Casanova
Erinnerungen, Band 3
Casanova

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Achtzehntes Kapitel

Fortsetzung des vorigen Kapitels. – Meine Abreise von Solothurn.

Als die Bedienten hinausgegangen waren, und wir uns mit einander allein befanden, wäre es unnatürlich gewesen, wenn wir stumm wie zwei Ölgötzen dagesessen wären; aber mein Geist war in einer so traurigen Verfassung, daß ich wenig Lust hatte, das Schweigen zu brechen. Meine liebe Dubois, die mich zu lieben begann, weil ich sie glücklich machte, und die nur durch Rückwirkung von mir traurig sein konnte, gab sich alle Mühe, mich zum Plaudern zu bringen.

»Ihre Traurigkeit«, sagte sie, »ist Ihnen nicht natürlich und erschreckt mich. Sie könnten Ihr Herz erleichtern, indem Sie mir anvertrauten, was Sie bedrückt; aber glauben Sie mir, ich bin nur deshalb neugierig, weil Sie mir Teilnahme einflößen und weil ich Ihnen vielleicht doch nützlich sein könnte. Zweifeln Sie nicht an meiner vollständigen Verschwiegenheit! Um Sie zu einer freien Aussprache zu ermutigen und um Ihnen das Vertrauen einzuflößen, das ich zu verdienen glaube, will ich Ihnen alles erzählen, was ich von Ihnen weiß und was ich erfahren habe, ohne mich zu erkundigen und ohne mich zu bemühen, aus unziemlicher Neugier Sachen zu erfahren, die ich nicht zu wissen brauche.«

»Sehr schön, meine Liebe, Ihre Erklärung gefällt mir. Ich sehe, Sie empfinden Freundschaft für mich, und bin Ihnen dankbar dafür. Sagen Sie mir also zunächst alles, was Sie über die Angelegenheit wissen, die mir so sehr zu Herzen geht; aber verbergen Sie mir nichts.«

»Sehr gern. Sie sind der Liebhaber und Geliebte der Frau von ***. Die Witwe, die Sie sehr schlecht behandelt haben, hat Ihnen irgendeinen Schabernack gespielt, der Sie beinahe mit Ihrer Geliebten entzweit hat; hierauf hat die boshafte Person sich entfernt, wie man ein anständiges Haus nicht verlassen darf. Dies quält Sie. Sie fürchten irgendwelche unangenehmen Folgen und befinden sich in der grausamen Notwendigkeit, einen Entschluß fassen zu müssen; Ihr Herz kämpft mit Ihrem Geist; Leidenschaft und Gefühl liegen im Widerstreit. Vielleicht täusche ich mich; aber soviel weiß ich: gestern sahen Sie glücklich aus, und heute scheinen Sie mir unglücklich. Ihr Zustand rührt mich, denn Sie haben mir die zärtlichste Freundschaft eingeflößt. Ich habe mir heute große Mühe gegeben, den Gatten zu unterhalten, damit Sie ungestört mit der Frau sprechen könnten, die mir Ihrer Liebe recht würdig erscheint.«

»Dies alles ist wahr. Ihre Freundschaft ist mir teuer, und ich denke sehr hoch von Ihrer Klugheit. Die gräßliche Witwe ist ein Ungeheuer; sie hat mich unglücklich gemacht, um sich wegen meiner Verachtung zu rächen, und ich kann mich nicht wieder rächen. Die Ehre erlaubt mir nicht, Ihnen mehr zu sagen; übrigens können Sie so wenig wie irgend ein anderer mir einen Rat geben, der mich von meinen Schmerzen erlöst. Vielleicht werde ich daran sterben, meine liebe Dubois; jedenfalls aber bitte ich Sie, mir Ihre Freundschaft zu bewahren und sich mit voller Aufrichtigkeit gegen mich auszusprechen. Ich werde Ihnen stets aufmerksam zuhören, und so werden Sie mir von großem Nutzen sein. Ich werde nicht undankbar sein.«

Wie ich erwarten mußte, verbrachte ich eine schlimme Nacht; denn der Zorn, der Vater des Wunsches nach Rache, hat mich stets des Schlafes beraubt; übrigens hat auch die Nachricht eines unverhofften Glückes zuweilen diese Wirkung bei mir hervorgebracht.

In aller Frühe klingelte ich nach Leduc; statt seiner aber sah ich das häßliche kleine Mädchen eintreten. Sie sagte mir, mein Kammerdiener sei krank und meine Haushälterin werde mir die Schokolade bringen. Gleich darauf kam sie, und kaum hatte ich die Schokolade getrunken, so erfolgte ein heftiges Erbrechen, eine Wirkung des Zornes, der in seinem höchsten Grade den Menschen tötet, der ihn nicht befriedigen kann. Mein verhaltener Zorn forderte Rache für den Schimpf, den die schreckliche Witwe mir angetan hatte; zum Glück verschaffte die Schokolade mir einen Ausbruch, sonst hätte der Zorn mich getötet. Indessen hatte die Anstrengung mich erschöpft. Ich warf einen Blick auf Frau Dubois und sah ihr Gesicht von Tränen überströmt. Ich fragte sie: »Warum weinen Sie?«

»Großer Gott, was werden Sie von mir denken?«

»Seien Sie ruhig, liebe Freundin; ich denke, daß mein Zustand Ihnen Teilnahme einflößt. Lassen Sie mich allein; ich hoffe, ich werde schlafen können.«

Ich schlief wirklich ein und erwachte erst nach einem siebenstündigen Schlafe. Ich fühlte mich zu neuem Leben geboren.

Ich klingelte; meine Haushälterin trat ein und meldete mir den Besuch des Wundarztes aus dem nächsten Dorfe. Sie war sehr traurig eingetreten, aber als sie mich näher ansah, wurde ihr hübsches Gesicht wieder heiter. Ich sagte zu ihr: »Wir werden miteinander essen, meine Liebe. Vorher aber lassen Sie den Wundarzt hereinkommen, ich möchte hören, was er mir zu sagen hat!«

Der gute Mann trat ein und sah sich vorsichtig nach allen Seiten um; als er sicher war, daß er sich mit mir allein befand, näherte er sich meinem Ohr und sagte mir, Leduc habe eine häßliche Krankheit.

Ich lachte laut auf; denn ich hatte mich auf irgend etwas Furchtbares gefaßt gemacht.

»Mein lieber Doktor,« sagte ich zu ihm, »sparen Sie keine Mühe, um ihn gesund zu machen, und ich werde Sie reichlich belohnen; aber ein anderes Mal machen Sie mir Ihre Mitteilungen nicht mit einer solchen Trauermiene. Wie alt sind Sie?«

»Bald achtzig Jahre.«

»Möge Gott Sie erhalten!«

Ich war um so mehr geneigt, meinen armen Spanier wegen seines Unglücks zu bedauern, da ich für mich selber einen ähnlichen Zustand befürchtete. Nicht bei dem Menschen, den das Glück mit all seiner Huld überhäuft hat, findet der Arme ein wahres Mitleid: jener hilft ihm mehr aus Prahlsucht als aus Wohlwollen. So muß auch der Betrübte keinen Trost bei einem suchen, der niemals den Kummer gekannt hat, – wenn es überhaupt einen solchen auf der Erde gibt. Übrigens war Leduc zum erstenmal in solcher Lage, während ich schon seit langer Zeit die Unfälle dieser Art nicht mehr zählte; allerdings war ich 14 Jahre älter als er, und bei seiner Anlage hatte er alle Aussicht, es mir noch gleich zu tun.

Meine Haushälterin war wieder eingetreten, um mir beim Ankleiden zu helfen; sie fragte mich, was der gute Mann von mir gewollt hatte.

»Er hat Sie zum Lachen gebracht; also hat er Ihnen gewiß etwas sehr Lächerliches erzählt.«

»Ganz recht, und ich will es Ihnen gerne sagen; aber sagen Sie mir vorher, ob Sie wissen, was man unter »Venuskrankheit« versteht.«

»Ich weiß es, denn der Läufer der Lady Montagu starb daran, während ich bei der Dame diente.«

»Schön, meine Liebe; aber tun Sie nur lieber, wie wenn sie es nicht wüßten; dann machen Sie es wie viele schöne Damen, die mit Recht sich in dieser Beziehung unwissend stellen, weil dies dem schönen Geschlecht gut steht. Der arme Leduc ist von dieser Pest angesteckt.«

»Der arme Junge! er tut mir leid; aber darüber haben Sie gelacht?«

»Nicht darüber; ich lachte über die geheimnisvolle Miene des guten alten Mannes.«

»Mein Herr, auch ich habe Ihnen ein wichtiges Geständnis zu machen; und wenn ich dies getan habe, müssen Sie mir verzeihen oder mich sofort aus dem Hause jagen.«

»Sie machen mir angst! Was, zum Kuckuck können Sie getan haben? Sprechen Sie schnell!«

»Mein Herr, ich habe Sie bestohlen.«

»Was? bestohlen? wann? wie? Können Sie mir das Gestohlene wiedergeben? So etwas hätte ich Ihnen nicht zugetraut. Einem Dieb oder Lügner verzeihe ich niemals.«

»O Gott, mein Herr, wie sind Sie hitzig! Ich werde Sie Lügen strafen und ich bin fest überzeugt, daß Sie mir verzeihen werden; denn es ist erst eine halbe Stunde her, daß ich Sie bestohlen habe und ich werde meinen Raub sofort wieder herausgeben.«

»Sie sind ein eigentümliches Geschöpf, meine Liebe. Nun, ich verzeihe Ihnen alles, aber geben Sie mir schnell zurück, was Sie sich unrechtmäßigerweise angeeignet haben!«

»Hier ist das Gestohlene.«

»Wie? der Brief des Ungeheuers! Haben Sie ihn gelesen?«

»Aber würde ich denn sonst gestohlen haben?«

»Sie haben mir also mein Geheimnis gestohlen, und dieses können Sie mir nicht zurückerstatten. Ah, kleines Ungeheuer, Sie haben ein großes Verbrechen begangen.«

»Ich gestehe es. Der Diebstahl ist um so schlimmer, da ich ihn nicht wieder gut machen kann. Indessen kann ich Ihnen versprechen, mein Leben lang niemals ein Wort jemand zu sagen, und darum müssen Sie mir verzeihen. Schnell, schnell!«

»O Zauberin! schnell, schnell! Ich verzeihe Ihnen und hier das Unterpfand meiner Vergebung!«

Mit diesen Worten preßte ich meine Lippen auf ihren schönen Mund.

»O, jetzt glaube ich an meine Begnadigung, denn sie ist doppelt und dreifach gewesen.«

»Ja, aber in Zukunft hüten Sie sich, meine Papiere anzurühren, geschweige denn, sie zu lesen, denn ich habe Geheimnisse, die nicht mir gehören.«

»Das lasse ich gelten, mein Herr, aber wenn ich Briefe herumliegen sehe, wie diesen da?«

»Dann müssen Sie sie aufheben, aber sie nicht lesen.«

»Ich verspreche es Ihnen.«

»Gut, meine Liebe. Aber vergessen Sie das greuliche Zeug, das Sie gelesen haben.«

»Hören Sie mich an! Gestatten Sie mir im Gegenteil, mich dessen zu erinnern; vielleicht wird dies zu ihrem Vorteil sein. Sprechen wir von dieser abscheulichen Geschichte, bei der mir die Haare zu Berge gestanden sind. Das schamlose Ungeheuer hat Sie an Leib und Seele tödlich verwundet; aber dies ist noch nicht das schlimmste. Sie glaubt es in der Hand zu haben, der Frau von *** ihre Ehre zu nehmen, und dieses Verbrechen ist in meinen Augen viel größer als die anderen. Denn trotz jener Beschimpfung wird ihre gegenseitige Liebe fortdauern, und die Krankheit, die das gemeine Weib Ihnen vielleicht eingeimpft hat, wird vorübergehen; dagegen ist die Ehre der reizenden Frau von *** unwiederbringlich verloren, wenn jene böse Hexe ihre Drohung verwirklicht. Verlangen Sie also nicht mehr von mir, diese Geschichte zu vergessen; lassen Sie uns vielmehr davon sprechen und einen Ausweg suchen. Glauben Sie mir, ich verdiene Ihr Vertrauen, und ich bin überzeugt, Sie werden mir Ihre Achtung schenken.«

Ich glaubte zu träumen, als ich eine junge Frau ihres Standes weiser sprechen hörte als Pallas mit Telemach. Mehr brauchte sie nicht, um nicht nur meine Achtung, sondern sogar meine Ehrfurcht zu gewinnen.

»Ja, teure Freundin, wir wollen daran denken, wie wir eine Frau, die der Huldigungen aller rechtlichen Menschen würdig ist, vor der großen Gefahr bewahren können, die ihr droht; ich bin Ihnen schon dafür dankbar, daß Sie es für möglich halten. Wir wollen daran denken und morgens und abends davon sprechen. Lieben Sie Frau von ***, verzeihen Sie ihr einen Fehltritt, der der erste ist! Schützen Sie ihre Ehre und haben Sie Mitleid mit meinem Zustande. Seien Sie von jetzt an meine wahre Freundin; vergessen Sie mir gegenüber den unwürdigen Namen eines Herrn, und geben Sie mir nur noch den eines Freundes. Ich werde bis in den Tod der Ihre sein, das schwöre ich Ihnen. Ihre Worte voller Weisheit haben Ihnen mein Herz gewonnen. Umarmen Sie mich!«

»Nein, nein – das ist nicht nötig. Wir sind jung und das Gefühl könnte uns zu leicht fortreißen. Ich bedarf, um glücklich zu sein, nur Ihrer Freundschaft, aber ich will sie nicht umsonst; ich will sie dadurch verdienen, daß ich Ihnen unwiderlegliche Beweise der meinigen gebe. Einstweilen werde ich das Essen auftragen lassen, und ich hoffe, nach Tisch werden Sie sich wieder vollständig wohl befinden.«

Ich war erstaunt über so viel Weisheit. Sie konnte erkünstelt sein; denn um zu verführen, brauchte die reizende Person ja nur die Regeln der Verführung zu kennen. Aber hierüber zerbrach ich mir nicht den Kopf. Ich sah, daß ich sehr nahe daran war, mich in sie zu verlieben, und daß ich in Gefahr schwebte, von ihrer Moral zum besten gehalten zu werden; denn ihr Selbstgefühl würde ihr nicht gestattet haben, diese Moral zum Schweigen zu bringen, selbst wenn sie meine Liebe aufrichtig geteilt hätte. So dachte ich, und ich beschloß, das Feuer nicht zu schüren; ich war überzeugt, es würde aus Mangel an Nahrung verlöschen. Wenn ich meine Liebe nicht groß werden ließ, mußte sie schließlich an Schwäche sterben.

Ich urteilte wie ein Dummkopf; ich vergaß, daß es nicht möglich ist, sich auf einfache Freundschaft zu beschränken, wenn man eine Frau schön findet, wenn man sich jeden Augenblick mit ihr unterhält, jeden Tag zwanzigmal in nahe Berührung mit ihr kommt, und besonders wenn man glaubt, daß sie selber verliebt ist. Freundschaft wird auf ihrem Höhepunkte zu Liebe, und das Linderungsmittel, das man anwenden muß, um sie für einen Augenblick zum Schweigen zu bringen, reizt sie nur noch mehr. So ging es dem zärtlichen Anakreon mit Smerdias. Ein Platoniker, der behauptet, es sei möglich, einer jungen Frau, die einem gefällt und mit der man zusammenlebt, nur Freund zu sein, ist ein Träumer, der nicht weiß, was er sagt. Meine Haushälterin war zu jung, zu schön und vor allen Dingen zu liebenswürdig; sie hatte einen zu angenehmen Geist, als daß nicht alle diese in ihr vereinten Eigenschaften auf mich wirken sollten; ich mußte mich notwendigerweise wahnsinnig in sie verlieben.

Wir speisten in aller Ruhe, ohne von der Sache zu sprechen, die uns so sehr am Herzen lag; denn nichts ist unvorsichtiger und gefährlicher als in Gegenwart der Bedienten über dergleichen zu sprechen; diese sind boshaft oder unwissend, verstehen schlecht, fügen hinzu oder lassen weg und glauben das Vorrecht zu haben, die Geheimnisse ihrer Herrschaft auszuplaudern, um so mehr, da sie diese vissen, ohne daß man sie darin eingeweiht hat.

Sobald wir allein waren, begann meine liebe Dubois mit der Frage, ob ich hinlängliche Beweise für Leducs Treue besitze.

»Er ist, meine Liebe, ein Spitzbube, ein Wüstling, kühn bis zur Verwegenheit, klug, unwissend, ein schamloser Lügner. Niemand außer mir kann ihn bändigen. Indessen hat dieses schlechte Subjekt eine kostbare Eigenschaft; er führt nämlich blindlings alles aus, was ich ihm befehle, und trotzt jeder Gefahr, um mir zu gehorchen. Er macht sich nichts aus dem Stock, aber er würde sich selbst aus dem Galgen nichts machen, solange er diesen nicht in der Nähe sähe. Wenn auf meinen Reisen ein Fluß auf einer Furt zu überschreiten ist, so zieht er sich aus, ohne daß ich ihm ein Wort sage, und springt ins Wasser, um zu untersuchen, ob ich ohne Gefahr hindurchkommen kann.«

»Dies genügt. Der Bursche ist unter den jetzigen Umständen ein wahrer Schatz. Zuvörderst, mein lieber Freund – Sie wünschen ja, daß ich Sie so nenne – zuvörderst will ich Ihnen sagen, daß die Ehre der Frau von *** vollkommen ungefährdet ist. Tun Sie, was ich Ihnen sagen werde, und wenn die gräßliche Witwe nicht vernünftig ist, wird sie allein bloßgestellt sein. Aber wir brauchen Leduc; ohne ihn können wir nichts machen. Vor allen Dingen müssen wir die Geschichte seiner Krankheit wissen; denn mehrere Umstände könnten meinem Plan hinderlich sein. Erkundigen Sie sich also recht schnell bei ihm selber nach allen Umständen und vor allen Dingen danach, ob er mit den Bedienten über seinen Zustand gesprochen hat. Sobald Sie alles gehört haben, verbieten Sie ihm auf das strengste, von Ihrer Teilnahme für sein Leiden ein Wort zu sagen.«

Ohne einen Einwand zu machen, ohne mich zu bemühen, den Plan zu erraten, ging ich zu Leduc. Er war allein und lag auf seinem Bett. Ich setzte mich mit lachendem Gesicht neben ihn und versprach zunächst, ihn kurieren zu lassen, wenn er mir ganz genau erzählen wollte, wie er sich seine Krankheit geholt hätte.

»Sehr gern, gnädiger Herr! Die Geschichte war so: An dem Tage, wo Sie mich nach Solothurn schickten, um Ihre Briefe abzuholen, stieg ich unterwegs ab und ging in eine Meierei, um Milch zu trinken. Ich fand dort eine junge Bäuerin, die mir gefiel; ich küßte sie; sie sträubte sich nicht, und in Zeit von einer Viertelstunde versetzte sie mich in den Zustand, worin Sie mich jetzt sehen.«

»Hast du das irgend jemandem gesagt?«

»Ich habe mich gehütet! Man hätte mich ausgelacht. Nur der Wundarzt weiß von meiner Krankheit; aber er hat mir versprochen, daß die Geschwulst im Laufe des Tages schwinden werde, und ich hoffe, ich werde Sie morgen bei Tisch bedienen können.«

»Gut, denke daran, daß ich von dir die strengste Verschwiegenheit verlange.«

Ich erstattete meiner Minerva Bericht über dies Gespräch, und sie fragte mich:

»Sagen Sie mir, ob im Notfall die Witwe beschwören könnte, daß sie die zwei Stunden auf dem Sofa mit Ihnen verbracht hat?«

»Nein; denn sie hat mich nicht gesehen, und ich habe keine Silbe gesprochen.«

»Ausgezeichnet! Setzen Sie sich sofort an Ihr Schreibpult und antworten Sie der Unverschämten: sie habe gelogen, denn Sie seien gar nicht außerhalb Ihres Zimmers gewesen; Sie würden aber in Ihrem Hause nachforschen lassen, wer der Unglückliche sei, den sie, ohne ihn zu kennen, angesteckt habe. Schreiben Sie und lassen Sie Ihren Brief binnen fünf Minuten abgehen. Anderthalb Stunden darauf schreiben Sie einen zweiten oder vielmehr, Sie kopieren, was ich Ihnen aufschreiben werde.«

»Liebe Freundin, ich errate Ihren Plan! Er ist sinnreich, aber ich habe Frau von *** mein Ehrenwort gegeben, in dieser Angelegenheit keinen Schritt zu tun, ohne sie vorher benachrichtigt zu haben.«

»In diesem Fall muß aber das Ehrenwort vor der Notwendigkeit, ihre Ehre zu retten, zurücktreten. Die Liebe hindert Sie, so energisch vorzugehen, wie ich es will; aber hier hängt alles von der Schnelligkeit ab und davon, wieviel Zeitraum zwischen der Absendung des ersten und der des zweiten Briefes liegen wird. Ich bitte Sie recht sehr, folgen Sie meinem Rat! Das übrige werden Sie aus dem Briefe ersehen, den ich schreiben werde. Schreiben Sie geschwind den ersten!«

Ich handelte gewissermaßen unter dem Einfluß einer mir angenehmen Behexung und erlaubte mir kaum nachzudenken; überzeugt, daß der Plan meiner entzückenden Haushälterin der denkbar beste sein müßte, machte ich es mir zur Pflicht, ihr zu gehorchen, und schrieb an die schamlose Hexe folgendes Liebesbriefchen:

»Die Schamlosigkeit Ihres Briefes steht vollkommen damit im Einklang, daß Sie drei Nächte verbracht haben, um sich von einem Verhältnis zu überzeugen, das nur in Ihrer Einbildung besteht. Erfahren Sie, abscheuliches Weib, daß ich mein Zimmer überhaupt nicht verlassen habe und daß ich nicht die Schmach zu beklagen brauche, mit einem Wesen Ihrer Art zwei Stunden verbracht zu haben. Mit wem Sie diese beiden Stunden zugebracht haben, das mag Gott wissen; indessen, ich werde es erfahren, wenn nicht etwa auch dieses nur eine Schöpfung Ihres teuflischen Geistes ist, und werde Ihnen darüber berichten.

Danken Sie dem Himmel, schamloses Weib, daß ich Ihren Brief erst nach der Abfahrt von Herrn und Frau von *** erbrochen habe. Ich empfing ihn in deren Gegenwart; aber da ich die Hand verachte, die ihn geschrieben hat, so steckte ich ihn in die Tasche; ich machte mir wenig daraus, zu erfahren, welche Niederträchtigkeiten er etwa enthalten möchte. Wäre ich, zum Unglück für Sie, Madame, neugierig gewesen, ihn zu lesen, und hätten meine Gäste ihn gesehen, so hätte ich – zweifeln Sie nicht daran! – mich sofort zu Ihrer Verfolgung aufgemacht, und dann wären Sie in diesem Augenblick nicht mehr imstande, neue Schändlichkeiten zu begehen. Ich befinde mich wohl und befürchte durchaus nicht krank zu werden, aber ich werde mich nicht dazu erniedrigen, Sie davon zu überzeugen, denn der Blick Ihrer Augen würde mir ebenso wie die Berührung Ihres Gerippes ein Brandmal aufdrücken.«

Ich zeigte den Brief meiner lieben Dubois; sie fand die Ausdrücke ein wenig stark, aber sie billigte ihn. Hierauf schickte ich ihn an das entsetzliche Geschöpf, das mich so unglücklich gemacht hatte. Anderthalb Stunden darauf sandte ich ihr folgenden Brief, den ich abschrieb, ohne etwas hinzuzufügen oder wegzulassen:

»Eine Viertelstunde nach der Absendung meines Briefes kam der Dorfarzt zu mir und sagte mir, mein Kammerdiener bedürfe seiner Dienste zur Heilung von einer schmutzigen Krankheit, die er sich ganz kürzlich zugezogen habe. Ich habe ihm aufgetragen, ihn zu behandeln. Als er fort war, suchte ich den Kranken auf, der nicht ohne einiges Sträuben mir anvertraute, daß er dieses schöne Geschenk von Ihnen erhalten habe. Ich fragte ihn, wie er denn mit Ihnen zusammengekommen sei, und er hat mir gesagt, er habe Sie im Dunkeln ganz allein in die Zimmer des Herrn von *** eintreten sehen. Da ich schon zu Bette gewesen sei und er nichts mehr zu tun gehabt habe, so habe ihn die Neugier angewandelt und er habe sehen wollen, was Sie dort so heimlich suchten. Denn wenn Sie zu der Dame hätten gehen wollen, die um jene Stunde schon im Bette liegen mußte, so wären Sie nicht durch die Gartentür gegangen. Zuerst hat er geglaubt, Sie gingen mit bösen Absichten um; er hat eine Stunde lang gewartet, ob Sie nicht etwas forttragen würden; er würde Sie festgehalten haben. Als er sie aber nicht wieder herauskommen sah und keinerlei Geräusch hörte, bekam er Lust, ebenfalls hineinzugehen, er bemerkte nämlich, daß Sie die Tür offen gelassen hatten. Er hat mir geschworen, er habe nicht die geringsten Absichten gehabt, sich einen Genuß zu verschaffen, und dieses habe ich ihm gerne geglaubt. Er hat mir gesagt, er sei im Begriff gewesen, um Hilfe zu rufen, als Sie sich seiner bemächtigten und ihm die Hand auf den Mund legten; aber er habe seine Absicht aufgegeben, als er sich sanft auf ein Sofa gezogen und mit Küssen bedeckt fühlte. Er war überzeugt, daß Sie ihn mit einem anderen verwechselten; ›aber‹, hat er mir gesagt, ›ich habe sie so bedient, daß ich eine ganz andere Belohnung erwarten durfte, als die, womit sie mich beglückt hat.‹ Ohne ein einziges Wort gesprochen zu haben, hat er Sie verlassen, sobald der Tag zu grauen begann, weil er erkannt zu werden fürchtete. Es ist leicht möglich, daß Sie meinen Bedienten für mich gehalten haben, denn bei Nacht sind alle Katzen grau. Ich wünsche Ihnen Glück, daß er Ihnen ein Vergnügen bereitet hat, das Sie sich ganz gewiß von mir nicht verschafft haben würden, denn ich würde Sie augenblicklich an ihrem Atem und an ihren verwelkten Reizen erkannt haben, und dann würde es Ihnen übel ergangen sein! Zum Glück für Sie wie für mich ist dies nicht der Fall gewesen, übrigens mache ich Sie darauf aufmerksam, daß der arme Bursche wütend ist; er ist entschlossen, Ihnen einen Besuch zu machen, und ich glaube, ihn davon nicht abhalten zu dürfen. Ich rate Ihnen, freundlich, geduldig und großmütig gegen ihn zu sein; denn er ist entschlossen wie ein echter Spanier. Er würde die Geschichte bekannt machen, und Sie begreifen, welche Folgen dies haben würde. Er wird Ihnen selber sagen, was er beansprucht, und Sie werden so vernünftig sein, seine Forderungen zu erfüllen.«

Eine Stunde nach Absendung dieses Briefes erhielt ich ihre Antwort auf meinen ersten. Sie schrieb mir, meine Ausrede sei sehr sinnreich, würde mir aber nichts nützen; denn sie sei ihrer Sache gewiß. Sie forderte mich heraus, in einigen Tagen ihr handgreiflich zu beweisen, daß ich vollkommen gesund wäre.

Beim Abendessen bot meine liebe Dubois alles auf, um mich zu erheitern. Aber dies war verlorene Liebesmüh; ich war zu aufgeregt, um fröhlich sein zu können. Nun stand noch der dritte Schritt bevor, der das freche Weib beschämen und als Ende das Ganze krönen sollte. Da ich die beiden Briefe nach dem Willen meiner Haushälterin geschrieben hatte, so fühlte ich, daß ich bis zum Schluß ihren Ratschlägen folgen mußte. Sie gab mir denn auch wirklich an, wie ich am nächsten Morgen Leduc instruieren müßte, und da sie gerne wissen wollte, weß Geistes Kind mein Bote wäre, so bat sie mich, sich hinter meinen Bettvorhängen verstecken zu dürfen, um alles anzuhören.

Am nächsten Morgen ließ ich Leduc kommen und fragte ihn, ob er imstande sei, nach Solothurn zu reiten und einen Auftrag auszurichten.

»Jawohl, gnädiger Herr; aber der Doktor will durchaus, daß ich morgen anfangen soll, Bäder zu nehmen.«

»Meinetwegen. Sobald dein Pferd fertig ist, reitest du ab und gehst zu Frau von F... Laß dich aber nicht anmelden, wie wenn du von mir kämest; denn sie darf nicht wissen, ja nicht einmal ahnen, daß ich dich schicke. Laß ihr sagen, du habest mit ihr zu sprechen.

Wenn sie sich weigert, dich zu empfangen, so erwarte sie auf der Straße; aber ich denke, sie wird dich empfangen und sogar ohne Zeugen. Du wirst ihr sagen: ›Sie haben mich krank gemacht, ohne daß ich Sie darum gebeten habe; ich verlange, daß Sie mir das nötige Geld geben, damit ich mich behandeln lassen kann!‹ Ferner wirst du ihr sagen, sie habe dich zwei Stunden lang im Dunkeln arbeiten lassen, ohne dich zu erkennen; du würdest niemals etwas davon gesagt haben, wenn sie dir nicht dieses böse Geschenk gemacht hätte; da du nun aber in dieser schlimmen Lage seiest – und hierbei zeigst du ihr einfach die ganze Geschichte – so dürfe sie sich über deinen Schritt nicht wundern. Bleibt sie abwehrend, so drohst du ihr, sie zu verklagen. Das ist alles. Von mir aber sage kein Wort! Reite hierauf sofort zurück, damit ich erfahre, wie alles verlaufen ist.«

»Das ist alles sehr schön, gnädiger Herr; wenn aber das Weibsbild mich die Treppe hinunter werfen läßt, werde ich nicht so schnell wiederkommen können.«

»Allerdings nicht, aber du hast nichts zu befürchten, dafür stehe ich dir,«

»Ein eigentümlicher Auftrag!«

»Du bist der einzige auf der Welt, der ihn ordentlich ausführen kann.«

»Ich bin vollkommen bereit, aber ich muß Ihnen noch einige wichtige Fragen stellen: Hat die Dame wirklich Quint und Vierzehner?«

»Ganz gewiß.«

»Da tut sie mir leid. Aber wie kann ich behaupten, daß sie mich gepfeffert habe, da ich doch niemals ein Wort mit ihr gesprochen habe?«

»Bekommt man das vielleicht beim Sprechen, du Tölpel?«

»Nein, aber man spricht, um es zu bekommen oder während man es bekommt.«

»Du hast mit ihr zwei Stunden im Dunkeln verbracht, ohne daß ihr beide ein Wort gesprochen habt, und sie wird erfahren, daß sie dir dieses schöne Geschenk gemacht hat, während sie es einem andern zu machen glaubte.«

»Jetzt, gnädiger Herr, fängt die Geschichte an, mir klar zu werden. Indessen, wenn wir im Dunkeln waren, wie kann ich wissen, daß ich mit ihr zu tun gehabt habe?«

»Die Sache ist so: Du hast sie durch die Gartentür in das Vorzimmer eintreten sehen und hast sie erkannt, ohne von ihr bemerkt zu werden. Aber du kannst dich darauf verlassen, sie wird dich nicht danach fragen.«

»Nun weiß ich Bescheid. Ich reite sofort hin und bin noch neugieriger als Sie, was sie mir antworten wird. Noch eine wichtige Frage: vielleicht wird sie wegen der Summe feilschen, die sie mir als Kurkosten geben soll; kann ich mich in diesem Fall mit 300 Franken begnügen?«

»Für die Schweiz ist das zuviel; die Hälfte genügt.«

»Das ist aber doch recht wenig für zwei Stunden eines so süßen Genusses und für sechswöchentliche Leiden.«

»Den Rest werde ich dir geben.«

»Dann lasse ich's mir gefallen. Sie wird die zerbrochenen Töpfe bezahlen. Ich denke mir, ich weiß alles, aber ich werde nichts sagen; wissen Sie, gnädiger Herr, ich wette, das Ekel hat Ihnen selber dieses schöne Geschenk gemacht, aber Sie schämen sich dessen und wollen sie auf eine falsche Spur leiten.«

»Das kann wohl sein; aber sei verschwiegen und reite sofort ab.«

»Wissen Sie was, lieber Freund? der Bengel ist einzig in seiner Art!« sagte meine liebe Dubois zu mir, indem sie aus dem Alkoven hervorkam. »Ich habe große Mühe gehabt, nicht laut aufzulachen, als ich ihn sagen hörte, er könnte nicht so schnell wiederkommen, wenn sie ihn die Treppe hinunterwerfen ließe. Ich bin überzeugt, er wird seinen Auftrag besser ausrichten als der geschickteste Diplomat. Wenn er in Solothurn ankommt, wird die abscheuliche Hexe die Antwort auf Ihren zweiten Brief schon abgeschickt haben. Ich bin schrecklich neugierig darauf.«

»Ihnen, liebe Freundin, gebührt die ganze Ehre für diese Tragikomödie. Sie haben die Intrigue meisterhaft angesponnen. Man würde niemals glauben, daß dies alles das Werk einer jungen Anfängerin ist.«

»Es ist wirklich mein erster Versuch; und ich hoffe, es wird auch mein letzter sein.«

»Wenn sie nur nicht von mir verlangt, das Beweisstück auf den Tisch zu legen!«

»Aber bis jetzt sind Sie doch ganz gesund, wie ich glaube.«

»Ja, vollkommen.«

»Es wäre scherzhaft, wenn sie sich für krank hielte, ohne es zu sein, und wenn Sie mit der Furcht davon kämen.«

»Vielleicht hat sie auch nur den weißen Fluß. Ich kann es kaum erwarten, den Schluß der Entwicklung zu sehen, damit mein Gewissen ruhig ist.«

»Sie werden dies alles der Frau von *** schreiben?«

»Selbstverständlich; aber Sie begreifen, daß ich ihr gegenüber von Ihrem Anteil der Komödie nichts sagen darf.«

»Ihre eigene Anerkennung genügt mir.«

»Sie dürfen nicht daran zweifeln, daß ich Ihr Verdienst daran sehr hoch stelle, meine Liebe, und ganz gewiß werde ich Ihnen die Belohnung nicht vorenthalten, worauf Sie Anspruch haben.«

»Wenn ich eine Belohnung wünsche, so ist es die, daß Sie jede Zurückhaltung gegen mich fallen lassen.«

»Dies ist wundervoll, liebe Freundin! Aber sagen Sie mir, wie ist es möglich, daß Sie für meine Angelegenheiten überhaupt Teilnahme haben? Ea widerstrebt mir, von Ihnen zu glauben, daß Sie von Natur neugierig sind.«

»Sie würden unrecht haben, mir einen Fehler zuzutrauen, der mich in meinen eigenen Augen erniedrigen würde. Seien Sie versichert, mein Herr, Sie werden mich nur neugierig sehen, wenn ich Sie traurig sehe.«

»Aber was hat Ihnen so hochherzige Gefühle für mich einflößen können?«

»Nur Ihr anständiges Benehmen gegen mich.«

»Ich bin tief davon gerührt, meine schätzenswerte Freundin, und ich verspreche Ihnen, Ihnen in Zukunft alles anzuvertrauen, was Sie hinsichtlich meiner beruhigen kann.«

»Sie werden mich glücklich machen!«

Leduc war kaum eine Stunde fort, als ein Bote zu Fuß eintraf und mir einen zweiten Brief von der Witwe brachte. Er übergab mir zugleich ein kleines Paket, indem er mir sagte, er habe Befehl, auf meine Antwort zu warten. Ich sagte ihm, er möchte draußen warten und gab Frau Dubois den Brief zum lesen. Währenddessen lehnte ich mich zum Fenster hinaus, denn ich hatte ein Herzklopfen, daß ich kaum atmen konnte.

»Alles geht vortrefflich, lieber Freund!« rief meine Haushälterin mir zu; »alles geht herrlich! Hier, lesen Sie!«

»Mag nun alles, was Sie mir geschrieben, wahr oder mag ich das Opfer einer Fabel sein, die Ihre fruchtbare Einbildungskraft schnell geschmiedet hat – eine Einbildungskraft, die zu Ihrem Unglück in Europa bereits allzugut bekannt ist – genug, ich nehme alles als wahr an, weil ich die Wahrscheinlichkeit nicht leugnen kann. Ich bin in Verzweiflung, einen Unschuldigen, der mir niemals etwas zuleide getan hat, geschädigt zu haben, und ich trage gerne die Strafe dafür, indem ich ihm einen Geldbetrag schicke, der mehr als ausreichend ist, um ihn von seiner durch mich erworbenen Krankheit zu heilen. Ich bitte Sie, ihm die 25 Louis zu übergeben, die ich Ihnen schicke; sie werden ihm seine Gesundheit wieder verschaffen und ihn die Bitterkeit des Genusses vergessen lassen, den ich zu meinem doppelten Bedauern ihm verschafft habe. Aber werden Sie auch so großmütig sein, Ihren Einfluß als Herr aufzubieten, damit er das strengste Schweigen bewahrt? Ich hoffe es; denn wie Sie mich kennen, müssen Sie vor meiner Rache auf der Hut sein. Sollte dieser üble Spaß in die Öffentlichkeit dringen, so bedenken Sie, daß es mir leicht sein würde, ihm eine Wendung zu geben, die Ihnen nichts weniger als angenehm wäre, und die den Ehrenmann, den Sie betrügen, zwingen würde, die Augen zu öffnen; denn, mein Herr, davon lasse ich mich nicht abbringen: es sind zu viele Anzeichen da, aus denen hervorgeht, daß Sie mit seiner Frau im Einverständnis sind. Da ich übrigens nicht wünsche, daß wir einander noch begegnen, so schütze ich eine dringende Familienangelegenheit vor und reise nach Luzern zu meinen Verwandten. Bestätigen Sie mir den Empfang dieses Briefes.«

»Es tut mir leid,« sagte ich zu meiner Freundin, »daß ich Leduc habe abreisen lassen; die Megäre ist gewalttätig, und ich fürchte es kann ihm irgendein Unglück zustoßen.«

»Seien Sie unbesorgt! Es wird nichts Unangenehmes geschehen, und es ist besser, daß sie sich sehen; die Gewißheit wird dadurch größer. Schicken Sie ihr sofort das Geld zurück; sie soll es ihm selber übergeben; dadurch wird Ihre Rache vollständig sein. Sie wird dann nicht mehr an der Tatsache zweifeln können, wenn Leduc mit seinen handgreiflichen Beweisen kommt! In zwei oder drei Stunden werden Sie das Vergnügen haben, alles aus seinem eigenen Munde zu erfahren. Schätzen Sie sich glücklich: die Ehre der reizenden Frau, welcher Ihre ganze Zärtlichkeit gehört, ist vor jedem Makel geschützt. Ihnen bleibt kein anderer Verdruß, als die Erinnerung an die Liebkosungen dieser Messalina und die Gewißheit, von der Krankheit dieser Prostituierten angesteckt worden zu sein. Indessen hoffe ich, Ihre Krankheit wird unbedeutend und leicht zu heilen sein. Ein veralteter weißer Fluß ist eigentlich keine Geschlechtskrankheit, und ich habe in London sagen hören, er sei selten ansteckend, übrigens müssen wir uns sehr freuen, daß sie nach Luzern abreist. Lachen Sie, lieber Freund, um Gotteswillen, lachen Sie! Unser Stück ist doch wirklich komisch.«

»Leider ist es tragikomisch. Ich kenne das menschliche Herz, und ich muß das Herz der Frau von *** verloren haben.«

»Allerdings ist [??? Text fehlt hier] aber daran ist jetzt nicht Zeit, zu denken. Schnell, schnell! antworten Sie ihr in wenigen Zeilen und schicken Sie ihr die 25 Louis zurück.«

Meine Antwort lautete:

»Ihr unwürdiger Verdacht, Ihr abscheulicher Racheplan und der schamlose Brief, den Sie mir geschrieben haben, sind die einzige Ursache Ihrer gerechten und ohne Zweifel bitteren Reue. Ich wünsche, sie möge hinreichend sein, um Sie mit Ihrem Gewissen auszusöhnen. Die Boten haben sich gekreuzt; dies ist nicht meine Schuld. Ich schicke Ihnen die 25 Louis zurück; Sie können sie ihm selber übergeben. Ich habe meinen Bedienten nicht abhalten können, Ihnen einen Besuch zu machen; diesmal aber werden Sie ihn nicht zwei Stunden bei sich behalten, und Sie werden ihn leicht beschwichtigen. Ich wünsche Ihnen gute Reise und verspreche Ihnen, jede Gelegenheit Ihres Anblicks zu vermeiden; denn es ist meine Gewohnheit, allem auszuweichen, was mir widerlich ist. Außerdem, Sie boshaftes Geschöpf, sollten Sie wissen, daß die Welt nicht mit Ungeheuern bevölkert ist, die der Ehre von Leuten, die etwas auf ihren Ruf halten, Schlingen stellen. Wenn Sie in Luzern den apostolischen Nuntius sehen, so sprechen Sie mit ihm über mich, und Sie werden von ihm erfahren, in welchem Rufe ich in Europa stehe, übrigens kann ich Ihnen versichern, daß Leduc mit keinem Menschen außer mir von seinem Mißgeschick gesprochen hat, und wenn Sie ihn gut behandeln, so wird er schweigen, zumal da er auf sein Erlebnis nicht eitel sein kann. Leben Sie wohl.«

Da dieser Brief von meiner teueren Minerva gebilligt wurde, so übergab ich ihn nebst dem Gelde dem Boten.

»Das Stück ist noch nicht zu Ende,« sagte meine Freundin zu mir; »wir haben noch drei Szenen vor uns.«

»Welche denn?«

»Die Rückkehr Ihres Spaniers, den Ausbruch Ihrer Krankheit und das Erstaunen der Frau von ***, wenn sie die ganze Geschichte erfährt.« Ich zählte die Minuten während Leducs Abwesenheit, aber vergeblich – er kam nicht. Ich war in einer schrecklichen Angst, obgleich meine liebe Dubois mich zu überzeugen suchte, er könnte nur deshalb so lange ausbleiben, weil die Witwe nicht zu Hause wäre. Es gibt glückliche Charaktere, die nicht an die Möglichkeit eines Unglückes glauben können. Ein solcher war auch ich, bis man mich in meinem dreißigsten Jahre unter die Bleidächer schickte. Jetzt fange ich an zu faseln, und alles erscheint mir schwarz. Sogar, wenn man mich zu Hochzeiten einladet, sehe ich alles schwarz, und als ich in Prag bei der Krönung Leopolds des Zweiten zugegen war, sagte ich: nolo coronari – ich wünsche nicht gekrönt zu werden. Verfluchtes Alter, würdig, die Hölle zu bewohnen, wohin schon so viele andere es vor mir gewünscht haben: tristisque senectus.

Gegen halb zehn Uhr sah meine Haushälterin im Mondenschein Leduc herangaloppieren. Dies belebte mich wieder. Ich hatte kein Licht im Zimmer. Meine Freundin versteckte sich schnell im Alkoven, denn sie hätte nicht eine Silbe von dem Bericht des Spaniers verlieren mögen.

»Ich bin halbtot vor Hunger, gnädiger Herr,« sagte er beim Eintreten; »bis halb sieben habe ich auf das Weib warten müssen. Als sie nach Hause kam, fand sie mich auf der Treppe und sagte zu mir, ich möchte gehen, sie hätte mir nichts zu sagen.

›Das kann wohl sein, meine schöne Dame‹, sagte ich; ›aber wissen Sie, ich habe nämlich zwei Wörtchen mit Ihnen zu reden, und darum warte ich hier schon verdammt lang auf Sie.‹

›Einen Augenblick‹, antwortete sie; dann steckt Sie ein Paket und einen Brief, worauf ich Ihre Handschrift zu erkennen glaubte, in die Tasche und sagte zu mir: ›Kommen Sie mit!‹

Als wir in ihrem Zimmer sind, und ich da keinen Menschen sehe, sage ich zu ihr, sie hätte mich vergiftet und ich verlangte Geld von ihr, um den Doktor zu bezahlen. Da sie nichts antwortet, mache ich Miene, sie durch den Augenschein zu überzeugen; sie wendet aber den Kopf ab und sagt: ›Warten Sie schon lange auf mich?‹

›Seit elf Uhr, und keinen Bissen habe ich im Leibe.‹

Sie geht hinaus, erkundigt sich bei dem Bedienten, den sie offenbar hierher geschickt hatte, wann er zurückgekommen sei, kommt wieder hinein, schließt die Tür und gibt mir dies Paket, indem sie mir sagt, ich würde fünfundzwanzig Louis darin finden, um mich heilen zu lassen, wenn ich krank wäre; aber wenn mir etwas an meinem Leben läge, so sollte ich mich hüten, mit irgendeinem Menschen über die Geschichte zu sprechen. Ich habe ihr versprochen, zu schweigen, und bin abgeritten. Ist das Paket mein?«

»Ganz gewiß. Laß dir dein Abendessen geben und geh zu Bett!«

Meine liebe Dubois kam aus dem Alkoven hervor und umarmte mich mit triumphierender Miene. Wir verbrachten den Abend in fröhlicher Stimmung. Am nächsten Morgen sah ich die ersten Anzeichen der Krankheit, die die abscheuliche Witwe mir mitgeteilt hatte; aber drei oder vier Tage darauf erkannte ich, daß sie von harmlosester Art war, und nach acht Tagen war ich sie völlig los. Meinem armen Spanier ging es nicht so gut. Er befand sich in einem kläglichen Zustande.

Den ganzen nächsten Morgen verbrachte ich damit, an Frau von *** zu schreiben. Ich erzählte ihr ganz ausführlich, was ich trotz meinem Versprechen, sie vorher um Rat zu fragen, getan hatte, und schickte ihr Abschriften aller Briefe, um sie zu überzeugen, daß unsere Feindin, die nach Luzern gereist sei, sich in dem Glauben befinde, nur in ihrer Einbildung sich gerächt zu haben, und daß zum Glück ihre Ehre vor jedem Schimpf sicher sei. Am Schluß meines langen Briefes gestand ich ihr, daß ich die ersten Anzeichen meiner Krankheit erkannt hätte, jedoch sicher wäre, in sehr wenigen Tagen davon befreit zu sein. Ich gab meinen Brief heimlich ihrer Amme und erhielt am dritten Tage einige Zeilen von ihrer Hand, durch die sie mir anzeigte, daß ich im Laufe der Woche sie nebst ihrem Gatten und Herrn von Chavigny bei mir sehen würde.

Ich Unglücklicher! Ich mußte auf jeden Gedanken auf Liebe verzichten; aber meine Dubois, die wegen Leducs Krankheit den ganzen Tag um mich war, fing an, mir alles andere zu ersetzen. Je mehr ich mich darauf versteifte, in ihr nur eine Freundin sehen zu wollen, desto verliebter wurde ich; vergeblich hoffte ich, daß sie schließlich das Gefühl, das ich ihr eingeflößt, unterdrücken würde, wenn wir in solcher harmlosen Weise miteinander verkehrten. Ich hatte ihr einen Ring geschenkt und ihr gesagt, ich würde ihr hundert Louis dafür geben, sobald sie Lust bekäme, sich desselben wieder zu entäußern; aber dazu konnte sie nur kommen, wenn sie in Bedürftigkeit geriet, und dies konnte nicht geschehen, solange ich sie bei mir behielt; der Gedanke aber, sie zu entlassen, erschien mir abgeschmackt. Sie war naiv, aufrichtig, scherzte gern, hatte viel Geist und ein sehr richtiges Urteil. Sie hatte niemals geliebt und sich nur auf Wunsch der Lady Montagu verheiratet. Sie schrieb nur an ihre Mutter, und ich las auf ihren Wunsch diese Briefe. Sie atmeten kindliche Liebe und waren ausgezeichnet geschrieben.

Eines Tages fiel mir ein, sie zu bitten, die Briefe ihrer Mutter lesen zu dürfen.

»Sie antwortet mir niemals.«

»Und warum nicht?«

»Aus einem guten Grunde: sie kann nicht schreiben. Ich hielt sie für tot, als ich von England zurückkam, und war angenehm überrascht, als ich sie bei meiner Heimkehr nach Lausanne vollkommen gesund vorfand.«

»Wer hat Sie von England begleitet?«

»Niemand.«

»Das ist unbegreiflich. Sie sind jung, ganz dazu angetan, heftige Begierden zu erregen; Sie kleiden sich gut und befanden sich in Gesellschaft so vieler Leute von verschiedenem Charakter; darunter waren auch junge Leute, Wüstlinge – denn die gibt es ja überall; wie haben Sie sich verteidigen können?«

»Mich verteidigen? Das habe ich niemals nötig gehabt. Das große Geheimnis für ein junges Mädchen, nicht belästigt zu werden, besteht darin: niemanden anzusehen, so zu tun, als ob man nicht höre, auf gewisse Fragen nicht zu antworten, allein in einem Zimmer zu schlafen, das man sorgfältig verriegelt, oder in den Gasthöfen, wo es möglich ist, bei der Wirtin zu schlafen. Wenn ein junges Mädchen Reiseabenteuer hat, so wird man in den allermeisten Fällen sagen können, daß sie selber dazu Anlaß gegeben haben muß; denn es ist leicht, überall tugendhaft zu sein, wenn man nur will.«

Sie hatte recht. Sie versicherte mir, sie habe niemals ein Abenteuer gehabt und sei niemals von ihrer Pflicht abgewichen, weil sie so glücklich gewesen sei, sich niemals zu verlieben. Ihre naiven Erzählungen, die von jeder Zimperlichkeit frei waren, und ihre Bemerkungen voll von Witz und gesundem Menschenverstand erheiterten mich vom Morgen bis zum Abend. Zuweilen duzten wir uns; dies war schon ziemlich deutlich und bezeichnete das Ziel, zu dem die Gewalt der Umstände uns führen mußte. Sie sprach mit mir begeistert von den Reizen der Frau von *** und hörte mir mit der lebhaftesten Teilnahme zu, wenn ich ihr von meinen verschiedenen Liebesabenteuern erzählte. Wenn ich an heikle Stellen kam und Miene machte, in meiner Erzählung gewisse schlüpfrig. Umstände zu überspringen, bat sie mich so anmutig, ihr nichts zu verbergen, daß ich mich mit sanfter Gewalt gezwungen sah, ihren Wunsch zu erfüllen; wenn aber dann das allzugetreue Gemälde uns zu entflammen drohte, lachte sie plötzlich laut auf, legte mir die Hand auf den Mund, entfloh wie eine verfolgte Gazelle und schloß sich in ihrem Zimmer ein. Eines Tages fragte ich sie, warum sie sich immer einschlösse, und sie antwortete: »Dies geschieht, damit Sie nicht etwas von mir verlangen, was ich in jenen Augenblicken unmöglich Ihnen verweigern könnte.«

Am Vorabend des Tages, an welchem Herr von Chavigny und Herr und Frau von *** sich unangemeldet bei mir zum Mittagessen einluden, fragte meine Haushälterin, ob ich auch in Holland ein Liebesabenteuer gehabt hätte. Ich erzählte ihr meine Erlebnisse mit Esther, und als ich an die Besichtigung des kleinen Mals kam, hielt die reizende Neugierige mir den Mund zu, wobei sie sich vor Lachen ausschütten wollte. Ich hielt sie mit sanfter Gewalt fest, und da sie sich auf mich niedersinken ließ, so konnte ich dem Wunsche nicht widerstehen, auch bei ihr nach einem kleinen Mal zu suchen, und sie vermochte mir nur schwachen Widerstand entgegenzusetzen. Da mein unglückseliger Zustand mich verhinderte, das Opfer auf dem Altar der Liebe zu vollziehen, so beschränkten wir uns auf ein Scheinopfer, das nur eine Minute dauerte; aber unsere Augen waren daran beteiligt, und dies war nicht geeignet, uns zu beruhigen. Als wir fertig waren, sagte sie lachend, aber mit einem ganz sittsamen Gesicht zu mir: »Mein lieber Freund, wir lieben uns, und wenn wir uns nicht in acht nehmen, wird es nicht lange beim bloßen Tändeln bleiben.«

Nachdem sie dies mit einem Seufzer gesagt hatte, stand sie auf, wünschte mir gute Nacht und legte sich zu ihrer kleinen Häßlichen ins Bett. Es war das erstemal, daß wir uns von dem Triebe unserer Sinne fortreißen ließen; der erste Schritt war getan. Vollkommen verliebt legte ich mich zu Bett; ich sah voraus, daß die liebenswürdige Person bald meine Seele ganz und gar beherrschen würde.

Am anderen Morgen überraschten Herr und Frau von *** mit Herrn von Chavigny uns auf angenehme Weise. Bis zum Mittagessen gingen wir spazieren. Bei Tisch machte meine liebe Dubois die Wirtin, und ich sah mit Vergnügen, dnß meine beiden männlichen Gäste ganz entzückt von ihr waren, denn sie gingen während unseres Nachmittagsspazierganges nicht einen Augenblick von ihrer Seite. Ich erhielt dadurch Gelegenheit, ganz ungestört meiner göttlichen Amazone noch einmal mündlich zu erzählen, was ich ihr geschrieben hatte. Natürlich hütete ich mich, ein Wort davon zu sagen, daß meine Haushälterin an der ganzen Geschichte beteiligt gewesen war; denn es wäre der schönen Frau peinlich gewesen, zu erfahren, daß ihre Schwachheit der anderen bekannt war.

»Das Lesen ihres Briefes«, sagte die reizende Frau zu mir, »hat mir das größte Vergnügen gemacht, weil die widerwärtige Person sich nun nicht mehr schmeicheln darf, die zwei Stunden mit Ihnen verbracht zu haben. Aber sagen Sie mir, ich bitte Sie, wie ist es nur möglich gewesen, daß Sie selbst im Dunkeln nicht den Unterschied bemerkt haben, der doch zwischen uns vorhanden sein muß? Sie ist viel kleiner, viel magerer und mindestens zehn Jahre älter als ich. Außerdem hat sie einen schwülen Atem, und Sie haben doch wissen können, daß ich diesen Fehler nicht habe. Sie waren allerdings des Gesichts und des Gehörs beraubt, aber Sie konnten doch fühlen. Und dennoch haben Sie nichts bemerkt! Das ist unglaublich!«

»Und doch ist es leider nur zu wahr. Ich war von Liebe berauscht, und da Sie allein meine ganze Seele einnahmen, so habe ich nur Sie sehen können.«

»Ich begreife, daß im ersten Augenblick Ihre Phantasie Sie fortreißen mußte, aber nach dem ersten oder zweiten Sturmlauf mußte doch die Glut nachlassen, da jener etwas mangelt, was ich nicht verbergen kann und was alle Kunst der Koketterie bei ihr nicht nachahmen kann.«

»Sie haben recht – Ihr Venusbusen! Und wenn ich daran denke, daß ich nur zwei schlaffe Hängebrüste berührt habe, so fühle ich mich unwürdig, noch weiter zu leben.«

»Sie haben es bemerkt und fühlten sich doch nicht angeekelt?«

»Konnte ich wohl Ekel fühlen, konnte ich überhaupt einen Gedanken fassen, da ich doch gewiß war, Sie in meinen Armen zu halten – Sie, für die ich mein Leben hingeben würde? Nein, eine rauhe Haut, ein übelriechender Atem, ein viel zu bequemes Schlupfloch, dies alles konnte meine Glut nicht mäßigen.«

»Was höre ich! Abscheuliches, unreines Weib! Ekelhaftes Kehrichtfaß! Ich kam, es nicht begreifen; und Sie haben mir dies alles verzeihen können?«

»Ich wiederhole Ihnen: der Glaube, Sie zu besitzen, machte mich unfähig zu denken; alles erschien mir göttlich.«

»Sie hätten mich wie ein liederliches Weibsbild behandeln, mich sogar schlagen sollen, da Sie mich so fanden!«

»Ach, entzückendes Weib, wie ungerecht sind Sie in diesem Augenblick!«

»Das ist wohl möglich, mein lieber Freund, denn ich bin so aufgebracht gegen dieses Scheusal, daß ich im Zorn vielleicht Unsinn rede. Jetzt aber, wo sie sich einem Bedienten hingegeben zu haben glaubt, und nach seinem sie erniedrigenden Besuche muß sie vor Scham und Wut dem Tode nahe sein. Es wundert mich nur, daß sie es geglaubt hat; denn er ist vier Zoll kleiner als Sie – und dann, wie konnte sie glauben, daß ein Bedienter so etwas ebensogut könnte wie Sie! Es ist undenkbar! Ich bin überzeugt, sie ist in diesem Augenblick in ihn verliebt. Fünfundzwanzig Louis! Er wäre mit zehn zufrieden gewesen. Welches Glück, daß der arme Junge so gerade zur rechten Zeit krank wurde. Aber Sie haben ihn doch in alles einweihen müssen?«

»Ganz und gar nicht, ich habe ihn glauben lassen, sie hätte mir ein Stelldichein in jenem Zimmer gegeben, und ich wäre wirklich zwei Stunden mit ihr zusammen gewesen, hätte aber, aus Furcht, gehört zu werden, kein Wort gesprochen. Aus dem, was ich ihm auftrug, hat er geschlossen, sie hätte mich krank gemacht, sie wäre mir dadurch zum Ekel geworden, und ich hätte die Gelegenheit benutzt, meine Beteiligung abzuleugnen, sie mir vom Halse zu schaffen und mich an ihr zu rächen.«

»Ausgezeichnet! Die Frechheit des Spaniers ist unglaublich, aber am allerunglaublichsten ist die Frechheit dieser gemeinen Person. Wenn aber nun das Weib nur aus Prahlerei und um Ihnen einen Schreck einzujagen gesagt hätte, sie sei krank, welcher Gefahr hätte sich dann der Bursche ausgesetzt.«

»Diese Befürchtung habe ich gehabt, denn ich hatte noch kein Anzeichen der Krankheit gemerkt.«

»Jetzt aber sind Sie in Behandlung, und ich bin die Ursache. Das bringt mich zur Verzweiflung!«

»Beruhigen Sie sich, mein Engel; meine Krankheit hat nicht viel auf sich. Ich wende nichts weiter an als eine Auflösung von salpetersaurem Salz, und in acht Tagen werde ich vollkommen wieder hergestellt sein. Ich hoffe, dann ...«

»Ach, mein lieber Freund ...«

»Wie?«

»Denken wir nicht mehr daran, ich beschwöre Sie.«

»Ein solcher Ekel kann sehr natürlich sein, wenn die Liebe nicht sehr stark ist. Ich bin sehr unglücklich!«

»Ich bin es mehr als Sie. Ich liebe Sie, und Sie wären undankbar, wenn Sie aufhörten, mich zu lieben. Lieben wir uns, aber suchen wir nicht uns unsere Liebe zu beweisen; dies könnte verhängnisvoll für uns werden. Verfluchte Witwe! Sie ist abgereist, und in vierzehn Tagen reisen auch wir nach Basel, wo wir bis Ende November bleiben.«

»Der Streich hat getroffen! Ich sehe, ich muß mich Ihren Gesetzen unterwerfen, oder vielmehr meinem Schicksal; denn in der Schweiz ist mir lauter Unglück zugestoßen. Mich tröstet nur, daß es mir gelungen ist, Ihre Ehre vor jedem Angriff zu sichern.«

»Sie haben die Achtung und Freundschaft meines Mannes gewonnen; wir werden immer gute Freunde sein.«

»Wenn Sie abreisen müssen, so fühle ich, daß es meine Pflicht ist, vor Ihnen abzureisen. Dies wird die unwürdige Urheberin meines Unglückes noch mehr überzeugen, daß unsere Freundschaft unsträflich war.«

»Sie denken wie ein Engel und überzeugen mich immer mehr von Ihrer Zärtlichkeit. Wohin gehen Sie?«

»Nach Italien; vorher aber werde ich nach Bern und Genf reisen.«

»Sie werden also nicht nach Basel kommen. Das ist mir lieb, so großes Vergnügen mir es auch machen würde, Sie dort zu sehen. Ohne Zweifel würde man darüber schwätzen, und dies würde mir schaden. Aber wenn es Ihnen möglich ist, so zeigen Sie sich in den wenigen Tagen, die Sie noch hier zubringen werden, recht vergnügt; denn das traurige Wesen steht Ihnen nicht.«

Wir gingen wieder zum Gesandten und Herrn von ***, die gar keine Zeit gehabt hatten, an uns zu denken, so sehr erheiterte meine liebe Dubois sie durch ihre hübschen Bemerkungen, Ich warf ihr vor, daß sie gegen mich mit ihrem Geist geize, und Herr von Chavigny nahm diese Bemerkung auf und sagte uns, daran wäre unsere Verliebtheit schuld, denn Verliebte hätten keine geistreichen Worte nötig. Aber meine Dubois blieb die Antwort nicht schuldig; sie ging den beiden Herren tapfer zu Leibe, und dies verschaffte mir Gelegenheit, den Spaziergang mit der schönen Frau fortzusetzen. Sie sagte mir: »Ihre Haushälterin, lieber Freund, ist ein Meisterwerk der Natur. Beantworten Sie mir wahrheitsgetreu eine Frage, und ich verspreche Ihnen, vor Ihrer Abreise Ihnen ein Zeichen der Dankbarkeit zu geben, woran Sie Ihre Freude haben werden.«

»Sprechen Sie! Was wünschen Sie zu wissen?«

»Sie lieben sie, und sie erwidert ihre Liebe.«

»Ich glaube es, aber bis jetzt ...«

»Mehr will ich nicht wissen; denn wenn es noch nicht geschehen ist, so wird es geschehen, und das ist so gut, wie wenn es schon geschehen wäre. Wenn Sie mir gesagt hätten, Sie liebten sich nicht, so hätte ich Ihnen nicht geglaubt; denn ich begreife nicht, wie ein junger Mann wie Sie mit einer solchen Frau zusammen leben kann, ohne sie zu lieben. Sie ist sehr hübsch, klug wie ein Engel; lustig, talentvoll, außerordentlich wohl erzogen und weise im Sprechen; dies ist mehr als genug, um einen Mann zu bezaubern, und ich bin überzeugt, es wird Ihnen schmerzlich sein, sich von ihr zu trennen. Lebel hat ihr einen schlechten Dienst erwiesen, indem er sie zu Ihnen gebracht hat; denn sie stand in einem ausgezeichneten Ruf, jetzt aber wird es ihr nicht mehr möglich sein, bei einer anständigen Dame einen Dienst zu finden.«

»Ich werde mit ihr nach Bern gehen.«

»Daran werden Sie gut tun.«

Als sie abfuhren, sagte ich ihnen, ich würde binnen kurzem nach Solothurn kommen, um Abschied zu nehmen und ihnen für ihren ausgezeichneten Empfang zu danken, weil ich in einigen Tagen abzureisen gedächte. Der Gedanke, Frau von *** nicht wieder zu sehen, war mir so schmerzlich, daß ich mich sofort zu Bett legte; Frau Dubois achtete meine Traurigkeit und zog sich zurück, nachdem sie mir gute Nacht gewünscht.

Zwei oder drei Tage darauf erhielt ich einen Brief von meiner Zauberin; sie schrieb mir, ich möchte sie am folgenden Tage um zehn Uhr besuchen und mich zum Essen einladen. Pünktlich befolgte ich ihren Befehl. Herr von *** empfing mich sehr freundlich, sagte mir aber, er müsse aufs Land fahren und könne nicht vor ein Uhr zurück sein; er bitte mich also, es nicht übel zu nehmen, wenn er es seiner Frau überlasse, mich bis dahin zu unterhalten. So geht es einem armen Ehemann! Frau von *** stickte mit einem jungen Mädchen an einem Rahmen; ich nahm ihre liebenswürdige Gesellschaft an, aber nur unter der Bedingung, daß sie sich in ihrer Arbeit nicht stören ließe.

Vor zwölf Uhr entfernte das junge Mädchen sich, und sogleich gingen wir, um die frische Luft zu genießen, auf eine Terrasse neben dem Hause; es befand sich dort ein hübsches Kabinett, von dessen Inneren aus wir, ohne gesehen zu werden, alle ankommenden Wagen schon in der Ferne bemerken konnten.

»Warum, göttliche Freundin, haben Sie mir dieses Glück nicht verschafft, als ich vollkommen gesund war?«

»Weil damals mein Gatte argwöhnte, Sie hätten sich nur meinetwegen als Kellner verkleidet und könnten mir nicht gleichgültig sein. Ihr kluges Verhalten hat seinen Verdacht beseitigt und mehr denn alles Ihre Haushälterin, die er für Ihre Frau hält, und in die er ebenfalls so verliebt ist, daß ich glaube, er würde ganz gerne tauschen, wenigstens für ein paar Tage. Würden Sie mit dem Tausch einverstanden sein?«

»O, warum läßt er sich nicht bewerkstelligen!«

Da ich kaum eine Stunde vor mir hatte und voraussah, daß ich zum letztenmal das Glück haben würde, bei ihr zu weilen, so warf ich mich ihr zu Füßen. Voll Zärtlichkeit sträubte sie sich nicht gegen meine Wünsche, die ich zu meinem großen Bedauern nur zum Schein erfüllen durfte; denn ich liebte sie zu aufrichtig, als daß ich ihre Gesundheit hätte in Gefahr bringen mögen. Ich tat alles, was ich in Ermangelung eines vollständigen Glückes tun konnte; ohne Zweifel hatte an dem Genuß, den ich ihr verschaffen konnte, das Vergnügen, mich zu überzeugen, daß sie mehr wert sei als die greuliche Witwe, einen nicht geringen Anteil.

Als wir den Wagen des Gatten ankommen sahen, eilten wir an das untere Ende der Terrasse, und dort fand der wackere Mann uns. Er entschuldigte sich tausendmal bei uns, daß er nicht früher hätte zurückkommen können.

Wir speisten gut, aber bei Tisch unterhielt er sich mit mir fast ausschließlich über meine Dubois; er schien gerührt zu sein, als ich ihm sagte, ich gedächte sie nach Lausanne zu ihrer Mutter zurückzuführen.

Um fünf Uhr nahm ich mit gepreßtem Herzen Abschied von ihnen und begab mich zu Herrn von Chavigny, dem ich alles Vorgefallene mitteilte. Ich hätte die Pflicht der Dankbarkeit zu verletzen geglaubt, wenn ich dem liebenswürdigen alten Herrn nicht die ganze Komödie erzählt hätte, die ihm ohne Zweifel scherzhaft erschien, wie sie mir heute erscheint. Er hatte ein Recht darauf, denn er hatte ganz gewaltig zum Gelingen eines Planes beigetragen, der nur durch ein Mißgeschick ohnegleichen fehlschlug.

Er bewunderte den Geist meiner treuen Dubois, denn ich verhehlte ihm nicht, wie sehr sie an der Intrige beteiligt war, und sagte zu mir, trotz seinem Alter würde er sich glücklich schätzen, wenn er eine Frau wie sie bei sich haben könnte, und er freute sich sehr, als ich ihm sagte, daß ich in sie verliebt sei. Hierauf sagte der liebenswürdige Kavalier zu mir: »Ersparen Sie sich, mein lieber Casanova, die Mühe, in sämtliche Häuser Solothurns zu laufen, um Abschiedsbesuche zu machen. Sie können sich dieser Anstandspflicht entledigen, indem Sie bei mir die ganze Gesellschaft versammelt finden werden, und Sie brauchen nicht einmal zum Abendessen zu bleiben, wenn Sie nicht spät nach Hause kommen wollen.«

Ich befolgte seinen Rat. Ich sah Frau von ***, und ich glaubte, es wäre zum letzten Male. Ich täuschte mich. Ich habe sie nach zehn Jahren wiedergesehen, und der Leser wird an seinem Orte erfahren, wann, wie und in welcher Lage.

Bevor ich ging, begleitete ich den Botschafter in sein Zimmer, um ihm gebührend zu danken und ihn um einen Empfehlungsbrief für Bern zu bitten, wo ich vierzehn Tage zu verbringen gedachte. Zugleich bat ich ihn, mir Lebel zu schicken, um seine Rechnung mit mir zu machen. Er sagte mir, er würde mir durch ihn einen Brief für Herrn von Muralt, den Stadtschultheiß von Thun, schicken.

Ich fuhr nach Hause. Ich war in trauriger Stimmung über die bevorstehende Abreise von einer Stadt, wo ich im Vergleich zu den erlittenen wirklichen Verlusten nur schwache davongetragen hatte; ich dankte meiner Haushälterin freundlich für ihre Gefälligkeit, auf mich zu warten, wünschte ihr gute Nacht und sagte ihr, wir würden binnen drei Tagen nach Bern abreisen und sie müßte meinen Koffer packen.

Am nächsten Morgen sagte sie zu mir, nachdem wir ziemlich schweigsam miteinander gefrühstückt hatten: »Sie nehmen mich also mit, lieber Freund?«

»Ja, gewiß, wenn Sie mich genug lieben, um gerne mit mir zu gehen.«

»Sehr gerne – bis ans Ende der Welt; und um so lieber, da ich Sie traurig und gewissermaßen krank sehe, während Sie heiter und gesund waren, als ich bei Ihnen eintrat. Wenn ich Sie verlassen müßte, könnte nur das mich trösten, daß ich Sie glücklich sähe.«

In diesem Augenblick kam der Wundarzt und sagte mir, meinem armen Spanier ginge es so schlecht, daß er das Bett nicht verlassen könnte.

»Ich werde ihn in Bern kurieren lassen«, antwortete ich. »Sagen Sie ihm, wir werden übermorgen abreisen und schon mittags dort sein.«

»Mein Herr, ich gestatte mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß er unmöglich diese Reise machen kann, obgleich die Entfernung nur sieben Wegstunden beträgt; denn er ist an allen Gliedern gelähmt.«

»Das tut mir sehr leid, Herr Doktor.«

»Ich glaube es, mein Herr, aber es ist eine Tatsache.«

»Von der ich mich mit eigenen Augen überzeugen muß.«

Ich ging zu Leduc und fand den armen Kerl wirklich nicht imstande sich zu bewegen; nur seine Zunge und die Augen waren frei.

»Du bist ja reizend zugerichtet«, sagte ich zu ihm.

»Scheußlich, gnädiger Herr, obgleich ich mich im übrigen sehr wohl fühle.«

»Ich glaube es, aber im Augenblick kannst du dich nicht bewegen, und ich will übermorgen zum Mittagessen in Bern sein.«

»Lassen Sie mich hintragen, Sie werden mich dort kurieren lassen.«

»Du hast recht; ich werde dich in einer Sänfte hintragen lassen.«

»Da werde ich aussehen wie ein Heiliger, den man in der Prozession umherträgt.«

Ich beauftragte einen Bedienten, für ihn zu sorgen und alles für die Abreise in Ordnung zu bringen. Ich ließ ihn mit zwei Pferden, die die Sänfte trugen, nach dem Gasthof zum Falken bringen.

Mittags kam Lebel und brachte mir den Brief seines Herrn für Herrn von Muralt. Er gab mir seine Quittungen, und ich bezahlte ihn, ohne eine Einwendung zu machen; denn ich fand ihn in jeder Beziehung anständig. Hierauf ließ ich ihn mit mir und Frau Dubois zu Mittag speisen. Ich war nicht zum Plaudern aufgelegt und sah mit Vergnügen, daß sie meine Unterhaltung nicht brauchten; denn sie plauderten nach Herzenslust und auf eine sehr ergötzliche Art, denn es fehlte Lebel nicht an Geist. Er sagte mir, er wäre entzückt, daß ich ihm Gelegenheit gegeben hätte, die Haushälterin, die er mir verschafft hätte, näher kennen zu lernen; bis jetzt hätte er nicht sagen können, daß er sie kenne, denn er hätte sie nur drei- oder viermal in Lausanne auf der Durchreise gesehen. Als wir vom Tisch aufstanden, bat er mich um die Erlaubnis, ihr schreiben zu dürfen; sie nahm sofort das Wort und forderte ihn auf, sein Versprechen zu halten.

Lebel war ein liebenswürdiger Mann, etwa fünfzig Jahre alt und von sehr anständigem Äußeren. Zum Abschied umarmte er sie nach französischer Art, ohne mich um Erlaubnis zu fragen, und sie ging mit guter Manier darauf ein.

Als er fort war, sagte sie zu mir, die Bekanntschaft dieses Ehrenmannes könne ihr nützlich sein, und es sei ihr sehr angenehm, mit ihm im Briefwechsel bleiben zu können.

Den nächsten Tag trafen wir alle Vorbereitungen für unsere kleine Reise, und Leduc reiste in seiner Sänfte ab, um vier Meilen von Solothurn zu übernachten. Nachdem ich die Familie des Pförtners, den Koch und den zurückbleibenden Lakai reichlich belohnt hatte, fuhr ich am anderen Morgen um vier Uhr mit der reizenden Dubois in meinem Wagen ab und kam um elf Uhr in dem Berner Gasthof an, wo Leduc schon ein paar Stunden vorher eingetroffen war. Zunächst vereinbarte ich die Preise mit dem Wirt, denn ich kannte die Gewohnheiten der Schweizer Gasthofbesitzer; sodann beauftragte ich den Bedienten, den ich behalten hatte und der ein Berner war, für Leduc zu sorgen, ihn einem guten Arzt zu übergeben und diesem zu sagen, daß er es an nichts fehlen lassen sollte, um ihn vollkommen gesund zu mache».

Hierauf speiste ich mit meiner Haushälterin auf ihrem Zimmer, denn sie wohnte für sich, und nachdem ich meinen Brief bei dem Pförtner des Herrn Murali abgegeben hatte, ging ich aufs Geratewohl spazieren.


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