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43. Kapitel

Wo die anmutige Geschichte des jungen Maultiertreibers erzählt wird, nebst andern merkwürdigen Vorfällen, so sich in der Schenke zutrugen

 

Ich bin Amors Fährmann, segle,
Wo die Hoffnung schier entschwunden,
Wo auf Amors tiefen Meeren
Nimmer wird ein Port gefunden.

Einem Sterne folgt mein Schifflein,
Fernher strahlt er mir im Dunkeln;
Nie sah jener Palinurus
Schönre Sterne droben funkeln.

Und er lenkt mich fern auf Meere,
Die nie Menschen noch befuhren;
Sorgenvoll und unbesorgt doch
Späht mein Herz nach seinen Spuren.

Sprödigkeit, ganz unerhört jetzt,
Tugend, die mir wird zum Fluche,
Sind die Wolken, die ihn bergen,
Wenn ich sehnsuchtsvoll ihn suche.

Klarer, lichter Stern, an dessen
Süßem Glanz ich neu gesunde,
Bleib! Die Stunde deines Scheidens
Wird auch meines Todes Stunde.

Als der Sänger so weit gekommen war, wollte Dorotea auch Clara das Vergnügen an einer so schönen Stimme gönnen; sie weckte sie daher mit den Worten: »Verzeih mir, Kind, daß ich dich wecke, denn ich tue es, damit dir der Genuß wird, die schönste Stimme zu hören, die du vielleicht in deinem Leben vernommen hast.«

Clara erwachte, noch ganz schlaftrunken, und verstand anfangs nicht, was Dorotea ihr sagte; sie fragte daher erst noch einmal, Dorotea wiederholte ihre Worte, und nun ward Clara aufmerksam. Kaum aber hatte sie zwei Verse vernommen, mit denen der Sänger sein Lied fortsetzte, da befiel sie ein seltsames Zittern, als läge sie an einem heftigen Anfall von Viertagefieber darnieder; sie preßte Dorotea innig in ihre Arme und sprach: »O mein Herzensfräulein, warum habt Ihr mich geweckt? Die größte Wohltat, die mir in diesem Augenblick das Schicksal erweisen konnte, war, daß es mir Augen und Ohren verschlossen hielt, um diesen unglücklichen Sänger nicht zu sehen und nicht zu hören.«

»Was sagst du, Kind?« erwiderte Dorotea, »bedenke, daß der Sänger ja nur ein Maultiertreiber ist.«

»Das ist er nicht«, sagte Clara, »er ist Eigentümer großer Güter, und die Herrschaft, die er über mein Herz besitzt, wird ihm, wenn er sie nicht selbst aufgeben will, in alle Ewigkeit nie genommen werden.«

Dorotea staunte ob der Worte des jungen Mädchens, die so voll tiefen Gefühls waren, daß sie weit über der Reife ihres jugendlichen Alters zu liegen schienen; und daher sprach sie zu ihr: »Ihr redet so eigen, Fräulein Clara, daß ich Euch nicht verstehen kann; erklärt Euch ausführlicher und sagt mir: was ist's mit dem Herzen und der Herrschaft, die Ihr erwähnt, und mit diesem Sänger, dessen Stimme Euch in solche Aufregung versetzt? Aber sagt mir für jetzt gar nichts; denn ich möchte nicht, um Euch Eure Unruhe zu nehmen, das Vergnügen einbüßen, den Sänger zu hören; es will mich bedünken, daß er mit andern Versen und anderer Melodie seinen Gesang aufs neue beginnt.«

»Nun, in Gottes Namen«, entgegnete Clara und hielt sich beide Ohren mit den Händen zu, um nichts zu hören. Darüber wunderte sich Dorotea abermals; sie horchte nun auf den Gesang, der in folgenden Weisen ertönte:

O du mein süßes Hoffen,
Das kühn sich Bahn bricht durch Unmöglichkeiten,
Da du die Wahl getroffen,
Zum fernen Ziel den Dornenweg zu schreiten,
Laß dein Vertraun nicht sinken,
Siehst du bei jedem Schritt den Tod dir winken.

Wer schwelgt in trägem Frieden,
Wird nie des Sieges Ruhm und Preis erjagen;
Vom Glück sind stets gemieden,
Die feig mit dem Geschick den Kampf nicht wagen,
Auf Mannesehr verzichten,
Und nur auf süße Ruh die Sinne richten.

Wohl darf's gebilligt werden,
Verkauft den Siegespreis die Liebe teuer:
Kein höh'res Gut auf Erden,
Als das die Lieb erprobt in ihrem Feuer;
Und wahr sprach, der da lehrte:
Was wenig kostet, steht gering im Werte.

Beharrlichkeit im Lieben
Erringt gar manches Mal Unmöglichkeiten;
Und bin ich fest geblieben,
Dem unerreichbarn Ziele nachzuschreiten,
So soll mir's auch gelingen,
Den Himmel von der Erd aus zu erringen.

Hier hörte die Stimme auf, und Clara begann aufs neue zu seufzen und zu schluchzen. All dieses entzündete um so mehr Doroteas Neugier, den Anlaß so süßen Gesanges und so schmerzlichen Weinens zu erfahren, und so fragte sie Clara wiederum, was sie vorher habe sagen wollen.

Jetzt drückte Clara sie fester ans Herz, und in der Besorgnis, Luscinda möchte sie hören, hielt sie ihren Mund so dicht an Doroteas Ohr, daß sie sicher war, von niemandem belauscht zu werden, und sprach zu ihr: »Jener Sänger, mein Fräulein, ist der Sohn eines Edelmanns aus dem Königreich Aragón, der zwei Herrschaften besitzt und in der Residenz dem Hause meines Vaters gegenüber wohnte. Und obschon mein Vater die Fenster seiner Wohnung im Winter mit Vorhängen und im Sommer mit Holzgittern wohl verwahrt hielt, so weiß ich nicht, wie es zuging und wie es nicht zuging: der junge Herr, der noch ins Kolleg ging, erblickte mich, ich weiß nicht ob in der Kirche oder anderswo; endlich verliebte er sich in mich und gab es mir von den Fenstern seines Hauses aus durch so viel Zeichen und so viele Tränen zu verstehen, daß ich ihm Glauben, ja Liebe schenken mußte, ohne noch zu wissen, wie ernstlich seine Liebe sei. Unter den Zeichen, die er mir machte, war eines, daß er seine Hände ineinanderlegte, womit er mir zu verstehen gab, daß er sich gern mit mir vermählen möchte; und wiewohl ich mich höchlich freuen würde, wenn dem so wäre, wußte ich doch, so ganz allein und mutterlos, nicht, mit wem ich es besprechen sollte, und ließ die Sache gehen, wie sie ging, ohne ihm je eine andre Gunst zu erweisen, als daß ich, wenn mein Vater und auch der seinige das Haus verlassen hatten, den Vorhang – oder das Gitter – ein wenig in die Höhe hob und mich in ganzer Gestalt sehen ließ, worüber er sich so glücklich und selig gebärdete, daß er schier verrückt zu werden schien.

Inzwischen kam die Zeit heran, wo mein Vater abreisen sollte, und er erfuhr es, wenn auch nicht durch mich, da es mir nie möglich war, ihn zu sprechen. Er wurde krank, wie ich vermute, aus Gram, und so konnte ich ihn am Tag unserer Abreise nicht sehen, um von ihm, wenn auch nur mit Blicken, Abschied zu nehmen. Aber nachdem wir zwei Tage lang gereist waren und eben eine Tagereise von hier entfernt in ein Gasthaus einkehrten, da erblickte ich ihn plötzlich an der Tür des Gasthauses, angezogen wie der Bursche eines Maultiertreibers, und die Tracht schien ihm so natürlich, daß es mir unmöglich gewesen wäre, ihn zu erkennen, wenn ich sein Bild nicht so treu im Herzen trüge. Ich erkannte ihn und ward von Staunen und Freude ergriffen. Er sah mich verstohlen an, hinter dem Rücken meines Vaters, da er sich immer vor ihm verbirgt, wenn er auf den Wegen und in den Herbergen, wo wir einkehren, an mir vorübergeht. Und da ich weiß, wer er ist, und bedenke, daß er nur aus Liebe zu mir unter soviel Mühsalen zu Fuße reist, vergehe ich vor Gram, und wo sich seine Füße hinwenden, da wenden sich meine Augen hin. Ich weiß nicht, welche Absicht ihn hierherführt, noch wie es ihm möglich war, von seinem Vater fortzukommen, der ihn außerordentlich liebt, weil er keinen andern Erben hat und weil der junge Mann es verdient, wie Ihr sofort erkennen werdet, wenn Ihr ihn seht. Außerdem kann ich Euch sagen, daß alles, was er singt, aus seinem eignen Kopfe kommt, denn, wie ich gehört habe, hat er viel gelernt und dichtet vortrefflich. Aber es kommt noch etwas dazu: jedesmal, wenn ich ihn sehe oder singen höre, zittre ich am ganzen Leibe und werde von Angst überfallen, mein Vater möchte ihn erkennen und unsere gegenseitige Neigung entdecken. Nie in meinem Leben habe ich ein Wort mit ihm gesprochen, und dessenungeachtet liebe ich ihn so innig, daß ich ohne ihn nicht leben kann. Das, mein Fräulein, ist alles, was ich Euch über diesen Sänger sagen kann, dessen Stimme Euch so sehr gefallen hat, daß Ihr an ihr allein schon erkennen könnt, daß er kein Maultiertreiber ist, wie Ihr meintet, sondern daß er Gebieter über Seelen und Herrschaften ist.«

»Redet nicht weiter, Señora Doña Clara«, sprach Dorotea jetzt und küßte sie dabei vieltausendmal, »redet nicht weiter, sag ich, und geduldet Euch, bis der Morgen kommt. Mit Gottes Hilfe hoffe ich Eure Angelegenheiten zu dem glücklichen Ende zu bringen, das ein so züchtiger Anfang verdient.«

»O mein Fräulein!« versetzte Clara, »welch ein Ende läßt sich hoffen, wenn doch sein Vater so vornehm und so reich ist, daß er mich kaum wert achten wird, seines Sohnes Dienerin, geschweige denn seine Gemahlin zu sein? Und dann, mich heimlich hinter dem Rücken meines Vaters verheiraten, das würde ich um alles in der Welt nicht tun. Ich wünschte nur, der junge Mann kehrte nach Hause und ließe von mir ab; vielleicht, wenn ich ihn nicht sähe und wenn die große Strecke des Weges, den wir reisen, uns trennte, würde sich die Pein, die ich jetzt empfinde, beschwichtigen lassen. Zwar muß ich wohl sagen, dies Mittel, das mir eben eingefallen, würde mir gar wenig helfen. Ich weiß nicht, welcher Teufel es so gefügt oder durch welches Pförtchen sich die Liebe zu ihm mir ins Herz eingeschlichen hat, da ich doch ein so junges Mädchen bin und er ein so junges Herrchen ist; in der Tat glaube ich, wir sind vom selben Alter, und ich zähle noch nicht volle sechzehn Jahre; denn mein Vater sagt, daß ich dies Alter erst auf nächsten Michaelistag vollenden werde.«

Dorotea konnte das Lachen nicht unterdrücken, als sie Clara so kindlich plaudern hörte, und sprach zu ihr: »Jetzt, Fräulein, wollen wir das wenige, was von der Nacht wohl noch übrig ist, in Ruhe verschlafen; Gott wird Tag werden lassen, und es wird uns schon gelingen, oder ich müßte mich schlecht auf dergleichen verstehen.«

Hiermit sanken sie in Schlummer, und in der ganzen Schenke herrschte tiefe Stille. Nur die Tochter der Wirtin und Maritornes schliefen nicht; sie wußten, welchen Sparren Don Quijote im Kopf hatte, sie hatten gesehen, wie er vor der Schenke in voller Rüstung zu Pferd Wache hielt, und nahmen sich vor, sich einen Spaß mit ihm zu machen oder sich mindestens mit dem Anhören seiner Narreteien die Zeit zu vertreiben.

Nun gab es in der ganzen Schenke kein Fenster, das aufs Feld hinausging; nur auf dem Heuboden war eine Luke, durch welche man das Stroh hinauswarf. An diese Luke stellten sich die beiden vermeintlichen Burgfräulein und sahen, wie Don Quijote zu Pferde saß, auf seinen Spieß gelehnt, und von Zeit zu Zeit so schmerzlich tiefe Seufzer ausstieß, daß es schien, als würde ihm mit jedem die Seele schier aus dem Leibe gerissen. Und zugleich hörten sie ihn mit weicher, zärtlicher, liebebeseelter Stimme sagen: »O meine Herrin Dulcinea von Toboso, du höchster Inbegriff aller Schönheit, Gipfel und Vollendung aller Klugheit und Bescheidenheit, Rüstkammer der anmutigsten Holdseligkeit, Vorratshaus aller Sittsamkeit, Vorbild alles dessen, was es Ersprießliches, Sittenreines und Erquickliches auf Erden gibt! O sage, woran mag anitzo deine Herrlichkeit sich erlusten? Hältst du vielleicht deinen fürtrefflichen Sinn gerichtet auf diesen in deinen Ketten schmachtenden Ritter, den es verlangt hat, sich aus eignem freiem Willen in soviel Gefahren zu stürzen, nur um sich deinem Dienst ergeben zu zeigen? Gib mir Nachricht von ihr, o ewige Lampe mit dem dreifach verschiedenen Antlitz! Das ihrige beneidest du vielleicht jetzt im Anschauen ihrer Schönheit und siehst zu, wie sie eine Galerie ihres prunkenden Palastes durchwandelt oder wie sie sich mit der Brust über einen Balkon lehnt und bei sich erwägt, wie sie unbeschadet ihrer Tugend und erhabenen Stellung den Sturm beruhigen könne, den dies mein zagendes Herz um ihretwillen erleidet; welche Glorie sie meinen Qualen, welche Linderung sie meinen Kümmernissen, kurz, welches Leben sie meinem Tode und welchen Lohn sie meinen Diensten gewähren soll! Und du, Sonne, die du dich gewiß schon jetzt beeilst, deine Rosse zu satteln, um früh zur Hand zu sein und nach meiner Herrin dich umzuschauen! Sobald du sie erblickest, bitte ich dich, sie von mir zu grüßen. Aber hüte dich, daß du nicht, wenn du sie siehst und grüßest, sie auf das Antlitz küssest; denn ich würde eifersüchtiger auf dich sein, als du es auf jene behende grausame Schönheit warst, die dich so schwitzen ließ und durch die Ebenen Thessaliens jagte, oder war es längs der Ufer des Peneus, denn ich erinnere mich nicht genau, wo du damals in deiner Eifersucht und Verliebtheit umherliefst.«

So weit war Don Quijote in seinen betrübsamen Herzensergießungen gekommen, als die Wirtstochter begann, ihm »Pst! pst!« zuzuflüstern, und zu ihm sprach: »Verehrter Herr, geruhe doch Euer Gnaden hierherzukommen, wenn Ihr so gut sein wollt.«

Auf diese Winke und Worte drehte Don Quijote den Kopf und bemerkte bei dem Lichte des Mondes, der gerade in seiner vollen Helle schien, daß man ihm von der Dachluke aus zurief, welche ihm ein Fenster schien und obendrein eins mit vergoldetem Gitter, wie es sich für so reiche Burgen geziemt; denn eine solche war in seiner Einbildung die Schenke. Und gleich im Augenblick stellte sich ihm in seiner verrückten Phantasie vor, daß gerade wie das vorige Mal das huldselige Fräulein, die Tochter der Burgherrin, von Liebe zu ihm überwältigt, aufs neue um seine Neigung werben wolle. Und in diesem Gedanken wendete er, um sich nicht unritterlich und undankbar zu zeigen, Rosinante am Zügel, ritt an die Dachluke heran, und als er die beiden Mädchen erblickte, sprach er: »Bedauern hege ich um Euretwillen, huldseliges Fräulein, daß Ihr Eure liebenden Sinne auf ein Ziel gerichtet habet, wo es nicht möglich, Euch die entsprechende Erwiderung finden zu lassen, wie sie Eure hohe Fürtrefflichkeit und Lieblichkeit verdient. Dessen aber dürft Ihr die Schuld nicht diesem jammervollen fahrenden Ritter beimessen, welchen Liebe in die Unmöglichkeit versetzt hat, seine Neigung einer andern hinzugeben, sondern nur der, die er in derselben Minute, wo seine Augen sie erschauten, zur unumschränkten Gebieterin seines Herzens machte. Verzeihet mir, fürtreffliches Fräulein; ziehet Euch in Euer Gemach zurück und begehret nicht, mich durch entschiedenere Kundgebung Eurer Wünsche zu noch größerem Undank zu nötigen. Wenn Ihr aber in mir etwas anderes finden könnt, womit ich Eurer Liebe zu mir ein Genüge zu tun vermöchte, etwas anderes, das nicht wieder selbst Liebe ist, so fordert es von mir, und ich schwör Euch bei jener süßen Feindin mein, die nun fern ist, es Euch augenblicks zu gewähren, und fordertet Ihr von mir sogar eine Locke von Medusas Haaren, die allesamt Schlangen waren, oder auch die Sonnenstrahlen selbst in eine Flasche eingesiegelt.«

»Von all diesem hat mein Fräulein nichts nötig«, fiel hier Maritornes ein.

»Und was denn, kluge Zofe, hat Euer Fräulein nötig?« entgegnete Don Quijote.

»Nur eine von Euren schönen Händen«, sprach Maritornes, »um an ihr das heiße Begehren zu kühlen, das sie zu dieser Dachluke getrieben hat, wobei ihre Ehre so große Gefahr läuft, daß, wenn ihr Vater dahintergekommen wäre, wahrlich, ihr Ohr das kleinste Stück gewesen wäre, das er ihr abgeschnitten hätte.«

»Das hätte ich wohl sehen mögen!« versetzte Don Quijote. »Aber er wird sich wohl davor hüten, wenn er nicht das unglückseligste Ende nehmen will, das je auf Erden einem Vater zum Lohne dafür geworden, daß er seine Hände an die zarten Glieder seiner liebeerfüllten Tochter gelegt.«

Maritornes hielt es für sicher, daß Don Quijote die verlangte Hand darreichen werde, und da sie in Gedanken schon mit sich einig war, was sie tun wollte, ging sie von der Dachluke hinunter nach dem Pferdestall, nahm dort das Halfter von Sancho Pansas Esel und kehrte eilig zu ihrer Luke zurück. Hier hatte sich Don Quijote bereits mit den Füßen auf Rosinantes Sattel gestellt, um das Gitterfenster zu erreichen, wo seine Einbildung das liebeswunde Fräulein stehen sah, und indem er ihr die Hand reichte, sprach er: »Nehmt, Fräulein, diese Hand, oder richtiger gesagt, diese Zuchtrute aller Missetäter auf Erden, nehmt diese Hand, sag ich, die noch nie von eines Weibes Hand berührt worden, nicht einmal von der Hand jener Erkorenen, der mein ganzer Leib völlig zu eigen gehört. Ich reiche sie Euch nicht, damit Ihr sie küsset, sondern damit Ihr das Gewebe ihrer Sehnen, das Gefüge ihrer Muskeln, die Breite und Mächtigkeit ihrer Adern betrachtet, woraus Ihr entnehmen werdet, wie groß die Stärke dieses Armes ist, dem solch eine Hand zugehört.«

»Das wollen wir gleich sehen«, sprach Maritornes, machte eine Schlinge in das Halfter, warf sie ihm um das Handgelenk, ging dann gebückt von der Dachluke weg und band das andere Ende des Halfters so fest wie möglich an den Riegel der Bodentüre. Don Quijote, der die Reibung des rauhen Stricks an seinem Handgelenk spürte, sprach: »Euer Gnaden scheint meine Hand mehr zu striegeln als zu streicheln; behandelt sie nicht so übel, denn sie ist schuldlos daran, wenn mein Herz übel an Euch handelt, und es ist nicht recht, daß Ihr an einem so kleinen Teile für das Ganze Eures Ingrimms Eure Rache übt; bedenket, daß, wer edel liebt, sich nicht so unedel rächt.«

Aber alle diese Reden Don Quijotes hörte schon niemand mehr; denn sobald Maritornes ihm die Hand in der Schlinge gefangen hatte, liefen die beiden Mädchen weg und wollten sich fast totlachen und ließen ihn dort so festgebunden, daß es ihm unmöglich war, sich zu befreien. Er stand denn nun, wie gesagt, mit den Füßen auf Rosinante, den ganzen Arm durch die Dachluke gestreckt und am Handgelenk und am Türriegel festgehalten, mit der größten Angst und Besorgnis, wenn Rosinante nach der einen oder andern Seite einen Schritt täte, so würde er am Arm aufgehängt bleiben. Er wagte daher nicht die geringste Bewegung, da von Rosinantes Geduld und Gemütsruhe sich ganz wohl erwarten ließ, er würde ein ganzes Jahrhundert stehen bleiben, ohne sich zu rühren.

Als Don Quijote sich nun so gebunden sah und gewahrte, daß die Damen sich bereits entfernt hatten, verfiel er schließlich auf den Gedanken, all dies geschehe durch Zauberei wie das letztemal, als in dieser nämlichen Burg jener verzauberte Mohr oder eigentlich Eseltreiber ihn fürchterlich durchbleute; und er verwünschte im tiefsten Innern seinen Mangel an Verstand und Überlegung, daß er, nachdem er das erstemal aus dieser Burg so schlecht weggekommen, sich dennoch darauf eingelassen habe, sie ein zweitesmal zu betreten, da es doch bei den fahrenden Rittern als Regel gilt, daß jedesmal, wenn sie sich an ein Abenteuer gewagt und damit kein Glück gehabt haben, es ein Zeichen ist, daß selbiges Abenteuer nicht ihnen, sondern einem andern vorbestimmt ist und daß sie also nicht nötig haben, sich ein zweitesmal daranzuwagen.

Dessenungeachtet zog er an seinem Arm, um zu versuchen, ob er sich frei machen könne. Aber er war so festgebunden, daß all seine Versuche vergeblich waren. Freilich zog er mit Behutsamkeit, damit Rosinante sich nicht rühre. Wiewohl er sich gerne gesetzt und in den Sattel gebracht hätte, konnte er nichts andres tun, als auf den Füßen stehen bleiben, wenn er sich nicht die Hand ausrenken wollte. Jetzt kam der Augenblick, wo er sich das Schwert des Amadís wünschte, gegen welches keine Zauberkunst etwas vermochte; jetzt kam die Stunde, wo er sein Schicksal verwünschte; jetzt begann er sich in grellen Farben auszumalen, wie sehr man ihn in der Welt vermissen werde, solange er hier verzaubert bliebe; denn das zu sein, glaubte er mit vollster Gewißheit. Jetzt auch gedachte er aufs neue seiner geliebten Dulcinea von Toboso; jetzt rief er seinen wackern Schildknappen Sancho Pansa herbei, der aber in Schlaf begraben und, auf den Sattel seines Esels hingestreckt, in diesem Augenblick nicht einmal an die eigne Mutter, die ihn geboren, gedacht hätte; jetzt rief er die Zauberer Lirgandeo und Alquife zu Hilfe; jetzt flehte er um Beistand zu dessen treuer Freundin Urganda; und endlich fand ihn der Morgen in solcher Verzweiflung und Beklemmung, daß er brüllte wie ein Stier; denn er hatte nicht die geringste Hoffnung, daß seinen Qualen mit dem anbrechenden Tag Abhilfe kommen werde, da er sie für ewig hielt, weil er sich verzaubert glaubte. Und was ihn in diesem Glauben bestärkte, war, daß Rosinante sich nicht bewegte, weder wenig noch viel, und er dachte sich, er und sein Roß würden ohne Essen noch Trinken noch Schlafen so stehen bleiben, bis dieser böse Einfluß der Sterne vorüber wäre oder bis ein andrer, noch gelahrterer Zauberkünstler ihn entzaubern würde.

Indessen fand er sich in seinem Glauben arg betrogen. Kaum fing der Morgen an zu grauen, als vier Männer zu Pferde, sehr wohlgekleidet und trefflich ausgerüstet, ihre Büchsen über den Sattelbogen gelegt, zur Schenke herantrabten. Sie pochten mit mächtigen Schlägen an die Tür der Schenke, die noch verschlossen war. Don Quijote sah dies von seinem hohen Standpunkt aus und wollte auch von da aus die Pflicht einer Schildwache nicht versäumen; er rief mit lauter, stolzer Stimme: »Ritter oder Knappen, oder wer ihr immer sein möget, es kommt euch nicht zu, an die Pforte dieser Burg zu pochen. Denn es ist zur Genüge offenbar, daß zu solcher Stunde entweder die darin Weilenden im Schlafe liegen oder aber nicht gewohnt sind, ihre Festen zu erschließen, bis denn der Sonne Licht sich über die ganze Erde hin verbreitet hat. Macht euch von dannen und wartet, bis der Tag leuchtet, und dann werden wir sehen, ob es sich gebührt oder nicht, daß man euch die Pforte erschließe.«

»Was Teufel für Feste oder Burg ist dies?« sprach einer von den Reitern, »daß man uns nötigen will, solche Umstände zu machen? Wenn Ihr der Wirt seid, so laßt uns aufmachen; wir sind Reisende und verlangen weiter nichts als für unsere Pferde Futter; dann wollen wir weiter, denn wir haben Eile.«

»Meint ihr Ritter, daß ich nach einem Wirt aussehe?« entgegnete Don Quijote.

»Ich weiß nicht, nach was Ihr ausseht«, versetzte der andre, »aber ich weiß, daß Ihr Unsinn redet, wenn Ihr diese Schenke eine Burg nennt.«

»Eine Burg ist es«, sprach Don Quijote darauf, »und eine der besten in diesem ganzen Gau, und es sind Personen darin, die schon ein Zepter in der Hand und eine Krone auf dem Haupte tragen.«

»Besser wäre es umgekehrt«, sagte der Reisende, »das Zepter auf dem Kopf und die Krone in der Hand. Und es wird wohl so sein, wenn wir es recht betrachten, daß eine Gesellschaft Schauspieler sich drin befindet, die wohl gewohnt sind, gar oft die Kronen und Zepter zu tragen, von denen Ihr sprecht. Denn in einer so kleinen Schenke, und wo solche Stille herrscht wie in dieser, da, dünkt es mich, kehren nicht wohl Personen ein, denen Krone und Zepter gebühren.«

»Ihr wißt wenig von der Welt«, entgegnete Don Quijote, »da Euch unbekannt ist, welche Wunder der fahrenden Ritterschaft zustoßen.«

Die Gefährten des Mannes wurden der Unterhaltung überdrüssig, die er mit Don Quijote führte, und daher begannen sie aufs neue mit größtem Ungestüm zu pochen, so daß der Wirt aufwachte und nicht minder alles, was in der Schenke war. Er stand daher auf und fragte, wer da poche.

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Es geschah nun, daß eine von den Stuten, auf welchen die vier Männer saßen, sich dem Rosinante näherte, um ihn zu beriechen, der bisher schwermütig und trübselig, mit gesenkten Ohren, ohne sich zu rühren, seinen ausgestreckten Herrn trug. Da der Gaul aber schließlich doch von Fleisch und Bein war, wiewohl er von Holz schien, konnte er nicht umhin, sich zu fühlen und das Tier, das ihn mit Liebkosungen begrüßt hatte, wieder seinerseits zu beriechen. Kaum aber hatte er sich nur ein klein wenig bewegt, da rutschten Don Quijote beide Füße von ihrer Stelle, glitten vom Sattel herab, und er wäre auf den Boden gestürzt, wäre er nicht am Arme hängengeblieben. Dies verursachte dem Ritter so gewaltigen Schmerz, daß ihm war, als wenn man ihm das Handgelenk abschnitte oder den Arm ausrenkte. Denn er blieb so nah über dem Boden schweben, daß er mit den äußersten Fußspitzen die Erde berührte. Aber dies war für ihn um so schlimmer, denn da er merkte, wie wenig ihm daran fehlte, um mit den Fußsohlen auftreten zu können, mühte er sich ab und streckte sich, soviel er konnte, um den Boden zu erreichen, gerade wie diejenigen, welche bei der Folterung am Flaschenzug so hängen, daß sie den Boden berühren und doch nicht berühren; sie selber mehren ihre Schmerzen durch ihre Bemühung, sich auszustrecken, getäuscht durch die Hoffnung, die ihnen vorspiegelt, wenn sie sich nur ein wenig mehr strecken könnten, würden sie den Boden erreichen.


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