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Die letzte Zeit des Diocletian und Maximian ist durch die Martern und Blutströme der grossen Christenverfolgung in einen schrecklichen Ruf gekommen. Man hat sich vergebens bemüht, den Umfang derselben und die Zahl der Opfer auch nur annähernd zu ermitteln, ja es fehlt schon die Grundlage jeder Berechnung, nämlich ein zuverlässiges Datum über die Zahl der um jene Zeit überhaupt im Römischen Reich vorhandenen Christen. Nach Stäudlin hätten sie die Hälfte der Gesamtbevölkerung ausgemacht, nach Matter ein Fünfteil, nach Gibbon bloss ein Zwanzigstel, nach La Bastie ein Zwölfteil, welches vielleicht der Wahrheit am nächsten kömmt. Noch genauer dürfte man für den Westen ein Fünfzehnteil und für den Osten ein Zehnteil annehmenChastel, Hist. de la destruction du Paganisme dans l'emp. d'Orient, p. 36..
Sehen wir jedoch einstweilen von dem numerischen Verhältnis ab und betrachten wir den damaligen innern Zustand der beiden grossen streitenden Organismen, Christentum und Heidentum.
Eine hohe geschichtliche Notwendigkeit hatte das Christentum auf Erden eingeführt, als Abschluss der antiken Welt, als Bruch mit ihr, und doch zu ihrer teilweisen Rettung und Übertragung auf die neuen Völker, welche als Heiden ein bloss heidnisches Römerreich vielleicht gänzlich barbarisiert und zernichtet haben würden. Sodann aber war die Zeit gekommen, da der Mensch in ein ganz neues Verhältnis zu den sinnlichen wie zu den übersinnlichen Dingen treten sollte, da Gottes- und Nächstenliebe und die Abtrennung vom Irdischen die Stelle der alten Götter- und Weltanschauung einnehmen sollten.
Bereits hatten drei Jahrhunderte das Leben und die Lehre der Christen in eine feste Form gebracht; die beständige Bedrohung und die häufigen Verfolgungen hatten die Gemeinde vor frühzeitigem Verfall bewahrt und es ihr möglich gemacht, den schwersten innern Zwiespalt zu überwinden. Sie hatte sowohl die asketischen Schwärmer (Montanisten u. a.) als die spekulativen Phantasten, welche das Christentum zum Rahmen platonischer und orientalischer Philosopheme machen wollten (die Gnostiker), glücklich von sich ausgeschieden; mit dem neusten und gewaltigsten Versuche dieser Art, dem Manichäismus, hatte der Kampf nur erst begonnen; die Vorboten des Arianismus – Streitigkeiten über die zweite Person der Gottheit – schienen so viel als beseitigt; endlich war der mannigfach obwaltende Zwist über einzelne Punkte der kirchlichen Disziplin in dieser Zeit der ecclesia pressa noch nicht so gefährlich als später in den Jahrhunderten der herrschenden Kirche, welche von solchen Dingen Anlass nahm zu bleibenden Spaltungen.
Gar vielen Dingen war noch innerhalb des Christentums selbst freier Platz gegönnt, die man später nicht mehr damit vereinigen konnte. Im vierten und fünften Jahrhundert verwundert man sich erst recht, wie es möglich war, die Spekulation und die symbolische Schriftauslegung eines Origenes in der Kirche zu dulden; aber auch in mehrern andern, die der werdenden und kämpfenden Kirche als Väter gegolten, erkennt man in der Folge halbe Ketzer. Von allzu verschiedenen Seiten her, allzu verschieden gebildet und aus allzu abweichenden Beweggründen traten die Katechumenen in die alte Kirche ein, als dass eine völlige Gleichheit der Lehre und des Lebens möglich gewesen wäre. Die idealen Menschen voll geistiger Tiefe und praktischer Hingebung waren gewiss die kleine Minderzahl wie in allen irdischen Dingen; die grosse Masse hatte sich angezogen gefühlt durch die in den Vordergrund gestellte Sündenvergebung, durch die verheissene selige Unsterblichkeit, durch das Mysterium, welches die Sakramente umgab und gewiss für manchen nur eine Parallele der heidnischen Mysterien war. Den Sklaven lockte die christliche Freiheit und Bruderliebe, manchen Unwürdigen endlich das sehr bedeutende Almosen, welches namentlich von der Gemeinde zu Rom in einem wahrhaft universellen Masse gespendet wurdeEuseb., Hist. eccl. IV, 23. VI, 43. VII, 5..
Die grosse Anzahl heldenmütiger Martyrien, welche von Zeit zu Zeit in der ausartenden Gemeinde die Spannkraft herstellen und eine immer neue Todesverachtung pflanzen, beweist viel weniger für die innere Vollkommenheit der Kirche als für den künftigen Sieg, der einer mit solcher Hingebung vertretenen Sache harrt. Der feste Glaube an einen sofortigen Eintritt in den Himmel begeisterte gewiss auch manchen innerlich unklaren und selbst gesunkenen Menschen zur freiwilligen Hingabe des Lebens, dessen Wertschätzung ohnedies in jener Zeit der Leiden und des Despotismus eine geringere war als in den Jahrhunderten der germanisch-romanischen Welt. Zeitweise herrschte eine wahre Epidemie der Aufopferung; die Christen drängten sich zum Tode und mussten von ihren Lehrern ermahnt werden, sich zu schonen. Bald werden die Märtyrer die leuchtenden Ideale alles Lebens; ein wahrer Kultus knüpft sich an ihre Gräber, und ihre Fürbitte bei Gott wird eine der höchsten Hoffnungen des Christen. Ihre Überlegenheit gegenüber den sonstigen Heiligen wird etwas Selbstverständliches; von allen Religionen hat keine mehr ihre einzelnen Blutzeugen so verherrlicht und damit die Erinnerung an ihr eigenes Vordringen so im Gedächtnis behalten wie das Christentum. Wo Märtyrer gelitten, da war klassischer Boden, und die Verfolgungen der frühern Imperatoren, zumal die des Decius, hatten dafür gesorgt, dass man überall solchen unter den Füssen hatte. Bei diesem längst bestehenden Brauch des Märtyrerkultus hatte dann die diocletianische Verfolgung gewiss von vornherein die allerschwersten Bedenken gegen sich.
Die Verfassung der Kirche zeigt um diese Zeit bereits die Anfänge einer eigentlichen Hierarchie. Zwar blieb den Gemeinden die Wahl der Geistlichen, oder wenigstens die Bestätigung, aber mehr und mehr schieden sich diese als »Kleros« von den »Laien« aus; es entstanden Rangunterschiede zwischen den Bischöfen je nach dem Rang ihrer Städte und mit besonderer Rücksicht auf die apostolische Stiftung gewisser Gemeinden. Die Synoden, welche der verschiedensten Ursachen wegen gehalten wurden, vereinigten die Bischöfe noch insbesondere als höhern Stand. Unter ihnen selbst zeigte sich aber schon im dritten Jahrhundert schwere Ausartung; wir finden manche von ihnen in weltlichen Pomp versunken, als römische Beamte, als Kaufleute, ja als Wucherer; das sehr grelle Beispiel des Paul von Samosate wird mit Recht als ein keineswegs vereinzeltes betrachtetSchlosser, Univ. hist. Übersicht d. alten Welt, III, 2, S. 119.. Natürlich meldet sich neben der Verweltlichung auch der schroffste Gegensatz: das Zurücktreten aus Zeit, Staat und Gesellschaft in die Einsamkeit, das Eremitenwesen, dessen Ursprung uns nebst manchen andern der eben berührten Punkte noch insbesondere beschäftigen wird.
Eine grosse verbreitete Literatur, welche mehrere der ausgezeichnetsten neuern Geschichtswerke mit umfasst, gibt die Ausführung des obigen im einzelnen, je nach dem Standpunkte, welchen der Verfasser einnimmt und der Leser verlangt. Dass der unsrige nicht der der Erbaulichkeit sein kann, welcher zum Beispiel bei Neander seine gute Berechtigung hat, wird man uns nicht verargen.
Suchen wir nun in kurzem die wahre Stärke der christlichen Gemeinde beim Beginn der letzten Verfolgung uns zu vergegenwärtigen, so lag dieselbe also weder in der Zahl, noch in einer durchgängig höhern Moralität der Mitglieder, noch in einer besonders vollkommenen innern Verfassung, sondern in dem festen Glauben an eine selige Unsterblichkeit, welcher vielleicht jeden einzelnen Christen durchdrangLactantius, Divin. Inst. III, 12 schliesst seine Untersuchung über das höchste Gut mit den Worten ab: id vero nihil aliud potest esse quam immortalitas.. Wir werden zeigen, dass die ganze Bemühung des spätern Heidentumes demselben Ziele zuging, nur auf düstern, labyrinthischen Nebenwegen und ohne jene siegreiche Überzeugung; es konnte auf die Länge die Konkurrenz des Christentums nicht aushalten, weil dieses die ganze Frage so unendlich vereinfachte. – Zweitens war hier dem politischen Bedürfnis der alten Welt, die seit der römischen Gewaltherrschaft an allem Staatswesen irre geworden, ein neuer Staat, eine neue Demokratie geboten, ja eine neue bürgerliche Gesellschaft, wenn sie sich rein hätte erhalten können. Viel antiker Ehrgeiz, draussen im Römerstaat ohne Stellung, bedroht, zum Schweigen gebracht, hat sich in die Gemeinden, auf die bischöflichen Stühle gedrängt, um wenigstens irgendwo etwas zu gelten; andererseits musste aber auch den Besten und Demütigsten die Gemeinde ein heiliger Zufluchtsort sein gegen den Andrang des verdorbenen, bald in Fäulnis begriffenen römischen Wesens und Treibens.
Diesen mächtigen Vorzügen gegenüber finden wir das HeidentumAus der hiehergehörigen Literatur sind vorzüglich zu nennen: Tzschirner, Der Fall des Heidentumes (herausg. von Niedner, unvollendet); Beugnot, Hist. de la destruction du Paganisme en occident, 2 vol.; Chastel, Hist. de la destr. du Paganisme dans l'empire d'Orient. – Eckermann, Lehrb. d. Religionsgesch. und Mythol., Bd. II, S. 205 ff. – Endlich die grosse zusammenhängende Darstellung der religiösen Zustände im ersten und zweiten Jahrh. bei Friedländer, Sittengeschichte Roms. Bd. III, S. 423 ff. in voller Auflösung begriffen, ja in einem solchen Zustande, dass es auch ohne den Zutritt des Christentums kaum noch lange fortlebend zu denken ist. Nehmen wir zum Beispiel an, Mohammed hätte in der Folge seinen fanatischen Monotheismus ohne alle Einwirkung von christlicher Seite her zustande bringen können, so hätte das Heidentum am Mittelmeer dem ersten Angriff desselben so gewiss erliegen müssen als die Heidentümer Vorderasiens. Es war schon allzu tödlich geschwächt durch innere Zersetzung und neue willkürliche Mischung.
Die Staatsreligion des Kaisertums, von welcher ausgegangen werden muss, war allerdings der griechisch-römische Polytheismus, wie er sich durch die Urverwandtschaft und spätere Amalgamierung dieser beiden Kulte gebildet hatte. Aus Naturgottheiten und Schutzgöttern aller möglichen Lebensbeziehungen war ein wunderbarer Kreis übermenschlicher Gestalten erwachsen, in deren Mythus doch der antike Mensch überall sein eigenes Bild wieder erkannte. Die Beziehung der Sittlichkeit zu dieser Religion war eine überaus freie, ja dem Gefühl jedes einzelnen anheimgestellt gewesen; die Götter sollten zwar das Gute belohnen und das Böse bestrafen, allein man gedachte ihrer weit mehr als Geber und Hüter des Daseins und Besitzes denn als hoher sittlicher Mächte. Was die verschiedenen Mysterien dem Griechen noch ausser seinem Volksglauben gewährten, war nicht etwa eine reinere Religion, noch weniger eine weise Aufklärung für Eingeweihte, sondern nur ein geheimer Ritus der Verehrung, welcher die Götter dem Mysten besonders geeignet machen sollte. Eine wohltätige Wirkung lag in der wenigstens dabei ausgesprochenen Bedingung reiner Sitten, sowie auch in der Belebung des Nationalgefühls, welches hier wie bei den festlichen Spielen den Hellenen mehr als je begeisterte.
Dieser Religion gegenüber hatte die Philosophie, sobald sie sich über die kosmogonischen Fragen erhob, die Einheit des göttlichen Wesens mehr oder weniger deutlich ausgesprochen. Damit war der höchsten Religiosität, den schönsten sittlichen Idealen die Bahn eröffnet, freilich auch dem Pantheismus und selbst dem Atheismus, welche dieselbe Freiheit gegenüber dem Volksglauben in Anspruch nehmen konnten. Wer die Götter nicht leugnete, erklärte sie pantheistisch als Grundkräfte des Weltalls oder stellte sie, wie die Epikureer, müssig neben die Welt hin. Auch die eigentliche »Aufklärung« mischte sich in die Frage: Euhemeros und sein Anhang hatten schon längst die Götter zu ehemaligen Regenten, Kriegern usw. gemacht und die Wunder rationalistisch durch Betrug und Missverständnisse entstehen lassen; eine falsche Fährte, von welcher sich aber später die Kirchenväter und Apologeten bei der Beurteilung des Heidentums beständig irreführen liessen. – Diesen ganzen Gärungszustand hatten die Römer neben der griechischen Kultur mit übernommen, und die Beschäftigung mit diesen Fragen wurde bei ihren Gebildeten Sache der Überzeugung wie der Mode. Neben allem Aberglauben entwickelte sich in den höhern Schichten der Gesellschaft der Unglaube, mochten auch der eigentlichen Atheisten nur wenige sein. Dies hörte aber mit dem dritten Jahrhundert, unter der Einwirkung der grossen Gefahren des Reiches, sichtbar auf, und eine gewisse Gläubigkeit begann vorzuherrschen, die allerdings weniger der alten Staatsreligion als den Fremdkulten zugute kam. Übrigens war in Rom der alte einheimische Kult so enge mit dem Staatswesen verflochten und die betreffende Superstition so stark gegründetVgl. Gerlach und Bachofen, Geschichte der Römer, Bd. I, Abtlg. 2, S. 211 ff. – Eine merkwürdige Beratung der sibyllinischen Bücher bei Aurel. Vict., Epitome, bei Anlass des Claudius Gothicus., dass sowohl der Ungläubige als der Fremdgläubige offiziell römisch fromm sein musste, sobald es sich um das heilige Feuer der Vesta, um die geheimnisvollen Unterpfänder der Herrschaft, um die Staatsauspizien handelte; denn die Ewigkeit Roms hing von diesen Heiligtümern ab. Die Imperatoren selber waren nicht bloss pontifices maximi mit bestimmten rituellen Verpflichtungen, sondern schon ihr Beiname Augustus bezeichnet eine übernatürliche Weihe, Berechtigung und Unantastbarkeit, und es ist keine blosse Schmeichelei, wenn der späteste Aberglaube ihnen den Rang von Dämonen zuwiesFirmicus Maternus, Libri Matheseos II, c. 33. – Die wunderbaren Heilungen, welche man zu Alexandrien schon von Vespasian verlangt: Tacit., Histor. IV, 81., nachdem bereits das Christentum ihrer seit dreihundert Jahren gebräuchlichen Apotheose, ihren Tempeln, Altären und Priestertümern ein Ende gemacht hatte.
Nun ist gar nicht daran zu zweifeln, dass auch diese echte griechische und römische Religion noch in der spätesten Zeit des herrschenden Heidentums bei vielen einzelnen nicht verdrängt war durch die fremden Gottheiten, nicht ersetzt durch Magie und Beschwörung, nicht verflüchtigt durch philosophische Abstraktion. Dies ist unmöglich direkt zu beweisen, weil die Verehrung der alten Götter die der neuen nicht ausschloss, und weil bei der weiter zu berührenden Götter- Verwechselung unter dem Namen eines alten Gottes ein neuer und umgekehrt verehrt werden konnte. Allein die Vermutung lässt sich kaum ablehnen, wenn man noch hie und da das alte naive Verhältnis des gesunden antiken Menschen zu Göttern und Schicksal mit überzeugender Kraft hervorbrechen sieht. »Dich verehre ich«, ruft AvienusBei Wernsdorf, Poetae Lat. min. V, pars II. der Nortia, der etruskischen Fortuna zu, »ich, den Vulsinii gebar, der zu Rom wohnt, zweimal geehrt durch das Prokonsulat, der Dichtung geweiht, schuldlos und unbescholten, glücklich durch mein Weib Placida und durch die starke, lebhafte Kinderschar. Das übrige mag sich erfüllen nach dem Gesetz des Schicksals.« – Bei andern behauptete sich wenigstens die alte Religion mit ihrer Weltanschauung sehr nachdrücklich neben den neuen Zutaten. Dieser Art mochte wohl der Glaube Diocletians sein, wenigstens ist er der etruskischen Haruspicin treu gebliebenDe mort. pers. 10, 11. Seine Sorge wegen ominöser Blitze, Const. M., Orat. ad sanctor. coet., c. 25. – Vgl. S. 62., welche an seinem Hofe noch nicht wie später bei Julian im Kampfe liegt mit den neuplatonischen Beschwören; sein Schutzgott ist und bleibt Juppiter, und das Orakel, welches er in einer hochwichtigen Sache berät, ist das des milesischen Apoll. Seine Moralität und Religiosität, wie sie sich zum Beispiel in den Gesetzen ausspricht, hat wohl am meisten Aehnlichkeit mit derjenigen des DeciusEine Weiheinschrift Diocletians an Mithras kommt allerdings vor bei Orelli Nr. 1051, eine an Sol und eine an Belenus bei Bertoli, Le antichità d'Aquileja Nr. 71 und 643. – Sein Tempelbau in Antiochia gilt nur klassischen Göttern, dem Olympischen Zeus, der Nemesis, dem Apoll und der Hekate; vgl. Malalas XII. Über die Religion des Gallienus, welcher in der Reichsnot alle alten Götter als Erhalter auf seinen Münzreversen anruft, vgl. Creuzer, »Zur röm. Gesch. und Alt.-Kunde«. Ob er auch die ägyptischen und orientalischen Gottheiten verehrte, die auf den damaligen alexandrinischen und asiatischen Stadtmünzen mit seinem und der Salonina Bilde vorkommen, ist wohl nicht ganz so sicher, wie die treffliche Abhandlung annimmt.; im Kultus der guten KaiserHist. Aug., Marc. Aurel., c. 19. – Aus einem Kalender der spätern Zeit des vierten Jahrhunderts (Kollar, Analecta Vindobon. I) lernen wir, dass damals noch die Geburtstage (natales, welches auch den Tag des Reichsantritts bezeichnen kann) folgender Kaiser gefeiert wurden: Augustus, Vespasian, Titus, Nerva, Trajan, Hadrian, Marc Aurel, Pertinax, (Septimius?) Severus, Alexander Severus, Gordian, Claudius Gothicus, Aurelian, Probus, sowie natürlich Constantin und sein Haus. – Freilich auch der Kultus des Antinous dauerte noch bis ins vierte Jahrhundert., namentlich des als Dämon verehrten Marc Aurel, schliesst er sich ausser dem an Alexander Severus an. – Hinwiederum darf man annehmen, dass manche Bestandteile und Konsequenzen der alten Religion bereits völlig abgestorben und vergessen waren. So gehörte vielleicht jene Masse kleiner römischer Schutzgottheiten für Bagatellsachen, so sehr sich auch die christlichen SchriftstellerArnob., Adversus gentes l. I u. IV zu Anfang. – Lactant., Inst, divin. I, 20. darüber als über etwas Bestehendes empören, grösstenteils in das Gebiet der AntiquitätenSie kommen nämlich weder in den Inschriften noch in den Denkmälern vor.. Man gedachte schwerlich mehr beim Feuerherd des Gottes Lateranus, beim Salben der Unxia, beim Gürten der Cinxia, beim Baumstutzen der Puta, bei den Knoten der Fruchthalme des Nodutis, bei der Bienenzucht der Mellonia, bei der Hausschwelle des Limentinus usw.; denn eine ganz andere, verallgemeinernde Ansicht des Genien- und Dämonenwesens hatte sich seit langem der Gemüter bemächtigt. Vieles von jener Art war wohl ganz lokal römischer Glaube gewesen und geblieben. – Vollends bewahrte Griechenland noch in der Kaiserzeit mit Vorliebe seine örtlichen Kulte und Geheimdienste. Pausanias, welcher im zweiten Jahrhundert Hellas beschrieb, gibt mannigfach Zeugnis von der in jeder Stadt, jeder Landschaft besonders gestalteten Götter- und Heroenverehrung, nebst den verschiedenen Priestertümern, welchen dieselbe oblag; dass er die Mysterien beschweigt, war für ihn eine heilige Pflicht, für deren Übertretung ihm freilich die Nachwelt sehr dankbar sein würde.
Wie nun der römische Staat gewisser Sacra durchaus zu seinem Fortbestehen bedurfte, so dass man zum Beispiel bis tief in die christliche Zeit hinein das heilige Feuer durch die vestalischen Jungfrauen hüten liess, so hatte sich auch das Privatleben von der Wiege bis zum Grabe völlig mit den religiösen Gebräuchen durchdrungen. Im Hause schon gehörten Opfer und Schmauserei untrennbar zusammen; auf den Strassen der Städte begegnete man jenen teils schönen und würdigen, teils bacchantisch ausgelassenen Zügen und Aufführungen, welche den griechischen wie den römischen Festkalender füllen, und auch auf dem Lande war des Opferns bei Kapellen, Höhlen, Kreuzwegen und unter alten mächtigen Bäumen kein Ende. Der neubekehrte Arnobius erzählt, wie er als Heide Andacht empfunden, wenn er an Baumstämmen mit bunten Bändern umschlungen, an Felsblöcken mit Spuren des darauf gegossenen Öles vorübergingVgl. schon Apuleius, De magia oratio, p. 62, ed. Bipont. vol. II, wonach für einen Grundbesitzer lapis unctus, ramus coronatus das mindeste waren, was dessen Andacht bewies.. Es wird uns schwer, diesem gänzlich äusserlich erscheinenden, oft sehr frivolen Kultus den sittlich religiösen Gehalt abzugewinnen, und mancher wird ihn geradezu leugnen. Und erhebt sich nicht nach anderthalb Jahrtausenden über die Fest-Andacht des katholischen Südländers fast dieselbe Frage? Eine durchaus sinnliche Musik umrauscht das Hochamt und begleitet, von Kanonensalven unterbrochen, das Sakrament; ein belebter Markt, eine reichliche Zehrung, laute Freude aller Art und abends das unerlässliche Feuerwerk bilden den zweiten Teil des Festes. Wer daran ein Ärgernis nehmen will, dem kann es niemand wehren, nur vergesse man nicht, dass diese äussern Begehungen nicht die ganze Religion sind und dass die höchsten Gefühle in jedem Volke anders erregt werden wollen. Denkt man sich das christliche Gefühl der Sündhaftigkeit und der Demut aus der alten Welt, die dessen einmal nicht fähig warDie Demut bei Stoikern wie Epiktet bestätigt als Ausnahme nur die Regel., hinweg, so wird man auch ihren Götterdienst richtiger würdigen.
Das Detail der Mythologie, welches niemals Glaubenssache gewesen war, gab man freilich schon lange völlig preis, noch ehe Lucian daraus eine vergnügliche Posse gemacht hatte. Die christlichen Apologeten, welche eine Auswahl alles Schändlichen aus den verschiedensten Mythen zusammensuchen und durch Missverständnis und Vermischung des Ungleichartigen auch den Schein der Lächerlichkeit auf den alten Glauben überhaupt werfen, sind hierin nicht ganz aufrichtig; sie mussten wissen, dass die Anklagen dieser Art, welche sie aus den alten Dichtern und Mythographen schöpften, nur geringstenteils auf ihr Jahrhundert passten; mit demselben Recht könnte man zum Beispiel den Protestantismus für die Abgeschmacktheiten in manchen Legenden haftbar erklären. Das religiöse Bewusstsein der Massen hatte mit dem Mythus nicht mehr viel zu schaffen, es begnügte sich mit dem Dasein der einzelnen Gottheiten als Herrscher und Schützer der Natur und des Menschenlebens. Wie vollends die damalige Philosophie die Mythen zersetzte, wird noch besonders zu erwähnen sein. Aber die Heiden gaben der christlichen Polemik doch immer wieder die Waffen in die Hände durch die dramatische Darstellung einzelner, und zwar oft der anstössigern Mythen.
Denn ein Gebiet gehörte der Mythologie noch an, wo sie als Herrscherin bis in die späteste Zeit schaltete: das der Kunst und der Dichtung. Homer, Phidias und die Tragiker hatten einst die Götter und Heroen schaffen helfen, und nun lebte in Stein, Farbe, Maske, Schrift und Ton fort, was aus dem Glauben entschwunden war. Aber es wird mehr und mehr ein Scheinleben. Die Schicksale der bildenden Kunst und die Ursachen ihres Verfalls werden uns noch insbesondere beschäftigen; hier muss nur bemerkt werden, dass sie der alten Mythologie um so weniger zur Stütze dienen konnte, als sie in die Dienste der mythisierenden Philosophie und selbst der Fremdkulte trat. – Das Drama war grossenteils und vielleicht völlig verdrängt durch die Lokalposse (Mimus) und durch die schweigende Pantomime mit Musik und TanzAuch wohl mit Gesang. – Lucian., De saltatione, passim. – Meyer, Antholog. Lat., ep. 954., wobei jede religiöse Beziehung, die einst das alte attische Drama zum Gottesdienst machen konnte, von selbst wegfiel. Die Beschreibung des prächtigen korinthischen Ballettes »Paris auf dem Ida«, im zehnten Buche des Apuleius, belehrt uns, wie selbst in Griechenland zur Zeit der Antonine das Theater nur noch der Augenlust diente. Und hier dürfen wir wenigstens noch ein edel stilisiertes Kunstwerk voraussetzen, während in den lateinischen Gegenden des Reiches, zumal in den nur halb, nur durch Militärkolonien romanisierten, diese Aufführungen zur grössten Roheit ausarten mussten, wenn die Theater überhaupt sich noch zu etwas Dramatischem hergaben und sich nicht mit Gladiatorspielen, Tierhetzen und dergleichen begnügten. Die skurrile Seite der Mythologie liess man ganz absichtlich überwiegenVgl. u. a. Arnobius, Adv. gentes IV, pag. 151 und VII, pag. 238. – Firmicus, De errore, pag. 10.; alle Ehebrüche Juppiters, auch wenn er dabei als Tier verwandelt auftrat, alle Skandale der Venus kamen hier unter lautem Gelächter zur Darstellung; selbst in die gewöhnlichen Possen (Mimen) mischte man Göttererscheinungen ein, wahrscheinlich von derselben Gattung. Ein aristophanisches Publikum konnte dergleichen ertragen, ohne an den Göttern selbst irre zu werden; in einer kranken Zeit dagegen war es der Gnadenstoss für die alte Religion überhaupt. – Gehen wir von dieser Sphäre, in welcher der Ballettmeister und der Maschinist walteten, zu der Kunstpoesie über, soweit wir sie in den wenigen erhaltenen Sachen vom Ende des dritten Jahrhunderts verfolgen können, so zeigt sich zwar noch stellenweise ein grosses Talent mythologischer Behandlung, welche sogar hundert Jahre später in Claudian ihren brillantesten Vertreter findet; allein die letzte Spur von innerer Überzeugung ist längst erloschen. Das Gedicht eines gewissen ReposianusBei Wernsdorf, Poetae Lat. m. IV, pars I. zum Beispiel, welcher um das Jahr 300 geblüht haben mag, schildert das Beilager des Mars und der Venus durchaus mit derselben Absicht, welche wir in den Pantomimen voraussetzen dürfen: sinnlich hübsche Bilder, wobei es auf eine Gemeinheit mehr oder weniger nicht ankömmt. Venus, die auf den Kriegsgott wartet, vertreibt sich die Zeit mit Tanzen, und der Dichter schildert mit einem sehr entwickelten Sinn für die Koketterie seiner Zeit ihre einzelnen Attitüden; dann ruft er, als Mars erscheint, zu dessen Entkleidung den Cupido, die Grazien und die Mädchen von Byblos herbei. Aber welch ein Mars ist dies! Ebenso absichtlich ungeschlacht als die Göttin buhlerisch. Bleischwer lässt er sich auf das Blumenlager niederfallen, und bei der Schilderung seines Schlafes wird dem Leser selbst das lüsterne Röcheln nicht erspart. Wenn zum Beispiel Rubens sich auf seine Weise in dem antiken Mythus ergeht, so kann er wieder versöhnen durch den Eindruck einer zwar verirrten, aber gewaltigen Energie; hier aber stehen wir auf der letzten möglichen Stufe der Entwürdigung der alten Göttersage, ohne durch etwas anderes als durch hübsche Verse entschädigt zu werden. Ein satirischer Christ hätte es nicht zweckmässiger anfangen können, und man wäre in der Tat zu einer derartigen Erklärung bereit, wenn nicht das niedliche Bild des Cupido dazwischen träte, welcher die abgelegten Waffen des Mars neugierig mustert, sie mit Blumen ausputzt und sich nachher beim polternden Eintritt des eifersüchtigen Vulcan unter den Helm verkriecht. – Es gab indes auch Dichter, welchen die Mythologie als eine ausgetretene Strasse gänzlich verleidet war. »Wer hat nicht schon«, ruft Nemesian aus, »den Jammer der verwaisten Niobe besungen, und die Semele, und . . .« (nun folgen dreissig Hexameter Mythentitel). »Das alles hat eine Schar grosser Dichter vorweggenommen, und die ganze Sage der alten Welt ist ausgenütztNemes., Cynegeticon, Vs. 47 omnis et antiqui vulgata est fabala saecli. – Vom J. 283.«. Der Poet wendet sich daher zu den grünen Wäldern und Heiden, doch nicht, um eine Landschaftsdichtung zu schaffen, sondern um auf sein eigentliches Thema, die Zucht der Jagdhunde, zu kommen. Nachher, wenn er damit zu Ende sein wird, gedenkt er auch die Taten seiner Gönner, der Caesaren Carinus und Numerianus, zu besingen. – Ein ähnliches Gefühl hatte schon seit langer Zeit, namentlich bei den Römern, der didaktischen Poesie jene auffallend vorteilhafte Stellung gegenüber der epischen verschafft; allein so mit dürren Worten hatte man wohl diesen Vorzug noch nie ausgesprochenVgl. Iuvenal., Sat. I, Anfang.. – Ein sehr liebliches Gedicht mythologischen Inhalts, der »Bacchus« des Calpurnius Siculus (Ekloge III), mag hier noch besonders angeführt werden, weil es auf merkwürdige Weise abhängig ist von den Werken der bildenden Kunst; es erinnert an die Gemäldebeschreibungen des Philostratus, die es freilich im Stil weit übertrifft. Da fehlt auch der greise Silenus nicht, welcher als Kindswärter den kleinen Bacchus auf den Armen wiegt, zum Lachen bringt, ihm mit Castagnetten vorspielt, sich gutwillig von ihm an Ohren, Kinn und Brusthaar zupfen lässt; nachher lehrt der heranwachsende Gott die Satyrn die erste Weinlese, bis sie, von dem neuen Trank berauscht, sich mit Most bemalen und Nymphen entführen. Dieses Bacchanal, wobei der Gott auch seinen Panthern aus dem Mischkruge zu saufen gibt, ist eines der letzten antiken Werke von lebendiger SchönheitÜber die spätern merkwürdigen Schicksale der Mythologie bei den christlichen Dichtern und ihre Einmischung in die christliche Kunst s. Piper, Mythologie und Symb. der christlichen Kunst, Bd. I. – Von Ausonius abwärts werden die Götter mehr und mehr teils zur blossen Dekoration und Redensart, teils zu abstrakten Symbolen für Lebensbeziehungen. Ausser Martianus Capella ist vorzüglich bezeichnend für diesen Übergang das Epithalamium Auspicii et Aëllae, von einem gew. Patricius, welchen Wernsdorf (IV, II) in das vierte, Meyer (Anthol. Lat.) offenbar mit grösserm Recht in das sechste Jahrhundert versetzt. In der constantinischen Zeit konnte man noch nicht so willkürlich mit dem Mythus umgehen und z. B. Cupido weiblich als Schwester der Venus auffassen..
Man wird indes nach all diesem zugeben, dass die Mythologie eher eine Last als eine Stütze für die sinkende klassische Religion war. Von der philosophischen Deutung, womit man die Mythen aufrecht zu halten und zu rechtfertigen suchte, wird weiterhin die Rede sein.
Aber diese klassische Religion war noch auf andere Weise getrübt und gebrochen, nämlich durch Mischung mit den Kulturen der unterworfenen Provinzen und des Auslandes. Wir stehen im Zeitalter der vollendeten Theokrasie (Göttermischung).
Dieselbe war eingetreten nicht durch die Völkermischung im ReicheGarnisonswechsel, Handel und Sklavenwesen hatten z. B. Ägypter und Asiaten nach der deutschen Grenze geführt. – Tac., Ann. XIV, 42 von den Sklaven in Rom: nationes in familiis habemus quibus diversi ritus, externa sacra aut nulla sunt . . ., oder durch Willkür und Mode allein, sondern durch einen uralten Trieb der vielgötterischen Religionen, sich einander zu nähern, die Ähnlichkeiten aufzusuchen und zu Identitäten zu erheben. Zu allen Zeiten ist dann aus den Parallelen dieser Art die reizende Idee einer gemeinsamen Urreligion hervorgegangen, die sich jeder auf seine Weise ausmalt, der Polytheist anders als der MonotheistEin Urmonotheismus aller Völker wird z. B. verteidigt von Lactantius, Div. Inst. II, 1.. So suchten und fanden sich, teils unbewusst, teils mit philosophischem Bewusstsein, die Bekenner ähnlicher Gottheiten vor denselben Altären. Man erkannte die hellenische Aphrodite gern wieder in der Astarte der Vorderasiaten, in der Athyr der Ägypter, der Himmlischen Göttin der Karthager, und so ging es der Reihe nach mit einer ganzen Anzahl von Gottheiten. Dies ist es auch, was noch in der spätern römischen Zeit vorzüglich beachtet werden muss; die Göttermischung ist zugleich auch eine Götterverwechselung; die Fremdgottheiten verbreiten sich nicht nur neben den einheimischen, sondern sie werden denselben je nach der innern Verwandtschaft geradezu substituiert.
Als eine zweite Ursache der Theokrasie erkennt man die gewissermassen politische Anerkennung, welche der Grieche und Römer, ja der Polytheist überhaupt den Göttern anderer Völker zollt. Sie sind ihm Götter, wenn auch nicht die seinigen. Kein strenges dogmatisches System hütet hier die Grenzen des heimischen Glaubens; so strenge auch die vaterländischen Superstitionen gewahrt werden, so fühlt man doch gegen die fremden eher Neigung als Hass. Einzelne feierliche Götterübertragungen von Land zu Land werden von Orakeln und andern überirdischen Mahnungen geradezu befohlen; so die des Serapis von Sinope nach Alexandrien unter Ptolemaeus dem ErstenDass Serapis schon früher in Ägypten verehrt wurde, kommt hier nicht in Betracht., und die der Grossen pessinuntischen Mutter nach Rom während des zweiten Punischen Krieges. Bei den Römern war es dann fast zum bewussten halb politischen, halb religiösen Prinzip geworden, die Götter der vielen unterworfenen Nationen nicht zu beleidigen, eher ihnen Verehrung zu erweisen, ja sie unter die eigenen Götter aufzunehmen. Das Benehmen der Provinzen war hiebei ein sehr verschiedenes; der Kleinasiate zum Beispiel kam bereitwillig entgegen; der Ägypter dagegen hielt sich spröde und übersetzte, was er von Ptolemäern und Römern annahm, in seinen Ritus und seine Kunstform, während ihm der Römer den Gefallen tat, die ägyptischen Götter wenigstens annähernd auch in ägyptischer Gestalt zu verehren. Der Jude endlich liess sich mit der römischen Religion gar nicht ein, indes die Römer von gutem Ton seinen Sabbath beobachteten, und die Imperatoren im Tempel auf Moriah zu beten kamen. Es gestaltet sich, wie wir sogleich sehen werden, eine teils mehr aktive, teils mehr passive Göttermischung.
Eine dritte Ursache des Überhandnehmens der Fremdkulte lag in der Furcht und Angst, welche den gegen die bisherigen Götter ungläubig gewordenen Heiden verfolgt. Jetzt hiess es nicht mehr in dem schönen Sinn früherer Jahrhunderte »Götter überall«, sondern der Denkende suchte täglich neue Symbole, der Gedankenlose täglich neue Fetische, die um so willkommener waren, je ferner und geheimnisvoller ihre Herkunft schien. Die Verwirrung musste hier noch aus einem besondern Grunde sich vervielfältigen. Der Polytheismus alter Kulturvölker lebt nämlich auf allen seinen EntwicklungsstufenDie zum Teil schon auf uralter Völkermischung beruhen können. zugleich fort, als Fetischismus betet er fortwährend zu Aerolithen und Amuletten, als Sabäismus zu Gestirnen und Elementen, als Anthropomorphismus teils zu Naturgöttern, teils zu Schutzgöttern des Lebens – während die Gebildeten innerlich schon längst diese Hüllen abgestreift haben und zwischen Pantheismus und Monotheismus schwanken. Und nun wirken alle diese Stadien der verschiedenen Heidentümer kreuzweise auf das römisch-griechische Heidentum ein und umgekehrt. Merkwürdige Ergebnisse, allerdings nicht selten von der traurigsten Art, werden uns berichtet. Nero war in der römischen Religion erzogen; bald verachtete er sie und hielt sich nur noch an die Syrische Göttin; auch von dieser fiel er ab, behandelte ihr Bild mit bübischem Hohn und glaubte fortan nur noch an ein Amulett, das ihm ein Mann aus dem Volke geschenkt, und dem er nun täglich dreimal opferteSueton., Nero, c. 56..
Dieses Beispiel, welches statt vieler dienen könnte, enthält einen Wink über den Kultus der fremden Götter überhaupt. Man nahte ihnen nicht wie den alten Olympiern; herausgerissen aus ihren nationalen Umgebungen, ohne Zusammenhang mit dem römischen Leben, Staatswesen und Klima konnten sie dem Römer nur als unheimliche, dämonische Mächte gegenüberstehen, welchen bloss durch Mysterien und magische Begehungen beizukommen war, etwa auch durch den höchsten materiellen Aufwand. Nicht umsonst lässt Lucian im »Juppiter als Tragödien« (Kap. 8) bei der Rangordnung der Götter nach Stoffen den Fremdgöttern den Vorrang; der angstvolle Aberglaube bildete sie vorzugsweise aus dem kostbarsten Metall. »Die Griechengötter, siehst du, sind wohl anmutig, schön von Antlitz und kunstreich gemacht, aber nur von Stein und Erz, höchstens von Elfenbein und wenig vergoldet; Bendis dagegen, Anubis, Attis, Mithras und Men sind massiv von Gold, schwer und sehr kostbar.« Diese Art von Kultus aber demoralisierte dann auch das Verhältnis zu den alten nationalen Göttern.