und schmetterte
Und kreischte zwischendrein und flucht' und wetterte;
Es schien, der Himmel müßte niederfallen.
Nun, lieben Leute, thut mir den Gefallen
Und hört, wie seinen Feinden das Geschick
Hoffnung und Stolz oft raubt im Augenblick.
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Der Hahn, der auf des Fuchses Rücken lag,
Besann trotz aller Angst sich doch und sprach
Zum Fuchs: »Fürwahr, Herr, wär' ich so wie ihr,
So sagt' ich zu dem Volk (Gott helfe mir!):
Ihr frechen Kerle, packt euch gleich zurück!
Schlag' euch die Pestilenz in das Genick.
Da ich erreicht jetzt meines Waldes Bann,
Bleibt mein der Hahn, setzt ihr den Kopf auch dran.
Ich fress' ihn auf, wie ihr gleich werdet sehn.«
Der Fuchs sprach: »Meiner Treu, das soll geschehn.«
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Und wie das Wort er sprach, schwang sich, nicht faul,
Der Hahn mit einem Ruck aus seinem Maul,
Und flog auf einen hohen Baum sofort.
Als ihn der Fuchs sah an so sicherm Ort,
Sprach er: »Ach, Kanteklär, es thut mir wehe,
Ich that euch Unrecht, wie ich gern gestehe,
In
so fern als ich euch den Schrecken machte,
Daß ich euch griff und aus dem Hofe brachte.
Doch that ich es in böser Absicht nicht.
Kommt nur herab, ich will euch jetzt Bericht,
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Weiß Gott, von meiner wahren Absicht sagen.« –
»Dann müßt' uns beide ja der Satan plagen,
Zuerst mit Fleisch und Bein mich selber, ginge
Ich öfter als einmal in deine Schlinge.
Du sollst mit Schmeichelein mich nicht berücken,
Zu singen und die Augen zuzudrücken.
Denn wer die Augen schließt, wo es auf Sehen
Ankommt, dem lass' es Gott nie gut ergehen.«
»Nein«, sprach der Fuchs, »doch strafe Gott den Mann,
Der sich so wenig selbst beherrschen kann,
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Und der auch schwatzt, wo stillzuschweigen frommt.«
Seht, wie es oft mit dem Zerstreuten kommt,
Und dem, der sorglos Schmeichlern leiht sein Ohr!
Und kommt euch diese Märe thöricht vor,
Weil sie von Füchsen, Hähnen, Hühnern spricht,
Zieht, Leutchen, die Moral aus dem Gedicht.
Denn Paulus sagt: Was da geschrieben ist,
Ist uns zur Lehr' geschrieben, daß ihr's wißt.
Das Korn nehmt hin und laßt die Spreu allein.
Nun, guter Gott, ist es der Wille dein,
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So spricht der Herr, führ' uns durch deinen Namen
Zur Tugend und zum ew'gen Leben. Amen.
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»Herr Nonnenpriester«, nahm der Wirth das Wort,
»Gott segne deine Hosen und sofort;
Das war ein lust'ges Stück von Kanteklär.
Wenn du ein Laie wärst, bei meiner Ehr',
Du wärst zu einem Haushahn wie gemacht,
Hätt'st du das Herz, so wie du hast die Macht.
Es dürften für ein Kerlchen deinesgleichen,
Dünkt mich, kaum sieb'mal siebzig Hennen reichen.
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Sieh, wie der nette Pfaff so derb und dick
Im Fleisch! Welch breite Brust, welch ein Genick!
Er funkelt mit den Augen wie ein Sperber
Und braucht für seine Backen keinen Färber,
Brasilholzroth und Scharlach aufzulegen.
Doch, Herr, für eure Märe Gottes Segen!«
Drauf wandt' er sich mit heiterm Angesichte
Zu einem Andern, wie ich gleich berichte.
*