Edward Bulwer
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer

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24.

Olinthus, der Bekehrer des Apäcides, war einer von diesen ernsten, kühnen und stolzen Naturen, die vor keinem Wagnis zurückschrecken, um der von ihnen erkannten Wahrheit zum Siege zu verhelfen. Kaum war Apäcides durch die Gebräuche der Taufe in die christliche Gemeinschaft aufgenommen worden, als der Nazarener ihm begreiflich machte, daß er jetzt seinen Priesterstand aufgeben müsse. Es war einleuchtend, daß, wenn er den wahren Gott anbetete, er selbst äußerlich nicht die Altäre des bösen Feindes länger ehren durfte.

Doch dieses war noch nicht alles. Olinthus glaubte, gerade dieser Priesterstand des Apäcides könne ein Mittel werden, um das getäuschte Volk über die betrügerischen Orakel der Isis aufzuklären. Sie kamen, wie sie es vorher verabredet hatten, am Abend nach der Taufe des Priesters der Isis in dem Hain der Cybele zusammen.

»Bei der nächsten feierlichen Befragung des Orakels«, sagte Olinthus, »tritt selbst an das Geländer vor, verkünde laut dem Volke den Betrug, den man sich erlaubt – fordere es auf, einzutreten und selbst Zeuge der groben, wenn auch listigen Taschenspielerei zu sein, welche du mir beschrieben hast. Fürchte nichts – der Herr, der den Daniel beschützte, wird auch dich in seinen Schutz nehmen; wir – die Christengemeinde, werden unter der Menge sein, und ich selbst werde, bei dem ersten Ausbruch des Unwillens und der Beschämung im Volke den Palmzweig, das Sinnbild der Heiligen Schrift, auf jenen Altar pflanzen – und meine Zunge wird beseelt werden durch den heiligen Geist des lebendigen Gottes!«

In seiner frischen Begeisterung war dem Apäcides dieser Vorschlag gar nicht unangenehm. Er freute sich, dieser neuen Sekte durch entschiedenes Handeln dienen zu können, und es trieb ihn auch zugleich das Gefühl der Rache über die Täuschungen, deren Opfer er selbst gewesen war.

Bereitwillig nahm er daher den Vorschlag an, und sie trennten sich mit der Verabredung, daß Olinthus über dieses große Unternehmen sich mit den Angesehensten seiner christlichen Brüder besprechen, ihren Rat einholen und ihrer Unterstützung für diesen wichtigen Tag sich versichern solle. Es traf sich gerade, daß am zweiten Tage nach dieser Zusammenkunft ein großes, der Isis geheiligtes Fest gefeiert werden sollte, und dieses bot die beste Gelegenheit für die Ausführung jenes Planes dar. Sie beschlossen, sich an demselben Ort am nächsten Abend wieder zu treffen und noch weiteres zu verabreden.

Der letzte Teil der Besprechung hatte neben einer kleinen Kapelle stattgefunden, und kaum waren Olinthus und Apäcides verschwunden, da trat hinter dieser Kapelle die finstere und abschreckende Gestalt des Kalenus hervor.

»Schade, daß ich nicht alles gehört habe, mein Herr Kollege«, murmelte er. »Aber jedenfalls werde ich morgen hier zur Stelle sein, und dann möge mir Osiris scharfe Ohren geben, damit ich euren unerhörten Plan ganz belauschen kann. Dann ist es auch Zeit, dem Arbaces Mitteilung zu machen. Für jetzt will ich schweigen.« Er schlug seinen Mantel um sich und schlich nachdenklich weiter.

Als Apäcides, der unterdessen fest bei seinem Entschluß geblieben war, sich am nächsten Morgen von seinem Lager erhoben hatte, zog er, wie gewöhnlich, sein priesterliches Gewand an und begab sich nach dem Tempel.

Er hatte, durch die Anstrengungen der letzten Tage erschöpft, bis tief in den Morgen geschlafen, und die Sonne beleuchtete das heilige Gebäude bereits mit ihren senkrechten Strahlen.

»Heil dir, Apäcides!« sagte eine Stimme, deren natürliche Rauheit durch lange Gewohnheit einen fast widerlich süßen Ton angenommen hatte. »Du hast lange geschlafen. Hat die Göttin dich mit nächtlichen Visionen beglückt?«

»Könnte sie ihr wahres Wesen dem Volke offenbaren, Kalenus, wie wenig besucht würden diese Altäre sein?«

»Das mag wahr sein«, erwiderte Kalenus. »Doch die Göttin ist weise genug, nur mit den Priestern umzugehen.«

»Es möchte eine Zeit kommen, wo sie wider ihren Willen entschleiert wird.«

»Es ist nicht wahrscheinlich, sie hat seit vielen Jahrhunderten triumphiert, und was so lange der Zeit widerstanden hat, unterliegt selten der Neuerungssucht. Aber höre, junger Bruder, deine Redensarten sind sehr unvorsichtig.«

»Dir gebührt am wenigsten, mir Schweigen zu gebieten«, erwiderte Apäcides stolz.

»So hitzig! – Doch ich will nicht mit dir streiten. Hat der Ägypter dich nicht von der Notwendigkeit überzeugt, mein Apäcides, daß wir untereinander einig sein müssen? Hat er dir nicht bewiesen, daß es weise ist, das Volk zu täuschen, damit wir genießen können?«

»Du bist also auch sein Schüler?« sagte Apäcides mit einem spöttischen Lächeln.

»Ich bedurfte dieser Lehren aber weniger als du. Die Natur hatte mich bereits mit der Liebe zum Vergnügen und mit der Sehnsucht nach Macht und Reichtum begabt. Fürchte die Rache der Göttin, wenn du dieses Geheimnis verraten wolltest.«

»Fürchte die Stunde, wenn das Grab geöffnet und die Fäulnis offenbart wird«, erwiderte Apäcides feierlich.

Mit diesen Worten überließ er den Priester seinen Gedanken. Als er sich einige Schritte von dem Tempel entfernt hatte, sah er zurück. Kalenus hatte sich bereits nach dem Versammlungszimmer der Priester begeben, der weiße Tempel erhob sich glänzend in der Sonne. Die Altäre dampften von Weihrauch und waren mit Kränzen geschmückt. Der Priester blickte noch einmal gedankenvoll auf diese Szene – es war das letztemal für ihn!

Er setzte darauf langsam seinen Weg nach dem Hause der Jone fort, denn er wollte seine einzige Verwandte, seine innigste wie seine erste Freundin noch sehen, bevor möglicherweise auch dieses Verhältnis für immer aufgelöst werde und er dem Verhängnis des nächsten Tages entgegenginge.

Er kam an ihrem Hause an und fand sie mit Nydia im Garten. »Das ist herrlich, Apäcides,« sagte Jone freudig, »daß du endlich kommst. Wie sehnsüchtig habe ich dich erwartet! Warum hast du auf keinen meiner Briefe geantwortet? Oh, du hast deine Schwester vor der Schande geschützt. Was kann sie sagen, um dir zu danken, jetzt, da du endlich gekommen bist?«

»Du bist mir keinen Dank schuldig, meine süße Jone, denn deine Sache war auch die meinige. Laß uns über jenen verworfenen Menschen nicht weiter sprechen – wie gehässig muß er uns beiden sein! Ich werde vielleicht bald Gelegenheit haben, die Welt von seiner angeblichen Weisheit und von seiner heuchlerischen Strenge zu überzeugen. Aber wir wollen uns setzen. Ich bin ermüdet durch die Hitze des Tages, wir wollen uns in jenen Schatten setzen, meine Schwester.«

Unter einer Platane nahmen sie Platz, während Nydia sich nach einem anderen Teil des Gartens begab.

»Jone, meine Schwester«, sagte der junge Priester. »Lege deine Hand auf meine Stirn und fühle, wie sie brennt. Auch deine Stimme laß mich hören, denn sie ist erfrischend und erquickend meinem Gemüt. Sprich mit mir, aber segne mich nicht! Sprich keines jener Worte, die wir in unserer Kindheit für heilig zu halten gelehrt wurden.«

»Ach, und was soll ich dann sagen? Unsere Sprache ist so mit unserer Religion verwoben, daß ich kalt und gefühllos werden muß, wenn ich jede Beziehung auf unsere Götter aus meinen Worten verbanne.«

»Unsere Götter!« murmelte Apäcides mit Schaudern. »Du handelst bereits gegen meinen Wunsch.«

»Soll ich denn bloß von der Isis mit dir reden?«

»Dem bösen Geiste! Nein, lieber bleibe stumm für immer, wenigstens, wenn es dir möglich ist – doch genug – genug davon. Nicht jetzt will ich mit dir streiten; nicht jetzt wollen wir miteinander rechten. Du betrachtest mich als einen Abtrünnigen, und ich schäme mich deiner als einer Götzendienerin. Nein, meine Schwester, laß uns diese Gedanken verbannen. Bei dir fühle ich mich ruhig. Für eine Zeit wenigstens kann ich die Vergangenheit vergessen. Wenn ich so vertraulich neben dir sitze, so denke ich, daß wir wieder Kinder sind und daß der Himmel uns beiden noch lächelt. Aber die Vergangenheit ist vorbei, und die Zukunft droht mit dunklen Schatten. Jone, wenn du Verleumdungen über mich hören würdest, könntest du ihnen wohl Glauben schenken?«

»Nein, mein Bruder, niemals!«

»Denkst du dir nicht, selbst nach deinem Glauben, daß das Unrecht dereinst bestraft und die guten Taten belohnt werden?«

»Kann ich daran zweifeln?«

»Glaubst du also auch, daß der wahrhaft Gute jeden selbstsüchtigen Vorteil der Tugend aufopfern muß?«

»Wer so handelt, ist den Göttern ähnlich.«

»Und du glaubst, daß der Zustand nach dem Grabe dem Maße des Verdienstes entsprechen wird?«

»So müssen wir hoffen.«

»Küsse mich, meine Schwester. Noch eine Frage – du wirst Glaukus vermählt. Vielleicht trennt uns diese Verbindung noch mehr, aber davon spreche ich jetzt nicht. Liebst du Glaukus? – Nein, Schwester, antworte aufrichtig.«

»Ja«, flüsterte Jone errötend.

»Fühlst du, daß du für ihn alles aufopfern, selbst Schande ertragen und dem Tode entgegengehen könntest? Ich habe gehört, daß die wahre weibliche Liebe bis zu diesem Übermaß geht.«

»Alles das, mein Bruder, könnte ich für Glaukus tun, und es wäre mir nicht einmal ein Opfer, denn für die, welche wir lieben, gibt es kein Opfer.«

»Genug! Wenn das Weib so für den Mann fühlt, wie muß dann der Mann für seinen Gott sich aufopfern?«

Er sprach nichts mehr – sein ganzes Wesen schien mit einem höheren Leben erfüllt, seine Augen glühten, auf seiner Stirn war die Tatkraft eines Mannes zu lesen, der es wagen konnte, für seinen Glauben zu handeln. Seine Blicke begegneten denen der Jone, er küßte sie, drückte sie an seine Brust, und einen Augenblick darauf hatte er das Haus verlassen.

Jone blieb noch lange nachdenkend und stumm sitzen. Ihre Sklavinnen erinnerten sie, daß der Abend herannahe und sie beim Diomedes eingeladen sei. Endlich erwachte sie aus ihren Träumereien und bereitete sich, nicht mit dem Stolze der Schönheit, sondern schwermütig und gleichgültig, zu dem Feste vor. Ein Gedanke nur versöhnte sie mit jenem Besuch, sie fand dort Glaukus, sie konnte ihm ihre Besorgnisse über ihren Bruder mitteilen.


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