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Die Erzählung der Priorin.

Prolog.

»Beim Corpus Domini, das war charmant!«
Sprach unser Wirth, »mögst du von Strand zu Strand,
Mein edler Meister Seemann, lang noch fahren.
Straf' Gott den Mönch mit tausend schlimmen Jahren!
Haha! Nehmt euch vor solchem Spaß in Acht!
Zum Affen hat der Mönch den Mann gemacht [13,370]
Und auch sein Weib, beim heil'gen Augustin.
Wird Einer in sein Haus noch Mönche ziehn?
Doch lassen wir das gehn und sehen wir,
Wer jetzt zunächst von der Gesellschaft hier
Etwas erzählen soll.« Drauf sprach er fein
Und höflich wie ein zartes Jüngferlein:

»Mit Gunsten, gnädigste Frau Priorin,
Wüßt' ich, daß ich euch nicht beschwerlich bin,
Würd' ich bestimmen, wenn ihr anders wolltet,
Daß ihr zunächst etwas erzählen solltet, [13,380]
Wollt ihr euch, gnäd'ge Frau, dazu bequemen?«
»Recht gern«, sprach sie, und ließ sich so vernehmen:

Die Erzählung der Priorin.

Herr, Unser Herr, wie tönt so wunderbar
Dein Name ringsum durch des Weltalls Weiten!
Man hört nicht nur der würd'gen Männer Schaar
Dein köstlich Lob all überall bereiten,
Nein, auch der Kinder Mund muß es verbreiten.
Ja oftmals an der Brust des Säuglings Lallen
Zu deines Ruhms Verherrlichung erschallen.

Darum erzähl' ich dir und ihr zum Ruhm, [13,390]
Die dich gebar, der Lilie klar und weiß,
Die ewig strahlt im reinen Jungfraunthum,
Jetzt eine Mär so gut ich kann und weiß,
Nicht zu erhöhen ihrer Ehre Preis,
Die selber Ehr' und Wurzel ist der Güte,
Nächst ihrem Sohn, und Labsal dem Gemüthe.

O jungfräuliche Mutter voller Huld,
O Busch des Moses, brennend, unverbrannt!
Du hast durch deine Demuth und Geduld
Von Gottes Thron den heil'gen Geist entwandt, [13,400]
Der, als er in dein Herz sein Licht gesandt,
Dich mit des Vaters Weisheit ließ durchdringen;
Laß mein ehrfürchtig Wort mir jetzt gelingen.

O Herrin, deine Güte, Pracht und Kraft
Und deiner Tugend hohen Demuthssinn
Nennt keine Zung' in keiner Wissenschaft.
Denn, hohe Frau, vor des Gebets Beginn
Trittst du in Gnaden selbst oft vor uns hin,
Durch dein Gebet das Licht uns zu bereiten,
Um uns zu deinem theuern Sohn zu leiten. [13,410]

Mein Wissen, Gnadenreiche, ist so schwach,
Um deine Tugend würdig zu erheben,
Daß ich die Last zu tragen nicht vermag.
Und wie ein Kind, das, kaum ein Jahr alt eben,
Dem, was es meint, nicht kann den Ausdruck geben,
So bin auch ich bestellt; drum bitt' ich dich,
Leite du selbst bei deinem Liede mich.

In Asien war einst ein großer Ort.
Es wohnten unter Christen Juden drin.
Der Landesherr erhielt sie selber dort [13,420]
Aus schnöder Sucht nach schändlichem Gewinn;
Sie haßten Christi Volk in ihrem Sinn.
Man konnte durch die Straße gehn und reiten,
Die frei und offen war an beiden Seiten.

Und unten am entferntsten Ende stand
Ein kleines Schulhaus, wo sich eine Schaar
Von Christenkindern stets zusammenfand.
Sie lernten in der Schule Jahr für Jahr,
Was dort zu lernen Landessitte war,
Singen und lesen; so wie allerwegen [13,430]
In solchem Alter kleine Kinder pflegen.

Ein Wittwensohn war unter ihnen auch,
(Ein Schülerchen, erst sieben Jahre alt)
Der Tag für Tag nach seinem steten Brauch
Zur Schule ging, und wo er die Gestalt
Der Mutter Gottes sah, aufs Knie alsbald
Sich niederließ, Ave Maria sang
Und ruhig dann fortsetzte seinen Gang.

So lernte durch der Mutter Unterricht
Das Söhnlein Christi Mutter zu verehren, [13,440]
Die Segensreiche; er vergaß es nicht;
Unschuld'ge Kinder lassen leicht sich lehren.
Ich kann dabei mich nicht des Bilds erwehren
Vom heil'gen Nicolas, der auch so jung
Schon Christo brachte seine Huldigung.

Und als das Kind saß auf der Schule Bank,
Aus seinem Büchlein still zu buchstabiren,
Und hörte, wie man Alma mater sang –
Die Kinder lernten grad' antiphoniren –
Da hat es, nah und näher rückend, ihren [13,450]
Textworten und der Weise aufgepaßt,
Bis es den ersten Vers im Kopf gefaßt.

Nicht wußt' er, was bedeute das Latein,
Da er so jung und zart von Alter war,
Doch bat er einstmals die Gesellen sein,
Daß sie des Liedes Sinn ihm machten klar,
So wie, weshalb es im Gebrauche war;
Bat sie auf bloßen Knie'n, ihn zu belehren,
Zu übersetzen es und zu erklären.

Und sein Gesell, der älter war als er, [13,460]
Sagt: »Wie ich hörte, ist das Lied ersehn,
Um Unsre heil'ge Jungfrau hold und hehr
Zu grüßen und um Hülfe anzuflehn,
Daß sie im Tod' uns würd'ge beizustehn.
Mehr kann ich dir nicht von der Sache sagen;
Ich bin in der Grammatik schwach beschlagen.«

»Und ist dann der Gesang gemacht zum Preis
Der Mutter Gottes«, sprach die fromme Seele;
»So will ich drauf verwenden allen Fleiß,
Vor Weihnacht es zu können sonder Fehle, [13,470]
Ob man mich auch um meine Fibel schmähle:
Wenn sie mich dreimal in der Stunde schlagen,
Ich will's der Lieben Frau zu Ehren sagen.«

Und sein Gesell prägt heimlich ihm zu Haus
Es täglich ein, bis nichts ihm mehr entfallen;
Dann sang er frei und keck das Lied heraus
Von Wort zu Wort mit seinen Noten allen.
Zweimal an jedem Tag ließ er's erschallen,
Wenn er zur Schul' und wenn zu Haus' er ging.
Sein ganzes Herz an Christi Mutter hing. [13,480]

Wenn, wie gesagt, dann durch die Judenstadt
Der Knabe hin und her nahm seinen Gang,
So ward er nie des muntern Liedes satt:
» O Alma redemptoris« war sein Sang.
Die süße Liebe so sein Herz durchdrang
Für Christi Mutter, daß zu ihr zu flehn
Sein Lied nie abließ, wo er mochte gehn.

Und unser Erzfeind, Drache Satanas,
Deß Wespennest ist in der Juden Brust,
Schwoll auf und sprach: »Hebräervolk! ist das [13,490]
Ein Schimpf, den du ertragen kannst und mußt,
Daß solch ein Knabe ganz nach Herzenslust
Hingeht und sich zu singen darf erlauben,
Wodurch verhöhnt wird unser heil'ger Glauben?«

Die Juden sind drauf übereingekommen
Zu dieses unschuldsvollen Kindes Mord.
Sie haben einen Mörder angenommen,
Der stand an einer Gasse dunkelm Ort,
Packt', als das Kind vorbeiging, es sofort
Und hielt es fest; dann schnitt der jüd'sche Bube [13,500]
Den Hals ihm ab und warf's in eine Grube.

Sie warfen, sag' ich, ihn in ein Gemach,
Wo sie der Reinigung des Leibes pflegen.
O ruchlos Volk, du ahmst Herodes nach
Noch heut; und bringt dir deine Bosheit Segen?
Der Mord kommt doch heraus; nichts hilft dagegen.
Zumal um Gottes Ehre zu verbreiten,
Schreit laut das Blut ob eurer Schändlichkeiten.

O Märtyrer, du in Jungfräulichkeit
Gefestigt, sing' und geh' zu jeder Frist [13,510]
Jetzt in des weißen Himmelslamms Geleit,
Von dem Johannes der Evangelist
In Pathmos schrieb: »Wer im Gefolge ist
Des weißen Lamms und singt ein neues Lied,
Den reizt kein fleischlich Weib, wo er's auch sieht.«

Die arme Wittwe harrt die ganze Nacht
Auf ihren Kleinen; doch blieb stets er fort,
Und angstvoll sucht sie, als der Tag erwacht,
Mit schreckenbleichem Antlitz hier und dort
Ihn in der Schule und im ganzen Ort, [13,520]
Bis durch ihr Spähn sie so viel festgesetzt:
Man sah ihn in der Judenstadt zuletzt.

Die Brust erfüllt mit mütterlichem Leid,
Geht sie, wie halb um den Verstand gebracht,
An jeden Platz, wo sie die Möglichkeit,
Ihr Kindlein aufzufinden, sich gedacht.
Und zu der Gottesmutter Huld und Macht
Fleht sie empor, bis es zuletzt so kam,
Daß sie den Weg zum Judenviertel nahm.

Sie fleht und fragt mit ängstlichem Verlangen [13,530]
Bei jedem Judenhaus auf ihrem Pfade
Um Auskunft, ob ihr Kind vorbeigegangen.
Sie sagten Nein; doch gab ihr Jesu Gnade
Es in den Sinn, ganz nah dem Platze grade
Nach ihrem Sohn die Stimme zu erheben,
Wo man ihn in die Grube warf daneben.

O großer Gott, zum Herold deines Ruhmes
Machst du der Unschuld Mund. Sieh deine Macht!
Der glänzende Rubin des Märtyrthumes,
Der Keuschheit edler Demant und Smaragd, [13,540]
Wie er zerschnittnen Halses lag im Schacht,
Hat Alma Redemptoris er gesungen
So laut, daß rings davon der Platz erklungen.

Die Christen all, die durch die Straße gingen,
Sie standen still und wunderten sich sehr.
Sie schickten zum Profoß vor allen Dingen.
Der kam auch sonder Weile gleich daher,
Pries Jesus Christ, den Himmelskönig hehr,
Und seine Mutter, sie, der Menschheit Segen,
Und ließ die Juden gleich in Fesseln legen. [13,550]

Man hob den Knaben auf mit Klaggeschrei,
Der immerfort sein Lied noch sang, und trug
Ihn fort zu der benachbarten Abtei
In ehrenvollem, feierlichem Zug.
Ohnmächtig an der Bahre niederschlug
Die Mutter; kaum wollt' es dem Volk gelingen,
Die zweite Rahel von ihm fortzubringen.

Und schmachvoll unter Martern ließ sofort
Nun der Profoß zum Tod die Juden führen,
So viele ihrer wußten um den Mord. [13,560]
Nichts konnte bei der Frevelthat ihn rühren:
Wer böse thut, soll böse Folgen spüren.
Sie wurden erst geschleift von wilden Pferden,
Um dann nach dem Gesetz gehängt zu werden.

So lang die Messe währt, steht am Altar
Die Bahre offen mit dem frommen Knaben;
Worauf der Abt mit seiner Mönche Schaar
Sich eilig anschickt, um ihn zu begraben.
Und als sie ihm die heil'ge Sprengung gaben,
Vernahm man, wie das Kind mit lautem Klang [13,570]
O Alma mater Redemptoris sang.

Der Abt, ein heil'ger Mann, wie Mönche sind,
Und sind sie's nicht, sein sollten sicherlich,
Fing zu beschwören an das kleine Kind
Und sprach: »O holdes Kind, ich bitte dich
Beim heiligen, dreiein'gen Gotte, sprich:
Wie kannst du singen, da die Kehle dein
Zerschnitten ist nach allem Augenschein?«

»Der Hals ist bis zum Wirbel mir zerschnitten,
Und ging' es mir, wie's andern Wesen geht, [13,580]
So hätt' ich lange schon den Tod erlitten.
Doch Jesus Christus, wie geschrieben steht,
Will, daß sein Ruhm in Ewigkeit besteht.
Um seiner Mutter Huldigung zu bringen,
Kann ich noch laut und klar: O Alma singen.

Die Mutter Gottes, sie, der Gnaden Quelle,
Liebt' ich nach Kräften all mein Lebelang,
Und als ich stand an meines Lebens Schwelle,
Da kam sie und gebot mir, den Gesang
Noch anzustimmen auf dem Todesgang. [13,590]
Wie ihr gehört: Ich sang; da war es schier,
Als legt' ein Korn sie auf die Zunge mir.

So sing' ich denn so lange noch bestimmt
Zum Preis der Jungfrau hehr und gnadenreich,
Bis man das Korn mir von der Zunge nimmt.
Und weiter sprach zu mir sie noch sogleich:
Mein Kindlein, dann nehm' ich dich in mein Reich,
Wenn man das Korn nimmt von der Zunge dein.
Erschrick dich nicht; ich will dein Beistand sein.«

Der heil'ge Mönch, der Abt, zog ihm darauf [13,600]
Die Zung' heraus und nahm ihm aus dem Mund
Das Korn; da gab den Geist das Knäblein auf.
Und als dem Abt dies Wunder wurde kund,
Da floß manch salz'ge Thräne auf den Grund;
Platt fällt er selbst zu Boden hin und rührt
Kein Glied und liegt so fest wie angeschnürt.

Die Mönch' auch lagen auf dem Esterich,
Weinten und brachten Lob der Jungfrau dar.
Und bald darauf erhuben alle sich,
Nahmen den Märtyrer von seiner Bahr', [13,610]
Und in ein Grab von Marmor weiß und klar
Versenkten sie die kleine zarte Leiche.
Gott führ' uns zu ihm dort in seinem Reiche!

O, junger Hugh von Lincoln, du auch bist
Von den verruchten Juden, wie bekannt,
Erschlagen worden erst vor kurzer Frist.
Bitte für uns, die wir voll Unverstand
Und Sünde sind, daß Gottes gnäd'ge Hand
An uns noch möge seine Gnade mehren,
Weil wir Maria, seine Mutter, ehren. [13,620]

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