Edward Bulwer
Paul Clifford. Drittes Bändchen
Edward Bulwer

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Dreizehntes Kapitel.

                              Was find ich hier?
Gold?
Ha! solche Fülle macht den Mohren weiß.
Und schön aus garstig.

Timon von Athen.

Da kam ein Herr daher, nett, schön gepuzt.
Frisch wie ein Bräutigam.

Heinrich IV.

Ich kenne Niemand, den ich eher miede
Als diesen hagern Cassius. Er liest Viel,
Er ist ein großer Prüfer und durchschaut
Das Thun der Menschen ganz;
Er lächelt oftmals, doch in solcher Weise
Als spott' er sein, verachte seinen Geist,
Den irgend was zum Lächeln bringen könne.

Julius Cäsar.

Als am nächsten Tag, spät Nachmittags, Lucie neben ihrem Vater saß, nicht wie gewöhnlich mit einer Arbeit oder mit Lesen beschäftigt, sondern dem Anschein nach ganz müßig ihren hübschen kleinen Fuß auf den Podagraschemel des Squire's gesezt und die Augen auf den Teppich geheftet, während sie ihre Hände (keine Hand war so sanft und klein wie die Luciens, obwol sie an Weisse vielleicht übertroffen werden konnte,) leicht in einander gefaltet und nachdenklich auf ihren Knieen ruhen hatte, trat plözlich der Chirurgus des Dorfs mit einem Gesicht voll Neuigkeiten und Entsezen ein. Der alte Squire Brandon war einer von den Leuten, die immer die Neuigkeiten, welcher Art sie sein mögen, später hören als ihre Nachbarn und erst nachdem alle Klatschmäuler der Umgegend den Knochen der Sache ganz glatt genagt hatten, wurde er jezt durch die Vermittelung des Herrn Pillum davon in Kenntnis gesezt: daß Lord Mauleverer in der lezt verfloßnen Nacht von drei Heerstraßen-Rittern auf dem Weg nach seinem Landsiz angefallen und ziemlich ansehnlich beraubt worden sei.

Da das Gerücht von dem Mißgeschik des würdigen Doktor Slopperton schon lange vorher weit und breit ausgeposaunt worden war, so wurde natürlich die ganze Umgegend in heftige Bestürzung versezt. Gerichtspersonen wurden herbeigeholt, große Hunde entlehnt, Büchsen gereinigt und eine Subscription im Kirchspiel für Aufstellung einer Streifwache eröffnet. Es schien ziemlich unzweifelhaft, daß die Thäter bei beiden Vorfällen Mitglieder derselben Bande seien, und Herr Pillum war in seinem Sinne vollkommen überzeugt, daß sie ihm in sein Gewerbe einzugreifen und alle Besizer in der Umgegend zu ruiniren beabsichtigten, bei welchen es sich der Mühe verlohnte. Die nächste Woche verstrich unter den sorgfältigsten Bemühungen, die Räuber zu entdeken und zu fassen von Seiten der benachbarten Behörden und der Bürgermannschaft; aber ihre Anstrengungen waren ganz fruchtlos, und ein Friedensrichter, der sich besonders thätig erwiesen, wurde selbst ganz und gar ausgezogen von einem alten Gentleman, der unter dem Namen Bagshot – ein ziemlich verdächtiger Name – sich erbot, den arglosen Beamten an den Ort hinzuführen, wo die Bösewichter gefaßt werden könnten. Kaum jedoch hatte er den armen Richter von seiner Begleitung weg auf einen abgelegenen Theil der Straße geführt, so zog er ihn bis aufs Hemd aus. Er ließ seiner Gestrengen nicht einmal die flanellnen Hosen, obgleich das Wetter so schlimm war als in den Hundetagen von 1829.

»Es ist nicht mein Brauch,« sagte der ungeschliffne Bösewicht, als der Richter wenigstens das leztgenannte Kleidungsstük ihm zu lassen bat, »'s ist nicht mein Brauch; ich gehe langsam ans Werk, aber dann bin ich gründlich – drum nur 'runter mit euern Lumpen, alter Schelm!«

Dieß war jedoch der einzige weitere Fall von Feindseligkeiten in der Nachbarschaft des Herrenhauses von Warlock; und allmälig, als der Herbst sich zu Ende neigte und keine weitere Greuelthaten verübt wurden, begannen die Leute sich nach neuen Gegenständen der Unterhaltung umzusehen. Ein solcher wurde ihnen zu Theil durch einen unerwarteten Glüksfall, dessen sich Lucie Brandon zu erfreuen hatte.

Mrs. Warner, eine alte Dame, mit der sie entfernt verwandt war, und bei der sie während ihres einzigen kurzen Besuchs in London gewohnt hatte, starb plözlich und erklärte in ihrem Testament Lucie zu ihrer einzigen Erbin. Das Vermögen, das in der Bank stand, und sich aus 60.000 Pfund belief, sollte von Miß Brandon, unmittelbar nachdem sie ihr ein und zwanzigstes Jahr erreicht, angetreten werden; bis dahin sollten die Testaments-Vollstreker der jungen Erbin jährlich 600 Pfund auszahlen. Die Freude, welche diese Neuigkeit im Herrenhaus Warlok erregte, kann man sich leicht denken. Der Squire machte Pläne hier zu Verschönerungen und dort zu Ausbesserungen, und Lucie, das gute Kind, die für ihre Person nicht wußte, was mit dem Geld anfangen, außer etwa einen andern Zelter anschaffen oder ein Kleid von London, unterstüzte mit zärtlichem Vergnügen alle Vorschläge ihres Vaters und entzükte sich an dem Gedanken, daß diese schönen Pläne, welche die Familie Brandon größer machen sollten, als sie je zuvor gewesen, mit ihrem, ihrem Geld sollten ausgeführt werden. Zu eben dieser Zeit war es, daß der Adel in der Nachbarschaft eine gleichzeitige, große Entdekung machte, die nemlich von den erstaunlichen Verdiensten und von dem gar gesunden Verstand des Herrn Josef Brandon. Es sei Schade, bemerkten sie, daß er von so verschlossener und schüchterner Gemüthsart sei – es schike sich dieß nicht für einen Edelmann von so alter Familie. Aber wie hätten sie sich nicht Mühe geben sollen, ihn aus seiner Abgeschlossenheit mehr in die größern öffentlichen Kreise hereinzuziehen, welchen er ohne Zweifel zur großen Zierde gereichen mußte?

Sobald also der erste Trauermonat verstrichen war, langten unterschiedliche Kutschen, Wagen, Chaisen und Pferde, die man früher nie im Herrenhaus Warlock gesehen hatte, nacheinander in der allerfreundschaftlichsten Weise die man sich nur denken kann an. Ihre Besizer bewunderten Alles – das Haus war eine so schöne Reliquie von allen Zeiten! – sie waren ganz besondere Freunde eichener Treppen! und die hübschen alten Fenster! und welch ein prächtiger Pfau! und der herrliche Kastanienbaum, Gott segne ihn! war allein einen ganzen Wald werth! Herr Brandon ward aufgefordert, an den Jagden der Grafschaft Theil zu nehmen, nicht daß er selbst noch gejagt hätte, sondern weil sein Name der Sache gar ein großes Ansehen geben müßte! Miß Lucie sollte auf eine Woche zum Besuch bei ihren lieben Freundinnen, den ehrenwerthen Fräulein Sansterre kommen! Augustus, ihr Bruder, hatte so ein sanftes Damenpferd! Kurz der gewöhnliche Wechsel, der in der Schäzung der Leute eintritt, wenn sie zu einem Vermögen gelangt sind, trat auch bei Herr Brandon und seiner Tochter ein, und wenn die Leute auf Einmal liebenswürdig werden, so ist es kein Wunder wenn sie auch auf Einmal eine große Erwerbung an Freunden machen.

Aber Lucie war, obgleich sie noch wenig von der Welt gesehen, doch nicht ganz blind; und der Squire, obwohl ziemlich beschränkt, war doch kein ganzer Dummkopf. Wenn sie gegen ihre neuen Besuche nicht grob waren, so zeigten sie doch auch keine überströmende Erkenntlichkeit für die herablassende Güte derselben. Herr Brandon lehnte es ab, zu der Jagd zu unterschreiben und Miß Lucie lachte dem ehrenwerthen Augustus Sansterre ins Gesicht. Unter ihren neuen Gästen war jedoch Einer, der mit großer Weltkenntniß ausnehmende und sogar glänzende Feinheit des Benehmens verband, welche die Falschheit, wenn auch nicht ganz verhüllte, doch des Unangenehmen beraubte – dieß war der neue Statthalter der Grafschaft, Lord Manteverer.

Obgleich im Besitz unermeßlicher Güter in diesem Landestheile hatte sich Lord Manteverer bisher wenig auf seinen Ländereien aufgehalten. Er war einer der fröhlichen Lords, die jezt eine Seltenheit in unsrem Lande geworden sind; welche, nachdem sie zum reifen Mannesalter gekommen, noch ein leichtes und wüstes Leben führen, lieber mit Schmarozern als Ihresgleichen umgehen und doch, vermöge eines gefälligen Benehmens, natürlicher Talente und einer gewissen anmuthigen und leichten Geistesbildung (um so gefälliger, wenn sie gewöhnlich eine Färbung von Weltlichkeit und von mehr belustigender als kränkender Eitelkeit an sich trägt,) nie die ihnen gebührende Stellung in der Gesellschaft verlernen; die in Kleidern, Equipagen, Kochkunst und Schönheit als Orakel gelten, und troz dem daß sie selbst keinen Charakter haben, durch ein einziges Wort über den Charakter Andrer zu entscheiden im Stande sind. Und so war auch Mauleverer, wiewohl er mehr das zügellose Leben eines jungen Edelmanns führte, welcher die Gesellschaft ergözlicher aber zweideutiger Schönen langweiligen Herzoginnen vorzieht, als daß er die anständige Haltung bewahrt hätte, wie sie seinem gesezten Alter und seinem großen Einfluß im Lande zustand, – bei Hof, wo er eine Stelle in der königlichen Haushaltung bekleidete, ebenso beliebt wie im Garderobe Zimmer, wo er jede Schauspielerin diesseits der Vierzigen bezauberte. Ein Wort von ihm reichte in den privilegirten Quartieren der Macht weiter als die Rede eines Andern; und selbst die Prüden – wenigstens alle diejenigen, welche Töchter hatten – gestanden: daß seine Lordschaft ein sehr interessanter Charakter sei. Gleich Brandon, seinem vertrauten Freund, war er in der Welt gestiegen, (vom irländischen Baronet zum englischen Grafen,) ohne je seine Politik, (er war Ultra Tory,) zu ändern; und wir brauchen nicht zu versichern, daß er, wie Brandon, als ein Muster der Unbescholtenheit im öffentlichen Leben galt. Er besaß zwei Stellen von der Regierung, sechs Stimmen im Hause der Gemeinen und acht Pfründen bei der Kirche; und um seinen loyalen und religiösen Grundsäzen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, müssen wir hinzusezen, daß die bestehende Einrichtung in den drei Königreichen keinen wärmeren Freund hatte, als ihn.

Wenn ein Edelmann nicht heirathet, so suchen die Leute seinen Charakter anzutasten. Lord Mauleverer hatte nie geheirathet; die Whigs waren darüber sehr bitter gewesen; sie spielten sogar im Unterhaus darauf an, dieser keuschen Versammlung, wo es eine unerschöpfliche Quelle von Vorwürfen gegen Herrn Pitt war, daß er kein zur Liebe geneigtes Gemüth besaß; aber bisher hatten sie gegen die Ehelosigkeit des standhaften Grafen nichts ausgerichtet. Wahr ist's, wenn ihm eine Gemahlin abging, so hatte er für diesen Mangel sich reichlich zu entschädigen gewußt; sein Gewerbe war das eines galanten Mannes; und wenn er den Töchtern aus dem Wege ging, so geschah es nur um seine Liebe den Müttern zuzuwenden. Aber seine Lordschaft hatte jezt ein gewisses Alter erreicht, und unter seinen Freunden hatte sich kürzlich das Gerücht verbreitet, er habe im Sinne sich nach einer Lady Mauleverer umzusehen.

»Sparen Sie Ihre Liebkosungen!« sagte sein Leibschmarozer zu einer gewissen Herzogin, welche drei erbtheillose Töchter hatte, »Mauleverer hat geschworen, nicht in Ihrem Stande seine Wahl zu treffen; Sie kennen seine hohe Politik und Sie werden sich über seine Erklärung nicht wundern: daß er in der Ehe eben so wie in der Moral der Gütergemeinschaft abhold sei.«

Die Kunde von des Grafen Heirathsplänen und die Verbreitung dieser Anekdote sezte alle Pfarrerstöchter in England in Feuer und Flammen vor Erwartung; und als Mauleverer, nachdem er mit der Statthalterwürde beehrt worden, nach – – shire kam, seine Besezungen zu besuchen und um die Freundschaft seiner Nachbarn sich zu bemühen: da war keine alte junge Dame von Vierzig, welche Filet strikte und höchstens einmal acht Tage lang in London gewesen war, welche sich nicht gerade für die rechte Person gehalten hätte, um seine Lordschaft zu fesseln.

Es war spät Nachmittags, als der Reisewagen dieses ausgezeichneten Mannes, zwei Vorreiter in der schlichten dunkelgrünen Livree des Grafen voraus, vor dem Thore von Warlock Haus anfuhr. Der Squire war im eigentlichen und uneigentlichen Sinn zu Haus, denn es kam ihm nie in den Sinn, sich vor irgend Jemand, Edelmann oder Bettelmann, verläugnen zu lassen. Als die Wagenthüre geöffnet war, stieg ein kleiner unscheinbarer, reichgekleideter Mann, (denn Verbrämung und seidene Kleider waren damals, obwohl schon allmählig in Abnahme kommend, noch nicht ganz verbannt,) von einnehmendem und mehr ausgezeichnetem als würdigem Wesen, aus. Seiner Jahre schienen mehr zu sein, als er in der That hatte, denn sein Gesicht, zwar schön, war scharf gezeichnet, und zeigte die Spuren eines leichtsinnigen Lebens; und dem Lord Mauleverer konnte leicht die unwillkommne Bezeichnung: ältlich, zu Theil werden, obwohl er in der That noch nicht über das mittlere Alter hinaus war. Sein Schritt jedoch war fest, sein Gang aufrecht, und seine Gestalt bei weitem jugendlicher als sein Gesicht. Nachdem die ersten gewöhnlichen Begrüßungsreden vorüber waren, und Lord Mauleverer sein Bedauern ausgedrükt hatte, daß seine vielfache, lange Abwesenheit von der Grafschaft ihn bisher des Vergnügens der Bekanntschaft mit Herr Brandon, dem Bruder eines seiner ältesten und geschäztesten Freunde beraubt habe, wurde das Gespräch von beiden Seiten beschwerlich und peinlich. Herr Branden brachte zuerst die Unterhaltung aufs Wetter und auf die Rüben, und erkundigte sich, »ob seine Lordschaft nicht ein großer Freund sei von dem Vergnügen (er seines Theils sei es früher gewesen, aber neurer Zeit seze ihn die Gicht außer Stand; er hoffe seine Lordschaft sei verschont von dieser Plage,) des Schiessens?«

Der Graf hatte nur die lezten Worte aufgefaßt; denn zu der gräßlichen Verworrenheit in den Säzen des Squire hin, litt Mauleverer auch noch ein wenig an dem aristokratischen Uebel der Taubheit, und er antwortete mit einem Lächeln: »Plage des Schiessens! sehr gut, in der That Herr Brandon; ich habe selten einen so wizigen Ausdruk gehört; nein ich bin von dieser Seuche nicht im mindesten heimgesucht. Es ist in dieser Grafschaft ein sehr vorherrschender Uebelstand.«

»Mein Lord!« sagte der Squire, ein wenig verduzt, und als er dann bemerkte, wie Mauleverer nicht weiter fortfuhr, hielt er für angemessen, einen andern Gegenstand auf die Bahn zu bringen.

»Es betrübte mich aufnehmend, zu hören, daß Euer Lordschaft auf der Reise nach Mauleverer-Park – (es ist ein sehr häßlicher Weg durch das wüste Land; die Straßen in dieser Grafschaft sind im Allgemeinen hübsch und gut; wenn Ich ein Beamter wäre, ich würde in diesem Punkt auf strenge Ordnung halten) ausgeplündert wurden. Und Sie sind, glaub' ich, noch nicht auf die Spur gekommen von – (ich meines Orts, obgleich ich mich nicht rühme, ein großer Politiker zu sein, meine, in diesen Räubergeschichten habe man sich großentheils zu beklagen über die Unthätigkeit bei den Ministern) – den Schurken?«

»Unser Freund ist vor den Kopf gestoßen worden!« dachte der Lordstatthalter, im Wahne der lezte schmähende Ausdruk gelte den achtbaren in der Klammer genannten Personen. Mauleverer verbeugte sich mit einem feinen Lächeln gegen den Squire, und antwortete laut, es thue ihm ausnehmend leid, daß ihre (der Minister, wollte er sagen) Handlungsweise nicht des Beifalls Herrn Brandon's sich zu erfreuen haben.

»Nun!« dachte der Squire, »das heiß' ich einmal ernstlich du Hofman spielen! Meines Beifalls sich zu erfreuen haben!« sagte er mit Wärme: »Wie kann Eure Lordschaft meinen, ich sei – (denn ob ich gleich kein Heiliger bin, bin ich doch hoffentlich ein guter Christ; ein ganz vortrefflicher, nach Ihren Worten zu schließen, ist gewiß auch Euer Lordschaft!) parteiisch für das Verbrechen gesinnt!«

»Ich parteiisch für das Verbrechen gesinnt!« erwiederte Mauleverer, vermeinend er sei unvermuthet einem unmäßigen Demokraten in den Weg gelaufen; lächelnd jedoch und sanft wie sonst fuhr er fort: »Sie beurtheilen mich hart, Herr Brandon! Sie müssen mir mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen und das wird nur möglich werden durch nähere Bekanntschaft.«

Die unglückliche Antwort, welche der Squire vielleicht schon im Munde hatte, wurde durch das Eintreten Luciens abgeschnitten; und der Graf, heimlich erfreut über diese Unterbrechung, stand auf, ihr seine Huldigung darzubringen und sie daran zu erinnern, daß er schon früher einmal so glüklich gewesen sei, ihr bekannt zu werden, mittelst der Freundschaft des Herrn William Brandon, »eine Freundschaft,« sagte der galante Edelmann, »der ich schon vorher oft verpflichtet war, aber die mir nie einen angenehmern Dienst erwies.«

Hierauf antwortete Lucie, welche, so peinlich ihre Verlegenheit während ihres Zusammenseins mit Herrn Clifford gewesen, in der Gegenwart einer um so viel höhern Person eben keine außerordentliche Schüchternheit verspürte, mit lachendem Munde und der Graf erwiederte ihr mit einem zweiten Complimente. Jezt war das Gespräch keine Anstrengung mehr, und Mauleverer, der vollendetste Epikuräer, welchen ohne gebührende Voranstalten einzuladen, selbst eine königliche Hoheit gezittert hätte, folgte, von dem treuherzigen Squire aufgefordert, an ihrem Familienmahle Theil zu nehmen, gerne der Einladung. Seit langer Zeit waren die ritterlichen Mauern von Warlock-Haus nicht mehr durch den Besuch eines so hohen Gastes beehrt worden. Der gute Squire überhäufte seinen Teller mit einer ungeheuren Masse gesottenen Rindfleisches und während der arme Graf mit Bangigkeit die aufgethürmten Alpen, die er verschlingen sollte, betrachtete, raffte der graue Schenke ängstlich besorgt ihn rasch zu bedienen, den überladnen Teller weg und lieferte ihn sofort wieder zurük, noch fürchterlicher belastet mit einer weitern Welt – aus einem Gemächte von Steinfarbe und schweißtreibendem Aussehen bestehend, in welchem der Graf, nachdem er es einige Augenblike mit stummer Aufmerksamkeit betrachtet hatte und es dann sorgfältig, so gut er vermochte, auf den äußersten Rand seines Tellers schob, ein Nieren-Pudding erkannte.

»Sie essen nichts, mein Lord!« rief der Squire, »lassen Sie mich Ihnen (dieß ist mehr aus der Mitte,«) und hier faßte er zwischen Messer und Gabel ein fürchterliches scharlachrothes Stük, das seine blutigen Loken schüttelte, und hielt es in der Luft, – »ein andres Stük vorlegen!«

Schnell wie der Bliz fuhr auf Mauleverers Teller der Harpyen-Finger und der unbarmherzige Daumen des grauen Schenken.

»Keinen Bissen mehr!« rief der Graf, mit dem mörderischen Bedienten kämpfend. »Mein theurer Sir, entschuldigen Sie mich; ich versichre Sie, ich habe nie bisher ein solches Diner eingenommen –, nie!«

»Nein! das geht nicht an!« sagte der Squire, der sich nicht zufrieden geben wollte, (»die Luft ist so frisch, daß Euer Lordschaft Ihrem Appetit ganz nachgeben sollten, und dem Rath der Aerzte folgen,) nichts zu essen!«

Wieder hatte ihn Mauleverer falsch verstanden.

»Die Aerzte haben Recht, Herr Brandon,« sagte er, »sehr Recht und ich sehe mich genöthigt, ganz enthaltsam zu leben; in Wahrheit, ich zweifle, ob ich, wenn ich an Ihrer gastlichen Tafel meiner Mäßigkeit vergessen, und Alles was Sie mir zumuthen, bewältigen wollte, es je verwinden würde. Sie müßten sich um einen neuen Statthalter für diese reizende Grafschaft umsehen, und auf den Grabstein des lezten Mauleverer würde der heuchlerische und gleichgültige Erbe die Worte sezen: Gestorben am Genuß des Rindfleisches, John, Graf u. s. w.«

Jedem Andern würde der Sinn dieser Rede klar genug gewesen sein, aber der Squire lachte über den schwächlichen Appetit des Redenden, und gab der Meinung Raum, es müße ein trefflicher Geselle sein, da er so launig über seine eigne Kränklichkeit scherze. Aber Lucie hatte den sichern Takt ihres Geschlechtes; die klägliche Lage des Grafen, obgleich sie dieselbe sicherlich nicht ihrem ganzen Umfang nach begriff, jammerte sie, und sie ging mit so viel Anmuth und Leichtigkeit in das Gespräch ein, das er zwischen ihnen in Gang zu bringen bemüht war, daß Mauleverers Kammerdiener, durch den Eifer des grauen Schenken bisher ganz auf die Seite gedrängt, eine Gelegenheit fand, als einmal der Squire lachte und der Schenk vor sich hinstierte, den überladenen Teller unbeargwöhnt und ungesehen wegzustehlen.

Troz diesen Unbequemlichkeiten jedoch bei Tische war Mauleverer mit seinem Besuch ausnehmend zufrieden und beschloß ihn nicht eher, als bis die Schatten der Nacht hereinzubrechen begannen und die Entfernung seines Wohnsizes, verbunden mit einer gemachten Erfahrung, ihn an die Möglichkeit erinnerte, daß die Frechheit eines Landstraßen-Ritters sich sogar an den Wagen Lord Mauleverers machen könnte. So stieg er denn mit Widerstreben ein, empfahl dem Postknecht so rasch als möglich zu fahren, wikelte sich in seinen Mantel und theilte seine Gedanken zwischen Lucie Brandon und den homard au gratin, womit er sich unmittelbar nach seiner Rükkunft zu trösten gedachte. Aber das Schiksal, das unsre liebsten Hoffnungen zu nichte macht, fügte es, daß bei der Ankunft in Mauleverer-Park der Besizer plözlich von Mangel an Appetit, Frost in den Gliedern, Schmerzen auf der Brust und allerlei sonstigen Vorzeichen einer drohenden Krankheit befallen wurde. Lord Mauleverer legte sich straks zu Bette, blieb einige Tage liegen und als er sich wieder gebessert, empfahlen ihm die Aerzte nach Bath zu gehen. Die Methodisten unter den Whigs, die ihn haßten, schrieben seine Krankheit der Vorsehung zu; seine Lordschaft selbst blieb steif und fest auf der Meinung: sie rühre von dem Fleisch und Pudding her. Wie dem auch sei – für jezt war es um die Hoffnungen der jungen Damen von Vierzig und um die beabsichtigten Festlichkeiten in Mauleverer-Park geschehen. »Guter Gott!« sagte der Graf, als die Räder seines Wagens von seinem Thore wegrollten, »welcher Verlust kann für die Kaufleute auf dem Land aus einem Stük Rindfleisch, das nicht gar ist, zumal gebraten, erwachsen!«

Ungefähr vierzehn Tage waren seit Mauleverers meteorähnlichem Besuch in Warlock-Haus verstrichen, als der Squire von seinem Bruder folgenden Brief erhielt:

»Mein lieber Josef!

Du kennst meine unzähligen Abhaltungen und bei dem Drang von Geschäften, welche auf mir lasten, wirst Du mir gewiß verzeihen, daß ich ein sehr nachlässiger und saumseliger Briefschreiber bin. Dennoch, ich versichre Dich, kann Niemand aufrichtigern Antheil nehmen an dem Glück, das meiner reizenden Nichte zugefallen und wovon Du mich neulich in Kenntniß gesezt, als ich es thue. Ich bitte, versichre sie meiner zärtlichen Liebe und sag' ihr, mit welch freudiger Ungeduld ich dem glänzenden Eindruk entgegen sehe, welchen sie hervorbringen wird, wenn ihre Schönheit auf den Thron erhöht sein wird, der sie sicherlich über kurz oder lang verherrlichen wird. Du weißt vielleicht nicht, mein lieber Josef, daß ich einige Zeit in sehr schwachen und heruntergebrachten Gesundheitsumständen war. Das alte Nervenübel im Gesicht hat mich neuerlich heftig ergriffen, und die Qual ist manchmal so groß, daß ich sie kaum aushalten kann. Ich glaube, die großen Ansprüche, welche mein Beruf an einen, nie sehr kräftigen Körper, der zudem vor der Zeit die Schwächen des Alters zu fühlen beginnt, macht, sind die Hauptursache meiner Leiden. Am Ende jedoch muß ich nothgedrungen meine Taschen es entgelten lassen und durch eine kurze Erholung vom Geschäft meinen Neigungen nachgeben. Die Aerzte, geschworene Freunde der Advokaten wie Du weißst, weil sie gemeinschaftliche Sache gegen die Menschheit machen, haben mir strenge befohlen, müssig hinzuliegen, und mit frischer Luft, Bewegung, geselligen Vergnügungen und den Wassern von Bath eine kleine Kur durchzumachen. Zum Glük ist jezt Ferienzeit bei den Gerichten, und ich kann schon das Einkommen von einigen Wochen in die Schanze schlagen, um mir vielleicht manches Lebensjahr damit zu erkaufen. Ich habe denn beschlossen, gleich in der nächsten Woche mich an diesen trübseligen Sammelplaz der Freude zu begeben, wo die Leute aus dem Leben hinaustanzen und sich über den Styr geigen lassen. Mit Einem Wort, ich will einen der Abenteurer abgeben, die auf Gesundheit ausziehen, und die Göttin in König Bladud's Badesaal suchen. Willst Du mit der lieben Lucie dort mit mir zusammenkommen? Ich erbitte mir es von Eurer Freundschaft und bin ganz und gar versichert, daß Keines von Euch vor dem Vorschlag, Euren kranken Verwandten zu trösten, erschreken wird. Während ich meine Gesundheit wieder erlange, soll meine hübsche Nichte den Pluto schadlos halten, indem sie seinem Scepter manchen bessern und jüngern Helden an meiner Statt weihet. Und für mich wird es ein doppeltes Vergnügen sein, zu sehen wie alle Herzen u. s. w. Ich breche ab, denn was kann ich hierüber sagen, das die kleine Kokette nicht selbst schon erriethe?

Es ist hohe Zeit, daß Lucie die Welt sehe; und wenn auch in Bath, mehr als an andern Orten, Viele sein mögen, für welche die Erbin Gegenstand eigennüziger Bestrebungen sein wird, so gibt es doch auch in dieser von Menschen wimmelnden Stadt, Manchen, der ihrer Aufmerksamkeit durchaus nicht unwerth ist. Was sagst Du lieber Josef? Aber ich weiß schon! Du weigerst Dich nicht, mir während meines kurzen Feiertags Gesellschaft zu leisten, und Luciens Augen glänzen schon beim Gedanken an neue Hüte, Milsom Street tausend Anbeter und den Badesaal.

Imer, lieber Josef

Voll Zärtlichkeit Dein Bruder,

William Brandon.«

»Nachschrift. Ich erfahre, mein Freund Lord Mauleverer ist in Bath; Ich gestehe, dieß ist ein weiterer Beweggrund der mich hinzieht; aus einem Briefe, den ich dieser Tage von ihm erhielt, ersehe ich daß er bei Euch einen Besuch abgestattet hat und jezt von seinem Wirth und der Erbin ganz eingenommen ist. Ha, Miß Lucie, Miß Lucie? solltest Du eine Eroberung an dem Manne machen, den ganz London länger als ich anzugeben vermag, (doch nicht sehr lang, denn Mauleverer ist noch jung,) vergebens bestürmte? Antworte mir!«

Dieser Brief erregte in Warlock-Haus eine lebhafte Bewegung. Der alte Squire liebte seinen Bruder außerordentlich und es that ihm in der Seele weh, daß er so entmuthigend über seine Gesundheit schrieb. Auch bedachte sich der Squire keinen Augenblik, den Vorschlag einer Zusammenkunft mit seinem ausgezeichneten Blutsverwandten in Bath anzunehmen. Auch Lucie, – welche für ihren Oheim, vielleicht wegen seiner freigebigen und doch nicht unzarten Schmeicheleien, große Achtung und Theilnahme hegte, wenn gleich sie ihn nur wenig gesehen hatte – drang in den Squire, ohne Zeitverlust die Anstalten zur Abreise zu betreiben, damit man dem Advokaten zuvorkomme und Alles für seine Ankunft vorbereiten könne. Da Vater und Tochter so eines Sinnes waren, gab es keinen Anlaß zur Zögerung eine Antwort auf den Brief des Kranken gieng mit der Post zurük und am vierten Tag nach Empfang besagten Schreibens wurden der gute, alte Squire, seine Tochter, ein Landmädchen als eine Abigail, der grauköpfige Schenke und zwei oder drei lebendige Lieblinge, deren Größe und Lebensweise am besten für die Reise paßte, in dem ungeheuren Bauch der Familien-Kutsche auf dem Weg nach jener Stadt fortgeschleppt, die damals wenigstens lustiger, wenn auch weniger glanzvoll war, als die Hauptstadt selbst.

Am zweiten Tag nach ihrer Ankunft in Bath traf Brandon, (so wollen wir in Zukunft, um Verwirrung zu vermeiden, den jüngern Bruder nennen und dem ältern den patriarchalischen Titel Squire lassen) bei ihnen ein.

Er war ein Mann, der dem Anschein nach viel auf den Prunk hielt, obwohl er innerlich ihn verabscheute und verachtete. Er fuhr vor ihrer Wohnung, die eben nicht im allerbesten Stadttheil gewählt war, in einem Wagen mit sechs Pferden an, aber nur von Einem vertrauten Diener begleitet.

Sie fanden ihn besser aussehend und besser gelaunt, als sie vermuthet; wenige Menschen konnten angenehmer sein als William Brandon, wenn er nur wollte; aber zuweilen mischte sich in seine Unterhaltung ein bittrer Hohn, wahrscheinlich eine Gewohnheit die er seinem Berufe verdankte, oder auch gelegentlich ein Anstrich von mürrischem und vornehmem Mißmuth, vielleicht eine Folge seiner Kränklichkeit. Doch schien sein Leiden, das sich einigermaßen jenem qualvollen Uebel, dem Gesichtsschmerz näherte, obgleich die Anfälle seltner, als sie bei diesem Uebel gewöhnlich sind, sich einstellten, nie auch nur einen Augenblik auf seine Stimmung, wie diese sein mochte, Einfluß zu haben. Dieß Uebel wirkte unvermerkt; kein Muskel seines Angesichts schien sich zu verziehen; das Lächeln um seinen Mund verschwand nie, der Wohllaut seiner Stimme wurde nie vom Schmerz gedämpft, und mitten unter den heftigsten Qualen bemeisterte sein entschlossener und troziger Geist jedes äußere Anzeichen, und der aufmerksamste Fremde hätte den Augenblik nicht bemerkt, da ihn sein Uebel befiel oder verließ. Es war an dem Manne etwas Unergründliches. Man fühlte, daß man seinen Charakter auf Treu und Glauben aber nicht aus eigner Kenntniß gelten ließ. Nach einer jahrelangen Bekanntschaft würde man über seine Tugenden und Fehler noch eben so sehr im Dunkel geblieben sein. Er veränderte sich oft, aber bei jeder Veränderung blieb er gleich unerforschlich. Spielte er eine Reihe von Rollen durch, ober war es der natürliche Wechsel in der eignen Gemüthsart, was man an ihm erblikte? Im Ganzen mild, ruhig, aufmerksam, schmeichelhaft in geselligen Verhältnissen, war er im Parlament und bei den Gerichtshöfen wegen seiner kalten Härte und kaustischen Bitterkeit berufen – so daß selbst auf diesen Kampfpläzen es ihm kaum Jemand gleich that. Es war als ob er den herberen Empfindungen, welche er im Privatleben niederhielt, im öffentlichen die Zügel schießen zu lassen sich freute. Aber auch hier überließ er sich keinem augenbliklichen Muthwillen, keiner aufwallenden Leidenschaft; Alles erschien bei ihm als systematischer Hohn oder zur Gewohnheit gewordne Herbigkeit. Er verlezte keine hergebrachte, gesellige Form. Er verwundete, ohne des Stachels in seinen Worten sich bewußt zu scheinen; und sein Gegner krümmte sich eben so sehr unter der zermalmenden Verachtung, die in seiner Selbstbeherrschung lag, als unter der Geissel seiner Satire. Kalt, schlagfertig, bewehrt und vertheidigt auf allen Punkten, gesund in seinem Urtheil, sicher in seiner Beobachtung, ebenso vollendeter Meister in Sofismen, wenn er selbst deren benöthigt war, als geübt, bei Andern sie aufzudeken; keinen Kunstgriff, auch den mühseligsten nicht, verachtend; keine noch so lästige Arbeit scheuend – pünktlich im Kleinen, aber deßhalb nicht minder rasch in Auffassung des richtigen Gesichtspunkts im Großen – in diesen Ruf hatte sich seinem öffentlichen und gerichtlichen Charakter nach William Brandon gesezt, und mit diesem Namen verband er eine gänzliche Unbescholtenheit hinsichtlich seiner Moralität. Aber bei seinen Freunden erschien er nur als der angenehme, geistreiche, lebhafte, und wenn wir den Ausdruk im guten Sinn gebrauchen dürfen, weltliche Mann, der nie eine höhere Reinheit oder übertriebene Aengstlichkeit für äußere Formen, wichtige Fälle ausgenommen, affektirte, und der die Strenge seiner Sitten dadurch nur um so mehr zum Gegenstand der Bewunderung machte, daß er ihnen sogar nicht den Mantel der Scheinheiligkeit umhieng.

»Nun,« sagte Brandon, als er nach Tisch allein bei seinen Verwandten saß und die Augen seines Bruders, zum gewohnten Schlummer sich schließen gesehen hatte; »sage mir, liebe Lucie, was denkst Du von Lord Mauleverer? Findest Du ihn angenehm?« »Sehr! nur zu sehr, in der That!« »Zu sehr! das ist ein seltner Fehler, Lucie; oder willst Du damit vielleicht zu verstehen geben, Du findest ihn zu angenehm für die Ruhe Deines Gemüths?«

»O nein! da ist wenig zu befürchten; was ich damit sagen wollte ist nur dieß: er scheint es zum einzigen Geschäft seines Lebens zu machen, angenehm zu sein; und man kommt auf den Gedanken er habe dieß Ziel mit Darangabe gewisser Eigenschaften erreicht, die man noch lieber an ihm sehen würde.« »Hm –« und was wären das für Eigenschaften?«

»Wahrheit, Aufrichtigkeit, Unabhängigkeit und Rechtlichkeit.«

»Meine liebe Lucie! es ist die Aufgabe und der Beruf meines Lebens gewesen, den Charakter der Menschen, besonders soweit die Wahrheit in Betracht kommt, in so kurzer Zeit als möglich zu ergründen; aber Du übertriffst mich in rascher Anschauung, wenn Du bei der ersten Zusammenkunft sagen kannst, ob im Charakter eines Hofmanns Aufrichtigkeit sei.«

»Demungeachtet bin ich von meiner Ansicht fest überzeugt,« sagt« Lucie lachend, »und ich will Ihnen einen Beweis anführen, den ich unter hundert mir gemerkt. Lord Mauleverer ist ziemlich taub und er meinte im Verlauf des Gesprächs, mein Vater habe etwas gesagt – es war ein ganz gleichgiltiger Gegenstand – die Rede eines Parlaments-Gliedes, (der Advokat lächelte,) wovon mein Vater gerade das Gegentheil sagen wollte. Lord Mauleverer stimmte ihm aufs Allerwärmste bei, schien ganz und gar seiner Meinung, klatschte seinen Ansichten Beifall und wünschte dem ganzen Land seinen Geist. Auf einmal nahm mein Vater das Wort, Lord Mauleverer horchte hin, und erfuhr daß die Ansichten, welche er so gepriesen, gerade diejenigen waren, welchen mein Vater am wenigsten hold ist. Sobald er diese Entdekung gemacht, drehte er, ich muß sagen, mit Gewandtheit und Anmuth die Sache herum, verdammte Alles was er zuvor erhoben, und erhob Alles, was er zuvor getadelt hatte!«

»Und das ist Alles, Lucie?« sagte Branden mit einem lebhaftern spöttischen Lächeln um die Lippe, als der Anlaß zu rechtfertigen schien. »Nun, das ist etwas, das Jedermann thut, nur der Eine ernsthafter als der Andre. Mauleverer in der Gesellschaft, ich vor den Schranken; der Minister vor dem Parlament, der Freund gegen den Freund, der Liebhaber gegen die Geliebte; die Hälfte von uns ist damit beschäftigt zu sagen: Weiß ist Schwarz, und die andre Hälfte, zu beschwören: Schwarz ist Weiß. Nur ist ein Unterschied, meine liebliche Nichte, zwischen dem gescheuten Mann und dem Thoren; der Thor sagt etwas Falsches, weil die Farben ihn blenden und täuschen, aber der gescheute Mann nimmt so zu sagen einen Pinsel und verwandelt im buchstäblichen Sinne Schwarz in Weiß und Weiß in Schwarz ehe er seine Behauptung aufstellt, die dann wahr ist. Der Thor ändert seine Meinung und ist ein Lügner; der kluge Mann läßt die Farben sich ändern und ist ein großer Geist. Aber das ist noch nicht für Deine jungen Jahre, Lucie!«

»Aber ich kann doch die Nothwendigkeit nicht einsehen, immer den Leuten beizustimmen,« sagte Lucie unbefangen, »gewiß ließen sie es sich ebenso gern gefallen, wenn man ihnen höflich und achtungsvoll widerspräche?«

»Nein, Lucie,« sagte Brandon, immer noch lächelnd, »um sich gefällig zu machen, dazu ist nichts so unumgänglich nothwendig, als den Leuten nach dem Munde zu reden: lügen, betrügen, jedes Wort zu einer Schlinge und jede Handlung zu einer Falschheit machen – das Alles darf man – aber nie widersprechen. Gib den Leuten immer Recht, so bereiten sie Dir eine Stätte in ihrem Herzen. Du kennst die Geschichte von Dante und dem Lustigmacher. Beide wurden an dem Hofe des eitlen Pedanten, der sich selbst Fürst Skaliger nannte, unterhalten; der erste nur dürftig, der zweite ganz stattlich.«

»Wie kommt's,« sagte der Spaßmacher zum Dichter, »daß ich so reich bin und Ihr so arm seid?« »Ich werde so reich sein, wie Ihr,« war die beissende und treffende Antwort, »sobald ich einen Gönner finden kann, der mir so ähnlich ist, wie Fürst Skaliger Euch!«

»Aber meine Vögel,« sagte Lucie, indem sie den Goldfink liebkoste, der sich an ihrem Busen einschmeichelte, »sind mir nicht ähnlich und doch liebe ich sie. Ja, ich denke oft, ich könne diejenigen nur um so mehr lieben, die am meisten von mir verschieden sind. Ich fühle das auch bei Büchern – wenn ich zum Beispiel einen Roman oder ein Theaterstük lese; und Sie, mein Oheim, liebe ich beinah in dem Verhältniß, als ich in mir selbst nichts finde, was mir mit Ihnen gemein wäre.«

»Ja,« sagte Brandon, »Du hast mit mir die Liebe für alte Geschichten von Sir Hugo und Sir Rupert und all die andern Sir's unsers zerfallenen und vergangenen Stammes gemein. Und so sollst Du mir die Ballade von Sir John de Brandon singen und dem Drachen den er im heiligen Land erschlug. Wir wollen uns ins Gesellschaftszimmer begeben, um Deinen Vater nicht zu stören.«

Lucie erklärte sich bereit, nahm ihres Oheims Arm, ging mit ihm in das Gesellschaftszimmer, sezte sich an das Klavier und sang nach einer begeisternden, obwohl etwas ungestümen Melodie, die von ihrem Oheim verlangte Familienballade.

Es müßte ergözlich gewesen sein, in dem strengen Gesicht des eingefrorenen, gesezten Mannes, der so friedlich unter Pergamenten hinlebte, einen gewissen Enthusiasmus zu beobachten, der hin und wieder, wenn die Verse der Ballade bei einer Anspielung auf das ritterliche Haus Brandon und seinen alten Ruhm verweilten, über seine Wange leuchtete. Es war ein früh eingesogenes Vorurtheil, das gegen seinen Willen hervorbrach; ein Charakterbliz der dem harten ihn umschiessenden Gestein entlokt wurde. Man hätte denken sollen, daß die einfältigste Art von Stolz, (denn der Geldstolz, obgleich gemeiner, ist nicht so sinnlos) der Familienstolz die lezte Schwäche gewesen wäre, welche damals der verhärtete und schlaue Rechtsmann wenn auch nur sich selbst gestanden hätte.

»Lucie,« sagte Brandon, als das Lied zu Ende war und sein Auge mit einem gewissen Stolz auf dem Anblik seiner schönen Nichte verweilte – »mich verlangt Zeuge Deines ersten Auftretens in der Welt zu sein. Dieß Logis, meine Liebe, ist nicht passend – aber verzeih mir! was ich sagen wollte, ist nur dieß: Dein Vater und Du seid auf meine Einladung hier und in meinem Hause müßt Ihr wohnen; Ihr seid meine Gäste und nicht ich der Eure. Ich habe deßwegen schon meinen Diener angewiesen, mir eine Wohnung zu schaffen und für die nöthige Einrichtung zu sorgen; und ich zweifle nicht, da er ein flinker Bursch ist, daß binnen drei Tagen Alles bereit sein wird; dann mußt Du der Magnet meines Hauses sein, Lucie, und in der Zwischenzeit mußt Du das meinem Bruder auseinandersezen und machen, daß er sich dabei beruhigt, denn Du kennst ja seine eifersüchtige Gastlichkeit.«

»Aber,« fing Lucie an.

»Aber mir keine Aber,« sagte Brandon rasch und mit dem heftigen Ton des Eigensinns, »und nun, da ich mich von meiner Reise sehr ermattet fühle, mußt Du mir erlauben, mein eignes Zimmer zu suchen.«

»Ich will Sie selbst dahin begleiten,« sagte Lucie, begierig dem Bruder ihres Vaters die Sorgfalt und Umsicht zu zeigen, welche sie in den Anordnungen zu seiner Bequemlichkeit verschwendet. Branden folgte ihr in ein Zimmer, worin sein Auge auf Einen Blik die Spuren der hier thätig gewesenen weiblichen Anordnung erkannte, die das, was die Männer als unbedeutend übersehen, so gut zu benüzen weiß; und er dankte ihr mit aussergewöhnlicher Freundlichkeit für die Güte womit sie ihre Einrichtungen ersonnen und die Anmuth mit der sie dieselben ausgeführt hatte. Sobald er sich allein sah, rollte er seinen Lehnstuhl dem großen, helllodernden Feuer näher und das Gesicht auf die Hand gestüzt, in der Stellung eines Mannes, der sich gleichsam anschikt dem Spiel seiner Gedanken sich hinzugeben, murmelte er vor sich hin:

»Ja, diese Weiber sind erstlich, wozu die Natur sie macht, und das ist gut, und dann das wozu wir sie machen, und das ist schlimm! Könnte ich mich jezt davon überzeugen, daß wir so bedenklich sein sollten in der Art wie wir diese armen Puppen behandeln und gebrauchen: so würde ich zurükbeben vor dem Gedanken, das Geschik, das ich diesem Mädchen bestimmt habe, zu beschleunigen. Aber das ist eine jämmerliche Betrachtung, und der ist ein einfältiger Spieler, der sein Geld verliert, um seine Rechenpfennige zu sparen. Und so muß denn die junge Dame als eine neue Staffel auf der Glüksleiter William Brandon's dienen. Und Alles wohlerwogen: Wer leidet darunter? Sie nicht! Sie bekommt Reichthum, Rang, Ehre; ich werde leiden bei dem Bewußtsein, einen so tödtlichen und reinen Edelstein hinzugeben an die Krone von – Koth! Wie verachte ich diesen Hund! und wie müßte ich ihn erst hassen, zerreissen, zermalmen, könnte ich denken, daß Er mich verachtet! Wär' es möglich, daß er das thäte? Ha, wenn! Aber nein! ich hab' es bei mir ausgemacht; es ist unmöglich. Nun, hoffen wir, diese Heirathssache werde ins Reine kommen; und jezt will ich mich bedenken, welche weitere Schritte ich für mich selbst thun soll – mich selbst! ja, nur für mich selbst! Mit mir stirbt der lezte männliche Sprößling der Familie Brandon. Aber das Licht soll nicht unter dem Scheffel erlöschen!«

Nach diesem Selbstgespräch versank der Redende in eine noch tiefere, stumme Träumerei, aus welcher er durch den Eintritt seines Dieners aufgestört wurde. Brandon, der nur in der Einsamkeit ein Träumer war, brach auf Einmal seine Gedanken ab.

»Du hast meine Befehle vollzogen Barlow?« fragte er.

»Ja, Sir!« antwortete der Diener, »ich habe das beste noch unbesezte Haus gemiethet und wenn Mrs. Roberts (Brandons Haushälterin) von London ankommt, wird, so hoffe ich, Alles genau nach Ihren Wünschen sein.« »Gut; und du hast mein Billet an Lord Mauleverer abgegeben?«

»Eigenhändig, Sir! Seine Lordschaft wird Sie morgen den ganzen Tag zu Hause erwarten.«

»Ganz recht; und nun Barlow, sorge daß dein Zimmer so ist daß dich mein Ruf erreichen kann – (Gloken waren, obwohl nicht unbekannt, doch damals noch nicht üblich,) und gib vor, ich sei zu Bette gegangen und wolle nicht gestört werden. Welche Zeit ist es?«

»Gerade auf den Punkt zehn Uhr. Sir!«

»Stelle auf diesen Tisch meinen Briefkasten und das Tintengefäß. Um halb zwei sieh bei mir nach, um mich auszukleiden; um diese Zeit werde ich zu Bette gehen. Und – halt – sorge ja gewiß dafür, daß mein Bruder glaubt, ich sei für diese Nacht zur Ruhe! Er kennt meine Lebensweise nicht und könnte sich beunruhigen, wenn er denkt, ich sei in meinem dermaligen Gesundheitszustand so lange auf.«

Der Diener rükte den Tisch mit dem Schreibbedarf seinem Herrn näher und überließ sich wieder seinen Gedanken oder seinen Beschäftigungen.


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