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Ueber das grosse Mysterium der menschlichen Liebe, über diese intimste persönliche Beziehung zweier Seelen zu einander, die vielleicht, nächst dem Bewusstsein unserer Existenz, die festeste grundlegendste unauflöslichste Thatsache ist, die wir kennen, über jenes seltsame, oft, ja meistens, augenblickliche Gefühl lang vorhergegangener Vertrautheit und Verwandtschaft, jenes tiefe Vertrauen, jene Hinnahme eines zweiten Wesens in seiner Ganzheit, über die furchtbare Kraft der Kette, die zuweilen zwei Herzen in lebenslanger Hingabe aneinander fesselt und beide dazu bewegt und nicht selten dazu zwingt, andere wichtige Elemente ihres Lebens und ihres Willens ganz und gar dafür aufzuopfern, über jenen undurchdringlichen Schleier, der dabei und trotz allem das Verhältnis der zwei Geschlechter so häufig begleitet, der zugleich den dauernden Reiz und den Schmerz und oft genug die Tragödie ihrer Verbindung ausmacht, über dieses ganze, zitternde, geflügelte, lebende Ding, das man eine wirkliche Ehe vielleicht nennen könnte, – über all das möchte ich nur wenig sagen, denn erstens ziemt es sich nicht, und dann ist es auch gar nicht möglich, anders als in indirekten Worten und durch Andeutungen davon zu sprechen, und niemand darf wagen, es rücksichtslos aus seinem Heiligtum in das Licht der Blicke aller zu zerren.
Mit diesem Bilde verglichen, ist die wirkliche Ehe in ihrer schmutzigen Verderbtheit, wie wir sie nur zu oft zu schauen Gelegenheit haben, etwa das, was der elende Fetisch des Wilden gegenüber dem grossen Wesen ist, das er darstellen soll; und es ist, als hörte man das aristophanische Gelächter der Götter, wenn sie den kleinen Lehmgötzen des Menschen anschauen, den er als Abbild der himmlischen Liebe geformt hat und den er, wenn er im Feuer des täglichen Lebens Sprünge bekommt, mit verrosteten Klammern, die er Gesetz und Vertrag nennt, gerne zusammenhalten möchte, damit er nicht ganz und gar abbröckle und in Stücke zerfalle.
Der Gegenstand ist weit wie das Leben, wie Himmel und Hölle, und spottet jeder Bemühung, ihm gerecht zu werden. Es bedarf keiner Entschuldigung, wenn wir unsere Betrachtung hier auf ein paar praktische Punkte beschränken; und wenn wir auch nicht bis ins Herz der Frage dringen können, nämlich bis zu den Gründen, aus denen manche Menschen sich in wahrer und vollkommener Liebe und andere in Gehorsam für eine trübe Verfälschung der Leidenschaft verbinden, – so werden wir doch, glaube ich, leicht einige der Bedingungen feststellen können, die der aktuellen Ehe ihre gegenwärtige Form geben. Dann werden wir zu ergründen versuchen, welche Aenderungen dahin führen könnten, wahrer Neigung in der Zukunft einen befriedigenderen Ausdruck zu sichern, als sie ihn heute der Regel nach findet.
Solange der Mann ein so unreifes Wesen bleibt und das Weib eine Leibeigene eigene und ein Parasit, kann man ja auch gar nicht erwarten, dass die Ehe eine glückbringende und erfolgreiche Institution sein könnte. Die heutige Ehe bedeutet, dass zwei Leute zusammenziehen, die nur wenig voneinander wissen, die in ganz verschiedener Weise erzogen worden sind, die sicherlich keiner das Wesen des anderen verstehen, deren geistige Interessen und Beschäftigungen ganz und gar verschieden sind, deren weltliche Interessen und Vorteile gleichfalls verschieden sind. Das Geschlechtsleben ist für den einen Teil vermutlich ein versiegeltes Buch, für den anderen vielleicht ein Buch, dessen abscheulichste Seite er zuerst aufgeschlagen hat. Der Mann sucht einen Ausweg für seine Leidenschaftlichkeit, das Mädchen erwartet ein »Heim« und einen Herrn. Ein Schimmer von Illusionen senkt sich vorerst auf beide nieder und treibt sie einander in die Arme. Ein Schimmer, der all ihre Verschiedenheiten und Missverständnisse mit einem anmutigen, mystischen Nebelschleier umgiebt. Sie heiraten sich, ohne Sorge und Arg, und ihre Herzen fliessen über von Dankbarkeit für den alten Herrn im weissen Chorrock, der die heiligen Worte über sie liest.
Aber in einer späteren Stunde und bei ruhigerem Gedanken werden sie gewahr, dass es ein Urteil auf Lebenszeit war, das er mit so sanfter Miene über sie ausgesprochen hat. Ein Urteil, das nicht einmal – wie bei gewöhnlichen Sträflingen – auf einen Zeitraum von zwanzig Jahren gemildert werden kann. Auf den kurzen Ausbruch der ersten Freude folgt die physische Uebersättigung, dann ein Gefühl der Leere anstatt der Liebe, dann Langeweile und sogar Ekel. Das Mädchen, das vielleicht voll Zärtlichkeit war und nun die Sympathie und den Trost vermisst, den sie in der Liebe des Mannes erwartete, und nur ihre materiellere Seite findet, sagt sich: »Das also ist es, wozu er meiner bedurfte!« Der Mann, der eine Genossin suchte, findet, dass er das Interesse seines Weibes für nichts in der Welt erregen kann, ausser für die ärgerlichsten Trivialitäten; – was nun immer der Grund sein mag, ein Schleier ist von ihren Augen gefallen, und nun sitzen sie da, durch die mindest ehrenvollen ihrer Interessen aneinander gebunden, die Interessen, für die sie selbst am wenigsten Achtung empfinden können, denen aber das Gesetz und die Religion ihren ganzen Nachdruck verleihen. Die pekuniäre Abhängigkeit des Weibes, die rein physischen geschlechtlichen Bedürfnisse des Mannes, die Furcht vor der öffentlichen Meinung sind die Motive, und zwar Motive niedrigster Art, aus denen der scheinbare Bund aufrecht erhalten wird, und das Verhältnis beider verknöchert zu einer dumpfen Neutralität, in der das Leben und der Charakter beider immer enger und stumpfer und die Lüge die gemeinsame Waffe wird, mit der sie ihre getrennten Interessen gegeneinander verteidigen.
Ein trauriges Bild! Und zweifellos ein Porträt, das die Sache absichtlich von der schlimmen Seite zeigt. Aber wer wird jemals all die Agonien ergründen und schildern, die so oft in diesen ersten Jahren des Ehelebens durchgemacht werden? Und in jedem Falle ist dies das Problem, dem wir heute ins Angesicht schauen müssen und das seine Aktualität schon dadurch beweist, dass es in einem so ungeheuren Masse, wohin wir sehen, in der Litteratur der Völker zum Ausbruch kommt.
Man könnte sagen – und man sagt es natürlich auch oft, – dass solche Fälle nichts anderes beweisen, als dass diese Ehe eben unter dem Einflusse eines vorübergehenden Reizes und einer Selbsttäuschung geschlossen wurde, und dass von Anfang an auf beiden Seiten nicht viel wirkliche Hingabe füreinander vorhanden war. Und sicherlich liegt in solchen Bemerkungen viel Wahres. Aber, können wir antworten, weil zwei Menschen sich in der Jugend irrten, sie deshalb zu lebenslangem Leiden und gegenseitiger schändlicher Erniedrigung zu verdammen oder sie dazu verdammt zu sehen, ohne ihnen irgend eine Hoffnung, irgend einen Weg zur Freiheit zu zeigen, und nur das eine Wort »geschieht euch schon recht« auf den Lippen zu haben, – das ist ein Verfahren, das nur in den Augen der grimmigsten und fühllosesten Calvinisten Wohlgefallen finden kann. Welche Schranken der gesunde Sinn der Gesellschaft in der Zukunft auch gegen eine zu frivole Auffassung des Verhältnisses aufrichten wird, so viel ist sicher: die Zeit ist vorüber, in der man die Ehe noch für eine übernatürliche Institution erklären durfte, für deren Aufrechterhaltung die Leiber und Seelen der Menschen rücksichtslos geopfert werden mussten; eine humanere, weisere, minder von panischem Schrecken getriebene Behandlung der Sache muss gefunden werden; und wenn sich dabei Schwierigkeiten ergeben, so darf man ihnen nur mit der ruhigen und geduldigen Erwägung, was für das Heil der Menschen das Beste sei, begegnen, denn das ist zuletzt wichtiger als alle Gesetze, wie alt und ehrwürdig sie auch sein mögen.
Meine Absicht ist, im folgenden, so logisch und ruhig als möglich, zunächst einige der Nachteile und Fehler der gegenwärtigen Sitten und Zustände, die in Bezug auf die Ehe herrschen, zu erörtern und dann zu untersuchen, was für Verbesserungen und Fortschritte dabei möglich scheinen. Ich gebe mich dabei keiner Täuschung darüber hin, dass die Frage eine höchst komplizierte ist, und dass alle unsere Schlüsse nur tappende Versuche sein können.
Was nun die erste Frage betrifft, so ist einer der wichtigsten Punkte – den ich übrigens schon früher berührt habe – der, dass man beim Unterricht der Jugend jede Anspielung auf diesen Gegenstand sorgfältig vermeidet. Das ist etwas ganz Ausserordentliches. In einer Zeit, in der man jeden nur erdenklichen Lehrgegenstand in die Schulpläne hineinpfropft, muss es sehr auffallen, dass der Gegenstand, der für das Leben des Individuums, wie der Gemeinschaft, von höchster Wichtigkeit ist, mit Vorbedacht und Sorgfalt ignoriert wird. Dass ein Mensch im stande sein sollte, eine vorübergehende geschlechtliche Bezauberung von tiefer Liebe und wahrer Kameradschaftlichkeit zu unterscheiden, ist zweifellos eine sehr weise Bemerkung; aber da das just eine Aufgabe ist, an der die reifsten Menschen so oft scheitern, so ist nicht leicht einzusehen, wie man es von jungen Dingern, denen jede eigene Erfahrung fehlt und denen von den anderen keinerlei Anleitung gegeben wird, erwarten könnte. Einen passenden Lebensgefährten zu finden ist besonders unter den sensitiveren und höher organisierten Menschen eine sehr komplizierte Sache, und es erscheint geradezu monströs, dass das Mädchen oder der Jüngling diese äusserst schwierige Aufgabe ohne ein Wort der Hilfe, ohne ein Wort über die Wahl des Weges und die sehr ernsten Zweifel und Gefahren, die auf ihm drohen, lösen soll, wie es heute zumeist der Fall ist.
Wenn das Paar, das im Begriff ist, eine Ehe einzugehen, in irgend einem wilden Stamme aufgewachsen wäre, dann würden sie ein paar Jahre vorher ein regelrechtes Fest der Einweihung in das Wesen der Mannheit und Weibheit durchgemacht haben, ein Fest, bei dem Ceremonien – die in unseren Augen unanständig scheinen mögen – ihnen jedenfalls die meisten Missverständnisse unmöglich gemacht haben würden. Bei uns aber wird das civilisierte Mädchen sehr oft in vollkommener Unkenntnis und absolutem Unverständnis der Natur jener Opferriten, die nun vollzogen werden sollen, zum »Altar geführt«. Auch der junge Mann weiss in anderer Art nicht viel davon. Er weiss vielleicht nicht, dass die Liebe beim Weibe in manchem Sinn etwas viel Allgemeineres, das ganze Wesen Umfassendes, als beim Manne, und weniger specialisiert sexuell ist, dass sie länger in Zärtlichkeit und Umarmung beruht und sich nur langsam in den Organen der Reproduktion konzentriert. Man darf nicht vergessen, dass für viele Frauen (natürlich durchaus nicht für die Majorität), jeder sexuelle Gedanke keine Vorstellung von Freude bringt und dass die Erfüllung dieser Pflichten für sie ein wirkliches, wenn auch willig gebrachtes Opfer bedeutet. (S. Anhang.) In seiner Ungeduld brutalisiert er seine junge Ehegenossin und erfüllt sie mit Schauder und vermehrt auf diese Weise ahnungslos die Neigung zur Hysterie, die die Ehe hätte mildern können und sollen.
Insbesondere bei den mittleren und wohlhabenden Klassen wird durch die hohe Kultur, die bei den Männern eine überernährte Männlichkeit und bei den Weibern eine Tendenz zur Nervosität und Hysterie erzeugt, die erwähnte Schwierigkeit noch vermehrt; So spricht Bebel in seinem Buch von der »Frau« vom müssigen und üppigen Leben so vieler Frauen der höheren Klasse, den nervösen Reizungen durch ausgesuchte Parfüms, der Ueberfütterung mit Poesie, Musik und Theater, die als die wichtigsten Erziehungsmittel angesehen werden und die hauptsächlichste Beschäftigung eines Geschlechtes bilden, das ohnedies bereits an einer Uebererregbarkeit der Nerven und der Gefiühlszentren leidet. und gerade unter diesen Klassen finden sich auch die ihnen besonders eigentümlichen Uebel der geschlechtlichen Unwissenheit und geschlechtlicher Aushungerung auf der einen, und roher Ausschweifung auf der anderen Seite im höchsten Masse.
In der verhältnismässig uncivilisierten Masse des Volkes, in der eine weit grössere Vertraulichkeit zwischen beiden Geschlechtern schon vor der Ehe besteht, und wo es vermutlich weit weniger Unwissenheit auf der einen und weniger Zügellosigkeit auf der anderen Seite giebt, treten diese Uebel nicht so scharf hervor. Aber auch hier liegt das Bedürfnis nach einigem vernünftigen Unterricht auf der Hand; und die grobe Vernachlässigung des Gesetzes der Transformation der Empfindungen, oder auch nur der grobe Mangel an Selbstbeherrschung macht die Proletarierehe nur zu oft zu einer höchst brutalen und tierischen Sache.
So viel, was die Schwierigkeiten angeht, die aus persönlicher Unwissenheit und dem Mangel an Erfahrung entstehen. Aber es giebt andere, die weit über sie hinaus reichen und sie auch gewissermassen in sich schliessen, Schwierigkeiten ernstester Art, die aus dem Eigentumsverhältnis zwischen den Geschlechtern und aus tief liegenden historischen und ökonomischen Gründen entspringen. Die lange historische Leibeigenschaft des Weibes drang in schleichender Wirkung tief in die geistige und sittliche Natur beider Geschlechter ein und hat das natürliche komplementäre Verhältnis beider zu einer absurden Karikatur der Kraft auf der einen und einer nicht minder absurden Karikatur der Schwäche auf der anderen Seite übertrieben. Das wird ganz gut in dem gewöhnlichen Bilde des ehelichen Verhältnisses, wie es unsere Erbauungsbücher zeigen, versinnlicht. Das zarte und gebrechliche Weib klammert sich hilfesuchend an die stämmige Gestalt ihres Gatten oder hängt in anmutiger Ohnmächtigkeit an seinem starken Arm. Und der Beschauer wird aufgefordert, das reizende Bild zu bewundern, das solch ein Bund gewährt, der dem des Epheus mit der Eiche verglichen wird; und niemand bedenkt, welch eine furchtbare Moral dieser Vergleich in sich birgt: dass es (bei den beiden Pflanzen zum mindesten) in Wirklichkeit ein Todeskampf ist, in dem entweder die Eiche von der Umarmung ihres Lebensgefährten erstickt wird oder, wenn der Baum befreit werden soll, die gesunde Entwicklung des Epheus geopfert werden muss. Nur zu oft sind der Egoismus, das Herrlichkeitsgefühl und die physische Befriedigung des Mannes die herrschenden Motive in solch einer Ehe. Das Weib wird für die Erhaltung dieser männlichen Tugenden thatsächlich aufgeopfert. Ihre Aufgabe ist es, den Tag in kleinen, armseligen Arbeiten und Sorgen für die höhere Bequemlichkeit und Wichtigkeit des Mannes zu verbringen, ihre Bedürfnisse seinen Launen zu opfern, ihn in jeder Weise bei guter Laune zu erhalten, ihr ziemt es, ihren Geist von jeder selbständigen Ansicht zu reinigen, damit sie ihn als eine Art Spiegel emporhalten kann, in welchem er sein erhabenes Ich wiederfindet. Ihr obliegt es, sogar ihre physische Gesundheit und ihre natürlichen Instinkte dem zu opfern, was ihre »eheliche Pflicht« genannt wird.
Wie bitter einsam so viele dieser Frauen sich fühlen! Sie hatten davon geträumt, von den starken Armen eines Mannes umfangen zu werden und sich selbst, ihr Leben, ihre Seele, ihr alles für ihn hinzugeben. Ein ungesunder Traum natürlich, eine Illusion, ein Ueberschwang der Liebe, ein Traum, der bestimmt war, zu zerflattern. Sie muss nun erkennen, dass rücksichtloses Sichselbstaufgeben ein geradeso grosses Verbrechen sein kann, wie rücksichtlose Selbstbehauptung. Sie muss erkennen, dass gerade ihre widerstandlose Bereitwilligkeit, sich zu opfern, im Manne – und vielleicht nur zu seiner eigenen Verteidigung – jenen Egoismus und jene Kälte erzeugt, die sie so grausam verwunden.
Denn nur zu oft sagt ihm eine untrügliche Ahnung, dass, wenn er von seiner Kälte lässt, das hingebende schwache Geschöpf unfehlbar über ihn hinauswachsen und ihn ersticken wird! – dass sie all ihre weiblichen Freundinnen aufgeben, alle ihre eigenen Interessen und Beschäftigungen beiseite schieben wird, um sich ganz und gar ihm zu »widmen«. Und da in ihrem Wesen nichts Festes und Ernstes ist, für das er sich interessieren könnte, so hängt sie die Guirlanden ihrer Liebe an jeden Zweig seines unseligen Lebens und lässt ihm kein Winkelchen seines Wesens übrig, bis sie ihn aller Mannheit beraubt, für alle socialen und heroischen Aufgaben unbrauchbar gemacht und zu einem blossen ehelichen Kleiderstock erniedrigt hat, zur Warnung und Verwunderung aller derer, die ihn schauen!
Oft gestaltet sich die Sache auch so, dass das Weib, zu klug, um ihr eigenes Leben rückhaltslos dem Egoismus ihres Gatten zu opfern, und andererseits auch nicht gewillt, ihn unter Bändern und Liebeskränzen zu ersticken, einen mittleren Weg einschlägt, indem sie dem Scheine nach gehorsam und unterwürfig ihrem Herrn dient, in Wirklichkeit aber nur ihre eigenen Zwecke verfolgt. Sie übt sich in der lieblichen Kunst der Umwege. Ihrem Manne hält sie einen Spiegel vor, in dem er vom Morgen bis zum Abend sein eigenes Bild bewundern kann, aber hinter dem Spiegel geht sie ihre eigenen Wege und führt ihre Pläne aus, die mit den seinen nichts zu thun haben; und wenn sie ihren Leib seinen Bedürfnissen opfert, so thut sie das ganz bewusst und aus guten Gründen, weil sie herausgefunden hat, dass sie damit für sich selbst und ihre Kinder den nötigen Schutz finden kann und das Problem des Lebensunterhaltes, den die Gesellschaft ihr aus eigenem Rechte verweigert, nur auf diese Weise lösen kann. Denn das furchtbare Schicksal, das sich in unseren Institutionen verkörpert, hat die Frauen heute in solch eine Stellung gedrängt, dass das Opfer ihrer Selbstachtung und Menschenwürde aus niedrigen Motiven bereits aus dem Stadium einer blossen Versuchung in das der Notwendigkeit getreten ist. Sie mussten leben, und sie konnten es meist nur, indem sie sich in die Leibeigenschaft des Mannes verkauften. Dann mussten sie, ob sie wollten oder nicht, überarbeitet und oft dem Sterben nah, Kinder empfangen und gebären, wenn es den Launen ihrer Herren gefiel; und in solch einem Sklavenleben ist ihr ganzes Wesen abgestumpft worden, und sie haben das verloren, was der Stolz und die vollkommene Blüte ihrer Weibheit sein sollte – die vollkommene Freiheit und Reinheit ihrer Liebe. S. Anhang.
Und diesem ganzen Schauspiel der systematischen Entwürdigung des Weibes hat das menschliche »Männchen« gleichsam mit offenem Maul und stupider Gleichgültigkeit zugesehen, etwa wie ein Ochs einer ertrinkenden Rinderherde zusieht, ohne auch nur dunkel zu ahnen, dass sein eigenes Schicksal darein verflochten war. Er beobachtete ruhig und unbedenklich, wie das Weib weiter und weiter von ihm weggetrieben wurde, bis zuletzt jedes klare gegenseitige Verständnis zwischen den Geschlechtern verloren ging, und der Liebesgott mit ungleichen Flügeln gelähmt zu Boden sank. Und doch wäre es zwecklos, zu leugnen, dass auch bei solchen Zuständen, wie wir sie eben geschildert, Männer und Frauen in der Vergangenheit und auch heute, sich irgendwie zurecht finden und immer noch ein gewisses Mass von Glück finden – einfach deshalb, weil ihr Wesen sich dieser Entwicklung angepasst hat und für solch ein natürliches Verhältnis geschaffen ist.
Aber heute giebt es bereits tausende von Frauen – und mit jedem Tag wird es mehr Tausende geben – denen solch ein schiefes und einseitiges Bündnis ein Greuel ist; die entschlossen sind, die anmassende Herrlichkeit und den Egoismus der Männer nicht länger zu ertragen und weder bei sich selbst noch bei anderen Frauen die listige Verlogenheit und servile Demut aufkommen zu lassen, die die natürlichen Ergänzungserscheinungen solch eines Bündnisses sind, die in dem Bund des »Epheus mit der Eiche« viel zu klar die Schmarotzerei auf der einen und die Erdrosselung auf der anderen Seite sehen, um das Malerische des Bildes noch bewundern zu können; die auch fühlen, dass sie eigene Fähigkeiten und Kräfte besitzen, die Raum und Freiheit und ein gewisses Mass von Sympathie und Hilfe zu ihrer Entfaltung nötig haben, und die da glauben, dass auch sie zu einem Werk in der Welt berufen sind, das in seiner Art ganz ebenso wichtig ist, wie das, welches die Männer in der ihren vollbringen. Und diese Frauen haben heute offen den Krieg erklärt – nicht etwa der Ehe, aber einer Ehe, die wahre und gleiche Liebe zur Unmöglichkeit macht. Sie fühlen, dass, solange die Frauen ökonomisch abhängig sind, sie unmöglich für sich selbst eintreten und auf jenen Rechten bestehen können, die die Männer aus Stupidität und Selbstsucht ihnen freiwillig nicht gewähren wollen.
Auf der anderen Seite giebt es tausende – und man möchte hoffen, täglich mehr Tausende – von Männern, die, wie immer die früheren Männer über diesen Punkt gedacht haben mögen, ihrerseits nicht den Wunsch haben und es nicht als eine Wonne ohnegleichen betrachten, beständig einen Spiegel vor sich zu haben, in dem sie sich selbst bewundern können; denen eine Lebensgefährtin, an deren Leben und Thun sie Interesse nehmen können, lieber ist, als eine, die für nichts anderes auf der Welt Interesse hat, als für sie; die vielleicht lieber auch gelegentlich selbst dienen wollen, als wie ein Affe im Käfig, dem man Nüsse reicht, der traurige Gegenstand der beständigen Pflegedienste eines anderen Menschen zu sein; und die zum mindesten das Eine empfinden, dass Liebe, die überhaupt Liebe sein soll, absolut offen und aufrichtig und von jedem Gefühl der Abhängigkeit und Ungleichheit frei sein muss. Sie erkennen, dass die unnatürlich verschrobene Stellung, in der die Frauen heute leben, nicht nur zu dem unnatürlichen und verschrobenen Verhältnis zwischen beiden Geschlechtern geführt hat, sondern vor allem auch – durch den Mangel an jedem gemeinsamen höheren Interesse – die fruchtbare Quelle jener verhängnisvollen Oede ist, jener Langeweile, von der wir früher gesprochen, und die der Popanz aller Ehen ist; und sie würden gern auf alle Herrschaft und Autorität, die ihnen gebühren soll, verzichten, wenn sie dafür nur eine offene und ebenbürtige Kameradschaft finden könnten.
Während wir so in der heute herrschenden Ungleichheit der Geschlechter fraglos eine Quelle von Schwierigkeiten im ehelichen Leben und so vieler unbefriedigender Ehen sehen, sehen wir auch bereits Kräfte an der Arbeit, die zu einer Reaktion dagegen treiben und die beiden Geschlechter einander wieder näher bringen werden, so dass sie in Zukunft trotz aller Differenziation vielleicht doch nicht so differenziert sein werden, wie heute, sondern nur in einem Grade, der das Gefühl gegenseitiger Sympathie zwischen ihnen nicht vernichten, sondern nur erhöhen und verschönern wird.
Es giebt noch einen anderen Punkt, der Beachtung verdient, weil er zum Fehlschlagen vieler Ehen beiträgt, und der zwar ohne Zweifel mit dem eben Besprochenen im engen Zusammenhang steht, aber dennoch eine besondere Erörterung verdient. Ich meine die undurchdringliche Schranke, die Art von Stachelzaun, den die Anschauungen der Gesellschaft (zum mindesten in unserem Lande) um jedes verheiratete Paar ziehen und seine Beziehungen zu allen Menschen ausserhalb ihrer Ehe erschweren. Auf der einen Seite, innerhalb des Zaunes, gestattet die Gesellschaft in der That das äusserste Uebermass der Leidenschaft und jede Freiheit oder vergiebt sie wenigstens; auf der anderen Seite (ich spreche weder von der höchsten Aristokratie, noch von den Bewohnern der Armenviertel, sondern von der mittleren Masse des Volkes) ausserhalb dieser Grenze wird jede Vertraulichkeit, jede Aeusserung einer Zuneigung, die möglicherweise als irgendwie mit einer sexuellen Empfindung im Zusammenhang stehend gedeutet werden könnte, mit dem schwersten Anathem belegt. Durch eine Art unsinniger Fiktion wird die Ehe als eine Oase angesehen, die mitten in einer dürren menschenleeren Wüste liegt, in der nichts unmöglicher ist, als dass einer der beiden Ehegatten das Glück haben könnte, noch irgend welche Personen zu finden, für die er sich ernstlich interessieren könnte. Wenn es Einem nun dennoch begegnet, dann muss er es vor dem anderen Teil sorgfältig verborgen halten. Das Resultat, zu dem diese konventionelle Verkehrtheit führen muss, liegt auf der Hand. Die beiden Eheleute, die zu dem engsten Zusammensein, das sie ja freiwillig erwählt haben, weil sie sich dazu gezogen fühlten, nun noch obendrein beständig zwangsweise verhalten werden, werden damit einem Gottesurteil unterworfen, in dem die tapferste Liebe versagen könnte. Das ganze Leben mit einem anderen Menschen verbringen zu müssen, ist bereits eine schwere Probe; aber alle anderen persönlichen Interessen, – die ganz abstrakter Natur ausgenommen – aufgeben müssen, und wenn trotzdem in irgend einem Fall eine natürliche Eifersucht des einen Gatten entstehen sollte, diese Eifersucht durch die Einmischung der Oeffentlichkeit verzehnfacht zu finden, das ist geradezu entsetzlich; und doch können sie, wenn nicht beide von Natur aus so veranlagt sind, dass sie nur für Personen ihres eigenen Geschlechts starke freundschaftliche Neigungen empfinden – und auch das schliesst die Eifersucht nicht immer aus – diesem Schicksal nicht entgehen.
Es ist kaum nötig zu sagen, wie langweilig nicht nur diese Thorheit das häusliche Leben machen muss, sondern auch wie schädlich und beschränkend sie auf dieses Leben wirkt. Wie wohl beschaffen und gut gewählt der Bund zweier Menschen an sich sein mag, es kann nie gut sein, dass er – wie es nur zu oft und meist gerade dort geschieht, wo die Gatten einander aufs treueste zugethan sind – zu einem blossen egoisme à deux ausartet. Und wie brav an sich eine grosse Zahl solcher Verbindungen sein mag, es kann nicht geleugnet werden, dass der bürgerlichen Ehe in der Regel, und zwar gerade in ihren erfolgreichsten, frömmsten und respektabelsten Exemplaren, eine widerliche Atmosphäre von geistiger und sittlicher Dumpfheit und Enge anhaftet, und dass der Typus der Familie, den sie geschaffen hat, nur zu oft an den gewisser Insektenfamilien erinnert, wie man sie etwa beim Umdrehen eines grossen Steines entdeckt, und die nur selten das Licht sehen.
Aber in Fällen, in denen die Ehe nicht gerade besonders glücklich oder unglücklich ist, wenn z. B. eine wahre, aber nicht überwältigend intensive Neigung durch das beständige drückende Aneinanderkleben beider in einem früheren Stadium erschlafft und übersättigt ist, als nötig wäre, – in solchen Fällen wird die Langeweile, die nun entsteht, etwas geradezu Entsetzliches, um so entsetzlicher, weil es eine ehrliche Neigung war, die mit Schauder ihren eigenen Selbstmord wahrnehmen muss. Alle die müden Ehepaare, die man in Badeorten und Sommerfrischen sehen kann, der anständige Arbeiter, dessen Frau sich neben ihm hinschleppt, der hochanständige Kaufmann, Arm in Arm mit seiner besseren und dickeren Ehehälfte, – die leeren Gesichter, der hoffnungslose Mangel an jedem gemeinsamen Gesprächsstoff, der nicht tausendmal erschöpft wäre, und die sichtliche Erleichterung, wenn die Stunde kommt, die beide zu ihren getrennten Beschäftigungen ruft, illustrieren genugsam, was ich meine. Das sonderbarste dabei ist, dass die Eifersucht infolge der Steigerung, die sie durch die Einmischung der Meinung und des Geredes der Leute erfährt, oft in gerader Proportion mit der gegenseitigen Langeweile zunimmt – es giebt tausende von Fällen, in denen Eheleute ein Leben wie Hund und Katze führen und wissen, dass sie einander bis zur Verzweiflung anöden, und die gerade aus diesem Grund sich nur um so mehr fürchten, einander aus dem Auge zu verlieren, so dass sie nie einen freien Tag haben, der sie von ihrer eigenen Gesellschaft befreien würde und andere neue Interessen finden liesse und ihnen so die Möglichkeit eines Wiederfindens und einer glücklicheren Zeit gewähren würde.
So zieht die Gesellschaft eine harte Schranke um das vermählte Paar, und gleich einer fatalen, wie mit einem Schnappschloss zufallenden Thür schliesst sie die Ehe mit einem Schlag von der übrigen Welt ab und versperrt ihnen nicht nur, was man ja wohl für ratsam halten könnte, jeden sexuellen Verkehr, sondern bei Gefahr schlimmen Verdachtes auch jeden wärmeren freundschaftlichen Verkehr mit Personen des anderen Geschlechtes und erhöht so das selbstsüchtige Monopolbewusstsein, das sie ohnedies einander gegenüber empfinden. Das sind Dinge, die unvermeidlich zu einer Verarmung des Lebens und zur Abstumpfung dieser zwei Menschen gegen grosse und allgemeine Interessen und zu intensiver gegenseitiger Langeweile führen müssen, und wenn – als Ausweg gegen diese unerträglichen Uebel – solche Beziehungen im geheimen angeknüpft werden, zu langwährendem und systematischem Betrug.
Aus alledem formuliert sich zum Schluss die Frage, ob die Ehe etwas Lebendiges oder etwas Totes sein soll. Will man sie tot haben, dann lässt sie sich natürlich leicht zu einer harten und festen Formel versteinern; wenn sie aber ein lebendiges Band sein soll, dann muss man es eben auch dem lebendigen Band überlassen, die Liebenden aneinander zu halten, und es weder durch private Eifersucht, noch durch die Censur der öffentlichen Meinung allzufest anziehen und verhärten, sonst geht das Ding, das es erhalten soll, darin zu Grunde und muss jedenfalls all seine Schönheit verlieren. Es gilt davon ewiglich das Gleiche, wie von allen anderen Dingen. Wenn wir ein Ding lebend haben wollen, müssen wir ihm eine gewisse Freiheit einräumen, und wenn die Freiheit selbst eine gewisse Gefahr mit sich brächte. Wenn wir alle Freiheit und alle Gefahr ausschliessen wollen, dann können wir auch nur eine Mumie und die tote Schale des Dinges haben.
Soweit habe ich die keineswegs angenehme, aber zunächst notwendige Aufgabe gehabt, bei den Fehlern und Nachteilen der gegenwärtigen Ehe zu verweilen. Ich fühle sehr wohl, dass sich diskreter Weise auch manches zu ihrem Lobe hätte sagen lassen, – was nicht gesagt wurde; ich hätte nicht nur unglückliche, sondern auch glückliche Fälle erwähnen können, und, die Abhängigkeit der Frau und ein paar andere Punkte, über die ich schon früher genugsam gesprochen, vorausgesetzt und zugegeben, hätte ich allenfalls darthun können, dass die bürgerliche Ehe schliesslich immerhin so gut ist, als man es eben von ihr erwarten kann. Aber das wäre weder aufrichtig gewesen, noch hätte es irgend einen Zweck gehabt. Da die Beziehungen zwischen den Geschlechtern sich thatsächlich und unaufhaltsam verändern, so ist es klar, dass auch Aenderungen auf dem Gebiete der Ehe bevorstehen, und die Fragen, die sich allen denkenden Menschen heute aufdrängen, sind: was für Veränderungen werden das sein? und was für Veränderungen würden unseren Wünschen entsprechen?