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Welches von den merkwürdigen Dingen handelt, die dem mannhaften Ritter von der Mancha in der Sierra Morena begegneten, und wie er die Buße des Dunkelschön nachahmte
Don Quijote nahm von dem Ziegenhirten Abschied, bestieg wiederum den Rosinante und befahl Sancho, ihm zu folgen; der tat es in sehr übler Laune. Allmählich kamen sie in die wildesten Gegenden des Gebirges, und Sancho verging fast vor Begierde, mit seinem Herrn Zwiesprache zu halten, wünschte jedoch, der Ritter möchte den Anfang machen, damit er nicht dessen Gebot überträte. Da er aber ein so langes Stillschweigen nicht aushalten konnte, so sagte er ihm: »Señor Don Quijote, gebt mir Euren Segen und meinen Abschied, ich will jetzt auf der Stelle wieder heim in mein Haus und zu meinem Weib und zu meinen Kindern; mit denen kann ich wenigstens plaudern und besprechen, was ich will. Denn wenn Euer Gnaden verlangt, daß ich bei Tag und Nacht diese Einöden durchstreife und mit Euch nicht rede, wenn mich die Lust ankommt, so heißt das mich lebendig begraben. Wenn nur das Schicksal wollte, daß die Tiere sprächen, wie sie zu Zeiten des Isopeter gesprochen haben, so wäre es nicht so schlimm, wie es ist; dann könnte ich mit meinem Esel besprechen, was mir in den Sinn käme, und damit würde ich meine Trübsal so leidlich verbringen. Es ist ein hartes Schicksal, und man kann's nicht in Geduld tragen, sein ganzes Leben lang nach Abenteuern suchen zu gehen und nichts zu finden als Fußtritte und Wippen, Steinwürfe und Faustschläge. Und bei all dem soll man sich noch den Mund zunähen und sich nicht zu sagen getrauen, was der Mensch auf dem Herzen hat, gerade als ob man stumm wäre.«
»Ich verstehe dich schon, Sancho«, entgegnete Don Quijote, »du vergehst vor Sehnsucht, daß ich den Bann löse, den ich auf deine Zunge gelegt. Gut, nimm ihn für gelöst und rede, was du willst, unter dem Beding, daß diese Lösung nicht länger dauern darf, als während wir durch dies Gebirge ziehen.«
»So sei es denn«, sprach Sancho, »wenn ich nur jetzt plaudern darf; denn späterhin, Gott weiß, was uns da beschieden sein mag. Also fange ich gleich an, mir diesen Freipaß zunutze zu machen, und sage: Was hatte Euer Gnaden für Grund, sich dieser Königin Madam-sie-mag, oder wie sie sonst heißt, so anzunehmen? Oder was tat es zur Sache, ob jener Sabbath ihr guter Freund war oder nicht? Wärt Ihr ruhig darüber weggegangen – denn Ihr hattet ja nicht über die beiden zu Gericht zu sitzen –, so glaub ich, wär auch der tolle Kerl mit seiner Geschichte weitergegangen, und man hätte sich den Wurf mit dem Kieselstein erspart und die Fußtritte und ein halb Dutzend oder mehr knöcherne Maulschellen.«
»Wahrlich, Sancho«, erwiderte Don Quijote, »hättest du gewußt, wie ich es weiß, welch ehrenhafte und vornehme Dame die Königin Madásima war, ich zweifle nicht, du hättest gesagt, daß ich nur zuviel Geduld bewies, da ich den Mund nicht in Stücke riß, aus dem solche Lästerungen gekommen; denn eine ungeheure Lästerung ist es zu sagen, ja nur zu denken, daß eine Königin mit einem Pflasterschmierer Buhlschaft treibe. Das Wahre an der Geschichte ist, daß jener Meister Elísabat ein sehr kluger Mann war, der stets guten Rat wußte und der Königin Madásima als Hofmeister und Arzt bedienstet war. Aber zu denken, sie sei seine Geliebte gewesen, ist ein Unsinn und der höchsten Strafe wert. Und damit du siehst, daß Cardenio gar nicht wußte, was er sagte, mußt du in Erwägung ziehen, daß er bereits von Sinnen war, als er so sprach.«
»Das meine ich eben«, erwiderte Sancho, »und es war kein Grund, die Worte des Verrückten zu beachten; denn hätte das Glück Euch nicht zur Seite gestanden und hätte es den Kieselstein nach dem Kopfe anstatt nach der Brust gelenkt, so wäre es uns schön ergangen, weil wir uns jener Dame annehmen wollten, die Gott in Grund und Boden verdamme! Und sag mir einer, ob Cardenio nicht als ein Verrückter wäre freigesprochen worden?«
»Gegen verständige und gegen verrückte Leute ist jeglicher fahrende Ritter verbunden, die Ehre der Frauen zu verfechten, von welchem Stande sie auch sein mögen, wieviel mehr der Königinnen von so hohem Wert und so hoher Würde, wie die Königin Madásima war, der ich um ihrer vortrefflichen Eigenschaften willen ganz besondere Anhänglichkeit widme. Denn außer dem, daß sie schön war, besaß sie auch vorzügliche Klugheit und große Geduld in allen Widerwärtigkeiten, deren sie gar viele zu bestehen hatte, und der Rat Meister Elísabats und der Umgang mit ihm waren ihr von großem Vorteil und Trost, um ihre Leiden mit Klugheit und Standhaftigkeit zu tragen. Und hiervon nahm der unwissende und übelwollende Pöbel Anlaß, zu sagen und zu glauben, sie sei seine Geliebte gewesen; aber es ist gelogen, sage ich nochmals, und tausendmal gelogen ist's von allen, die solcherlei glauben und sagen.«
»Ich aber sag es nicht, ich aber glaub es nicht«, versetzte Sancho, »es geht sie allein an, wie sie miteinander fertigwerden; was sie sich eingebrockt haben, mögen sie selber essen; ob sie's miteinander gehabt haben oder nicht, sie hatten's vor Gott zu verantworten. Ich kehre vor meiner Tür und weiß nichts von Nachbars Besen; was schiert mich fremder Leute Handel und Wandel? Wer da kauft mit Lügen, tut den eignen Beutel betrügen; und wahr bleibt's immer: Nackt bin ich, nackt war ich geboren, hab nichts gewonnen noch verloren. War's aber auch so, was geht's mich an? Glaubst du, im Haus gab's Speck in Mengen, gibt's nicht mal Haken, ihn dranzuhängen. Aber wer kann das freie Feld mit Türen abschließen? Wieviel ärger wurde nicht der liebe Gott verlästert!«
»Gott steh mir bei«, sprach Don Quijote, »wieviel dummes Zeug reihst du aneinander! Was hat der Gegenstand unsres Gesprächs mit den Sprichwörtern zu tun, die du auf einen Faden ziehst? So lieb dir dein Leben ist, Sancho, schweige still, und künftig kümmere dich darum, deinen Esel anzutreiben, nicht aber um Dinge, die dich nichts angehn; und nimm all deine fünf Sinne zusammen und merke dir: alles, was ich getan habe und tue und tun werde, ist durchaus in Vernunft begründet und entspricht durchaus den Regeln des Rittertums, die ich besser kenne als alle Ritter auf Erden, die sich zu ihnen bekannt haben.«
»Señor«, entgegnete ihm Sancho Pansa, »ist denn das eine richtige Regel des Rittertums, daß wir in der Irre, ohne Weg und Steg, in diesen Bergen umherziehen, um einen verrückten Kerl aufzusuchen, den, wenn wir ihn gefunden, vielleicht die Lust anwandelt, mit dem angefangenen Werk ein Ende zu machen, ich meine nicht mit seiner Erzählung, sondern mit Eurer Hirnschale und meinen Rippen, und der sie uns dann vollends zusammenschlägt?«
»Schweig, sag ich dir nochmals, Sancho«, entgegnete Don Quijote; »denn ich tue dir zu wissen, daß nicht bloß der Wunsch, den Verrückten zu finden, mich in dieser Gegend umherführt, vielmehr das Verlangen, hier eine Großtat zu verrichten, die mir in allen bis jetzt entdeckten Landen des Erdkreises ewigen Namen und Ruhm gewinnen soll, und sie soll von solcher Art sein, daß ich mit ihr auf alles, was einen fahrenden Ritter vollkommen und hochberühmt machen kann, das Siegel drücken werde.«
»Und ist diese große Tat mit großer Gefahr verbunden?« fragte Sancho.
»Nein«, antwortete Der von der traurigen Gestalt. »Zwar könnten die Würfel immerhin so fallen, daß wir keinen Pasch, sondern einen Fehler geworfen hätten; aber alles wird von deiner Beflissenheit abhängen.«
»Von meiner Beflissenheit?« fragte Sancho.
»Ja«, sprach Don Quijote. »Denn wenn du bald zurückkehrst, von wo ich dich hinzusenden gedenke, so wird meine Pein bald enden und meine Glorie bald beginnen. Doch da es nicht recht wäre, dich länger im Ungewissen und in Erwartung dessen zu lassen, worauf meine Worte abzielen, so sollst du wissen, daß Amadís von Gallien einer der vollkommensten unter den fahrenden Rittern war. Nein, ich habe nicht gut gesagt, einer der vollkommensten: er war der Erste, der einzige, der Meister unter allen, die es zu seinen Zeiten auf Erden gab. Da kann sich Don Belianís verkriechen, er und alle, die da sagen, er sei dem Amadís in irgend etwas gleichgekommen! Sie alle sind im Irrtum befangen, das schwör ich; und damit basta. So sag ich ferner, wenn ein Maler in seiner Kunst Auszeichnung erlangen will, so ist er bestrebt, die Originale der allerbesten Künstler, die er kennt, zum Vorbild zu nehmen; und die gleiche Regel gilt für jede bedeutende Berufsart und Tätigkeit, die zur Zierde des Gemeinwesens dient. In ähnlicher Weise verfährt und muß verfahren, wer den Namen eines klugen, herrlichen Dulders erlangen will; er muß nämlich den Ulysses nachahmen, in dessen Person und Drangsalen uns Homer ein lebendiges Bild der Klugheit und des gelassenen Erduldens malte; wie denn auch Vergil uns in der Person des Äneas die Mannhaftigkeit eines frommen Sohnes und den Scharfblick eines tapfern und erfahrenen Feldherrn gezeigt hat. Sie haben uns diese Helden nicht gezeichnet und beschrieben, wie sie waren, sondern wie sie sein mußten, damit den künftigen Geschlechtern ein Beispiel ihrer Tugenden bleibe. In gleicher Weise war Amadís der Polarstern, der Morgenbote, die Sonne der tapfern und treuliebenden Ritter, den wir alle nachahmen müssen, die wir unter dem Banner der Liebe und des Rittertums kämpfen. Da dies nun so und nicht anders ist, so finde ich, Freund Sancho, daß der fahrende Ritter, der ihn am meisten nachahmt, am nächsten dem Ziele ist, die Vollkommenheit des Rittertums zu erreichen.
Eine aber in der Reihe seiner Taten, worin selbiger Ritter seine Umsicht, Tapferkeit, Mannhaftigkeit, Gelassenheit im Erdulden, Standhaftigkeit und Liebestreue am meisten bewährte, war, daß er sich, von dem Fräulein Oriana zurückgestoßen, auf den Armutsfelsen zurückzog, um da Buße zu tun, und den Namen Dunkelschön statt des seinigen annahm; gewißlich ein bedeutsamer Name, geeignet für die Lebensweise, die er sich aus freiem Willen erkoren hatte. Nun ist es für mich weit leichter, ihn hierin nachzuahmen, als Riesen entzweizuhauen, Schlangen den Kopf abzuschlagen, Drachen zu töten, Kriegsheere in die Flucht zu jagen, Seegeschwader zu zerschmettern und Verzauberungen zunichte zu machen; und da zu solchen Bußübungen diese Örtlichkeiten so höchst passend sind, so sehe ich nicht ein, warum man die Gelegenheit vorüberlassen sollte, die mir jetzt ihre Haarlocke so bequemlich darbietet.«
»Aber was eigentlich«, fragte Sancho, »will Euer Gnaden an so abgelegenem Orte tun?«
»Habe ich denn nicht schon gesagt«, antwortete Don Quijote, »daß ich Amadís nachahmen, das heißt die Rolle eines Verzweifelnden, Verrückten, Rasenden durchführen und gleichzeitig den gewaltigen Don Roldán nachahmen will, da er bei einer Quelle die Beweise fand, daß Angelika die Schöne mit Medor Schändliches begangen, und da er aus Schmerz darüber toll wurde und die Bäume ausriß, die Wasser der klaren Quellen trübte, Hirten erschlug, Herden niedermetzelte, Hütten in Brand steckte, Häuser niederriß, Pferde hinwegschleppte und tausend andre unerhörte Streiche vollführte, die ewigen Gedächtnisses und Ruhmes würdig sind? Und wenn ich den Roldán oder Orlando oder Roland – denn alle drei Namen führte er, jenen bei den Spaniern, den andern bei den Italienern, den dritten bei den Deutschen – nicht Punkt für Punkt in all den Tollheiten, die er tat, sagte und dachte, nachahmen will, so will ich doch wenigstens eine Skizze von denjenigen geben, die mir die wesentlichsten scheinen; auch könnte es sein, daß ich mich am Ende entschlösse, mit der alleinigen Nachahmung des Amadís mich zu begnügen, welcher keine Tollheiten schädlicher Art beging, sondern nur tränenreiche und empfindsame, und dadurch so großen Ruhm erwarb wie der, so dessen am allermeisten gewonnen hat.«
»Mich indessen will es bedünken«, sprach Sancho, »daß die Ritter, die dergleichen taten, dazu wider Willen angetrieben wurden und Grund hatten, ihre Alfanzereien und Bußübungen zu treiben; aber welchen Grund hat Euer Gnaden, toll zu werden? Welche Dame hat Euch abgewiesen, oder welche Anzeichen habt Ihr gefunden, die Euch annehmen lassen, daß das Fräulein Dulcinea von Toboso irgendwelche Kinderei mit einem Mohren oder Christen verübt hat?«
»Dies eben ist der Punkt«, antwortete Don Quijote, »und darin zeigt sich die ausgesuchte Galanterie meines Vorhabens. Daß ein fahrender Ritter mit Grund verrückt wird, darin ist nichts Freiwilliges, dafür gibt's keinen Dank; die rechte Probe ist, ohne Anlaß wahnsinnig zu sein, damit meine Geliebte denken muß: wenn das am grünen Holze geschieht, was soll's erst am dürren werden! Außerdem habe ich dazu Veranlassung genug in der langen Abwesenheit, die ich mir von meiner ewig mir gebietenden Herrin Dulcinea von Toboso auferlegt habe. Hast du ja doch von dem Ambrosio, dem Schäfer von neulich, gehört: wer abwesend ist, erleidet und befürchtet jegliches Übel. Sonach, Freund Sancho, verwende keine Zeit darauf, daß du mir anratest, von einer so ausbündigen, so glücklich erdachten, so unerhörten Nachahmung abzustehen. Toll bin ich und toll bleib ich, bis du mit der Antwort auf einen Brief zurückkommst, den ich meiner Herrin Dulcinea durch dich zu übersenden gedenke; und wenn sie so ausfällt, wie es meine Treue verdient, dann wird es mit meinem Wahnsinn und meiner Buße zu Ende sein; und wenn sie im entgegengesetzten Sinne ausfällt, dann werde ich im Ernste toll werden und als ein solcher alsdann nichts mehr empfinden. Mithin, auf welche Weise sie auch immer antworten mag, entrinne ich den Seelenkämpfen und Nöten, worin du mich zurücklassest, und ich werde entweder bei Verstande das Glück genießen, das du mir bringst, oder in der Verrücktheit das Unheil nicht empfinden, das du mir verkündest. Aber sage mir, Sancho, hast du den Helm des Mambrin in guter Verwahrung bei dir? Denn ich sah wohl, wie du ihn vom Boden aufhobst, als jener undankbare Mensch ihn in Stücke schlagen wollte. Jedoch er vermochte es nicht, woraus sich die Vortrefflichkeit seines Metalls ersehen läßt.«
Darauf antwortete Sancho: »Beim lebendigen Gott, Herr Ritter von der traurigen Gestalt, manches, was Euer Gnaden sagt, ist nicht auszuhalten noch in Geduld zu ertragen und bringt mich auf den Gedanken, daß alles, was Ihr mir vom Rittertum sagt und vom Erobern von Königreichen und Kaisertümern und vom Verschenken von Insuln und von der Zuteilung von Gnaden und Herrlichkeiten, was Brauch fahrender Ritter ist – daß all das nur Wind und Lüge sein muß und alles nur Babel oder Fabel oder wie wir's nennen wollen; denn wenn einer Euer Gnaden sagen hört, daß eine Barbierschüssel der Helm des Mambrin ist, und wenn Ihr in ganzen vier Tagen oder länger nicht aus diesem Irrtum kommt, was soll er anders denken, als daß, wer solcherlei sagt und behauptet, schwach am Verstande sein muß? Die Schüssel hab ich in meinem Sack bei mir, ganz voller Beulen, und ich bringe sie mit, weil ich sie zu Hause ausbessern und mir den Bart daraus einseifen will, wenn Gott mir die große Gnade erweist, daß ich mich einstmals wieder bei Frau und Kindern sehe.«
»Sieh, Sancho, bei demselben Gott, bei dem du itzo geschworen«, sprach Don Quijote, »schwör ich, du hast den beschränktesten Verstand, den ein Schildknappe auf Erden hat oder jemals hatte. Wie ist es möglich, daß du während der ganzen Zeit, seit du an meiner Seite bist, nicht begriffen hast, daß alles, was mit fahrenden Rittern vorgeht, wie Hirngespinste, Albernheit und Unsinn aussieht und in allem stets verkehrt ist? Und nicht etwa, weil es wirklich so ist, sondern weil mit unsereinem beständig ein Schwarm von Zauberern umherzieht, die alles, was uns betrifft, verwechseln und vertauschen und nach ihrem Belieben umwandeln, je nachdem sie Lust haben, uns zu begünstigen oder uns zugrunde zu richten. So kommt es, daß, was dir wie eine Barbierschüssel aussieht, mir als der Helm Mambrins erscheint, und einem andern wird es wieder was andres scheinen. Und es war eine seltene Vorsicht des Zauberers, der auf meiner Seite ist, daß er allen als eine Schüssel erscheinen läßt, was wahr und wirklich Mambrins Helm ist. Denn sintemal dieser so hohen Wertes ist, würde mich alle Welt verfolgen, um ihn mir wegzunehmen. Da die Leute aber in ihm nur eine Bartschüssel sehen, so liegt ihnen nichts daran, ihn zu erlangen, wie sich dies bei dem Kerl zeigte; der ihn zerschlagen wollte und ihn auf dem Boden liegenließ, ohne ihn mitzunehmen; denn wahrlich, wenn er ihn gekannt hätte, so hätte er ihn niemals liegenlassen. Verwahr ihn gut, Sancho, für jetzt habe ich ihn nicht nötig; vielleicht will ich alle diese meine Rüstungsstücke ablegen und mich nackt ausziehen, wie ich zur Welt kam, wenn mich etwa die Lust anwandelte, bei meiner Bußübung mehr dem Roldán als dem Amadís zu folgen.« Unter diesen Gesprächen gelangten sie an den Fuß eines hohen Berges, der mitten unter vielen andern allein ragte wie ein abgeschnittener Felsblock; an seinem Abhang floß ein sanftes Bächlein, und rings um ihn her dehnte sich ein Wiesenrain, so grün und üppig, daß es die Augen des Beschauers erfreute. Es standen viel Waldbäume und mancherlei Pflanzen und Blumen umher, die dem Orte lieblichen Reiz verliehen. Diesen Platz wählte der Ritter von der traurigen Gestalt, um seine Buße zu verrichten, und sobald er ihn erblickte, hob er an, mit lauter Stimme zu sprechen, als wäre er wirklich von Sinnen: »Das ist der Ort, o ihr Himmel, den ich dazu bestimme und erkiese, das Unglück zu beweinen, in das ihr selbst mich gestürzt habt; das ist der Platz, wo das Naß meiner Augen die Wasser dieses Bächleins vermehren soll und wo meine unaufhörlichen tiefen Seufzer das Laub dieser Waldbäume unaufhörlich in zitternde Bewegung setzen werden zum Zeugnis und Erweis der Pein, die mein in der Irre schweifendes Herz erduldet. O ihr, wer ihr auch seiet, ländliche Gottheiten, die ihr an diesen unwirtlichen Orten euren Aufenthalt habt, hört die Klagen des unglücklich Liebenden, den eine lang dauernde Trennung und eingebildete Eifersucht in diese Wildnis geführt haben, Jammer zu erheben und schmerzlich zu klagen ob des harten Sinnes, den jene Undankbare, jene Schöne zeigt, die die äußerste Grenze und Vollendung aller menschlichen Schönheit ist. Und ihr, Nymphen der Quellen und der Bäume, die ihr im Dickicht der Wälder zu hausen pfleget: so wahr mögen die leichtfüßigen zuchtlosen Satyrn, die euch, wenn auch vergeblich, mit Liebe umwerben, niemals eure süße Ruhe stören, so wahr ihr mir helfen wollet, mein Mißgeschick zu bejammern, oder wenigstens nicht ermüden werdet, es anzuhören. O Dulcinea von Toboso, du Tag meiner Nacht, du Glorie meiner Pein, du Polarstern meiner Pfade, du Leitstern meines Glückes, so wahr der Himmel es dir gut in allem ergehen lasse, was du von ihm erbittest, so wahr erwäge, du Milde, den Ort und Zustand, wohin die Trennung von dir mich gebracht; so wahr möge ein freundliches Benehmen von dir dem Benehmen entsprechen, das meine Treue fordern darf. O ihr einsamen Bäume, die ihr von heut an meiner Verlassenheit fürderhin Gesellschaft leisten sollt, gebt mit sanftem Bewegen eurer Zweige ein Zeichen, daß euch meine Anwesenheit nicht mißfällt. O du mein Schildknappe, erfreulicher Gefährte mir in guten und bösen Tagen, nimm wohl ins Gedächtnis auf, was du mich hier wirst beginnen sehen, damit du es der Ursache alles dessen vortragen und berichten kannst.«
Mit diesen Worten stieg er von Rosinante hernieder, nahm ihm in einem Augenblick Zaum und Sattel ab, und indem er ihm mit der flachen Hand einen Schlag auf die Kruppe gab, sprach er: »Dir gibt die Freiheit, der ihrer entbehrt, o mein Roß, du so rühmlich ausgezeichnet durch deine Taten wie unglücklich durch dein Schicksal. Geh, wohin du willst; auf der Stirne trägst du geschrieben, daß dir an Behendigkeit nicht der Hippogryph Astolfos gleichkam noch der gepriesene Frontin, der dem Bradamante so teuer zu stehen kam.«
Als Sancho das sah, sagte er: »Gottes Segen mit dem Menschen, der uns der Mühe überhoben hat, jetzt auch meinen Grauen abzusatteln; es würde ihm an Lob und Preis und am Streicheln mit der Hand nicht gefehlt haben. Freilich, wenn er hier wäre, so würde ich keinem erlauben, ihn abzusatteln; dazu wäre auch kein Grund; denn auf die Generalfragen nach Verliebtsein und Verzweifeltsein hätte er doch keine Zeugenaussagen zu geben, da sein Herr weder verliebt noch verzweifelt war. Und sein Herr war ich, als Gott mir noch die Gnade erwies. Und wahrlich, Herr Ritter von der traurigen Gestalt, wenn es mit meiner Abreise und Euer Gnaden Tollheit ernst gemeint ist, so wird's am besten sein, den Rosinante wieder zu satteln, um den Grauen, der uns abgeht, zu ersetzen, was für meine Hin- und Herreise Zeit erspart; denn mache ich beides zu Fuß, so weiß ich nicht, wann ich hinkomme noch wann ich zurückkehre, sintemal ich doch am Ende ein schlechter Fußgänger bin.«
»So sage ich dir denn, Sancho«, entgegnete Don Quijote, »es geschehe, wie du begehrst; denn dein Plan dünkt mich nicht übel; und ich sage weiter, von jetzt ab in drei Tagen sollst du fort, denn in der Zwischenzeit sollst du mit ansehen, was ich um ihretwillen tue und rede, damit du es ihr berichten kannst.«
Darauf versetzte Sancho: »Was brauche ich denn noch mehr zu sehen, als ich schon gesehen habe?«
»Das verstehst du ja gut!« entgegnete Don Quijote. »Es erübrigt mir noch, die Kleider zu zerreißen, die Waffen umherzustreuen und mit dem Kopf wider die Felsen dort zu rennen und noch andres dieser Art, was dich in Erstaunen setzen wird.«
»Um Gottes willen«, sprach Sancho, »sehe sich Euer Gnaden vor, wie Ihr mit dem Kopfe anrennen wollet; denn Ihr könntet an einen so scharfen Felsen geraten und so hart anstoßen, daß mit dem ersten Anrennen das ganze Gebäude Eurer Buße zugrunde ginge. Ich freilich wäre der Meinung, wenn es nun einmal Euer Gnaden bedünkt, daß das Anrennen mit dem Kopf hier notwendig ist und dies Werk ohne solches nicht getan werden kann, daß Ihr Euch begnügtet, sintemal doch all dieses nur erdichtetes und nachgemachtes Zeug und im Spaß gemeint ist, daß Ihr Euch begnügtet, sage ich, mit dem Kopf gegen das Wasser zu rennen oder gegen etwas Weiches, wie zum Beispiel Baumwolle, und dann überlaßt mir alle weitere Sorge; denn ich will schon unsrer Gebieterin berichten, Euer Gnaden rannte mit dem Kopfe gegen eine Felsenecke, härter als die Spitze eines Demants.«
»Ich danke dir für deine gute Absicht«, antwortete Don Quijote, »aber ich tue dir kund und zu wissen, daß alles, was ich hier vornehme, keineswegs zum Spaß, sondern sehr ernst gemeint ist. Denn sonsten würde ich den Geboten des Rittertums zuwiderhandeln, welche uns vorschreiben, niemalen eine Lüge zu sagen, unter Androhung der Strafe für rückfällige Ketzer; die eine Handlung aber anstatt der andern zu verrichten ist ganz dasselbe wie lügen. Sonach muß bei mir das Anrennen mit dem Kopfe wahr, kräftig und echt sein, ohne daß Spitzfindigkeit oder Selbsttäuschung damit zu tun haben darf. Es wird aber nötig sein, mir etwas Scharpie dazulassen, um mich zu verbinden, da das Schicksal gewollt hat, daß wir des Balsams ermangeln, der uns verlorenging.«
»Ein größerer Verlust ist's, des Esels zu ermangeln«, entgegnete Sancho, »da mit ihm die Scharpie und alles andere verlorengegangen. Jedenfalls bitte ich Euer Gnaden, jenes verwünschten Tranks nicht mehr zu gedenken; denn wenn ich ihn nur nennen höre, dreht sich mir die Seele im Leibe herum, wieviel mehr der Magen! Außerdem bitte ich, daß Ihr annehmet, die drei Tage seien schon vorüber, die Ihr mir zur Frist gesetzt habt, um die Tollheiten, die Ihr verübt, mit anzusehen. Ich nehme sie für gesehen und erwiesen an und für eine durch gerichtliches Urteil festgestellte Tatsache, und ich will unserm Fräulein Wunderdinge davon berichten. Schreibt nur den Brief und fertigt mich gleich ab; denn ich hege den lebhaftesten Wunsch, zurückzukehren und Euer Gnaden aus diesem Fegefeuer zu holen, worin ich Euch zurücklasse.«
»Fegefeuer nennst du es, Sancho?« entgegnete Don Quijote, »du tätest besser, Hölle zu sagen, ja noch Schlimmeres, wenn es das gäbe.«
»Wer die Hölle hat«, erwiderte Sancho, »da ist keine Erlöschung mehr, wie ich sagen hörte.«
»Ich verstehe nicht, was du sagen willst mit ›Erlöschung‹«, sprach Don Quijote.
»Erlöschung ist«, antwortete Sancho, »wenn einer in der Hölle ist, so kommt er niemals mehr heraus und kann's auch nicht. Aber bei Euer Gnaden wird's umgekehrt gehen, oder es müßte mit meinen Füßen schlecht bestellt sein, wenn ich Sporen dran trage, um Rosinante anzutreiben. Wenn ich nur richtig nach Toboso zu unserm gnädigen Fräulein Dulcinea komme, so erzähle ich ihr solche Dinge von den Dummheiten und Tollheiten – das ist ja all eins –, die Euer Gnaden verübt hat und fortwährend verübt, daß ich sie bald geschmeidiger mache als einen Handschuh, sollte sie auch anfänglich härter sein als eine Korkeiche; und mit ihrer zärtlichen, honigsüßen Antwort komm ich durch die Lüfte zurück wie ein Hexenmeister und hole Euer Gnaden aus diesem Fegefeuer heraus, das eine Hölle scheint und es doch nicht ist, da Ihr Hoffnung habt, herauszukommen, was die nicht haben, die in der Hölle sind, wie ich schon gesagt, und ich glaube auch nicht, daß Euer Gnaden anders sagen wird.«
»Es ist allerdings so«, sprach Der von der traurigen Gestalt. »Aber wie sollen wir's anfangen, um den Brief zu schreiben?«
»Und die Esels-Anweisung dazu?« fügte Sancho bei.
»Alles wird niedergeschrieben werden«, sagte Don Quijote, »und da kein Papier da ist, wäre es gut, wir schrieben ihn, wie die Alten taten, auf Baumblätter oder auf Wachstäfelchen, wiewohl das jetzt ebenso schwer aufzutreiben wäre wie Papier. Doch eben ist mir's in den Sinn gekommen, worauf ich den Brief ganz gut und besser als gut schreiben kann, nämlich in das Notizbuch, das Cardenio angehörte, und du wirst Sorge tragen, es auf Papier abschreiben zu lassen, mit guter Handschrift, am ersten besten Ort, wo sich ein Schulmeister findet; wenn das nicht, so kann jeder Küster dir ihn abschreiben. Gib ihn aber keinem Aktuar zum Abschreiben; denn die bedienen sich einer Aktenschrift, die der Gottseibeiuns nicht lesen kann.«
»Wie soll es aber mit der Unterschrift werden?« fragte Sancho.
»Niemals waren die Briefe des Amadís unterzeichnet«, antwortete Don Quijote.
»Ganz gut«, versetzte Sancho, »aber die Anweisung muß notwendig unterzeichnet sein, und wenn die abgeschrieben wird, so wird man sagen, die Unterschrift ist falsch, und ich bin um die Esel.«
»Die Anweisung soll im Notizbuche selbst unterzeichnet werden, so daß meine Nichte, wenn sie dieselbe sieht, keine Schwierigkeiten machen wird, sie zu berichtigen. Soviel aber den Liebesbrief betrifft, wirst du die Unterschrift daruntersetzen: Der Eurige bis in den Tod, der Ritter von der traurigen Gestalt. Und es wird nichts ausmachen, daß sie von fremder Hand ist; denn soviel ich mich entsinne, kann Dulcinea weder schreiben noch lesen und hat in ihrem ganzen Leben meine Handschrift, also auch einen Brief von mir, nicht gesehen. Meine Liebe und die ihrige waren stets eine platonische und erstreckten sich nie weiter als zu einem züchtigen Anblicken, und auch dies nur von Zeit zu Zeit, so daß ich mit Wahrheit schwören darf, in den zwölf Jahren, seit denen ich sie inniger liebe als das Licht meiner Augen, die einst im Schoße der Erde modern werden, habe ich sie höchstens viermal gesehen, und zudem kann es auch sein, daß unter diesen vier Malen sie nicht ein einziges Mal bemerkt hat, daß ich sie anschaute. In solcher Sittsamkeit und Zurückgezogenheit haben sie ihr Vater Lorenzo Corchuelo und ihre Mutter Aldonza Nogales erzogen.«
»Ei je, ei je«, sprach Sancho, »die Tochter von Lorenzo Corchuelo ist unsere Gebieterin Dulcinea von Toboso, sonst auch Aldonza Lorenzo geheißen?«
»Dieselbe«, antwortete Don Quijote, »und sie ist's, die da verdient, die Gebieterin des ganzen Weltalls zu sein.«
»Ich kenne sie ganz gut«, sprach Sancho, »und kann sagen, daß sie im Spiel die Eisenstange so kräftig wirft wie der stärkste Bursche im ganzen Ort. Beim Geber alles Guten, das ist eine tüchtige Dirne, schlecht und recht, hat Haare auf den Zähnen und kann jedem jetzt fahrenden oder in Zukunft fahrenden Ritter, der sie zur Gebieterin erkiest, was zu raten aufgeben. Was Teufel hat sie für eine Kraft im Leibe, was hat sie für eine Stimme! Ich sage Euch, sie ist einmal oben auf den Glockenturm des Dorfes hinauf, um vom Brachfeld ihres Vaters Knechte heimzurufen, und wiewohl selbige mehr als eine halbe Stunde fern vom Orte waren, haben sie sie gehört, als hätten sie unten am Turm gestanden. Und das Beste an ihr ist, daß sie durchaus nicht zimperlich ist, sie hat was von so einer Person aus der Residenz, alle hat sie zum besten und hat über alles ihren Spott und Scherz.
Jetzt sage ich, Herr Ritter von der traurigen Gestalt, nicht nur kann und soll Euer Gnaden Tollheiten ihretwegen verüben, sondern kann auch mit großem Recht verzweifeln und gar sich aufhängen; denn keiner, der es erfährt, wird umhinkönnen, zu sagen, daß Ihr ausnehmend wohl daran getan, und wenn Euch auch darum der Teufel holen sollte; und gerne möchte ich schon auf dem Wege sein, nur um sie zu sehen, sintemal es schon viele Tage her ist, daß sie mir nicht vor die Augen gekommen; auch muß sie ganz wie verwechselt aussehen; denn nichts verdirbt den Frauenzimmern so sehr ihr Gesicht, als wenn sie in der Sonne und freier Luft im Felde herumlaufen! Auch muß ich Euer Gnaden wahr und wahrhaftig sagen, daß ich bisher in großer Unkenntnis der Sachen gewesen. Ich war nämlich ernst und treulich des Glaubens, das Fräulein Dulcinea müsse irgendeine Prinzessin sein, in die Euer Gnaden sich verliebt hätte, oder sonst ein Frauenzimmer solcher Art, daß sie die von Euer Gnaden gesendeten reichen Gaben verdiente, wie das Geschenk, das Ihr ihr mit dem Biskayer und mit den Galeerensklaven gemacht habt. Und ohne Zweifel werden es noch viele andere Gaben sein, nach den Siegen zu schließen, die Ihr zur Zeit errungen haben müßt, wo ich noch nicht Euer Schildknappe war. Aber wenn man's bei Licht betrachtet, was kann dem Fräulein Aldonza Lorenzo, will sagen dem Fräulein Dulcinea von Toboso, daran liegen, daß die Besiegten, die Euer Gnaden hinsendet und hinsenden wird, kommen und sich auf die Knie vor ihr werfen? Denn es wäre ja möglich, daß gerade zur Zeit, wo selbige ankämen, sie mit dem Hecheln von Flachs oder Dreschen auf der Tenne beschäftigt wäre, und jene würden sich dann schämen, sie in dem Aufzug zu sehen, und sie würde über das Geschenk lachen und sich ärgern.«
»Ich habe dir schon früher oftmals gesagt, Sancho«, sprach Don Quijote, »daß du ein gewaltiger Schwätzer bist und, obwohl am Verstande stumpf, doch häufig spitzig sein und sticheln willst. Damit du jedoch siehst, wie dumm du bist und wie verständig meine Handlungsweise, sollst du von mir ein Geschichtchen hören. Vernimm also: Eine schöne junge Witwe, unabhängig und reich, insbesondere aber lustigen Humors, verliebte sich in einen jungen Laienbruder, einen untersetzten kräftigen Burschen; sein Vorgesetzter brachte es in Erfahrung, und eines Tages sagte er zu der wackeren Witwe diese Worte als brüderliche Zurechtweisung: ›Ich bin erstaunt, Señora, und nicht ohne vielfachen Grund, wie eine so vornehme, so schöne, so reiche Frau wie Euer Gnaden sich in einen so schmutzigen, gemeinen und dämlichen Menschen wie den gewissen Jemand verlieben mochte, da doch in diesem Stift so viele Doktoren, so viele Graduierte und so viele Theologen sind, unter denen Euer Gnaden wie aus einem Korb mit Birnen hätten wählen und sagen können: Den mag ich gern, den mag ich nicht.‹ Aber sie antwortete ihm mit heiterer Laune und größter Unbefangenheit: ›Werter Herr, Euer Gnaden ist in großem Irrtum und urteilt sehr altmodisch, wenn Ihr meinet, ich hätte mit dem gewissen Jemand eine schlechte Wahl getroffen, ob er Euch auch noch so dämlich vorkommt. Denn wozu ich ihn mag, dazu hat er soviel und mehr Kenntnis von der Philosophie wie Aristoteles selber.‹ Sonach, Sancho, wozu ich Dulcinea liebhabe, dazu ist sie mir soviel wert wie die erhabenste Prinzessin auf Erden. So ist's, und nicht alle Poeten, welche eine Geliebte unter einem Namen besitzen, den sie ihr nach Belieben beilegen, haben eine solche in Wirklichkeit. Glaubst du, daß die Amaryllis', die Phyllis', die Sylfias, die Dianas, die Galatheas, die Filidas und andre dergleichen, mit denen die Bücher, die Romanzen, die Barbierstuben, die Komödienbühnen angefüllt sind, wirkliche Damen von Fleisch und Blut und wirklich die Geliebten jener waren, die sie verherrlichen und verherrlicht haben? Gewiß nicht; vielleicht erdichten sie sich die meisten, um für ihre Verse einen Gegenstand zu schaffen und um für liebeglühende Jünglinge und für solche, die der Liebe würdig seien, zu gelten. Und so genügt es mir, daß ich denke und glaube, die treffliche Aldonza Lorenzo sei schön und sittig, und was ihren Stammbaum betrifft, das tut wenig zur Sache; denn man wird nicht hingehen und die Ahnenprobe mit selbigem vornehmen, um ihr einen der militärischen Ritterorden Spaniens zu verleihen, und ich nehme nun einmal an, sie sei die vornehmste Prinzessin in der ganzen Welt. Denn du mußt wissen, Sancho, wenn du es nicht schon weißt: zwei Dinge allein vor allen andern bewegen das Herz zur Liebe, nämlich große Schönheit und guter Ruf, und beides findet sich im höchsten Grade bei Dulcinea; in der Schönheit aber kommt keine ihr gleich, und im guten Ruf kommen wenige ihr nah. Und um alles mit einem Wort abzuschließen, ich denke mir, daß alles sich genauso verhält, wie ich sage, ohne daß es etwas zuviel oder zuwenig ist; und ich male mir sie in meinem Geiste, wie ich sie mir wünsche, ebenso an Schönheit wie an Vornehmheit; und ihr kommt Helena nicht nahe noch reicht Lucrezia an sie heran noch irgendeine andre von den berühmten Frauen der vergangenen Zeiten, sei es eine Griechin, Barbarin oder Lateinerin; und es sage ein jeglicher, was er will; denn werde ich darob von Unverständigen getadelt, so werden mich doch die strengsten Richter darum nicht verurteilen.«
»Ich gestehe es ein«, antwortete Sancho, »Euer Gnaden hat in allem recht, und ich bin ein Esel. Doch ich weiß nicht, warum ich den Esel in den Mund nehme; denn man soll im Haus des Gehenkten nicht vom Strick reden. Jetzt her mit dem Brief, und Gott befohlen, denn ich mache mich davon.«
Don Quijote holte das Notizbuch hervor, ging beiseite und begann den Brief gemächlich zu schreiben. Als er ihn beendigt, rief er Sancho und sagte ihm, er wolle ihm den Brief vorlesen, damit er ihn auswendig behielte, wenn er ihn etwa unterwegs verlieren sollte; denn von seinem Mißgeschick sei alles zu besorgen.
Darauf erwiderte Sancho: »Schreibt ihn lieber zwei- oder dreimal hier ins Buch und gebt mir's, ich will es schon wohlverwahrt mitnehmen. Jedoch daran zu denken, daß ich ihn auswendig lerne, ist ein Unsinn; denn mein Gedächtnis ist so schwach, daß ich oft sogar vergesse, wie ich heiße. Indessen trotz alledem, lest mir ihn vor, es wird mir ein groß Vergnügen machen, ihn anzuhören, denn der Brief ist sicher wunderschön.«
»Höre denn, er lautet also«, sprach Don Quijote.
Don Quijotes Brief an Dulcinea von Toboso
Allherrschende, erhabene Herrin!
Der von der Schwertesspitze der Trennung Durchbohrte, der im Innersten des Herzens Wundgeschlagene, wünscht Dir, süßeste Dulcinea von Toboso, das Heil, das er selbst nicht hat. Wenn Deine Huldseligkeit mich mißachtet, wenn Deine Fürtrefflichkeit sich nicht zu meinen Gunsten neiget, wenn Deine Verschmähung mich zu Boden drücket, dann, so ich auch genugsam zu dulden weiß, mag ich nicht wohl mich fürderhin in dieser Pein aufrechterhalten, die, außerdem daß sie eine gar schwere Bürde ist, sich über die Maßen langwierig anläßt. Mein guter Schildknappe Sancho wird Dir völligen Bericht erstatten, o schöne danklose Maid, heißgeliebte Feindin mein, wie es mir aus Ursach Deines Willens ergeht. So Du Gelieben trägst, Dich mir zur Hilfe bereitzustellen, so bin ich Dein; wo nicht, dann tue, was Dir belieben mag, und so ich mein Leben beschließe, hernach hab ich Deinem grausamen Sinne und meinem Wünschen ein voll Genüge getan.
Der Deine bis in den Tod,
Der Ritter von der traurigen Gestalt.
»Bei meines Vaters Seelenheil«, sprach Sancho, als er den Brief angehört, »das ist das Erhabenste, was ich je vernommen. Hol mich der Geier, wie sagt Euer Gnaden ihr hier alles, was Ihr wollt, und wie gut paßt hier in die Unterschrift hinein: Der Ritter von der traurigen Gestalt. Ich sag's im Ernst, Euer Gnaden hat den Teufel im Leib; es gibt nichts, was Ihr nicht wüßtet.«
»Alles«, entgegnete Don Quijote, »ist zu dem Berufe erforderlich, den ich übe.«
»Wohl denn«, sprach Sancho, »nun setze Euer Gnaden auf die andre Seite die Anweisung auf die drei Esel und unterzeichne sie sehr deutlich, damit man die Unterschrift gleich beim Ansehen erkennt.«
»Mir recht«, sagte Don Quijote; und nachdem er sie geschrieben, las er sie ihm vor. Sie lautete also:
Beliebe Euer Gnaden, Fräulein Nichte, gegen diese meine Esels-Prima an meinen Schildknappen Sancho Pansa verabreichen zu lassen drei Esel von den fünfen, die ich daheim im Stall habe und die Euer Gnaden anbefohlen sind; welche drei Esel ich ihm zur Ablieferung und Zahlung anweise für drei andre, die ich hier von ihm empfangen habe, demnach sie gegen diesen Wechselbrief und seine Empfangsbescheinigung in Richtigkeit gehen. So geschehen tief inmitten der Sierra Morena, am zweiundzwanzigsten August dieses gegenwärtigen Jahrs.
»So ist's gut«, sprach Sancho. »Nun wolle ihn Euer Gnaden unterschreiben.«
»Es ist nicht nötig, ihn zu unterschreiben«, entgegnete Don Quijote, »sondern nur meinen Schnörkel darunterzusetzen, was das nämliche wie die Unterschrift und für die drei Esel hinreichend ist, ja für dreihundert.«
»Ich verlasse mich auf Euer Gnaden«, erwiderte Sancho, »laßt mich nun, ich gehe den Rosinante zu satteln, und bereitet Euch, mir Euren Segen zu geben; denn ich will auf der Stelle fort, ohne die Narreteien zu sehen, die Euer Gnaden jetzt vornehmen will; ich werde aber sagen, ich sah Euch so viele verüben, daß ich deren nicht mehr begehrte.«
»Zum wenigsten verlange ich, Sancho, und dieweil es solchergestalt nötig ist, verlange ich, sage ich nochmals, daß du zusiehst, wie ich mich splitternackt ausziehe und ein oder zwei Dutzend tolle Streiche begehe; ich will sie in weniger als einer halben Stunde fertigbringen, damit du, nachdem du sie mit eigenen Augen gesehen, mit gutem Gewissen die andern beschwören kannst, die du noch etwa hinzufügen willst; und ich versichere dir, du kannst deren nicht so viele erzählen, als ich auszuführen gedenke.«
»Um Gottes willen, Herr Ritter, laßt mich Euer Gnaden nicht nackend sehn; das würde mich allzusehr betrüben, und ich könnte nicht umhin, Tränen zu vergießen. Ich habe den Kopf noch so voll von dem Gejammer, das ich gestern über das Grautier vollführte, daß ich nicht imstande bin, mich abermals in Flennen einzulassen. Wenn es Euch jedoch sehr darum zu tun ist, daß ich ein paar Tollheiten mit ansehe, so verübt sie in den Kleidern, und zwar solche, die nur kurze Zeit brauchen und Euch am ersten zur Hand sind; besonders da für mich nichts dergleichen vonnöten ist und ich, wie schon gesagt, Zeit für meine Rückkehr ersparen würde, die da stattfinden soll mit all den guten Nachrichten, die Euer Gnaden wünscht und verdient. Wo aber nicht, so soll sich das Fräulein Dulcinea nur auf was gefaßt machen. Denn wenn sie nicht antwortet, wie sich's gebührt, so tu ich ein feierliches Gelübde zu allem möglichen, ich will ihr die richtige Antwort mit Fußtritten und Ohrfeigen aus dem Leibe reißen. Denn wo in aller Welt möchte man es auch leiden, daß ein so berühmter fahrender Ritter wie Euer Gnaden mir nichts, dir nichts verrückt wird für eine+... Das Fräulein soll mich nur nicht zwingen, das Wort zu sagen; denn bei Gott, ich fahre heraus damit und will ihr ihr Fett geben; ich geb's im Dutzend billiger, wenn's auch keiner sein Lebtage kaufen will. Ja, dazu wär ich der rechte Kerl! Sie kennt mich nicht recht; denn wenn sie mich kennte, sie täte mich fasten, denn ich schmecke gar nicht gut.«
»Auf mein Wort, Sancho«, sprach Don Quijote, »du kommst mir vor, als wärest du ebensowenig bei Verstand wie ich.«
»Ich bin nicht so verrückt wie Ihr«, entgegnete Sancho, »aber ich bin hitziger. Doch lassen wir das beiseite; was will Euer Gnaden denn essen, bis ich zurückkomme? Wollt Ihr die Straße unsicher machen wie Cardenio und es den Hirten abjagen?«
»Diese Sorge darf dir keine Schmerzen machen«, antwortete Don Quijote; »denn wenn ich es auch hätte, äße ich doch nichts andres als die Kräuter und Früchte, die mir das Feld und die Bäume hier darbieten, weil die Hauptsache bei meinem Vorhaben darin besteht, nicht zu essen und noch andre Kasteiungen auf mich zu nehmen.«
Darauf sagte Sancho: »Wißt Ihr, was ich besorge? Ich möchte den Rückweg zu diesem Orte, wo ich Euch verlasse, nicht finden, so heimlich ist das Versteck.«
»Du mußt dir gehörige Kennzeichen machen«, sprach Don Quijote. »Ich werde darauf bedacht sein, mich aus der Umgegend nicht zu entfernen, ja ich habe vor, auf die höchsten Felsen hier zu steigen, um zu sehen, ob ich dich aufspüre, wenn du zurückkehrst. Jedoch wird es am sichersten sein, daß du von dem Ginster, der sich hier in Menge findet, etliche Zweige abschneidest und sie von Strecke zu Strecke hinstreust, bis du ins Blachfeld kommst; die werden dir zu Marksteinen und Merkzeichen dienen, gleichsam wie der Faden im Labyrinthe des Theseus, auf daß du mich bei deiner Rückkehr findest.«
»So will ich's tun«, erwiderte Sancho Pansa.
Er schnitt eine Anzahl Zweige ab, bat seinen Herrn um seinen Segen und verabschiedete sich von ihm, nicht ohne reichliche Tränen von beiden Seiten. Dann stieg er auf den Rosinante, den Don Quijote ihm dringendst anempfahl mit dem Auftrag, auf den Gaul achtzuhaben, als ob er es selber wäre, und begab sich auf den Weg nach der Ebene, wobei er von Zeit zu Zeit die Ginsterzweige ausstreute, wie es sein Herr ihm angeraten. Und da zog er von dannen, während ihn Don Quijote noch fortwährend damit behelligte, er solle ihm wenigstens bei zwei tollen Streichen erst zusehen.
Aber er war noch keine hundert Schritte geritten, da kehrte er um und sprach: »Ich muß sagen, Señor, Euer Gnaden hat sehr recht gehabt; denn damit ich ohne Gewissensbeschwer beeidigen kann, daß ich Euch Narreteien verüben gesehen, ist es recht und billig, daß ich wenigstens eine mit ansehe, wiewohl Ihr mir eine absonderlich große bereits in Eurem Hierbleiben gezeigt habt.«
»Hab ich es dir nicht gesagt?« versetzte Don Quijote. »Warte nur, Sancho, so geschwind wie ein Vaterunser wird's getan sein.«
Und er zog sich in aller Eile die Hosen aus, so daß er im bloßen Hemde dastand, machte dann im Nu etliche Luftsprünge und patschte sich dabei mit der Hand auf die Fußsohlen, schlug dann ein paar Purzelbäume, den Kopf unten, die Füße in die Höhe, und enthüllte dabei solche Dinge, daß Sancho, um sie nicht noch einmal zu sehen, den Rosinante am Zügel umlenkte und sich für hinreichend zufriedengestellt erachtete, daß er nunmehr schwören konnte, sein Herr sei wirklich verrückt. Und so wollen wir ihn seines Weges ziehen lassen bis zur Rückkehr, die nicht lange anstand.