Edward Bulwer
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer

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20.

Arbaces saß in einem Zimmer, das nach seinem Garten auf eine Art Balkon oder Säulengang hinausging. Seine Wange war bleich und eingefallen durch die körperlichen Leiden, die er erduldet hatte, seine eiserne Natur hatte sich jedoch von den gefährlichen Folgen jenes Zufalles wieder erholt, der in dem Augenblick des vermeintlichen Sieges seinen schändlichen Absichten entgegengetreten war. Die erfrischende Luft, die seine Stirn kühlte, belebte die erschlafften Nerven, und das Blut strömte wieder ruhiger, als seit einigen Tagen in seinen matten Adern.

»So ist also«, dachte er, »der Sturm des Schicksals vorübergegangen! Das Unglück, das mein Leben bedrohen sollte, ist erfolgt, und ich lebe noch! Es geschah, wie die Sterne es vorher verkündet hatten, und jetzt erwartet mich jenseits des Abgrundes die lange, glänzende und glückliche Laufbahn, welche jenem Unfall, wenn ich ihn überlebte, folgen sollte. Vor allen Genüssen, selbst vor dem der Liebe, will ich jetzt zuerst der Rache leben! Dieser griechische Knabe, der meiner Leidenschaft in den Weg getreten ist, der meine Pläne vernichtet, wird mir nicht wieder entrinnen. Aber welche Rache soll ich wählen? Das muß ich reiflich überlegen.«

Der Ägypter versank in ein tiefes Nachdenken und überlegte einen Plan nach dem andern, ohne daß ihm aber ein genügend sicherer Anschlag einfallen mochte. Jetzt trat ein junger Sklave schüchtern in das Zimmer.

»Eine nach ihrem Anzuge und dem der Sklavin, die sie begleitet, vornehme Frau ist eben eingetreten und wünscht Arbaces zu sprechen.« »Eine Frau!« Seine Pulse gingen schneller. »Ist sie jung?«

»Ihr Gesicht wird durch den Schleier verborgen, doch scheint sie nach ihrer schlanken Gestalt jung zu sein.«

»Führe sie zu mir«, sagte der Ägypter, und für einen Augenblick glaubte er, die Fremde könne Jone sein.

Der erste Blick auf die Eintretende genügte jedoch Arbaces, ihm diesen Irrtum zu benehmen. »Entschuldige, daß ich dir nicht entgegenkomme«, sagte er. »Ich leide an einer Krankheit, die ich durchgemacht habe.«

»Entschuldige, großer Ägypter!« erwiderte Julia, indem sie unter einer Schmeichelei die Furcht zu verbergen suchte, welche sie schon erfaßte. »Vergib einer Unglücklichen, die bei deiner Weisheit Trost sucht.«

»Komm näher, schöne Fremde,« sagte Arbaces, »und sprich ohne Besorgnis und Rückhalt.«

Julia setzte sich auf einen Lehnstuhl neben dem Ägypter und sah sich verwundert in einem Zimmer um, dessen kostbare Ausstattung selbst den Luxus in dem Hause ihres Vaters übertraf. Auch erfüllten sie die hieroglyphischen Inschriften an den Wänden, die mysteriösen Antlitze der Sphinxe, der Dreifuß in einer kleinen Entfernung, und vor allem das ernste und gemessene Benehmen des Arbaces selbst mit einem fast unheimlichen Gefühl. Ein langes, weißes Gewand bedeckte oben wie ein Schleier einen Teil seiner schwarzen Locken und ging bis auf die Füße herab, seine Züge waren durch seine bleiche Gesichtsfarbe nur desto ausdrucksvoller geworden, und seine dunklen, flammenden Blicke schienen den Schleier der Julia zu durchdringen und die Geheimnisse ihres eitlen und leeren Gemüts zu erforschen.

»Und was,« sprach er mit leiser, tiefer Stimme, »was führt dich, o Mädchen, in das Haus des morgenländischen Fremden?«

»Sein Ruf«, erwiderte Julia.

»Und welcher?« sagte er mit einem ironischen Lächeln.

»Kannst du noch fragen, o Arbaces? Ist nicht ganz Pompeji von dem Rufe deiner Weisheit erfüllt?«

»Ich habe allerdings einige Kenntnisse gesammelt«, antwortete Arbaces. »Aber wie kann das Ohr der Schönheit so ernster Geheimnisse bedürfen?«

»Ach«,sagte Julia, indem die gewohnten Töne der Schmeichelei sie aufheiterten. »Sucht nicht das Unglück Trost bei der Weisheit, und ist Liebe ohne Gegenliebe nicht das größte Unglück?«

»Ha!« sprach Arbaces. »Kann unerwiderte Liebe das Los einer so schönen Gestalt sein? Würdige mich, o Mädchen, auch des Anblicks deiner Züge, denn gewiß ist, was der Schleier verbirgt, ebenso reizend.«

Julia, welche vielleicht glaubte, durch ihre Reize den Magier für ihr Schicksal mehr zu gewinnen, schlug nach einigem Bedenken den Schleier zurück.

»Du kommst, um unglücklicher Liebe wegen dir Rats bei mir zu holen«, sagte der Ägypter. »Liebeszauber gehören aber nicht zu den Dingen, mit denen ich mich in mitternächtlichen Studien befasse.«

»Oh, das ist schade«, sagte Julia, und machte eine Bewegung, als ob sie aufbrechen wollte.

»Bleibe noch«, sagte der Ägypter, welcher, trotz seiner Leidenschaft für Jone, durch die Schönheit der Julia nicht ungerührt geblieben war. »Bleibe noch, denn wenn ich auch die Zauberei der Liebestränke denen überlassen habe, die sich mit solchem Treiben beschäftigen, so war ich doch nicht so unempfindlich gegen die Schönheit, daß auch ich in meiner früheren Jugend dieser Mittel mich nicht bedient haben sollte. Ich kann dir wenigstens Rat geben, wenn du aufrichtig gegen mich sein willst. Willst du vielleicht einen reichen Geliebten gewinnen?« »Ich bin reicher als der, welcher mich verachtet.«

»Das ist seltsam, und du liebst ohne Gegenliebe?«

»Ich weiß nicht, ob ich ihn liebe«, erwiderte Julia stolz. »Aber ich weiß, daß ich gern über meine Nebenbuhlerin triumphieren möchte – ich wünschte den, welchem ich gleichgültig bin, in Liebe zu mir entbrennen zu sehen.«

»Das ist ein ganz natürlicher weiblicher Wunsch«, sagte der Ägypter, anscheinend ganz ernst. »Aber willst du, schönes Mädchen, mir nicht den Namen deines Geliebten anvertrauen? Kann er, wenn er Reichtum verachtet und selbst gegen die Schönheit blind ist, ein Pompejaner sein?«

»Er ist aus Athen«, erwiderte Julia, indem sie die Augen niederschlug.

»Ha!« rief der Ägypter heftig, indem ihm das Blut in die Wangen stieg. »Ich kenne bloß einen jungen und edlen Athener in Pompeji. Kann es Glaukus sein, von dem du sprichst?«

»Ach, verrate mich nicht, dieses ist allerdings sein Name.«

Jetzt wurde die Aufmerksamkeit des Arbaces in höherem Grade erregt. Konnte diese Zusammenkunft, die ihm bisher, da er sich nur mit der Leichtgläubigkeit und Eitelkeit des jungen Mädchens unterhalten hatte, unbedeutend erschienen war, für seine Rache nicht vielleicht Mittel darbieten?

»Ich sehe, du kannst mir nicht beistehen«, sagte Julia, die durch sein Stillschweigen sich verletzt fühlte. »Verrate wenigstens mein Geheimnis nicht! Lebewohl!«

»Ich will«, sprach der Ägypter im ernsten Ton, »deinen Wunsch erfüllen. Höre mich; ich selbst habe mit diesen Künsten mich nicht beschäftigt, aber ich kenne eine Zauberin, die darin bewandert ist. An dem Fuße des Vesuvs, kaum eine Stunde von der Stadt, wohnt eine mächtige Hexe. Bei dem Schein des Neumondes hat sie Kräuter gesammelt, welche die Eigenschaft besitzen, die Liebe für ewig zu fesseln. Ihre Künste vermögen es, das Herz deines Geliebten dir zuzuwenden. Suche sie auf und nenne ihr den Namen des Arbaces, sie fürchtet diesen Namen und wird dir gewähren, was du verlangst.«

»Ach,« erwiderte Julia, »wie sollte ich die Hexe, von der du sprichst, in diesen wilden Schluchten auffinden. Die ganze Gegend ist gefährlich durch ihre Abgründe und Höhlen und dicht mit wilden Weinstöcken verwachsen. Ich mag mich auch nicht fremder Führung anvertrauen, denn der Ruf eines jungen Mädchens ist leicht untergraben. Und Glaukus will die Neapolitanerin doch schon in den nächsten Wochen heiraten.«

»Heiraten! Weißt du das ganz bestimmt?«

»Ihre eigene Sklavin hat es mir erzählt.«

»Es wird nicht geschehen,« sagte Arbaces heftig; »fürchte nichts, Glaukus soll der Deinige werden. Aber wie kannst du jenen Liebestrank, wenn du ihn bekommst, ihm beibringen?«

»Mein Vater hat Glaukus, und ich glaube, auch die Neapolitanerin, auf übermorgen zu einem Feste eingeladen. Ich werde dann Gelegenheit dazu haben.«

»So sei es!« sagte der Ägypter, indem ein wildes Feuer in seinen Augen leuchtete. »Für morgen abend halte deine Sänfte in Bereitschaft; ich werde dich vor der Stadt in einem Gebüsch bei der Statue des Silenus erwarten und dich selbst zur Hexe hinführen. Geh nach Hause und sei unbesorgt. Arbaces, der Zauberer Ägyptens, schwört es beim Hades, daß Jone nimmer die Gattin des Glaukus werden soll!«

»Und daß Glaukus der Meinige wird?« fügte Julia hinzu, indem sie glaubte, den unvollendeten Satz ergänzen zu müssen. »Du hast es gesagt!« erwiderte Arbaces, und Julia beschloß, wenn sie dieser unheimlichen Zusammenkunft auch mit Schrecken entgegensah, dennoch, vielleicht mehr durch Eifersucht als durch Liebe veranlaßt, sich dort einzufinden.

Als Arbaces wieder allein war, brach er in die Worte aus: »Glänzende Sterne, die ihr nimmer lügt, eure Versprechungen gehen schon in Erfüllung. In dem Augenblick, da ich vergeblich die Mittel meiner Rache suchte, schickt ihr mir diese schöne Närrin als Werkzeug. – Ja,« fuhr er, nachdem er einige Augenblicke in tiefes Sinnen verloren gewesen, mit ruhigerer Stimme fort, »ich selbst konnte ihr das Gift nicht geben, der Verdacht wegen seines Todes wäre auf mich gefallen! – Aber die Hexe! Ja, sie ist das geeignetste und natürlichste Werkzeug meiner Absichten!«

Er rief einen seiner Sklaven und befahl ihm, der Fremden schnell nachzugehen und ihren Namen und Stand zu erforschen. Nachdem dies geschehen, ging er mit noch wankenden Schritten in den Säulengang. Der Himmel war klar und heiter, aber Arbaces, tief erfahren in den Zeichen der Witterung, sah aus einer Masse von Wolken, die der Wind am fernen Horizont langsam zu bewegen anfing, daß ein Gewitter bevorstehe.

»Dies ist ein Gleichnis meiner Rache,« sagte er, »der Himmel ist heiter, doch die Gewitterwolke nähert sich.«


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