Conrad Ferdinand Meyer
Angela Borgia
Conrad Ferdinand Meyer

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Sechstes Kapitel

Während die ernsten Gestalten des Herzogs und des Kardinals zusammen durch den langen Mittelgang des Gehölzes schritten, stellte sich das darin lustwandelnde Hofgesinde rechts und links zu ehrerbietiger Begrüßung auf, wenn es sich nicht in anständiger Flucht auf Nebenpfaden, die zu irgendeiner geheimen Lästerbank führten, ins Dickicht verlor.

Wer von ihnen hätte begreifen können, daß der Mann im Purpur mit dem bedeutenden Kopfe und den durchgearbeiteten Zügen, wie sie große politische Geschäfte ausprägen, gleich einem Verdammten leidend, in den Banden eines von ihm sich abwendenden jungen Mädchens lag. – Unglaublich. –

Ähnliches sagte sich der Herzog, und der Kardinal erriet dieses schweigende Urteil.

»Keine Sorge, Bruder,« begann er beschwichtigend, »wegen meiner und des Mädchens! Ich überwinde . . . eines von beiden: mich oder sie! Nur Don Giulio muß aus der Mitte geworfen werden. Und du schaffst mir ihn weg, den mit den vorwurfsvollen Augen!«

Der Herzog blickte den noch immer vor Leidenschaft Zitternden verwundert an. Dann warf er einen Blick rückwärts nach den ihm folgenden Brüdern und sah Don Ferrante, der den Gehaßten fast gewaltsam vom Wege in das Gebüsch zog.

»Sieh dich um«, sagte er zum Kardinal. »Dort schleppt der Verschwörer Ferrante den unschuldigen Giulio in ein Versteck, um ihn in eines seiner närrischen Komplotte gegen uns einzuweihen. Zu solchem Verrat aber, das mußt du mir zugestehen, gibt sich der leichtherzige Knabe nicht her.«

»Je nach Umständen!« zischte der Kardinal. Dann raffte er sich selbst und die Falten seines Purpurs zusammen, denn sie näherten sich dem Kreise der Herzogin.

Die Hitze des Julitages hatte sich gegen Abend unter dem dichten Laubdache verfangen. Es war unerträglich dumpf, und wo der Horizont zwischen den Stämmen sichtbar wurde, regten unaufhörlich die lautlosen Blitze ihre Feuerschwingen.

In dem dämmernden Boskette des gefesselten Kupido erhob sich beim Eintritte der beiden die Gesellschaft von den niedrigen Steinsitzen; nur die Herzogin, zu deren Füßen Angela sich barg, blieb auf ihrer Bank ruhen, dem Herzog neben sich Raum gebend.

Der Perser Emin aber stand an den ehernen Kupido gelehnt, den Kreis mit orientalischen Märchen, wie es dem Herzoge schien, unterhaltend, während Ariosto hinter seinen Schultern ihn anfeuerte und auch wohl mit dem richtigen italienischen Ausdruck unterstützte.

»Wovon war die Rede, Madonna?« fragte der Herzog.

»Herr, davon,« erwiderte sie, »wie es möglich sei, daß gewisse Lichtgestalten, die in ihrer Glorie schützend über uns stehen, auch in fremde Länder und auf andersgläubige Völker ihre Strahlen werfen, wenngleich wie im Spiegel eines dunkeln Gewässers gebrochen. Davon hat uns Ben Emin eben ein schönes persisches Beispiel erzählt.«

»Ich errate«, sagte Don Alfonso, den die Frage anzuziehen schien. »Solche Besitznahme unserer Helden durch die morgenländische Sage kommt vor. Wenn ich nur an Kaiser Karl und seine Paladine denke. Diese freilich haben unsere Dichter – und nicht am unschuldigsten jener dort, der seine lustigen Augen hinter Kupido verbirgt – schon so abenteuerlich verkleidet, daß den Persern wenig mehr zu tun übrig bleibt.«

»Auf falscher Fährte, Herzog!« lächelte Donna Lukrezia.

»So sind es denn die großen Staufen,« riet der Herzog weiter, »der Rotbart und sein Enkel, der ungläubige Friedrich, welche beide freilich den Morgenländern ihre natürlichen Angesichter gezeigt haben, und die sie nach dem Leben abbilden konnten.«

»Immer weiter weg!« schüttelte Lukrezia das leichte Haupt. »Doch, ich fürchte, selber habe ich Euch irre geführt, indem ich einen ganz Unvergleichlichen und Unerreichbaren in die Menschheit einreihte und das Heiligste selbst in unser weltliches Gespräch verflocht. Weder Karl den Großen und seine Paladine, noch die Staufen nannte Ben Emin, sondern unsern Herrn Christus selbst. Verzeiht meiner Unvorsicht! Es ist ferne von mir, die Kirche zu entweihen, in deren Kreis ich durch Geburt und Schicksal gebannt bin und von der allein ich mein Heil verhoffe. Die Barmherzigkeit des Himmels, die sich in Menschengestalt des abscheulichsten Elends erbarmt, das ist auch der Inhalt der persischen Erzählung, die mich verführte. Doch ich werde unklar. Höret und urteilet selbst.

Ben Emin berichtet:

Eines Tages trat der Heiland mit seinen Jüngern aus dem Tore einer Stadt. An der Landstraße lag in der Sonne ein toter Hund, dem die Jünger mit Ekel und Schmähungen auswichen. Der Heiland aber blieb bei dem Aase stehen, und, das einzige, was daran rein geblieben war, hervorhebend, sprach er: ›O sehet, wie blendend weiß seine Zähne sind!‹«

Die Hofleute, welche eine Erzählung im Geschmacke des Boccaccio vorgezogen hätten, fanden diese persische Legende befremdend, ja unanständig; der Herzog aber schwieg.

Donna Lukrezia, die von dem Gegenstande nicht loskommen konnte, redete in bewegter Stimmung weiter:

»Und ist es nicht seltsam, mein Herzog! Wie auf einer kostbaren Tapete, gewoben nach der Zeichnung eines unserer heiligen Maler, wird auf der Rückseite, ich meine in der heidnischen Überlieferung, zwar nicht das volle Bild des Weltheilandes, aber doch die Purpurfarbe seiner Barmherzigkeit sichtbar! Die heidnische Sage bestätigt den Heiland als den, welchen die Kirche verehrt und darstellt, als einen göttlichen Brunnen der Barmherzigkeit. Selbst an dem ekelsten Gegenstande findet die Güte noch eine Schönheit.«

Und schwere Tränen stürzten über ihre Wangen.

Die Hofleute waren erstaunt, ihre Herrin also reden zu hören. Es war offenbar, daß sie an sich selbst dachte, und unter der Gewalt eines plötzlich über sie kommenden unüberwindlichen Wahrheitsbedürfnisses ohne Hehl und Scham unter einem durchsichtigen Schleier ihren Ursprung aus der Kirche und ihre entsetzliche römische Sünde zeigte. Der Mund des einen verzog sich in der Dämmerung zum Spott, während die Stirne des andern sann und grübelte. »Es ist schwül, und sie fühlt das Gewitter –«, dachten sie.

Die Blässe der Herzogin schimmerte wie Marmor durch das Halbdunkel. Alfonso sprach kein Wort, aber er betrachtete sein Weib ohne Groll, mit Liebe und Teilnahme. Der Teppichhändler Emin aber freute sich des Gleichnisses von der Tapete.

In dem entstandenen Schweigen wurde die bange Schwüle noch fühlbarer. Man hörte in der Ferne unheimliche Unkenrufe und das Schreien eines Käuzleins, nach welchem der Kardinal, der an der Unterhaltung keinen Anteil genommen, aufmerksam und geärgert hinhorchte.

Da trat unversehens Don Ferrante aus den Bäumen und ließ seine mißtönige Stimme vernehmen.

»Hier wird erbaulich gesprochen,« höhnte er, »wohl von der Eminenz! Ich lese es im Dunkel auf den kasteiten Mienen. Schade, daß ich zu spät komme! Ich kann immer etwas Moral brauchen, und noch mehr Bruder Julius, den ich mitbrachte, der mir aber unterwegs in den Pfirsichspalieren hängenblieb. Es steckt dort eine Pica, die Tochter des neuen Gärtners, der er jetzt Pfirsiche für die herzogliche Abendtafel pflücken hilft mit den üblichen Griffen und Bissen und ehrbaren Spielen und Wortspielen, welche seit Adams Zeiten das Ergötzen unserer edeln Menschheit sind.«

Diese mehr bittere als lose Rede schlug wie ein Blitz in einen Pulverturm.

Donna Angela, die bisher ihr Angesicht an den Knien der Herzogin verborgen hatte, fuhr wie eine vom Pfeil getroffene Löwin in die Höhe und wollte, durch die Büsche brechend, davoneilen, da der nächste Augenblick den Unwürdigen in ihre Gegenwart bringen konnte; doch die dunkle Figur des Kardinals verwehrte ihr die Flucht. Er stellte sich vor sie, und es schwirrte von seinen Lippen:

»Der Nazarener fand an dem ekeln Aase noch etwas Schönes, an dem Hunde Don Giulio hätte er es nicht gefunden!«

Da änderte sich plötzlich die Haltung des aufgebrachten Mädchens. Die Brandmarkung des ausschweifenden Jünglings, zu der – wunderbarerweise – nur sie ein Recht zu haben glaubte, kochte in ihr als Zorn und Widerspruch. Sie schüttelte ihr stolzes Haupt und bewegte die Lippen.

»Es wäre denn, Ihr allein, Donna Angela, wüßtet ein Lob auf ihn!« beleidigte er sie.

Da sprach die Trotzige mit erhobener Stimme: »Don Giulio hat wundervolle Augen! Die muß ihm der Neid, die müsset Ihr, Kardinal, ihm lassen!«

»Muß ich? Muß ich wirklich?« rief Ippolito bebend und trat in die Nacht der Bäume zurück. Er verließ das Boskett und erschien wieder nach wenigen Minuten und einer entsetzlichen Tat.

Was war geschehen?

Er hatte kaum das Dunkel betreten und einen leisen Ruf hören lassen, so kroch Kratzkralle, der sich durch »Unke« und »Käuzlein«, wie der Kunstausdruck lautete, angemeldet hatte, auf dem Bauche, wie eine Schlange, aus dem Dickicht, und ihm gegenüber auf der andern Seite des Pfades wurden in derselben Haltung Firlefanz und Drachenbrut sichtbar. Es waren die drei schlimmsten seiner verabschiedeten Bande, die vor ihm aufstiegen.

»Was wollt ihr von mir, Schurken?« fuhr er sie an.

Die Mützen mit den Händen vor die Brust drückend, wisperten die drei:

»Gold, Gold, Gold, Eminenz! Wir haben Euch länger gedient als die andern und erwarten mehr von Euch! Euer Schatzmeister aber hat uns alle gleich bedacht.«

Da überwältigte den Kardinal sein böser Dämon. Er zog einen schweren Beutel hervor. »Euer!« lockte er, »wenn ihr Don Giulio . . .«

Firlefanz machte die Gebärde des Erstechens: »Abgemacht, Eminenz!« –

»Nicht so! Sondern« . . . das Wort zauderte in seinem Munde, »ihn blenden.«

Zuerst wollten ihn seine Banditen nicht verstehen.

»Kennt ihr ihn?« fragte er.

»Er ist mein Freund!« versetzte Kratzkralle mit Stolz.

»In wenigen Minuten geht er hier vorbei. Horcht! . . . Ich vernehme schon seine Schritte!« In der Tat wurde ein fernes Schreiten auf dem knirschenden Kiese der Allee hörbar.

Da warf sich Kratzkralle dem Kardinal zu Füßen und stöhnte mit dem tiefsten Selbstbedauern:

»Ich Verdammter! Wär' ich nicht geboren! Herrlichkeit, befehlt mir, ihn zu erstechen! Nacken oder Herz! Nur nicht die lieben schönen Augen! . . . Das tu ich nicht!« sagte er dann entschlossen.

Da stieß ihn Firlefanz beiseite. »So laß uns zweie machen, Kapaun! Desto besser, wenn wir nicht mit dir teilen müssen!«

Das wollte nun Kratzkralle auch nicht. Der Kardinal ließ seinen Beutel fallen und ging auf dem Pfade, den er gekommen war, nach dem Boskette, ohne zurückzulauschen.

Hier aber war nicht nur der eherne Amor gefesselt, sondern alle Geister der Unterhaltung lagen in Banden. Man saß, in der Schwüle schwer atmend, zusammen und konnte bei der sinkenden Nacht kaum mehr die Züge des Nachbars unterscheiden. Eine bleierne Müdigkeit und zugleich die beklemmende Angst einer Erwartung lähmte die Glieder, wenn auch nur das Warten auf die Flammen und Donner eines Gewittersturmes, dessen Fittiche zur Stunde noch gebunden waren.

Da plötzlich zitterte durch die Luft ein Geschrei. Solche Schreckens- und Schmerzenstöne, daß alle Herzen bebten und alle Pulse stockten!

»So brüllt der Stier des Phalaris!« rief der entsetzte Ariost. »Wo bleibt Don Giulio!« Er stürzte fort.

Da kam er mit ihm zurück, der sich, der Unglückliche, an ihn anklammerte und von ihm vorwärts schleifen ließ.

»Bruder! Herzog!« rief der vor Schmerz Sinnlose, »wo bist du? Hilf mir, räche! strafe!«

»Fasse dich, ärmster Bruder! Was geschah? Was tat man dir?« sprach ihm der Herzog zu, während ihn alle umringten.

»Der Kardinal ließ mich meuchlings überfallen! Er hat mir die Augen ausgerissen!«

Man schrie: »Bringt Fackeln! Holt Ärzte!« während Don Giulio den ihn aufhaltenden Ariost mit sich reißend, vorwärts strebte und die Arme nach dem Kardinal ausstreckte, der neben dem Herzog stand und dessen Gegenwart er fühlte. Seine ungewisse Hand fuhr in die Falten des Purpurs, in den er, auf das Knie stürzend, sich verwickelte und das blutige Haupt begrub.

Er hielt sich an dem Leibe des Kardinals fest und schluchzte:

»Oh, oh, warum raubst du mir das Licht? Was nimmst du mir das all und einzige weg, das ich war . . . ein in der Sonne Atmender! . . . Du, der du alles bist und hast! Dem ich nichts nahm und nichts neidete! . . . Ich winde mich vor dir wie ein blinder Wurm! Bruder, zertritt mich! Töte mich ganz! . . .«

Der Kardinal erschrak. Er zog krampfhaft seinen Purpur an sich, und seine Stimme klang unnatürlich, als er ausrief: »Nicht ich! . . . Das Weib verführte mich! . . . Sie lobte deine Augen! . . .«

Dieses Wort drang nicht mehr in das Ohr des vor Schmerz ohnmächtig werdenden Blinden, aber vernichtend in das Herz der entsetzten Angela.

Es kam Hilfe, Dienerschaft mit Fackeln und Sänften. Die verwirrte Gesellschaft verlor sich ohne Abschied in ängstlichen Gruppen und auf verschiedenen Wegen.

Das dunkle Boskett war verlassen.

Jetzt rötete ein Blitz den gefesselten Amor, Windstöße sausten durch den Wald und beugten die Wipfel der Bäume. Bald war der Himmel lauter Lohe und die Luft voller Donnergetöse. Dann stürzten die finstern Wolken auf die Erde, und schwere Regen wuschen und überschwemmten den mit Blut und Sünde befleckten Garten.


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