Jacob Burckhardt
Die Zeit Constantins des Großen
Jacob Burckhardt

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Verfolgen wir zunächst die (vom römischen Standpunkt aus gesprochen) aktive Göttermischung, wobei die Römer mehr die Gebenden als die Empfangenden waren.

Es ergibt sich von selbst, dass dies Verhältnis hauptsächlich bei denjenigen Völkern eintrat, welche Rom in halbbarbarischem Zustande übernommen hatte, und bei welchen es mit seiner Religion auch seine überwiegende Bildung geltend machen konnte, also bei Gallien, Hispanien und Britannien. Leider ist uns nur der Religionszustand Galliens einigermassen bekannt, und auch dieser fast nur durch WeiheinschriftenEine Auswahl bei Orelli, Inscr. Lat. sel. I, cap. IV, § 36. 37. und Bildwerke.

Die spätern Römer, in ihrem wahrhaft universellen Aberglauben, machten zwar in Gallien so gut als anderswo den örtlichen Kultus mit, soweit er noch am Leben war; sie fragten nicht bloss die Druiden über die Zukunft, wie oben erzählt wurde (S. 109 ff.), sondern sie nahmen auch an eigentlichen Weihen teil. So feierte der spätere Kaiser Pescennius Niger in Gallien einen Geheimdienst mit, zu welchem nur enthaltsame Menschen geladen werden durftenHist. Aug., Pescennius, c. 6.. Allein man übertrug keinen gallischen Gott nach ItalienDie in römischen Sammlungen zerstreut vorkommenden Inschriften gallischer Götter mögen entweder bloss nach Rom verschleppt, oder von Galliern, welche daselbst wohnten, gesetzt worden sein. Vgl. Orelli l. c., nr. 1960. 1978. 2001. 2006. – Dass Caracalla laut Dio LXXVII, 15 den Apollo Grannus verehrte, hatte seinen speziellen Grund in der Verzauberung, die ihm durch vermeintliche Kelten (nämlich Alamannen) angetan sein sollte., Afrika oder Griechenland. (Denn wenn zum Beispiel der keltische Sonnengott Belenus in Aquileia, andere keltische Gottheiten in Salzburg und Steiermark, der Apollo Grannus zu Lauingen in Schwaben usw. vorkommen, so sind dies nicht Übertragungen aus der Zeit der Theokrasie, sondern die uralte keltische Bevölkerung dieser Gegenden gibt ein letztes Zeugnis ihres Daseins ab, ehe Germanen, Slaven und Avaren die Alpen überziehen.) In Gallien selber bemühte man sich nach Kräften, der Volksreligion ein römisches Gewand anzulegen. Die Götter nehmen nicht bloss römische Namen, sondern auch die Kunstform des klassischen Anthropomorphismus an. Taran muss Juppiter heissen und als solcher abgebildet werden, Teutates als Mercurius, Hesus oder Camulus als Mars. Andere Gottheiten behalten wenigstens ihren alten Namen bei, entweder allein oder neben dem römischen: Belenus oder Apollo Belenus; häufig auch Apollo Grannus, Mars Camulus, Minerva Belisana usw. Dann werden den romanisierten Göttern noch besondere Beinamen gegeben, die man teils von Örtlichkeiten ableitet, teils nur durch Vermutungen oder gar nicht zu erklären weiss: Diana Abnoba (die Bezeichnung des Schwarzwaldes); Diana Ardoinna (vielleicht die Ardennen); Mars Vincius (Vence in Südfrankreich); Hercules Magusanus und Saxanus (besonders in den Niederlanden); Mars Lacavus (zu Nîmes); Apollo Toutiorix (zu Wiesbaden); oder man gibt dem romanisierten Gott eine nichtromanisierte, vielleicht verwandte Gottheit bei, so dem Apoll den Veriugodumnus (in Amiens), die Sirona (in Bordeaux und in Süddeutschland, etwa als Diana oder Minerva aufzufassen, wie sonst Belisana). Weiter aber reicht die Romanisierung nicht; eine ganze Menge von Gottheiten behalten ihre keltischen Namen meist mit dem Vorwort Deus (a), Sanctus (a), selbst Augustus (a), welches hier ohne Beziehung auf den Kaisertitel gesagt ist. Man ist auf den ersten Blick versucht, alle diese Götter für lokal zu halten, und manche sind es ohne Zweifel, wie der Vosegus in Bergzabern, der Nemausus in Nîmes, die Aventia in Aventicum, der Vesontius in Besançon, der Luxovius in Luxeuil, die Celeia in Cilly; andere aber tragen keine solche Deutung mit sich, zum Beispiel der Abellio in Convennes, die Acionna in Orléans, der Agho in Bagnères, der Bemilucius in Paris, die Hariasa in Köln, der Intarabus in Trier, und manche kommen an weit auseinander gelegenen Orten vor, der Taranucus in Heilbronn und in Dalmatien, die Wassergöttin Nehalennia in Frankreich und in den Niederlanden. Wie gerne man die Götter romanisierte, wo es möglich war, zeigen dann wieder die römischen Gattungsnamen für jene zahlreichen kleinern Kollektivgottheiten: Matres, Matronen, Campestres (Feldgeister), Silvanen (Waldgeister), Bivien, Trivien, Quadrivien (Götter der Kreuzwege), Proxumen und Vicanen (Genien der Nachbarschaft) usw. Die Sulevien und Comedoven, welche in dasselbe Geschlecht gehören, müssen der Übersetzung widerstrebt haben. In dem »Genius des Ortes«, dem »Genius des Gaues« kann man strenge genommen nur römische Verehrungsweise dartun, keltische aber vermuten. Der mächtigste Gott blieb jedenfalls bis tief ins vierte Jahrhundert der Teutates-Mercur, welcher noch dem heiligen Martin von Tours den stärksten Widerstand leistete, während Juppiter dem Heiligen bereits als dumm und stumpf – brutus atque hebes – erschienSulpic. Sever., Dial. II, gegen Ende..

Der Rückstrom dieser okzidentalischen Religionen auf Rom selber war, wie gesagt, ungemein gering oder geradezu null.

 

Ganz anders verhielt es sich mit den uralten Kulturvölkern des Orientes, Persern, Ägyptern, Kleinasiaten und Semiten. Den letztern kam schon die geographische Ausdehnung ihrer Ansiedelungen sehr zustatten; denn nicht erst in Syrien lernten die Römer ihren Götzendienst kennen; seit vielen Jahrhunderten war durch Phönizien und Karthago am ganzen Mittelmeer und selbst über die Säulen des Herakles hinaus semitische Religion verbreitet worden; mit der allmählichen Einverleibung Spaniens, Afrikas und der Inseln übernahm Rom eine Masse punischen Gebietes und punischen Kultus. Man hatte Karthago gehasst, nicht aber seine Götter. Dagegen schien der persische Dualismus, namentlich in seiner spätern orthodoxen Erneuerung durch die Sassaniden, aller Mischung und Vermittlung mit dem römisch-griechischen Götterkreis so sehr zu widerstreben als der jüdische Monotheismus – da bot sich eine ältere, abgöttisch ausgeartete Metamorphose des Parsentumes dar, und aus dieser entlehnte Rom den Mithras.

Die Vorderasiaten vom Euphrat bis an das Mittelmeer, den Archipel und den Pontus, mit welchen billig begonnen wird, sind zwar keinesweges von einem und demselben Stamme, allein ihre Religionen liegen schon seit uralten Zeiten dergestalt durcheinander, dass wir sie hier, wo es sich um so späte Epochen handelt, als eins betrachten müssen; die Ermittelung der Ursprünge gehört nicht hieher und würde uns weitab führen. Sodann war lange vor den römischen Siegen über Antiochus den Grossen eine andere Göttermischung vorgegangen, nämlich diejenige des vorderasiatischen mit dem griechischen Kultus seit der Gräzisierung Kleinasiens und noch mehr zur Zeit der Nachfolger Alexanders; und diese ging parallel mit der Mischung der griechischen und der orientalischen Bildung und Sprache. Die prächtigen griechischen Städte, welche in unbegreiflicher Fülle überall in den Diadochenländern aus der Erde wachsen, behalten zwar mit ihrer hellenischen Sprache, Stadtverfassung und Sitte auch die hellenischen Götter bei; dafür hält sich auf dem Lande, zumal in einer Entfernung vom Meere, bald mehr, bald weniger hartnäckig die alte Sprache und kommt sogar in der spätern Zeit bei der innern Müdigkeit des griechischen Bildungselementes wieder mehr zu Kräften. In Palästina, freilich unter dem Schutz einer höchst exklusiven Religion und Lebensweise, erhält sich das Aramäische trotz der fürchterlichsten geschichtlichen Stürme; in Syrien, sobald es sich um populäre Wirksamkeit und nicht mehr um klassische Eleganz handelt, fällt man in die Landessprache zurück, wie sich im zweiten Jahrhundert bei dem Gnostiker Bardesanes, im vierten bei dem heiligen Ephrem zeigt, und wie die syrische Bibelübersetzung ausserdem zur Genüge beweist. Wie es sich in sprachlicher Hinsicht mit Kleinasien verhielt, ist nicht näher bekanntVgl. den bedeutenden Wink Apostelgesch. 14, Vs. 5. 11 ff., freilich über eine Stadt des tiefen Binnenlandes.. Mit der Volkssprache aber hielten sich auch die Volksgötter aufrecht.

Die Grundlage der betreffenden ReligionenVgl. G. Schwenck, Die Mythologie der Semiten. ist im ganzen der Gestirndienst, aber bis zur Unkenntlichkeit getrübt durch ein Götzentum, welches teils als fremde Zutat, teils als notwendige innere Entwicklung gelten mag. Ein umständlicher Opferdienst suchte die Götter zu versöhnen durch Darbringung hauptsächlich des tierischen Lebens, wozu auch regelmässige wie ausserordentliche Menschenopfer gehörten. Diese hielten sich besonders in den Gegenden phönizischer Kultur mit ungemeiner Hartnäckigkeit und überlebten den Sturz und den Wiederaufbau von Karthago noch lange, so dass selbst Tiberius mit den strengsten Strafen dagegen einschreiten mussteTertullian., Apolog. 9.. Das höchste Götterpaar, Baal und Astarte (Sonne und Mond, Morgenstern und Abendstern), lebte in der römischen Zeit noch unter den verschiedensten Namen und Personifizierungen in zahlreichen Tempeln fort, als Herr und Herrin alles Lebens. Aus dem Alten Testament kennt man Baal-Sebub, Baal-Peor, Baal-Berith usw., deren Namen allerdings längst vergessen sein mochten. In Palmyra scheint Baal sich in zwei Gottheiten, für Sonne und Mond, geteilt zu haben, als Aglibol und Malachbel, die auf einem ganz späten palmyrenischen Relief des kapitolinischen Museums dargestellt sindWenn nicht trotz des Halbmondes bloss die Priester statt der Gottheiten gemeint sein sollten., mit dem römisch-griechischen Namen des Donators: Lucius Aurelius Heliodorus, Sohn des Antiochus Hadrianus. In dem prächtigen und überaus grossen und hohen Tempel zu Emesa lag der schwarze Stein, ein Aerolith, welcher als Bild des Sonnengottes ElagabalDie Bedenken Schwencks (S. 197) gegen die Sonneneigenschaft des Elagabal kann ich nicht teilen. – Heliodor am Ende seiner Aethiopica nennt sich einen Emesener, und zwar τω̃ν αφ' ‛Ηλίου γένος, aus dem Geschlecht der Sonnenkinder. galt und bis in weite Ferne als solcher verehrt wurde. Sein Priester ging in langer, goldgestickter Purpurtunika und einem Diadem von Edelsteinen einher. Im Tempel von Hierapolis stand neben der berühmten Syrischen Göttin (wovon unten) das goldene Bild des Baal als Zeus auf einem von Stieren gezogenen Wagen. Zu Heliopolis (Baalbek) wurde Baal in einer ganz späten, halbrömischen Personifikation verehrt; sein goldenes Bild trug nicht bloss die Geissel des römischen Sonnengottes, sondern auch den Blitz Juppiters. Erst Antoninus Pius hatte auf den kolossalen Unterlagen eines alten Tempels den neuen erbaut, dessen Ruinen noch jetzt den ihm damals erteilten Namen eines Weltwunders rechtfertigenMalalas XI, pag. 119. – Vgl. Macrob., Sat. I, 23. Der Kultus sollte aus Ägypten stammen. – Der grössere Tempel gilt jetzt als der des Baal, der kleinere als der des Juppiter.. Der Name des Zeus, welchem Antonin das Heiligtum widmete, darf uns nach dem oben Gesagten nicht irre machen, wenn der alte Ortsname auf Baal und der griechische auf Helios lautet. Dieser Tempel war wie derjenige zu Emesa durch seine Orakel weit berühmt, die man auch brieflich erhalten konnte, was bei asiatischen Orakeln nicht selten vorkömmt. Zweifelhaftere und weniger bedeutende Spuren des Baalsdienstes unter den Kaisern mögen übergangen werden; genug, dass dieser Kultus, mehr oder weniger umgestaltet, noch immer eine Hauptandacht Vorderasiens war, welcher gerade einige der allerwichtigsten Tempel gewidmet waren und also wahrscheinlich noch viele andere, von denen wir keine Kunde haben. Vielleicht war der Gott Karmel, der auf dem gleichnamigen Berge einen Altar besass und Orakel gab, auch eine Umbildung des BaalI. Könige 18, Vs. 19, Tacit., Hist. II, 78.. Auf dem Vorposten dieses Kultus gegen Süden steht Marnas, der Gott von Gaza, wenn er wirklich eine Form des grossen Gottes gewesen ist. Er war es, welcher die christlichen Lehrer und Einsiedler jener Gegend noch das ganze vierte Jahrhundert hindurch in Verzweiflung setzteHieronym., Vita S. Hilarionis 14. 20. Sozom. V, 9. 10; VII, 15. und die Gegend von Gaza zu einem fast unzerstörbaren Schlupfwinkel des Heidentumes machte. Wir werden ihm als persönlichem Feinde des heiligen Hilarion wieder begegnen.

Schon dieser alte semitische Hauptgott drang nun gewiss in mehr als einer Gestalt in die römische Religion ein. Römer, die im Orient lebten oder gelebt hatten, mochten ihn als Zeus, Juppiter anbeten, ganz besonders aber muss die Verehrung des Sonnengottes, die in der spätem Zeit so sehr überhandnimmt, sich wesentlich zwischen Baal und Mithras geteilt haben, während man an den alten Sol-Helios weniger dachte. Sodann erhielt Elagabal wenigstens für einige Jahre eine grosse, solenne Stelle in dem römischen Götterkreise durch den wahnsinnigen Jüngling, welcher auf dem Thron der Welt den Namen des Gottes annahm, dessen Priester er früher gewesen und noch war. Als dieser Antoninus Bassianus den schwarzen Stein von Emesa nach Rom brachte (zwischen 218 und 222), konnte man sagen, dass die Theokrasie sich ihrer Vollendung nähere. Der neue Gott erhielt einen grossen Tempel und kolossale Opfer, bald auch eine Gemahlin. Der Kaiser liess nämlich das Bild und die Schätze der Himmlischen Göttin aus dem Tempel von Karthago kommen und vermählte dieselbe mit dem Elagabal, wogegen sich mythologisch gar nichts vorbringen liess. Rom und Italien mussten diese Vermählung auf das festlichste begehen. Auch das Palladium, das Feuer der Vesta und andere altrömische Heiligtümer brachte er in den Tempel des neuen Gottes. Nach der Ermordung des kaiserlichen Priesters soll der Stein wieder nach Syrien verabfolgt worden sein, wahrscheinlich wegen der scheusslichen Erinnerungen, die sich daran knüpftenDie bekanntern Quellen: Herodian, Dio Cassius und die Hist. Aug..

Allein viel gewaltiger als der Baalsdienst ist im Römischen Reiche derjenige der Grossen vielnamigen Göttin repräsentiert. Sie ist im Verhältnis zum Sonnengott der Mond, in weiterm Sinne aber die Mutter alles Lebens, die Natur; von alten Zeiten her hat Vorderasien sie mit wildem bacchantischem Taumel gefeiert, wie es einer von allen sittlichen Beziehungen entblössten Gottheit zukam; Jubelgeschrei und Klagegeheul, rasender Tanz und trauernder Flötenklang, Prostitution der Weiber und Selbstentmannung der Männer haben von jeher diesen Kultus des sinnlichen Naturlebens begleitet; ein nicht sehr ausgedehnter, aber in seinen Formen je nach Ländern und Zeiten verschieden ausgeprägter Mythus hat sich um diese Feiern herumgesponnen und noch ganz spät den Römern Anlass zu wunderlichen Mysterien gegeben.

Wir sehen einstweilen ab von der ägyptischen Isis, welche eine verwandte Nebenform dieser Grossen Göttin ist, und verfolgen diese letztere unter ihren noch im dritten Jahrhundert nachweisbaren Gestalten.

Das Alte Testament kannte und verabscheute sie als Astharoth, und noch immer gab es in Phönizien Tempel der Astarte; Lucian kannte einen solchen in Sidon. Er spricht davon beiläufig in der berühmten Schrift »Von der Syrischen Göttin«, welche uns hier zunächst als Quelle der Tatsachen interessiert, nicht weniger aber, weil sie die Stellung des frivolen, griechisch gebildeten Syrers zu seinem heimischen Kultus so merkwürdig bezeichnet. Nirgends hat er den Hohn so weit getrieben als hier, wo er sich naiv stellt und den Stil und den ionischen Dialekt des ehrlichen alten Herodot nachahmt, um die ganze gloriose Lächerlichkeit jenes Götzendienstes recht unmittelbar wirken zu lassen. Hier lernt man aber auch erkennen, welche Bilder die Jugend des Spötters umgeben und beherrschen mussten, bis er mit allen Kulten und allen Religionen brach. Ein Athener hätte diese Bücher nicht schreiben können.

Von Phönizien aus verbreitet sich derselbe Dienst unter dem Namen der »Himmlischen Göttin« weit über das Mittelmeer und vermischt sich mit dem klassischen Kultus; die Griechen erkennen ihn als Aphrodite urania, die Römer als Venus coelestis an, und diese Namen bekommen später auch in den eigentlich semitischen Ländern Geltung. Man dachte dabei nicht an Aphrodite als Göttin der Liebe und des Liebreizes, sondern als ErzeugerinOb Aphrodite überhaupt und selbst ihr Name semitischen Ursprungs sei? Vgl. Schwenck, a. a. O., S. 210.. Die Insel Cypern, wo griechische und semitische Bildung ineinanderflossen, war dieser Göttin vorzüglich geweiht, Paphos und Amathunt sprichwörtlich für ihren Dienst. Auch die Insel Cythere (Cerigo) und das Heiligtum des Berges Eryx in Sizilien gehörten der Urania; in Karthago war sie wenigstens in ihrer spätem Umbildung die wichtigste Gottheit, und selbst in dem Namen der Stadt Gades, Gadeira (Cadix) liegt vielleicht die Räumlichkeit eines alten Uranientempels angedeutet. Diese Heiligtümer waren ganz anders angelegt als die Göttertempel der Griechen; da stand unter freiem Himmel in hoher unbedeckter NischeEin Sacellum dieser Art als bekannter Gegenstand in einem pompejanischen Gemälde: Antichità di Ercol. III, 52. Der Tempel von Paphos öfter auf römischen Kaisermünzen. das Idol, öfter nur ein Stein von konischer Form; Gitter, Hallen und Höfe, wo man Scharen von Tauben hegte, umgaben das Sanctuarium; auch freistehende Pfeiler kommen in diesen Anlagen vor, wobei man sich an die Pfeiler Jachin und Booz vor dem Tempel von Jerusalem erinnert.

Eine Umgestaltung des Namens Astarte ist Atargatis, die Göttin, welche oben menschliche, unten Fischgestalt hatte. Auch sie besass ohne Zweifel noch ihre einst berühmten Tempel zu Askalon, in der Nähe des alten philistäischen Fischgottes Dagon, und anderswo. In ganz später, gräzisierter Gestalt thronte sie in dem berühmten Tempel von Hierapolis im nördlichen Syrien, welchen Lucian schildert, und welcher noch bis in das vierte Jahrhundert sich unberührt erhalten haben mag. Hinten in einem erhöhten RaumIm kleinen Tempel von Baalbek ist ein solcher Chor oder Thalamos noch nachzuweisen., den nur die Priester betraten, sah man neben dem schon erwähnten Baal-Zeus das goldene Bild der Göttin auf einem mit Löwen bespannten WagenMöglicherweise sass sie auf den Löwen selbst, der Ausdruck ist unklar.. Ihre Attribute waren von den verschiedenen griechischen Göttinnen entlehnt; in den Händen Scepter und Spindel, um den Leib den Gürtel der Urania, auf dem Haupte Strahlen und Mauerkrone, nebst einem Steine, welcher des Nachts den ganzen Tempelraum erleuchteteMit dem Semeion, welches zwischen beiden Göttern in der Mitte stehen soll, hat Lucian (a. a. O., Kap. 33) wahrscheinlich seine Leser zum besten, wie mit mehrern andern Einzelheiten, wo der Spott mit ihm durchgeht.. Ausserdem hatten sich aber noch verschiedene griechische oder gräzisierte Gottheiten in dem Tempel eine Stelle verschafft; so ein bärtiger bekleideter Apoll, welcher sich bewegte, wenn man ein Orakel verlangte; dann erhoben ihn die Priester und trugen ihn herum, wie er sie leitete; vorwärts galt als Ja, rückwärts als Nein auf die gestellten Fragen; er soll dabei stark geschwitzt haben. Auch ein Atlas, ein Hermes, eine Ilithyia standen im Innern, draussen aber, bei oder an dem grossen Altar, welcher vor der Hauptpforte der Tempel im Freien zu stehen pflegte, sah man eine Unzahl eherner Bilder, Könige und Priester vom höchsten Altertum bis auf die Seleucidenzeit darstellend, in der Nähe auch eine Anzahl Gestalten aus dem homerischen Sagenkreise. Allein das Merkwürdigste waren überhaupt nicht die Bilder, sondern der Kultus, von dessen wüster Massenhaftigkeit man nur hier einen vollständigen Begriff erhält. In dem grossen Tempelhofe gingen heilige Stiere, Pferde, zahme Löwen und Bären frei herum; dabei war ein Teich voll heiliger Fische, in der Mitte ein Altar, zu welchem täglich Andächtige laut Gelübde hinschwammen, um ihn zu bekränzen. Um den Tempel war ein Volk von Flötenbläsern, entmannten Priestern (Galli) und rasenden Weibern angesiedelt, welche mit pomphaften lärmenden Prozessionen, mit Opfern und aller möglichen Unsitte ihre Zeit hinbrachten. Ganz dem Wahnsinn geweiht erscheint zumal das Frühlingsfest, zu welchem sich eine ungeheure Wallfahrt aus ganz Syrien in Hierapolis einfand. Bei diesem Anlass wurde nicht bloss ein halber Wald mit Opfern aller Art (Tieren, Gewändern, Kostbarkeiten) verbrannt, sondern auch die Rekrutierung der Galli scheint sich daranA. a. O., Kap. 49. 50 will Lucian offenbar beides verknüpfen. Die meisten Verschnittenen mochten indes Sklaven sein, welche durch Schenkung ihrer Herrn an die Tempel gelangten. Vgl. Strabo XI, Ende. angeschlossen zu haben, indem der wütende Taumel viele Unglückliche ergriff, dass sie sich durch Selbstentmannung der Göttin weihten. Und dieser Tempel war einer der geehrtesten von Vorderasien, und zu seinen Schätzen hatte Kappadocien wie Assyrien, Cilicien wie Phönizien beigesteuert. Weithin leuchtete er mit seinen ionischen Säulenreihen von einem Hügel über die ganze Stadt, ruhend auf Mauerterrassen mit gewaltigen Propyläen. Merkwürdigerweise findet sich in diesem Tempelbezirk, wo es so bunt hergeht, auch das Vorbild der spätern Säulenheiligen; aus den Propyläen ragten zwei enorme SteinbilderDie φαλλοι τριηκοσιων οργυιεων, a. a. O., Kap. 28 beruhen entweder auf einer absichtlichen Übertreibung Lucians oder auf einer falschen Lesart für τριάκοντα. Man rechne nach, welche Pfeiler das gäbe, die Orgyie zu 5⅔ Fuss gerechnet. (Sinnbilder der Zeugungskraft) empor, dergleichen in ganz Kleinasien, soweit ähnliche Kulte reichten, hie und da vorkamen, und auf diese stieg alljährlich ein Mensch, um daselbst sieben Tage und schlaflose Nächte zu beten; wer seine Fürbitte wünschte, trug ein angemessenes Geschenk an den Fuss des Pfeilers. Konnte man später in der christlichen Zeit solche Denkmäler eines ruchlosen Kultus besser entsündigen, als wenn ein heiliger Büsser hinaufstieg, um droben nicht Wochen, sondern Jahrzehnte hindurch auf seine Weise Gott zu dienenWobei es nicht in Betracht kömmt, dass spätere Byzantiner z. B. den heil. Ephrem auf einer eigentlichen Säule abbilden.?

Ein besonders scheusslicher Dienst dieser Göttin endlich, welche hier wiederum als Aphrodite bezeichnet wird, knüpfte sich an den einsamen Tempel in dem Hain von Aphaca auf dem Libanon. Die Hurerei und die Unzucht der Verschnittenen setzte hier jede Scham beiseite; und doch kamen jahraus jahrein die Andächtigen und warfen die kostbarsten Geschenke in den See in der Nähe des Tempels und warteten auf das Wunder, nämlich auf die Feuerkugel, welche von der Höhe des Gebirges her erscheinen und sich dann in das Wasser senken sollte. Man glaubte, das sei Urania selberEuseb., Vita Const. III, 55. Zosim. I, 58. Sozom. II, 5..

Neben dieser grossen vielgestaltigen Lebensmutter tritt nun, ebenfalls unter den verschiedensten Formen, eine Personifikation des von ihr Hervorgebrachten, des im Lenz Aufblühenden und im Winter Absterbenden, auf. Bald ist es ihr Sohn, ihre Tochter, bald auch ihr Gemahl und besonders ihr Liebling. Auf den wilden Jubel der Lenzfeste folgt später das Trauern und Klagen um den Hingeschiedenen, womit der Schmerz der Grossen Göttin gefeiert wird. Wie in Ägypten Isis um den getöteten Osiris, so trauert in Phönizien die himmlische Aphrodite um Adonis, den »Herrn«, welcher dann auf Cypern völlig heimisch und auch in den griechischen Kultus tief eingedrungen ist, so dass ihn Rom als griechische Göttergestalt aufnehmen konnte. Vorzüglich prächtig wurde dieser Dienst aber in Alexandrien gefeiert, wo er auch noch die Einführung des Christentums um ein Jahrhundert überdauerte, allerdings wohl schwerlich mehr in derjenigen Fülle, die Theokrit unter den ersten Ptolemäern in seinen Adoniazusen (Idylle XV) schildert. Das Fest schloss mit einer Frauenprozession an die Meeresküste, wobei man das Adonisbild in die Flut versenkte. Auch in Antiochien waren die Adonien eines der hartnäckigsten heidnischen FesteAmmian. Marc. XXII, 9. Das Eindringen des Adonisdienstes in das Abendland: Firmicus, De errore etc., p. 14..

Konnte dieser Gott kraft seiner unvordenklichen Stellung im klassischen Götterkreise als ein griechisch-römischer gelten, so war dies weit weniger der Fall mit einer andern, speziell kleinasiatischen Gestaltung desselben. In Phrygien und den Nachbarlanden lernen wir nämlich die Grosse Göttin als Cybele, als Magna Mater, als Acdestis, als Dindymene, als Berecynthia, als Pessinuntis usw. kennen und neben ihr als Geliebten den Atys oder AttisVgl. Zoega, Bassirilievi XIII, mit Welckers Anmerkungen. – Eine sehr alte Umgestaltung der grossen Lebensmutter ist anerkanntermassen auch die Artemis von Ephesus, die denn auch in spät römischen Exemplaren öfter als »vielgestaltige Natur und Mutter aller Dinge« benannt wird., um dessen Entmannung und Tötung geklagt wird. Der alte Tempel von Pessinunt mit seinen fürstlich herrschenden Priestern und seinen grossen Einkünften hatte zwar längst sein Idol und seinen Kultus nach Rom gegeben, und noch früherDer gewöhnlichen Ansicht nach zur Zeit der grossen Pest am Anfang des Peloponnes. Krieges 430 v. Chr. Das Metroon zu Athen diente zugleich als Staatsarchiv. hatten auch die Griechen die Göttin unter verschiedenen Namen adoptiert, so dass man überall ihres Bildes mit der Mauerkrone und mit dem Löwengespann gewohnt war und in Rom sich auch die entmannten phrygischen Priester gefallen liess. Aber man hielt wenigstens anfangs darauf, dass dieser Schwarm von Eunuchen, Flötenspielern, Hornbläsern, Paukenschlägerinnen usw. sich nicht aus der römischen Bevölkerung ergänzte; wollte man ihnen das einmal bewilligte Betteln und Terminieren[als Bettelmönch umherziehen] in der Folge nicht mehr wehren, so diente dies vielleicht nur um so mehr dazu, diesen Kult vom eigentlichen römischen Leben getrennt zu halten. Auf Geheiss der sibyllinischen Bücher und des Orakels von Delphi hatte man ihn angenommen; ihn freiwillig weiter zu verbreiten in die Provinzen war das republikanische und lange Zeit auch das kaiserliche Rom nicht geneigt. Unter Schiffleuten, Dieben, entlaufenen Sklaven und Mördern findet Juvenal den weintrunkenen Eunuchen in einer Winkelwirtschaft schlafend; neben ihm liegt das Tamburin. Durch ihre Bettelei aber drängen sich die Priester der Göttermutter mit ihren phrygischen Kappen schon weiter und weiter in das Haus des reichen Römers hinein und hängen sich einstweilen an den Aberglauben der Weiber, welche für die geschenkten Eier und abgetragenen Kleider sich guten Rat geben lassen gegen die drohenden Fieber des SpätsommersIuvenal., Sat. VI, 511; vgl. mit VIII, 172 seq.. Von dieser Aufwartung der Galli bei der Toilette der vornehmen Dame war kein grosser Schritt mehr zu ihrer Aufnahme in die Domesticität und zum persönlichen Mitmachen. Superstitionen griffen in jener Zeit um so leichter um sich, je abgeschmackter sie waren. Bald finden wir Inschriften von Priestern der Grossen Mutter, Archigallen und Erzpriesterinnen mit römischen Namen; die Heiligtümer dieses Kultus fangen an, sich über ganz Italien und Gallien zu verbreiten. Es bilden sich herumziehende Priesterschaften, welche als ein wahrer Auswurf der Gesellschaft haufenweise von Ort zu Ort reisen und im Namen des kleinen Götterbildes, das sie auf dem Rücken eines Esels mit sich führen, die unverschämteste Bettelei treiben. Weibisch gekleidet und geputzt, singen und tanzen sie zu Tamburin und Flöte, peitschen und verstümmeln sich blutigVgl. I Könige 18, Vs. 28., um sich dann durch Diebstahl und namenlose Ausschweifung schadlos zu halten. So werden die Bettelpriester bei Lucian und Apuleius zur Zeit der Antonine geschildert. Später muss wenigstens in Rom dieser Kultus der Grossen Göttin wieder eine ehrbare Seite gehabt und namentlich die Kastration aufgehört haben, indem sonst die öffentlich durch Denkmäler eingestandene Teilnahme vieler sehr angesehenen Leute sich nicht erklären liesse. Von den eigentümlichen Mysterien, welche sich mindestens seit dem dritten Jahrhundert daran anschlossen, wird weiter die Rede sein.

Das grosse Jahresfest im April gab durch seine symbolischen Begehungen, die man längst nicht mehr verstand, den KirchenschriftstellernBes. Arnob., Adv. gentes V. – Die Stellen bei Zoega, a. a. O. besondern Anstoss. Es begann mit der Frühlingsnachtgleiche; da wurde im Walde eine Pinie gefällt – derjenige Baum, unter welchem Atys sich verstümmelt hatte – und in Prozession zu dem Tempel der Göttin getragen, welcher zum Beispiel zu Rom an dem Palatinischen Berge lag. Eine besondere Würde, die der Baumträger (Dendrophoren), wird später mehrfach in Inschriften erwähnt; die Galli erschienen bei diesem Anlass mit aufgelösten Haaren und schlugen sich wie in rasendem Schmerze auf die Brust. Am zweiten Tage suchte man unter Trompetenschall den verirrten Atys; der dritte heisst der Bluttag, weil sich die Galli dem Andenken des Atys zu Ehren im Schatten der mit Veilchenkränzen und einem Bilde des unglücklichen Jünglings geschmückten Pinie verwundeten. Dies sind Tage der düstern, wilden Trauer, sogar einer Art von Fasten. Am vierten Tage, den sogenannten Hilarien, ging alles in ausgelassene Freude über, und dabei hielt ganz Rom mit, wahrscheinlich, weil ein älteres Frühlingsfest sich mit diesem verschmolzen hatte; sonst galt die Feier der Aufnahme des Atys unter die Unsterblichen. Der fünfte Tag war eine Pause; am sechsten wurde das Bild der Göttin – ein Kopf von schwarzem Stein in eine silberne Gestalt eingelassen – nebst den heiligen Geräten an das Wasser (zu Rom an das Flüsschen Almo) gefahren, daselbst gewaschen und dann in barfüssigem, ausgelassenem Zuge zum Tempel zurückgebracht.

So wenig der Abendländer dieses Fest nach seinem ursprünglichen mythologischen Sinn würdigen konnte, so stark muss die Gewöhnung und der willkommene Anlass zum Unfug gewirkt haben. Die Zeremonie war in der Folge eine von denjenigen, von welchen sich die Heiden gar nicht trennen wollten, und trotz der verschiedenen Monate möchte das Aufstellen des Maibaums vor den Kirchen, in Italien piantar il Maggio, ein letzter Nachklang des Festes der Grossen Mutter sein. – Eine andere Folge dieses Kultus darf man zum Teil in der Zunahme des Eunuchengefolges vornehmer Römer und Römerinnen vermuten. Im vierten Jahrhundert ist diese verschnittene Hausdienerschaft selbst in frommen christlichen FamilienHieronym., Vita S. Hilar. 14. Epist. 22 ad Eustoch., c. 16 u. 32 u. a. a. O. – Noch Domitian hatte für den ganzen Umfang des Römischen Reiches jegliche Kastration strenge verboten (Ammian. XVIII, 4), und noch der Gardepräfekt des Septimius Severus, Plautian, hatte nur auf die gewaltsamste Weise seiner Tochter Plautilla ein Eunuchengefolge verschaffen können (Dio Cass. LXXV, 14 s.). etwas, das sich von selbst versteht, das aber als blosse orientalische Mode sich nicht so leicht Bahn gebrochen hätte, wäre man nicht durch den Schwarm der pessinuntischen Göttin an den keinesweges erfreulichen Anblick jener halbschlächtigen Menschen gewöhnt gewesen.

Noch eine andere Gestalt der Grossen Göttin mag hier nur kurz erwähnt werden: die Anaïtis (Enyo) der östlichen Kleinasiaten, mit nicht minder ausgelassenem Kultus. Ihr gehörte die mächtige Tempelherrschaft zu Comana in Kappadocien, mit ihren zahlreichen Hierodulen beider Geschlechter. Man glaubt sie wiederzuerkennenSchwenck, a. a. O., S. 271 u. f., wo die Bellonenfeier wohl irrig vom 3. Juni (Ovid., Fasti VI, 199) auf den Bluttag der Grossen Mutter verlegt und damit identifiziert wird. in der schon altrömischen Kriegsgöttin Bellona, deren Priester sich alljährlich in wildem Taumel die Arme zerschnitten. Später, im dritten Jahrhundert, gab es sogar Mysterien unter diesem Namen, wobei das Blut des Bellonenpriesters auf einem Schilde aufgefangen und an die Einzuweihenden verteilt wurdeBei Apuleius, Metam. VIII ruft der Bettelpriester vier Personifikationen der Grossen Göttin nacheinander an: Dea Syria . . . et Bellona et Mater Idaea, cum suo Adone Venus domina . . ..

Ausser diesen beiden grossen Gottheiten der Semiten darf hier noch eine dritte nicht übergangen werden, obschon ihre Einmischung in die griechisch-römische Religion nicht der Kaiserzeit, sondern der Urzeit angehört: nämlich der Melkart der Phönizier, von welchem der griechische Herakles nur eine Seite ist. Sein Kultus, wenn auch jetzt unter römischem Namen, reichte von jeher so weit als die phönizischen und karthagischen Niederlassungen, und einer seiner berühmtesten Tempel war derjenige bei Gades (Cadix). In Italien und Griechenland hätte man sich mit der klassischen Auffassung des Sohnes des Zeus und der Alkmene begnügen können, allein die spätere Göttermischung nahm auch den sogenannten Tyrischen Herkules ausdrücklich in ihr grosses Pantheon auf. Eine unteritalische Inschrift aus der Zeit des Gallienus ist ihm gewidmet, ungefähr wie in neuerer Zeit die Namen und die Kopien weit entfernter Gnadenbilder auf manchen Altären wiederholt werden.

Mit allem Bisherigen sind wir nun doch imstande, ein wahrhaft lebendiges Bild des Religionszustandes von Kleinasien und Syrien in der spätem Kaiserzeit zu entwerfen. Die Mischung war jedenfalls eine sehr verschiedene, je nachdem das griechische Leben überhaupt durchgedrungen oder gehemmt worden war. Einen trüben Eindruck machen immer jene herrlichen Tempel griechisch-römischen StilesDas Prachtwerk von Texier, Descr. de l'Asie mineure, gibt u. a. den besterhaltenen Bau des Binnenlandes, den Tempel von Aizani., die für irgendein formloses asiatisches Götzenbild erbaut waren, wo sich also das Edelste und Schönste in den Dienst der hässlichsten Befangenheit begab, weil vielleicht irgendeine Tempelherrschaft liegende Gründe, Gelder und Almosen genug beisammen hatte, um einen Luxusbau ersten Ranges zu unternehmen. Und zwar trieb der wachsende Aberglaube auch die Griechen und Römer Kleinasiens mehr und mehr diesen Altären orientalischer Götter zu, ja selbst neu auftauchenden Gottheiten, wenn nur der Dolmetscher oder Priester derselben eine genügende Frechheit besass. Man kennt aus Lucian jenen Betrüger Alexander, welcher im zweiten Jahrhundert mit seinem kleinen Schlangengott zuerst die einfältigen Paphlagonier von Abonoteichos, bald aber ganz Kleinasien und die vornehmsten römischen Beamten zum besten hatte.

Leider fehlen genügende Nachrichten über die spätere Existenz jener Tempelherrschaften überhaupt, welche Strabo zur Zeit des Augustus in nicht unbeträchtlicher Zahl gekannt hatteStrabo XI, 14. XII, 2. 3. 5. 8. XIV, 4. XVI, 2 u. a. a. O.. Selbst bei Palmyra ist das Verhältnis unklar, in welchem die kriegerische und handeltreibende Aristokratie zu dem grossen Sonnentempel und seinen Schätzen stand. Wie viele stumme Ruinen birgt nur dies Vorderasien der Römerzeit! Anzufangen von dem herrlichen Petra in Arabien, von der Säulenstadt Gerasa östlich vom Jordan – beides Orte, die aus den Schriftstellern der Kaiserzeit kaum dem Namen nach bekannt wären, wenn nicht die neuern Reisenden mit Erstaunen die einsame Pracht wieder entdeckt hätten.

 


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